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Freitag, 30. März 2012

Aiguille d'Argentière / Y-Couloir

Am Vortag ins Gebiet angereist, hatten wir uns in der NE-Wand der Courtes mit dem Couloir zur Aiguille qui Remue (Bericht) vergnügt. Nun war ein guter Plan für den zweiten Tag gefragt. Wegen Committments von meinem Tourenpartner Christoph war die Rückkehrzeit im Tal bereits bestimmt. Daher fiel die sich von mir eträumte Schweizerführe an der Courtes erneut aus, und wir entschieden uns für eine Überschreitung der Aiguille d'Argentière - ein stolzer Gipfel von 3901m Höhe, auf der Schweizer Grenze gelegen.

Aiguille d'Argentière Südwand. Das Y-Couloir mittig deutlich sichtbar, nur der von uns begangene, linke Seitenast ist leicht versteckt.
Nach reichlich geruhsamer Nacht, im Zimmer war viel Platz und schön ruhig war es auch, krochen wir um 6.30 Uhr unter der Bettdecke hervor. Nach dem Frühstücksbuffett waren wir um 7.15 Uhr startbereit, als mehr oder weniger letzte verliessen wir die Hütte. Über ziemlich steile, hartgefrorene Hänge geht es unter den schönen Felstürmen der Arête du Jardin aufwärts. Hier kann man auch sehr gut Felsklettern, die Bedingungen dafür wären aktuell ausgezeichnet, gerne hätte ich hier Hand angelegt.

Blick von nahem auf das Couloir, das man hier bis zur Verzweigung einsehen kann. Die Einstiegsstufe sieht oberpopelig aus...
Wir gehen indessen zielstrebig auf den Schneekonus zu, welcher zum Beginn des Y-Couloirs zielt, das die ganze Südflanke der Aiguille d'Argentière durchreisst. Schon von weit entfernt erblicken wir eine Seilschaft, welche bereits an diesem Konus aufsteigt. Sie bewegen sich scheinbar in Zeitlupe, wir werweissen noch, wer von uns zuerst am Bergschrund sein wird. Doch diese Runde geht für uns aus - wir passieren die Slowmo-Gänger etwa 50hm unter dem Schrund. Wir pausieren gemütlich und rüsten uns fürs Couloir, bis wir losgehen, haben sie uns noch nicht einmal erreicht. Sowas aber auch...!

...aber es täuscht. Es ist doch 1 SL von 40m, die gewisse bergsteigerische Anforderungen stellt.
Anyway, auf uns wartet nun der schwierigste, je nach Perspektive abschreckendste oder spannendste Teil der Tour. Durch den Rückgang von Eis und Firn lässt es sich nicht mehr bequem in das Couloir einsteigen, sondern es gilt, eine Felsstufe zu meistern. Diese bietet eine etwa 40m lange Mixed-Seillänge. Nicht schwierig, aber sehr schön. Erst mit einem grossen Schritt über den Bergschrund, dann etwas Eis und Glasuren, wo man mit den Eisen auch mal auf den Fels treten muss, und zuletzt noch eine Felsstufe, die man mit den Geräten klettert. Absicherung mit Eisschrauben und Zackenschlingen war gut möglich, Keile und Friends hätte man sogar auch noch versenken können, wenn man sie dabei gehabt hätte. Hakenmaterial steckt allerdings nicht viel, vor allem nichts wirklich zuverlässiges. Aber eben, dies ist auch völlig unnötig, und man kann nur hoffen, dass hier nicht jemand auf die Idee kommt, Bohrhaken anzubringen.

Unterer Teil des Y-Couloirs, mit Stairway to Heaven.
Mittlerweile an der Sonne kann ich Christoph nachsichern. Bald ist er bei mir, und wir machen uns auf ins Couloir. Dieses ist in besten Bedingungen. Der Schnee ist schön kompakt, griffig und tragend. Vor allem ist von bereits erfolgten Begehungen eine richtige Treppe vorhanden. Einfacher könnte man es nun wirklich kaum haben, ein richtiges Kinderspiel. So kommen wir trotz gemütlichen Steigen zügig voran, und erreichen eventfrei um 10.45 Uhr, nach 3.5 Stunden Aufstieg, den Gipfel. Diesen haben wir für uns alleine, wir waren die ersten, welche an diesem Tag oben waren.

Christoph unterwegs im Y-Couloir. Seil nachziehen ist übrigens deutlich ringer wie Seil buckeln.
Auf dem Gipfel ist es dann ideal, windstill und warm, ein leichter Pulli genügt, um nicht ins Frieren zu kommen. So können wir dem Schnee noch etwas Zeit geben, um aufzufirnen. Wir erwägen, welche Route wir für die Abfahrt wählen sollen. Als Optionen stehen die Aufstiegsroute (Y-Couloir), das Barbey-Couloir in der Ostflanke, oder der westseitige Weg über den Glacier du Milieu zur Auswahl. Nach Abwägen von Zeitbudget, Schneequalität, einigen weiteren Parametern und der Tatsache, dass wir in der Hütte einiges an technischem Material deponiert haben, entscheiden wir uns für den Milieu-Glacier.

Oben raus nimmt die Neigung zu, hier die steilste Stelle, wohl so etwas wie 45-50 Grad.
Auf dem Papier ist dies auch die einfachste Abfahrt, aber was heisst schon einfach. Vom Gipfel bis zum Bergschrund auf 3600m messe ich 330m Horizontaldistanz, was eine Durschnittsneigung von 42.5 Grad ergibt. Also gehörig steil, weil die Neigung ganz unten und oben flacher ist, dürfte das Couloir im Mittelteil gute 45 Grad haben. Das Y-Couloir ist übrigens nur unwesentlich steiler, auf den 420m Höhendifferenz vom Grat bis oberhalb der Einstiegs-Steilstufe kommen 450m Distanz (43 Grad im Schnitt, die Einfahrt ist deutlich steiler!), beim Barbey-Couloir sind es ziemlich genau 600m Distanz auf die obersten 600hm (45 Grad).

Oberer Teil der Abfahrt über den Milieu-Glacier, zwischen den Felsen die Crux, auch gute 45 Grad steil.
Nach ca. einer Stunde Gipfelrast, das Panorama ist einfach fantastisch und der Himmel wird von keiner einzigen Wolke getrübt, machen wir uns auf die Abfahrt. Wie erwähnt, es geht gleich rassig los. Weil der Schnee hier oben überdies noch ziemlich hart und erst leicht aufgesulzt ist, würde ein Sturz ganz offensichtlich den unaufhaltbaren Absturz bedeuten. Die Fahrerei hier weist also sehr ernsthafte Züge auf, für mich persönlich ist das auf jeden Fall deutlich weniger entspannt wie am Fleckistock und Konsorten (Hausstock, Hinter Schloss, ...).

