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Montag, 16. Juli 2018

Räterichsbodensee - Bruni Chue (6a+)

Vor uns stand ein Wochenende mit perfektem Alpinistenwetter - sonnig, warm und gewitterfrei. Somit sollte es 'en famille' in die Berge gehen, mit Zeltausrüstung und Klettergeraffel im Gepäck. Wir entschieden uns, das Basislager in Innertkirchen zu errichten. Schliesslich gibt's da genügend steilen Fels wie auch interessante, kindertaugliche MSL-Routen in Griffweite.

Die Platten am Räterichsbodensee bieten spannende Reibungskletterei in perfektem Fels.
Sonntags zogen wir schliesslich an die Platten am Räterichsbodensee. Geklettert werden sollte in 2 Seilschaften (Mutter/Sohn und Vater/Tochter). Ich war zwar schon lange nicht mehr vor Ort, vor Jahrzehnten hatte ich hier jedoch schon ein paar Touren geklettert, u.a. die Chly Häx, Neuholz, Tim & Struppi und Grimselstrom. Da ich ja auch mit der Plattenrakete unterwegs sein konnte, lag es irgendwie auf der Hand, in der nominell schwierigsten Route anzugreifen. Schon erstaunlich übrigens die Entwicklung. Ziemlich genau ein Jahr zuvor hatte ich nach der Biwaktour am Rhonegletscher das erste Mal überhaupt eine MSL ganz alleine mit meiner Tochter geklettert. Inzwischen war das beinahe schon Routine und der zu wählende Schwierigkeitsgrad ist auch schon einiges nach oben gewandert. Somit ging's eben in die Bruni Chue, ein irgendwie total unpassender Routenname. Soviel vorweg, ich hätte sie auf 'Holdless Horror' umgetauft, meine Tochter auf 'Glatti Platti'. Aber gehen wir die Sache im Einzelnen an. Um 10.45 Uhr ging's los mit:

Ziemlich kinderfreundlicher Zustieg. Sie fragen jeweils nicht, wie lange und wie schwierig die Route sei, wenn wir eine MSL planen. Aber wie lange und wie weit man zum Einstieg laufen muss, das ist jedes Mal ein Thema. Wie gut, dass meine Vision aus dem El Cap besteht und nicht aus einem abgelegenen Bigwall im Karakorum...
L1, 5a: Hier trifft man auf teilweise vom Gletscher unglaublich glatt polierten Fels. Direkt über die Haken geklettert bei weitem schwieriger wie 5a und selbst mit einem grosszügigen Riesenslalom von Haken zu Haken ist's wohl die tiefstmögliche Bewertung, welche man der Kletterei noch andichten kann.

Beach Feeling und glattes Parkett in L1 (offiziell 5a, nach meinem Empfinden schwieriger). 
L2, 2b: Tönt ziemlich nach Gehgelände, trifft jedoch nicht zu. Eher unterer Viererbereich, meine ich.

L3, 5b: Achtung, hier nun peinlich genau den (nicht mehr gut sichtbaren) weissen Markierungen folgen, sonst verhaut man sich in eine der kreuzenden Touren. Es wartet schon nicht mehr gänzlich triviale Reibungskletterei. Die Absicherung mit 7 BH auf 45m Kletterstrecke ist dann auch nicht besonders üppig ausgefallen. Anstatt 'plaisir super' wohl im Maximum 'plaisir gut', stürzen kann man hier definitiv nicht à discretion.

Dieses Bild widerspiegelt gut den Charakter der Kletterei in den unteren Seillängen. Reibung und relativ weite Hakenabstände. Wo man hinfällt, wenn man hier kurz vor dem Standplatz stürzt, dürfte klar sein - nämlich 15m in den Alpengarten direkt unterhalb. Für mich ist das nicht mit 'plaisir super' vereinbar. Will aber nicht heissen, dass hier zwingend nachgebohrt werden muss, es geht nur darum, dass klar ist, was einen hier erwartet.
L4, 5b: Für lokale Verhältnisse eine abwechslungsreiche Seillänge mit ähnlichem (Absicherungs-)Charakter wie diejenige zuvor.

