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Mittwoch, 21. August 2013

Zuestoll - Solitaire (7a, 10 SL, Erstbegehung)

Hinweis vom 14.6.2021: Der Deckel der Wandbuchdose hat leider das Zeitliche gesegnet (das Buch selber ist z.Z. noch intakt)! Vielleicht ergibt es sich ja, dass jemand eine neue Dose oder einen Deckel mitnimmt. Material könnte bei mir bezogen werden, bzw. ich kann Infos geben was in die Verankerung passt (--> mdettling@bluewin.ch). 

Die 7 Churfirsten zwischen Walensee und Toggenburg sind mit ihrer pultartigen Struktur ein besonderes und einprägsames Gebirge. Den Kletterer sprechen dabei natürlich die steilen Südwände an. Es handelt sich um ein landschaftlich sehr eindrückliches Gebiet, das fantastische Tiefblicke offeriert. Auch wenn der Fels leider nicht an allen 7 Gipfeln von bester Qualität ist, so finden sich dennoch zahlreiche lohnende Kletterfahrten. Der Gipfel in der Mitte, der Zuestoll, bietet dabei die schönste und homogenste Wand. Seine steilen Routen in meist hervorragendem Kalk werden oft begangen und können punkto Erlebniswert und Kletterei mit Wendenstöcken und Rätikon mithalten.

Die Zuestoll-Südwand nimmt dabei in meiner Kletterkarriere einen besonderen Platz ein. Schon früh wurde ich in den eher abenteuerlichen Tippel Tappel mitgenommen, bald darauf war die Chico Mendez meine erste, steile alpine Sportkletterroute im Grad 7a. Jahr für Jahr statteten wir der Wand unsere Besuche ab, so dass ich eine um die andere Route kennenlernen konnte. Ein für mich wichtiges Kapitel konnte ich anno 2009 mit der Rotpunkt-Begehung der Chico Mendez abschliessen. Dafür aber ging auch ein neues auf: die Idee für eine Neutour durch den zentralen Teil der Wand hatte sich nach und nach herauskristallisiert. Allerdings dauerte es dann doch noch bis im Frühling 2011, bis ich der Sache auf den Grund ging. Beim Abseilen über die Wand, unter Benützung bereits vorhandener Stände, konnte ich mich von der Qualität und Machbarkeit der Linie überzeugen. Zum Haken setzen bin ich an diesem Tag nicht mehr gekommen, doch 2 Tage später wurde das Projekt gestartet.

Die Südwände von Brisi (links) und Zuestoll (rechts). Bild von HBT @ hikr.org.
Einerseits aus der Überzeugung heraus, hier genau meine Linie in meinem Stil erschliessen zu wollen, andererseits in Ermangelung an geduldigen und alpintauglichen PartnerInnen, die hier nur zum Sichern mitkommen wollten, reifte die Idee, die Route im Alleingang einzurichten. Das mag verwegen tönen, ist aber schliesslich halb so schlimm. Selbstverständlich wird dabei seriös gesichert - dank doppelter und dreifacher Redundanz ist das Risiko in diesem Stil womöglich sogar geringer als in Seilschaft. Zu meinem Vorteil war natürlich die Tatsache, die aktuelle Vortriebsstelle jeweils bequem vom Gipfel her kommend erreichen zu können, und so auch bereits Kenntnis über den weiteren Verlauf bzw. Rhythmus und Schwierigkeiten der Route zu haben. Gebohrt wurden die Haken im selbstgesicherten Vorstieg, zumeist aus der Kletterstellung, eher selten einmal unter Zuhilfenahme eines Cliffhangers.

Nochmals ein Blick auf die ebenmässige Zuestoll-Südwand. Fantastisches Klettergelände!
Mit Anfahrt, Zustieg und den ganzen Seilmanövern war mein Vorankommen natürlich höchst eingeschränkt und es gelang mir kaum, an einem Tag mehr als eine Seillänge zu erschliessen. Und wie es dann so geht, mit anderen Prioritäten, Projekten und Schlechtwetter zog die Zeit ins Land. Über 2¼ Jahre verstrichen schliesslich, bis ich die letzten Haken einbohren konnte. Schon tags darauf wurde dann zur Rotpunkt-Begehung geschritten. Unsere Freunde Manuela & Basti wollten parallel die Alte Süd begehen. Nach zweimaligem Besuch von Grosseltern, um alle Kinder in Obhut zu geben, wurde es schliesslich 11.15 Uhr, bis wir am Einstieg bereit waren. Ich war natürlich super gespannt, die ganze Tour einmal komplett und relaxt mit bereits montierten Bohrhaken begehen zu können. Andererseits spürte ich auch einen gewissen Druck, ja keine Fehler zu machen. Schliesslich kommt man hier oben nicht alle Tage für einen Rotpunkt-Versuch vorbei, und um in den Seillängen zweite, dritte und vierte Go’s anzubringen war die Zeit knapp, denn ich wollte ja meine Freunde nicht warten lassen, zudem waren für den Abend auch einige Schauer angesagt.

Routenverlauf mit Schwierigkeitsgraden
SL 1, 40m, 3a: der Vorbau ist den meisten Südwandrouten gemeinsam. In etwas grasigem, nicht immer zu 100% solidem Fels geht es hinauf auf den Pfeiler. Während man hier früher mit 1 BH und 1 NH auskommen musste, stecken seit den Sanierungen der Südwandrouten nun 5 BH, so dass es deutlich weniger herb ist.

SL 2, 25m, 6b: nach wenigen noch etwas rustikalen Metern geht es los. Erst steile Kletterei an Löchern und sonstigen coolen Griffformen, welche auf eine Platte überleiten. Die Reibung dort hervorragend, so dass man sich auf kleinen Noppen, Löchlein und Leistlein höher schieben kann. Hier dürften je nach Talent für solche Kletterei ziemliche unterschiedliche Bewertungen ausfallen. Schwerer wie 6b nach Plattenmassstäben ist’s aber kaum.

Kompakte Plattenkletterei in SL 2 (6b).
SL 3, 20m, 7a: vom Stand weg hinauf einem Riss entlang, der durch die Platte zieht. Nach einem Rastpunkt an dessen Ende zieht man an Untergriffen anstrengend nach rechts hinaus, die Füsse per Gegendruck auf der Platte. Mit zwei, drei weiten Moves leitet man die entscheidende Passage über den Wulst hinauf ein, an ein paar Seitgriffen und mit guter Fussarbeit wird er überwunden. Ich denke, dass diese SL eine leichte 7a sein könnte, womöglich ist es auch nur 6c+, vermutlich aber nicht sehr onsightfreundlich.

In der Crux von SL 3 (7a)
SL 4, 20m, 6c: nach kurzem Auftakt wartet ein 1m-Dach: ist der Henkel einmal gefunden, bietet es sich ideal zum Cliffhanger-Stunt an. Dabei aber nicht zu viele Kräfte verschiessen, denn es wartet nochmals eine knifflige Stelle. Nach dem nächsten BH klettert man nicht in die etwas unschöne Verschneidung hinein, sondern links hinaus auf die Platte (den nächsten BH kann man nur von dort klippen, die Kletterei ist auch nicht schwerer!). Zuletzt ein athletischer Wulst und kurze Querung nach links. In Summe gibt das 6c, oder vielleicht auch nur 6b+?!?

Am 1m-Dach in SL 4 (6c), die optimale Stelle für eine Cliffhanger-Pose
SL 5, 30m, 6b+: vom Stand weg wasserzerfressenen Fels nützend hoch, dabei ist bis unters erste Dach hoch eine knifflige Stelle zu überwinden. Dann griffig über dieses Dach hinweg und unter den nächsten, steilen Wulst hoch. Hier die athletische Crux, gewusst wie geht die gar nicht schlecht, sie hat aber auch Sackgasse-Potential. Hat man diese Stelle geschafft, geht es in gerader Linie weiter, nochmals steil aber gutgriffig und für einmal etwas kühner. Ich schlage 6b+ vor, unter Umständen mit Tendenz zu mehr.

Kathrin folgt im oberen Teil von SL 5 (6b+)
SL 6, 25m, 6c: einige einfache Meter führen zum schmalen Band, wo die 'Alte Süd' gequert wird. Danach geht's gleich zackig-athletisch los, in der leicht überhängenden Wand benützt man erst Seit- und Untergriffe, danach eine Rissspur in der seichten Verschneidung. Zuletzt dann eine kleine Zusatzaufgabe in bestem Fels nach links hinaus - wäre doch schade, wenn man hier ins Gemüse der 'Alten Süd' auskneifen würde, möglich wäre es aber. Durchaus etwas fordernd, daher Vorschlag 6c, solide.

