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Montag, 30. September 2019

Tête de Sanglier - Les Jardins d'Amadine (6a)

Erneut war ein grandioser Bergtag mit stabilem Wetter angekündigt, den wir für eine Tour und das Kennenlernen neuer Berge und Täler in der französisch-italienischen Grenzregion nutzen wollten. Eine relativ zugängliche, aber trotzdem lange und eindrückliche Plaisirtour findet man an der Tête de Sanglier im Vallon d'Ubaye. Über eine Strecke von fast 500 Klettermetern findet man hier schön griffigen, festen Quarzit. Geht man so wie wir nach der Tour zum Gipfel und steigt zu Fuss durch das Vallon des Houerts ab, so ergibt sich eine tolle, landschaftlich sehr schöne Überschreitung. Nachdem das gebrochene Schlüsselbein gut verheilt ist und die Schwierigkeiten den Grad 6a nicht überschreiten, kommen an diesem Tag beide Kinder mit. Nur die Mama muss sich leider immer noch mit einer Wanderung im Talgrund begnügen, um die Batterien vom Sportklettern wieder aufzuladen.

Die aus griffigem Quarzit bestehende E-Wand der Tête de Sanglier im Vallon d'Ubaye weist doch beachtliche Dimensionen auf! Die Route 'Les Jardins d'Amadine' (6a) führt immer rechts der markanten Verschneidung in Bildmitte durch die Wand. Einstieg und Top der Route sind je mit einem roten Punkt markiert. Bildquelle: Aurelien Quiri, camptocamp.org.
Die Anfahrt führt von Guillestre über den Col de Vars nach St-Paul-sur-Ubaye und ist alleine schon sehenswert. Vom Ort geht's ins auf schmaler Strasse ins verlassene Tal hinein, der Parkplatz befindet sich 300m vor dem Weiler La Barge. Nun nicht gleich zu Beginn einen Verhauer leisten: der Pfad startet undeutlich links vom Bachbett (Steinmann vorhanden. Achtung, auch rechts vom Bach beginnt ein Pfad, der führt jedoch woanders hin!), wird dann aber bald besser und führt entlang von Steinmauern diagonal links aufwärts über Kuhweiden Richtung Wand. Später geht's dann durch die Bäume, man überquert die grosse Runse und steigt zum Wandfuss hinauf. Wenn man den Anfang des (richtigen) Pfades einmal gefunden hat, so wird man ihn nicht mehr verfehlen, er ist tiptop ausgetreten.

Vallon d'Ubaye. Der Ausgangspunkt zur Tour in Bildmitte am unteren Bildrand gerade knapp zu sehen.
Wir haben auf einen späten Start gesetzt und sind erst um 12.20 Uhr vom Auto los. Dank dem stabilen Wetter und wegen den hohen Temperaturen klettern wir lieber erst am Nachmittag, wenn die Sonne nicht mehr so stark in diese Ostwand brennt oder gar schon um die Ecke verschwunden ist. Diese Strategie ging schliesslich perfekt auf. Anyway, vom Wandfuss geht's noch links diagonal über die Rampe hinauf. Der wenig empfehlenswerte Originaleinstieg unserer Route befindet sich rechts des schwarzen Wasserstreifens. Jener war im trockenen Sommer 2019 kaum erkennbar, auch die grüne Schrift ist nicht mehr lesbar und nur noch mit Spürsinn zu erahnen. Wir gehen aber sowieso weiter zum gebräuchlichen und schöneren Linkseinstieg. Der befindet sich wenige Meter vor dem breiten Riss, welcher in die Riesenverschneidung hinaufführt (keine Markierung vorhanden, aber dank ausgetretenem Geröllplatz erkennbar, wenn man späht, wird man auch die ersten BH erkennen). Nach 30 Minuten Zustieg sind wir vor Ort, wohl ein paar Minuten nach 13.00 Uhr starten wir die Kletterei.

Erster Aufschwung

L1, 45m, 5b: plattig, schön griffiger Quarzit
L2, 40m, 5c: ähnlicher Charakter, bisschen schwieriger
L3, 25m, 6a: es wird steiler, kurz aber anhaltend fordernd
L4, 45m, 6a: nochmals steil und griffig, zuletzt links raus
L5, 45m, 6a: überhängender und henkliger Start, dann ein schöner Riss
L6, 35m, 5c+: Knifflige Verschneidung, gefolgt von etwas unlogischer Links-Rechts-Schleife
L7, 45m, 4b: Einfaches Teilstück der Rippe entlang, zuletzt kurz links an steilerer Wand (BH)

Zwei schnelle Nachsteigende = wenig Zeit, um Kletterfotos zu machen. Hier am Ende von L4 (6a).
An dieser Stelle hat man den ersten Teil der Wand bezwungen und man könnte (wie vermutlich auch schon nach L6) rechtshaltend über Bänder in die grosse, geröllige Runse queren und durch diese zum Ausganspunkt absteigen. Wir wollen aber natürlich weiter zum Gipfel und machen uns daher auf, den oberen Teil zu erreichen. 

L8, ca. 70m, 2a: zuerst 3m links hinauf, dann horizontale Traverse nach links, schliesslich auf einem Band diagonal abkletternd. Wegen der querenden Natur, da sich drüben am Beginn des zweiten Aufschwungs kein Stand befindet und es unterwegs kaum Möglichkeiten für Zwischensicherungen gibt, ist dieser Abschnitt heikel, wenn man ihn als Seillänge begeht. Darum besser seilfrei bzw. am kurzen Seil gehen. Der Start vom oberen Routenteil befindet sich fast drüben bei der Verschneidung in weissem Fels, zur Zeit unserer Begehung befand sich ein Steinmann beim Startpunkt. Wie so oft an diesem Berg sind die Haken aber nur schwierig sichtbar.

Zweiter Aufschwung

L9, 45m, 5b: Super griffige Genusskletterei, Dächli am Ende, dann ansetzende Verschneidung
L10, 45m, 5c: Links der Verschneidung, dann steil und griffig, vor dem zweitletzten Bolt lose Blöcke
L11, 40m, 5c+: Steilzone an rechten Ende griffig überqueren und wieder eher links haltend hinauf
L12, 30m, 4a: Gerade hinauf zum Top. Oben findet man 2 BH und Abseilmöglichkeit

Panorama aus der Wand
Um 17.30 Uhr sind wir nach 4:30h Kletterei am Top und haben eben eine Seilschaft aufgeholt, welche lange vor uns gestartet ist. Für den Weg ins Tal gibt's mehrere Möglichkeiten. Eine besteht darin, über die Route abzuseilen. Das wären zu dritt 11 Strecken plus die Querung in Wandmitte. Zieht man zusätzlich den strukturierten Fels in Betracht, so hätte dies wohl eine geraume Zeit gedauert und wäre wenig spassig gewesen. Somit zogen wir den auch nicht ganz kurzen Fussabstieg vor, welcher über den Gipfel und später westwärts ins Vallon des Houerts führt. Dazu steigt man über Platten und Schrofen (T5, II) ca. 80hm weiter auf bis zu einem flachen Vorgipfel. Von diesem wenige Meter absteigen und durch die folgende Wand hinauf mit etwas Kraxelei über Stufen und Bänder (T4+). Zuletzt kann man sich nach links in einen grasigen Sattel (ca. 2600m) drängen lassen, von wo es zum fakultativen Gipfel der Tête rechts weitere 50hm sind. Vom Top der Route bis zum Sattel sind es ca. 200hm und eine knappe halbe Stunde Aufstieg. 

Da wir schon dabei sind, lassen wir den Gipfel natürlich nicht aus, rasten dann aber kurz im Sattel und verpflegen uns. Der Abstieg von dort führt über alpine Wiesen etwas rechtshaltend hinab. Das Gelände ist problemlos begehbar (T3), aber Wegspuren gibt's absolut keine. Der Weg ist jedoch logisch und gut zu finden. Weiter unten zielt man dann in Richtung der Schäferhütte aus Stein, die sich auf dem letzten flachen Wiesenboden im Vallon des Houerts (ca. 2300m) befindet. Dort trifft man auf den Weg, der zurück ins Tal führt. Recht steil und erstaunlich weit (600hm) geht's abwärts, bis wir auf die Strasse treffen, wo wir um 19.30 Uhr ankommen. Das waren jetzt doch auch 2 Stunden ab Routenende bzw. 1:30 Stunden für die 1000hm Abstieg vom Gipfel. Wir haben Glück und die Mama ist bereits da, um uns aufzuladen. Sonst würden nämlich noch 2km und 150hm Aufstieg zurück zum Ausgangspunkt warten, welche den Rückweg zusätzlich verlängern. Wir tuckern zurück über den Col de Vars zu unserem Zelt, um einen wunderbaren Klettertag durch eine grosse Wand in einer eindrücklichen Gegend reicher. 