L5, 5c+: Am Schluss wartet bereits der erste fordernde Test für den Haftreibungskoeffizienten der Schuhsohlen. Kommentar der Nachsteigerin: 'Papi, du häsch viel länger gha als ich!?! Für mich isch das nonig schwierig, ehner nur 4c'.

Am Ende von L5 (5c+) ändert die Farbe des Felses von grün zu schwarz. Die Wand wird noch einen Tick steiler und über die letzten 2 Haken hinweg wartet der erste Test für den Haftreibungskoeffizienten. Zumindest meinereiner kann hier den Fuss nicht mehr einfach beliebig platzieren und die Wand hochlaufen, da muss schon sorgfältiger angetreten werden. Am anderen Seilende ist das hingegen noch nicht der Fall, da scheint noch alles zu halten und Trittwahl ist nicht nötig.
L6, 5c+: Achtung, hier wieder erhöhte Abdriftgefahr in die daneben verlaufenden Tour! Es geht nicht (wie es eigentlich ziemlich logisch wäre) direkt hinauf den Bohrhaken entlang, sondern nach links an die (vermeintlich) cleane Verschneidung, welche man sogleich nach links hinaus verlässt. Zur Abwechslung gibt's hier auch mal den einen oder anderen Griff zu halten.

Die Schlusspassage von L6 (5c+) verläuft oberhalb der Verschneidungskante (welche hier links im Bild zu erahnen ist). Rechts dafür mal so etwas wie Griffe, welche sich in die Sequenz einbauen lassen (oder auch nicht, schliesslich muss es anderswo auch ohne gehen...). 
L7, 6a+: Eine unglaubliche Knallerplatte, homogen und praktisch grifflos. So auf den ersten Gedanken à la 'das ist doch gar nicht möglich'. Es gibt über weite Strecken wirklich absolut keine Griffe und daher muss es ja mit einfach hinstehen und rauflaufen gehen. Für mich war das gefühlt absolut am Haftreibungslimit - da mag's kein Husten und keine Flechte mehr leiden, sonst rutscht der Fuss. Ob die Bewertung passt, soll jeder selber entscheiden. Mir kommt da nur z.B. die Platte am Ende von L4 von Sacremotion am Chli Bielenhorn in den Sinn. Die galt einmal als 7a+, inzwischen ist's zwar nur noch eine 6c+, aber die Moves dort sind garantiert einfacher wie das hier. Am anderen Seilende tönte es auch nicht mehr gar so vorlaut wie zuvor... da musste sich nun jemand doch plötzlich noch ein wenig Mühe geben ;-) Aber es ging schliesslich für uns beide frei und onsight bzw. flash.

Die unglaubliche 45m-Knallerplatte in L7 (6a+). Sehr glatt, sehr anhaltend, sehr eindrücklich! Während ich hier sowieso nur noch mit ganz sorgfältiger Planung und sauberer Gewichtsverlagerung in die Höhe kam, hatte sich die Situation am anderen Seilende auch ein wenig geändert. Hier war's nun für die übliche 'ich stehe hin und laufe rauf' Strategie doch auch zu steil und zu glatt und es musste sorgfältiger und geplanter gemovt werden.
Nochmals ein Shot aus der Cruxlänge (L7, 6a+), welcher gut zeigt, wie glatt das Terrain ist. Die angedeutete Rampe ganz am Ende der Seillänge ist dann echt willkommen, so fühlen sich die letzten Meter dann tatsächlich noch wie rauflaufen an, weil man hier in ein bisschen weniger steilem Gelände antreten kann.
L8, 5b: Hier wartet oberhalb vom Stand ein perfekter Splitter Crack (allerdings eingebohrt). Mit ein paar Klemmern wartet hier frohgemutes, gemütliches Steigen. Zuletzt dann über ein paar Aufschwünge zum finalen Stand.