Schöne und rassige Abfahrt, der Schnee hier gut, perfekt war er aber nicht.
Dementsprechend gehen wir vorsichtig zu Werke, auch weil von unten etliche Tourengänger im Aufstieg sind, welche man im Couloir bei einem Sturz auch gleich noch wegkegeln würde - viele der Entgegenkommenden scheinen sich der Gefahr auch gar nicht bewusst zu sein, welcher sie hier ausgesetzt sind. Ja nu, es geht alles gut, mit einem Sprung meistern wir zuletzt den Bergschrund mit Skis an den Füssen. Mit Aussuchen der nach SE exponierten Hänge können wir nun auf gut aufgesulzte Bedingungen zählen. Allerdings ist die Schneeoberfläche nicht glatt, so dass es schneetechnisch keine Traumabfahrt wird, auch wenn die Szenerie mit all den Granittürmen sehr, sehr eindrücklich ist.

Landschaftlich super schön, sehr eindrückliche Szenerie. Hinten die Aiguille Verte.
Nach einer Weile sind wir dann retour bei der Hütte, bzw. bei jenem Punkt, wo diese mit 10 Minuten Aufstieg wieder erreicht werden kann. Ich nehme das auf mich und hole das deponierte Material ab. Als ich wieder retour bin, sind wir im Nu auf dem Gletscher unten, wo es dann in Schussfahrt Richtung Tal geht. Tourengänger, welche zu Fuss unterwegs sind, kommen uns entgegen. Da haben wir echt Mitleid, denn irgendwann werden die hier auch wieder zu Fuss absteigen müssen - dabei ist das ideales Skigelände.

Auf dem Argentière-Gletscher, Variantenabfahrt mit wilder Piste, aber dennoch eindrücklich und genussvoll.
Auf dem Gletscher befindet sich eine von Tourengängern eingefahrene Piste, so dass es sich hier schön drehen lässt. Wie wir weiter vorne zum Zusammenschluss mit der Variantenabfahrt von Grandes Montets kommen, verbreitert und verbessert sich diese nochmals. Der Gletscher ist sehr spektakulär und schön, ich muss sagen, schon nur diese Variantenabfahrt wäre die 20 Euro für das Billett nach Grandes Montets wert! Auch sind wir zum genau richtigen Zeitpunkt hier, der Sulz ist perfekt al dente. Auf 2300m unten wechselt man schliesslich auf die Piste, wo wir bereits in etwas tiefem Sulz in rasanter Fahrt bald Argentière auf 1200m erreichen. Es ist nun 13.45 Uhr, wir packen zusammen, und machen uns auf den langen Heimweg.

Facts:

Aiguille d'Argentière 3901m - Couloir en Y (AD+, 5.2) & Glacier du Milieu (PD+, 4.2) - 1130hm

Das Y-Couloir vermittelt einen sehr schönen, nicht so stark frequentierten, landschaftlich eindrücklichen, alpintechnisch zugänglichen, aber nicht trivialen Aufstieg zum Gipfel. Der Weg bis zum Bergschrund auf 3350m ist problemlos. Eine einfache, schöne und lohnende Mixed-Seillänge vermittelt den Zugang zum Couloir und ist die Crux. Das Couloir dann, ist unten rund 40 Grad steil, in den letzten 100hm zum Grat mag es knappe 50 Grad erreichen.

Die Abfahrt über den Glacier du Milieu gilt als nominell deutlich einfacher wie das Y-Couloir (Bewertung 4.2 anstelle von 5.2). Diese Differenz scheint mir aber ehrlich gesagt etwas gar gross. Die obersten 300hm der Mileu-Abfahrt sind nämlich "gheerig stotzig" - zusammen mit dem oft vorherrschenden Hartschnee, verursacht durch das häufige Abrutschen sind hier mit den Skis an den Füssen definitiv keine Fehler erlaubt. Ein Abstieg zu Fuss mit Steigeisen ist jedoch natürlich auch möglich.

Cheers - The Action Team!



Donnerstag, 29. März 2012

Courtes NE-Wand / Couloir de l'Aiguille qui Remue

Endlich hatte es nun geklappt mit einer Frühjahrestour nach Chamonix. Das Wetter war einfach perfekt, die Bedingungen geeignet, freie Zeit vorhanden und Plätze im Refuge d'Argentière konnten ergattert werden. Fehlte nur noch eine passende Begleitung. Nach diversen Absagen konnte ich schliesslich den frisch verheirateten Christoph zu einer "Hochzeitsreise" motivieren. Mit gepackten Rucksäcken machten wir uns um 4.30 Uhr auf den Weg, welcher uns zur Talstation der Bahn von Argentière nach Grandes Montets führte.

Aiguille Verte mit dem Couloir Couturier und oben, der Vivagel-Route
Dort waren wir ziemlich froh, an einem Wochentag unterwegs zu sein. Schon da herrschte eifrig Gedränge, ich mag mir gar nicht vorstellen, wie das jeweils am Weekend zu und her geht. Trotz allem gab es für uns Plätze auf der ersten Bahn, so dass wir mit wenigen Minuten hinaufgondeln die Tour auf 3295m, direkt im Hochgebirge, starten konnten. Die erste Abfahrt zum Argentière-Gletscher gingen wir gemütlich an. Der Rucksack wog schwer, die Tourenpiste bucklig-hart, sogar einige Spalten waren vorhanden, und aber vor allem, ich konnte mich kaum sattsehen an den Nahblicken in die Ostabstürze der Aiguille Verte.

Die Nordwand der Droites, mit dem aktuell viel begangenen Klassiker 'Ginat'.
Schliesslich waren wir aber unten, fellten an und stiegen über eine Spur vom Typ "doppelspurige Autobahn" gegen Süden. Unser Ziel war die Nordwand der Courtes (3856m). Ich hatte damit geliebäugelt, die dortige Schweizerführe in einem Paukenschlag gleich am Anreisetag anzupacken. Bis wir schliesslich direkt darunter standen, war 10.30 Uhr bereits vorbei, und weil der Abstieg über die aktuell blanke NE-Flanke als sehr zeitraubend und Abalakov-abseilintensiv beschrieben wurde, war ziemlich klar, dass wir uns wohl besser eine Alternative suchen würden, wollten wir noch bei Tageslicht die Tour beschliessen.

Die Nordwand der Courtes, die Schweizerführe prominent im Bild.
Somit gingen wir weiter über den Gletscher nach Süden, mit dem Ziel, eine attraktive Eisroute anzupacken. Von diesen gibt es im Argentière-Kessel ja mehr als genügend. Erstaunlich war aber, wie wenige Schnee und Firn in den Wänden lag, alles war blank vereist. Und es fiel auch auf, wie sehr die Vergletscherung und Vereisung gegenüber dem "Neige, Glace et Mixte"-Führer von Damilano aus dem Jahre 2005 bereits abgenommen hat - den Eisrouten setzt die Klimaerwärmung ganz massiv zu!

