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Samstag, 31. März 2018

Albigna: Wassersinfonie (5a+) & Torre dal Päl Piccolo (5b)

Ein Nachtrag unserer Chiavenna-Ferien im Sommer 2017, von welchen es ja bereits diverse Tourenberichte gibt (1,2,3). Nachdem wir das Leben in der Capanna da l'Albigna im Rahmen der SRF-Sendung Hüttengeschichten ausgiebig verfolgt hatten, drängte sich ein Besuch in derselben natürlich auf. Wegen dem instabilen Wetter wollten wir auf eine Übernachtung verzichten und setzten auf einen Tagesausflug. Was drängte sich da mehr auf, als den Hüttenzustieg teilweise kletternd via die plattige Wassersinfonie (5 SL, 5a+) zurückzulegen?!? Und da gleich oberhalb der Hütte noch mehr Fels zur Verfügung steht, gab's zum Dessert die Piccolo am Torre dal Päl (6 SL, 5b).

Wunderschöne Bergeller Bergwelt, gesehen von der Staumauer des Albigna-Sees.
Mit der neuen Seilbahn ging's hinauf bis unter die Staumauer und die Installationen der Arte Albigna bestaunend darüber hinweg. Nun auf dem Hüttenweg weiter, bis an offensichtlicher Stelle über einen Trampelpfad durch Kraut und Gebüsch in ein paar Minuten zuerst absteigend und dann wieder leicht aufsteigend zu den Einstiegen der Hüttenplatten traversiert werden kann. Inzwischen stehen auf diesen Platten 3 Routen zur Auswahl, wir wollten uns an die traditionelle Wassersinfonie (5 SL, 5a+) halten. Die Kletterei ist von plattiger Natur, bietet aber trotzdem Abwechslung und ist im rauen Bergeller Granit kurzweilig. Man lasse sich von den tiefen Bewertungen nicht täuschen. Diese sind vergleichsweise hart ausgefallen, die Ansprüche sind deutlich höher wie z.B. in der Fontana di Giovinezza oder der Condotta Libera. Ebenso stecken zwar regelmässig Bohrhaken, dazwischen ist jedoch durchaus Engagement gefragt. Für blutige Anfänger und sanfte Vorstiegsgemüter sind die Anforderungen m.E. zu hoch und die Kinder hätte ich hier auch keinesfalls vorsteigen lassen mögen.

Zupfige Plattenkletterei bei nicht ganz kurzen Hakenabständen in der Wassersinfonie (5a+).

Impressionen aus den Hüttenplatten, hinten der Piz Frachiccio, an welchem sich auch prima klettern lässt. 

Blick vom Top zurück, hinten die Spazzacaldeira, an deren Fuss sich (nicht sichtbar) die Seilbahnstation befindet.
Nun denn, im Nachstieg wurde die Route von der ganzen Familie aber flugs absolviert, das benachbarte Team schaffte in derselben Zeit kaum mehr als eine einzige Seillänge. Bald waren wir am Ausstieg, von wo man in ein paar Minuten die Hüttenterrasse erreicht. Während der eine Teil der Familie vom Mittagsmenü und den Spielmöglichkeiten um die Hütte sehr angetan war, zog ich mit der Tochter noch weiter zum Torre das Päl - von der Hütte ein richtig stolzer Zacken, jedoch trotzdem mit moderaten Schwierigkeiten zugänglich. Zum Einstieg sind's rund 10-15 Minuten. Klettern wollten wir die Route Piccolo (5b), welche entlang der Westkante in die Höhe führt. Was einen in der ersten Seillänge erwartet, war mir a priori nicht ganz klar - in vielen Kletterführern zeigen die Topos eine 6a-Seillänge. Dies ist jedoch irreführend bis falsch. Die einfachste, logische und auch gut abgesicherte Linie über die Einstiegsplatte checkt nur im oberen vierten Grad ein. Von deren Stand erreicht man problemlos (mit BH gesichert) den zunächst einfachen Grat, welchen man über 2 Seillängen verfolgt. Man querst schliesslich ein Couloir (durch welches man auch rückseitig im Schrofengelände zusteigen könnte) und erreicht den Schlussaufschwung.

Blick zum Torre dal Päl vom kleinen See wenig unterhalb der Capanna da l'Albigna. Piccolo führt der linken Kante entlang.

L1 von Piccolo, die logische Variante in der kleinen Verschneidung checkt bei ~4b ein, die Platten daneben sind schwieriger.

In L2 von Piccolo, welche nach der Einstiegsplatte etwas kraxlig zum Grat hinaufführt.
Nun wird die Wand wieder kompakter. Über wunderbar griffiges Gelände im dritten und vierten Grad gelangt man unter die steilere Abschlusspartie. Das luftige Finish befindet sich direkt an der runden Kante und ist mit 5b bewertet. Diese Einstufung ist jedoch deutlich gutmütiger wie die Bewertungen in der Wassersinfonie, zudem stecken die BH hier auch in enger Abfolge. Meine Tochter konnte die ganze Route problemlos in freier Kletterei zügig nachsteigen und erreichte den schmalen Gipfel stolz wie Oskar. Nun galt es nur noch, wieder in die Tiefe zu gelangen. Am effizientesten geht dies mit einem Abseilmanöver über die Südwand (Achtung, 1x50m-Seil ist zu kurz, zwingend 1x60m erforderlich!). Ein Trampelpfad führt dann zurück zur Hütte oder wahlweise auch zum Einstieg. Allerdings verzögerte sich unser Rückweg doch noch ein wenig. Die selbsternannte Kletterratte "musste" am Weg noch die diversen Boulderblöcke bezwingen. Alles in allem also ein höchst gelungener Tag in schöner Berglandschaft mit vielen Klettermetern für Gross und Klein.