Auf dem Fussabstieg ins Vallon des Houerts. In der linken Bildhälfte der Sommet Rouge, wo man auch klettern kann.
Nur eine Frage bleibt bis heute ungeklärt: die Seilschaft, die wir am Routentop angetroffen hatten, verfügte über keinen Plan für den Abstieg. Ich erklärte ihnen den von uns geplanten (und gewählten) Fussweg. Sie machten sich wenige Minuten vor uns aufsteigend auf den Weg, doch wir bekamen sie nie mehr zu Gesicht. Da sie zuvor nicht durch Schnelligkeit brillierten, wir nicht herumtrödelten und man im Gelände später immer wieder weit voraus sieht, ist es kaum denkbar, dass die beiden wirklich den Westabstieg wählten. Sie mussten sich entweder verhauen haben oder wählten schliesslich doch eine andere Option. Aber welche?!? Ich hoffe, die beiden kamen trotzdem gut vom Berg - die Kinder beschäftigten sich jedenfalls noch tagelang mit dem Schicksal dieser Seilschaft. Letzteres ist für mich gut nachvollziehbar: es war ja doch eine wilde Gegend, ein isolierter Gipfel und ein wenig offensichtlicher, etwas komplizierter Abstieg. Kein Wunder, dass es für die Kids einen ziemlichen Alptraum darstellt, dort oben verloren zu gehen!

Facts

Tête de Sanglier - Les Jardins d'Amadine 6a (5c obl.) - 12 SL, 450m - Chevalier/Fiaschi/Golé 1994 - ****;xxx
Material: 1x oder 2x50m-Seil, 12 Express, Keile/Friends nicht nötig

Plaisirkletterei mit alpinem Touch: kurzer Zustieg, gut abgesicherte, moderat schwierige, gutmütig bewertete und schön griffige Quarzit-Kletterei, die aber trotzdem durch eine grosse Wand und auf einen richtigen Gipfel führt. Insgesamt ein ausgefülltes Erlebnis, das zusammen mit dem langen Abstieg doch etwas Kondition erfordert. In diesem Schwierigkeitsgrad auf jeden Fall eine grosse Tour, für mich ohne Zweifel 4 Sterne wert! Wie bereits erwähnt, ist die Absicherung als freundlich und auf Stufe "Plaisir gut+" einzuschätzen, einzig in den einfachsten Abschnitten sind die Abstände grösser. Für mobile Sicherungen verspürte ich keinen Bedarf, viele Möglichkeiten zu deren Platzierung gibt's obendrein auch nicht. Es stecken verzinkte Haken mit Fixé-Plättli, leider ein ungeeignetes Material für diese Umgebung. Die Bolts sind teils schon ordentlich korrodiert und haben sich in ihrer Farbe dem Fels angeglichen. Zusammen mit der Felsstruktur und dem typischen Gegenlicht sind sie oft schwierig zu erkennen. Somit braucht's trotz der guten Absicherung durchaus etwas Spürsinn für den Routenverlauf. Meist geht's aber ziemlich geradeaus und wenn das nicht zutrifft, eher nach links wie nach rechts. Ein Topo befindet sich im Topoguide Band II oder auch in lokalen Kletterführern (z.B. Escalade en Ubaye). Hinweis: es gibt im Vallon d'Ubaye keinen Handy-Empfang (Stand Sommer 2019), d.h. weder am Ausgangspunkt noch in der Wand hat man Verbindung.

Mittwoch, 25. September 2019

Paroi des Militaires - Tomahawk (7a+)

Heute soll es für einmal ein ganz spezielles Programm geben: die Kinder wollen chillen und nicht klettern, die zustiegshandicapierte Mama dafür auf MSL. Das tönt wie ein kaum zu realisierender Wunsch. Doch siehe da, im Vallée Étroite bei Bardonecchia gibt's die Paroi des Militaires, wo nicht nur 1985 die ersten Kletterwettkämpfe in Mitteleuropa überhaupt (damals noch Outdoor!) durchgeführt wurden, sondern wo auch mit nur (ja, wirklich!) 10 Sekunden Zustieg  auf lohnende und schattige MSL gestartet werden kann.

Ambiente im Vallée Étroite an der Paroi des Militaires. Da man (zu) nahe hinfahren kann, gibt's von der Wand kein Foto.
Von Briançon ist's doch noch etwas Kurverei über den Col de l'Echelle, bis man da ist. Doch es ist eine sehr schöne Gegend, wo wir bisher noch nie waren. Kurzum, es lohnt sich! Über den Zustieg gibt's nichts zu schreiben. Obwohl ich es im Vorfeld und auf der Anfahrt kaum geglaubt hätte, aber man kann tatsächlich bis an den Einstieg fahren, die Strasse führt unmittelbar an der Wand vorbei, das Ambiente hier im Bergtal ist aber trotzdem ganz in Ordnung. Da etwas kürzer und einfacher, entscheiden wir uns für die Tomahawk (7SL, 160m, 7a+) und lassen den Albatros als Projekt für ein nächstes Mal. Die Kinder konnten sich unterdessen in Sicht- und Rufweite auf den Wiesen und am Bach unterhalb der Wand verweilen. Anders als eigentlich aufgrund der Angaben in der Literatur erwartet (Expo NE, schattige Lage) ist die hoch stehende Hochsommersonne auch um 12.00 Uhr noch präsent, als wir starten. Sie wird es auch noch eine ganze Weile sein (bis ca. 13.30 Uhr) was aber nicht stört: es geht ein frischer Wind, ins Schwitzen kommen wir heute nicht. Der Start befindet sich übrigens unmittelbar rechts der aufgeschichteten Steine an/in der Wand, die Aufschrift ist kaum mehr lesbar.

L1, 6a: Wird oft auch als Baseclimb gemacht und verläuft in schön kantigem Fels mit positiven Griffen. Die Bolts mit den kleinen Cassin-Laschen sind nicht immer einfach zu erkennen, v.a. im Gegenlicht der Sonne.

L2, 6b+: Wer etwa gedacht hat, dass es im selben Stil weitergeht, hat sich ziemlich getäuscht, so ging es jedenfalls mir. Die Felsstruktur wechselt plötzlich, alles ist abschüssig und auch etwas glatt und man hat vorwiegend Seit- und Untergriffe zu nutzen - durchaus knifflig!

Schöne Kletterei in kompaktem Fels wartet in L2 (6b+). Der Schlüssel liegt in der Fusstechnik.
L3, 6c+: Der Beginn verläuft hier 2m rechts einer schauderlich brüchig aussehenden Kaminverschneidung. Volker von Topoguide ist offenbar diese geklettert und hat die herausfordernd aussehende Platte daneben rechts liegen lassen. Ich entscheide mich doch lieber für die Platte: rechts gibt's ein paar gute Seitgriffe und mit 2-3x gut auf die Füsse stehen ist die Sache geritzt. Nachher überquert man eine Art brüchiges Couloir nach links, bezwingt die folgende, steil-griffige Wand und klettert an schönen Rissen zum Stand.

L4, 7a+: Die Steilplatte gleich nach dem Stand hat es in sich, das zeigt schon die enge Absicherung. Der Fels ist hier zum Glück schön rau und hat prima Reibung. Um durchzukommen, muss man schon kurzfristig mal richtig gescheit auf die Füsse stehen, mir gelingt es aber tadellos und ich kann diese Stelle wie den ganzen Rest der Route onsight klettern. Der Rest der Seillänge kommt dann etwas griffiger im 6b-Bereich daher.

Im ersten Teil von L4 (7a+) wartet die Crux an einer Steilplatte, dann wird es wieder griffiger.
L5, 6b: Steil und griffig an rauem Fels geht's bei luftiger Exposition in die Höhe und auf die Kanzel rechts oben, super Position. Eine wirklich spektakuläre Seillänge!

L6, 6a+: Die Wand legt sich wieder ein wenig zurück, die Griffigkeit bleibt erhalten. Eigentlich sind es noch 2 Seillängen, die sich aber prima verbinden lassen.

