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Montag, 28. November 2011

Metronom (8a) – erste Rotpunktbegehung

Mal aus diesem, mal aus einem anderen Grund hatte es nicht geklappt in den letzten Wochen, doch nun gab es doch noch eine Chance. Das Ziel: den in den letzten Wochen eingerichteten, oberen Teil der Route „Metronom“ am Gonzen zu befreien. Soviel vorweg, an einem weiteren, goldenen Novembertag wurden unsere Träume Realität. 

Die Zufahrt zu den Rieterhütten ist aktuell durch die Trockenheit sehr staubig, aber wie immer sehr bequem. Von dort erreicht man mit bloss 10 Minuten horizontalem Fussmarsch die Abbruchkante, und hat das Objekt der Begierde, vor den Augen: sieht schon sehr imposant aus, der obere Teil der Gonzenwand! Bevor es losgehen kann, will aber noch über den Ausstieg der Gemsweid entlang der Fixseile abgestiegen werden, um dann exponiert über das Mittelband in die Wand hinein zu queren. Dauer: bequeme 20 Minuten. So sind wir dann um 10.00 Uhr, mit etwas Verspätung gegenüber unserem Plan, startbereit. 

Oberer Teil der Gonzenwand - gute 200m Wandhöhe und Horst von 10 alpinen Sportkletterrouten.
SL 1, 20m, 8a: Inspiriert von den Kabinettstücklein im Magletsch wurde hier, gleich zu Beginn, die Linie direkt über das 3m ausladende Dach gewählt. Bis dahin einige einfache Meter in nicht zu 100% solidem Fels und dann hopp: reinspannen am Untergriff, rauslangen ans abschüssige Sloper-Rail, Füsse kommen lassen und dann patschen und hooken. Zwischenhaken klinken, dann noch 2 kleine Leisten blockieren et voilà! Dani zieht es souverän durch, Gratulation! Für den Nachsteiger ist es dann rein seiltechnisch sogar noch anspruchsvoller als für den Vorsteiger... mit Benutzung des ersten Dachhakens wird es jedoch zur 7a 1 p.a.. 

Kleiner Mann, grosses Dach. Ja, es geht wirklich direkt drüber. Ziemlich verwegene Linienführung!
Rauskommen ist Problem 1, an der abschüssigen Kante dranzubleiben Problem 2, weiterzumoven Problem 3.
SL 2, 20m, 6a: Querung nach links in sehr schönem Fels mit den typischen Querschlitzen. Es empfiehlt sich, die Absicherung zu Beginn noch mit einem Camalot 1 aufzupeppen. 

Prima Fels und sehr schöne Kletterei in SL 2 (6a).
SL 3, 50m, 7a: Die ersten Meter sind leicht überhängend, grossgriffig und gehen gut. Schon bald aber legt sich der Fels etwas zurück, büsst dabei aber auch seine grosszügige Griffigkeit ein. Zum Festhalten gibt es bald nur noch eine vertrackte Seitgriffrippe und als diese ausläuft, müssen kleinste Unebenheiten gekrallt werden. Die Waden sind selbstredend schon lange im sauren Bereich, die Gummisohlen am Rauchen! 

Zu berücksichtigen ist auch, dass die Absicherung zu Beginn fordernd, aber OK ist, im oberen Teil dann aber ziemlich „allegra“ wird. Dani sagte mir, diese Länge hätte er in 2 Anläufen gebohrt, von wo weg er wieder mit frischem Mut und Kraft unterwegs war, ist mehr als deutlich. Teilweise muss in anhaltend schwerem Gelände gleich mehrere Meter über die Bolts weggestiegen werden, es ist die klare Vorstiegscrux der Route. Ich konnte mich im Nachstieg gerade so „häb chläb“ im Flash durchmogeln, und würde da ein solides 6c+ obl. attestieren. 

Fantastisch griffiger Start in SL 3 (7a), weiter oben wird es dann eher glatt...
SL 4, 35m, 6c: Die Reihe wieder an mir, kniffliger Aufsteher nach dem 1. BH, dann easy weiter bis unter das Dach, dessen Überwindung dann nicht so trivial ist. Das erste Problem ist das darüberkommen, das zweite oben zu bleiben, und das dritte weiterzuziehen. Vor allem dann, wenn man die Sicherungen (wie ich) zu wenig grosszügig verlängert hat! Den Onsight lasse ich mir aber nicht nehmen. 

Dani gut getarnt unterwegs in SL 5 (7a).
SL 5, 50m, 7a: Eine weitere Knallerlänge, die für einmal auch schon von unten anspruchsvoll aussieht. Für die kleinen folgt bald der erste Bouldermove, die grossen „langen“ hier für einmal einfach darüber hinweg. Dann folgt aber sehr anhaltende Kletterei an kleinen, teilweise etwas brüchig wirkenden Seit- und Untergriffschüpplein. Es hält aber alles, dennoch hilft es hier sicher, nicht zu viel zu überlegen und einfach zu moven, die Absicherung ist jedenfalls prima. Im Nachstieg gelingt mir dies und es geht im Flash, ob ich wohl im Vorstieg auch so beherzt gewesen wäre? Das letzte Drittel der Seillänge ist dann nicht mehr ganz so schwer, verlangt aber in einem sehr guten Placement zwingend einen Camalot 3 zur Absicherung. 

Der "Alte" darf dann den Wanderweg vorsteigen... die letzten Meter in SL 6 (6a) sind grasig, aber problemlos.
SL 6, 45m, 6a: Lange, nicht üble, aber weitgehend gemütliche Kletterei, immer etwas linkshaltend. Die Crux ein kurzer Aufsteher kurz nach Seilmitte. 

Geschafft! Jetzt haben alle SL eine Rotpunktbegehung erhalten,  auch die glatte SL 7 (6a+).
SL 7, 30m, 6a+: Sieht ziemlich eindrucksvoll aus, „wie eine Tasse ohne Henkel“, sprich grifflos. Glatte Reibungskletterei wartet, doch wenn man die Linie durch die Platte geschickt wählt, so bleiben die Schwierigkeiten überschaubar. 

Um 13.45 Uhr erreichen wir den Ausstieg. Ohne grosses Rumtrödeln könnte es auch noch fast für unseren Plan, um 15.00 Uhr wieder in Sargans zu sein, reichen. Dennoch waren wir etwas langsamer als gedacht, die Kletterei in den beiden 7a-Seillängen war aber arg knifflig, und wer da in sauberem Stil unterwegs sein will, muss entsprechend etwas Zeit und Musse mitbringen. 

So übernehme ich den Task Gipfelbesuch, während Dani das Abseilen vorbereitet, danke! Runter geht es dann über den „Ablöscher“, weil der bereits eine komfortabel eingerichtete Abseilpiste aufweist. Toll sieht er übrigens aus, eines Tages werde ich sicher zurückkommen, um ihn zu klettern. Heute indessen machen wir uns zügig auf die Socken, queren über das Band raus aus der Wand, sind bald retour bei den Rieterhütten, von wo es talwärts geht. Den Zvieri kann ich für einmal schon daheim mit den Kindern geniessen. 

Facts: 

Gonzen – „Metronom“ (8a oder 7a 1 p.a., 6c+ obl.) – 9+7 SL, 400+250m – Dani Benz et al. 2009/2011 - ***, xxx 
Material: 14 Express, Camalots 0.3-3, 2x60m-Seil 

Lange alpine Sportklettertour, welche durch die ganze Gonzenwand führt. Der untere Wandteil bietet anspruchsvolle Plattenkletterei, während es oben steiler zur Sache geht. Die Hauptschwierigkeit im von uns bekletterten, oberen Teil ist kurz und mit Griff zum Haken lösbar. Danach warten wohl schöne, aber anhaltende und anspruchsvolle Steilplatten-SL, die ein sehr solides Niveau und gute Vorstiegspsyche erfordern. Obwohl eine durchgehende, sturzfreie Rotpunktbegehung noch ausstehend ist, darf die Tour bereits wiederholt werden. Wer ein Topo erhalten möchte, der kontaktiere mich via E-Mail, die Adresse steht unten über dem Kommentarfeld.

Samstag, 26. November 2011

Warum in die Ferne schweifen...?

Das Züri Oberland, meine Heimat, ist zwar keine Alpin-Topdestination. Doch wir haben prima Biketrails, im Winter tolle Eis- und Mixeklettereien und schöne, wenn auch etwas kurze Skitouren. Zum Klettern im Sommer sieht es nicht ganz so gut aus, aber selbst da wird der Kenner fündig...

Das in der Region vorherrschende Konglomeratgestein ist leider vielerorts zu wenig fest, um sinnvoll daran klettern zu können. Doch immer wieder finden sich Stellen, insbesondere an freistehenden Blöcken, wo der Fels zwar nicht gerade Montsant-Qualität hat, sich aber gut bebouldern lässt. Wer sucht, der findet!