Nun bereits im Schlussaufschwung zum Torre dal Päl. Erst eine geneigte und noch sehr gemütliche Seillänge...

...dann schon etwas steiler, dafür sehr griffig...

...und zuletzt das Finish an der runden Kante (5b). Nicht schwierig genug, als dass es nicht für ein paar Faxen reichen würde.
Facts

Hüttenplatten - Wassersinfonie 5a+ (5a obl.) - 5 SL, 150m
Material: 1x50m Seil, 8 Express

Kurze aber verngüngliche Plattenkletterei mit westseitiger Exposition unmittelbar unter der Hütte. Sehr guter Fels und abwechslungsreiche Kletterei machen diese Route lohnend. Die Bewertung ist vergleichsweise hart ausgefallen. Die Absicherung mit BH ist eher auf der knappen Seite und fordert Beherrschung der Schwierigkeiten - für Kindervorstieg und Anfänger weniger geeignet. Mobile Sicherungsmittel lassen sich kaum anbringen.

Torre dal Päl - Piccolo 5b (4a obl.) - 6 SL, 180m
Material: 1x60m Seil, 8 Express

Schöne und gutmütige Kletterei, welche unmittelbar über der Capanna da l'Albigna auf den stolzen Zacken des Piz dal Päl führt. Die Absicherung mit BH ist gut ausgefallen. Die Kletterei ist wenig anhaltend, die 5b-Schlüsselstelle lässt sich A0 entschärfen und dank dem griffigen Gestein darf man von einem gutmütigen Unternehmen sprechen, welches auch für fortgeschrittene Anfänger tauglich ist. Hier und da könnte man mobile Sicherungsmittel einsetzen, was mir jedoch nicht zwingend nötig erscheint.

Dienstag, 20. März 2018

Rubihorn - Rubi Love (M7, 11 SL, Erstbegehung)

Meine erste Bekanntschaft mit dem Rubihorn war von der eher ruppigen Sorte. In der Ruby Tuesday wurde ich aufgrund von einem Bohrhakenausbruch (!) abgeworfen. Mit etwas auf die Zähne beissen konnten wir die Route damals komplettieren. Auf dem Heimweg stiegen wir schliesslich, meinereiner mit ein paar Schrammen und einem verstauchten Fuss, übers Geröllfeld am Wandfuss ab. Die Blessur war Grund genug, um hin und wieder stehen zu bleiben und den Blick in die Wand schweifen zu lassen. Welchen Blick?!? Natürlich den Erstbegehungs-Röntgenblick, der die Rubihorn Nordwand nach lockenden, logischen und machbaren Linien abscannte. Und tatsächlich, da war etwas! Mein Seilpartner Tobias, seinereiner bereits ein richtiger Rubihorn-Aficionado, war von der Idee gleichermassen begeistert. So wurden Pläne geschmiedet, 4 Wochen später im Januar 2014 ging's nach den Studium von vielen Wandbildern und dem Einzeichnen potenzieller Routenverläufe dann gemeinsam los. Fast auf den Tag genau 4 Jahre nach dem ersten Angriff konnten wir die Route, von A-Z ein Gemeinschaftsprojekt, im Januar 2018 vollenden.

Rubi Love! Ja, es ist eine imposante Wand und ein tolles Klettergebiet - und das Einrichten hat sehr viel Spass gemacht!

Wandbild mit Routenverlauf, eine imposante Sache mit ca. 300hm von Ein- zu Ausstieg.
Der Zustieg zur Rubihorn Nordwand beginnt in Reichenbach bei Oberstdorf (ca. 860m) in den Allgäuer Bergen. Das tönt nach einer fernen Destination, jedoch sind's von Zürich Nord/Ost weniger als 2 Fahrstunden, also gar nicht so extrem weit weg. Der Anmarsch umfasst nur gut 550hm und ist bei guten Verhältnissen in einer Stunde erledigt. Bis kurz vor der Gaisalpe (Gasthof, 1150m) kann man die als Schlittelbahn geräumte Fahrstrasse benützen, dann geht's bis nach der oberen Richteralpe (1200m) bequem dahin, erst der der letzte Abschnitt zum Wandfuss und Einstieg (ca. 1420m) hinauf ist dann steiler. Bei sehr wenig Schnee tritt ein mühseliges Geröllfeld zu Tage, bei weichem, tiefem Schnee ist viel Kondition erforderlich. Bei guten Bedingungen jedoch (und nur dann sollte man die Rubi Love angehen!) wird hingegen meist gespurt sein, die klassische Rubihorn Nordwand (M4) ist eine regional sehr begehrte und beliebte Tour. So wird man für den Zustieg in aller Regel auf Hilfsmittel wie Schneeschuhe oder Ski verzichten können. Der Einstieg in die Rubi Love am Fuss einer markanten Schlucht dürfte kaum zu verfehlen sein. Darüber hinaus ist er mit Schlaghaken, Seilstück und einem Herz markiert. Rollen wir nun Geschehnisse und Erlebnisse mit den einzelnen Seillängen auf:

Am Einstieg gibt's einen bequemen und sicheren Platz. Neu mit einigen Schlaghaken auch als Garderobe ausgestattet ;-)

Hier geht's los! Hinein in die Gedärme vom Berg, nahezu wie an der Civetta - Ambiente total.
L1, 40m, M3: Bei sehr üppiger Schneelage wird man noch weit auf der weissen Unterlage in die Schlucht hinaufsteigen können (45 Grad). Meist sind jedoch gleich zu Beginn zwei klemmblockartige Aufschwünge zu meistern (M3). Am Ende der Schneepassage trifft man dann auf die Felsen. Der Stand befindet sich einige felsige Meter (M3) höher. Man mag befinden, dass dieser unbequem sei und sich an einem unlogischen Ort befinde - dafür ist er durch einen Überhang geschützt. Für Kletterer mit einer harten Schädeldecke liesse sich hingegen auch am Ende des Schneefelds (BH, NH) Stand beziehen.

Noch im Morgengrauen unterwegs in L1 (M3) an unserem dritten Bohrtag. Der Sack drückt sehr schwer auf die Schultern!
L2, 35m, M4+: Nach dem Stand klettert man links am "Hookup Crack" (M4). Dieser ist clean geblieben, nimmt jedoch Cams willig auf. Im zweiten Teil dieser Seillänge gilt es dann 2x, in etwas glatte, v-förmige Verschneidungen zu steigen (M4+, je 1 BH). Beim Felsklettern würde man sich ob den Grasbüscheln im Grund der Verschneidungen stören, hier sind sie eine willkommene Hilfe (bitte pfleglich behandeln!). Zuletzt geht's dann nach rechts hinaus (BH) und hinauf (M3+) in die "Love Cave", die Nische unter der nächsten Wandstufe.

Vorstieg am clean belassenen 'Hook-up Crack' in L2 (M4+) am zweiten Bohrtag.

Yours Truly in der Love Cave am Ende von L2 (M4+). Die Fortsetzung mit der M7-Stelle direkt ob dem Kletterer.
L3, 35m, M7 oder M5+ A0: In der Love Cave verweilt man aus naheliegenden Gründen gerne noch ein wenig länger... nein, nicht wegen dem, was ihr meint. Sondern, weil die nächsten Meter gleich richtig schwierig zu klettern sind. Leicht überhängend geht's zur Sache, der Riss hat leider Offwidth-Breite und der Ausstieg ins flachere Gelände darob ist nicht allzu strukturiert. Wir schätzen diese Passage auf M7 (oder A0 an 2 BH). Auch die folgenden Meter sind nicht einfach (M5+) und erfordern quasi zwingend den Camalot 3. Schlauerweise hatten wir diesen zur Gewichtsersparnis am zweiten Bohrtag daheim gelassen. Mit Schwitzen, Stöhnen und Fluchen ging's dann doch. Nach einem dritten BH kommt man in etwas einfacheres Gelände, welches schliesslich zu einem Abschlussriegel (M4+, BH) führt. Vor allem der Ausstieg auf Schneefeld darob ist tricky, dieses führt einen dafür dann einfach (40 Grad) zum Stand vor der nächsten Wandstufe.

Nach dem schwierigen, felsigen Auftakt in L3 (M7) wartet am Ende noch eine 40 Grad steile Schneepassage...

...der Ausstieg von der leicht überhängenden Wandstufe aufs Schneefeld ist jedoch wegen den plattigen Felsen knifflig.
L4, 40m, M6: Hier wartet zuerst so richtig typische Rubihorn-Kletterei an mit Grasmutten gespicktem Fels, wo man ideal seine Eisgeräte zum Einsatz bringen kann. Vorerst klettert man rechts an und in der Verschneidung (2 BH, M4+). Nach dem zweiten Bolt quert man aber nach links hinaus auf die dort mehr geneigte Wandpartie (2 BH, M4) und quert schliesslich nach rechts zurück (BH, M4). Hier passierte es mir beim Einrichten tatsächlich, dass sich die Exe unglücklich am Bolt verdrehte. Als ich dann das Seil ein wenig schüttelte, um die Exe wieder freizukriegen, so war sie schwupps ausgehängt. So stand ich nun in ungemütlicher Situation weit über dem vorletzten Haken - an sich eine ziemlich prekäre Situation. Jedoch nicht unbedingt beim Einrichten, wo mit dem Revolver am Gurt wieder für Sicherheit gesorgt werden kann. Der finale Abschnitt dieser Länge wird dann steiler und felsiger (3 BH) und wartet mit einer kniffligen Stelle (M6) mit bescheidenen Hooks auf. Zuletzt dann gerade hinauf zum Stand unter dem grossen Dach.

Auftakt in L4 (M6). Zähes Gelände mit plattigem Fels, hier ist man um jeden Grasbüschel froh!

