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Montag, 4. Juni 2012

Ohne Sauerstoff am Everest

Nachdem wir mittlerweile schon in der ersten Juniwoche sind, schliesst das Fenster für eine Begehung des Everest wieder. Da es nichts neues mehr an Tragödien und Gipfelerfolgen zu berichten gibt, verabschieden sich auch die Medien wieder aus dem Zirkus. An dieser Stelle einige Gedanken zum vieldiskutierten Bergsteigen mit und ohne Sauerstoff.

Als erstes möchte ich an dieser Stelle auf den Abschlussbericht von Ueli Steck verweisen. Wenn einer weiss, wovon er spricht, dann er! Herzliche Gratulation zur famosen Leistung, den Everest auf souveräne Art und Weise ohne die Inanspruchnahme von Flaschensauerstoff und erst noch auf eigene Faust, d.h. ohne Sherpateam bestiegen zu haben. Das ist ganz einfach sackstark. Mit seiner Aussage bzgl. einer Everest-Besteigung mit Sauerstoffflasche ist er glasklar:

Sauerstoffdepot im Lager 2 auf 6400m. Hinten der Lhotse. Bild: uelisteck.ch

"Das Resultat ist beeindruckend: nimmt man auf dem Gipfel 2 Liter pro Minute Sauerstoff aus der Flasche um auszuruhen, ist das wie wenn man sich im Basislager aufhält. Das heisst: es ist, als ob man sich auf einer Höhe von 5300 Meter befindet. Unter Belastung ist es etwas weniger krass. Aber wenn man beobachtet, dass die meisten am Gipfeltag 4 Liter pro Minute Englische Luft - wie die Sherpas früher den Flaschensauerstoff nannten - aus der Flasche atmen, so belegt es ziemlich genau Reinhold Messners Behauptung: man steigt eigentlich auf einen 6000er. Ziemlich genau 6500 Meter."

Ein Gipfelgang am Everest mit vs. ohne Flasche ist also nicht vergleichbar, da braucht es keine Diskussion darüber. Interessant ist dann aber der folgende Satz von Ueli Steck:

"Ich wechselte die Batterien von meiner Schuhheizung. Das System ist einfach genial: Ich hatte immer schön warme Füsse und auch warme Hände. Ist ja gar nicht so schlimm das Höhenbergsteigen...."

Man stelle sich jetzt vor, der Himalaya-Bergsteiger Joe Normalo würze seinen Abschlussbericht der Everest-Besteigung mit der folgenden Aussage: 

"Ich wechselte meine Sauerstoffflasche. Das System ist einfach genial: ich hatte immer genügend Luft, und auch schön warme Füsse und Hände. Ist ja gar nicht so schlimm das  Höhenbergsteigen...."

Sowohl die Schuhheizung wie auch die Sauerstoffflasche sind technische Hilfsmittel, dank denen der Mensch den Gipfel einfacher und mit geringeren Risiken für die eigene Gesundheit erreichen kann. Natürlich sind es nicht die einzigen, die am Everest zum Einsatz kommen. Brennstoff aus der Kartusche zum Kochen bzw. Schneeschmelzen wird von ausnahmslos allen Aspiranten verwendet - und dabei ist es auch ganz einfach Gas aus einem Behälter, wie der künstliche Sauerstoff auch. Ist die Unterscheidung zwischen mitgenommenem Gas zum Atmen und mitgenommenem Gas zum Kochen nun eine wesentliche, oder ist das beides dasselbe? 

Materialtransport im Khumbu: die Träger arbeiten im Akkord, 5 x 25kg Zementsäcke habe ich mit eigenen Augen gesehen!
Wenn man einmal bedenkt, wie viele weitere Hilfsmittel zum Einsatz kommen, so ergibt sich eine lange Liste: Zelte, Daunenanzüge, Schlafsäcke, .... Und wer hat denn den Everest wirklich aus eigener Kraft erreicht? Kaum einer ist ohne Hilfe eines Flugzeugs in die Region gelangt, hat Strassen benützt, in Lodges übernachtet, usw.. Kurzum: während also eine Unmenge an künstlichen Hilfsmitteln ganz selbstverständlich eingesetzt werden, ist der Einsatz von Flaschensauerstoff verpönt. Das mag bei objektiver Betrachtung absurd erscheinen, aber so sind halt die Regeln in diesem Spiel. Wir, beim Sportklettern, unterwerfen uns ja auch dem Rotpunktdiktat, obwohl die Expresschlingen ganz famose Griffe hergeben würden - eigentlich ebenso absurd, aber: kein Spiel ohne Regeln.

