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Montag, 27. März 2017

Schafbergwand - Blues in my Shoes (7a, 6 SL, Erstbegehung)

In der östlichen Südwandplatte an der Schafbergwand habe ich inzwischen schon einige Kletterspuren hinterlassen, dies mit der Erstbegehung der XL und den umfassenden Sanierungen bzw. der Neukonzeption vom Garten Eden und den Galoschen des Glücks. Meine Vorliebe für die Schafbergwand kommt nicht von ungefähr: wo sonst gibt es solch gut zugängliche, sowohl früh wie spät im Jahr kletterbare MSL-Routen im Bereich 6b-7a mit interessanter, technischer Kletterei an sonniger Lage, in einem perfekt rauen Kalk mit hervorragender Reibung?!? So gut wie nirgends, eben...

Globi der Felsenputzer in Aktion. Was macht man nicht alles, um den Kletterern auf einer tollen Linie ein schönes Erlebnis zu bieten.
Die Geschichte der Blues begann eigentlich am letzten Bohrtag in den Galoschen des Glücks. Schon seit langer Zeit war rechts davon im Kletterführer noch der Beginn einer Linie markiert, welche mit "altes Projekt" gekennzeichnet war. Beim Abseilen konnten wir uns einerseits davon vergewissern, dass sich rechts der Galoschen noch eine komplett eigenständige Linie mit interessanter Kletterei in prima Fels legen liesse. Andererseits beschränkte sich das alte Projekt auf nur gerade 3 Bohrhaken. Einer davon steckte in der heutigen L2, etwas neben der von uns schliesslich gewählten Linie. Ich vermute, dass sich diese 7a-Platte den Urhebern des Projekts als zu schwierig erwies. Zwei weitere Bolts stecken nämlich am Anfang der heutigen L3, diese Stelle wurde sicherlich mit einer Umgehung durchs Gemüse oder andere Routen nebenan erreicht.

Gut geputzt ist denn auch halb geklettert ;-) Bzw., so wird der Sack effizient vor Diebstahl geschützt!
Zur Tat geschritten wurde dann an einem schönen Sommertag im August 2016. Zusammen mit dem SAC-Führerautor und Lokaldoyen Werner Küng startete ich frühmorgens, denn einerseits waren auf den Nachmittag heftige Gewitter angekündigt, andererseits riefen mich Termine schon zeitig nach Hause. Trotzdem, der Startschuss wollte gesetzt sein, aber es stellte sich die Frage, wie viele Bohrhaken und Akkukapazität wir denn mitführen sollten. Wir beschlossen in weiser Voraussicht, in dieser Hinsicht grosszügig zu sein. Denn einerseits lösten sich meine Terminverpflichtungen in Luft auf (bzw. konnten während einer Bohrpause von unterwegs geregelt werden, den mobilen Kommunikationsmitteln sei Dank!), andererseits blieb der Himmel blau, von den angekündigten Gewittern keine Spur. So gelang es tatsächlich, die gesamte Linie an einem einzigen Tag zu erschliessen, wobei ich am Ausstieg den wirklich allerletzten Bolt mit dem letzten Quäntchen Akkustrom versenkte. Das isch emal e Planig!!! Nicht ganz auf der Rechnung hatten wir dabei das Blitzgewitter, welches sich übel von hinten anschleichend beim Abseilen über uns ergoss. So trotteten wir zwar schlussendlich doch wie begossene Pudel von dannen. Allerdings nur im wörtlichen Sinne, denn es war ein grandioser Klettertag gewesen und das Herz lachte.

Yours truly bolting on lead. Man beachte den angewinkelten Ellenbogen. Werner hat mich jedes Mal zurückgepfiffen, wenn ich einen Bolt nur schon im Ansatz hoch platzieren wollte. Beschwerden über zu hoch gesetzte Haken sollten also definitiv nicht nötig sein. 
Was noch blieb, war das Rotpunkt-Business, sowie einige Zusatzarbeiten an Linie und Absicherung. Zwei Monate nach dem Bohren konnten wir dies am 16. Oktober 2016 an einem strahlenden Herbsttag erledigen. Mit grossem Eifer wurden wo nötig Griffe geputzt, die wenigen losen Steine entfernt und die Absicherung vervollständigt. Ebenso konnte ich die Route befreien, d.h. es glückte mir ein komplett sturzfreier Gesamtdurchstieg im Rotpunktmodus. Insbesondere bei der zweiten Seillänge war ich mir alles andere als sicher, ob dies so einfach möglich wäre. Bei einer 7a auf Reibung bewegt man sich einfach an der Haftgrenze und bereits ein kleiner Fehler kann einen abschütteln. Das liess sich jedoch vermeiden, so galt es noch bis ans Routenende konzentriert zu bleiben. Nachdem die Route noch im Herbst für wertvolle Feedbacks von einigen Freunden und Bekannten wiederholt werden konnte und der Winterpause ist nun die Zeit zur Publikation gekommen. An der Schafbergwand geht die Saison nämlich bereits los!

L1, 50m, 6b+: Der Einstieg befindet sich am tiefsten Punkt der Felsen bei der östlichen Südwandplatte, am selben Ort (bzw. unmittelbar rechts) vom Sandührliweg. Er ist aktuell angeschrieben. Von dort geht's in anregender Plattenkletterei durchgehend im 6a-Bereich in die Höhe. Eine Stelle in der Mitte ist kniffliger zu lösen. Erst ein bisschen grössenabhängig, danach will die richtige Lösung erkannt werden, ca. 6b+. Der Stand dann auf dem grasigen Band.