Heute, nachdem sich entgegen dem Wetterbericht doch prima die Sonne zeigte, besuchten wir wieder einmal eines dieser selbst entdeckten Kleinode. Da gibt es für die Grossen eine solide Auswahl von mehreren Dutzend Problemen, und für die Kids einen tollen, absolut ungefährlichen Spielplatz im Wald. So sitzen dann am Ende alle zufrieden in der Stube bei einem heissen Getränk :-)

Mittwoch, 23. November 2011

Gross Mythen - Abendsonne (7b)

Auf meiner Projektliste war die Tour schon lange, und auch für Xaver, notabene einer der Erstbegeher, war nach etlichen Jahren wieder einmal ein Besuch fällig. Da im nächsten Jahr allerhand neue Literatur über die Klettertouren an den Mythen erscheint, beschlossen wir, noch diesen Herbst vorbeizuschauen, um Bildmaterial liefern zu können. Leider fiel dann der eingeplante Profifotograf wegen einer Verletzung kurzfristig aus. Einige gute „Shots“ hat es auch mit unseren Kompaktkameras gegeben, und die Kletterei war sowieso ein Genuss! 

Mit dem Wissen, dass die Sonne die Gross Mythen Westwand Mitte November erst ab ca. 10.00 Uhr bescheint (die zwei einfachen Einstiegslängen sogar noch später), konnten wir uns einen gemütlichen Start erlauben. Durch ein Labyrinth von (teilweise mit Fahrverboten belegten) Forststrassen führte mich Xaver aufwärts, als Zustiegszeit ist mit einer knappen Dreiviertelstunde zu rechnen. So ging es um 11.00 Uhr los. 

Los geht's! Foto: Xaver

SL 1, 5a, 40m: Unspektakulärer, einfacher, aber nicht schlechter Auftakt, als Zustieg zur richtigen Kletterei. 

SL 2, 6a, 45m: Im Mittelteil muss hier, in erstaunlich schönem Fels, schon erstaunlich gut hingeschaut werden. Anfang und Ende sind einfacher. 

SL 3, 7a, 35m: Sehr schöne, steile und athletische Seillänge. Die Crux an scharfem Fels beim Wechsel vom rechten an den linken Riss. Danach ist erst die Ausdauer, zum Schluss dann das gute Auge für die richtige Line, gefragt. 

SL 3 (7a), die Crux gerade erfolgreich gemeistert. Foto: Xaver
SL 4, 7b, 40m: Prima Seillänge, wo die Herausforderungen eher im technischen Bereich liegen. Nicht zu unterschätzender Start, danach Quergang nach rechts, an dessen Ende eine erste Crux mit zünftigem Blockierer. Dann kurz etwas einfacher, bevor nochmals eine sehr technische Sequenz an scharfen, kleinen Griffen folgt, welche mit einem kniffligen Aufsteher abgeschlossen wird. 

SL 4 (7b): die perfekte Welle, der perfekte Tag. An den Bäumen im Hintergrund sieht man, dass nicht mit dem Kamerawinkel gemogelt wurde. Foto: Xaver
SL 5, 6a+, 15m: Kurzes, einfaches Intermezzo an steilem, griffigem Fels, ein Genuss! 

SL 6, 7a+, 30m: Sehr schöne Seillänge mit einer Tüftelcrux nach dem ersten Drittel. Es ist ein Quergang nach links mit mässigen Tritten und scharfen, kleinen Leisten als Griffen. Der Rest erfordert dann wiederum Übersicht, geht aber gut. Mit Vorteil macht man bei einer kleinen Föhrenansammlung Stand. 

Xaver in der Crux von SL 6 (7a+).
SL 7, 7b, 15m: Recht weit, aber nicht so schwer hoch zum 1. BH, wo die Crux ansetzt. Wiederum ein technischer Boulder, der gefühlvolles Treten verlangt. Ich hab’s mit Rauhigkeiten für links, einem 1-Finger-Tropfloch für rechts und einem Dynamo an den rettenden Griff gelöst. Das war’s dann schon. Für Kleingewachsene: viel Glück! 

Das Ambiente passt einfach am Gross Mythen: Lauerzersee und Rigi mit Nebelzunge.
SL 8, 6a+, 35m: Sieht schwerer aus, als es ist, weil sich da über die drohenden Bäuche hinweg unverhofft einige griffige Schüpplein hervortun. Eher athletisch, prima Genusskletterei. 

SL 9, 6a+, 40m: Eine weitere, schöne Seillänge in luftiger Position, die der alten Westwandroute folgt. Für damalige Verhältnisse durchaus kühn! Die Herausforderungen eher im technischen Bereich, d.h. Übersicht und Bewegungsgefühl ist gefragt. 

Xaver am Fels, Vogel im Flug: SL 9, 6a+.
SL 10, 7a+, 20m: Einige einfache Meter zu guten Tritten vor Beginn der Cruxzone. Es handelt sich erneut um ein technisches Bewegungsproblem, wo gefühlvoll und sauber hingestanden werden muss. Der Wulst links ist etwas splittrig, mit beherztem Ziehen an etwas fragil aussehendem Schüpplein geht’s aber am einfachsten, und gehalten haben sie auch. Danach einfachere Querung zum Stand. 

Technische Crux in SL 10 (7a+). Man kann sich noch so strecken, es kommt kein guter Griff... Gut Antreten und präzise Bewegen ist der Schlüssel. Foto: Xaver.
SL 11, 5a, 45m: Einfache Seillänge in teils etwas durchzogenem Gelände, am Schluss ist der Fels auch nicht mehr zu 100% solide. Die Absicherung ist aber genügend, das seit einiger Zeit fehlende BH-Plättli haben wir ersetzt. 

Um 16.30 Uhr sind wie schliesslich am Ausstieg. Gerade eben laufen zwei Hikr über die Mythenmatt, welche von einem tödlichen Unfall auf dem Normalweg berichten. Unschön habe es ausgesehen, meinen sie. Wir hatten den Heli gesehen, aber natürlich nicht mit einem solch gravierenden Unfall gerechnet. Es versetzt unserer Euphorie über die gelungene Tour gerade einen kleinen Dämpfer. 

Denn tatsächlich ist es so, dass wir in dieser Route einen erneut magischen Novembertag mit vorzüglicher Kletterei geniessen konnten. Die „Abendsonne“ hat mich wirklich sehr positiv überrascht: die Felsqualität ist über weite Strecken sehr gut, die Textur rauh und mit scharfen kleinen Griffen gespickt, die Moves immer interessant. Die Absicherung ist vorzüglich und erlaubt, bedenkenlos am persönlichen Limit zu klettern. So gelangen mir, im Gegensatz zum „Desaster“ in der Achtibahn eine Woche zuvor, alle Seillängen bis 7a onsight bzw. flash (Nachstieg). Und in den 3 Cruxlängen scheiterte ich zwar auf Anhieb jeweils, jedoch nur knapp: nach kurzem Checken ging es in freier Kletterei, in den SL 7 und 10 sogar Rotkreis. 

Wie bereits beschrieben, das Ambiente passt. Nachstieg in SL 9 (6a+). Foto: Xaver
Wie auch immer, zu viel an Philosophieren darf nicht mehr sein am Gipfel: die Sonne steht tief am Horizont, und es gilt, das letzte Tageslicht noch für die Abseilfahrt auszunützen. Diese geht in 30 Minuten zügig vonstatten, auch wenn hin und wieder ein Föhre meint, das Seil gehöre ihr. Um 17.15 Uhr machen wir uns dann am Wandfuss bereits mit der Stirnlampe auf die Socken, im gerölligen Steilabstieg findet prompt noch ein grösserer Stein den schmerzhaften Weg auf Xaver’s Schulter. Das hätte jetzt nun wirklich nicht sein müssen – doch im Rückblick überwiegen dann zum Glück die positiven Eindrücke wieder. 

Facts

Gross Mythen – Westwand – „Abendsonne“ (7b, 6b obl.) – 11 SL, 320m - ***, xxxx
Material: 12 Express, evtl. Camalots 0.3-1 (hin und wieder einsetzbar, nicht zwingend). 

Schöne alpine Sportklettertour durch die kompakten Zonen der Westwand am Gross Mythen. Sie bietet einen Wechsel zwischen athletischer, griffiger Kletterei und technisch anspruchsvollen Zonen. Sämtliche Schlüsselstellen sind kurz, aber erfordern ein gutes Bewegungsgefühl, Kraft für kleine Griffe und sauberes Antreten auf Reibung. Die Absicherung ist, bis auf einige etwas grössere Abstände im leichteren Gelände, vorzüglich. Dennoch sollte man 6b/6c solide draufhaben, damit die Tour Spass macht.

Hier geht es zum guten Originaltopo der Erstbegeher. Im Laufe der Zeit haben sich leicht andere Schwierigkeitsgrade herauskristallisiert, siehe Angaben im Bericht oben.

Chalchschijen - Out of Space (8a+)

Nein, das ist (leider) kein Tourenbericht von mir. Aber ein Hinweis auf eine spannende Erstbegehung am Chalchschijen. Der Berg, ein wahrer Felskoloss, liegt im hinteren Maderanertal: abgelegen, kaum begangen, nur von wenigen, anspruchsvollen Routen durchzogen. Nun ist durch das Trio Bissig, Sigrist und Tresch im Sommer 2011 eine Route im High-End-Bereich hinzugekommen.