Um ca. 14:45 Uhr ist nach 2:45h Kletterei das Top erreicht und da es keinen Fussabstieg gibt, seilen wir unverzüglich in einer Viertelstunde ab. Während wir beim Aufbruch noch ganz alleine an der Wand waren, kam nach und nach ein substanzieller Teil der italienischen Bevölkerung an die Paroi des Militaires, um sich den Baseclimbs zu widmen. Schon als wir noch im Aufstieg waren, war das nicht ganz unbedenklich, ist der Fels doch nicht zu 100% ausgeräumt und die Wahrscheinlichkeit eine Bombe zu droppen durchaus vorhanden. Das konnten wir mit etwas Umsicht vermeiden, aber beim Abseilen nun, insbesondere beim Seil Abziehen, ist es einfach eine Lotterie. Auf unsere Rufe reagieren die Leute nicht und unsere Kinder sind noch zu wenig gut in fremdländischer Verständigung, als dass sie die Leute warnen könnten. Eine unangenehme Situation, schliesslich will man ja niemanden erschlagen oder verletzen, aber noch stundenlang in der Wand zu warten ist auch keine Option. Schliesslich schaffen wir es, dass nicht viel mehr als 2-3 Steinchen beim Seilabziehen runterfallen. Sie treffen zum Glück niemanden, die Leute die sich hier ohne Helm tummeln, scheint's auch nicht zu stören. Wir machen uns aus dem Staub, sammeln die Kids ein und tuckern die wenigen Kilometer bis zur ersten italienischen Bar, um einen echten Cappuccino und Gelati zu geniessen. Gleich 2km unterhalb des E-Werks wird man beim Golfplatz fündig, der Umweg bei einer Rückkehr nach Briancon ist minimal :-)

Facts

Paroi des Militaires - Tomahawk 7a+ (6b obl) - 6 SL, 160m - ??? - ***;xxxxx
Material: 2x50m-Seile, 12 Express, Keile/Friends nicht nötig bzw. einsetzbar

MSL-Klettern mit minimalem Zustieg, hier ist es möglich! Obwohl in einem schönen Bergtal gelegen, vermittelt die Route auf diese Art eher etwas den Eindruck von Sportkletter-Seillängen am Stück anstatt von echtem MSL-Ambiente. Die Kletterei ist jedoch abwechslungsreich, jede Seillänge hat ihren eigenen Charakter - manchmal ist's griffig, die schwierigsten Stellen erfordern jedoch eher gute Fusstechnik auf abschüssigen Steilplatten. Der Fels ist meist gut, ein paar Passagen muss man jedoch als leicht brüchig bezeichnen. Kein grösseres Problem als Begeher, für die sich am Wandfuss tummelnden Leute jedoch trotzdem potenziell problematisch. Die Absicherung ist durchgehend sehr gut und klettergartenmässig, man kann voll angreifen und ausser 12 Exen gehört kein weiterer "Ballast" an den Gurt. Nähere Infos und ein Topo finden sich im Topoguide oder in den lokalen Führern Haut Val Durance oder Oisans Sauvage Oisans Nouveau.

Freitag, 20. September 2019

Titlis - Cirrus (7a)

Schon vor 2 Jahren hatten wir die 11-SL-Route Cirrus am Titlis im Visier, wurden aber abgewiesen von der eindrücklich grossen Randkluft und der Tatsache, dass die Route durch den Gletscherrückgang erst rund 25m off-the-deck begann. Die Gelbe Sau gab damals eine exzellente Alternative her. Im Nachgang zu jener Tour kontaktierte ich die Erstbegeher der Cirrus und erhielt nicht nur die Erlaubnis, sondern die ausdrückliche Ermunterung, die Route doch nach unten zu verlängern und wieder begehbar zu machen. Am Tag nach einem erfolgreichen Wettkampfeinsatz wollte dies an einem wunderbaren Spätsommertag angepackt werden. Ob sich der Plan in eine Tat umsetzen liesse, konnten wir wegen den Randkluft-Unsicherheiten nicht garantieren und mussten auch Plan-B-Routenoptionen im Auge haben. Wie Figura zeigt, konnten wir dann aber doch in die Cirrus einsteigen.

Die Titlis Südwand mit dem Verlauf der Cirrus (11 SL, 7a).
Dass man die Routen am Titlis am bequemsten per Gleitschirm angeht, war mir natürlich schon längstens präsent, auch bevor diese Variante im schönen Bericht von Urs Lötscher in der SAC-Zeitschrift 'Die Alpen' (8/2019) vorgestellt wurde. So begaben wir uns nach Engelberg und nahmen die erste Bahn auf den Klein Titlis (33 CHF mit Halbtax). Diese fährt leider erst um 8.30 Uhr, ein früher Start ist also mit dieser Variante nicht realisierbar. Doch Mitte September bei stabilem Wetter reicht das noch gut für eine Titlis-Südwand-Route. Während die Windprognosen im Vorfeld gut aussahen, manifestierte sich am Tourentag dann doch ein Westwind von 20km/h an der Gipfelstation bzw. ca. 12km/h an der Bergstation - eher ein bisschen viel und die Richtung ist auch nicht optimal, aber trotzdem noch im machbaren Bereich. So gingen wir vom Klein Richtung Gross Titlis, um am nach NW gerichteten Gletscherhang auf ca. 3100m (Karte) die Schirme zu präparieren. So waren wir um 9.40 Uhr startbereit. Es wartete ein etwas mühsamer Start mit Seitenwind und dann der Flug: erst müssen nordwärts ausholend die Bahnseile und Stromkabel überflogen werden, bevor man das Hintere Titlisjoch (~2700m) überfliegt. Das ist etwas >1km Gleitstrecke, mit 400m Höhendifferenz sollte es theoretisch gut reichen. Gegen den Wind und die Abrisskante mit den Singleskin-Schirmen blieb dann doch nicht mehr so viel Reserve... aber es reichte. Weiter geht's entlang der Titlis Westwand und schliesslich um die Ecke (SW-Pfeiler) und plötzlich war der Boden schon viel näher als gedacht. Es reichte gerade noch, um die Felsinsel zu überfliegen, bevor wir auf ca. 2440m auf dem Wendengletscher aufsetzten.

Start zum "Zuflug" am NW-Hang des Gross Titlis mit seitlichem Wind, ca. aus der Richtung des Turms.

Man has landed on the Wendengletscher. Im Gegensatz zum letzten Mal war er mit weichem Schnee bedeckt.
Nachdem wir die Schirme zusammengerafft hatten, blieben noch ca. 15 Minuten Fussaufstieg durch etwas mühsam weichen Schnee zum Einstieg. Da die Route ja nicht mehr bis zum Boden reichte, wäre dieser schwierig zu identifizieren gewesen, aber meine Kenntnisse von vor 2 Jahren halfen natürlich weiter. Um 10.15 Uhr und damit 1:45h nach Aufbruch vom Auto waren wir schliesslich da. Rein zeitlich ist man also mit der Flugvariante gar nicht mal so viel schneller, wie wenn man beim Wendenboden P.1593 starten würde - kräftemässig hatten wir aber natürlich einiges gespart. Wie erwartet klaffte eine gewaltige Randkluft: rund 2m breit, bodenlos tief, der Grund nicht erahnbar. An einer etwas schmaleren Stelle gab es felsseitig ein kleines Podest, hier würde man mit einem Sprung wohl in die Wand kommen. Das wollten wir probieren, denn einerseits schien die Stelle geeignet, um nach oben zu klettern, andererseits sollte sie (beim absehbaren weiteren Abschmelzen des Gletschers) auch von unten erreichbar sein. Wir sortierten das Gear und die Bohrausrüstung, um ca. 10.45 Uhr war alles montiert. Per Totmann von weiter unten am Hang gesichert konnte ich den Sprung in die Wand wagen. Und der durfte nicht schiefgehen: ein Totalschaden wäre durch die Sicherung natürlich verhindert worden, ein unangenehmer Sturz aber trotzdem programmiert. Immerhin wurde mir an dieser Stelle nun klar, wozu die (von mir nicht unbedingt bevorzugten) Jump-Probleme an den Boulderwettkämpfen schlussendlich doch gut sind. Jedenfalls war es mehr scary als schwierig, ich landete safe auf dem Podest und konnte nach wenigen einfachen Kletterzügen den ersten Bolt setzen, womit ich endgültig "normal" gesichert war. Hinweis: wir haben am ersten BH ein ca. 15m langes Fixseil platziert. Dieses kann/soll dazu dienen, sich beim weiteren Abschmelzen des Gletschers bis zum ersten BH sichern zu können. Ebenso kann man sich bei Bedarf das Seil mit einer Fischerrute, Clipstick o.ä. angeln und so die Randkluft gesichert und problemlos überqueren.

Hmm, jaa, hmm, da muss man rüber. Das kleine Podest in der Wand lässt sich erahnen (gerade oberhalb der Schattengrenze).