L2, 40m, 7a: Es folgen zuerst 10m Zustieg in einfachem Gelände zur Knallerplatte mit der Crux. Die ersten 20m sind anhaltend schwierig. Angetreten wird meist auf Reibung, für die Hände gibt's aber durchaus die eine oder andere Leiste, hin und wieder einen Sloper und vor allem ganz viele seichte Löcher, wo man sich wünschen würde, dass sie doch nur ein bisschen griffiger wären. Gute Henkel fehlen hingegen komplett und auch das Erkennen der richtigen Lösung ist schwierig - wobei es vermutlich auch mehr als nur 1 Lösung bei ähnlichen Schwierigkeiten gibt.

Die extrem kompakte Knallerplatte in L2 (7a) von unten...
...und von oben. Hinter uns sind uns bereits die ersten Wiederholer auf den Fersen.
L3, 40m, 6b: Vom Stand auf dem bequemen Grasband geht's zuerst an fantastisch wasserzerfressenem Fels aufwärts. Ich würde das als eine sehr schöne Genusskletterei bezeichnen, bis auf die letzte Seillänge dürfte es sich um die einfachste Sequenz handeln. Das Finish der Länge dann kurz etwas mehr von der Vegetation durchzogen, an 2 Sanduhren gesichert zieht man etwas nach links hinaus zum Stand in bequemer Nische.

Dieselbe Stelle in L3 (6b), von welcher weiter oben das Bild vom Einbohren stammt.
L4, 40m, 6c: Immer geradeaus auf fantastischen, kompakten Platten. Diverse bouldrige Stellen wechseln sich mit bequemen Rastpunkten ab, wo es wieder bessere Tritte hat. Dieser Fact ist ein wesentlicher Grund, warum die Route so schnell eingebohrt werden konnte, liessen sich die Haken eben immer wieder aus kraftsparender Position setzen, bevor die nächste schwierigere Stelle gemeistert werden musste.

Super Klettere in L4 (6c), Werner ist gerade mit einer bouldrig-glatten Stelle beschäftigt. Aber man sieht's, hier und da befindet sich auch wieder einmal ein guter Henkel oder ein bequemer Tritt, was das Einbohren dieser Länge für den Grad ziemlich entspannt machte.
L5, 40m, 6c+: Der Auftakt zu dieser Seillänge hat es gleich in sich und wartet mit einer kniffligen Stehpassage und seichten Wasserrillen auf. Nach den ersten 10m kann man dann Fahrt aufnehmen, ein paar unerwartet auftauchende Löcher geben gute Griffe her. Nur muss man dann schauen, dass der Elan nicht kurz vor dem Top gestoppt wird. Hier hat sich noch eine knifflige, zwingende Passage ergeben (sehr gut abgesichert, ein Sturz ist absolut harmlos, A0 jedoch nicht möglich). Es geht aber schon...

Das ist die knifflige Stelle gleich zu Beginn von L5 (6c+). Bolt klippen und fein durchmoven!
Seitenblick aus den Galoschen des Glück auf dieselbe Passage am Anfang von L5 (6c+).
L6, 30m, 6a: Sollen wir oder sollen wir nicht? Das hatten wir uns bereits gefragt, als wir die Galoschen des Glücks sanierten, welche wenige Meter links vom fünften Stand der Blues enden. Nämlich eine letzte Seillänge hinzufügen, welche nochmals gemütliche Moves in plattigem Fels bietet, bevor oberhalb dann definitiv nur noch Legföhren kommen. Wie man sieht, dieses Mal haben wir es gemacht - die Seillänge lässt sich übrigens auch als Finish der Galoschen des Glücks klettern.

Toller Fels und richtig gute Kletterei bis ganz nach oben!
Nach getaner Arbeit gleitet man mit 6 Abseilmanövern (2x50m-Seile nötig!) wieder zurück an den Einstieg. Die Standplätze sind dafür ausgerüstet, je nach Gegenverkehr kann bzw. soll man auch solche der benachbarten Routen in Erwägung ziehen. Was die Bewertungen betrifft, so herrscht unter den bereits erfolgreichen Begehern so etwas wie ein Konsens vor. Wie schwierig das aber in der Praxis sein kann, zeigt folgendes Beispiel: Werner und ich sind die Cruxlängen von Galoschen und Blues gemeinsam und auch mit derselben Methode angegangen. Mir fällt jene der Galoschen deutlich schwerer, ich würde dort ein "+" (d.h. einen halben Grad) höher bewerten als in der Blues. Werner sieht das hingegen genau andersrum. Daher gelten nun beide Längen als 7a, was als ungefährer Richtwert bestimmt zutrifft. Die Denkweise, dass es den einzigen, korrekten Grad für jede Seillänge gibt, trifft einfach nicht zu. Schon kleine Unterschiede in Bezug auf die körperlichen Gegebenheiten (u.a. Grösse, Beweglichkeit, usw.) können zu einer anderen Wahrnehmung führen. Plus hin oder minus her, jedenfalls wünsche ich allen Wiederholern viel Spass an der Schafbergwand.

Facts

Schafbergwand - Blues in my Shoes 7a (6b+ obl.) - 6 SL, 240m - Dettling/Küng 2016
Material: 2x50m-Seile, 12 Express, Keile/Friends nicht nötig

Eine lässige Route durch die östliche Südwandplatte, welche über weite Strecken technische Kletterei über Steilplatten in fantastisch rauem, kompakten Fels bietet. Wie in den anderen Routen am Berg klettert man auch hier ab und zu an einem Grasbüschel vorbei oder bezieht Standplatz im Grünen. Das alles ist dem Genuss jedoch kaum abträglich. Wie alle anderen auch ist diese Route besonders wertvoll, weil die tiefe (~1500m) und sehr sonnige (Expo SSE) Lage ein MSL-Klettern bis spät in den Herbst sowie bereits an den ersten Frühlingstagen erlaubt. Die Route ist gut mit rostfreien BH abgesichert, trotzdem will der eine oder andere nichttriviale Plattenmove obligatorisch gemeistert sein. Der Anspruch ist dabei ähnlich wie in meinen anderen Linien XL, Galoschen und Garten Eden.