Bester Fels in SL 6 (6c), der Stand dann auf einem bequemen Grasband.
SL 7, 35m, 6b: hier ist man nun auf der Höhe der 'fantastischen grauen Mauer' der Chico Mendez. Und diese Seillänge 10m daneben ist wohl (fast?!) ebenso gut. Die Kletterei hier für einmal von eher technischer Natur und nicht besonders kraftraubend. Könnte man auch als 6a+ bewerten, wenn da nicht die coole Stelle am letzten BH wäre. Man kann sie vermutlich (weniger schön!) links umgehen, was ich aber nicht empfehlen würde.

Super Kletterei in SL 7 (6b), Kathrin klettert hier die finale Crux dieser Länge so wie es gedacht ist.
SL 8, 35m, 6c: es wartet eine stark überhängende, athletisch-ausdauernde Passage. Erst grossgriffig, dann an Untergriffen und entlang von einem griffigen Riss gewinnt man an Höhe. Nach kurzem Verschnaufen nochmals kurz steil, dann mal fein und schliesslich erstaunlich einfach rechts der Chico-Mendez-Cruxzone vorbei. Ganz am Schluss in einfacher Kletterei nach rechts an den Stand, hier auf 2-3m nicht ganz bombiger Fels. Vermutlich eine solide 6c.

Unterwegs in SL 8 (6c). Bis auf die allerletzten Meter eine geniale Seillänge.
SL 9, 40m, 6b: nicht nur zum Stand hin, auch vom Stand weg ist der Fels über ein paar Meter nicht von bester Qualität, aber doch griffig, genügend solid und problemlos. Aber bald ist's wieder einwandfrei. Über einen Henkel-Wulst hinweg gewinnt man schliesslich die Verschneidung, wo es einfacher dahin geht, bevor zum Schluss noch eine senkrechte Platte wartet. Die einfachste Linie grüsst hier kurz den 'Patriot', man kann es aber auch direkt klettern.

Kurz vor dem Ausstieg in SL 9 (6b), die Tiefblicke zum Walensee sind fantastisch!
SL 10, 25m, 5b: zum Gipfel ist es nun nicht mehr weit, und rechtshaltend über Schrofen (T6, 3a) wäre man auch bald da. Direkt voraus ist aber auch noch ein Wändchen aus dem Kalksandstein der Garschella-Formation. Dieses ist jetzt nicht superduper, aber meiner Meinung nach dennoch eine nette, gut kletterbare Länge und damit der lohnendste Weg, um zum Gipfel zu gelangen.

Zum Schluss noch das Wändchen über die Garschella-Formation: SL 10 (5b)
Um 16.15 Uhr hatten wir den Gipfel erreicht. Das mit der Rotpunktbegehung hatte bestens geklappt :-), somit war das Projekt bis auf das Zeichnen des Topos und das Schreiben des Berichts abgeschlossen. Nach einem Vesper hielten wir uns nicht lange auf und machten uns auf den Fussabstieg über den Nordrücken, die Kinder warteten ja schliesslich schon auf uns.

Facts

Zuestoll - Solitaire 7a (6b obl.) - 10 SL, 295m - Marcel Dettling 2011-2013 - ****; xxxx
Material: 10 Express, Keile und Friends nicht nötig

Tolle alpine Sportklettertour mit direkter Linie zum Gipfel, die sehr gut und vollständig mit Inox-Bohrhaken abgesichert ist. Es überwiegt steile, griffig-athletische Kletterei bei homogener Schwierigkeit, plattige Passagen sind rar. Der Fels ist generell rauh, griffig und von bester Qualität. Das Topo zur Route kann man hier downloaden.

Ab sofort kann man sich auf den Weg in die Solitaire machen!
Wissenswertes

  • Zustieg: den Einstieg erreicht man am besten von der Palisnideri, d.h. dem Sattel zwischen Zuestoll und Brisi, indem man auf exponierten Bändern horizontal durch die Wand quert (T5, 15min ab Palisnideri, die heikelsten Stellen sind mit BH und Fixseilen ausgerüstet). Zur Palisnideri gelangt man über nicht bzw. nur teilweise markierte Bergpfade entweder von Süden, d.h. Schrina Hochrugg P.1290 (T5, 75-90min) oder bequemer von Norden, d.h. von Langlitten P. 1579 auf der Alp Selamatt (T4, 45-60min, 10 CHF Taxe für die Zufahrt per Auto).
Die Querung über die Bänder zum Einstieg ist krass exponiert, aber gut gesichert und daher eigentlich problemlos.
  • Abseilen über die Route: ist problemlos möglich! Es geht sogar mit nur 1x70m-Seil, allerdings muss dann jeder Stand benützt werden. Mit 2x60m-Seilen gelangt man hingegen in nur 5 gestreckten Manövern (Stände 10/8/6/4/1) wieder zurück zum Einstieg. Natürlich kann man auch mit 2x50m-Seilen wieder über die Route zum Einstieg gelangen, allerdings ist dann je nach Alter bzw. Länge/Dehnbarkeit des Seils und der Bereitschaft dieses bis zum letzten Zentimeter auszunützen die Nutzung von weiteren Standplätzen notwendig.
  • Andere Abseilstrecken: falls in der Route noch Gegenverkehr herrscht, so empfiehlt sich natürlich die Benutzung einer anderen Abseilroute. Dafür existieren gleich mehrere Möglichkeiten: 1) direkt vom Gipfel via Chico Mendez und einige separate Abseilstände (Topo), 2) etwa 15m westlich vom Gipfel im Bereich der Route Zauberspiegel (Topo) und 3) gibt es natürlich noch viele weitere 'Freestyle'-Möglichkeiten, die zahlreichen Standplätze in der Wand zu einer Abseilroute zu kombinieren.
  • Taktik: für die meisten ist der Zugang von Norden am schnellsten und bequemsten. In diesem Fall kann man das Gear gleich beim Parkplatz montieren, läuft zum Einstieg, klettert inklusive der Zustiegsschuhe durch die Wand und steigt dann über den Wanderweg auf dem Nordrücken ab. Oder: doch einen Rucksack/Haulbag für Schuhe/Kleidung etc. mitnehmen und am Hilfsseil aufziehen, was in der steilen Wand gut möglich ist. Nachsteigen mit schwerem Rucksack ist in dieser steilen Route jedenfalls sicher wenig genussvoll. Steigt man von Süden her zu und muss nach dem Klettern zurück zur Palisnideri, so ist es am schnellsten und bequemsten, am Einstieg ein Depot zu machen und über die Wand abzuseilen.
Anstatt abzuseilen, kann man auch gemütlich über den Nordrücken zurück in Richtung Selamatt wandern.
  • Vergleich zur Chico Mendez: jene Route ist ja der Sportkletterklassiker in der Wand, ist sicher vielen bekannt und verläuft gleich nebenan. Felsqualität und Kletterei sind in der Solitaire ebenbürtig, die Absicherung einen Tick besser. Die Schwierigkeiten sind in der Solitaire homogener im 6bc-Bereich, während man in der Chico Mendez auch über längere Teilstücke im Bereich 6ab klettert. Zudem ist die Solitaire steiler und athletischer, was sich auch in der Crux auswirkt: die 7a der Solitaire ist für viele bestimmt deutlich zugänglicher als die kleingriffige Balance-Schlüsselstelle der Chico Mendez.  
  • Die hier vorgeschlagenen Bewertungen sind der Konsens von 4 Personen: neben meiner selbst sind dies Kathrin, und das erste Wiederholerteam Dani/Ilja. Während ich 190cm bin, ist Dani <170cm, Kathrin und Ilja sind beide knapp 180cm. Die Bewertungen haben natürlich nicht den Anspruch, zu 100% korrekt zu sein. Trotzdem sei gesagt, dass wir alle +/- zur gleichen Einschätzung kamen. Es ist übrigens so, dass Dani die Route problemlos onsight klettern und auch alle Bohrhaken gut einhängen konnte - dies nur um allfälligen Kommentaren in Richtung Körpergrösse vorzubeugen.
  • Mein Tourenpartner Hans hat einen schönen Bildbericht zur 5. Begehung der Route geschrieben. Er beschreibt zwei Ausbrüche, welche meiner Meinung nach dem Faktor 'Pech' zuzuordnen sind. Der Fels ist in diesen zwei Seillängen (wie auch im ganzen Rest der Route, mit Ausnahme der kurzen, einfachen Zone bei Stand 8) sehr kompakt, und Ausbrüche sind auch ohne jegliche Vorsichtsmassnahmen beim Klettern sehr unwahrscheinlich. Den erwähnten Griff in SL 2 habe ich übrigens nie benutzt - ich denke, die einfachste Sequenz an jener Stelle kommt ohne diese Schuppe links aussen aus. 
  • Der erwähnte Bericht von Hans hat dann einen anonymen Schreiberling dazu veranlasst, auf gipfelbuch.ch einen negativ gefärbten Eintrag zu verfassen, welcher ohne jede Grundlage ist. Der dort erwähnte Versuch hat mit allergrösster Wahrscheinlichkeit nie stattgefunden. Folgende Indizien sprechen dafür: a) von der Erstbegehung bis zum Tag des Eintrags gab es genau 3 Tage mit trockenem, für den Zuestoll tauglichem Wetter. An jedem dieser Tage war eine Seilschaft in der Solitaire unterwegs, welche mir danach Bericht erstattet hat. Der abgebrochene Versuch wurde nie beobachtet. b) hätte der Autor die Route Zauberspiegel tatsächlich begangen, dann wüsste er, dass dafür weder Friends noch Keile nötig sind, bzw. überhaupt erst eingesetzt werden können. Brauchte man diese früher noch für den Ein- und Ausstieg über die Neue Süd, sind sie seit deren Sanierung nun vollkommen obsolet. c) befinden sich natürlich weder im Gipfel- noch Wandbuch Hinweise auf die erwähnte Zauberspiegel-Begehung. Mein Fazit: es handelt sich um einen Eintrag, der frei erfunden wurde, jeder Grundlage entbehrt und nur verfasst wurde, um mir ans Bein zu treten.  
Kreuzungspunkt mit der Alten Süd, das Timing ideal für den Handshake!
Topo