Rückblick auf die finale Crux in L4 (M6). Es ist steil hier und so richtig gute Hooks (oder Griffe) fehlen.
L5, 25m, M4: Das grosse Dach haben wir "Brush-off Roof" getauft, denn hier haben wir tatsächlich einen Korb kassiert. Zwar war es nie der Plan, es direkt zu überwinden. Aber all die farbigen Linien, welche wir zuhause auf die Wandfotos aufgemalt hatten, führten an dieser Stelle nach rechts. Vor Ort war jedoch sofort ersichtlich, dass die dort zu überwindende Wandstufe sehr kompakt, geschlossen und glatt war, daher eine schlechte Option. Worin liegt also die Alternative? Tja dann wohl im "Seitensprung". Mit einem Quergang (2 BH, M4) geht's über eine felsige Stufe nach links hinaus, danach bald einfacher an Grasmutten diagonal hoch. Man trifft schliesslich auf die Linie vom Osterspaziergang (BH), dessen Stand (links an überhängender Wandpartie) man hier idealerweise mitbenutzt.

Stimmungsbild vom Quergang zu Beginn von L5 (M4). Im Vordergrund das durchschnittliche Eisvorkommen der Route ;-)

Auf der finalen Grasrampe in L5 (M4), welche nach links zu einem Stand vom Osterspaziergang führt.
L6, 30m, M5-: Was macht man als Lover nach dem Seitensprung? Genau, man geht nach Hause und legt sich ins "Bed of Roses". Genau so läuft's auch am Rubihorn. Vom Stand auf der Linie des Osterspaziergangs etwas rechtshaltend (BH) und hinauf (weiterer BH, kurz M4- und einfacher), um diesen schliesslich zu verlassen und auf das 1m breite und problemlose Latschenband (eben das "Bed of Roses") zu steigen, welches bequem und problemlos an sein rechtes Ende zu queren ist. Hier klettert man wieder im Fels (BH) und schliesslich athletisch an einer Art Graszapfen hinauf (M5-) zum luftigen Stand auf einer kleinen Kanzel.

Alpine Ambiance beim Rückblick auf L6 (M5-). Deutlich sichtbar das schneeige Latschenband genannt 'Bed of Roses'.

Die finale Felspassage in L6 (M5-) bietet die Crux, der Stand auf der Felskanzel extrem luftig.
L7, 50m, M7 oder M5+ A0: Gleich vom Stand weg folgt ein weiteres Pièce de Resistance der Route, nämlich der "Black Dancefloor". Bis hinein in die grosse, offensichtlich gut kletterbare Verschneidung sind es zwar nur wenige Meter, jedoch ist die schwarze Platte (3 BH) einfach grausam glatt, es herrscht hohe Schleudergefahr! Wer hier direkt über die Haken klettert sieht sich mit einer Passage konfrontiert, die gut im siebten Mixedgrad anzusiedeln sein dürfte. Am einfachsten ginge es (genau wie im Hinterstoisser-Quergang am Eiger) sicher, wenn eine solide Schnee- oder Eisschicht auf der Platte angefroren wäre. Doch wann und wie oft ist das der Fall?!? Das sind vermutlich sehr, sehr seltene Gelegenheiten. Die einfachste Freikletterlinie führt womöglich vom Stand weit absteigend in die Verschneidung - etwas umständlich, so dass wir dies nicht wirklich in Erwägung gezogen haben. Wer seine Begehung als Freikletterei verkauft, sollte aber so ehrlich sein und klar sagen, ob er den Black Dancefloor über die Haken geklettert oder umgangen hat. Nach dieser Schlüsselstelle geht's dann etwas leichter dahin (2 BH, M4+), bis zur Passage "Scherben bringen Glück". Hier quert man knapp unterhalb von einem Wandausbruch, wo viel brüchiges Gestein zurückblieb nach rechts (tief bleiben empfehlenswert!). Bei der ersten Gelegenheit jedoch wieder hinauf und auf einer Rampe, entlang einer schwach ausgeprägten Verschneidung in typischer Rubihorn-Kletterei (felsig mit Grasmutten gespickt) hinauf (3 BH, M4) zu Stand. An dieser Stelle hatte unser zweiter Bohrtag geendet.

Am unteren Bildrand der 'Black Dancefloor', Tobias hingegen bohrt kurz vor 'Scherben bringen Glück' - alles in L7 (M7).

Die finale Rampe in L7 (M7). Auch hier ist man um jeden Grasbüschel dankbar, wo die Haue solide beisst.
An unserem zweiten Bohrtag hatten wir beim Rückzug 20 Bohrhaken fest verzurrt in der Route hängen lassen, es war ja unsere Absicht, möglichst bald wiederzukommen. Schliesslich verging doch beinahe ein Jahr und die drängende Frage war, ob die Bolts denn noch vor Ort wären. Der geneigte Leser mag es vermuten - obwohl der Autor schon viele Routen eingerichtet hat, er hatte bis dato seine Ware immer komplett nach Hause getragen und beim nächsten Mal das Nötige wieder mitgenommen. Wenig effizient zwar, dafür auch frei von Unabwägbarkeiten. So stellte sich im Vorfeld des dritten Bohrtages die Frage, wie viele Bolts wir denn zusätzlich mitführen wollten. Konnten wir noch auf die deponierte Ware zählen? Es zu tun und schliesslich wegen fehlenden Bolts den ganzen Aufwand für nichts getrieben zu haben, das wäre bitter gewesen. Da schien die Mitnahme von zusätzlichem, wenn auch möglicherweise unnötigem Gewicht die bessere Option. Also hievten wir nochmals 24 Haken hinauf - nach Murphy's Law bestimmt auch optimal, um das Schicksal so zu beeinflussen, dass keine der deponierten Haken abhanden gekommen waren. So stellte es sich dann tatsächlich heraus... und weil bis zum Routenende nur noch 16 Bolts zum Einsatz kamen, trugen wir schliesslich sogar 4 der deponierten (und natürlich alle 24 zusätzlich mitgenommenen) Haken wieder nach Hause.