Topo

Hier gibt es das komplette Topo zum PDF-Download.

Dienstag, 21. März 2017

Ticino once again...

Am Freitagabend schaute ich zusammen mit den Kindern wie so oft SRF Meteo. Schliesslich galt es, langsam aber sicher zur Besprechung des Wochenendprogramms zu kommen. Ganz aufmerksam fiel das Fazit von meinem Sohn aus: "bei uns schifft es, im Tessin scheint die Sonne. Komm, wir gehen nach Ponte Brolla zwei Tage in die Ferien". Äh ja genau, ziemlich genau so hatte ich mir das vorgestellt! Gut hatten wir anlässlich dieses Fernsehprogramms immer wieder die Geografie der Schweiz geübt. Es ist doch ziemlich bemerkenswert, wenn ein 6-Jähriger beim Meteo komplett selbständig zu einem solchen Fazit kommt. Scheint mir, dass gewisse Charakterzüge meinerseits ziemlich ausgeprägt vererbt wurden.

Noch offene Fragen zum Weekend-Programm? Screenshot von SRF Meteo mit dem Bericht fürs Weekend.
Stellt sich noch die Frage, ob es nicht langweilig wird, schon wieder am selben Ort zu klettern. Aber nein. Die Kinder schätzen sowieso die Routine und die ihnen bereits bekannten Plätze und für mich gibt's im Ostsektor auch noch eine Menge zu tun. Was gibt es besseres, als mit einer motivierten Familie an solche Orte reisen zu können und dabei auch noch sportliche Herausforderungen annehmen zu können. So wird es vermutlich nachvollziehbar, dass ich aktuell ziemlich im Sportkletter-Groove bin. Sich eine lässige Route zu suchen, wo man alles geben muss, um eine Chance zu haben und der Durchstieg nur gelingt, wenn alles perfekt passt, das ist doch echter Fun. 

Rein nominell war ich dieses Mal längst nicht mehr so erfolgreich wie am Weekend zuvor. Das war natürlich auch so zu erwarten und hochzufrieden bin ich trotzdem. Als erstes Ziel stand die Primo Stazione in Ticino (7c) auf dem Programm. Eine lässige Kletterei, welche in einer überhängenden Verschneidung startet und dann in sehr technischer Wandkletterei zum Umlenker führt. Beim ersten Kontakt hatte sich das noch sehr schwierig angefühlt. Es gibt zwar für die Finger einige passable Leisten, jedoch herrscht nur ein schmales Angebot an meist kleinen und rutschigen Tritten vor. Aber als ich dann etwas Zutrauen gefasst hatte, gelang der Durchstieg doch erstaunlich mühelos. So richtig schwierig ist eigentlich nur die Stelle unmittelbar nach Verlassen der Verschneidung, der Rest geht gut, wenn man einmal weiss wie. Und sonderlich pumpig ist es halt nicht.

"Mir stiiged es paar Route vor und ihr chönd euis sichere!". Wer kann seinen Kindern diesen Wunsch ausschlagen... Unschlagbar war dann der Ausspruch beim Klettern "Mann, ich ha tami Seilzug!". Ein kleiner Tipp an alle Eltern (und solche die es werden wollen): man sei sich der Vorbildwirkung seiner Worte stets bewusst ;-)
Insgeheim aspirierte ich auch auf die Fortsetzung Duro Stazione in Ticino (8b). Die Moves über den Zwischenstand hinweg lösen sich dank einem aufgebohrten Griff als machbar auf und man gelangt zum Abschlussdächli. Hier hat man dann einen üblen, seifigen Sloper zu bedienen um dynamisch an einen aufgebohrten Schlitz zu ziehen, von wo das Erreichen des Tops Formsache wäre. Irgendwie ein bisschen unschön - mich hat es schliesslich nicht motiviert und das Projekt wurde zurückgestellt. Also auf in die Schattenjagd (8a), einen der grossen Sportkletterklassiker der Schweiz. Es gilt, sich an einer überhängenden Kante mit vielen rund-rutschigen Griffen, Hooks und meist schlechten Tritten in die Höhe zu schaffen. Es besteht Optimierungspotenzial ohne Ende, scheinbar soll man sogar 3 No-Hand-Rests einbauen können, wovon ich jedoch bei meinen ersten beiden Versuchen keinen einzigen selbständig auffinden konnte. Insgesamt aber ein genialer Challenge, hier werde ich mich mit Garantie wieder versuchen.