Das ausführliche Topo mit allen Detail-Informationen steht hier als PDF-Download zur Verfügung: klick!



Hiermit wünsche ich allen Wiederholern viel Spass! Ich freue mich natürlich über jede gelungene Begehung der Route!!!

Montag, 12. August 2013

Drei Zinnen - Hasse Brandler (7a+)

Die Direttissima in der Nordwand der Grossen Zinne: bereits 1958 wurde sie von einem deutschen Team unter dem Antrieb von Dieter Hasse erstbegangen. Eine solche historische und begehrte Linie hat man als Alpinkletterer unweigerlich auf seinem Radar. Schliesslich ist die Wand ein äusserst eindrückliches Gemäuer: vom Einstieg bis zum Ausstieg auf dem Ringband 500m hoch und dabei ganze 20m überhängend, Flachstücke und Platten sucht man vergebens! Lange Zeit schien sie mir aber mit den auf 8+ oder 6+/A2 angegebenen Schwierigkeiten und einer Absicherung fast ohne Bohrhaken ins Reich der kühnen Träume zu gehören. Nachdem ich nun über Jahre Erfahrung gesammelt hatte und ich mich auch einige Male in den Dolomiten herumgetrieben hatte war schliesslich klar, dass die Tour in den Bereich des für mich Möglichen gerückt war.

Wandfoto mit dem exakten Verlauf der Route, (c) by Markus Stadler
Mein überhaupt erster Besuch an den Drei Zinnen lag erst 2.5 Wochen zurück. Die ebenfalls sehr eindrückliche 'Ötzi trifft Yeti' hatte ich zusammen mit Kathrin geklettert. Auch wenn es logisch war, dass ich noch so gerne bald wieder hierher zurückkehren würde, so hätte ich nicht gedacht, dass es nur eine solch kurze Zeit später wäre. Doch als die Anfrage von Tobias kam, welcher diesen Sommer u.a. schon alpine Klettertouren der allerhöchsten Abenteuerklasse wie den Herrmann Buhl Gedächtnisweg an der Rotwand oder die Niedermann/Abderhalden in der N-Wand des Scheideggwetterhorns geklettert hat, da gab es kein Halten. Touren dieser Grössenordnung müssen geklettert werden, wenn der Mix von Bedingungen, Partner und verfügbarer Zeit passt, ansonsten bleiben sie auf ewig kühne Träume.

Das hiess allerdings auch, dass mir ein relativ enges Zeitfenster von einem einzigen Ferientag zur Verfügung stand. So machten wir uns nach getaner Arbeit auf Richtung Südtirol. Den heftigen Gewittern in der Schweiz konnten wir ostwärts haltend gerade so davonfahren. Die Südalpen blieben glücklicherweise komplett verschont davon, so dass wir nach dem Brenner eine geniale Abendstimmung genossen. Schliesslich erreichten wir nach einem Pizza-Znacht die Parkplätze beim Rifugio Auronzo, wo wir uns bei schönstem Sternenhimmel direkt neben dem Auto aufs Ohr legten. Um 4.10 Uhr war Tagwache, um 4.40 Uhr marschierten wir los. Trotzt nicht allzu viel Schlaf fühlte ich mich voller Energie, höchst motiviert und mit 100%iger Zuversicht für das, was uns bevorsteht. 

Yours truly unterwegs in der noch einfacher zweiten SL, vierter Grad.
Der Zustieg auf den breiten Wegen am Rifugio Lavaredo vorbei zum Paternsattel war natürlich völlig problemlos. Dort erwachte der Tag langsam, wir stiegen dem Rücken entlang etwas gegen die kleinste Zinne auf und querten dann auf Steigspuren im Geröll unter die Nordwand der grossen Zinne. Am Wandfuss waren bereits Stirnlampen auszumachen, auch in den Geröllhalden darunter wuselten die Lichter herum. Als wir um 5.20 Uhr am Einstieg der Hasse Brandler standen, war dieser aber glücklicherweise noch verwaist, die anderen Seilschaften aspirierten alle auf die einfachere Comici (6b). Sie sollte im Laufe des Tages von einer wahren, 9 Seilschaften umfassenden Perlenkette begangen werden, wobei sich an den Standplätzen immer wieder Menschentrauben bildeten. Weil das Tageslicht bereits ausreichend war, trödelten wir nicht lange herum, seilten uns an, montierten das Gear komplett und stiegen um 5.30 Uhr ein.

Teil 1, SL 1-8, unterer gelber Teil.

Dieser erste Teil bietet sehr schöne, athletische und kompromisslos senkrechte Kletterei an gelbem Fels mit Leisten und Löchern. Mehrere kleine Dächlein wollen passiert werden, die Schwierigkeiten sind recht anhaltend im siebten Grad. Da aber alles gut freizuklettern ist und die Seillängen zudem nicht allzu lang, kommt man hier zügig voran. Insgesamt eine super schöne Genusskletterei zum Auftakt der Route.

Während der Start entlang dem Pfeilerriss eindeutig ist, bestehen für den ersten Standplatz und die Linie zum Ende von SL 1 und zu Beginn von SL 2 diverse Möglichkeiten. Wir landeten schliesslich mehr oder weniger ganz oben auf dem Pfeiler. Hier sollte man sich nicht in die direkt weiter führende Sachsendirettissima verkoffern, sondern muss links abbiegen. Wir mussten in SL 2 gar wieder etwas abklettern, was aber problemlos und schnell ging. Ein direktes Hinausqueren vor dem Pfeilergipfel wäre sicher möglich, aber nicht zwingend schneller, und ganz bestimmt nicht einfacher.

Danach wartet das erste 6c-Dach mit sehr schöner Kletterei an Leisten und Löchern, diese 3. SL ist mit 4 BH und etlichen NH bestens abgesichert. Die nächste, kurze Verbindungslänge (SL 4, 5b) ist deutlich weniger banal, wie man meinen könnte. Und gleich danach geht es wieder zur Sache: SL 5 (6b+) klettert sich super und ist auch gut gesichert. Dennoch, wegen einiger fehlender Rostgurken ist die Crux hier obligatorisch zu klettern. Danach (SL 6, 6b) klettert man fast ein ‚S‘, vorausschauende Seilführung ist empfehlenswert. Die Crux an ein paar Leisten ist cool und gleich beim BH. In SL 7 (6b) klettert man erst einfach nach links hinaus, dann will eine kurze Boulderstelle an Seit- und Untergriffen überlistet werden, bevor man über eine vibrierende Schuppe und einfacheres Gelände zum Stand klettert. An dieser Schuppe hätte ich mir bei einer Erstbegehung oder sehr selten begangenen Route sicher grosse Sorgen gemacht. Da hier aber alle drüber müssen und die Route viel Verkehr sieht, war ich mir ziemlich gewiss, dass sie halten wird. In SL 8 (4a) folgt dann eine Horizontaltraverse nach links unter die überhängende Riesentreppe. Dabei muss wiederum etwas abgeklettert werden.