Am ersten BH haben wir ein Fixseil platziert, das in den kommenden Jahren zur Sicherung und Überwindung der Randkluft dient.
L1, 40m, 6a+: Schöne, knapp senkrechte Kletterei an griffigen Leisten und ein paar erstaunlichen Löchern. Auf den ersten 25m war ich hier im Erstbegehungsmodus unterwegs, es stecken nun 5 BH. Danach erreicht man eine einfachere Verschneidung, die sich selber mit Cams (0.4-2) absichern lässt. Diese musste man wohl auch schon zu Zeiten der Erstbegehung bei wenig Schnee klettern. 

Am Einbohren der neuen ersten Seillänge (6a+). Wirklich schöne, griffige Kletterei mit Löchern und Leisten!
L2, 40m, 6a+: Sehr schöne, steilplattige Kletterei an Leisten, den typischen Wendenschlitzen und einigen Wasserrillen. Was oft fordernd und weit abgesichert aussieht, löst sich beim genaueren Hinsehen doch immer gut auf - nur der Weg zum zweiten BH ist etwas expo (ungünstiges Sturzgelände über dem Band). Achtung: der untere Standhaken nach L2 steckt in einer morschen Schuppe - besser nicht belasten bzw. in den Stand einbeziehen. Idealerweise hätte man das gleich saniert, nur war da unsere Bohrmaschine schon wieder auf dem Gletscher unten...

Eine sehr schöne, wendentypische Platte wartet in L2 (6a+).
L3, 40m, 6a: Weniger attraktives Teilstück in teils etwas brüchig-schuttigem Fels. Es stecken nicht viele BH und der Weg ist nicht so einfach zu ersehen. Gerade hinauf, tendenziell eher leicht links. Markanter und besser sichtbar ist der BH bei der Crux, einem etwas mühsam zu erkletternden kleinen Dach im oberen Teil der Länge.

L4, 50m, 2a: Einfach über die schrofige Zone hinauf, der anzupeilende Stand am Beginn des grossen Turms ist bereits von unten gut sichtbar. Achtung, es liegen viele lose Steine herum, Zwischensicherungen hat's keine und Möglichkeiten für mobiles Material auch nicht. Keine Fehler machen also!

Ausblick auf die schrofige Zone in L4 (2a), direkt oberhalb des Kletterers folgen die fantastischen Seillängen am Turm.
L5, 45m, 6b: Eine geniale, steile Seillänge im Tropflochgelände! In Kalymnos würden wohl mindestens doppelt so viele oder gar das Dreifache der Haken stecken und die Seillänge wäre mit 7b bewertet. Aber man finde selber heraus, wo die Wahrheit liegt. Jedenfalls ist schon der Auftakt knifflig, bevor eine etwas einfachere Verschneidung folgt. Dann folgt eine Zone, wo man mehrmals sehr technisch mit Füssen auf Reibung an kleinen Tropflochstrukturen operieren muss, super! Das Finish dann sehr kühn mit ca. 7-8m Runout an steilem, aber griffigem Fels - Wenden at its best! Ob es wohl die Idee wäre, nach rechts an den Riss zu klettern?!? Dort könnte man womöglich legen, dafür schien mir die Kletterei schwieriger. Make your choice!

Unten eine Seillänge im Bruchschutt, hier nun aber aller-, allerbester Tropflochfels, ein Traum! Im Vordergrund der doch ziemlich lange Hakenabstand, der in anhaltender Kletterei zum Stand bewältigt sein will. Eventuell könnte man den Riss am linken Bildrand anpeilen und dort noch eine mobile Sicherung unterbringen?!? Allerdings ist er auch nicht einfach zu erreichen. So habe ich mich schliesslich für den Weg gerade hinauf entschieden.
L6, 25m, 6b+: Gleicher Charakter wie die Seillänge zuvor: fantastische Tropflochkletterei mit harter Bewertung. Am (wie sich zeigen sollte) letzten BH angelangt, stellen sich plötzlich Fragezeichen: rechts oben ist ein Dübel ohne Plättli sichtbar. Ich gehe in diese Richtung, passiere ungesichert die Stelle in die folgende Verschneidung hinein. Dort folgt aber nur eine dünne Sanduhr und dann nix mehr. Mist, da bin ich wohl einem Verhauer aufgesessen. Es bleibt mir nichts anderes übrig, als die 7m zur letzten Sicherung wieder abzuklettern, pfff! Das gelingt und folglich muss es nach links gehen. Dem ist so, eine schlecht sichtbare, verottete Mini-Zackenschlinge wäre im Prinzip als Wegweiser da. Nochmals fordernd an Tropflöchern erreicht man den Stand.

Eine absolut makellose graue Mauer mit  einem kühnen Finish wartet in L6 (6b+ hard).
L7, 25m, 7a: Leider nicht mehr ganz so gut wie die beiden Seillängen davor. Bisschen heikler Auftakt zum ersten BH, gefolgt von der Bouldercrux an kleiner, scharfer aber leider staubiger Sloperstruktur. Leider sind weder die Tritte die man nutzt noch die Griffe die man anpeilt 100% Quality und es droht ein harter Sturz in die erste Zwischensicherung - somit hat die Stelle eher den Charakter von Hartmacher und Schönheitsfehler als jene einer willkommenen Challenge. Der Rest dann deutlich einfacher in die Verschneidung und diese hinauf, der Ausstieg durch brüchigen Fels auf den Absatz/Pfeilerkopf erfordert sorgfältige Griffauswahl.

Wer kriegt nicht gleich unbändigen Mumm, an diesem Gestein zu klettern! Nochmals L6 (6b+).
L8, 40m, 5a: Unlohnende Bruchseillänge, welche der Rippe entlang in einfachem Gelände die Höhe führt. Nur in der Mitte befindet sich ein recht schöner Aufschwung mit echter Kletterei und 2 BH, ansonsten klettert man diesen Abschnitt ungesichert. Vorsicht, hier sind keine Fehler erlaubt!

Bei dieser Seillänge schauen wir wohl besser auf's Panorama wie auf den eher brüchigen Fels!
L9, 50m, 5c+: Schöne, lange Cruiser-Plattenseillänge in kompaktem Fels mit guter Absicherung und ohne allzu grosse Schwierigkeiten. Plaisirgelände!

Hier in L9 (5c+) ist der Fels wieder gut und die Kletterei genussvoll. Wer möchte, kann bei der Position des Kletterers nach rechts in die absolut genialen Schhlusslängen der Gelben Sau abbiegen. Wobei auch die folgenden beiden Teilstrecken der Cirrus nochmals prima Kletterei bieten.
L10, 45m, 6b+: Nochmals eine ganz grosse und aufregende Reise! Der Auftakt in schwarzem Fels an Leisten, dann über eine Schuppe/Überhang hinweg in die Plattenwand darob. Hier ähneln Fels und Kletterei definitiv den Abschlusslängen der Gelben Sau. Sprich rauer Kalk mit Kohleeinschlüssen und Knobs. Feines Antreten auch deutlich über der letzten Sicherung garantiert den Erfolg. Für den letzten Runout zum Stand hinauf ist dann einiges an Selbstvertrauen gefragt, zumal hier auch das Seilgewicht schon etwas in die Tiefe zieht... nur cool bleiben, es geht schon. Praktisch ist's, für das Finish noch einen 0.75er-Cam am Gurt zu haben. Pseudo oder nicht, das ist die Frage... immerhin trug er zuverlässig das Seilgewicht. An diesem Stand befindet sich das Wandbuch in einer Gamelle, leider war es nur noch Pappmaché. Schade, ich hätte zu gern gesehen, wie oft und wann zuletzt die Route geklettert wurde - ich vermute, schon lange Jahre nicht mehr.

Mega Fels, mega Kletterei, mega Tiefblick - unterwegs in L10, eine harte 6b+.
L11, 35m, 6a+: Nochmals eine superschöne Steilplattenkletterei, die auch tiptop eingebohrt ist. Dennoch hat's ein paar zwingende Passagen und geschenkt wird einem der Durchstieg auch nicht. Der finale Stand dann gemeinsam mit der Gelben Sau kurz vor dem äusserst brüchigen Pfeilerkopf/Band.