Ja, da muss man scheint's gut hinstehen! Und der Fels ist der Hammer. Bild PD/Webseite der Urner Zeitung
Die Geschichte zur Erstbegehung ist in ziemlich allen Zentralschweizern Lokalblättern erschienen, z.B. hier in der Urner Zeitung. Sehenswert ist auch das von den Kletterern gedrehte Video, ebenso wie das frühere Documentary über die Mühen des Erschliessens. Nicht verpassen sollte man auch die Reportage in der Zeitschrift Geo von Karin Steinbach Tarnutzer, die tolle Fotos von Röbi Bösch beinhaltet.

Mittwoch, 16. November 2011

Ergänzungen und Gedanken zur Achtibahn im Rätikon

Als Reaktion auf meinen Tourenbericht zur Achtibahn (6c+) im Rätikon hatte ich einen interessanten Austausch mit Erstbegeher und Sanierer Kurt Winkler. Dies führt dazu, dass ich hier noch einige ergänzende Informationen und zusätzliche Gedanken veröffentliche.

Als erstes möchte ich nochmals klar festhalten, dass die Achtibahn gut saniert ist. Es steckt einwandfreies Material und die Platzierung der Bolts ist durchdacht. Wirklich gefährliche Stellen gibt es in dieser Route keine. Dennoch gibt es auch schwere Kletterstellen, die zwischen den Haken bewältigt werden müssen. Bei der Vorstiegs-Crux der Route in der 3. SL (meine Seilwurf-Stelle...) beginnt man mit den schweren Moves, wenn der Bolt an den Füssen ist. Ob das Psycho ist oder nicht, liegt im Auge des Betrachters - für mich war es too much! 

Aber, das soll auch klar gesagt sein: gefährlich ist diese Stelle nicht, denn der Sturzraum ist völlig frei, und die Wand dort recht steil. Auch der nach dem nächsten Bolt folgende "huere Runout" zum Stand kann mit einem Camalot noch entschärft werden. Ich habe diesem Placement nicht wirklich zu 100% vertraut, Kurt hält es für prima. Vielleicht war ich nach meinem Seilwurf schon etwas "durch den Wind", gewisse Eindrücke sind immer subjektiv...

Traumhafter Fels in der Achtibahn - Jonas folgt in SL 6 (6c+)
Zusammenfassend gilt es zu sagen, dass die Galadriel oder die Kamala, obwohl auf dem Topo nicht unähnlich zur Achtibahn, m.E. spürbar geringere Anforderungen stellen. Diese beiden Touren sollte man sicher gut im Griff haben, damit man an der Achtibahn Freude hat. Dass die Bewertungen der Achtibahn eher auf der harten Seite sind, hat aber auch Kurt attestiert - die Aufwertung einzelner Seillängen ist offenbar im Gespräch, aber da lasse ich ihn die News überbringen.

Einige weitere, kleine Korrekturen:
  • In der 6. SL (6c+, schwerste Stelle) stecken gemäss Kurt immer noch gleich viele BH wie früher, sie wurden aber an anderen Orten, sprich besser verteilt. Ob mein altes Topo einen Fehler hat, oder ob ich mich verzählt habe, ist ja egal.
  • Die letzte Seillänge (SL 8, 6a+, vielleicht auch 6b) gehört nicht zur Via Andres, wird aber heutzutage häufig als Ausstiegsvariante zu jener geklettert. Es handelt sich um die Originallinie der Achtibahn. Der (eher unnötige) zweite Bolt, direkt neben dem Riss, wurde von Unbekannten gesetzt.

Dienstag, 15. November 2011

Rätikon – Achtibahn (6c+)

Eigentlich hatten Jonas und ich unser gemeinsames November-Projekt bereits ausgemacht gehabt, doch der goldene Martinisommer, welcher noch nahezu alle südlich ausgerichteten Klettereien erlaubte, liess uns die Sache nochmals überdenken. Es artete fast zu einem „Qual der Wahl“-Problem aus, doch dann fiel der Entscheid für das Abenteuer und die Herausforderung, d.h. für die „Achtibahn“ an der 7. Kirchlispitze im Rätikon. 

Schon seit 1988 existiert diese Route, doch der Kommentar im Topo, „anhaltend schwere Plattenkletterei in allerbestem Fels, ebenfalls nervlich sehr anspruchsvoll“ schreckte ab, genauso wie die Einträge auf italienischen Foren, welche von gescheiterten Versuchen namhafter Alpinkletterer berichten. Auf die Traktandenliste kam die Route dann kürzlich durch die im September 2011 von Erstbegeher Kurt Winkler ausgeführte Sanierung. „Wir haben die Route saniert und dabei die gefährlichen Runouts entschäft. Es ist aber keine Plaisir-Hakenrassel geworden, 6c bleibt nach wie vor obligatorisch“, schrieb dieser. Das tönte machbar(er), und ein Versuch reizte. 

Jonas steigt im oberen, einfacheren Teil der 1. SL (6a+) nach. 
So cruisten wir also Mitte November auf trockener und gut ausgeebneter Piste zum Melkplatz ob dem Grüscher Älpli empor. Kein Fleckchen Schnee weit und breit, alles staubtrocken. Der Zustieg bis unter die 7. Kirchlispitze ist in 25 Minuten erledigt, vom Wandfuss warten noch 100 Meter Kraxelei am Vorbau. Eigentlich problemlos, aber ziemlich exponiert (ca. T5+). Kurzzeitig machte das Lokalisieren der Route etwas Probleme. Ein in keinem Topo verzeichnetes, den Bolts nach zu urteilen schon altes Projekt stiftet Verwirrung, dann ist ein weiteres, neues Projekt begonnen. Wohl von Kurt W. im Zuge der Sanierung, auf jeden Fall sind es dieselben Bolts, und es sieht herausfordernd aus. Schliesslich checken wir dann, dass wir zuerst noch eine 4er-Länge der Via Andres klettern müssen, bis es dann um 10.00 Uhr richtig losgeht. 

SL 1, 40m, 6a+: Zum 1. BH ist es nicht weit, und der ist mit Fug und Recht da. Nachher wartet gleich eine knifflige, technische Stelle, wo man das erste Mal sehr gut hinstehen muss. Da könnte man wohl auch 6b geben. Danach ist die Kletterei leichter und genussreich, es stecken aber nur noch 2 weitere BH, man kann jedoch prima selber absichern. 

Rechtsquerung zu Beginn der 2. SL (6a+)
SL 2, 50m, 6a+: Vom Stand weg Rechtsquerung über eine geneigte Platte, an deren Ende kommt die Crux. Tief halten hilft! Danach weiter in schöner, gemässigter Kletterei mit wiederum nur 2 weiteren Bolts, aber auch hier kann man prima selber sichern. Diese Länge ist deutlich einfacher wie die erste, ich würde eher nur 6a geben. Dafür wurde im Zuge der Sanierung die Anzahl fixer Sicherungen von 7 auf 4 verringert. 

"Huere Runout" über die schwere Platte am Ende von SL 3, Jonas steht bereits über dem letzten Bolt vor dem Stand!
SL 3, 40m, 6c: Gleich vom Stand weg harte Moves, sehr kleingriffig und nicht einfach zum Stehen. Nach dem 1. BH noch weiter, aber einfacher nach links, dann wieder nach rechts hoch. Das geht erst recht gut (ca. 6a+), bis es nach 25m wieder schwer wird. Zuerst ein fordernder Aufsteher über dem Haken, sorgfältig weitermoven und dann kann der im Zuge der Sanierung um 50cm nach oben verschobene Bolt nicht geklippt werden, trotz meiner 190cm Körpergrösse! Nach Fluchen und Schwitzen schnappt das Express schliesslich ein, uff! 

Doch erst dann kommt die Vorstiegscrux dieser Länge: schwer vom Haken weg, und wenn man drüber steht, an einem Hauch von nichts auf glatter Platte anlaufen und sehr unangenehm eine Untergriff-Schuppe gewinnen. Zu psycho für mich! Ich cliffe schliesslich an einem kleinen Leistchen, kann mit einigem Üben, nach alter Väter Sitte, eine Schlinge über einen Felszacken 2m oberhalb werfen und mich daran hochziehen. Damit ist es aber nicht geschafft, es wartet noch ein schwieriger Mantle am letzten Bolt, und ein weiter Runout (ca. 8m, eine Schuppe auf halbem Weg nimmt noch einen Camalot auf) an den Stand, mit schweren, unsicheren Plattenmoves. 

Diese Länge stufe ich subjektiv als deutlich schwerer wie 6c ein, 7a dünkt mich da schon eher passender. Meine Seilwurf-Stelle ist zudem die Vorstiegscrux der Route. Der nach oben verschobene Bolt davor verkürzt wohl den drohenden, immer noch weiten, aber eigentlich ungefährlichen Sturz um 1m, dafür kann man ihn kaum einhängen. Wäre ich der Capo bei der Sanierung gewesen, so hätte ich hier ganz sicher einen Zusatzbolt gegeben. 

Der glatte Quergang am Ende der 4. SL (6c)
SL 4, 45m, 6c: Für mich die schönste Seillänge, perfekte Platten- und Wasserrillenkletterei in silbergrauem Fels. Hier ist nun auch die Absicherung richtig gut, gegenüber dem Originalzustand wurde mit 2 oder 3 Zusatzbolts entschärft. Der finale Quergang mutet etwas unlogisch und gesucht an. Er ist wohl da, um eine Kollision mit der Via Andres zu vermeiden. Auch ist er die Crux, klettert man ein grosszügiges S, geht es aber in Ordnung, und der Grad 6c passt auch. 