Das Bohrhakendepot... zum Glück waren die guten Stücke ein Jahr später noch vor Ort.

Tobias auf dem 'Black Dancefloor'. Die Platte ist listig glatt und bietet weder den Füssen noch Händen oder Hauen so richtig Widerstand. Meinung der alpinistisch äusserst kompetenten Erstwiederholer: "passt schon, man muss einfach mit den Frontzacken auf Reibung antreten, zum Festhalten braucht's auf einer Platte ja nicht unbedingt viel". Na dann... viel Erfolg!
L8, 35m, M4+: Der Weg ins Ungewisse am dritten Bohrtag startete unscheinbar, jedoch gar nicht so einfach. Die nach dem Start zu kletternde Stufe, wo sich die Verschneidung zu einer abstehenden, fast kaminartigen Schuppe verengt, sieht auf den ersten Blick easy aus. Ein zweites Hinsehen lässt einen dann jedoch den wenig strukturierten Fels erkennen. Und tatsächlich, nachdem ein Cam platziert ist, bin ich auf einmal mittendrin im Geschehen und es gibt nur noch die Flucht nach vorne - da noch den Revolver zur Verteidigung von Leib und Leben zu ziehen war utopisch (M4+). Danach steckt ein BH, es geht einfacher hinauf und schliesslich geht man eine Rechtsquerung auf einem schmalen, exponierten Band an (BH, M4). Über eine letzte, kurze Stufe (BH, M3) erreicht man ein spinnenartiges Schneefeld. Es geht hinauf zu dessen oberem Ende und auf einer Schneerampe (45 Grad) nach links hinauf. Hier (sehr empfehlenswert) die Möglichkeit zu  Zwischenstand an BH und einem kleinen Tannenbaum mit markantem Doppelstamm. Wer seine Sicherungen unten sehr grosszügig verlängert hat, kann sicherlich auch weiterklettern und die nächste Seillänge gleich anhängen.

Die Verschneidung mit der glatten linken Seitenwand zu Beginn von L8 (M4+).

Puh, da war ich ziemlich froh, als ich schliesslich diesen Haken platzieren konnte! Es ist die erste Sicherung in L8 (M4+).
L9, 20m, M3+: Das Ziel in dieser Seillänge ist die bereits erkennbare Nische 20m höher oben. Das Gelände dahin lässt sich bei etwas beliebiger Linienführung an Grasmutten gut beklettern. Unterwegs steckt nur ein einziger BH, dies jedoch genau vor der schwierigsten Stelle.

Graslastige Kletterei in der kurzen, leichtverdaulichen L9 (M3+). Guter Torf kletter sich definitiv besser als schlechtes Eis!

Früh im Zeitplan und damit guter Dinge, dass es am dritten Bohrtag bis hinauf zum Ausstieg reicht!
L10, 35m, M5: Nun gilt's aber nochmals ernst! Auf einem schmalen Band quert man entlang von einem kleinen Dach nach rechts hinaus, dann geht's hinauf zu BH (M4). Es folgt eine steile Passage an Schuppen (M5), welche mit Cams mobil abzusichern ist, zuletzt rammt man seine Geräte so richtig charakteristisch in zwei Grasbüschel und zieht sich aus der Senkrechte in einfacheres Gelände empor. Weiter geht's in ortstypischer Kletterei (BH, M3+) der Nase nach gerade oder vielleicht einen Tick linkshaltend hinauf, ein paar Latschen links und rechts säumen den Weg. Am Fuss einer kompakteren Wandstufe war dann klar, hier braucht's nochmals einen Standplatz.

Blick ins grüne Alpenvorland, den Microcam im Dach und die Querung am Anfang von L10 (M5).

Nach einer kniffligen, mobil zu sichernden Passage wartet zum Schluss von L10 (M5) gängiges Gelände.
L11, 40m, M4+: Die bereits erwähnte Steilstufe lässt sich erstaunlich einfach knacken, indem man ca. 8m nach links quert, direkt geht's (deutlich schwieriger) jedoch auch. Der BH oberhalb jedenfalls ist bereits vom Standplatz aus sichtbar, dort geht es gerade hinauf (zwei weitere BH, Stelle M4+). Schliesslich wird das Gelände weniger steil und verschneit, es geht dem BH-Stand an der letzten Felsstufe entgegen. Wer noch will, kann auch diese 3m überklettern und gelangt zu den Latschen, welche den letzten Verteidigungsgürtel vor dem Grat darstellen. Für diejenigen die wollen, befindet sich dort an etwas unbequemer Stelle eine Abseilschlinge. Wer sich nun noch durch die Latschen hindurchzwängt, erreicht nach 4m den Grat.

Das ist bereits die Passage vom Wandbuch hinauf zum Alternativstand an der Latsche wenig Meter höher oben.

