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Dienstag, 8. März 2016

Breitwangflue - Dreh den Swag auf (M8+)

Der extrem milde und eisarme Winter 15/16 hatte bisher nicht viele Gelegenheiten geboten, um die Eisgeräte bestimmungsgerecht einzusetzen. Dafür hatten wir ausgiebig dem Einhaken ebendieser Geräte ins Felsritzen, Löcher und sonstiger Vertiefungen gefrönt. Sprich, das Drytooling war bei dem häufig vorherrschenden nassmilden Sauwetter nicht zu kurz gekommen. Für die einen von uns mit grossem, für die anderen mit eher bescheidenem Erfolg. Immerhin, für zwei Touren im Grad M9 hatte es auch für mich gereicht. Nun war der Tag gekommen, um diese Fertigkeiten auch in einer längeren Route einzusetzen. Obwohl in Kandersteg zu dieser Zeit keine einzige reine Eisroute begehbar war, wurden wir uns gewahr, dass die Dreh den Swag auf an der Breitwangflue machbar sei. Die schwersten Stellen bieten dort sowieso immer Drytooling und an den einfacheren Stellen war ausreichend Eis präsent.

Der linke Teil der Breitwangflue mit der von uns gekletterten Linie. Ebenfalls sichtbar: Flying Circus, Mach 3, Panic Room.
Rechter Wandteil im Februar 2016 mit u.a. Tsunamix, Elementarteilchen, Beta- und Alphasäule sowie Crack Baby.
Zuerst galt es, die Frage nach den Zustiegsmodalitäten zu klären. Fürs Crack Baby waren wir damals aufgrund der guten Spur zu Fuss mit Bergschuhen und ohne Hilfsmittel aufgestiegen. Zur Alphasäule, wo noch keine Spur lag, gingen wir mit den Schneeschuhen. Nun sollten die Tourenski zum Einsatz kommen: einerseits ist die Swag-Route ganz links hinten an der Breitwangflue gelegen, andererseits lag bester, tiefer und noch komplett unverspurter Pulverschnee. Im Nachhinein betrachtet war das Verwenden der Ski die absolut richtige Entscheidung. Zwar lag bis auf 1250m nur ein Hauch Weiss, so dass wir die Bretter im ersten Viertel des Aufstiegs zu buckeln hatten. Oberhalb nahm die Schneemenge aber rasch zu, so dass sich der Aufstieg bequem, effizient und kraftsparend erledigen liess. Mit Schneeschuhen oder gar zu Fuss wär's hingegen am Schluss ein echter Murks gewesen. In der Abfahrt waren die oberen 500hm dann ob der famosen Schneequalität trotz dem Rucksack ein richtiger Genuss, danach liess es sich noch 250hm gut fahren, bevor wir wieder per Pedes abstiegen.

Falls man mit den Ski zusteigt, so stellt sich natürlich die Frage, mit welchem Schuhwerk denn geklettert werden soll. Wenn man welche hat, so stellen Toolyboots bestimmt die beste Lösung dar. Mir scheint zwar, dass diese, bzw. deren Einsatz im alpinen Gelände nicht unumstritten sind - aber sie sind leicht, sowohl zum Tragen wie zum Mitnehmen, und nachdem ich inzwischen auch einmal solche ausprobieren konnte muss ich sagen, dass auch die Präzision und Direktheit absolut überzeugt. Sicherlich eine sehr interessante Anschaffung, für alle die ernsthaft im Drytool- und Mixed-Bereich unterwegs sind. Tja, diesen Zeilen zum Trotz zeigen die Fotos, dass ich selber (mangels eigener Toolyboots) die Route sogar mit den Skischuhen geklettert bin. Wobei mein Modell nicht schwerer wie meine Bergschuhe ist und mit der steiferen Sohle und der besseren Kälteisolation punktet. Nur der etwas höhere Schaft ist natürlich bisweilen hinderlich, bei der Kletterei eingeschränkt fühlte ich mich durch diese Wahl jedoch nicht entscheidend.