Fantastischer Fels in der etwas gemütlicheren 5. SL (6a+)
SL 5, 50m, 6a+: Eine weitere hervorragende Seillänge in perfektem Fels, für einmal etwas gemütlicher. In der Mitte versucht ein zusätzlich gesetzter BH einen auf eine schwere, gesuchte Direktvariante zu locken. Wir bevorzugen aber die griffige Schuppe 2m weiter rechts, ätsch! Die Crux dann reibungsmässig auf für einmal etwas glattem Fels kurz vor Schluss, 6a+ kommt gut hin. 

Unglaublich, der hat noch Zeit um in die Kamera zu lachen: superkompakte Cruxlänge (6c+)
SL 6, 40m, 6c+: Nun wird es steiler, aber nicht wirklich griffiger, und darum noch schwerer! Nach dem 1. BH eine grifflose Stelle, wo man zaubern muss. Danach kurz etwas gängiger, bevor es sehr anhaltend eine steile Mauer mit kleinen, scharfen Griffen hochgeht bis zu einer Untergriffschuppe, erst die letzten Meter sind dann etwas einfacher. Obwohl im Zuge der Sanierung sogar 1 BH entfernt wurde, ist die Absicherung gut, wenn auch obligatorisch. Bzgl. Bewertung dürfte man hier sicher auch 7a geben, für die Stelle nach dem 1. BH fand ich auf die Schnelle keine Möglichkeit, sie überhaupt freizuklettern. 

Das Lachen ist Jonas auch hier noch nicht vergangen - Ende der Schwierigkeiten!
SL 7, 20m, 6b: Hier haben die Erstbegeher noch eine kleine, wenn auch lohnende Zusatzaufgabe eingebaut: die Crux rechtsherum gleich nach dem Stand ist gesucht, bietet aber prima Kletterei. Danach bei abnehmenden Schwierigkeiten und etwas minderer Felsqualität zum Zwischen- und Abseilstand, der letzten „offiziellen“ Abseilmöglichkeit. 

SL 8, 25m, 6a+: Wir lassen uns den Weg zum Gipfel aber nicht nehmen, obwohl sich die Sonne bereits dem Horizont nähert. Den Ausstieg bewältigt man über die Via Andres, der schöne Riss hinauf durch die steile Wand ist gar nicht so einfach, und erfordert auch bzgl. Absicherung Eigeninitiative. 

Die letzte Seillänge (6a+) verläuft gemeinsam mit der Via Andres - man braucht nochmals die Friends.
Um 16.30 Uhr sind wir schliesslich oben, und ich kann, nach wohl sicher einem Dutzend Besuchen an der 7. Kirchlispitze, das erste Mal meinen Fuss auf deren Gipfel setzen. In Sachen Abseilen sieht es von hier gar nicht so optimal aus, denn es steckt nur ein einziger, verrosteter Kronenbohrhaken, und das obwohl hier sogar zwei sanierte Routen enden! Aber offenbar ist Abseilen vom Gipfel nicht erlaubt... was bleibt uns aber, ohne Schuhe und kurz vor dem Eindunkeln, anderes übrig, als uns doch daran herunterzuseilen? 

Auf jeden Fall, das Teil hält, und auch das restliche Abseilen geht über die glatten Steilplatten eventfrei und zügig (Achtung, zwei Abseilstände sind neben der Route, siehe Skizze). So sind wir nach nur 30 Minuten bereits am Einstieg, von wo noch in 2x über den Vorbau abgeseilt werden kann. Um 17.15 Uhr stehen wir am Wandfuss zum Abmarsch bereit, machen uns zügig auf den Weg zum Melkplatz, was gerade noch ohne Stirnlampe geht. Um 17.40 Uhr fahren wir bereits talwärts, und ja: diese Route hat uns die Zähne gezogen, läck bobby! 

Facts:

Rätikon - "Achtibahn" 6c+ (6c obl.) - Schoch/Winkler 1988 - 8 SL, 310m - ****, xx(x)
Material: 12 Express, Camalots 0.3-2, evtl. Keile, 2x50m-Seil

Kontinuierlich schwere, hart bewertete Plattenkletterei in allerbestem, superkompaktem Rätikonfels, die hohe Anforderungen an den Vorsteiger stellt. Sämtliche Bohrhaken wurden 2011 durch Inoxmaterial ersetzt, zugleich wurden auch einige heikle Stellen etwas entschärft. Dennoch sind etliche fordernde Stellen verblieben, die angegebenen Schwierigkeiten müssen also auch zwischen den Haken im plattigen, technisch anspruchsvollen Gelände einwandfrei beherrscht werden.

Hinweis: man lese auch meine im Nachhinein geposteten Ergänzungen zu diesem Tourenbericht. Und hier geht es zum selbstgezeichneten PDF-Topo der Route: klick!



Topo von "Achtibahn" im Rätikon

Sonntag, 13. November 2011

Ein geschenkter Tag am Äscher

Klettern kann so schön sein - insbesondere das Herbstklettern! Während der grimmigere Teil des Wochenendes, derjenige mit dem grösserem Abenteuergehalt, für die schriftliche Aufarbeitung noch etwas Zeit braucht, gibt es hier vorerst mal ein Amuse Bouche, welches die aktuell vorherrschenden, hervorragenden Bedingungen zeigt.

Mit Kathrin war ich am Äscher unterwegs. Die Bahn ist auch während der Revisionszeit (Ende Oktober bis Mitte Dezember) an schönen Weekends in Betrieb und bringt einen zügig über die Nebeldecke. Überhaupt ist der Äscher doch einer der besten Klettergärten im Herbst bei Inversionslagen. Die Sonne scheint Mitte November bereits ab 8.30 Uhr an die Wand und bleibt bis kurz vor 16.00 Uhr, bevor sie sich hinter dem Säntis rar macht.

"Stand, chasch choo!": Für einmal hat der Autor nur die letzten Meter im Vorstieg gemacht, seine Finger waren da bereits müde und abgeklettert...
Vom rauhen, kompakten und stotzigen Kalk am Äscher zu schwärmen, bedeutet fast Eulen nach Athen zu tragen. Ich mache es hier trotzdem. Zu entdecken gibt es manches Super-Tropfloch, und ob der Schärfe des Felses werden die Fingerbeeren an hautverschleissende alpine Aktionen adaptiert. Und überhaupt: man sollte mehr an den Äscher klettern gehen. Der Fels ist wohl gut strukturiert, aber kompakt, und darum sind die guten Griffe und Tritte oft dünn gesät. Die Kletterei ist technisch meist äusserst anspruchsvoll. Zusammen mit der eher harten Bewertung bedeutet dies, dass man hier nicht einfach so mir nichts, dir nichts (die Schwierigkeitsskala) hochklettert. 

Dafür, und das ist ganz sicher, ist der Äscher eigentlich ein idealer Klettergarten zum Trainieren für alpine MSL-Sportklettereien. Danach wird man sich im Wendenkalk (und dergleichen) bestimmt viel wohler fühlen, als wenn bloss der Bizeps zum Training in Henkeltouren Schwerarbeit verrichten muss. Hier wird trotz der guten Absicherung alles gefordert: Psyche, Balance, Stehtechnik, Übersicht, Haut, aber auch viel Fingerkraft. Und da viele Touren sowieso mehrere (meist 3-4) Seillängen aufweisen, ist es erst recht ein MSL-Trainingsgebiet.

So schön, so spektakulär! Grandiose Herbststimmung am Nebelmeer, auf der Ebenalp.
Facts: am Äscher gibt es ca. 120 Touren in den Schwierigkeitsgraden 4c-8a. Von den total gegen 400 Seillängen befinden sich der Hauptharst in den Graden 6b-7a. Es dominiert technisch anspruchsvolle Wandkletterei in rauhem Kalk. Das Klettern ist ganzjährig möglich, die Felsen befinden sich auf ca. 1600m über Meer. Der Zugang von der Ebenalp dauert nur rund 10-15 Minuten.  

Samstag, 12. November 2011

Grindelboulder - ein Augenschein

Nach den heiss diskutierten Preiserhöhungen des Kletterzentrums Milandia/Gaswerk vom letzten Sommer, und einer von vielen Kletterern ausgesprochenen "Verzichtserklärung" auf weitere "Unterstützung" dieser Institution war eine alternative Trainingsmöglichkeit im Raum Zürich Ost freudig erwartet worden. Mit der Eröffnung des Grindelboulder in Bassersdorf am letzten Oktoberwochenende 2011 wurde diese Realität.

Da mein Jahresabo bei der oben genannten Konkurrenz gerade ausgelaufen war, bot es sich erst recht an, die nächste Session im Grindelboulder abzuhalten, und einen ersten Eindruck zu gewinnen. Um 18.15 Uhr betrat ich die fast leere Halle, nur gerade 2 Boulderer waren vor Ort. Das ist man sich anderswo nicht gewohnt. Der erste Eindruck ist aber bis auf die ungewohnte Leere positiv: hell, freundlich und geräumig.

