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Dienstag, 13. Dezember 2011

Hoch Ducan – Erstbegehung von „Stapfetenstrasse“ (WI 3, 270m)

Meine kürzliche Begehung der Grandes Jorasses Nordwand hatte die Motivation fürs Eisklettern nachhaltig aufgefrischt. Ja, insbesondere das Pickeln in alpiner Umgebung hatte es mir angetan. Während Chamonix unzweifelhaft der Hotspot dafür ist, liegt es leider gleichzeitig auch ausserhalb der Tagestouren-Reichweite. Aber andererseits kann es ja auch nicht sein, dass die Alpen einzig dort die gewünschten, eisgefüllten Goulottes bereithalten.

Und wenn sie noch nicht begangen sind, und die Literatur deshalb nichts hergibt, na dann eigentlich umso besser. So wird die Kreativität gefördert, der Abenteuergeist geweckt und gegenüber einer Erstbegehung ist ja auch nie etwas einzuwenden... So machte ich mich auf die Suche, mit scharfem Nachdenken, dem Durchschauen meiner eigenen, inzwischen umfangreichen Bildersammlung und ein paar Internetquellen waren rasch spannende Projekte in relativer Nähe identifiziert. Als ich dann auch noch Gewissheit erlangte, dass eine dieser Möglichkeiten, am P. 2834 des Hoch Ducan, gute Verhältnisse aufweist, war mein Feuer umso grösser.

Am Ausgangspunkt im Sertig. In Bildmitte der normale Eisklettersektor am "Chachlengstell", der klotzige Berg links der Hoch Ducan 3063m.

Close-Up auf die Standard-Eisfälle im Sertig, die bereits eifrig beklettert wurden.
Nur die ersten Schneefälle um den Samichlaustag herum erwischten mich dann auf dem falschen Fuss. Mit Argwohn prüfte ich täglich die vom SLF berichtete Neuschneemenge und musste mehrmals vergegenwärtigen, dass wieder einige Zentimeter hinzugekommen waren. So etwas unnötiges aber auch! Irgendwann hatte dann Frau Holle fürs Erste genug, die Lawinensituation blieb im grünen Bereich und als für den folgenden Sonntag auch noch gutes Wetter angesagt war, gab es kein Halten mehr. Zum Glück war mit Christof ein voll motivierter Seilpartner bereit.

Bei der Vorbereitung stellte sich die Frage, wie man den Zustieg aktuell wohl am besten meistern würde. In Unkenntnis der exakten Bedingungen vor Ort, und somit mangels Entscheidungsgrundlage, räumten wir die Keller aus und luden wir das Auto bis fast unters Dach voll mit Material. Im Sertig angekommen, war dann aber gleichwohl immer noch guter Rat gefragt: die Landschaft war nämlich etwas, aber nicht allzu üppig weiss. Nichtsdestotrotz entschied ich mich für meine alten „Steinski“, während Christof seine guten Stücke nicht riskieren wollte, und zu den Schneeschuhen griff.

Endlich kommt Eis in Sicht: P.2834 mit der Stapfetenstrasse, recht spitzig der Chlein Ducan (3004m)
Der Zustieg ist nicht kurz, aber dafür ist es eine schöne Skitour. Die aktuelle Schneelage ist aber eher knapp.
So ging es dann um 8.30 Uhr los, unterhalb am gut besuchten und (teilweise) bereits vernünftig bekletterbaren Normalsektor im Sertig vorbei, ins Ducantal hinein. Spur war noch keine vorhanden, so legte ich diese, in 30cm tiefem Pulverschnee ohne Unterlage, gleich selber an. Nach einer Weile plus einer kniffligen Bachquerung, biegt man im Tal um die Ecke und zielt dann Richtung Ducanfurgga. Von Eis weit und breit keine Spur – da können bei den einen schon Zweifel aufkommen. Doch Christof liess sich durch mein „ich bin sicher, dass das Eis da ist, wir sehen es nur noch nicht“ beschwichtigen – was sich in der Tat als richtig entpuppen sollte.