Steigeisen: Petzl. Schuhe: Scarpa. Hose: Mammut. Socken: Rohner. Unterwäsche: Odlo - so haben fast alle etwas davon ;-)
Unser Tourentag startete wie üblich wenn's nach Kandersteg geht mit frühem Aufstehen, um 3.00 Uhr schrillte der Wecker. Einige Minuten nach 6.00 Uhr starteten wir noch im Schein der Stirnlampen mit gebuckelten Ski, um schliesslich nach rund 2:00 Stunden Zustieg am Ort der Begierde einzutreffen. Hier oben war alles jungfräulich, keine Spuren von anderen Begehungen waren erkennbar. Wir rüsteten uns zum Klettern und während der Vorsteiger in L1 engagiert war, traf prompt noch eine zweite Seilschaft ein. Diese hatte dasselbe Ziel wie wir auf dem Radar, eine ungünstige Situation. Nach dem Studium der Alternativen (sämtliche anderen Routen schienen entweder gar nicht oder höchstens unter deutlich erschwerten Bedingungen begehbar) blieb ihnen nichts anderes übrig, als wieder von dannen zu ziehen. Ein Hinterhersteigen ist hier wie immer eine schlechte Idee, vor allem auch weil alles was in L4 und L5 abgeräumt wird, unweigerlich auf L3 hinunter fällt.

L1, 30m, M8+: Eine reine Drytooling-Länge, komplett ohne Eis. Der erste Teil ist senkrecht und bietet interessante, noch nicht ganz so schwere (ca. M7) Kletterei an Topfels mit kleinen Wasserlöchlein. In diesem Abschnitt muss man doch zünftig über die Haken steigen und darf ob der eher klein-wackligen Hooks nicht zweifeln. Der zweite Teil der Länge hängt dann deutlich über. Einige positive Hooks säumen den Weg, die Kletterei ist bei nun enger gehaltener Absicherung aber athletisch und auch nicht so einfach zu lesen. Die Climax folgt, wenn man es vermeintlich schon geschafft hat, mit dem Ausstieg ins flachere Gelände zum Standplatz.

Dieser gewaltige Überhang (man beachte die hängenden Zapfen!) wird in L1 (M8+) in reinem Drytooling überwunden.
Der erste, noch nicht ganz so steile Teil (ca. M7) bietet feine Kletterei an tollen Wasserlöchlein.
Der Ausstieg zum Stand nach L1 erfordert dann nochmals gefühlvolles Klettern an eher feinen Hooks in glattem Fels.
L2, 30m, M6+: Vom Stand weg nach rechts über eine plattige Zone hinweg, die Passage erinnert (ausser dass man auf die falsche Seite quert und das Fixseil fehlt) etwas an den Hinterstoisser-Quergang. Je nach Verhältnissen kann dieser Abschnitt wohl zwischen Spaziergang und unmöglich variieren. Bei uns gab es eine dünne Semifreddo-Auflage (d.h. Schnee/Eis-Gemisch). Absichern war auf den ersten 10m unmöglich, doch wenn man ganz vorsichtig zu Werke ging, dann hielt die Glasur. Eine weitere Seilschaft, welche die Route ein paar Tage nach uns bei wärmeren Temperaturen angriff, musste hier jedoch die Segel streichen, nachdem Geräte und Eisen an dieser Stelle überhaupt keinen Halt fanden. Die eigentliche Crux folgt dann erst danach, man quert im Tooly-Gelände überhängend um eine Kante herum ins Eis. Uns dünkte es recht schwer für den Grad, vermutlich ist's aber kommoder zu haben, wenn es rechts mehr Eis gibt. In diesem (ca. WI4) noch ca. 20m zu Stand.

Die zweite Seillänge (M6+) mit dem heiklen Beginn im Ausblick (der Akteur ist in der Crux engagiert).
So sieht's im Rückblick aus, wenn das Eis einmal erreicht ist. Die heikle Glasur wird ohne Zwischensicherung geklettert.
L3, 55m, WI4: Reine Eislänge, auf welcher wir ein bisschen wider Erwarten sehr gute Bedingungen antrafen. Der schwerste Abschnitt (ein paar Meter senkrecht) gleich nach dem Stand, danach geht's etwas einfacher dahin. Wo gewünscht liessen sich gute Schrauben drehen, obenraus im Tropfbereich gab's dann sogar perfektes Softeis wie man sich das immer wünscht.