Die allerletzten Meter zum Grat hinauf - ganz oben gibt's jedoch keine Abseilverankerung mehr, man muss retour klettern.
Hat man die Route bis zum Ende geklettert, was uns am dritten Bohrtag gelungen war, so bieten sich für den Rückweg verschiedene Optionen an. Am bequemsten ist es sicher, abseilend in die Tiefe zu gelangen. In 6 teilweise ausgereizten Manövern mit 2x60m-Seilen (Stände 11, 9, 7, 6, 3, 2) erreicht man bequem und in direkter Linie wieder den Wandfuss. Achtung, mit kürzeren Seilen wird die Abseilerei sehr mühsam! Von Stand 6 gelangt man zu Stand 5 wegen dem Quergang nur durch Zurückklettern, Stand 4 ist unter dem grossen Dach nur sehr beschwerlich mit tiefer abseilen und wieder hinaufklettern erreichbar und auch sonst muss das Seil noch 2x zusätzlich umgefädelt werden. Wir raten also ausdrücklich vom Abseilen mit kürzeren Seilen als 2x60m ab! Ein allenfalls nötiger Rückzug ist hingegen von jedem Standplatz aus vernünftig durchführbar. 

Teilweise freihängender, sehr effizienter 60m-Abseiler im zentralen Wandteil, über das 'Brush-Off Roof' hinweg.

Rückkehr in die 'Love Cave'. Nein, das ist nicht etwa Regen oder Angstschweiss, der da tropft. Sondern Spindrift.
Weiter schien es uns problemlos möglich, vom Ausstieg am Grat zu Fuss rückseitig zum unteren Gaisalpsee abzusteigen und von dort via den Wanderweg zurück zur oberen Richteralpe. Allenfalls wird hier die Lawinengefahr zum Thema, wobei bei guten Rubihorn-Kletterbedingungen dann wohl eher doch nicht. Für richtige Alpinisten besteht auch die Möglichkeit, über einfaches Schneegelände mit ein paar Stufen die rund 200hm zum Rubihorn-Gipfel aufzusteigen und von dort über den Normalweg zurück zu gelangen. Der Nachteil beider Fussabstiege ist jedoch, dass man nicht mehr am Einstieg vorbeikommt und dort keine Sachen deponieren kann. Jedenfalls, genau 4 Jahre und 2 Tage nach unserem ersten Angriff hatten wir am 13. Januar 2018 die Rubi Love vollendet. Welche ein grandioses Erlebnis - herzlichen Dank an Tobias für das tolle Teamwork. Hier hatten wir uns von der  Idee über Materialtransport bis zum Vorstieg alles brüderlich geteilt.

Möglicher Weiterweg vom Ausstieg zum Rubihorn Hauptgipfel. Es sind noch gute 200hm bis zum Gipfelkreuz.

Blick in die Allgäuer Berge mit dem bekannten Nebelhorn (2224m) und der rückseitige Abstieg zum unteren Gaisalpsee.

Byebye, ein letzter Blick auf die Wand. Der Einstieg befindet sich vom Kopf des Kletterers linkshaltend in den schneeigen Einschnitt, der Ausstieg ist am (vermeintlich) höchsten Punkt am Grat. Das Einrichten der Rubi Love war ein grandioses Erlebnis!

Facts

Rubihorn Nordwand - Rubi Love M7 oder M6 A0 - 11 SL, 385m - Bailer/Dettling 2018
Material: 2x60m-Seile, 12 Express, Camalots 0.3-3, Steigeisen, Eisgeräte (vorzugsweise mit alten Hauen). Haken, Keile, Eisschrauben und weiteres, exotischeres Sicherungsmaterial nicht nötig.

Typische Voralpen-Nordwandkletterei an einem Gemisch von Fels, gefrorenen Grasbüscheln und einigen Schneepassagen, welche nur in der kalten Jahreszeit mit Steigeisen und Eisgeräten begangen werden kann/soll. Die Route ist auch in perfekten Bedingungen nahezu eisfrei. Diese sind gegeben, falls kompakter, verfestigter Schnee liegt und die Grasbüschel nach einer trocken-kalten Periode solide durchgefroren sind. Keinesfalls bei Tauwetter oder in komplett schneefreien Bedingungen einsteigen. Ebenso bekommt die Kletterei eine völlig neue (Schwierigkeits-)Dimension, wenn die Wand mit Pulverschnee überzogen ist, ebenso dürfte dann das Auffinden der Bohrhaken zur schwierigen Herausforderung werden. Die Felsqualität darf man als grösstenteils gut und solide bezeichnen, dennoch ist eine gewisse Erfahrung alpine Erfahrung im Umgang mit schwierigem Gestein sicherlich hilfreich bzw. notwendig. Auf den Bändern liegt auch allerhand an Schutt, was bei korrekter Schneelage jedoch kein Faktor ist. Trotz allem geht man ein Risiko ein, wenn man hier hinter einer anderen Seilschaft einsteigt! Die Route ist mit rostfreien Bohrhaken gut abgesichert, wobei wir grösstmögliche Sorgfalt angewandt haben, diese in solidem und zuverlässigem Fels zu platzieren. Es sei einem jedoch bewusst, dass in jeder Seillänge zusätzlich Klemmgeräte anzubringen sind und auch einige längere, anspruchsvollere Passagen mobil abzusichern sind, was dort jeweils gut möglich ist. Alles in allem handelt es sich um eine zugängliche, objektiv sichere und gut abgesicherte Linie, welche trotzdem gewisse Ansprüche ans Können stellt und eine wohldosierte Portion an alpinem Abenteuer bietet.