Courtes NE-Wand, mit 'unserer' Eiszunge im Colouir de l'Aiguille qui Remue.
Bald fiel uns eine attraktive Eiszunge in der NE-Wand der Courtes auf. Zum Glück hat in Chamonix jeder noch so kleine Felszahn einen Namen, und so führt diese genauer zur Aiguille qui Remue hoch. Ob dem Anblick waren die Pläne bzgl. der bereits besetzten Petit Viking oder einer anderen Tour im Talschluss rasch vergessen. Wir bogen ab, erreichten den Bergschrund auf 3160m und begannen um etwa 12.15 Uhr zu klettern.

'Unsere' Eiszunge in Bildmitte, direkt zum kecken Zahn der Aiguille qui Remue.
Die Überwindung des Schrundes war gar nicht so einfach, denn es gab da ein gähnendes Loch und die Bergseite bestand aus überhängendem Schnee, in welchem die Pickel nicht recht griffen. Schliesslich ging es dann doch, und über Firn erreichte ich nach 60m blankes Eis, wo ich Schrauben setzen und Nachsichern konnte. Dann konnte es weitergehen: was von unten als Katzensprung aussah, entpuppte sich als weiter, weiter Weg! Seillänge um Seillänge ging es im anhaltend 55 Grad steilen, blanken Eis dahin. Hin und wieder gab es etwas Schneeauflage, diese Stellen nützte ich dem bequemeren Steigen wegen jeweils dankbar.

Die gesamte Courtes NE- und N-Wand. Unsere Eistour in der linken Bildhälfte sichtbar.
Gegen oben hin wurde die Sache noch anspruchsvoller, das Eis erreichte eine Neigung von 65-70 Grad. Wir gaben alles, was wir hatten, die Zeit rannte, und der verflixte Grat wollte einfach nicht so rasch näher kommen, wie wir es gerne gehabt hätten - zum Ausstieg sind es nämlich ganze 12 Seillängen! Insgesamt erinnerte mich die Tour sehr an den unteren Teil der Grandes Jorasses Nordwand - Neigung und Art der Kletterei waren sehr vergleichbar. Aber klaro, der obere, wesentliche Mixed-Teil vom Crozpfeiler war hier nicht anzutreffen.

Christoph im Nachstieg - Nordwandatmosphäre à discretion!
Nach 16.30 Uhr machten wir uns schliesslich ans Abseilen - bereits im Aufstieg hatte ich die Stände (fast) durchgehend mit Abalakovs ausgerüstet, um uns einen raschen Rückzug nach unten freizuhalten. Dennoch, ein Dutzend Abseilmanöver macht man auch nicht in 5 Minuten und am Wandfuss war längst klar, dass wir die Nachtessenszeit von 18.00 Uhr im Refuge doch deutlich strapazieren würden. So stellten wir uns zügig auf die Skis, der erste Hang zum Gletscher hinunter war in etwas gedeckeltem Pulver noch vernünftig zu befahren. Der Gletscher selber bot dann absolut grauslichen Schnee, hart, decklig, mit Windgangeln, ein Horror. Aber zum Glück kann man alles geradeausfahren, so waren die 3km bis unter die Hütte im Nu erledigt.

Steiles Stück in hartem Blankeis - mir hat es gefallen! Unten werden die Schatten schon länger...
Zuletzt warteten noch die 100hm Aufstieg zur Hütte. Müde, ausgepumpt und mit schweren Beinen waren wir langsam, meine Zeit will ich gar nicht wissen, angefühlt hat es sich wie eine kleine Ewigkeit. Die kleine Ankunftsschelte vom Hüttenwart konnten wir mit unserer Kletterstory in bestem Schulfranzösisch (war ja immer klar, dass dies einmal für etwas gut sein wird...) rasch entkräften. So stand schon bald ein Cola, eine dampfende Suppe und eine Riesenportion Chili con Carne auf unserem Tisch, und wir konnten unsere hungrigen Mäuler stopfen, merci! Den Service im Refuge d'Argentière empfand ich übrigens als super.

Goodbye - langes Abseilen wartet, dazu viele Abalakovs fädeln... bis auf 1x (fast vergeigt) aber immer super getroffen :-)
Nach der Mahlzeit legten wir uns dann bald in die feinen Duvets der Hütte - schliesslich wartete am nächsten Tag das nächste Abenteuer (über welches hier berichtet wird...). Beim Reflektieren über den Tag kamen wir rasch zur Einsicht, dass das, was zuerst eine Ausweichtour war, eine stattliche Eiswand mit rund 600m Höhendifferenz ist - bzgl. Dimension und Steilheit können da z.B. in Bergsteigerkreisen durchaus reputierte Touren wie die NNE-Wand der Lenzspitze, die N-Wand des Obergabelhorns, die Mönch NE-Wand und so weiter, nicht wirklich mithalten.  

Unsere Tour nochmals, leicht links der Bildmitte, vor der eindrücklichen Nordwand der Grandes Jorasses.
Facts:

Courtes (3856m) - Couloir de l'Aiguille qui Remue - III - D+ - 700m

Steile Eiszunge in der NE-Wand der Courtes. Bei raren, sehr guten Bedingungen möglicherweise fast eine reine Firntour, meist jedoch zumindest an den steilen Stellen, die im direkten Ausstieg 65-70 Grad Steilheit erreichen, Kletterei in blankem Gletschereis. Die im Damilano-Führer erwähnte Bewertung von AD ist bei solchen Verhältnissen deutlich zu tief angesiedelt, ein D+ dürfte da aktuell schon eher passen. Je nach Situation kann auch der Bergschrund erhebliche Probleme bereiten. Der Abstieg kann sich bei guten Trittschnee-Bedingungen über den NE-Hang des Col des Cristaux vollziehen (auch gegen 50 Grad steil), zu bevorzugen ist aber ein Abseilen an Abalakovs (selten bereits eingerichtet) über die Tour.

Sonntag, 25. März 2012

Frühlingstour auf den Firzstock

Auch wenn im Mittelland definitiv der Frühling Einzug hält: für denjenigen, der nicht früh aufstehen mag und/oder ein nur beschränktes Zeitfenster zur Verfügung hat, gibt es auch in der Nähe immer noch lohnende Möglichkeiten, um mit den Skis unterwegs zu sein. Sobald man die 1000m-Grenze überquert, liegt auch in den Voralpen noch immer viel Schnee. Zudem hat man die im Winter oft viel besuchten Berge nun fast für sich.