Eitel Sonnenschein den ganzen Tag, sorgt am Ende doch noch der Wendennebel für Ambiance in L11 (6a+).
Um 17.15 Uhr und damit nach 6:30h Kletterei hatten wir es zum Top geschafft! Die Uhr war also doch schon ein ganzes Stück vorgerückt. Ungefähr eine halbe Stunde kann man natürlich der Bohrerei zu Beginn zuschreiben. Aber der Rest der Route ist einfach über weite Strecken fordernd und die technisch und mental anspruchsvolle Kletterei erlaubte uns kein blosses Drüberspazieren. Wobei die Zeit an sich ja aber eigentlich egal ist, wir waren bis zum Ende drangeblieben, das ist die Hauptsache! Während wir den ganzen Tag über bestes Wetter mit viel Sonne und Wärme genossen hatten, trieb der SW-Wind auf dem letzten Abschnitt doch noch einige Quellwolken heran, die nun als Wendennebel für die typische Ambiance sorgten. Das an sich war nicht weiter beunruhigend, mehr stellten Stärke und Richtung des Windes sowie die allenfalls fehlende Sicht unsere Flugmöglichkeit zurück nach Engelberg in Frage. Somit drohte uns möglicherweise noch ein langer Rückweg, also hielten wir uns nur kurz am Top auf und waren alsbald die Stricke zum Abseilen aus. Über die Route ging's in die Tiefe, wobei die Stände teils eher dürftig ausgerüstet sind (dünne Maillons, Haken nicht verbunden, ...) und wir nicht genügend Material dabei hatten, um alles wie gewünscht herzurichten. Ebenso sind die flacheren Abschnitte (L3, L4, L8) eher mühsam abzuseilen und das herumliegende Geröll sorgt spätestens beim Seilabziehen für Gefahr. Nichtsdestotrotz waren Mann und Material nach 10 Manövern und einer knappen Stunde zurück auf dem Gletscher.

Bereits auf dem Weg Richtung Grassenbiwak und Startplatz mit Blick auf den rechten Teil der Titlis Südwand und den SE-Pfeiler. Dieser wäre übrigens ein recht lohnendes Ziel für Pause-Sammler. Wobei nein, hier gibt's ja keine Punkte... würdig für eine Aufnahme wäre diese Linie jedoch allemal.
Nachdem wir noch das Fixseil am ersten Haken montiert, die Schuhe gewechselt und das Material eingepufft hatten, machten wir uns um 18.30 Uhr auf die Socken. Beim Einstieg der Gelben Sau warf ich einen kurzen Blick: ja, die Randkluft ist auch hier potenziell problematisch und gegenüber dem Stand vor 2 Jahren startet man die Kletterei nochmals ~2-3m tiefer. Es könnte aber derzeit noch ohne zusätzliche BH gehen, möglicherweise spitzt sich die Situation aber in den nächsten Jahren zu. Zügigen Schrittes ging es Richtung Grassenbiwak - der Gletscher ist hier schon weitgehend abgeschmolzen und man läuft grösstenteils über Fels und Geröll. Bei der namenlosen Lücke unter dem Biwak angekommen, manifestierte sich dann definitiv, dass die 15km/h Wind aus Richtung West für uns eine sehr ungünstige Konfiguration darstellen. Der wehte nämlich aus der Richtung, wo wir definitiv nicht hinfliegen wollten. Im Alpen-Artikel beschreibt Urs Lötscher einen Start am SW-Hang des Biwaks, mit folgendem, sofortigen Abdrehen ins Lee. Dieser Stunt erschien uns doch reichlich gewagt. Einerseits strömungstechnisch, aber es steht auch nur wenig Zeit und Höhe fürs Abdrehen zur Verfügung und es bleibt unklar, ob man danach mit Sinken und Rückenwind das Gelände wirklich überfliegen kann. Wesentlich besser erschien es uns da, uns aus dem 35-40 Grad steilen Schneehang in der Grassen Nordflanke rauszuhauen. Hier waren wir abseits der Düse, d.h. der Wind war schwach und kam leicht seitlich. Der steil abfallende, aber weiche Schnee präsentierte ein gefahrloses Gelände, um sich entschlossen in die Tiefe zu stürzen und auch in Sachen Gleitwinkel waren wir hier vorteilhaft platziert. Mit Schneepaketen beschwerend legten wir unsere Schirme in den steilen Hang, schnallten uns an und los. Es klappte, wir kamen in die Luft, ein gewaltiger Jauchzer war gewiss! Tja, hier zu Fuss noch ca. 3h nach Engelberg gehen zu müssen, das wäre gewaltig die Arschkarte gewesen. So hingegen war die Sache in einem ruhigen Gleitflug rasch erledigt. Um 19.25 Uhr und damit in weniger als 1:00h vom Einstieg waren wir zurück an der Titlisbahn. Puh, das war nun von A-Z ein intensives Abenteuer gewesen!

Vom ganzen Startprozedere gibt's leider kein einziges Foto. Da hiess es einfach jetzt so schnell wie möglich in die Luft, solange wir an diesem Ort klare Sicht haben und kein ungünstiger Wind bläst. Dafür konnte man sich am Schirm dann bequem zurücklehnen und etwas Knipsen...

Man has landed back on earth after a trip to the outer orbit. In etwa so fühlte es sich an...
Facts

Titlis Südwand - Cirrus 7a (6c obl.) - 11 SL, XXX - M. Wicky & T. Dollinger 1996 - ***;xxx
Material: 2x50m-Seile, 12 Express, Camalots 0.3-2

Tolle, aber weit abgelegene Wendenkletterei, die nie einen grossen Andrang erlebt hat und aufgrund des Gletscherrückgangs in den vergangenen Jahren überhaupt nicht mehr begangen wurde. Nun wurde aber eine neue Startseillänge eingerichtet und ein Fixseil hilft bei der unsicheren Passage über die Randkluft hinweg - Anwärter sollten die Chance also packen! Zu Fuss erfolgt der Zustieg am besten vom Wendenboden durch die Talmitte zum Wendengletscher (siehe Beschreibung in meinem Bericht zur Gelben Sau). Für Gleitschirmpiloten ist die Variante mit "Zuflug" vom Titlis und Rückflug nach Engelberg natürlich sehr attraktiv. Rein zeitlich ist man dabei gar nicht mal so viel schneller, noch dazu hat man die Unsicherheit, ob die Flüge tatsächlich klappen. Dass man bei schwachwindigen Verhältnissen die besten Karten hat, ist eh klar. Ideal ist eine leichte NW-Lage, für uns ging sich die Sache mit 20km/h Westwind am Titlisgipfel gerade noch aus. Die Cirrus weist einige herausragende Seillängen auf, v.a. jene am Turm in Wandmitte und die beiden Abschlusslängen. Etwas störend sind hingegen zwei Sequenzen, die wenn auch einfach, halt eben schuttbedeckt und/oder brüchig sind. Drei oder vier Sterne, das ist hier die Frage. Für mich war es ein super Tag, alleine am Berg in abgeschiedener Lage und der neu erschlossenen Startlänge, somit subjektiv auf jeden Fall 4* - rein objektiv darf man womöglich nur 3* geben. In der gedruckten Literatur kann man lesen, dass die Cirrus im Vergleich zur Gelben Sau gutmütig bewertet und abgesichert sei. Auch wenn die Gelbe Sau eine harte Nuss ist - dieser Aussage würde ich so niemals zustimmen. Die Cirrus ist im Vergleich zu manch anderer Route (auch z.B. der viel neueren Duracell derselben Erstbegeher) teilweise knallhart eingestuft. Die Absicherung darf man als weitgehend gut bezeichnen. Die Moves sind des Öfteren zwingend, aber erfahrene Alpinkletterer werden über weite Strecken gut damit klarkommen. Da und dort (siehe Text) gibt's aber auch einen Runout bei anhaltenden Schwierigkeiten und gutem Sturzgelände, wo man seinen Mut echt zusammennehmen muss. Die einfachen, brüchig-schuttigen Abschnitte sind kaum gesichert, dort darf man einfach keine Fehler begehen. Auch wenn man sie nicht allzu oft einsetzen kann, so würde ich doch empfehlen, einen Satz Cams von 0.3-2 bis ganz oben mitzutragen. Ein Topo zur Route findet man im SAC-Kletterführer Zentralschweiz Südwest oder im Outdoorführer Engelberg. Die (Foto)topos sind teils etwas mit Vorsicht zu geniessen, d.h. der Verlauf der Cirrus ist nicht überall ganz richtig wiedergegeben - bei anderen Routen, soviel nur als Warnhinweis, sogar auch komplett falsch.

Dienstag, 17. September 2019

ZKM 2/2019: Lead im 6a plus

Draussen herrschte zwar superschönes Wetter, aber auf der Agenda stand der nächste Wettkampf. Tja, vor ein paar Jahren hatte ich so etwas wie Bedauern mit Leuten, die an einem solchen Tag indoor klettern gingen und benutzte Floskeln wie "Frevel" und "Verrat am Alpinismus". Doch die Zeiten ändern sich und ich kann sagen, a) es tut nicht weh und b) ich habe den ganzen Tag über keine Sekunde daran gedacht, was man Outdoor hätte tun können. Das war auch nicht nötig, denn an die Wendenstöcke gehen konnte man ja auch am nächsten Tag noch... habe ich auch gemacht, doch das ist eine andere Geschichte, über die ich hier berichtet habe. Zuerst soll hier ein weiterer spannender, erfüllender und auch erfolgreicher Wettkampftag im Zentrum stehen.