Am nächsten Tag war dann bereits Sommer, d.h. die Temperaturen stiegen noch vor dem astronomischen Frühlingsbeginn über 25 Grad. Klar, im Ostsektor liess es sich immer noch prima klettern, für Begehungen am Limit war es aber tatsächlich schon beinahe zu warm. So sicherte ich mir die La Rosa (7b), welche ein paar geniale, bouldrig-pressige Moves bereithält, für den Grad jedoch alles andere als einfach zu bezeichnen ist. In der Schattenjagd noch den roten Punkt zu holen war dann komplett utopisch, also gab's noch etwas Genuss und das Puzzlespiel im Zorn der Götter (7c+). Wow, das ist echt auch eine Perle. Griffig-steiles Ausdauergelände mit einer mittigen Bouldersequenz an Leisten und Slopern und einem heiklen Ausstiegsboulder, wo Knieklemmer, Hooks und alle möglichen Tricks eingesetzt werden wollen. Somit habe ich nun gleich 2 offene Projekte in Ponte Brolla. Aber spätestens in zwei Wochen am 1. April, wenn das Grotto America gleich unter den Felsen öffnet, müssen wir wieder hin - sagen jedenfalls die beiden minderjährigen Programmverantwortlichen in unserer Familie :-)

Montag, 13. März 2017

Double Rig Day

Über 100mm Niederschlag und damit die Menge eines durchschnittlichen Monats waren während der Woche in der Ostschweiz gefallen. Da fragte man(n) sich doch glatt, wie und wo man am Weekend den Kindern, der Frau und auch sich selbst ein tolles Klettererlebnis gönnen könnte. Gefragt war nicht nur ein garantiert genügend trockenes Stück Fels mit attraktivem Angebot in den entsprechenden Schwierigkeiten, sondern auch eine Exposition abseits der mit 17 Grad (für Sportkletterer-Wahrnehmung) bereits sengenden Sonne.

Wie ich es auch drehte und wendete, die beste Lösung schien mir schliesslich im Tessin zu liegen. Geografisch zwar nicht gerade am nächsten liegend und irgendwie bietet es sich einfach noch etwas mehr an, wenn es im Norden schüttet und jenseits des Gotthard die Sonne scheint. Auch in der Südschweiz hatte es vor Wochenfrist noch heftig geregnet, aber einige Tage mit Nordföhn und bemerkenswert tiefen, teilweise nur einstelligen Werten bei der relativen Luftfeuchtigkeit hatten dem drückenden Wasser bereits den Garaus gemacht. Darüber hinaus versprach die Wetterlage auch noch perfekten Grip und ideale Temperaturen. Also auf zum Playground Ponte Brolla. Bereits über Weihnachten-Neujahr hatte ich von gleichtägiger MSL-Kletterei mit den Kindern und dem Punkten von 8a-Routen im Ostsektor geschrieben. Die Kinder waren fiebrig auf das Wiederholen der damaligen Erlebnisse, mir ging es aus naheliegenden Gründen genau gleich. Schliesslich hatte ich daselbst noch einige durchstiegsreife Projekte in Petto...

Mama klettert sooo langsam - Zeit für ein paar Faxen!
Und es klappte sogar! Mit der Placca Nera Direkt und der H39? konnte ich sogar gleich zwei Routen in diesem Grad buchen, dies erst noch am selben Tag. Gut möglich, dass dies lebenslang nominell meine Bestleistung bleiben wird. Allerdings muss man etwas relativieren: erstens verläuft der Beginn der Cruxsequenz für beide Routen gemeinsam an einem überhängenden Wändchen mit ein paar flachen, horizontalen Fingerleisten - absolutes Lieblingsgelände für mich, der persönliche Liegefaktor sicherlich sehr hoch. Bei der Placca Nera Direkt gelangt man nach diesen kräftigen Leistenzügen direkt in den Crux-Dynamo der Placca Nera (7c). Bei der H39? kämpft man sich dagegen anhaltend-ausdauernd linkshaltend an weiteren Leisten hoch, um schliesslich noch ordentlich gepumpt die technische Crux der Schwer & Länger (7a+) sowie deren Abschlussdächli zu meistern. Auf allerletzter Reserve gelang mir dieser Durchstieg und somit konnten wir uns frohen Mutes dem vergnüglichen Plattenklettern und dem Ausbouldern des nächsten Projekts widmen :-) Auch wenn sich die Reise in den Süden dieses Mal rein wettertechnisch nicht absolut aufgedrängt hatte, so war sie in jeder Hinsicht ein voller Erfolg und höchste Zufriedenheit rundherum war garantiert.

Rückblick auf die Geschehnisse vom Weekend.

Mittwoch, 1. März 2017

Gross Ruchen - Der dunkle Turm (ED WI4 M6)

Der dunkle Turm ist eine fast schon mythische Route durch die östliche Nordwand am Gross Ruchen, welche imposant den Talschluss des Brunnitals sperrt. Sie wurde anno 1999 von Urs Odermatt und Christoph Schaub als beinahe reine Eiskletterei erstbegangen. Das war seither nicht mehr in dieser Form möglich, in den letzten Jahren präsentierte sich die Linie stets nur streckenweise vereist und erforderte viel Felskletterei. Ob das damals bei der Erstbegehung eine einmalige, günstige Gelegenheit war oder ob's am Rückgang des Gletschers im Ausstiegsbereich liegt, bleibe dahingestellt. Fakt ist jedenfalls, dass die abenteuerliche und herausfordernde Kletterei auch im derzeitigen Zustand höchsten Klettergenuss bietet.

Der Weg durch die östliche Nordwand am Gross Ruchen. Das Foto ist nicht gerade überragend, aber mehr Tageslicht gab es am Wandfuss leider weder vor noch nach der Tour. Hinzu kommt noch, dass aufrund der Perspektive das Gelände viel flacher aussieht, wie es in der Realität ist.
Der Zustieg zu dieser Route erfordert im Winter normalerweise einen ziemlichen Einsatz, da er bei der Brücke P.1024 unmittelbar südlich von Unterschächen beginnt, womit dann ca. 3 Stunden Anmarsch bis zum Einstieg fällig sind. Im extrem schneearmen Frühwinter 2016 lag jedoch bis gegen 2000m hinauf noch gar kein Weiss, so dass die Strasse hinauf zur Brunnialp noch problemlos befahrbar war. Dazu ist zwingend eine Fahrbewilligung notwendig, welche im Hotel Alpina für 20 CHF erworben werden kann. Wer noch vor den Öffnungszeiten unterwegs ist, kann sich mit einem Anruf am Vortag die Bewilligung bereitlegen lassen.