Im Vorstieg an der ersten schweren Stelle, das 6c-Dach in SL 3. Diese SL ist mit 4 BH und ein paar NH super gesichert.
Tobias folgt in eben dieser SL 3 (6c). Unten auf dem Pfad am Wandfuss viel Betrieb. Und ständig die Rufe "siete Comici?"
Aufgrund vom Aussehen schwer zu glauben, es ist aber tatsächlich SL 4, irgendwas um 5bc rum. Kein Geschenk.
Yours truly ebenda (SL 4, 5bc) im Nachstieg. Gut zu sehen die Massierung von Personen am Comici-Einstieg.
Vorstieg in SL 5, ca. 6b+. Diese hat wegen fehlenden NH eine Passage 6b obl., die aber mit BH gut gesichert ist.
Nun Tobias im Nachstieg in SL 5. Die Situation unten am Comici-Einstieg gegenüber vorher noch immer unverändert.
Querung hinüber zur Boulderstelle in SL 7 (6b). Einfach super Kletterei in super Position!
Teil 2, SL 9-13, die überhängende Riesentreppe

Dieser zweite Teil bietet das Herzstück mit den Cruxlängen der Route. In stark überhängendem Gelände folgt man einer Verschneidungs- bzw. Rissreihe, wobei man mehrere Dächer unterqueren muss. Dies macht eben den Anschein einer überhängenden Riesentreppe. Die Kletterei ist selbstverständlich sehr athletisch, dafür aber meist an grossen Griffen, so dass sich diese SL alle im achten Grad abspielen. Leider ist dieser Teil oft feucht oder gar total nass, was die Anforderungen noch weiter erhöhen kann. Da aber sehr viele NH (von oft dubioser Qualität) stecken, kann über weite Strecken (wenn nötig) auch hakentechnisch geklettert werden.

Na dann wollen wir mal schauen: ich starte in SL 9 (7a), welche vorerst einmal noch gutmütig beginnt. Etwas unvorsichtig „überlebe“ ich den Ausbruch einer Leiste für die rechte Hand, dank guter Position kann ich mich knapp vor dem Abkippen stabilisieren. So heisst es tief durchatmen und weiter. Drei überhängende Treppenstufen wollen überwunden werden, wobei es mit jeder ein bisschen schwieriger wird. An der letzten die Crux hinauf zum Hängestand (der einzige, alle anderen sind wirklich bequem!) mit athletischer Leistenzerrerei. Während sich diese SL nur stellenweise feucht bzw. nass präsentiert hatte und für mich gut zu onsighten war, schien die nächste, noch steilere und schwerere 10. SL (7a+) nun total nass zu sein. Hinzu kommt, dass die flachen und auch noch mit Magnesia zugepappten Leisten und Henkel im eher glatten Zinnenfels bei Nässe schmierig und schwer zu halten sind, bzw. man sie nur schwer kontrolliert halten kann und auch plötzlich rausflutschen kann. Hier traue ich mir ein kontrolliertes, freies Klettern (und vor allem Einhängen der Sicherungen!) nicht wirklich zu und schicke Tobias zum Techno-Basteln vor. Ich würde dann im Nachstieg voll angreifen können und mir so die Option für eine vollständig freie Begehung der Wand erhalten. So weit der Plan, leider ging er nicht auf: schwer und nass war es auch mit Seil von oben, dazu der Rucksack und das Aushängen der Sicherungen, Friends und Keile rausklauben, dafür hatte ich den Saft leider nicht.

Die folgende SL 11 (7a+) schien wieder trockener zu sein. Sie sieht nicht mehr ganz so steil aus, was aber täuscht! In athletisch-henkliger Ausdauerkletterei gewinnt man hier an Höhe, die Crux ungefähr in der Mitte, wo man bereits angeplättet einem weiten Zug nach rechts an einen guten Henkel machen und danach noch etwas dranbleiben muss. Zwar waren auch hier einige Griffe etwas feucht, dennoch konnte ich diese SL gut klettern. Und ich behielt auch für SL 12 (7a) gleich noch die Führung. Der Auftakt sieht steil aus (und ist es auch), danach sollte es dann gemäss Topo etwas nachlassen. Mit sehr athletischen Gegendruck-Zügen will ein Dach an einem Riss umklettert werden, danach heisst es an Henkeln dranbleiben. Hier lief ich dann bereits etwas auf Reserve, konnte aber auch hier noch sauber onsight durchziehen. Dies trug mir, man glaubt es kaum, einen Szenenapplaus von den Beobachtern aus der Comici ein. An deren überfüllten Standplätzen waren nämlich etliche Seilschaften am Warten, und von dort hat man beste Sicht auf das Geschehen in den Cruxlängen der Hasse-Brandler. Tja, da fühlt man sich gleich als kleiner Held! Mit dem Erreichen des Standes nach SL 12 sind die nominell grössten Schwierigkeiten vorbei. Ich zähle aber die einfachere SL 13 (5c) auch noch zu diesem Teil. Sie führt hinauf (zuletzt eher links halten) zum Biwakband (tatsächlich prima Biwakplatz) mit dem Wandbuch. Dieses war im August 2012 ersetzt worden, somit blieb es uns verwehrt, die Einträge heutiger und früherer Klettergrössen anzuschauen und zu fotografieren.

Auftakt zur ersten Seillänge an der überhängenden Riesentreppe (SL 9, vielleicht knapp 7a).
Und irgendwann klebst Du oben an der Decke. Der Stand nach SL 9 ist der einzige, der nicht so bequem ist.
Gegenperspektive, Tobias steigt SL 9 (7a) nach. Steilheit und Exponiertheit kommen nicht wirklich rüber.
Nun ist er dran: Techno-Bastelei mit Fifi und teilweise Keilen und Friends in der leider sehr nassen SL 10 (7a+).
Gegenperspektive aus SL 10. Hier gilt schwarz = nass = sehr 'schliferig'.
Yours truly versuchts dann im Nachstieg durchzusteigen. Hat mit meinem Können bei Nässe und mit Gepäck nicht gereicht.
Dann die Attacke auf den steilen Riss von SL 11 (7a+). Schwerer und steiler wie es aussieht, dafür henklig. Aber teilweise feucht.
Zum Stand hin von SL 11 (7a+) dann sogar noch einige Meter, wo man etwas entspannen kann. Dafür sehr luftig.
Start in SL 12 (7a) mit nochmals steilem, wildem Gelände. Auch zu berücksichtigen: der Gurt mit 20 Exen, Klemmzeugs, Schuhen und Jacke wiegt mit über 10kg Gewicht arg schwer. Dann bei jedem Klippen noch schön überlegen, wie am besten verlängert wird, dass der Seilverlauf gut ist, etc.. Somit also was ganz anderes wie eine 7a in Klettergarten oder Halle.
Abschluss vom steilen Teil, Tobias folgt kurz vor dem Biwakband.
Teil 3, SL 14-18, Ausstiegskamine

Am Biwakband stecken die letzten BH, ab dort hat man sich durch nominell einfacheres Gelände mit klassischer Kletterei an Rissen, Verschneidungen und in Kaminen zum Ausstieg durchzuschlagen. Auch wenn man hier immer noch zahlreiche NH antrifft, so dann doch in deutlich geringerer Zahl als davor. Die Kletterei verbleibt zudem steil und oft auch athletisch, und dolomitentypisch sind die klassischen 5c-Stellen eben gar nicht so viel (wenn überhaupt) einfacher als die 6b-Wandstellen an Leisten und Löchern. Der Fels wechselt etwas seinen Charakter, ist nun nicht mehr gelb, sondern grau oder dunkel. Immer noch ist er aber meist fest, auch dieser Ausstiegsteil ist meines Erachtens genussreich zu klettern.

Weiter geht es mit SL 14 (6a+): erst noch gemütlich der gelben Verschneidung entlang, dann gar nicht so einfach über den dunklen Überhang hinweg. Standmöglichkeiten gibt es nach 30m, 40m und 50m, alle von ähnlicher Qualität (Platz zum Stehen, 3-4 NH, Möglichkeit zur Verstärkung). Tobias klettert dann dem tiefen Riss entlang weiter (SL 15, 5c+), bis er unter einem Kamin zum Stoppen kommt. Der Kamin (SL 16, 6a) ist tief fast wie eine Schlucht, düster, moosig und nass. Da soll ich hoch? Wir prüfen unsere zahlreichen Topos und erhalten keine präzise Antwort. Mir ist der Weg über die linke Begrenzungskante doch deutlich sympathischer. Deren Schwierigkeit lässt sich aber von unten nicht genau einschätzen und zudem stecken auch keine Haken. 