Da in der Nacht vor meiner Tour die Uhr auf Sommerzeit zurückgestellt wurde, fragt es sich ein bisschen, welche Angaben hier nun sinnvoll sind - na ja, wählen wir wohl oder übel die offiziell gültige Sommerzeit. Nach jener bin ich um 8.00 Uhr aufgestanden, um 9.30 Uhr von zuhause aufgebrochen und um 10.15 Uhr zur Tour gestartet. Die Anfahrt in die Hüttenberge ist problemlos, die Strasse aper und auch Parkgelegenheit war im Gegensatz zum Hochwinter ausreichend vorhanden.

Wilder Mürtschenstock im Aufstieg. Den Mittelgipfel Fulen (P.2410) habe ich auch schon im Rahmen einer Skitour erreicht.
Hier liegen auf der Fläche noch 50cm Schnee, so dass ich mit den Fellen starte. Die Forststrasse biegt aber bald um die Ecke in den Wald von Holzsiten. Hier ist sie aper, so dass man die Skis einige Minuten (ca. 500m Distanz) tragen muss. Sobald man wieder offenes Gelände erreicht, liegt viel Schnee, bei der Brücke P.1062 sind es noch fast 1.5m! So steige ich dann in relativ gemütlichem Tempo auf der Normalroute dem Gipfel entgegen. Die Schneedecke ist schön tragend, ich bin ganz alleine unterwegs und werde von den zwitschernden Vögeln unterhalten.

Auf dem Dach, d.h. dem grossen, dreieckigen Hang, welcher von Weesen und der Galerie so schön sichtbar ist, ist die Ambiance dann super. Den ganzen Berg habe ich für mich alleine, und der Schnee verspricht eine tolle Abfahrt. Bald bin ich oben, und felle ab. Am Alpbigligenstöckli gibt es gerade mal 2 Spuren, die Tourengänger sind auch gerade am Gipfel, wir können uns zuwinken. 

Le Gipfelhang - oben im steilen noch pulvrig, hier tragend und schön aufgesulzt.
Nach abfellen, Rundsicht geninessen und Gear verstauen ist es gut 12 Uhr, bis ich die Abfahrt beginne. Im steilen Gipfelhang liegt sogar noch etwas Pulverschnee, der schöne Schwünge erlaubt. Als die Neigung etwas nachlässt erfolgt nahtlos der Übergang zu tragender Schneedecke, die nun schön aufgesulzt ist. Bis zum Rücken der Chratzegg hinunter bleibt das so, erst die letzten 200hm Abfahrt bieten dann tieferen, aber doch gut fahrbaren Sulz.

Bald bin ich retour beim Schneeende, und wasche die Skier gleich in einem Brunnen sauber. Ein kurzer Fussmarsch leitet mich zurück zum Automobil, und ab geht es nach Hause. Auf der Fahrt über den Kerenzerberg muss ich einige Stopps einlegen. Ich kann mich fast nicht genug an den tollen Blicken zu Seerenbach, Sellbach und den Felsen rund um die Galerie erlaben, wo ich schon viele tolle Bergaktivitäten erlebt habe, und sich mit Kennerblick stets neues, noch unbekanntes auskundschaften lässt.

Nun ist er einfach wieder der höchste Wasserfall der Schweiz. Unsere Tour ist aber erst 7 Wochen her! 
Facts: Firzstock (1923m), von Hüttenberge P.1035m

Kurze, einfache und schnell erreichbare Skitour mit 900m Höhendifferenz, schönen Ausblicken und tollen Abfahrtshängen ohne Flachstücke. Im Hochwinter viel begangen, insbesondere auch bei eher unsicheren Lawinenverhältnissen. Doch auch im Frühjahr hat das gleissende Schneedreieck über dem Walensee seinen Reiz, die Tour ist mit nur kurzer Portage eigentlich jedes Jahr bis in den April hinein machbar.

Eine alternative Sonntagsbeschäftigung - bei einem meiner Stopps konnte ich mich noch als Fotograf nützlich machen :-)

Sonntag, 18. März 2012

Steile Skitour zum Fleckistock (3417m)

Petrus war wieder einmal etwas gemein mit dem arbeitenden Teil der Bevölkerung. Die ganze Woche über herrscht bestes Wetter mit Hammer-Skitourenbedingungen, die ganze Zeit über haben wir den Fleckistock im Auge. Doch just aufs Weekend hin wird es instabiler. Am Freitag Abend stellt sich dann wegen den leicht unsicheren Prognosen die Frage, ob wir tatsächlich losgehen sollen. Wir entscheiden uns für ja - und werden mit einer absoluten Hammertour für das frühe Aufstehen belohnt.

Der Wecker schellt ohne Erbarmen um 4 Uhr morgens. Das Aufstehen ist wie immer hart, doch ich bringe es hinter mich. Um 6 Uhr geht es dann bei Abfrutt (1160m), gleich hinter Göschenen, los. In der Morgendämmerung sind noch die letzten Sterne sichtbar, es herrscht bestes Bergwetter, die Schneedecke ist vom ersten Meter an hartgefroren. Genau so, wie es im Frühling sein muss. Entlang der Strasse gehen wir bis nach Wiggen, und biegen dort ins Voralptal ein. Das erste Stück durch den Wald und über Blöcke hinweg ist kurz etwas mühsam zu steigen, danach geht's dann ins weite, von steilen Felsen gesäumte, landschaftlich sehr schöne Tal hinein. Ich liebe solche einsamen, winterlichen Täler.

Fleckistock SW-Wand: der Einstieg erfolgt über die offensichtliche Schneezunge, dann linkshaltend hoch zum Gipfel. 
Die Voralphütte ist das erste Zwischenziel. Um 8.20 Uhr sind wir dort und halten an der Sonne Rast. Über dem Urserental ist bereits eine Wolkenwalze vorhanden, aber sie bleibt dort. Bei uns, eine Kette nördlicher, herrscht noch Grand Beau. Bald machen wir uns auf den Weiterweg. Die folgende Steilstufe wäre mit Ski mühsam zu begehen, zudem ist der Sommerweg zur Salbithütte, welcher auf einer Rippe verläuft, bereits ausgeapert. Wir steigen darum die nächsten 300hm zu Fuss hoch. Danach wird wieder gefellt, zügig geht es dem Bergschrund am Fuss der Fleckistock SW-Wand entgegen. Um 10.00 Uhr sind wir dort. Erneut halten wir eine kurze Verpflegungsrast, montieren die Steigeisen und schnallen die Ski auf.