Halle 2, d.h. der hintere Bereich, eher für die Fortgeschrittenen. Nicht sehr stark frequentiert um 20.15 Uhr.
Die Anlage verteilt sich auf 2 voneinander abgetrennte, durch einen kurzen Durchgang verbundene Hallen. Die erste, mit dem Eingangsbereich plus Bar und Bistro bietet vorwiegend senkrechte bis leicht überhängende Probleme und einen Kinderbereich. Es wurde eine Art Schloss gestaltet, an welchem gebouldert werden kann, bzw. gebouldert werden muss, um es zu entern.

Die zweite Halle enthält den interessanteren Bereich, welcher sich eher für die Fortgeschrittenen eignet. Hier sind alle Wandneigungen vorhanden, von dachartigen Grotten zu überhängenden Wänden bis zu betont senkrechten Platten gibt es alles. Im Vergleich zu anderen mir bekannten Boulderhallen gibt es insgesamt sehr vieles, was nicht besonders steil und athletisch ist. Beide Hallen haben eine angenehme Höhe von 6-7m, die Boulderwände sind durchgehend (geschätzte) 4.5m hoch.

Nochmals die hintere Halle, aus der andere Ecke fotografiert.
Die Boulder selbst sind mit einem 7-stufigen Farbsystem (gelb, grün, orange, blau, rot, weiss, schwarz) codiert. Der Hardmover-Bereich (ab 7A fb) beginnt mit den weissen Bouldern. Für viele ist es sicher erfreulich, dass über die Hälfte der geschraubten Boulder sich unterhalb von 6B ansiedelt, d.h. höchstens auf Stufe Blau ist - die meisten sogar weit darunter. Das habe ich in anderen Hallen eigentlich noch nie so erlebt, und für Anfänger sowie schwächer Bouldernde dürfte es das attraktivste Angebot weitherum sein.

Dafür ist das Angebot für die Cracks eher beschränkt. Natürlich gibt es auch da für einen Einzelbesuch eine vernünftige Auswahl, aber relativ und absolut gesehen ist es nicht so besonders viel. Allerdings ist an den Wänden noch viel Platz, d.h. die Boulder sind noch überhaupt nicht dicht geschraubt. Es hätte also noch viel Potenzial für harte Moves.

Schiffsbug in der vorderen Halle, mit vorwiegend +/- senkrechten Problemen
Mein Eindruck ist bis auf die eingeschränkten Möglichkeiten fortgeschrittenen Bereich positiv. Doch dieser Bericht wäre nicht komplett, würden nicht auch noch der aus meiner Sicht wesentliche Nachteil erwähnt: leider bestehen die Boulder weitgehend aus exakt denselben Griffmarken und -formen. Die weisse Kategorie (~7A fb) z.B. besteht eigentlich komplett aus einer Slopersortiment derselben Marke, die rote (~6BC fb) hingegen durchgehend aus sehr ähnlichen Crimps eines anderen (?) Brands. Dies sicher eine Reminiszenz an ein Startup-Unternehmen, welches nur beschränkte Mittel zum Beschaffen von Griffen hat.

Fazit: ich war sicher nicht das letzte Mal vor Ort, mein Stammlokal wird es aber nicht. Dafür spielen in erster Linie persönliche Gründe (v.a. Lage) eine Rolle, aber auch das Finanzielle ist nicht ausser Acht zu lassen: ein Jahresabo kostet 790 CHF, also gerade mal 150 CHF weniger als im Milandia/Gaswerk. Dafür bekommt man im Milandia einen Boulderbereich vergleichbarer Grösse, plus dazu natürlich noch das ganze Kletterangebot in den beiden Hallen. Den Einzeleintritt für 20 CHF finde ich zwar durchaus fair (mein Beitrag "Warum sind Kletterhallen so teuer?" erscheint später auf diesem Blog), dennoch werde ich mir diesen als bald wieder Konkurrenz-Abo-Besitzer wohl nur selten gönnen.

Kasse/Bistro und die senkrechte Wand in der vorderen Halle.

Dienstag, 8. November 2011

Drama an der Grandes Jorasses

An der Grandes Jorasses spielt sich im Moment ein Drama ab: ein französischer Bergführer ist mit seiner Begleiterin seit dem Donnerstag letzter Woche, also seit 5 Tagen, in der Gipfelregion gefangen. Die beiden hatten das Leichentuch geklettert, waren dann dem Hirondelles-Grat zum Gipfel gefolgt und wollten über die Normalroute auf die italienische Seite absteigen.

Dabei wurden sie vom schlechten Wetter, d.h. stürmischen Föhnwinden und starken Schneefällen eingeholt. Und da auch auf der italienischen Seite kein Spazierweg ins Tal führt, wurde der rasch unpassierbar. Während erst noch Handykontakt bestand, und man in Erfahrung bringen konnte, dass die beiden relativ geschützt in einem Schneeloch Zuflucht fanden, brach der Kontakt dann am letzten Freitag wegen leerem Handyakku ab.

Die Südseite der frisch verschneiten Grandes Jorasses, mit den farblich markierten Abstiegsrouten. Der Gipfel der von uns bestiegenen Pointe Croz befindet sich ziemlich genau unter dem W von "Whymper". Von dort sind wir in der Falllinie abgestiegen und abgeseilt, bis wir auf die rote Linie getroffen sind. An jener Stelle mussten wir biwakieren, um dann am nächsten Morgen in 3h Abstieg über die rote Route die Hütte zu erreichen. Das Bild ist ein Hotlink zur UKclimbing.com, fotografiert wurde es durch Jon Griffith.
Seither wurden anhaltende Efforts von den Rettungsteams aus Courmayeur und Chamonix unternommen. Diese wurden durch tiefhängende Wolken, äusserst starke Winde und 1m Neuschnee behindert, so dass die Kletterer bisher weder gerettet noch gesichtet wurden. Morgen soll sich nun das Wetter bessern. Ich hoffe sehr, dass die Geschichte ein gutes Ende nimmt. 

Das Schicksal der Beiden berührt mich stark. Natürlich insbesondere, weil sie quasi "in unseren Fussstapfen" (wenn auch auf anderer Route) die Grandes Jorasses Nordwand durchstiegen haben. Und meine Biwaknacht an der Jorasses liegt noch keine 10 Tage zurück. Während das bei ruhigen Wetterverhältnissen und einigermassen Ausrüstung ein wohl eindrückliches, aber eigentlich harmloses Unterfangen ist, so braucht es doch nur wenig Unbill der Naturgewalten, und man ist dort schlicht und einfach verloren. Das lässt einen schon klein und demütig werden...

Link zum Thread auf UKclimbing.com, wo beinahe live über die Rettung berichtet wird:

Auch auf dem französischen Forum bei camptocamp.org wird diskutiert:
http://www.camptocamp.org/forums/viewtopic.php?id=206137

Nachtrag: Die Geschichte hat leider kein glückliches Ende genommen. Die beiden Alpinisten sind auf etwa 4050m, also wenig unterhalb dem Gipfel der Grandes Jorasses, erfroren und konnten nur noch tot geborgen werden. Offenbar haben es die beiden nie in ein Schneeloch geschafft. Sie waren auf dem Normalabstieg, auf einem Felssporn, immer noch beide an einem Standplatz gesichert, wo sie auf den aufgenommenen Seilen ausgeharrt hatten.

Samstag, 5. November 2011

Grandes Jorasses - Zusätzliche Bilder und Erkenntnisse

Vor einer Woche waren wir in der Nordwand am Pickeln, heute sitze ich an einem trüben Herbsttag in der Stube, mit der Gelegenheit, die Tour nochmals Revue passieren zu lassen. Das Erlebnis war gross, ja unschlagbar. Und es hat den Appetit auf mehr geweckt: Leichentuch, Walkerpfeiler, Colton-MacIntyre an der Grandes Jorasses, viele weitere Touren in und um Chamonix...

Wie man sieht, war mental also keine lange Erholungphase nötig, sondern die Motivation war sofort wieder da. Und auch körperlich habe ich mich sehr gut erholt, die Blasen an den Füssen sind prima verheilt, das taube Gefühl an den Zehen (=leichte Erfrierungen) ist verschwunden. Ich konnte mich sogar bereits wieder in ein paar Kletterschuhe zwängen, um eine erste Bouldersession zu geniessen. Vamos!

Hier nun noch einige zusätzliche, sehr schöne Bilder, welche alle aus dem Apparat von meinem Tourenpartner Walter stammen. Er hat mir die Veröffentlichung an dieser Stelle erlaubt, herzlichen Dank! Und im Anschluss an die Fotos (klick auf ein Bild öffnet wie immer die Diaschau) dann noch einige Erkenntnisse aus meiner Tourennachbereitung.

Anmarsch nachts: ja, genau so dunkel war es. Und das Spuren im schuh- bis knietiefen Schnee recht anstrengend.

Im Nachstieg, am Ende des "2. Eisfeld". Super Eiskletterei, erst recht im Rückblick!

Stand! In der Mixed-Rinne, welche nach dem "2. Eisfeld" nach links hoch auf den Pfeiler führt.