Schliesslich entdecke ich noch etwas weiter links in der Wand 2 BH. Ich habe noch nie etwas von einer Tour hier durch gelesen, also keine Ahnung, was die hier machen. Auf jeden Fall klettere ich mal hoch (heikel, Sturz auf Band möglich). Im zweiten BH ist ein (Umkehr)karabiner, danach kommt nämlich nichts mehr. So gesichert quere ich dann auf Höhe des 1. BH 10m nach rechts zur Begrenzungskante des Kamins, und da dann rauf (geht gut, 5. Grad). Oben in der Nische dann Möglichkeit zum Stand. Für Tobias braucht’s dann einige Seilmanöver, um hier nachzusteigen und wir lassen noch etwas Zeit liegen. Nun sind es noch ca. 60m bis zum Ringband. Nur mit 50m-Seilen ausgerüstet wird das nicht reichen und simultanes klettern bei schlechten Sicherungen und zuletzt auch etwas losem Geröll vor dem Ringband ist sicher nicht schlau. So gibt es nochmals zwei Seillängen im vierten und fünften Grad. Um 14.15 Uhr sind wir beide am Ringband, 8:45 Stunden nach dem Start.

Die gelbe Verschneidung zum Start von SL 14 (ca. 6a+), oben wartet noch ein schwarzer Überhang.
Typisches Gelände im oberen Teil, tiefe Risse und Kamine. Hier führt SL 15 (ca. 5c) entlang.
Beim nassig-moosigen Kamin vor lauter Schreck kein Foto gemacht, hier sind wir schon drüber weg. Ist's noch weit?
Letzte Kamineinlage in SL 18, in den Dolomiten ist das wohl nur ein Dreier.
Am Top, d.h. auf dem Ringband angekommen, nach 8:45 Stunden Kletterzeit. 
Gipfel und Abstieg

Am Ringband ist die Tour (für die meisten) zu Ende. Eigentlich gäbe es noch 3 weitere SL, die in schuttigen Kaminen durch die Nordwand zum Gipfel führen. Da aber unisono davon abgeraten wird, verzichten auch wir darauf. Auf dem Ringband gehen wir im Uhrzeigersinn auf die Südseite und wollen dort noch über den Normalweg auf den Gipfel. Von der Stelle am Ringband wo der Abstieg startet muss man doch noch ordentlich nach Westen halten (mind. 100m). Wir steigen etwas zu früh hinauf, doch das Gelände ist hier überall gangbar und wir treffen schliesslich auf den Normalweg. Vor dem Gipfel muss noch ein etwas glatter Kamin (III) und ein Überhänglein mit origineller Stelle (IV-) überwunden werden. Da diese Stellen nur kurz sind und zudem nicht sehr exponiert, steigen wir hier mit Zustiegsschuhen und seilfrei. Um 14.45 Uhr sind wir schliesslich beim Gipfelkreuz und können mit einem Handshake den Erfolg feiern.

Nach einer Weile machen wir uns auf den Abstieg. Bis aufs Ringband gelangen wir gut ohne Seilhilfe. Beim Normalweg seilen wir erst einmal 2x20m und 1x50m an BH in einem tiefen, schluchtähnlichen Kamin ab, um die Steilzone hinter uns zu bringen. Danach wird abgeklettert, die optimale Linie ist dabei gar nicht einfach zu erkennen. Allerdings ist das Gelände auch ziemlich beliebig und es spielt keine Rolle, ob man 20m weiter links oder rechts unterwegs ist. Es muss aber überall im Grad II geklettert werden! Weiter unten ist dann die Linieführung des besten Abstiegs zwingend zu finden. Man hält sich nur kurz etwas links eine Rinne hinunter, um dann eine Scharte zu gewinnen, wo es auf die SW-Seite wieder steil runter geht. Hier abseilen oder steil und exponiert abklettern (II-III). 

Auf dem Ringband laufen wir um den Berg herum auf die Südseite.
Crux im Gipfelaufstieg, ein glatter Kamin mit einer Dreierstelle. Ist gut seilfrei machbar.
Yippieyeah, das Top ist erreicht. Nachdem unsere Begehung vom Salbit Westgrat ohne das Kunststücklein auf der Gipfelnadel in ihrer Gültigkeit angezweifelt wurde (siehe Kommentare), lassen wir hier nun nix mehr anbrennen :-)
Hier massieren sich die Leute. Mit einer Gruppe von 8 Personen ohne viel Bergerfahrung auf dem Normalweg der Grossen Zinne, welch ein Vergnügen muss das für den Führer sein! Wir wollen nicht ewig auf deren in Zeitlupe geschehenden Manöver warten und belasten in einem freien Moment unbemerkt rasch deren Seil zum Festhalten beim Abklettern einer Steilstufe, hehe.... So erreichen wir die nächste Scharte, wo man zurück auf die Ostseite wechselt. In einer schluchtähnlichen Rinne geht es erst recht steil hinunter, wir seilen nochmals 2x25m ab. Zum Glück sind viele Stände vorhanden, so dass wir auch hier die Massierung von blockierten Personen rasch passieren können. Unglaublich aber wahr, während wir beide zwei 25m-Abseiler inkl. Seilhandling bewältigt haben, hat die mit Abseilen beschäftigte Person der Gruppe (ohne jegliche Behinderung durch uns oder andere) nicht mal 1x50m Abseilen geschafft! Nach etwas Abklettern dann im Abstiegssinn links auf ein Band, und bald steht man in der Schlucht zwischen Grosser und Kleiner Zinne. Der Altschnee in der Schlucht stellt kein Problem mehr dar, wir surfen das Geröll und sind bald bei der Kapelle, etwa eine Stunde hat uns der Abstieg gekostet.

Raschen Schrittes geht es zurück zum Rifugio Auronzo zum Tourenabschlussgetränk. Wir verladen unseren Krempel und setzten uns ins Automobil. An der Mautschranke müssen wir den Geldbeutel zücken, 33 Euro kostet der Spass, Wahnsinn! Da sind Pizza und Getränk im selben Lokal wie am Vortag mit 20 Euro für zwei Personen doch deutlich preiswerter. Zuletzt wartet dann noch etwas Fleissarbeit mit der langen Heimfahrt, zum Glück sind die Strassen frei. Aber noch deutlich vor Mitternacht komme ich ins Bett, am nächsten Tag bin ich bereits wieder an der Arbeit.

Abseilen durch die steile Schlucht unterhalb vom Ringband.
Und wieder zurück auf sicherem Boden. Von links Westliche Zinne, Grosse Zinne und Kleine Zinne. 
Facts

Grosse Zinne Nordwand - Hasse Brandler oder Direttissima 7a+ (6b obl.) - 18 SL, 580m - D. Hasse et al. 1958 - *****; xxx
Material: 20 Express, Klemmkeile 4-9, Camalots 0.3-3

Grandioser Klassiker im alpinen Zirkus Maximus, der aber heute meistens über weite Strecken freigeklettert wird und dank seinem Charakter sowie den zahlreich steckenden NH durchaus auf gewisse Weise das Flair einer modernen alpinen Sportklettertour hat. 