Im oberen Teil des Wandaufstiegs, hier eine der steileren Stellen, gute 45 Grad.
Nun folgen noch 500hm Wandaufstieg zum Gipfel. Der Schnee ist auch hier allererste Sahne, tragend, hart aber doch super griffig. Optimaler kann es nicht sein. So macht das 40-45 Grad steile Gelände keinen Kummer. Über unseren Köpfen gibt es derweilen die ersten Quellungen, die uns aber nicht weiter beunruhigen. Auf 3200m wechseln wir, anders als die Vorgänger, deren 2 Tage alten Spuren gerade noch knapp erkennbar sind, um ein Couloir nach links - denn dieses verspricht uns einen bequemen Aufstieg bis in die Nähe des Gipfels. Tatsächlich kommen wir so auf 3400m an den Grat. Wir fellen gleich ab, erledigen dann zu Fuss eine kurze, felsige 10m-Steilstufe im 2. Schwierigkeitsgrad. Dann sind es nur noch wenige, horizontale Meter, und um 11.30 Uhr erreichen wir nach 5.5h Aufstieg den Gipfelsteinmann. 

Ankunft auf dem Gipfel - äh nein, eigentlich ist das schon wieder der Abstieg vom Gipfel.
Das Wetter ist noch immer gutmütig, auch wenn ab und zu eine Quellung vorbeizieht, haben wir Glück, denn just im Moment unserer Gipfelankunft ist der Blick auf alle Seiten wieder frei. Wir suchen nach dem unauffindbaren Gipfelbuch, geniessen die Ambiance, halten kurz inne und machen uns dann doch relativ rasch wieder an den Abstieg. Im Nu sind wir bei den Skis, und bereiten uns auf die Abfahrt vor, um 12.10 Uhr geht es los. Der Schnee hier in den Rinnen ist noch immer hart, aber da griffig, problemlos zu befahren. Die obersten 200hm ab dem Grat weisen eine Durchschnittsneigung von exakt 45 Grad auf. Die Neigung ist ziemlich homogen, bei den steilsten, kurzen Stellen packt man aber wohl noch 2-3 Grad drauf, also so 47, 48 Grad. Nein, einen Seich machen sollte man da nicht, aber bei solch guten Bedingungen wie sie vorherrschen, kann man sehr gut und kontrolliert in Kurzschwing-Technik abfahren. 

Heia, ab geht's...
Auf 3200m wechseln wir wieder das Couloir, der untere Teil ist "nur" noch anhaltende 40 Grad steil, kommt uns aber schon beinahe flach vor. Beschwingt cruisen wir zum Bergschrund hinunter. Dort sammeln wir das zurückgelassene Material ein, trinken noch etwas, bevor wir weiter abfahren. In nun bestem Sulz geht es in perfektem Skigelände zur Voralphütte hinunter. Während die Quellwolken den Gipfel nun endgültig einhüllen und ihn nicht mehr freigeben, sind wir hier schön an der Sonne. Wahrlich, heute hat das Timing gepasst! Von der Voralphütte das Tal hinaus warten zuerst weiter schöne Sulzschwünge, danach lassen wir es "tschättern", der Schnee ist noch gut tragend, so geht es auch an den flachen Stellen zügig voran.  

...und weiter das Couloir hinunter!
Erst ab der Alp Horefelli, d.h. unterhalb von 1700m wird der Schnee langsam klebrig-bremsig. Aber das stört jetzt auch nicht mehr gross. Die Waldpassage nach Wiggen hinunter ist dann eher etwas mühsam zu befahren, na ja, damit lassen wir uns die Freude auch nicht trüben. Danach geht's im Schuss auf der Strasse das Göschenertal hinaus, auch hier läuft es gar nicht schlecht, so dass nur zwischendurch etwas Stockeinsatz vonnöten ist. Um 13.30 Uhr sind wir retour beim Auto, innert kurzer Zeit hat es nun endgültig zugezogen und aus dem Süden werden gar einige Regentropfen herübergetragen. Spielt nun keine Rolle mehr, mit müden Beinen setzen wir uns hochzufrieden in den Wagen und fahren heimwärts.

Facts:

Fleckistock: ab Göschenen via SW-Wand, 2400hm Aufstieg, SS, max. 47-48 Grad steil.
Material: Steigeisen, Pickel. Eisgeräte empfand ich als entbehrbar, ebenso Seil und Sicherungsmaterial. 

Lange, aber einsame und tolle Skitour. Der Wandaufstieg ist bei gut verfirntem Schnee prima zu machen. Die Routenwahl braucht etwas Spürsinn, um die richtigen Couloirs zu treffen. Aber wer immer etwas linkshaltend hoch geht, der wird den Weg zum Gipfel finden. Auch die Abfahrt von kurz unterhalb des Gipfels ist gut zu machen. Fehler sind in diesem Gelände allerdings nicht erlaubt.

Unsere Aufstiegs- und Abfahrtsroute durch die SW-Wand des Fleckistocks. Bildbearbeitung: Chris O.
Vergleichstouren:

Ich habe mir die Mühe gemacht, einige der steilen Skitouren, welche ich bisher begangen habe, auf der Karte genau zu vermessen, um einen Vergleich der Steilheit zu erhalten. Dabei ist herausgekommen, dass fast alle dieser Touren ziemlich ähnliche Parameter aufweisen!!!

## Fleckistock
Gipfelgrat 3400m  - Couloirwechsel 3200m: 45 Grad
Couloirwechsel 3200m - Bergschrund 2900m: 40 Grad
Durchschnittsneigung: 42 Grad über 500hm

## Schlossberg
Vorgipfel 3093m - 2800m: 45 Grad
Durchschnittsneigung bis Verflachung 2550m: 40 Grad
Steilste Stelle: Einfahrt, ca. 50-52 Grad.

## Hausstock
Gipfel 3158 - Höhenkurve 2700m: 45 Grad
Höhenkurve 2700m - Hausstockegg 2400m: 40 Grad
Durschnittsneigung über 750hm: 42.5 Grad

## Gross Windgällen
Gipfel 3187m - Bergschrund 2880m: 45 Grad
Steilste Stelle: direkt unter dem Gipfel ca. 50-55 Grad

## Tristelhorn
Einfahrt Höhenkurve 3000m - Höhenkurve 2500m: 40 Grad
Höhenkurve 2500m - Bergschrund 2200m: 45 Grad
Durchschnittsneigung über 800hm: 42 Grad



Galerie - Edwin Good (7b+)

Nach der gestrigen, steilen und strengen Skitour ging es heute in den Wald oberhalb der Galerie, um ein wenig die Finger zu strecken. Da es um die dortigen Touren etwas Konfusion gab und immer noch gibt, hier ein kleiner Beitrag zur Aufklärung.

Susi und Edwin Good waren in der frühen 90er-Jahren des letzten Jahrhunderts unzweifelhaft das stärkste Kletterpaar der Ostschweiz. In vielen Gebieten haben sie tolle Leistungen vollbracht, oder gar Meilensteine hinterlassen. Als solcher darf die von Edwin in den späten 80ern eingerichtete Tour an der Wand im Wald oberhalb der Galerie wohl nicht gewertet werden. Im SAC-Kletterführer Bockmattli - Brügglerkette - Amden von 1992 hat sie nicht einmal einen Namen. "9-, 20m, schwieriger Schlusszug", steht da lapidar.