100% Fokus und Effort - so soll es sein. Foto: Peter Huser / Kletterhalle Winterthur
Zuerst die Kinder: irgendwie hatten beide etwas Mühe, am Morgen auf Touren zu kommen. Somit resultierte jeweils Rang 4 in der ersten Qualiroute (7a). An sich ja nicht so schlecht und auf Finalkurs, aber halt trotzdem noch neben den Podestplätzen. Für die zweite Route (7a) konnte ich Jerome einen Trick, sprich die Lösung für eine frühe Crux ansagen. Es klappte, er konnte die schwierige Stelle die viele stoppte souverän meistern und irgendwie hatte es damit 'Klick' gemacht. Die dritte Qualiroute (7a) war dann schon richtig gut und so angriffig-überzeugt wie im Final (6c+) habe ich ihn noch kaum je klettern sehen. Es resultierte die wohlverdiente Bronzemedaille, zu noch höheren Würden hatte schliesslich sogar nur wenig gefehlt. Ein toller Erfolg für ihn! Nicht einmal in erster Linie wegen dem Resultat, sondern wegen dem gesamten Auftritt, bravo!

Die im Text beschriebene Entschlossenheit ist hier bestens fühlbar! Foto: Peter Huser / Kletterhalle Winterthur.
Bei Larina waren die zweite und dritte Qualiroute (beide 7a) deutlich mehr nach ihrem Gusto, sie konnte bei beiden die höchste Höhe erzielen. Unter dem Strich reichte es knapp nur für Rang 2 nach der Quali, so weit so gut. Somit war die etwas verkorkste Auftaktroute fürs Erste in den Hintergrund gerückt, allerdings sollte ihr diese noch teuer zu stehen kommen. Die Finalroute (7b+) mit einer Dachpassage warf nämlich schon im Vornhinein ein paar Fragezeichen auf. Genau gleich wie ich selber bevorzugt sie Kletterei, wo man die Füsse zum Einsatz bringen und die Schwierigkeiten wegstehen kann. Aber wie immer, im Wettkampf kann man es sich nicht aussuchen und muss nehmen, was und wie es kommt. Wie schon fast befürchtet, wurde der Move über die Dachkante zum Showstopper. Die Girls auf den Rängen 3 & 4 nach der Quali packten den gerade knapp noch und die Führende scheitere zwar an derselben Stelle, war aber durch Countback schlussendlich doch vornedran auf Rang 3 klassiert. Somit blieb wie vor Wochenfrist erneut der undankbare und enttäuschende vierte Platz neben dem Podest - schade vor allem, weil hier wenig fehlte und mehr drin gelegen wäre. Aber dieses Potenzial zu realisieren, das ist eben genau die verhexte Crux bei den Wettkämpfen.

Team Spirit! Foto: Peter Huser / Kletterhalle Winterthur.
Ich selber entschied mich, lieber am Plauschwettkampf als bei der Elite mitzumachen. Hier kommt man einfach mehr zum Klettern, der etwas tiefere Schwierigkeitsgrad und ein anderer Modus machen es aus. Zudem konnte ich so auch gemeinsam mit Kathrin klettern bzw. sie mit mir - wegen der Rekonvaleszenz kann sie nach wie vor erst im Toprope aktiv sein. In der Quali galt es, 10 Routen mit aufsteigender Schwierigkeit von 5c-7c zu meistern. Die ersten 8 Stück konnte ich toppen und bei den restlichen 2 immerhin einen guten Fight abliefern. Hätte ich hier durchkommen müssen?!? Mir schien es tough, sloprige Leisten ohne die entsprechenden Fusstritte dazu, da war einfach nix zu machen. Aber anyway, es reichte für die Finalqualifikation und das war ja die Hauptsache. Auch Kathrin wäre Dritte gewesen und damit im Final dabei, unter dem Strich war sie gerade mal zwei Griffe weniger weit gekommen als ich - very strong, und das mit nur 1.5 Beinen! Sie bestätigt auch wieder einmal das schon oft beobachtete Phänomen: nimm einem Kletterer die Beine weg, damit er nicht ständig in der Bergen oder sonstwo rumrennen kann und bald geht's aufwärts mit dem Strom! Auf die Teilnahme am Final verzichtete sie dann aus den offensichtlichen Gründen.

Senza parole! Foto: Röbi Ruckstuhl / Kletterhalle Winterthur
Für die Ausmarchung der Podestplätze hatten wir Teilnehmer die Wahl zwischen der Finalroute der U14 (7c) und jener der U16 (7c+). Ich war etwas indifferent, schliesslich fiel der Konsens auf die leichtere der beiden Routen. Zuerst war aber der Nachwuchs dran. Ein heikler Seitwärtszug in der Mitte bedeutete für sämtliche U14-KlettererInnen Endstation, das war ja mal vielversprechend! Nach langem Beobachten war ich dann als allerletzter Starter an der Reihe. Ein paar Moves mit hoch platzierten Tritten im unteren Teil waren erstaunlich delikat und kraftraubend, der Stopper-Move nach links ging mir hingegen gut von der Hand. Zwei strenge Züge später konnte ich einen Ruhepunkt gut ausnützen und auf die obere Hälfte vorausschauen. Der Triumph war nun nahe und womöglich sogar das Top erreichbar?!? Am zweitletzten Griff endete meine Begehung leider, für den Sieg war das aber trotzdem gut genug. Sicherlich hatte ich hier von einer Route profitieren können, die perfekt nach meinem Gusto und auf meine Stärken zugeschnitten war: Movement, Technik, Fussarbeit und Kreativität, supercool! So konnten wir uns zwar müde und erschöpft, aber mit vielen Eindrücken und einem neuen Seil als Hauptpreis (danke, so genial!) auf den Heimweg machen. Und dort hatte ich ja dann noch meine Siebensachen für das Wendenabenteuer einzupacken...

Mein herzlicher Dank geht Simon und Damaris und ihr Team vom 6a plus für den tollen Event, die Preise und die perfekt geschraubten Routen, an die Fotografen für die lässigen Bilder sowie ans Regionalzentrum Zürich inklusive aller Helfer für die Organisation.

Freitag, 13. September 2019

Tour Termier (3070m) - Ponant Neuf (6a+)

An den hohen Kalkbergen im Massif des Cerces in der Nähe vom Galibier-Pass, da wollte ich schon seit langer Zeit einmal klettern gehen. Ja noch nicht einmal den berühmten Pass selber hatte ich je besucht, wegen der Tour de France eine richtige Bildungslücke bei einem generell sportinteressierten Menschen. Doch bei unserem bisherigen Familientrips in die Dauphiné gab's bisher dort oben noch nichts zu holen. Zu rau, zu alpin, zu weitläufig ist die Gegend, um mit den Kindern eine MSL angehen zu können. Doch die Zeiten schreiten voran und eine Route durch die steile Wand des dolomitisch anmutenden Tour Termier mit seinem rötlich-gelben Fels war in den Bereich des Machbaren gerückt.

Petite fille - grande paroi! Die SW-Wand des Tour Termier (3070m) am Col du Galibier gibt echt was her!
Unsere Tour startet wenig unterhalb der Passhöhe bei der Kehre auf 2500m. Extrem viele Velofahrer sind unterwegs und da ist auch ein professioneller Fotograf präsent, der alle ablichtet und die Bilder danach verkauft. Allerdings muss man sagen, dass an dieser Stelle auch das Panorama phänomenal fotogen ist, mit den vergletscherten Bergen um die Meije und die Barré des Écrins in Griffnähe. Unsere beiden noch rekonvaleszenten Familienmitglieder können noch nicht dabei sein und müssen sich wandernd auf zwei leicht erreichbare Gipfelziele in der Nähe vom Pass beschränken. So schultern Larina und ich um 11.00 Uhr unsere Säcke und machen uns auf den Weg. Ein früher Start ist bei stabilem Wetter für die Routen am Tour Termier wenig sinnvoll, da die Wand erst ab Mittag in der Sonne steht. Der Zustieg führt über eine Distanz von rund 2km +/- horizontal dem Hang entlang. Die aufregendste Passage ist die Querung einer erodierten Runse, die etwas Kletterei im Dreck erfordert. Nach und nach rückt dann die Wand näher ins Blickfeld. Wir können uns nicht mehr halten und steuern diese direkt übers Geröllfeld an. Das geht ohne allzu grosse Mühsal, trotzdem wäre der Weg rechtsrum und dem Wandfuss entlang vermutlich bequemer (wenn auch kaum schneller).