Wissenswertes

  • Während Ambiente und Nimbus dieser Tour ganz klar die 5* verdienen, gibt es bei der Routenschönheit an sich auch einige Abstriche. Abzug gibt es für die leider fast immer nassen und so total schlonzigen Schlüsselpassagen und die eher schrottige Absicherung mit NH, welche ein ständiges Einhängen, Verlängern, Basteln etc. bedingt. Auch der Fels ist nicht immer ganz perfekt, in der Summe aber fest, kletterfreundlich und gut. Insgesamt sicher eine Tour, die man geklettert haben muss!
  • Meine übliche, auf BH-gesicherte Touren gemünzte Bewertung bzgl. der Absicherung ist hier natürlich schwer anzuwenden. Rein von der Menge der Haken in den schweren Seillängen (>=6b) kann man xxxxx geben, dafür handelt es sich auch vornehmlich um schlechte NH. Bis zum Biwakband steckt an jedem Stand 1 neuer BH und pro SL jeweils auch 1-2 Stück, welche das Gefahrenpotential limitieren. In den einfacheren SL hat es immer noch recht viele NH (bzgl. Menge ungefähr xxxx), und immer wieder kann man auch gute Klemmgeräte oder Keile hinzulegen, wenn man will. Somit gebe ich insgesamt xxx.
  • Ein Rückzug aus der Tour ist wegen der Steilheit und der traversierenden Linie sicher nicht einfach, aber schon machbar falls nötig. Oberhalb vom Biwakband ist die Linie wohl direkt, dafür aber sind die NH-Stände spartanisch. Die Dachzone wird sich mit etwas Pendeln, Sicherungen einhängen und einem langen Abseiler an den Stand vor dem Quergang (SL 7) bewältigen lassen. Ab dort kann man dann über das direkter verlaufende 'Phantom der Zinne' runter. Und auch aus dem ersten Routenteil kommt man sicher wieder auf den Boden.
  • Mit etwas Können sollte man also nicht in der Route blockiert werden. Ansonsten ist eine Rettung gerade im steilen Teil alles andere als einfach. Im Pustertal gibt es aber entsprechende Profis, welche dies draufhaben, siehe Berichte (1,2). Am Ausstieg auf dem Ringband steckt (wohl von Rettungen) ein 'Nest' von 9 BH, und auch auf dem Biwakband gibt es noch einige weitere. Erwähnenswert in punkto Rettung ist vielleicht auch, dass man in der ganzen Wand Handyempfang hat.
  • Trotz allem ist es aber sinnvoll, sich nur bei besten Wetterbedingungen auf dieses Unternehmen einzulassen. Gerade aus Süden und Westen aufziehende Gewitter kann man in der Wand unmöglich erkennen und bemerkt diese erst, wenn es bereits zu spät ist. Zuverlässige Infos zum Wetter vor Ort erhält man auf diesen Seiten: klick und klack. Um die Kletterei genussreich zu gestalten, sollte es im Tal schon über 30 Grad sein, bzw. auf 3000m Höhe auch noch 10 Grad. Wir hatten da grosses Glück, nie gab es kalte Finger oder Zehen, und ein leichter Faserpelzpulli war genug der Bekleidung.
  • Bei einer solch bekannten Tour gibt es auf dem Netz natürlich fast unzählig viele Berichte von der Tour. Schön zu lesen ist derjenige bei alpin.de (Link), nützlich auch derjenige von bergsteigen.com (Link). An dieser Stelle sorry an alle, die ich hier jetzt nicht erwähnt habe. Topos gibt es ebenso unzählige, wobei die Schwierigkeitsangaben von Version zu Version leicht anders sind. Aber eigentlich reicht es zu wissen, dass der erste Teil +/- 6b ist, der zweite Teil +/- 7a und der dritte +/- 5c und klassisch. Ist man einmal am zweiten Stand angelangt (bis hierher gibt es keine ganz klare Linie und auch ein exaktes Topo hilft nix), wird man den Weg dank dem zahlreich steckenden Material auch nicht mehr verfehlen. Als Topo zu empfehlen sind aber sicher das Wandbild von Markus Stadler und das Topo von bergsteigen.com und erst recht das selbstgezeichnete Topo, welches Julius Kerscher im August 2016 auf dem Alpinkletterstammtisch bei Facebook veröffentlicht hat (Download). Gut eingezeichnet ist der Routenverlauf auch in der Toposkizze im Buch 'Dolomiten: Routen und Erlebnisse' von Ivo Rabanser. Der Beitrag über die historischen Dimensionen der Tour in jenem Buch ist auch sonst sehr empfehlenswert. Für den Abstieg hilfreich kann dieses Topo des Normalwegs sein.
  • Zur Beliebtheit der Tour vielleicht noch folgende Richtgrösse: im 2013 wurde die Saison erst am 26.7. eröffnet (das Frühjahr war sehr nass und es lag lange Schnee). In den rund 10 Tagen bis zu unserer Begehung gab es bei idealem Wetter dann 22 Begehungen, im Schnitt also mehr als 2 pro Tag. Somit muss man bei perfekten Bedingungen damit rechnen, dass mindestens 1-3 weitere Seilschaften am Start stehen, am Weekend eher noch mehr. Da mit Ausnahme der ersten zwei SL ist ein Überholen kaum realistisch ist, sollte man diesen Faktor womöglich in die Tourenplanung mit einbeziehen.
Schweizer Seilschaft (wir haben's gehört!) in der Demuth-Kante an der Westlichen Zinne.
Geschichte & Quo Vadis, Hasse Brandler?

Wie man z.B. im Buch 'Dolomiten: Routen und Erlebnisse' von Ivo Rabanser nachlesen kann, bestand das Erstbegeher-Team aus Elbsandstein-Kletterer aus Sachsen. Der Kopf dieser Gruppe, Dieter Hasse, sah die Tour zeitgenössisch als eine Art 'Sportroute' an. Sämtliche Haken wurden stecken gelassen, sie sollten den Massstab für künftige Begeher festlegen. Eingerichtet wurde die Tour damals angeblich mit 140 NH und 7 BH. Diese 'üppige' Absicherung sorgte damals für Lob wie Kritik, gleichzeitig war sie aber sicher mit ein Grund, warum diese für die damalige Zeit extrem anspruchsvolle Tour sofort mehrere Wiederholungen erhielt.

In den Dolomiten ist ja die Verwendung von BH allgemein (wobei sich dies in Neutouren schon stark gebessert hat), und erst recht die Sanierung von Klassikern mit BH ein grosses Politikum. Bezüglich der Hasse Brandler mag es geradezu paradox anmuten, dass ausgerechnet Alexander Huber im Zuge seiner Freesolo-Begehung der Route jeden Stand (bis zum Biwakband) mit einem BH aufpeppte, und auch als Zwischensicherung jeweils an den 1-2 schwersten Stellen pro Seillänge einen setzte. Natürlich sind diese BH den meisten Begehern höchst willkommen und sorgen auch für Sicherheit. Seilschaftsabstürze und das sturzbedingte Ausnageln ganzer SL sind so mit hoher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen.

Anstelle der ursprünglich gesetzten, rund 150 Haken, welche den Massstab definieren sollten, stecken nun heute viel mehr. Ich schätze, dass es rund doppelt so viele sind. An jedem Stand im Schnitt etwa 4-5 Stück, in den schweren SL dann 20-25, in den einfacheren ungefähr 10. Die meisten davon halten wahrscheinlich nicht viel und sind arg altersschwach, einige gute Exemplare mag es auch geben. Das Klettern an diesem Schrott (immer wieder einhängen, abbinden, verlängern, 20 Exen mitführen, dennoch Seilzug...) gestaltet sich schlicht und einfach weniger genussreich, als wenn die Tour vernünftig mit BH abgesichert wäre.

Alt und neu: an den Ständen hat's bis zum Biwakband jeweils 1 BH, sowie viele alte, rostige NH.
Aus meiner Sicht wäre es ob dem Hintergrund der Route (sie wurde ja als 'Sportroute' erstbegangen) der sinnvollste Approach, den ganzen, alten Schrott auszuräumen und auf dem Niveau von 6b obligatorisch (was heute schon der Fall ist!) mit soliden BH abzusichern. Im unteren 6b-Teil wären das so ca. 4-5 Stück pro Länge, im steilen Teil vielleicht 8-10. In den Ausstiegslängen könnte man pro Stand 1-2 BH geben und den gut absicherbaren Rest zum grössten Teil clean belassen. Für mich wäre somit der Charakter der Tour mindestens so gut erhalten wie mit dem ganzen Müll heutzutage.

Falls diese Zeilen jemandem aufstossen sollten, und er den Respekt vor den Erstbegehern vermisst. Als erstes muss man bedenken, dass wir heute sowieso nicht mehr dieselbe Tour wie früher klettern: mit Kletterfinken, Magnesia und Klemmgeräten, der brüchige Fels ausgeputzt. Perfekte Wetterberichte, ständiger Handykontakt in die weite Welt inklusive Internet, rasche Rückzugsmöglichkeit (auch dank dem 'Phantom'), Bergrettung mit Helikoptern und schliesslich stecken mindestens doppelt so viele NH wie früher. 

Zweitens habe ich einen enormen Respekt vor den Erstbegehern und ihren damaligen Leistungen, ihrer Kühnheit, der Geduld, dem Aufwand und schon nur der Tatsache, 150 Haken an den Wandfuss zu schleppen! Im Gegensatz zu vielen anderen Kletterern interessiere ich mich sehr für die alpine Geschichte. Ich glaube, dass wir mit dem Schreiben, Kaufen und Lesen von Büchern und Artikeln über die damaligen Geschehnisse viel mehr Erinnerung und Respekt an die Erstbegeher zollen können, als indem wir ihr altes Material und ihre Touren verrotten lassen oder uns daran hochfürchten. Zumal dann ja wie beschrieben die Tour auch bezüglich Hakenanzahl weit weg vom Zustand ist, den die Erstbegeher hinterlassen haben. Aus diesem Grund würde ich eine massvolle Sanierung der Tour mit BH, inklusive dem Ausräumen des alten Materials und dem Beibehalten von problemlos selbst abzusichernden Stellen begrüssen.