Morgenstund hat Gold im Mund... Es hat global gesehen im Brunnital derzeit viel weniger Schnee, als es auf diesem Foto den Anschein machen mag. Der Weg zum Einstieg lässt sich problemlos in Bergschuhen ohne Hilfsmittel machen, bis auf die letzten Meter geht man dabei auf aperem Gelände!
Wenige Minuten nach 6.00 Uhr morgens ging es für uns bei bestem Vollmondschein bei der Brunnialp auf 1400m also los. Bis zum Depotfelsen auf 2240m sind also 840hm Aufstieg zu erledigen. Der Erstbegeher veranschlagt im Hot Ice Ost eine Zeit von 1h dafür - das trifft dann eher nur für sehr sportlich orientierte Geher zu. Wir brauchten schliesslich 1:35 Stunden, obwohl die Verhältnisse ideal waren. Das Gelände war im unteren Teil noch komplett schneefrei, danach konnte man über den Moränenkamm aperen Fusses aufsteigen, nur ganz zum Schluss war eine kurze Traverse über hartgefrorenen Schnee nötig. Wir kochten noch einen Kaffee, nahmen ein Frühstück ein und behängten uns mit dem sehr zahlreich mitgeführten Material. Um 8.30 Uhr stiegen wir schliesslich los.

L0, ca. 150m, M3: Querend nach rechts geht's über das 40-45 Grad steile Schneefeld in den offensichtlichen Gully hinein, der in der Mitte von einem ersten Block versperrt wird. Da diese Stelle nur wenige Meter lang und überhaupt nicht exponiert ist, kann sie noch seilfrei bewältigt werden (M3). Danach weiter den Gully hinauf, bis man zu zwei Standplätzen (NH, Schlingen) kurz hintereinander kommt. Entweder hier mit Sichern beginnen, oder noch etwas übers Schneefeld nach rechts aufsteigen, wo wir kurz vor Beginn der Schwierigkeiten einen Stand an Cams eingerichtet haben.

Die erste Kletterstelle im Einstiegsgully ist gar nicht mal so einfach. Die Seitenwand rechts bietet besten, plattigen Wasserrillen-Fels, dieser ist halt einfach mit Kletterfinken deutlich einfacher zu nutzen wie mit den Steigeisen.
L1, 60m, M5/5+: Von den fix eingerichteten Standplätzen wie erwähnt etwa 15m nach rechts hinauf und dann in eine leicht diagonal nach links hinaufführende v-förmige Kamin-/Verschneidungsrinne hinein. Sieht zwar trivial aus, aber schon bald geht's da gehörig zur Sache, bereits der allererste Aufschwung ist richtig knifflig, weil die Felsen hier vom Wasser etwas glattpoliert und nicht so griffig sind (M5/5+). Zum Glück lässt es sich im Riss linkerhand mit grossen Cams (Camalot 3 und 4) gut sichern. Danach bald etwas gemässigter, zuletzt über ein Schneefeld zu Stand (BH, NH) vor der nächsten Stufe. Wir sind uns nicht ganz sicher, ob sich diese Seillänge nicht rechterhand einfacher umgehen lässt.

Stand, chasch cho - am Beginn von L1, wo wir das Seil ausgepackt haben.
Sieht auf dem Foto total trivial aus, aber dieser "flared chimney" mit den glattpolierten Seitenwänden in L1 (M5/5+) ist echt tricky zu klettern, das Gelände ist auch steiler und exponierter wie es auf dem Bild scheint. Immerhin lassen sich tief im Riss hinten grosse Klemmgeräte platzieren.
Die Geschichte mit diesen Bohrhaken, das ist so eine Sache. Auf der ganzen Route stecken nur 2 Stück, an den Ständen nach L1 und L5. Es ist bis dato nicht bekannt, wer diese platziert hat. Von den Erstbegehern stammen sie jedenfalls ganz sicher nicht. Und sie muten auch etwas komisch an. Diejenigen Standplätze, wo sie stecken, können auch mit anderen Mitteln (NH, Cams, Keile, Eisschrauben) recht gut eingerichtet werden - wohingegen dann andere an eher dürftigen Zackenschlingen kaum zu verstärken sind. Jedenfalls wären Bolts an vielen anderen Stellen in der Route massiv dienlicher, was deren Platzierung umso mysteriöser macht. Meine aktuelle Vermutung beläuft sich darauf, dass sie im Zusammenhang mit Helikopter-Evakuationen aus der Route gesetzt wurden. Wer weiss, vielleicht lüftet sich ja das Rätsel irgendwann einmal...


Nimmt man auch gerne, wenn er schon da ist... einer der beiden BH in der Route (nach L5).
L2, 60m, M4: Vom Stand nach links hinauf durch das offensichtliche Gully, welches teilweise mit sperrenden Felsen durchsetzt ist. Kletternd über diese hinweg (M4), die Absicherung dabei mit Cams durchaus passabel. Zum Schluss untertunnelt man einen Klemmblock (mit Schlinge) und erreicht etwas heikel ein Schneeband. Dort besteht die einzige Standmöglichkeit aus einer eher dürftigen, fixen Zackenschlinge, sonst bringt man da nix unter. Eventuell macht man besser bereits beim Klemmblock Stand, auch wenn's dort ziemlich unbequem sein dürfte.