Aufbruch von der grossen Kehre wenig unterhalb des Col du Galibier an einem fantastischen Bergtag.
Nach 1:10h Gehzeit sind wir vor Ort. Bisher hatten wir uns noch gar nicht ganz fix für eine Route entschieden, gibt's doch am Berg viele lohnende Möglichkeiten. Rein von der Linie her und für den ersten Besuch scheint es aber logisch, am direkt zum Gipfel führenden Pfeiler zu klettern. Eine gerade zu klettern beginnende Seilschaft verkündet, in die 'Ponant Neuf' zu wollen. Ich bin mir aber schliesslich nach der Konsultation von Plaisir Süd, Topoguide und C2C zu 99.9% sicher, dass sie sich vertan haben und in die 'Boucs en Stock' (ehemals 'Termie-née') starten. Somit ist die nominell einfachste Route in diesem Wandbereich ja frei und für uns die logische Wahl. Die Angabe von "13m links" der einfacher identifizierbaren 'Feu Sacré' stimmt exakt - der Einstieg ist bei einer einfachen, kaminartigen Verschneidung, die BH sind nicht (gut bzw. auf den ersten Blick) sichtbar. Die 'Boucs en Stock' befindet sich weitere 7-10m links und führt auf den ersten Metern über eine kompakte Wand mit einem auffälligen, ca. 1m dicken, horizontalen weissen Streifen, der erste BH ist auf 3m Höhe gut sichtbar. Um 12.30 Uhr starten wir in die Route - die falsch gestartete Seilschaft brach ihre Tour übrigens nach L1 ab und ging wieder heim.

Der Zustieg verläuft durch eine sehr schöne Gegend (unten der Col du Lautaret, hinten das Massiv der Meije) und geht relativ mühelos vonstatten. Netto sind total rund 400hm bis an den Einstieg zu überwinden.
L1 & L2, 45m, 6a: In L1 einfache Kletterei (3b) durch die bereits erwähnte, kaminartige Verschneidung und noch etwas weiter aufwärts zu fakultativem Stand vor der nächsten Wandstufe. Wir haben diesen gerne genutzt, weil am Einstieg auf die Schnelle kein guter Fixpunkt zum Sichern zu schaffen war. Danach sehr schöne, athletische und grossgriffige Kletterei auf der nominellen L2.

Schöne, steile und griffige Kletterei in L2 (6a).
L3, 30m, 6a+: Einem Riss entlang gemütlich links hinauf, die Crux besteht aus einer kurzen Linksquerung an dessen Ende. Mit etwas Reichweite ist die Stelle problemlos, doch auch die Kleinen können es freiklettern.

Cool unterwegs in L3 (6a+). Selbst an diesem Hitzetag, bei prallem Sonnenschein und grundsätzlich windarmen Verhältnissen war ein Pullover gar nicht so verkehrt. Das bringt mich zum Schluss, dass es hier oben wohl an vielen Tagen zu kalt zum genussreichen Klettern ist.
L4, 35m, 5c: Zuerst ein bisschen gesucht aber schön über die steile Platte, diese Stelle wäre wohl auch links umgehbar. Danach noch eine griffige Stufe, bevor man über einige Aufschwünge leichter zum gemeinsamen Stand mit der 'Bouc en Stock' klettert.

L5, 40m, 6a: Achtung Verhauergefahr! Die offensichtliche Linie am Pfeiler ist die 'Boucs en Stock'. Um weiter der Ponant Neuf zu folgen, klettert man nur kurz am Pfeiler, quert dann das Couloir nach rechts, um sehr schön steilplattig an zerfressenem Fels und Wasserrillen in die Höhe zu turnen. Diese Länge wird teils als weiter abgesichert/expo beschrieben, was für mich nicht nachvollziehbar war. Der bequeme Stand auf dem Band ist gemeinsam mit der 'Feu Sacré'.

L6, 25m, 5c+: Die Crux gleich vom Band weg, es geht noch einige Meter hinauf, bevor ein einfacherer, horizontaler Quergang nach links folgt. Die Absicherung ist auch hier ziemlich gut ausgefallen, allerdings wäre es doch ungünstig, wenn der Nachsteiger gleich nach dem Aushängen einen Sturz hinlegt. Das ist insbesondere zu beachten, da im Quergang die Felsqualität für einmal etwas auf der splittrigen Seite ist.

Im Quergang von L6 (5c+). Der Fels sieht hier auf dem Foto schauderlich splittrig aus. Sicherlich handelt es sich hier nicht um den attraktivsten Abschnitt der Route, zu klettern ist's allerdings deutlich weniger schlimm, wie es den Anschein macht.
L7 & L8, 50m, 6a: Wenig linkshaltend geht's mit etwas kniffliger Wandstelle in die grosse Rinne/Verschneidung, der gut sichtbare Stand der 'Boucs en Stock' gibt die Richtung vor. Wenig rechts davon befindet sich auch ein (Zwischen)stand der Ponant Neuf. Wer nicht über ausreichend verlängerbare Exen verfügt oder sich nicht traut diese zu nutzen, macht besser Gebrauch davon. Danach noch kurz weiter im Bereich der Rinne/Verschneidung, bevor man wieder nach rechts in die Wand hinauszieht. Es folgt schöne, genussreiche Kletterei ohne allzu grosse Schwierigkeiten.

Easy peasy in L8 (6a)
L9 & L10, 45m, 5c: Ein weniger attraktives Teilstück folgt der etwas grasigen Verschneidung/Rinne über 25m bis zu einem unmittelbar neben der Route gelegenen (Abseil)stand, den man gut auch auslassen kann. Die zweite Hälfte misst rund 20m und beinhaltet einen steilen Doppelriss, der athletische Kletterei bietet. Für den Grad 5c fand ich das nicht geschenkt.

Steile, aber super griffige Risse warten am Ende von L10 (5c).
L11 & L12, 40m, 6a+: Superschöne, luftige Wandkletterei in beinahe korallenartigem Fels bestimmt den ersten Teil dieser Doppelseillänge (25m, 6a). Über eine Schuppe gelangt man zum direkt auf der Route gelegenen (Abseil)stand. Diesen zu nutzen ist eher sinnvoll. Die folgende, querende Passage ist die klettertechnische Crux. Sie ist in 1 Seillänge nur dann sinnvoll und geniessbar, wenn man vor und in der Querung sowie in der Crux ausschliesslich mit 60cm Alpine Draws operiert. Bei der eher unübersichtlichen, kleingriffigen Schlüsselstelle wurde m.E. auch der Schwierigkeitsgrad etwas nach unten homogenisiert, zudem stecken auch die Haken eher für A0 optimiert (?!?). Möglicherweise habe ich jedoch nicht die beste Lösung gefunden (spielt für mich in diesem Grad ja nicht so eine Rolle).

Unter genauer Beobachtung in der Crux der Route (L12, 6a+).
L13, 40m, 6a: Hier gibt es 2 Optionen. Man könnte entweder in 2 kurzen Seillängen nach links luftig über die 'Boucs en Stock' aussteigen. Oder man wählt wie wir den originalen Ausstieg rechts. Der Beginn sieht eigentlich trivial aus, ist aber schwieriger zu klettern wie man meint, es handelt sich tatsächlich um die Crux der Seillänge. Danach rechts um die Ecke in einer Verschneidung in griffigem Gelände aufwärts. Einige Griffe bedürfen der Prüfung, ich würde den Fels aber bis zuoberst als gut bezeichnen. Der Stand befindet sich 4-5m unter dem Gipfel, man kann jedoch alternativ auch jenen ganz am Top verwenden.