Megaschöner Splitter Crack in L8 (5b). Obwohl die Wand gleich steil und glatt wie zuvor ist, ist die Kletterei so viel einfacher.
Kurz vor dem Top der Route. Doch ein respektabler Höhengewinn gegenüber dem See!
Um 13.45 Uhr und damit nach ziemlich genau 3:00 Stunden kurzweiliger und spannender Kletterei hatten wir das Top erreicht. Warum die Route hier kurz unter einem 2m breiten Band endet, hat sich mir allerdings nicht so ganz erschlossen. Oberhalb würden nämlich nochmals 2-3 Seillängen Kletterei vom selben Zuschnitt warten. Sieht nach ähnlichem Schwierigkeitsgrad und Topfels aus. Haken ausgegangen? Akku leer? Lust abhanden gekommen? Oder reichen dem Plaisirkletterer 8 Seillängen? Eigentlich sollte man diese Route noch fertig erschliessen. Vielleicht nehmen wir ja nächstes Mal wirklich noch die Bohrmaschine mit, mal sehen. Für den Weg zurück zum Einstieg gibt's nur das Abseilen. Die Seillängen sind alle ziemlich lang, somit sind 7 Manöver fällig, nur gerade L2 und L3 kann man verbinden. 

Abkühlung zum Schluss bei einem Besuch in der Aareschlucht.
Inzwischen war es ziemlich heiss geworden, somit wollten wir es für heute gut sein lassen. Schliesslich wartete ja auch noch das Restprogramm, und dieses hiess: Aareschlucht durchwandern und Glacé essen, um für etwas Abkühlung zu sorgen. So ging ein tolles Weekend zu Ende. Nein, das Alpine CV wurde dieses Mal nicht um klingende Namen und hohe Schwierigkeitsgrade erweitert. Nichtsdestotrotz war die Kletterei für mich absolut spannend! Ja wirklich, das meine ich zu 100% ernst - trotz dem banalen Schwierigkeitsgrad (beim Sportklettern ist mir dieser Grad selbst zum Aufwärmen zu einfach!) war ich absolut gefordert. Das zeigt wieder einmal schön, wie relativ Schwierigkeitsgrade beim Klettern sind...

Facts

Räterichsbodensee - Bruni Chue 6a+ (6a obl.) - 8 SL, 320m - C. & U. Gehbauer 2000 - ***; xxx
Material: 2x50m-Seile, 12 Express, Cams/Keile nicht nötig

Die Route bietet vorwiegend Reibungskletterei in sauberem, flechtenfreien und nicht brösmeligem Aaregranit, andere Kletterstile kommen nur vereinzelt zur Anwendung. Langweilig wird's trotzdem nicht, die Kletterei dünkte mich doch ziemlich knifflig und auch im Vergleich zu anderen Plattenschleifern eher hart bewertet. Um stilrein und unbeschadet am Top anzukommen, sollte der Vorsteiger schon ein wenig etwas auf dem Kasten haben. Die Absicherung ist nämlich auch nicht allzu üppig ausgefallen. An den einfacheren Kletterstellen (d.h. <=5c) würde ich das als irgendwas zwischen 'plaisir soso' und 'plaisir gut' einschätzen (d.h. xx-xxx). Die schwierigeren Meter (>=5c+) und auch die 6a+ Cruxlänge sind dann auf Niveau 'plaisir gut+' (d.h. xxxx) gebohrt. Hier wird man sich auch bei einem Sturz zur Unzeit kaum mehr gröber wehtun, zwingend ist die Kletterei aber immer noch. An ein paar wenigen Stellen könnte man tatsächlich auch noch Cams unterbringen, um die Abstände zu verkürzen. Weil's aber an vielen Stellen mit gleicher Schwierigkeit dann eben doch nicht geht, kann man jedoch auch ebensogut darauf verzichten, diese mitzunehmen. Nähere Infos findet man im Schweiz Plaisir West (z.B. bei Bächli Bergsport erhältlich). Ebenfalls nützlich ist das Topo-Update, wo die Nachbartouren Toni und Weisser Germer verzeichnet sind.

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