Typisches Gelände im unteren Wandteil, hier geht's durch den Klemmblock-Tunnel in L2 (M4).
L3, 60m, M4: Auf dem Schneeband geht's etwa 20-25m einfach nach links, um dann die Verschneidung mit ihrem einschüchternden, breiten Riss anzupacken. Von weitem sieht das echt "gfürchig" aus, schliesslich legt sich das Gelände aber dann doch reichlich zurück und vor allem klettert man eigentlich eher in der Wand rechts, bzw. an einem sekundären, vorgelagerten System. Das ist auch nicht sonderlich schwierig (M4), allerdings ist der Fels hier nicht bombig und Absichern kann man auch eher schlecht. Der Stand (gute Zackenschlinge, Cam) dann hingegen in Ordnung.

Das Schneeband am Anfang von L3 (M4), danach gilt es die einschüchternde Verschneidung mit dem breiten Riss anzupeilen. Klettern tut man dann allerdings nicht an diesem Riss, sondern rechts in der Seitenwand (hier nicht gut sichtbar). Die Absicherung auf dieser Länge ist aber eher soso.
L4, 40m, M2: Wieder auf einem Schneeband einfach diagonal nach links hoch, über eine kurze und problemlose Felsstufe kurz nach rechts zu einem grösseren Schneefeld, welches an den Fuss der riesigen, markanten und charakteristischen Verschneidung führt, deren rechte Seitenwand hoffentlich von einem Eisfall verziert wird. Stand entweder im Eis, ganz im Loch hinten im Fels (gut geschützt und ideal für das Sichern des Vorsteigers in der nächsten Länge) sind die Möglichkeiten leider sehr eingeschränkt bis inexistent.

Wir sind uns nicht ganz sicher, ob wir L3 und L4 auf der einfachst-möglichen Linie bewältigt haben. Der Weg ist zwar nicht unlogisch und auch ohne grössere Schwierigkeiten zu haben. Vor Ort schien es aber doch so, als ob man vom Zackenschlingen-Stand nach L2 über ein paar Felsen nach rechts hätte klettern können, um so rasch das grössere Schneefeld zu erreichen, welches zum Eisfall führt. Während es vor Ort schien, als ob dies der einfachere Weg sei, bin ich nun nach dem Studium von ein paar Wandfotos aber doch nicht mehr so sicher, ob dieses Schneefeld durchgehend ist, oder ob es nicht noch von einer üblen, kaminartigen Felsstufe unterbrochen ist. Try it at your own risk...

Blick auf L4 (M2), welche in meist einfachem Gelände zum bereits sichtbaren Eisfall in der grossen Kaminverschneidung führt. Als nächster Punkt für den Akteur steht gerade das Bewältigen der Felsstufe in dieser Länge an.
L5, 60m, WI3+/4-: Eine super schöne Eiskletterlänge: in der rechten Seitenwand der grossen Verschneidung war hier ein solider Eisfall von prima Qualität gewachsen. Die Steilheit einigermassen anhaltend bei 80 Grad, würde ich schätzen. Also oberer dritter bis unterer vierter Grad. Klar ist aber, dass dieses Teilstück bei schlechter Vereisung oder schlechter Eisqualität eine andere Dimension bekommt. Danach steckt rechts in den Felsen ein Stand (BH, NH). Das Eis war übrigens komplett trocken, die Quelle am Anfang von L6 offenbar versiegt.

Knapper Blick vom geschützten Stand in der Felshöhle auf den 60m langen Eisfall von L5 (ca. WI3+/4-). 
L6, 60m, M6: Die ersten paar Meter geht's noch easy übers Eis aufwärts, welches unter der nächsten Steilstufe entspringt. Und nun heisst es richtig klettern. Der kaminartige Schlund darüber schüchtert ziemlich ein! Glücklicherweise ist der Fels hier an den Seitenwänden ideal geschichtet und weist viele positive Leisten auf. So geht's doch erstaunlich einfach. Schliesslich kommt hinten im Höhlengrund ein improvisierter Stand (NH, Fixkeil). An dieser Stelle haben schon etliche Versuche geendet, so auch der videodokumentierte von Wolle & Moritz. Diesen Zwischenstand lässt man jedoch am besten aus, weil danach gleich die Crux der Route kommt, und die Placements davor leider nicht überragend sind. Man quert auf einem vagen Band nach rechts, packt dann eine Steilstelle an und gewinnt eine glattgewaschene Rinne, die nach links an den Hauptriss zurückführt. Ein eher mässiger Camalot 3 sichert die schwersten Moves ab, ist man einmal in der Rinne drin, lässt sich dann ein durchaus passabler 4er setzen. Präzises Antreten mit Monozackern ist aber Pflicht, rechts in der Seitenwand gibt's ein paar kleine, positive Leisten zum Riegeln (wir sind hier mit blossen Händen geklettert, das schien uns am einfachsten, als Hooks sind diese glatten Leisten ordentlich wacklig). Nicht ganz so schwer wie es vielleicht zuerst scheint (die ersten Moves vom Band weg sind die heikelsten), aber reichlich psychisch. Der Rest wird dann beständig einfacher, bis man nach 60m zu einem Stand an Zackenschlinge und (grauenhaft schlechtem fixem) NH führt - wer will und dabei hat, kann hier auch bessere NH schlagen.