Beim Pickeln muss man dann gut zielen. Wie bereits geschrieben, teilweise nicht viel Eis, dafür aber sehr gutes.

Blick von oben auf die drittletzte Seillänge. Mixed-Kletterei in plattigem Fels, hier hat es wohl kaum je Eis.

Wow! Im Abstieg, kurz nach dem Aufbruch aus dem Biwak. Der Mont Blanc mit dem Peuterey Integral brennt.

Sieht entspannt aus, ist aber müdigkeitsbedingtes Chillen auf dem Abstieg von der Boccalatte-Hütte. Hinten nochmals der Peuterey-Integral zum Mont Blanc.
Ja, auf dem Abstieg musste ich mich ein paar Mal hinsetzen, um die Beine etwas ruhen zu lassen. Kein Problem, das kann man sich ja problemlos gönnen. Aber wie meine Lektüre in diversen Blogs und Tourenberichten gezeigt hat, enden nicht alle Touren in der Nordwand der Grandes Jorasses dermassen entspannt.

Dieser Blog berichtet z.B. von einer Begehung des Crozpfeilers ca. 2 Wochen VOR unserer Tour, wo 3 Seilschaften  eingestiegen sind, und alle 3 die Tour mit einem Helikopterflug beendet haben. Zwei davon wegen Überforderung im oberen Teil der Route, eine wegen einem Zwischenfall auf dem (etwas überhastet durchgeführten) Abstieg. Man sei also gewarnt: "it can bite you".

Ein Wandfoto mit eingezeichneter Route, ein weiteres Topo (obwohl ich meines nützlicher finde) und einige schöne Fotos aus der Route gibt es bei alpiguide.com: klick! Diese Seite hat auch nützliche Toureninfos für andere Abenteuer rund um Chamonix. Einen weiteren schönen und nützlichen Begehungsbericht, inklusive einem guten Tourenvideo findet man auf alpinexposures.com: klick! Wir hätten uns übrigens gewünscht, die "penultimate ice pitch" wäre so schön glasiert gewesen, wie sie das auf deren Bildern ist. Ebenfalls einen Eindruck des Crozpfeilers geben die Berichte bei Morgan Baduel und bei Moaddsgaude.

Irgendwie erinnert mich die Grandes Jorasses Nordwand auch ein bisschen an die Wendenstöcke: schon die einfachen Routen erfordern solides Können. Und wenn man mal eine Route gepackt hat, so erwacht der Hunger auf mehr. Und dementsprechend werden auch die schweren Touren recht regelmässig begangen. Allerdings auch nicht immer erfolgreich, wie man auf diesem Blog liest: der Heli-Abstieg scheint also nicht ungewöhnlich zu sein... 

Eine super Übersicht über die Nordseite der Grandes Jorasses bietet die Summitpost-Seite, welche von Local und Kenner Luca Signorelli unterhalten wird. Herzlichen Dank für diese Resource. Und nun verweise ich noch auf meinen Original-Tourenbericht, der hier zu finden ist: klick!

Dienstag, 1. November 2011

Grandes Jorasses – Crozpfeiler mit Sloweneneinstieg

Gedanklich hatte ich mich schon auf ein ruhiges Familienweekend eingestellt, als am Donnerstag die Anfrage von Walter in der Mailbox steckt: „Suche einen Partner für die Nordwand der Grandes Jorasses, Crozpfeiler mit Sloweneneinstieg – bist du dabei?“. Nun, wenn ich mich in meiner Alpinkarriere bisher überhaupt durch irgendwas ausgezeichnet habe, dann sicher nicht als Nordwandnase. Dennoch, als alpiner Allrounder reizte mich eine solche Tour natürlich enorm.

Erst kürzlich hatte ich nach einer Diskussion mit Jonas etwas Internet-Research über die hier angedachte Tour gemacht: "Éperon Croz avec départ Slovène" - das sah wohl alles super aus, aber mit Schlüsselstellen, wo ich im Vorstieg wohl nicht über die für eine solche Unternehmung nötigen Reserven verfügen würde. So teilte ich mich dann Walter mit: „Habe Zeit, bin super gerne dabei, Kondition passt und ich kann das alles zügig nachsteigen. Für die Schlüsselstellen liegt die Verantwortung aber bei dir.“ Damit war er einverstanden, wir hatten von Beginn weg klare Verhältnisse und nach etwas Last-Minute-Shopping ging es los.

Sicht von Montenvers aufs Mer de Glace. Hinten ist die Grandes Jorasses Nordwand halb verdeckt.
Nach der üblichen „Was packen wir ein“-Session auf dem Parkplatz tuckerten wir als einzige neben einer französischen 3er-Seilschaft (mit Ziel „No Siesta“) mit der letzten Bahn nach Montenvers. Während diese erst mal eine letzte Siesta an der Bahnstation genossen, d.h. dort biwakierten, machten wir uns auf in Richtung Refuge de Leschaux. Runter über die Leitern aufs erst apere Mer de Glace, nach dem Abzweiger auf den Glacier de Leschaux dann schuhtief verschneit, teilweise ziemliches Geröll-Geholper. Auf jeden Fall, die angegebenen 2.5 Stunden Hüttenweg konnten wir gerade einhalten und waren um 19.00 Uhr dort, aber da mussten wir uns echt ranhalten.

Gespannt öffneten wir die Hüttentür: zwei Spanier sind am Kochen, zwei Franzosen bereits in ihren Schlafsäcken, also ist für uns noch genügend Platz. Auch wir nehmen unseren Gaskocher in Betrieb, führen viel Flüssigkeit und etwas Nahrung zu, und legen uns dann noch etwas aufs Ohr. Um 1.30 Uhr soll der Wecker läuten, und der lange Tag losgehen. Nach wenig und unruhigem Schlaf tut er das dann, wir trinken nochmals ausgiebig und schirren uns an, um 2.15 Uhr gehen wir los und gehen über den Klettersteig runter auf den Gletscher.

Köcherlen im nicht grad super geräumigen Winterraum der Leschaux-Hütte: Walter und ein Spanier
Da es Neumond ist, ist es wirklich zappenduster. Leicht ungünstig für eine solche Tour um diese Jahreszeit mit den bereits kurzen Tagen, aber wenn alles andere passt, kein Grund zu verzichten. Nach kurzer Suche am Gletschereinstieg erwischen wir eine Spur aus den Vortagen, welche noch genügend gut erkennbar ist, und uns, bereits um einige tiefe Löcher herum und über abenteuerliche Brücken hinweg, Richtung Grandes Jorasses leitet.

Doch diese Seilschaft ist im linken Teil der Wand anscheinend in der Gousseault-Route engagiert, und wir müssen einen guten halben Kilometer weiter rechts einsteigen. Was trivial tönt, ist in Realität alles andere als einfach: da ist ein labyrinthischer Eisbruch, es liegt schuh- bis knietief Pulverschnee und es wollen noch happig Höhenmeter überwunden werden. Hier ist es meine Aufgabe zu führen, und es ist anstrengend! Zweimal nehmen unsere Bemühungen ein Ende, weil wir vor einem nicht überwindbaren Gletscherschlund stehen.

Die Grandes Jorasses Nordwand aus der Nähe der Leschaux-Hütte: die Pointe Croz, unser Gipfel, ist die kleine Erhebung genau in der Mitte des Berges.
Unverhofft taucht die Franzosen-Seilschaft von der Hütte auf. Die wollen auch links in die „Gousseault“, doch für ein „vous savez par ou ça passe pour la Croz?“ und einem „je pense plus près de la paroi“ reichts. Wir nehmen also einen dritten Versuch etwas weiter links. Tatsächlich kann man da stellenweise eine fast schon komplett verwischte Spur noch erkennen, das ist doch schon mal „good news“. Tatsächlich stehen wir dann um 6.20 Uhr an einem Bergschrund, wo offensichtlich die Vorgänger auch darüber hinweg stiegen. Und es könnte der richtige Einstieg der Slowenenroute sein. Der Konjunktiv darum, weil es immer noch „tunkel wie inära Chue“ ist, und man den Berg über uns nur erahnen kann. Und ja, rund 4 Stunden statt der angegebenen 3 Stunden haben wir für den Zustieg gebraucht. Aber man sei gewarnt: in dunkler Nacht und ohne Spur sind 3 Stunden eher unrealistisch – ich finde, mit unseren 4 Stunden waren wir sogar gut bedient!

Situation am Bergschrund: happiger Einstiegsboulder, und immer noch stockdunkel.
Sofort steigen wir ein: der Schrund ist etwa 2m hoch und überhängend, ein Einstiegsboulder quasi. Immerhin, auf den (Slowenian) Sitzstart verzichten wir. Nach einigen Metern Schnee wartet eine kurze, erste 85°-Stufe im Eis, dann geht’s mit 65° weiter. Als sich Walter in die 2. Länge aufmacht, beginnt es langsam zu tagen, und ich habe das Vergnügen, ihn bei seinem „Struggle“ mit 75-80° steilem, schlechtem Eis zu beobachten. Es war dort sehr porös, luftig und morsch, kaum zu schrauben, aber die einzige Stelle mit schlechtem Eis auf der ganzen Route. Danach Schlaghaken-Stand an den linken Begrenzungsfelsen.