Dieses Foto zeigt die letzten Meter der Eislänge von L3 sowie den Weiterweg in der zweiten Cruxlänge. Es geht in L4 erst über die Eisglasur am linken Bildrand hoch, dann in einer Links/Rechtsschleife am Überhang an den Eisvorhang oberhalb, und schliesslich durch einen engen Spalt hinter den Säulen durch.
L4, 35m, M8+: Vom Standband über eine Eisglasur zu einem überhängenden Wulst, der in einer Links-Rechts-Schleife rein im Fels überwunden wird. Das Gestein ist hier nicht ganz so gut und die Kletterei weniger elegant als in L1, sondern von leicht murksigem Zuschnitt. Dafür ist die Absicherung mit BH hier löblich gut ausgefallen. Sofern nötig, käme man hier wohl auch A0 drüber - für meinen Vorsteiger aber nicht nötig, der liess hier seinen Komplett-Onsight der ganzen Route nicht anbrennen, saggstarch :-) Nach der Felspassage wechselt man dann ins Eis. Bei uns waren die Verhältnisse ideal, vom letzten BH konnte man ins moderat schwere Eis wechseln - hat es zu wenig davon, könnte diese Passage natürlich herausfordernd werden. Nach einigen Metern im Eis war für uns schliesslich der Durchschlupf durch einen schmalen Spalt hinter der grossen Säule durch möglich - aussenrum ginge es bestimmt auch, was jedoch natürlich schwerer, exponierter und weniger spannend wäre.

Diese Foto gibt vielleicht den Eindruck, dass auch L4 (M8+) im Felsteil massiv überhängend ist.
Vom Stand hat man den perfekten Einblick in die Cruxlänge (M9) von Mach 3. Ein gewaltiger Zapfen muss hier abgebrochen sein und ist bestimmt mit Überschallgeschwindigkeit ins Tal gedonnert. Da ist es von deutlichem Vorteil, zu diesem Zeitpunkt nicht in der Nähe zu sein.
L5, 30m WI4: Sehr, sehr schöne, reine Eiskletterei mit homogenen, aber nicht allzu grossen Schwierigkeiten und nebenbei zum Zeitpunkt unserer Begehung auch perfekten Bedingungen. So geht's dahin, bis die Route etwas abrupt in einer Nische endet, wo das Nass aus einer moosigen Grotte quillt.

Ausblick auf die stimmungsvolle und sehr schöne, reine Eiskletterei von L5 (WI4).
Hier endet die Route abrupt, das Eis bildende Nass quillt aus der moosigen Grotte, oberhalb ist alles trocken.
Um 14:15 Uhr hatten wir es geschafft und die tolle, sehr genussreiche Kletterei bewältigt. Wir hielten uns nicht lange auf, sondern machten uns umgehend ans Abseilen. Dieses ist hier keineswegs auf die leichte Schulter zu nehmen. Gerade beim ersten Abseiler galt es, das Seil geschickt so zu legen, dass man exakt zwischen den riesigen, hängenden Zapfen in die Tiefe gleiten konnte, ohne diese zu belasten. Insgesamt eine extrem bedrohliche Kulisse, mit der richtigen Linienwahl sind die objektiven Gefahren aber sicher vertretbar, da man sich dann auch nicht exakt in Falllinie der Zapfen aufhält. Ein nächstes Manöver führte uns zu einem BH-Stand der Route Tränen der Eisprinzessin, von welchem wir mit einem gestreckten 60m-Abseiler den Boden erreichten.