Topo

An dieser Stelle lässt sich das komplette Topo zur Rubi Love in voller Auflösung als PDF downloaden. Weitere Informationen zum Gebiet und den anderen Klettereien in der Rubihorn Nordwand findet man im Eiskletterführer Bregenz bis Garmisch aus dem Panico-Verlag. Den Bericht von meinem Seilpartner Tobias findet man auf dem Rocksports-Forum.


Mittwoch, 7. März 2018

Avers - Bloody Mary (M8, 300m, Erstbegehung)

Am Thron (1,2), dem bekanntesten und besten Eisfall der Ostschweiz, herrschten Anfangs Februar 2018 perfekte Bedingungen. So liessen sich auf den Social Media zahlreiche, anmächelige Bilder bestaunen. Oft zeigten diese viel Andrang auf der Hauptlinie... und jenen Eiskletterern mit der entsprechenden Fantasie eine neue Möglichkeit. Links der Headwall gab es ganz offensichtlich das Potenzial für eine attraktive Mixedlinie. Mit ein wenig Felskletterei würden sich viele eisige Meter verbinden lassen. Dies wollten Dani und ich probieren, so machten wir uns in einer Herrgottsfrühe auf Richtung Avers, um auf jeden Fall in der Pole Position zu sein. Wie man schon dem Titel entnehmen kann, gelang uns die Neutour - nicht jedoch völlig frei von störenden Einflüssen. Aber gehen wir die Sache im Detail an...

Gesamtübersicht vom Parkplatz auf den Thron und unsere neue Variante, die Bloody Mary.
Als wir um 6.30 Uhr noch bei völliger Dunkelheit ins Avers hineinfuhren, waren die einschlägigen Eiskletter-Parkplätze noch alle verwaist. Erleichtert machten wir bei der Parkbucht vis-à-vis vom Thron halt, auch hier war noch niemand zugegen. Wir schirrten uns auf, nebst dem Material zum Eisklettern musste auch noch die Ausrüstung für eine Erstbegehung im Fels mit. Eben als wir zum Aufbruch bereit waren, fuhren zwei Fahrzeuge mit italienischen Kennzeichen heran. Wir schätzten, dass wir gegen 30 Minuten Vorsprung hätten, damit sollte die Sache ja eigentlich gegessen sein, würde man jedenfalls meinen... Wir machten uns an den kurzen Zustieg. Vom letzten Mal hatte ich noch die kritische Bachüberquerung und eine heikle, dünn vereiste Stufe danach im Kopf. So wie wir die Situation dieses Mal antrafen, hätte ich mich auch gefragt, was der Dettling da für komisches Zeugs auf seinem Blog schreibt. Das Bachbett war ca. 20m hoch (!!!) mit Lawinenschnee überdeckt, so konnte der Averser Rhein im Spaziergang überschritten werden und von der damals heiklen Stufe war rein gar nichts zu sehen. Wenige Minuten später waren wir am Einstieg.

Auf geht's! Drei lange Seillängen (180m WI3) über den Thron bringen einen zum eigentlichen Start der Route. 
Die ersten Seillängen, d.h. den für Experten "mässig steilen" Zustieg, wollten wir am langen Seil mit ein paar Ropeman als Rücklaufsicherung hinter uns bringen. In der Tat wären es bis zum Abzweig unserer Linie 3 lange Seillängen und damit gegen 180m mit Schwierigkeiten bis WI3 - zu Beginn der mittleren Seillänge reichte die Steilheit des Geländes über einige Meter an die Senkrechte heran. Ich verstehe dieses Terrain jetzt nicht unbedingt als "fortgeschrittenes Gehgelände", aber prinzipiell klappte die Simultanstrategie recht gut. Die schwer beladene Dauerkletterei mit 2x60m-Seil im Schlepptau war im Vorstieg ziemlich anstrengend. Und für den Nachsteiger besteht beim gemeinsamen Klettern im Eis halt unweigerlich die Gefahr, unbemerkt eine Scholle abzukriegen. So passierte es denn auch und ein blutiges Kinn war leider die Folge. Schlussendlich war ich aber in einer Stunde doch einigermassen zügig am Beginn der senkrechten Kletterei angekommen und konnte einen Stand in die Felsen bohren. Während es derzeit möglich gewesen wäre, die erste Seillänge unserer Route links über eine dünne, jedoch kaum absicherbare Eisschicht auf den plattigen Felsen zu klettern, so hatte das vorgängige Studium von Fotos aus vergangener Zeit gezeigt, dass dies nur sehr selten realistisch ist. Somit wollten wir hier den Diagonalweg durch den Fels links hinauf wählen. Dieser dürfte in den meisten Jahren realisierbar sein und erreicht mit 10m Felskletterei (ca. M6+, 1 BH, 1 NH) die Stelle, wo in der Regel genügend Eis vorhanden ist.