Dienstag, 6. August 2013

Eiger Nordwand - Löcherspiel (6b)

Rasch spitzte ich meine Ohren, als ich hörte, dass Anika & Dani einen Klettertrip an den Eiger planen. Bei der warmen und stabilen Wetterlage hatte ich nämlich selbst schon damit geliebäugelt, meinem Projekt in der Nordwand einen Besuch abzustatten. Wir vereinbarten, dass ich sie am ersten Tag im Löcherspiel (8 SL, 6b) begleiten würde. Am zweiten Tag dann planten sie die Chant du Cygne (24 SL, 7a), welche ich bereits 12 Jahre zuvor hatte klettern können. Da würde ich mich dann an die Erstbegehungsarbeit meiner zukünftigen Route Adam & Evi machen.

Hinweis: die Route wurde nach unserer Begehung im Jahr 2018 saniert, dabei mit vielen zusätzlichen Bohrhaken besser abgesichert und am Ende mit 2 weiteren Seillängen ergänzt. Dieser Bericht beschreibt die aktuelle Situation also nur noch teilweise akkurat. Ein Topo der neuen Variante findet man hier.

Frühmorgendlich reisten wir an, nahmen den ersten Zug um 7.25 Uhr ab Grindelwald Grund und fuhren bis zur Station Eigergletscher. In 10-15 Minuten gelangt man von dort über den Eigertrail unter die Wand. Hier wollten wir biwakieren und deponierten dementsprechend die dazu notwendigen Utensilien. Danach geht's hinauf Richtung dem Klettersteig am Rotstock. Diesem folgt man über den ersten, steilen Aufschwung, welcher mit einigen Leitern überwunden wird. Für Alpinisten und Kletterer ist eine Sicherung dabei nicht zwingend notwendig. Bei der ersten Verflachung benutzt man die erste Möglichkeit, um den Klettersteig zu verlassen und nach links (Osten) auf Bändern in die Wand hinauszuqueren.

'Ortsplan' der westlichen Eiger Nordwand mit Routenverlauf.
Diese Bänder sind von Geröll übersät und recht gut begehbar, dennoch aber ziemlich exponiert. Der Weg ist durch das Gelände vorgegeben, nach einer Weile trifft man dann auch auf Fixseile. Diese leiten einen erst zu zwei Routen, die weder in der Literatur noch in einschlägigen Internetquellen verzeichnet sind. Während es sich bei der einen um ein aufgegebenes (?) oder zumindest vernachlässigtes (?) Projekt handeln dürfte, sieht die andere fertig aus (Nachtrag vom 28.9.2016: die fertig aussehende Linie ist ebenfalls noch im Projektstatus und wurde von Robert Jasper eingerichtet). Tiptop ist sie mit Inox-BH abgesichert, die Kletterei sieht steil, schwer und spannend aus. Wäre schon toll, einmal etwas darüber zu erfahren. Solche Linien sollen ja schliesslich nicht brach liegen, sondern geklettert werden.

Zustieg auf den typischen Eigerbändern. Eigentlich problemlos, exponiert ist es trotzdem.
Für das Löcherspiel muss man dann allerdings noch etwas weiter nach links gehen und noch auf eine Art Vorbau bzw. höhere Schuttterrasse aufsteigen (immer noch dem Fixseil entlang). Der Einstieg befindet sich unmittelbar links des höchsten Punkts von diesem Vorbau. Aktuell endet das Fixseil am Einstieg, bzw. am in 2m Höhe steckenden roten NH, dessen Farbe mit gutem Willen noch knapp erkennbar ist. Weitere fixe Sicherungen wollen dann aber mit einer Rastersuche per Fernglas identifiziert werden... der erste BH steckt auf jeden Fall hoch, ist aber grundsätzlich vom Einstieg aus erkennbar. Vom Eigergletscher muss man etwa 45 Minuten kalkulieren, um hierher zu gelangen. Wir haben und nicht beeilt und die Eindrücke in der Eigerwand ausgiebig auf uns wirken lassen. Darum legt Dani erst nach 10.30 Uhr mit dem Vorstieg los. Kaum hat er vom Boden abgehoben, kommt Extrem-Alpinist Robert J. mit einem Lacoste-Freizeitschüeli tragenden Gast daher. Die beiden wollen auch ins Löcherspiel - doch wegen zweier Geröllbänder in der Route verträgt es nicht wirklich zwei Seilschaften, weshalb sie murrend das Weite suchen.

'Stand, chasch cho!'. Es stecken zwar einige solide BH, die Sicherungssituation ist aber schon manchmal prekär.
SL 1, 45m, 6a: Der Auftakt schon recht steil, aber mit griffiger Wandkletterei und daher easy (ca. 5bc). Die Sicherungsabstände sind aber sehr weit, und dazulegen kann man eigentlich nichts. Nach dem dritten und letzten BH beginnt dann das Business. Man muss unter bzw. in die nach links ziehende Verschneidung gelangen, was doch schon einige beherzte Züge an kleinen Leisten verlangt. Für 6a sicher nicht geschenkt, immerhin kann man, wenn man einmal in der Verschneidung drin ist, mit Cams recht gut absichern. Der Stand dann nur an 1 BH, lässt sich aber gut mit Friends/Keilen verstärken.

Der Start in SL 1 bereits steil und weit gesichert, aber noch easy, ca. 5bc.
SL 2, 35m, 6a: Vom Stand weg nach rechts in die Verschneidung zurück. Der steile, etwas moosig aussehende Riss lässt böses vermuten. Gemäss Topo muss man dieses System irgendwo nach rechts verlassen. Ob das jetzt vor oder nach dem Riss zu sein hat, darüber bleibt man im Unklaren. In der Praxis ist es so, dass davor wohl möglich aber sehr kühn und suboptimal abgesichert wäre. Danach erfordert das Klettern dieses unangenehmen Risses und sorgt für sehr ungünstigen Seilverlauf. Also wählen wir eine Variante in der Mitte. Danach kühn an der rechten Kante aufwärts, irgendwann kommt dann wieder mal ein BH, ein Sturz davor würde wohl mit schwersten Verletzungen enden. Zuletzt dann immer noch steil, aber etwas einfacher hoch zum Stand in der Doppelnische mit 2 BH.

Die 2. SL ist sehr kühn, hier die Querung nach rechts raus zwischen den beiden Absätzen, was uns der einfachste Weg schien.
SL 3, 40m, 6a: Etwas linkshaltend hoch in schöner, griffiger Wandkletterei, um dann mit einer Traverse nach rechts (hier kurze feuchte Stelle) in einfacheres Gelände auszusteigen. Man folgt dann einfacher einem ansetzenden Verschneidungs-/Kaminsystem ziemlich weit, bis zum Stand an BH und sehr dünner Sanduhr. Irgendwie fühlte sich diese Länge nun doch etwas weniger streng als die ersten beiden an.

Erneut kühne, aber doch schön griffige, steile Wandkletterei in SL 3 (6a). 
SL 4, 45m, 6b: In sehr schöner Wandkletterei an griffigen Leisten und ein paar Löchern zieht die Route hier kühn in die linke Wand hinaus. Die Absicherung mit 4 BH hier zwar immer noch weit, aber für einmal als knapp genügend zu bezeichnen. Nur nach dem letzten BH wartet ein weiter Runout zum Stand hinauf, der erst ganz zuletzt mit einem Cam entschärft werden kann.

Sieht fast gleich aus wie zuvor, ist aber bereits SL 4 (6b). Wiederum tolle Wandkletterei an Löchern und Leisten.
Nachstieg in SL 4 (6b). Die Kappe unter dem Helm ist übrigens keineswegs verkehrt, wir hatten alle eine auf.
SL 5, 50m: Nun gilt es, die Schuttzone zum oberen Wandteil zu traversieren. Es handelt sich wirklich um einen grausamen 'Gschirrlade', einfach absolut unmöglich, hier keine Steine in die Tiefe zu schicken. Hält sich der Vorsteiger etwas links, so werden wenigstens die Personen am Stand kaum behelligt. Im oberen Wandteil muss man die markante Verschneidungs-/Kaminrinne rechts anpeilen. An deren Fuss steckt ein NH, welcher mit Cams/Keilen aufgebessert werden kann.