Alles Gute kommt von oben und das Schlechte bleibt hoffentlich dort. Zirkeln zwischen den Zapfen beim Abseilen.
Ambiente vom Typ "wow" beim Abseilen, hier am Stand von Tränen der Eisprinzessin.
Es blieb noch Zeit und Motivation für weitere Taten. So wurde mit einem Versuch in Flying Circus (M10) geliebäugelt, wir stiegen sogar L1 (WI1) hinauf und richteten uns am Stand im hintersten Punkt der Grotte ein. In der Route hingen zwar einige Zapfen, es war jedoch deutlich weniger Eis wie in anderen Jahren und die Vorhänge und Zapfen machten einen extrem fragilen Eindruck. Man hätte sich wohl auf noch schwerere Kletterei und noch heiklere Absicherung wie sonst gefasst machen müssen, weshalb ein Weitersteigen schliesslich verworfen wurde. Weil wir selbst danach noch Mumm hatten, kletterten wir noch L1 (M7) von Mach 3, welche sich unmittelbar bei unserem Depot befand. Eine relativ kurze, aber interessante Länge mit einem giftigen Dächli, das man an einem Riss bei Trittarmut toolend überwindet, um sich nachher an einer dünnen Eisglasur zu etablieren. Es steckt in dieser Länge nur gerade 1 NH, für den Vorsteiger eine psychisch ziemlich fordernde Geschichte.

Die Monthy Python Cave mit u.a. Flying Circus, welche aus dem tiefsten Punkt der Grotte emporführt.
In  L1 (WI1) von Flying Circus, welche eine schöne Genusskletterei plus Traverse über das Bruchband bietet.
Das Weitersteigen über Mach 3 schien hingegen eine weniger gute Idee. Die zweite Länge führt mittels Drytooling (M8+) ins Eis. Dieses war jedoch extrem mager gewachsen, so dass beim Übergang von Fels zu Eis ein längerer Runout zu kalkulieren gewesen wäre, zudem sah das Eis auch nach einer abgelösten, fragilen und potenziell gefährlichen Glasur aus. So seilten wir uns neuerdings ab und packten unsere Kletterausrüstung zusammen. Im seidenfeinen Pulver ging's hinunter zur Alp Giesenen und über die offenen Hänge darunter noch 150hm sehr genussreich weiter. Danach leisteten die Beinmuskeln noch etwas Bremsarbeit, bis wenig später der Ausgangspunkt wieder erreicht war. Wir fuhren los, um wenig später in der Drytooling-Area von Mitholz neuerlich einen Stopp einzulegen. Seil und Gurt blieben da zwar im Auto, doch ein paar Boulder am Wandfuss mussten dennoch sein. Hier könnte man sich bei einem Scheitern in einem der Kandersteger Projekte trotzdem noch einen interessanten Tag gestalten. Zu unserem Glück war dies für uns an diesem Tag aber nicht nötig gewesen. Hochzufrieden mit unseren Erlebnissen setzten wir uns wieder aufs Polster und traten den langen Heimweg an.

Fast ein bisschen grimmig-alpines Ambiente in der kurzen, aber giftigen L1 von Mach 3 (M7).

Facts

Breitwangflue - Dreh den Swag auf M8+ (M7 obl.) - 5 SL, 220m - Stofer/Seuren/Diener 2013 - ****
Material: 2x60m-Seile, 12 Express, 10 Eisschrauben, Keile/Friends nicht nötig

Sehr schöne Route im linken Teil der Breitwangflue, welche zwei schwere, längere, gut mit BH abgesicherte Drytooling-Passagen bietet. Metermässig spielen sich ca. 2/3 bis 3/4 im reinen Eis ab, welches schöne Kletterei bei nur relativ moderaten Schwierigkeiten bietet. Die Felspassagen sind bis auf die Startmeter gut bis sehr gut mit BH abgesichert, zusätzliches Felsmaterial ist nicht notwendig. Allerdings ist der Zustand des Hakenmaterials eher bescheiden, die Korrosion hat schon stark genagt. Man beachte bei der Bestückung mit Eisschrauben, dass die beiden Stände nach L2 und L4 im Eis einzurichten sind und danach jeweils eine komplette Seillänge im Eis folgt. Zu beachten ist im gesamten Einstiegsbereich und in den Startlängen die enorme objektive Gefahr durch die riesigen Zapfen oberhalb. Deshalb ist bei Tauwetter, abrupten Temperaturwechseln oder stark fliessendem Wasser höchste Vorsicht angebracht.

Beim Abseilen über L1 der Swag-Route. Der korrodierte Haken im Vordergrund am linken Bildrand ist leider ziemlich repräsentativ.
Topo

Dani hat nach unserer Begehung ein perfektes Topo der Route angefertigt. Es lässt sich auch als PDF-File herunterladen.


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