In den Medien, bei Kommentatoren und Beobachtern hat sich in den letzten Wochen zu sehr eine Fokussierung auf das Thema Flaschensauerstoff durchgesetzt. Nicht jeder, der die Flasche benützt, ist ein unfähiger Tourist, und längst nicht jedermann wäre fähig, den Everest mit künstlichem Sauerstoff zu erreichen: Zeit, Einsatz, Risikobereitschaft, Fitness und Zähigkeit braucht es allemal. Beim Fingerzeigen sollte man sowieso vorsichtig sein: wann hast Du das letzte Mal einen Berg (und sei es nur ein 4000er) bestiegen, ohne fremde Hilfe in Anspruch zu nehmen: z.B. durch Speis und Trank, welches mittels Helikoptern hinaufgeflogen wurde, mit Unterkünften, die auch irgendwann von Dritten erbaut wurden, mit fixen Sicherungen, welche zuvor von einer Art "Sherpa-Team" angebracht wurden? Durch Zuhilfenahme von Bergbahnen, ja gar solchen wie die Bahn aufs Jungfraujoch oder die Aiguille du Midi, welche einen direkt ins Hochgebirge bringen?

Ich war auch mal da, nicht für den Everest allerdings. Ausser ein paar Akklimatisationsbergen habe ich aber keine grossen Stricke zerrissen, die Zeit wurde vor allem mit hartnäckigem Kranksein, Warten, Jassen und immerhin der einen oder anderen Bouldersession über die Runden gebracht. Auf diesem Trip hätte ich es, obwohl ansonsten topfit, auch mit Flaschensauerstoff und einem noch so grossen Sherpa-Team niemals nur in die Nähe des Everest-Gipfels gebracht. Hinten übrigens die Ama Dablam.
Hier ein Versuch, für mich sinnvolle Regeln zum Höhenbergsteigen aufzustellen, welche dann sinngemäss auch in den Alpen und anderswo angewandt werden können:

  • Künstliche Hilfsmittel werden sowieso in grosser Anzahl verwendet. Also macht es Sinn, sie gleich generell zu erlauben. Daher ist grundsätzlich auch gegen die Verwendung von Flaschensauerstoff nichts einzuwenden.
  • Ab dem Basislager (bzw. der Hütte) wird auf Hilfe von Dritten verzichtet. Wird der Berg nicht im Alpinstil bestiegen, so muss das Material eigens in die Hochlager transportiert werden. Allfällig bereits vorhandene Einrichtungen (permanente Fixseile, Haken, Sicherungsstangen, Biwakschachteln, ...) dürfen aber benutzt werden.

Auch wenn ich da nicht hingehen werde, ich würde den Everest sicher mit Sauerstoff in Angriff nehmen, aber versuchen, oberhalb des Basislagers selbständig zu operieren. Eine Begehung "ohne" ist sportlich sicher höher zu werten, aus meiner Sicht ist es aber kein muss, um eine gültige Besteigung geltend machen zu können.

1 Kommentar:

  1. Hallo Marcel
    Deine Ausführungen zum Einsatz von technischen Hilfmitteln finde ich sehr lesenswert. Darüber liesse sich wohl endlos diskutieren. Ein Beispiel meinerseits: Im Yosemite-Klassiker "Sons of Yesterday" 5.10a kämpften wir uns ohne Tape durch die verdammt glatten Faustrisse. Ein Kanadier vor uns stieg wie an einer Leiter durch diesen Riss hoch. Ich staunte nur noch, bemerkte dann aber am Stand, dass er spezielle, profillose Gummihandschuh, ähnlich einem Kletterfinken, trug!! Nu kann man sich fragen, sollte man für eine saubere Begehung nicht auch barfuss unterwegs sein? Du siehst: es hört nie auf, wenn man über einen sauberen Stil diskutiert. Nochmals herzlichen Dank für die Anregung und viel Glück im Fels.

    Liebe Grüsse

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