Als wir die Goulotte dann zu Gesicht bekamen sah sie dafür umso vielversprechender aus. Nur galt es dann noch, den letzten, steilen 300hm-Hang zu bewältigen. Mit dem arg schweren Rucksack und dem tiefen Schnee ein hartes Stück Arbeit, doch nach gut 2 Stunden Aufstieg war das Depot am Einstieg erreicht. Dort war erst einmal eine ausgiebige Rast fällig, und auch das Anlegen der Ausrüstung nahm ziemlich Zeit in Anspruch. Als dann auch noch die Taktik besprochen war, konnte es um 11.45 Uhr losgehen.

Close-Up der Stapfetenstrasse am P.2834 des Hoch Ducan: let's go!
SL 1-3, ca. 150m

Vom Couloir-Eingang stapft man ca. 50m in 45 Grad steilem Gelände (Schnee) bis unter den ersten Eisaufschwung. Dieser ist knapp 10m hoch und gegen 80 Grad steil. Danach legt sich das Gelände zurück, und im etwas überschneiten Eis (ca. 55 Grad, 30m) steigt man empor, bis sich die Rinne weitet (30m). Ab da über Schnee (45 Grad, 60m) an den Fuss des nächsten Eisaufschwungs.

Los geht's! Die ersten Meter im Schnee und über eine Art Schrund hinweg noch seilfrei.
Doch die erste Stufe kommt, gefolgt von gemässigter Goulotte-Kletterei in leicht überschneitem Eis.
SL 4-5, ca. 60m

Der Aufschwung besticht durch sehr schöne, homogene Kletterei in prima Kompakteis. Der erste Teil genüssliche 70 Grad steil, ein Fall für Christof, danach übernahm ich für den steileren zweiten Teil, maximal 75-80 Grad, die Führung. Insgesamt wohl als WI3 zu bewerten, und wirklich sehr schön!

Zweiter Aufschwung: super Kompakteis, geniale Kletterei!
Und genau so geht es weiter. Christof folgt, am Ende des zweiten Aufschwungs.
SL 6-7, ca. 60m

Vom Ende der vorangehenden Stufe erst ein vereistes, flacheres Stück (50 Grad), danach wird es wieder kontinuierlich steiler. Christof führte bis an den Punkt, wo sich die Sache endgültig aufsteilt. Für die Crux (kurz gegen 80 Grad) übernahm wieder ich, und kletterte dann auch gleich weiter, zuletzt etwa 65 Grad steil, bis zum Ende. Die Bewertung hier wohl ebenfalls ein WI3.

Die letzten Meter der Route. Auch im dritten Aufschwung super Kompakteis und genüsslichste Kletterei.
Um 15.50 Uhr erreichten wir das Top der Kletterei. Der ursprüngliche Plan war es gewesen, wieder über die Goulotte abzuseilen. Doch während ich die Bohrmaschine und das übrige nötige Gear an den Einstieg hochgetragen hatte, blieben die Bolts selber leider im Auto zurück. Somit blieb uns die Wahl zwischen trotzdem Abseilen mittels Fädeln etlicher Abalakovs, und dem ebenfalls möglichen Fussabstieg. 

Da wir auf Ersteres keine Lust hatten, stapften wir eine halbe Stunde lang in mässig steilem Schnee dem Hoch Ducan entgegen – was durchaus anstrengend und kraftraubend war, weil vom Typ knietiefe Wühlerei. Zwecks fortgeschrittener Tageszeit war der Aufstieg zum Gipfel „out of question“, weshalb wir hinter P.2834 den Kamm überschritten, und durch das grosse Couloir hinabstiegen. Ist man einmal auf diesem Kamm, bringt dieses und eine kurze Hangquerung einen in 15 Minuten zurück zum Einstieg.