Bravo la fille! Das Top souverän erreicht.
Wenige Minuten vor 17.00 Uhr und damit nach rund 4:30h Kletterzeit sind wir beide am Top auf 3070m und geniessen die fantastische Aussicht über die französischen Alpen. Es ist der höchste Gipfel, den Larina bisher erreicht hat und erst noch über eine lange und ziemlich schwierige Kletterroute, bravo! Für den Rückweg gibt's verschiedene Optionen: als am schnellsten und besten gilt der rückseitige Fussabstieg, während das Abseilen in der Literatur als eher suboptimal und etwas steinschlägig beschrieben wird. Als letzte Seilschaft unterwegs hatten wir trotzdem auf letztere Option gesetzt und im Rückblick muss ich sagen, dass dies tiptop funktioniert hat. Direkt vom Gipfel sind es 7 Manöver (Top - Stand 11 - Stand 9 - separater Stand - Stand 5 - separater Stand - separater Stand). Nach ca. 40 Minuten sind wir zurück am Wandfuss, wo wir die Ausrüstung zusammenlegen und die zurückgelassenen Vorräte aufessen. Nach einer gütlichen Pause machen wir uns auf den Rückweg. Wir rutschen über's Geröllfeld runter (die Körnung manchmal leider etwas grob) und gehen dann in der Abendsonne den horizontalen Pfad zurück. Ja, den werden wir sicher wieder einmal beschreiten, sehen doch die anderen Touren an diesem Berg so verlockend und herausfordernd aus! Exakt um 19.00 Uhr schliesst sich der Kreis zurück an der Passstrasse, das auf diese Zeit bestellte Familientaxi ist schon da. In der Galibier-Gegend ist der Mobile-Empfang lückenhaft - so hatte ich mit einer Totalzeit von 8:00 Stunden kalkuliert, was schliesslich fast auf die Minute perfekt gepasst hat :-)

Facts

Tour Termier - Ponant Neuf 6a+ (6a obl.) - 13 SL, 350m - J.M. Cambon 1999 - ****;xxxx
Material: 1x bzw. 2x50m-Seile, 10-14 Express (je nach Standplatzwahl), Keile/Cams nicht nötig

Fantastische und anhaltende Kletterei im Bereich 5c/6a, welche durch eine imposante, steile Wand auf einen über 3000m hohen Gipfel führt. Es wartet ein Wechsel zwischen griffig-athletischen Passagen und Steilplattenkletterei in meist vorzüglichem Kalk. Einige etwas 'gschüderige' Bänder trüben den Eindruck kaum. Die Absicherung ist wie bei den modernen Touren vom JMC üblich prima ausgefallen. Die schwierigen Stellen sind nahezu klettergartenmässig gebohrt, die einfacheren etwas weiter, es bleibt jedoch alles im grünen Bereich. Mobile Sicherungen werden daher für die meisten Kletterer nicht vonnöten sein. Zu beachten ist, dass man sich hier doch an der Schwelle zum Hochgebirge bewegt. Sprich, ist's nicht sommerlich warm und wolkenfrei, so muss man sich unter Umständen warm anziehen. Es kommt hinzu, dass die SW-Wand erst am Nachmittag so richtig von der Sonne beschienen wird. Ein Topo findet man in diversen Auswahlführern (u.a. Plaisir Süd, Plaisir Selection, Topoguide) sowie auch im Oisans Nouveau Oisans Sauvage Est von Erschliesser JMC.

Yep, nochmals dasselbe Foto wie oben, hier aber mit Routenverlauf und den von uns genutzten, separaten Abseilständen.

Dienstag, 10. September 2019

Rheintal Cup 4/2019: Lead in St.Gallen

Auf in die vierte Episode des Rheintal Cup 2019, mit einem Lead-Wettkampf in der Kletterhalle St.Gallen. Die Kinder waren als Teilnehmer mit dabei und auch ich wollte aktiv mitmachen. Seit den Sommerferien waren zwar inzwischen 3 Wochen verstrichen, doch das schöne Wetter einerseits und unverzichtbare Bohrprojekte andererseits hatten mich doch immer wieder in die Berge gelockt, so dass die plastikspezifische Vorbereitung wieder einmal spärlich bis inexistent ausgefallen war. Das soll aber keine Ausrede sein - mein Verständnis vom Klettern ist so, dass man nimmt was kommt und möglichst jederzeit, in allen Situationen und jedem Gelände eine passable Figur abgibt. Immerhin herrschte am Wettkampftag trübes Wetter, der ideale Tag um wieder einmal der Pumpresistenz im überhängenden Dauerpower-Gelände Vorschub zu leisten.

Haha, der einzige der auf dem Podest noch den Klettergurt trägt, ist wieder mal aus unserer Familie (ja, ich habe extra alle Siegerfotos durchgecheckt). Aber ich kam auch direkt aus dem Einsatz: nach dem Wettkampf ist schliesslich vor dem Wettkampf. Und wenn man schon so vielen Athleten in so vielen attraktiven Routen zugeschaut hat und über den Tag erst 3 Seillängen geklettert ist, dann geht's nach dem Final erst richtig los mit dem aktiv sein ;-)
Foto: Regionalzentrum Graubünden.
Ich beendete den Wettkampf schliesslich auf dem zweiten Rang. Tönt nicht schlecht, mit meinen Darbietungen war ich aber trotzdem nicht restlos zufrieden. Sämtliche drei zu kletternden Routen (Q1 8a+, Q2 7c+, Final 8a+) waren in die steilsten Wandbereiche geschraubt - für mich wäre etwas ein bisschen technischeres natürlich wesentlich vorteilhaft gewesen. Naja, es ist halt kein Wunschkonzert und ansonsten siehe die Bemerkung in der Einleitung. So weit so gut, allerdings waren die Routen auch schlicht und einfach pickelhart, nicht nur für mich. Die erste Hälfte zwar jeweils noch machbar, wurde es dann vom einen zum nächsten Move schlagartig zäh und unnachgiebig. Kein Griff mehr vernünftig haltbar, von entspanntem Klippen gar nicht erst zu reden - so konnte es nur noch heissen "Flucht nach vorne" und vor dem unvermeidlichen Abflug noch so viele Griffe wie möglich unter sich bringen. Irgendwie ein wenig schade, es ist halt das deutlich erfüllendere Gefühl, wenn man der Route einen richtigen Fight liefern kann und schliesslich komplett gepumpt klein beigeben muss. Dafür hätten die Routen aber ein bisschen kontinuierlicher an Schwierigkeit zulegen müssen - es hätte sicher auch gereicht, über die letzten 2 Exen zum Top noch die ultimative Verteidungslinie für den Umlenker zu konzipieren, da hätte man nicht schon in der Mitte damit beginnen müssen. Ich denke, diese Einschätzung ist recht objektiv: von total 53 Go's in den drei von mir gekletterten Routen endeten nur 2 am Top. Aber nix für Ungut, Wettkampfrouten schrauben ist ein extrem diffiziles Business, im Nachhinein gute Ratschläge geben hingegen einfach.

Larina unterwegs in der Finalroute der U12.
Im Wettkampf der U12 war's dafür gerade andersrum, sprich die Routen waren leider zu einfach. Schon das Finalticket gab's nur für 2x Top in der Quali (beide Routen 7a). Mal abgesehen vom Kaltpump in der ersten Route gelang das Larina ziemlich souverän. Im Final (7b) hatte sie dann das Pech, als erste von 5 ex aequo Klassierten klettern zu müssen. Auch hier erreichte sie das Top - in aller Ruhe, unter Ausnützung der durchaus vorhandenen Ruhepunkte und das Zeitlimit von 6 Minuten bis auf 30 Sekunden ausnützend, was in dieser Situation natürlich die einzige vernünftige Strategie war. Isolation hin oder her (ist nicht schalldicht), für die folgenden Mädchen war damit klar, dass die Route zu toppen ist und die Rangierung via Kletterzeit bestimmt würde, ein absolut wesentlicher Vorteil. Drei Konkurrentinnen schafften das Top, alle waren schneller. So blieb Larina schliesslich nur der undankbare vierte Platz. Da war sie schon sehr enttäuscht... irgendwie alles richtig gemacht, alles getoppt, aber trotzdem nicht einmal auf dem Podest, bitter. Andererseits, um fair und objektiv zu bleiben, ob's denn im Wissen möglichst schnell klettern zu müssen für einen Rang unter den ersten 3 gereicht hätte, ist unsicher. Sie hätte ihre Kletterzeit um mehr als 2 Minuten senken müssen und der explosiv-dynamisch-schnelle Stil ist jetzt eher nicht so familientypisch. Kommt halt davon, wenn man viel Outdoor klettert, wo es sich meistens auszahlt, sorgfältig geplant und eher defensiv zu moven sowie die Ruhepunkte zu melken. Nichtsdestotrotz, mir schien, dass bei ihr der in den Bergen mit viel Fels und MSL verbrachte Sommer sich generell positiv auf die Performance ausgewirkt hat. In St.Gallen war die nationale Spitze in der U12 vertreten und da war sie ja vorne mit dabei. Anders als man vielleicht erwarten würde, ist es für die meisten Jugendlichen aus der Wettkampfszene unüblich, Outdoor zu klettern und erst recht, am Fels zu trainieren. Naja, das geht halt nur, wenn mindestens ein Elternteil auch voll der Fels- und Kletterfreak ist, was (erstaunlicherweise?!?) kaum vorkommt - in dieser Hinsicht sind wir einer der wenigen Ausreisser.