Hier gilt's ernst, das ist die Cruxlänge! Dieser erste Teil im Spreizkamin zum Zwischenstand hin (bevor sich der Riss verengt) ist noch recht gut zu bewältigen. Die Schlüsselstelle (M6) befindet sich dort, wo sich der Schlund verengt und man rechts um die Ecke klettern muss.
L7, 60m, M5+: Beim Blick hinauf wird den meisten wohl auch nicht gerade warm ums Herz. Die Route zieht weiter, in einen kaminartigen Schlund hinein, der gegen oben hin überhängend zu werden scheint und von einem Klemmblock abgeschlossen wird. Auf dem alten Rocksports-Forum gab's einen Bericht (der hier noch in den Internet-Archiven zugänglich ist), der hier eine Umgehung rechts durch vorschlägt. Aber naja, wir wollen mal schauen. Eine erste Stufe, dann einfacheres, grossblockiges, nicht ganz so solides Gelände. Dann kommt das steile Abschlussstück: aber wie durch ein Wunder hat es hier besten, wasserzerfressenen Fels mit vielen griffigen Schuppen und Henkeln, Das macht die Kletterei echt zum grossen Genuss, auch absichern kann man problemlos - höchst erstaunlich, aber natürlich sehr willkommen (M5+). An einem Klemmblock vorbei steigt man in eine einfachere Schneerinne aus, dort dann nach ca. 15m ein guter Stand an Cams.

Der kaminartige Schlund (L7, M5+) sieht sehr einschüchternd aus. Aus dieser Perspektive scheint eine Umgehung rechtsherum machbar und gemäss dem Bericht vom Rocksports-Forum hat das für die Seilschaft, welche sie versucht hat, auch funktioniert. Allerdings geht der direkte Weg wirklich viel besser, als es den ersten Anschein macht. Der steile Ausstieg bietet besten Henkelfels, wirklich ein Genuss!
L8, 50m, WI4: Entlang der sich teilweise zu einem v-förmigen Kamin ausbildenden Verschneidung geht's hinauf. Und hier hat es wieder Eis. Nur eine ziemlich dünne Glasur zwar, vermutlich wäre es in trockenem Zustand eher einfacher. Aber irgendwie ist's einfach total geil zu beklettern. Das dünne, oft klare Eis erfordert sorgfältiges Schlagen und Bewegen, zwischendurch spreizt man mit den Füssen auch wieder kaminartig im Fels aus. Die Absicherung mit einigen kurzen Schrauben und Cams geht auch gar nicht so schlecht. Stand haben wir nach 50m am Ende des Eises an Schrauben gemacht, da nicht klar war, ob es auf dem nachfolgenden Schneefeld gute Möglichkeiten gibt.

Blick auf L8 (WI4) von unten. Es handelt sich auch wieder um eine "flared"-Mischung zwischen Kamin und Verschneidung. Die Seitenwand rechts ist dabei von einer Eisglasur überzogen. Das klettert sich sehr aussergewöhnlich und spektakulär - vermutlich wäre es ohne das Eis eher einfacher gewesen.
Rückblick auf L8 (WI4). Hier sieht's nach einem durchgehenden, gut gewachsenen Eisfall aus. Dieser Eindruck täuscht aber definitiv. Meist musste man aufpassen, dass man mit dem Pickel nicht gleich die ganze Glasur wegschlug und auf den Fels dengelte - eine sehr delikate Kletterei.
L9, 40m, M3: Zuerst noch ein paar Schritte im Eis, dann muss ein Block im Fels überstiegen werden (M3) und schliesslich gelang man in eine etwa 45 Grad steile Schneerinne, in welcher problemlos aufgestiegen werden kann. Es fragt sich dann einzig, wo man den Stand bezieht - entweder ganz hinten im Schlund, oder vermutlich besser (so wie wir es gemacht haben) etwas oben an der rechten Seitenwand in perfekt sitzenden Cams.

L10, 30m, M5: Eben, diese Seillänge könnte man womöglich auch hinten im Schlund klettern, wo auch teilweise etwas ganz dünne Eisglasur vorhanden war. Das ist aber bestimmt deutlich unangenehmer, wie der zuerst eher schwieriger aussehende Weg direkt über die kompakte, rechte Seitenwand. Hier gibt's aber nochmals den tollen, wasserzerfressenen Henkelfels. Senkrecht geht's emport, doch mit solchen Töpfen in der Hand klettert sich das problemlos (ebenfalls gut abzusichern). Nach 30m erreicht man das Schuttband und dem einfamilienhausgrossen Klemmblock, welcher die Aufstiegslinie abschliesst. Es ist sinnvoll, hier nochmals Stand zu machen (gute Möglichkeiten für Cams).

Yo man, bald geschafft! Inzwischen ist klar, dass wohl nix mehr ganz schwieriges kommt, und dass das Tageslicht für den Durchstieg ausreicht, so dass wir auf Stirnlampen-Kletterei verzichten können. Trotz Aufstehen um 3 Uhr in der früh, trotz Kälte, schwerem Rucksack und abweisender Kletterei scheint's ganz offensichtlich Spass zu bereiten :-)
L11, 30m, M3: Auf dem Schuttband nach links, unter dem Klemmblock durch ins Freie. Nun entweder direkt in der Rinne weiter oder einfacher nach rechts hinauf über gestufte, nicht mehr ganz so solide Felsen (M3).

Totmann-Sicherung des schnellen Nachsteigers am Top, daher das (scheinbare) Seilpuff.
Und dann steigt man aus. Das übliche Phänomen, dass einem die Sonne am Ende einer Nordwand ins Gesicht scheint, bleibt für einmal aus - es ist 15.45 Uhr, das wärmende Gestirn hat sich schon dem Horizont genähert und beglückt uns nicht mehr mit seinen Strahlen. Sonderlich langsam waren wir aber sicher nicht, 7:15 Stunden Kletterzeit hat's gebraucht. Das selbständige Absichern und vor allem das ziemlich zeitraubende Einrichten von soliden, wirklich zuverlässigen Ständen kostet einfach eine gewisse Zeit. Aber die braucht's halt einfach, als Familienvater will man sich nicht einfach jedem windigen Schnürlein im Gelände anvertrauen. Sonst ist's aber hier oben auf dem Ruchenfirn ganz famos. Es ist eine einsame, malerische Gegend. Schon 2x bin ich hier auf Skitouren zum Gross Ruchen vorbeigekommen und habe sogar vom Grat Blicke in die Tiefe geworfen.