Rückblick nach 4 SL in der Wand, hier die einzige, nur kurze, einfache Passage, 50° steil.
Danach folgen ca. 100m in Firn/Schnee, etwa 50° steil, nach links in einer Rinne hoch. Hier ist man am Beginn eines grossen Eisfalls. Nun nicht nach links hoch, in die Kamine gegen den markanten ersten Turm des Crozpfeilers, sondern geradeaus in den Eisfall. Diesen verfolgt man über 6-7 homogene Seillängen hinweg, die Steilheit stets so 60-75°. Das Eis war wohl alt und hart, aber von prima Schlagqualität, d.h. überhaupt nicht spröde. Da es aber wenig strukturiert war und kaum Tritte bot, stand man beständig auf den Frontzacken, was entsprechend an die Kondition geht. Leicht mühsam ist die Tatsache, dass es in diesem Rinnensystem keine geschützten Standplätze gibt, und man am Stand unweigerlich den vom Vorsteiger gelösten Eisschollen ausgesetzt ist – ganz ohne Treffer geht das nicht ab.

Super Eiskletterei im unteren Wandteil, hier kurz vor dem 2. Eisfeld.
Nach dem (sogenannten) „zweiten Eisfeld“, d.h. einer markanten Verbreiterung anstatt der üblichen Rinnen, schliesst ein Felsriegel den Weiterweg ab. Nach links gegen den Pfeiler hoch zieht aber eine enge, vereiste Rinne, mit wohl häufig eher dünnem Eis. Hier ist man nun auf der Originalroute am Crozpfeiler unterwegs, und es war die erste Stelle, wo einige Mixed-Moves nötig waren. Und es konnte auch nicht mehr beliebig mit Eisschrauben gesichert werden. Doch insgesamt war das (im Rückblick auf die Tour) doch eher noch gutmütig.

Walter engagiert sich in der Mixed-Rinne, welche erstmals nach links auf den Pfeiler führt.

Rückblick auf die Crux dieser Mixed-Länge. Nicht viel Eis, dafür aber sehr gutes, überhaupt nicht sprödes.
Vom Schlaghaken-Stand am Pfeiler geht’s weiter mit einer anspruchsvollen Seillänge über vereiste Platten. Das Eis war gerade genügend dick, um komplett in ihm klettern zu können. Hin und wieder dengelte man den Pickel auf den Fels, aber na ja, Material im Extremeinsatz. Die Absicherung ist auch auf der anspruchsvollen Seite, einige im Fels befestigte Schlingen ragten noch raus, mit gutem Beobachten ging auch die eine oder andere 13er-Schraube fast ganz rein.

Nach dieser Länge kommt man aufs „dritte Eisfeld“. Das Eis wieder dicker und breiter, und man zieht hoch, rechts am steilen Felsturm vorbei, wobei man nach etwa zwei Drittel des Eisfeld, also klar vor dessen Ende, nach links in eine Rinne hochzieht. Hier waren wir kurz etwas unsicher, ob wir richtig unterwegs sind, doch die erste Möglichkeit nach links in eine Goulotte abzuzweigen ist korrekt. Die Rinne war auf den ersten 100m nicht breit, aber gut vereist und gängig. Doch dann geht’s los, die letzten 50m zur markanten Scharte im Pfeiler bieten anspruchsvolles, kaminartiges Mixed-Klettern bei nicht ganz einfacher Sicherung.

Abzweiger vom 3. Eisfeld in die Goulotte, welche in die markante Scharte am Pfeiler führt.
In der Scharte Stand an Zacken, 10m weiter über den Grat hat es 2 BH-Stände unmittelbar nebeneinander. Wohl von einer Rettungsaktion, da sie für unsere Tour weder als Stand, noch als Zwischensicherung wirklich brauchbar waren, und auch keine andere Route dort durchführt. Es sind zudem die einzigen Bohrhaken, die auf der ganzen Tour stecken, und auch Schlaghaken gibt es auf der ganzen Route nicht viel mehr als 10 Stück.

Die nach der Scharte folgende Seillänge ist wohl fast immer Dry, ca. 4. Felsgrad, und je nach Belieben mit oder ohne Eisgeräte zu klettern. Danach folgen dann anspruchsvolle Meter gegen den letzten Turm am Crozpfeiler. Erst Mixed mit etwas lottrigem Fels, dann dünnes Eis mit 30m ohne gute Sicherungsmöglichkeit. Am Turmfuss Standmöglichkeit, ein Fixfriend ist auch dort. Wer meint, er habe die Tour nun in der Tasche, hat sich getäuscht!

Nach links hoch zieht der Originalausstieg des Crozpfeilers, der kaum mehr gemacht wird. Denn einfacher gehe es rechts rum, und wenn das unter „einfacher“ läuft, na dann prost auf dem Originalweg! Vom Stand am Turmfuss geht es Dry weiter einem Riss/Verschneidung entlang diagonal aufwärts. Der Fels eher plattig, mit oder ohne Geräte kletterbar. 2 NH stecken und es kann gut noch dazugelegt werden, erst die letzten Meter zu Stand an 3 schlechten Schlaghaken sind etwas heikel. 

Der vielleicht beste Standplatz der Route, so komfortabel ist's sonst nirgends.
Und dann, die Nemesis der Route. Zweitletzte Seillänge, ein übler Stopper. Hier müssen Psyche und Können passen, sonst wird es prekär. Vom Stand weg geht’s im Fels 5m nach rechts in eine Rinne mit etwas plattigem Fels. Und die war auf den ersten 15m nur leicht vereist. Es wartet Mixed-Kletterei von der gröberen Sorte, und ohne vernünftige Sicherungsmöglichkeiten: run it out, dude! Man kann hier seinem Vorsteiger genau zusehen und mitbibbern. Und das war ganz eindrücklicher Alpinismus, den ich zu sehen bekam. Voll gefordert, nicht ganz sorgenfrei, aber kontrolliert und souverän, Chapeau Walter, wie du das gepackt hast! Etwa so wie M6+ sei es auf jeden Fall, meinte er.

Für mich ist klar, dass ich diese Stelle niemals im Vorstieg geschafft hätte. Und da ein Rückzug von dieser Stelle praktisch nicht durchführbar ist, wird der Helikopter, wenn es mit dem Raufkommen nicht klappt, schnell mal die einzige Alternative. Immerhin hat’s (wie in der ganzen Wand) Handyempfang. Offenbar hat es zu Beginn dieser Rinne manchmal mehr Eis. Zwar selten so viel, dass wirklich gesichert werden kann, doch zum Klettern reichts. Und 15m ohne Sicherung im 80°-Gelände sind doch viel eher denkbar als im M6+.

Wenn das Eis dann einmal anfängt, so warten noch etwa 80m super Eiskletterei bis zum Ausstieg. Die Rinne ist stellenweise nur einen halben Meter breit, das Eis war aber schön plastisch und man konnte nochmals richtig Tempo machen. Was auch nötig war, denn langsam war das Tageslicht am Schwinden. Nach 12 Stunden Nonstop-Kletterei waren wir oben. Schneller war einfach nicht drin, wir haben keine Minute vertrödelt. Auch „mussten“ wir wegen dem harten Eis fast alles von Standplatz zu Standplatz sichern und stiegen nur auf wenigen, kurzen Stücken gemeinsam am langen Seil.

Sicht auf die Südwand, über welche wir in Dunkelheit, ungefähr in Bildmitte, abgestiegen/abgeseilt sind. Es ist steiler, als es auf dem Bild aussieht.
Dementsprechend machen wir uns am Top rasch vom Acker, um das letzte Licht für die Abseilfahrt über die Südwand auszunützen. Zwei Abseiler gingen sich noch aus in der Dämmerung, dann bremst uns ein übler Seilsalat aus, und es hilft definitiv nur noch die Stirnlampe weiter. Hin und wieder lässt sich auch so ein Schlingenbündel finden – Abseilpiste ist für dieses Ding übrigens ein komplett falsches Wort: die Stände sind alle improvisiert, mit Schlingen um meist etwas dubiose Felszacken, und das Gelände ist zum Abseilen mässig bis schlecht tauglich (flach, schuttig, blockdurchsetzt).

Zuletzt muss ich dann sogar noch einen Haken schlagen, um eine vernünftige Verankerung zu erzeugen. „Tschäng, däng, däng, däng, däng“ in immer hellerem Ton, schallt es. Normalhaken schlagen ist schon viel spannender und kreativer als das etwas monotone Setzen von Bolts. Und dieses Placement war jetzt definitiv „bomber“, gutes Auge gehabt. Wir seilen nochmals ab, und stehen schliesslich auf einem ziemlich steilen (50°) Firn-/Eisfeld. Natürlich ist es inzwischen schon wieder stockdunkel, also runter, runter! Bald kommt ein Bergschrund, welcher sich mit etwas Suchen und Eisschraubensicherung gerade so überwinden lässt.