Sicherungsmann & Anfeuerungskommando...
Viele Jahre wurde diese Tour und ihre Nachbarinnen kaum beachtet. Eine Staubschicht lag auf den Griffen, die Begehungen waren sehr rar. Der Aufschwung kam dann mit dem Kletterführer GLclimbs, welcher den ganzen Sektor vollständig dokumentierte. Heutzutage gibt es regen Andrang, der Staub ist längst von den Griffen geschwunden, in den populärsten Touren beginnt sogar bereits die Patina zu glänzen. Und mein "Abstauber" war heute dauerbesetzt, ich konnte ihm nicht einmal eine weitere Begehung abringen. Doch zurück zur Tour, um die es hier geht: durch einen Fehler (längst nicht der einzige...) im Topo wurde die Tour von Edwin Good zur 7b degradiert. Dabei munkelte man doch, die Schlusszüge hätten es in sich, und nach heutigen Massstäben könnte gar eine 7c fällig sein.

Ich hielt mich immer zurück, in die Tour einzusteigen. Die alten Kronenbohrhaken machten mir Kummer, sie waren kaum mehr als zuverlässig einzustufen. Im Jahr 2011 wurde dann in einer gelungenen Sanierungsaktion das alte Material mit soliden Inoxbolts ersetzt. Und heute kam es nun dazu, dass ich die Tour endlich einmal klettern konnte. Bis zum Schlusswulst ging es bereits im Onsight-Versuch zügig voran, nur um dann doch abgeworfen zu werden. Aber bald war die Sequenz identifiziert, und im zweiten Go ging es dann gut von der Hand :-). Eigentlich sind es ja nur 2 schlechte Griffe, die man halten muss, dann ist es schon vorüber. Dennoch, zu unterschätzen ist die Sache nicht, mit mehr wie 7b+ ist die Tour dennoch kaum einzustufen.

Dienstag, 13. März 2012

Neutour auf der Galerie - Crossroads (6c)

Heute war wahrlich ein toller fantastischer Tag zum Klettern. Für ein kleines "Verbesserungsärbetli" hatte ich die Bohrausrüstung dabei, und da war noch diese Idee, die ich schon lange in petto hatte. Ausprobiert, für gut befunden, und darum schliesslich eingebohrt. 

Um es noch etwas spannender zu machen, verrate ich hier und jetzt noch nicht, was, wie und wo. Das kommt dann in den nächsten Tagen, wenn etwas mehr Zeit zum Schreiben und Toposheet anfertigen ist. Aber ich eröffne gerne das Ratespiel, wo sich die Route befindet... soo schwierig sollte es mit dem Foto unten nicht sein. Tipps im Kommentarfeld sind herzlich willkommen.

Erste Crux, knifflige Sache.
Name und Grad der Neutour entnimmt man dem Foto unten. Der Name wird bleiben, bei der Schwierigkeit bin ich mir nicht ganz sicher. Die Rotpunktbegehung war eher vom Typ "Kampf und Krampf" - vielleicht ist die 6c eher auf der harten Seite, vielleicht war ich einfach schon etwas platt. We will see...


Montag, 12. März 2012

Oberalpstock - Staldenfirn

Unverhofft kommt oft! Während ich mit einer Pulver-Skitour in den heimischen Voralpen, oder gar nur mit einer Klettergartensession rechnete, entschied ich mich kurz vor Mitternacht, dass nun die Gelegenheit für den Staldenfirn gekommen sei. Das Angebot, mich an die von Basti zusammengestellte Tourengruppe anzuschliessen, war einfach zu verlockend. Zu bereuen gibt es aber gar nichts, knietiefer, fluffiger Powder lag vom Gipfel bis runter ins Maderanertal.

Für die wenigen, die es nicht wissen: der Staldenfirn bietet eine der am höchsten gelobten Abfahrten der Zentralschweiz, über rund 2500hm führt sie vom Oberalpstock hinunter nach Bristen im Maderanertal. Dennoch hatte ich diese Tour bis dato noch nie gemacht, zu hoch schien mir der Aufwand, nach Disentis anzureisen, mit den teuren Bahnen hochzugondeln, den eher kurzen Aufstieg zu machen und danach endlich diese Abfahrt zu geniessen. Vor allem, weil diese ja doch nur bei wirklich guten Bedingungen die versprochenen Superlative halten kann.

Diese guten Bedingungen dann auch tatsächlich anzutreffen, ist aber nicht einfach. Wegen der Beliebtheit und der leichten Zugänglichkeit ab den Disentiser Bahnen kann man davon ausgehen, dass die Tour nach einem Schönwettertag bereits komplett verspurt ist. Nun gut, dann geht man halt einfach, wenn es gerade eben geschneit hat! Nur leider geht der mit ausreichend frischem Pulver bedeckte Staldenfirn fast immer mit der Gefahrenstufe "erheblich" einher, und gemäss den Angaben in der Literatur und meiner subjektiven, bisherigen Einschätzung erachtete ich die Tour der Steilheit des Geländes wegen eigentlich als ein absolutes No-Go in diesem Fall.

Schon etwas degeneriert. Für die paar wenigen Meter zwischen den Liften wurde ein Förderband eingerichtet, so dass man zur Bergstation keinen einzigen Höhenmeter aus eigener Kraft zurücklegen muss. Gut, für etwas bezahlt man ja auch die 52 CHF. Dabei ist das Band so langsam, dass zu Fuss hochgehen, Kamera aus dem Rucksack klauben und fotografieren sogar noch schneller ist.
An unserem Tourentag war das nicht anders: das Bulletin zeigte orange, dennoch bezeugte der von Basti für seine Tourengruppe angeheuerte einheimische Bergführer die Machbarkeit, noch dazu aktuelle Unverspurtheit und beste Bedingungen. Das war natürlich Musik in meinen Ohren. Zum Glück ist Basti ein generöser Mensch und offerierte mir sofort, mich seiner Gruppe anschliessen zu können, das Administrative würde er dann schon regeln. Angemerkt sei an dieser Stelle aber, dass erheblich nicht gleich erheblich ist. Umsicht, Erfahrung und Fachwissen sind für den Entscheid zum Go auf jeden Fall erforderlich.