Der Traum wurde Realität! Schöner Blick am Ausstieg, aber jetzt los, ab nach Hause!
Das Abstiegscouloir, ca. 40 Grad steil und problemlos, solange es nicht lawinös ist.
Da waren wir dann um 16.45 Uhr. Das Tageslicht war am Verblassen, und noch wartete der Abstieg. Schnell wurde eingepackt, um den ersten, mutmasslich genussreichen Hang noch bei Licht befahren zu können. Das klappte dann wie gewünscht, und gab die ersten Pulverzöpfli der Saison 11/12. Der Rest war skifahrerisch komplett zum Vergessen – dass eine überschneite Geröllwüste wirklich Fahrspass bereitet, davon war ich aber auch nicht ausgegangen. Aber man tut, was man tun muss, und in einer Stunde war Sertig-Sand, der Ausgangspunkt, erreicht.

Zufrieden über die geglückte Erstbegehung, die prima Eiskletterei und den tollen Tag in den Bergen, obwohl uns ganztags kein Sonnenstrahl getroffen hatte, setzten wir uns ins Auto. Und ja, ziemlich kaputt waren wir auch. Der Zustieg mit schwerem Gepäck, die Kletterei und vor allem die Stapferei oben raus hatten uns ziemlich dicke Beine beschert. 

Die Querung zurück zum Einstieg, super Abendstimmung. Und es warten noch die ersten Pulverschwünge der Saison 11/12 :-)
Zum Schluss: ob es Sinn macht, am (allerdings meist überfüllten) „normalen“ Sertig-Sektor vorbeizugehen für einen 270m langen Genuss-Eisfall mit guten 2 Stunden Zustieg, das muss, soll und darf jeder Kletterer für sich selbst entscheiden. Für mich persönlich auf jeden Fall ja! Der alpine Erlebniswert und der Abenteuergehalt um ein Vielfaches höher als bei einer Eisroute neben der Strasse, die Gegend sehr schön und der Zustieg per Ski für denjenigen, der auch sonst auf Touren geht, sicher nicht zu verachten. Und im Hinblick auf zukünftige grössere Nordwandrouten auch ein gutes Training in der Nähe.

Facts:

Hoch Ducan 3063m – P.2834 NW-Wand – Stapfetenstrasse (IV, WI3, 270m) – Dettling/Birrer 2011
Material: 10-12 Eisschrauben, Lawinenausrüstung, Schneeschuhe oder besser, Tourenski für den Zustieg

Alpine Genuss-Eiskletterei mit gemässigten Schwierigkeiten in sehr schönem Kompakteis, dazu einige interessante Passagen durch Schneecouloirs. Durch die Höhenlage wohl oft schon im Spätherbst und im Frühwinter gute Bedingungen. Insgesamt ein tolles alpines Erlebnis zur Vorbereitung auf grössere Abenteuer. Hier gibt es ein PDF-Topo mit allem Wissenswerten: klick!

Topo-Vorschau. Die hoch aufgelöste Version gibt es hier als PDF.

8 Kommentare:

  1. super sach !
    Gratulation dir (euch ) zur erstbegehung !

    Die Alpen sind erschlossen , und es gibt nix neues mehr...

    Der Winter ist zu warm, und man kann noch nirgends Eisklettern...
    (wär wahrscheinlich auch schon mitte November gegangen)

    Viel spass und erfolg beim weiter suchen und finden.
    Steve
    Stefan Gernert

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  2. Hey Marcel...super route....we did it 2 weeks ago with my girlfriend....great ice conditions,descent via the route.....obviously someone did it not long time ago too,still could find holes after ice screws....with best regards Bopp&Agusia(BE,Swi)....

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  3. Hi there!

    Many thanks for your report! So far, I hadn't heard from anyone who repeated the route. But I'm glad to hear that a) it gets done, and of course b) that you enjoyed it. In fact, after some additional reflection and in the light of my further experience with alpine ice climbing, I also come to the conclusion that it is a truly excellent route.