Oben auf dem Ruchenfirn wie immer ein spezielles Ambiente. Der Blick schweift zu den Chalchschijen-Wänden, dem Tödi, Piz Cazarauls und dem Gross Düssi. Alles Berge, wo man einmal gewesen sein "muss". Zumindest, wenn sie zum Alpenpanorama von daheim gehören, so wie das bei mir der Fall ist :-)
So weiss ich auch, was jetzt zu tun ist. Nämlich die Querung zum Ruchchälenpass angehen, und dann durch die Chälen absteigen. Um 16.00 Uhr gehen wir oben los, auf dem Firn ist gespurt, so geht's zügig voran. Die Chälen runter dann eigentlich auch problemlos, nur dass der Schnee beim einen Schritt hart, beim nächsten Schritt bruchharstig und beim dritten bodenlos ist, das ist leicht ätzend. Naja, gibt schlimmeres. Believe it or not, schon nach weniger als einer halben Stunde sind wir zurück beim Depotfelsen - über 7 Stunden rumkraxeln für einen solchen Katzensprung. Wir kochen nochmals einen Kaffee und sortieren im letzten Tageslicht auch gleich noch das Material. Etwas vor 17.00 Uhr laufen wir schliesslich los und brauchen noch eine knappe Stunde retour zum Auto auf der Brunnialp. Mit etwas müden Beinen und Armen setzen wir uns aufs Polster und konstatieren: guter Tag. Um 3.00 Uhr in der früh aufgestanden, den ganzen Tag bei strahlend blauem Himmel in der Kälte am Schatten verbracht, sich durch abweisenden Fels hochgekämpft - für Typen unserer Spezies hätte es aber nicht besser sein können.

Facts

Gross Ruchen - Der Dunkle Turm (ED WI4 M6) - 11 SL, 680m - Odermatt/Schaub 1999 - *****
Material: 2x60m-Seile, 8-10 Eisschrauben, 2 Sätze Cams 0.3-4, Sortiment Schlaghaken, evtl. Keile.

Abenteuerliche und ernsthafte, aber geniale Kletterei durch die östliche Nordwand am Gross Ruchen. Auf die gesamte Strecke gesehen klettert man bei normalen Bedingungen über weite Strecken im Fels, teils in steilem Schnee und nur etwa 120m im Eis. Trotzdem, es lohnt sich, die Steigeisenkraxelei im Fels ist oft von erster Güteklasse auf einer Linie mit viel Charakter. Der Fels ist meist erstaunlich gut, griffig und ideal geschichtet. Die beste Jahreszeit ist sicher der Herbst (Oktober-Dezember), bevor den ersten grossen Schneefällen. Dann sind die Chancen auf gutes Eis vermutlich am höchsten. Etwas gut verfestigter Schnee auf den Bändern hilft sicherlich, sonst mag sich die Sache auch etwas schottrig anfühlen. Wer hier aber anrückt, wenn die Felsen tief mit Pulverschnee überzuckert sind, darf sich wohl auf ein Unternehmen von anderer Art einstellen. Doch auch bei guten, trockenen Herbstbedingungen ist die ED-Bewertung durchaus passend. Anzumerken bleibt, dass in der Route so gut wie kein fixes Material steckt. Ein Rückzug ist mangels (gut) eingerichteten Standplätzen heikel und schwierig. Die Absicherbarkeit mit eigenen Mitteln ist jedoch meist gegeben, und wer den Schwierigkeiten gewachsen ist, lässt sich hier nicht auf ein Harakiri-Unternehmen ein. Man unterschätze den Zeitbedarf an den kurzen Wintertagen nicht und plane genügend Reserve ein. Abschliessend vielleicht noch ein Quervergleich zur ebenfalls grösstenteils cleanen, mit M6+ bewerteten Reise ins Reich der Eiszwerge in Kandersteg: mich dünkte "Der Dunkle Turm" doch massiv anspruchsvoller, sei es in Bezug auf die Schwierigkeit, die Absicherbarkeit und natürlich auch die Länge. Trifft M6+ für die Reise zu, dann sollte man für die Crux hier sicher mindestens eine M7 veranschlagen und auch die anderen Seillängen entsprechend etwas aufwerten.

Topo

Im Hot Ice Ost von Erstbegeher Urs Odermatt gibt es ein Topo zur Route. Es ist aber mässig repräsentativ, weil damals die meisten Seillängen im Eis geklettert werden konnten. Darüber hinaus lässt jedes Topo in den unteren Seillängen bis zum Eisfall reichlich Interpretationsspielraum zu. Das Gelände bietet dort oft mehrere Möglichkeiten und die Übersicht über den weiteren Verlauf fehlt einem. Selbst im Dialog mit Urs liess sich nicht vollständig klären, ob wir bis zum Eisfall auf exakt derselben Linie wie die Erstbegeher unterwegs waren, höchstwahrscheinlich aber schon. Danach gibt's dann allerdings keine Fragezeichen mehr. Hier der Versuch von einem Topo, welcher die häufig vorherrschenden, trockenen Bedingungen adäquat abbildet (mit Download-Link in voller Auflösung).

Topo zur Route "Der Dunkle Turm" in der Nordwand am Gross Ruchen.