Somit ging es nach kurzer Nacht um 7.27 Uhr in Andermatt los, eine Stunde bis nach Disentis, in einem von Staldenfirn-Aspiranten gefüllten Zug. Bei uns wurde die Taktik für das sich abzeichnende "Rennen" zum P.3163, dem Einstieg zur Abfahrt besprochen. Mir als quasi "blindem Passagier" in der Gruppe wurde eine Assistenten- und Wasserträger-Rolle zugeteilt... Doch erst einmal galt es, sündhafte 52 CHF zu löhnen und in 4 Sektionen zum P.2770 unter dem Piz Ault zu gondeln. Immerhin, wenn man oben am letzten Lift die Karte zurückgibt, so erhält man noch 10 CHF zurück.

Dort trudelten mehr und mehr Touristen ein, welche ihre Felle aufzogen, also galt es, rasch loszukommen und Boden gutzumachen. Die erste Crux der kurze Klettersteig, welcher auf den SE-Grat des Piz Ault hochführt. Für mich hiess das 3x rauf und runter, um den Teilnehmern die Skis hochzutragen, in der Lücke Fell-Demontage-Service und schliesslich ca. 150hm Abfahrt auf den Brunnifirn. Da wird erneut angefellt, und dem Ziel zugestrebt. Für die meisten ist das am heutigen Tag ganz einfach der ominöse P.3163, Einstiegspunkt zum Staldenfirn. Für mich gibt's jedoch den Gipfelgang, es sind nur 165hm extra. Kurz etwas Tempo aufgesetzt, mehr als rechtzeitig bin ich schliesslich retour bei P.3163. Es zeigt sich, dass nebst den 3 Spuren vom Vortag bereits etwa 15 Personen vor uns die Abfahrt angetreten haben. Das ist nicht weiter schlimm, so für gute 50 Spuren bietet der Staldenfirn durchaus Raum.

Gross Düssi (3256m) - gerade ein gutes Jahr ist es her, seit ich ihn an einem absoluten Traumtag mit den Ski begehen konnte (Bericht, Bericht). Die Abfahrt steht qualitativ derjenigen über den Staldenfirn in keiner Hinsicht nach - im Gegenteil, sie ist anspruchsvoller und rassiger.
Der Einstieg auf den Firn dann problemlos, es war kein Eis und kein Bergschrund sichtbar, die Verhältnisse einfach ein Traum. Achtung, bei ungünstigen Verhältnissen kann man durchaus auf Steigeisen angewiesen sein. Vom ersten Meter weg liegt knietiefer Pulver, das Gelände hat die ideale Neigung - einfach alles wie gewünscht! Traumhang folgt auf Traumhang, am besten vielleicht der lange, konkave Hang der Gemsplanggen. Diesen würde ich lawinentechnisch als die heikelste Stelle einstufen - bis dahin übertrifft man bei geschickter Routenwahl die 30-Grad-Grenze höchsten auf kurzen Abschnitten von 20-40hm. Auch der Gemsplanggen-Hang ist viel weniger steil als die völlig überzogenen Angaben (40 Grad) aus der Literatur - die steilsten 100hm erreichen gerade eben so ideale 32 Grad. Allerdings droht, vor allem wenn man im Hang nach Westen rüber quert, von oben "Saures": das Gelände oberhalb ist sehr steil und felsdurchsetzt, eine hier abgehendes Schneebrett würde einen ins Verderben reissen. Als Pluspunkt in der Beurteilung kann man jedoch werten, dass man hier bereits weit von einer Kammlage entfernt ist.

Bis auf etwa 1700m hinab befährt man danach bei guter Schneelage weitere, sehr schöne Hänge. Danach folgt die Querung in die enge Rinne, welche zur Alp Stössi hinabführt. Das Erreichen dieses Couloirs bietet die Crux, eine exponierte, zwischen 40-45 Grad steile Querung, die häufig hart, oder gar vereist ist. Bei ungünstigen Bedingungen durchaus ein Challenge, wer hier abrutscht, kann sich durchaus lebensgefährliche Verletzungen zuziehen. Dort war auch ein (aufgerolltes) Fixseil vor Ort: bei Vereisung (und wenn es nicht kaputt oder eingeschneit ist) kann es sicher gute Dienste leisten. Bei unserer Tour war das alles null Problemo, auch dort lag nämlich Pulver, und ich befuhr die Steilstufe nicht querend, sondern gleich direkt in Kurzschwung-Technik.

Die Rinne selber bot dann etwas wilden, pulvrigen Fahrspass, bei entsprechendem Können war es aber durchaus ein Genuss - auf solchen Pisten sollten doch eigentlich Skirennen ausgetragen werden, dieses plattgewalzte Zeug ist doch todlangweilig ;-). Nur zu bald waren wir unten im Tal angelangt. Lagen bei Stössi auf 1150m noch gute 1.5m Schnee, so waren dies bei Rüteli (P.1092) nur noch ein knapper Meter, und nach Lägni, wo man auf die Sonnenseite wechselt, wurde das Weiss rapide weniger. Zuletzt, zur Brücke bei P.873 hin war bereits etwas Portage nötig. So endete unsere Tour kurz nach 13 Uhr bei der Golzerenbahn, Zeit für das Fazit.

Fazit

Wie erhofft konnte ich nach langer Zeit des Geduldens die Abfahrt über den Staldenfirn bei durchgehend allerbesten Bedingungen machen. Sie ist wirklich sehr lohnend und darf ganz bestimmt zu den Highlights der Zentralschweiz gezählt werden. Für mich persönlich, als Skitour und auch bezüglich Erlebniswert, ist aber z.B. unsere Tour zum Gross Düssi (Bericht, Bericht), oder auch zur Gross Windgällen (Bericht), in einer ganz anderen Liga. Der harte, entbehrungsreiche 2500hm-Aufstieg, die erste Spur zu legen und zu zweit alleine am Berg unterwegs zu sein ist eben schon unschlagbar toll - es gibt mir so viel mehr als dieses etwas konsumorientierte Hochgondeln, der wohl landschaftlich sehr schöne, aber gleichzeitig etwas übervölkerte Brunnifirn, etc.. Dennoch, das Erlebnis Staldenfirn war super, ich möchte es keinesfalls missen, das war jetzt ein bisschen Jammern auf sehr hohem Niveau. An dieser Stelle auch herzlichen Dank all jenen, welche die Tour für mich möglich gemacht haben.

Donnerstag, 8. März 2012

Powdertag am Mutteristock

Einmal pro Saison ist sie sicher fällig, die Tour auf den Mutteristock im Wägital - sonst könnte man noch zum Schluss kommen, dass der Winter gar nicht stattgefunden hat. Der ideale Zeitpunkt ist jeweils am ersten schönen Tag nach Neuschneefällen, wenn immer möglich wochentags. Dann hält sich der Andrang einigermassen in Grenzen, und die besten Abfahrtshänge können noch jungfräulich genossen werden.