    Cheers, Marcel

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  4. Auf die Tour war ich schon direkt nach Veröffentlichung des Topos heiß. Gestern hat´s endlich geklappt. Der Fall steht schon sehr gut da, gut zu sichern und wunderschöne Pickelei. Es waren vor uns mindestens 3 Seilschaften zugange: Wir sahen Eissanduhren und zwei verschiedene Aufstiegsspuren auf den Sattel hinter P2838. Leider haben wir auch eine Schraube runter geschmissen. Wer eine blaue (16cm) Schraube von Black Diamond mit schwarzem Klebeband markiert findet, melde sich bitte bei mir unter schraube@beneries.de

    Vielen Dank an Marcel für´s Entdecken und Bekanntmachen dieses Eiskletter-Zuckerls! Großes Kino!

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  5. WOW,
    Gratulation für Eure Erstbegehung dieses Schmuckstücks, auch wenn dies schon einige Zeit zurück liegt.
    Ich habe im Januar 2012 versucht diese Perle, dank Deinem super Topo & Infos, mit meinem Partner on Ice auch zu klettern. (Wo findet man auch noch eine solche Route abseits der Massen die dazu noch Clean ist?)
    Leider hat uns das SLF und die enormen Schneemengen unmöglich gemacht ins Ducantal abzusteigen.
    Aber Neues Jahr, Neues Glück!

    Eine Frage hätte ich allerding schon noch,

    Hat jemand ne gute Info oder gar ein Topo ab dem Ende des Eiscoulis bis zum Gipfel des Ducan?

    Merci im Voraus und grosses Dankeschön an Marcel, der uns diese Tour erst möglich gemacht hat!!!

    Gruuuuuuzzzzzzzzz......!!!!

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    1. Hi Michael!

      Den Gipfel vom Hoch Ducan kann man ab Ende der Stapfetenstrasse durchaus besteigen. Es handelt sich aber nicht einfach um einen kleinen Umweg, sondern das ist je nach Schneelage und -beschaffenheit ein grösseres, anstrengendes Unternehmen, das doch noch 300hm Aufstieg umfasst. Vom Ende der Route steigt man geradeaus weiter auf, bis man zu einem flacheren Plateau gelangt (für den normalen Fussabstieg hält man sich da dann rechts und überschreitet den Kamm hinter P.2834). Von diesem Plateau steigt man in offensichtlicher Linie die recht steile Schneeflanke hoch gegen den Vorgipfel P.3021, um dann über den Grat (teilweise ausgesetzt und nicht ganz trivial) den Gipfel zu erreichen. Der Rückweg dann identisch bis zum Plateau, und durch das in meinem Topo/Bericht beschriebene Couloir retour zum Einstieg.

      Es gibt im Netz einige Berichte über (winterliche) Besteigungen der Gipfels:

      Bericht 1 von Patrick auf gipfelbuch.ch
      Bericht 2 von Chris auf chmoser.ch
      Bericht 3 von Sputnik auf hikr.org

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  6. Hi Marcel,

    vor gut einer Woche hatten wir endlich auch die Chance, der Stapfetenstraße einen Besuch abzustatten. Wirklich bemerkenswert, dass diese dicke Eislinie nicht schon früher gemacht wurde. Gratulation zu dieser Tour, sie hat uns wirklich sehr viel Freude gemacht! Vielen Dank fürs Publizieren!

    Liebe Grüße

    Erika

    PS: Hier noch das zugehörige Ulligunde-Gequatsche zur Tour: http://ulligunde.com/2016/12/stapfetenstrasse-stapfenstrasse-eisklettern-sertig/

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    1. Hallo Erika,

      Freut mich, dass euch die Tour gefallen hat. Schöner Bericht, vielen Dank!

      Lieber Gruss, Marcel

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