Wir kommen in ein Gletscherbecken, von welchem es nun den Rocher du Reposoir zu gewinnen gilt. Leider wird der Zugang dorthin durch eine Seraczone versperrt. Und natürlich ist niemand kürzlich an dieser Seite der Grandes Jorasses unterwegs gewesen, so dass absolut keine Spuren vorhanden sind. So gehen wir vor und zurück, hinauf und hinunter, aber wir finden keinen Durchschlupf. Um 22 Uhr, nach 20 Stunden „on the move“ ohne eine einzige Pause setzt sich schliesslich die Erkenntnis durch, dass die Sucherei wohl nichts mehr bringt und wir die Nacht hier, und nicht in der Boccalatte-Hütte verbringen werden. 

Der Biwakplatz - super Sicht auf den Sonnenaufgang am Mont Blanc
So richten wir uns auf ca. 3700m, an einem Abwind- und Kälteseetechnisch günstig gelegenen Ort ein. Die Daunenjacke ist dabei, ebenso ein Notbiwaksack und ein Gaskocher. So gibt es erst einmal eine gepflegte Nudelsuppe, und danach den Versuch zu „schlafen“, d.h. 8 lange Stunden bis zum nächsten Tageslicht zu überbrücken. Meine Routine umfasste liegen (jeweils ca. 30-45 Minuten), rumgehen und Gymnastik (jeweils ca. 30 Minuten), Tee kochen und möglichst heiss trinken (15 Minuten). So gehen rund 1.5 Stunden rum, also 5x dieses Programm, dann ist die Nacht vorbei. Und was für schöne Wege ich auf meinen Aufwärmtouren alles in den Schnee getreten habe! Geschlafen habe ich nicht wirklich, vielleicht mal ein paar Minuten eingenickt. Kalt war es, nicht zum Erfrieren kalt, aber zu kalt um zu schlafen.

Um 8 Uhr am nächsten Morgen machen wir uns schliesslich auf den Weg. Und tatsächlich ist das Erreichen des Felssporns sehr kompliziert. Man steigt im zentralen Kessel weiter ab als eigentlich gedacht, klettert dann im 60°-Eis wieder eine Seillänge diagonal hoch, quert ein Plateau, überwindet eine Randkluft und einige Felsmeter, dann ist es geschafft. Ohne Spur oder genaue Ortskenntnisse bei Dunkelheit nicht wirklich zu finden, das Aufgeben unserer Suche war durchaus vernünftig.

Die Reposoir-Felsen bieten einen schönen und luftigen Grat, dessen Begehung genussvoll ist. Zuletzt seilt man dann 2x an BH-Ständen ab (40m, 60m, viele improvisierte Zwischenstände vorhanden) und steht auf dem Gletscher. Ausser einigen hier nun problemlos zu umgehenden Spalten ist das Gelände nun endlich trivial. So geht’s am Rognon de la Bouteille vorbei zum Gletscherende, und über Kugellager-Geröll zur hart am Abgrund gelegenen Boccalatte-Hütte. Um 11 Uhr sind wir da, 3 Stunden vom Biwakplatz.

Kurz chillen vor der Boccalatte-Hütte, die an einem sehr eindrücklichen Ort gelegen ist und einen spannenden Hüttenweg aufweist.
Niemand ist zugegen, so machen wir uns bald an den Abstieg ins Tal. Gut 1200hm sind noch zu überwinden. Das Gelände ist mit Kletterstellen bis zum 2. Grad gewürzt, und auch die Müdigkeit ist nun gut spürbar, so dass wir dafür nochmals 2 Stunden brauchen. Dafür sind wir „just in time“ zum Zmittag unten, und da man in Planprecipieux gleich an der Kneipe vorbeigeht, stehen bald 4 Dosen Cola und je eine Portion Pasta al Pomodoro auf dem Tisch – welch eine Wohltat!

Sicht von Planprecipieux auf die Hänge, über welche wir von der Grandes Jorasses abgestiegen sind.
Der Rückweg nach Chamonix erfordert dann wegen nicht mehr fahrender, bzw. ausfallender Verbindungen des öffentlichen Verkehrs das Trampen. Doch sowohl im Val Ferret, wie auch in La Palud vor dem Mont-Blanc-Tunnel müssen wir je nur wenige Minuten warten, bis wir mitgenommen werden. So sind wir in einer guten Stunde retour beim Auto. Da wartet noch die grosse Überraschung: die Kombination von weichen, flexiblen Leder-Bergschuhen und rigiden Eiskletter-Steigeisen hatte sich bisher auf kurzen Steileis-Touren sehr bewährt. An der Grandes Jorasses im Prinzip auch, hätte es da nur nicht immer etwas auf meine Ferse gedrückt. Im Abstieg war die „Blase“ dann durchaus etwas störend. Beim Nachsehen war es dann nicht mehr wirklich eine Blase, sondern einfach eine geschälte Ferse. Aber sowas gehört einfach zum „General Suffering“, welches bei solchen Touren irgendwie integraler Bestandteil ist. Dazu gehören auch die 2 Nächte mit total etwa 3 Stunden Schlaf, und 30 Stunden Bewegung mit hoher Intensität. Eines ist klar, gegen dies war meine Wägital-Rundtour, trotz deren vieler Höhen- und Distanzmeter, nichts als ein blosses Spaziergängli...

Et voilà! Wolltest du es wirklich so genau wissen? Auf jeden Fall, nach 38h nonstop in den Bergschuhen...
Höchst zufrieden machen wir uns auf die Heimfahrt, die glatt verläuft. Natürlich bleibt Zeit, um zu philosophieren. 1935 wurde der Crozpfeiler erstbegangen, ohne Ankerpickel, ohne Eisschrauben, ohne vernünftige Steigeisen, Funktionsbekleidung, Handy, Wetterbericht und einsatzbereitem Hubschrauber. Unser Respekt vor diesen Pionieren ist unermesslich, einfach unglaublich diese Leistung, Vision und Kühnheit. Irgendwann treffen wir zuhause ein. Dankbar, dass auch in unserer Zeit noch solche Abenteuer möglich sind, verabschieden wir uns, und hoffen, bei Gelegenheit wieder einmal eine Tour dieser Art gemeinsam anzupacken.

Facts

Grandes Jorasses – Nordwand – Crozpfeiler mit Sloweneneinstieg – AS, WI4, M6+, 1200m

Als die vielleicht einfachste Tour in der Nordwand der Grandes Jorasses bekannt, ist das alles andere als leichtverdaulich. Bei guten Bedingungen, d.h. umfassender Vereisung wohl fast komplett in reiner Eiskletterei zu machen, mit nur 2-3 Seillängen im nicht extrem schwierigen Fels. Einige Passagen sind aber notorisch schwach vereist, so dass man dort oft auf anspruchsvolle und nicht immer einfach abzusichernde Mixed-Kletterei trifft. Während der untere Teil anhaltend nichttrivial, aber nie extrem schwer ist, warten die Schlüsselstellen erst kurz vor dem Ausstieg, von wo ein Rückzug kaum mehr möglich ist. Daher besser nur mit den entsprechenden Reserven einsteigen. Mein Tourenpartner empfand die Route im angetroffenen Zustand auch als anspruchsvoller wie die von ihm bereits begangen klassischen Nordwandrouten an Eiger und Matterhorn. Zu berücksichtigen ist auch, dass die Tageslänge im Winterhalbjahr für eine Begehung nicht üppig bemessen ist. Zu- und Abstieg sind im Dunkeln und ohne Spur schwierig zu finden. Biwakplätze in der Route gibt es keine brauchbaren. An zwei Ständen (auf dem Pfeiler nach dem 2. Eisfeld, in der Scharte nach dem 3. Eisfeld) kann man einigermassen gut nebeneinander stehen, alles andere ist zum Übernachten völlig untauglich.

Material: 
- 8 kurze Eisschrauben 
- Keile, Camalots 0.3-3, Mikrofriends 
- 10 Express, Schlingenmaterial 
- Notbiwakausrüstung 
- bei nicht üppiger Vereisung ein Set Schlaghaken 
- 2x60m-Seil nicht zwingend, aber bequemer als 2x50m

Topo:
Wie schwierig die Tour (für mich) war, zeigt sich am eher rudimentären Topo, und auch am Fotomaterial, welches nicht auch dem üblichen Standard ist. Während ich auch auf anspruchsvollen Klettertouren die Zeit finde, um die Speicherkarte zu füllen, und um mir Notizen zu machen, blieb hier beides auf der Strecke - zu viel zu tun die ganze Zeit...

Nachtrag:
Einige zusätzliche Bilder und Links zur Tour gibt es in meinem Folgebeitrag: klick hier!
Ein später angefertigtes Topo und den Link zum Tourenbericht von Walter gibt es hier: klick
Einen prima Bericht, mit Zusatzrunde am Grande Pilier d'Angle, im Bergzeit-Magazin: klick

Topo der Crozpfeilers mit Sloweneneinstieg, so wie wir die Route angetroffen/geklettert haben.

Ausblick: 
Wie beschrieben, das war die erste derartige Tour, aber sicher nicht die letzte. Ich freue mich auf weitere derartige Abenteuer. Die Sicht auf den Peuterey-Grat im Abstieg war schon fantastisch, und an diesem tollen Stück Fels (siehe unten) sollte man sich vielleicht sputen, um die Amerikanische Direkte zu klettern, bevor sie eines Tages weggebröckelt ist...

Tolle Sicht von Montenvers auf die Drus (3754m)