Bei eigentlich allen anderen Skitouren schaue ich, wenn ich losgehe, nicht einmal auf die Uhr. Im besten Fall kann ich die Aufstiegszeit aufgrund der Fotos einigermassen rekonstruieren, aber eigentlich ist sie sowieso egal. Wenn ich alleine am Muttri bin, dann ist das anders. Hier ist irgendwie der Floh im Ohr, dass dieser Aufstieg möglichst schnell bewältigt werden muss. Warum auch immer, aber es ist so.

Somit bereite ich alles schön vor, drücke auf den Start-Knopf und dampfe ab. Im unteren Bereich liegt bereits erstaunlich wenig Schnee. Ein paar warme Tage noch, dann kommt man hier nicht mehr komplett mit den Skis an den Füssen durch. Auch jetzt muss ich im Wald einige Male bereits über die Steine treten. Ansonsten geht es aber trotz etwas rutschiger Spur, eine feine Pulverauflage liegt auf hartgefrorener Unterlage, zügig aufwärts.

Der Nordgrat am Ochsenchopf, eine wunderschöne T6-Route, die ich auf der Wägital-Rundtour begangen habe. Links der  zweite Aufschwung, dann die deutliche Scharte mit der Schlüsselstelle, dann der Gipfelkopf mit dem dritten Aufschwung, welcher direkt angepackt wird.
Auf der Rinderweid komme ich ans Licht, was mir gleich nochmals Schub gibt. Aber es wird auch anstrengend jetzt, einige Überholmanöver von grösseren Gruppen stehen an, so dass ich im tiefen Schnee spuren muss. Weiter oben dann, bei der Mutterihütte, gönne ich mir sogar kurz 2 Fotos, diese Motive kann ich nicht auslassen. Kurz darauf muss ich mich über 2 Schneeschuhtrampler ärgern, welche in der langen Traverse unter dem Rund Chopf die Spur total massakriert haben. Total vorsätzlich, und ich glaube nicht einmal, dass sie, ständig abrutschend, daraus einen Vorteil gezogen haben, bzw. Kraft sparen konnten.

Für mich geht's nun gegen die Torberglücke und dann über das Dach hinauf zum Gipfel. Ich spüre, wie ich langsam aber sicher stumpf werde - für meinen aktuellen Fitnessstand bin ich die Sache leicht zu schnell angegangen. Beschleunigen kann ich nicht mehr, aber ein vernünftiges Tempo aufrecht erhalten geht schon noch. Nach 1:39 bin ich schliesslich am Gipfel, sogar ein paar Minuten schneller wie letztes Jahr! Einschreiben im Buch, meinen Eintrag von der Wägital-Rundtour suchen, Umschau halten. Der Rederten Westabstieg sieht auf den Fotos immer so krass und unnahbar aus. Auch von hier macht er keinen trivialen Eindruck, aber ich erkenne meine Route haargenau und in jeder Feinheit wieder - und ich weiss, dass sie gut machbar ist. 

Puls auf 180, Zeit für ein Foto: In der N-Abfahrt am Mutteristock, prima Pulver und eindrückliche Szenerie.
Nach einer Weile mache ich mich an die Abfahrt. Ich kann die Spur Nr. 7 in die Nordabfahrt legen. Durchgehend ist noch freie Fläche vorhanden, sehr guter Pulver liegt auf kompakter Unterlage. Im Schuss geht es hinunter bis vor die Lufthütte. Weil es noch früh ist, ich sowieso schon hier bin und die Bedingungen einfach perfekt sind, beschliesse ich, nochmals anzufellen, und zum Redertengrat aufzusteigen.

In gemütlichem Tempo trotte ich hoch, ziehe oben die Felle ab, und fahre gleich wieder ab. Eine frische Brise geht nun, die Zirrenfront drückt langsam herein, und an der Sonne Skifahren macht mehr Spass. Weil meine Vorgänger ihre Spuren in einem 20m-Korridor alle schön übereinander gelegt haben, bleibt auch hier freie Fläche à discretion. Beim Zusammentreffen mit der Muttri N-Abfahrt treffe ich zufällig, aber nicht komplett unerwartet meinen Tourenkumpel Chris Moser. Wohl wissend, dass er auch im Wägital unterwegs ist, hatte ich auf eine gemeinsame Tour verzichtet - nochmals 2 Stunden früher aufzustehen um weitere fast 1000hm draufzupacken war mir für einmal zu viel der Entbehrung.

So dürfte es immer sein: vorzüglicher Schnee und viel Platz für eigene Linien in der Abfahrt vom Redertengrat.
Zusammen fahren wir weiter ab, immer noch in bestem Schnee. Etwa ab der Lufthütte spürt man langsam den kompakten Deckel unter dem Neuschnee, was aber nicht stört. Zu bald sind wir am Seeende, und kurz darauf beschliessen wir unsere Touren im Gasthaus. Gemeinsam erörtern wir das Potenzial, wie die Aufstiegszeit noch weiter reduziert werden könnte: ideal angelegte Spur, keine Überholmanöver, saubere Even Pace, minimales Gepäck und vielleicht (für mich) auch ein bisschen Lauftraining, anstatt sich allerhöchstens in der Kletterhalle an den Boulderblöcken auszutoben... Wer weiss, so liesse sich vielleicht sogar die 1:30er Schallmauer knacken. Aber weil mir die Sache schlicht und einfach nicht wirklich wichtig ist, dann vielleicht nächstes Jahr - wenn ich bis dann noch nicht zu alt bin ;-)

Mittwoch, 7. März 2012

Nachwuchsförderung in Chironico

Eigentlich ist es schon verrückt, aus der ganzen Welt reisen Leute um den halben Globus, um im Tessin bouldern zu können. Viele CH-Kletterer nehmen gar nicht so richtig wahr, was für Perlen sich da in unserem Vorgarten befinden. Mir selber geht es ganz ähnlich: vorwiegend aufs Seilklettern fokussiert, lag mein letzter Besuch an den Blöcken von Chironico auch schon wieder 2 Jahre zurück.

Der 6b+ Plattenboulder geht noch nicht ganz ohne Hilfe. Doch sobald die Hände mal an der Kante waren, ging dann die Post ab!
Nun war ich aber innert kurzer Frist gleich 2x dort: das Gebiet überzeugt durch eine moderate Anreise, sehr kurzen Zustieg und gegebene Familienfreundlichkeit. Das Highlight sind aber die Boulder - nein, eigentlich sind es keine profanen Boulder, sondern es sind Probleme! Jedes klettert sich anders, will trickreich überlistet werden, und auf engem Raum gibt es einfach alles: superathletische Dächer, runde Kanten, aber auch Wandklettereien und Plattenschleifer. Die Formen der Griffe sind vielfältig, von der positiven Minileiste bis zum grossen Sloper gibt es das ganze Spektrum - der Fels stets unverbraucht und rauh, mit hervorragender Reibung!