Anika im 'Gschirrlade' von SL 5. Der Schutt ist dermassen labil, dass man unweigerlich Steine auslösen wird.
Sicht auf den oberen Wandteil mit dem Routenverlauf in den SL 6 und 7. Der Ausstieg (SL 8) ist verdeckt.
SL 6, 40m, 5c+: Auf dem Topo steht 'expo', dies liegt daran, dass in dieser SL keine fixen Sicherungen vorhanden sind. Die ersten ca. 12m bewältigt man im Verschneidungssystem (prima absicherbar). Dieses verengt sich kurz kaminähnlich und wird dann wieder offener. An dieser Stelle klettert man kühn in die linke Wand hinaus und folgt den erst sehr guten Löchern. Nach einer Weile wird dann der Stand (2 BH) sichtbar und dient als Fixpunkt. Die Kletterei ist eigentlich nirgendwo wirklich schwer, aber doch sehr kühn. Absichern muss man mit Cams in den Löchern, die alle nach aussen etwas offen sind. Wie viel diese Sicherungen zu halten vermögen? Man probiert es wohl besser nicht mit einem Sturz aus.

Durch diese kaminartige Verschneidung klettert man in SL 6 erst ca. 12m hinauf...
...und quert dann in kühner, aber schöner Lochkletterei nach links in die Wand hinaus. Fixe Sicherungen hat es keine!
SL 7, 40m, 6b: Sehr kühne SL mit spezieller Jojo-Linienführung. Den ersten BH klettert man bevorzugt untenrum an, hängt ihn ein und steigt gleich wieder etwas ab, um auch den zweiten BH untenrum anzuklettern. Ist dieser geklippt heisst es dann 'gredi obsi'. Zum Stand sind es noch 20m, die Wandkletterei an Leisten ist jetzt nicht mega schwer aber doch anhaltend und vor allem scheinen die Schüpplein hier durchaus etwas fragiler, so dass man sich nicht wie ein Elefant im Porzellanladen bewegen sollte. Ein paar Löcher nehmen auf diesem Teilstück schlechte Cams auf. Am Stand dann 1 BH, und Möglichkeit für weitere schlechte Cams in Löchern.

Dani in der Jojo-Seillänge 7 (6b). Die Absicherung ziemlich frei, ebenso frei ist man in der Interpretation der Linie...
Sicht hinauf zum Genfer Pfeiler, wo sich die Deep Blue Sea befindet. Die Fixseile des Notausstiegs vom Band am Genfer Pfeiler sind erkennbar.
SL 8, 55m, 6a: Vom Stand weg klettert man auf einer Art Pfeiler, mit 2 BH ist es recht gut abgesichert, dafür aber auch ziemlich schwer für den Grad. Vor allem der sloprige Ausstieg auf die Terrassen ob dem Pfeiler. Hier ist nochmals eine kurze Geröllzone zu durchqueren (Vorsicht!). Eigentlich sollte sich hier auch ein Stand befinden, wohl aber ohne fixes Material. Unser Vorsteiger hat ihn nicht auffinden können, und auch die 4 Augen der Nachsteiger haben ihn nicht entdeckt. Mit 60m-Seilen kann man aber direkt bis zum Ausstieg klettern. Dafür nimmt man die rechte, teilweise fast kaminartige Verschneidung, welche zur deutlichen Scharte im Grat zielt. Auf der SW-Seite befindet sich ein BH zum Nachnehmen. Für einen zweiten wäre das Loch da, mehr aber nicht.

Der Pfeiler zu Beginn von SL 8 (6a) mit 2 BH gut gesichert, aber für 6a alles andere als easy!
In diese Scharte führt die Route hoch. Irgendwo an dieser Stelle wäre gemäss Topo noch ein Stand, der allerdings nicht auffindbar war.
Wir hatten es nicht eilig und liessen uns beim Klettern dementsprechend Zeit. Wirklich schnell kommt man in dieser Tour mit der häufig etwas heiklen, schlecht abgesicherten Kletterei aber auch nicht vorwärts. So war es doch schon 17.45 Uhr geworden, bis wir alle am Top waren. Für den Abstieg muss man am Ausstiegs-BH erst ein paar Meter abseilen, und steigt dann über die schuttigen Platten ab (T5). Der Rückweg zum Wandfuss bzw. zu unserem  Biwak erfolgt dann entweder via die Station Eigergletscher, oder schneller, indem man über den Klettersteig Rotstock absteigt.

Anika auf den letzten Metern zum Top, unten der zweite, etwas weniger heikle 'Gschirrlade'.
Nach einem etwas schmalen Nachtessen legten wir uns bald zur Ruhe, schliesslich würde der Wecker bereits bei Tagesanbruch wieder schellen. Dani und Anika machten sich auf in die Chant du Cygne, welche sie in einer Zeit von gut 12 Stunden durchsteigen konnten. Die Route war im Wesentlichen trocken und wies gute Verhältnisse auf. Ich hingegen machte mich im Projekt an die Arbeit. Diese war von Erfolg gekrönt, konnte ich doch am Tagesende auf einen Fortschritt von 70 Klettermetern und 2 ganzen Seillängen zurückblicken. Die eine bietet überhängende Ausdauerkletterei an Henkeln, die andere die für die Zone typische Kletterei an Löchern, beide in prima Fels. Somit sind am Projekt nun 5 Seillängen komplett. Bis zum Ende der Route fehlen noch ein paar und es steht in den Sternen, ob der Rest noch im 2013 gelingen wird. Schliesslich muss für einen Besuch bestes, warmes, gewitterfreies Bergwetter herrschen und die Anreise ist nicht eben kurz. Spätestens im nächsten Sommer sollte es dann aber soweit sein.

Am Ausstieg der Route, es gilt dann kurz südseitig abzuseilen.
Tiefblick auf den Westgrat, Rotstock und Kleine Scheidegg. Schon eine absolut tolle Gegend da!
Facts

Eiger Nordwand - Löcherspiel 6b (6b expo obl.) - 8 SL, 350m - Anker/Gruber 1988 - ***; x(x)
Material: 10-12 Express, Klemmkeile 4-9, Camalots 0.3-3, evtl. zweiter Satz Camalots 0.3-3

Schöne, aber abenteuerliche Kletterei mit homogenen Schwierigkeiten. Die fixe Absicherung ist ungenügend (Niveau x) und erfordert auf jeden Fall Eigeninitiative, sowohl beim Klettern wie auch an den Ständen. Dies ist aber nicht immer gut möglich und längere Runouts über etwas unsicheren Friends sind einzukalkulieren. Der Fels ist zumeist von guter bis sehr guter Qualität, mit kletterfreundlicher Struktur. Neben Löchern in allen Grössen (vom Einfingerloch bis zur Körpernische) gibt es auch viele griffige, positive Leisten, welche die 300m hohe Wand zum Genuss machen.

Stimmungsbild aus meinem Projekt, den Rest lasse ich jetzt mal noch im Dunkeln. Auf jeden Fall wird es eine tolle, gut abgesicherte und gut zugängliche Eigertour geben!
Wissenswertes

  • Ein Rückzug aus der Route ist nicht unmöglich, aber eher schwierig zu bewerkstelligen. Keiner der Stände ist zum Abseilen eingerichtet und oft steckt nur 1 BH. Allerdings soll man über die Geröllterrasse in Wandmitte nach Westen ausqueren können, was die Ernsthaftigkeit etwas abmildert.
  • Die 6a-Längen empfand ich zum Teil als eher hart bewertet. Summa summarum sind eigentlich alle Seillängen ähnlich schwer. Wohl übersteigen die Anforderungen ein 6b nicht, dafür sollte man dieses auch im quasi 'free solo mode' klettern können.
  • Um am Eiger auf fast 3000m Höhe im Schatten genussreich klettern zu können, sollten entsprechende Temperaturen herrschen. Das heisst >30 Grad im Flachland, bzw. eine Nullgradgrenze oberhalb von 4000m. Warme Kleidung mitzuführen ist dennoch nicht verkehrt, die Sonne sieht man erst am Ausstieg wieder.
  • Ein Topo zur Route findet man im SAC-Führer Berner Alpen 4. Da ich es auf dem Internet, versehen mit einigen Zusatzanmerkungen, habe finden können (klick), stelle ich es an dieser Stelle ebenfalls zur Verfügung. Wenn ich dann wieder etwas mehr Zeit habe, werde ich selber noch eine Toposkizze anfertigen und hier publizieren.
  • Im Abstieg von dieser Route befindet man sich im Gefahrenbereich des grossen Hängegletschers, der immer wieder Brocken abwirft. Daher ist ein Abstieg über den Klettersteig Rotstock keine dumme Idee. Man kommt so auch wieder in der Nähe des Einstiegs vorbei und kann ein allfälliges Depot aufheben. Mein Beitrag gibt noch mehr Hinweise.

Die absolut schönsten Sonnenuntergänge gibt's immer bei den Biwaks am Eiger!