Luis Trenker (oder wie der schon wieder heisst...) packt die erste neue Länge mit einer Stelle im Bereich M6+ an.
Wildes Treiben im Thron nebenan. Insgesamt 7 Seilschaften waren gleichzeitig aktiv, kletterten Kreuz und Quer und bewarfen sich gegenseitig mit Eisschollen. Ich stelle mir die Frage, warum man solch komplett unverantwortliche Risiken eingeht und hier anderen Seilschaften folgt?!? Es fällt nun wirklich ständig Eis runter und ein Volltreffer führt garantiert mindestens zu ernsthaften Verletzungen. Macht Eisklettern auf diese Art und Weise wirklich Spass? Für uns war dieser Andrang kein Faktor. Wir meisterten den Einstieg über den Thron als erste Seilschaft, danach ist man auf unserer Route vor Eisschlag aus dem Thron geschützt.
So weit, so gut. Während Dani im Vorstieg die Felsen meisterte, rückte hinter uns ein Team von Italienern an. Der Leader erklärte, dass sie hier diese Erstbegehung hätten machen wollen, er hätte in seinem Rucksack auch eine Bohrmaschine dabei. Nun ja, was soll man da sagen ausser "Pech gehabt, wer zuerst kommt, mahlt zuerst!". Doch nein, er war überzeugt, hier hinter uns auch noch seine Erstbegehung machen zu wollen (gewisse Kenntnisse in Italienisch sind definitiv von Vorteil, umso mehr wenn diese den Schweizern nicht zugetraut werden ;-)). Also schickte der Capo seinen Soldat in die Schlacht - er hiess ihn, die Felsstelle über die dünne Glasur zu umgehen, auf Sicherungen zu verzichten um so irgendwie zu einem Überholmanöver ansetzen zu können. Dass der Junge dabei völlig unzureichend gesichert war und sich zudem mitten im Eisschlag von meinem Vorsteiger befand, schien nichts auszumachen - wie im Krieg, da zählen höhere Ziele. Jedenfalls, das Überholmanöver war natürlich eine Utopie und noch nie habe ich auf den Hunderten von Ausflügen in die Berge eine dümmere Aktion erlebt - noch dazu war das ja nicht Unwissenheit oder Negligence, sondern volle Absicht von einem, der es eigentlich genau weiss. Nach der felsigen Passage und etwas moderatem Eis folgt eine senkrechte Stelle an einer mageren Kerze (~WI5). Die Basis der Kerze war sehr dünn, so dass nebenan 1 BH im Fels für Sicherheit sorgt. Nach 7-8 Metern flacht's wieder ab und man erreicht gerade hinauf den Stand an 2 BH.

Bereits am Abseilen. Im Vordergrund die Mixed-Stelle in der ersten neuen Länge, der Kletterer befindet sich beim Eisteil.
Blick vom Stand auf den Eisteil der zweiten neuen Seillänge (WI5+, M8).

Wir machten uns auf in die nächste Länge. Die ersten, eisigen 25m sind +/- senkrecht, lassen sich aber gut klettern (~WI5+). Die Crux folgt jedoch danach, der überhängende Felsriegel will überwunden werden - zusätzlich dazu noch mit der Unsicherheit, was danach oberhalb im plattigen Gelände warten würde. Die offene Frage war ein Stück weit, wo der Fels am besten angegangen würde, mehrere Varianten schienen offen. Wir wählten schlussendlich die höchstmögliche. Hier gibt's erst ein paar Hooks an einem feinen Riss hinauf, dann folgt eine delikate Querung nach rechts. Weit draussen lässt sich ein Sloper anhechten, was mit blossen Händen freilich deutlich besser geht wie per Eisgerät. Nun gilt es nur noch, sich ausreichend zu stabilisieren und aus einem Schulterzug, den Frontzacken auf winziger, abschüssiger Leiste, das Gerät in einem Torfbüschel zu verankern. Der Mantle hinauf zum Stand ist dann auch noch nicht von schlechten Eltern. Die Stelle ist mit 2 BH gut abgesichert, aber dennoch zwingend zu meistern. Zu bewerten ist diese Mixedkletterei wirklich nicht ganz einfach - wir würden die Anforderungen so grob einmal auf ~M8 einschätzen. Es sei an dieser Stelle erwähnt, dass Wiederholer nach uns die Stelle komplett mit den Eisgeräten kletterten, das ist also definitiv auch möglich. Die Italiener hinter uns? Sie hatten nicht klein beigeben wollen und sich ohne Rücksicht auf Verluste in unsere Falllinie begeben. Sie bohrten 10m weiter unten eine Traverse mit 4 BH ein, welcher ein Runout zum Eis der Thron Headwall folgt. Frei geklettert soll sich jener Abschnitt im Bereich M7+ bewegen, die Crux kann A0 entschärft werden.

Blick beim Abseilen auf die zweite neue Länge. Das Eis ist im Bereich WI5+, das felsige Dach ist für ca. M8 zu haben.

Close-up von der Crux. Der Bolt sorgt für Sicherheit. Der Fels ist gut, aber auch kompakt und geschlossen.
Unsere dritte Seillänge führt durch eine grasig-felsig-eisige Verschneidung hinauf. Witzig zu klettern, wegen dem wenig strukturierten Eis war es schwieriger, wie es von unten aussah (~M5). Nach etwa 15m trifft man auf den Eisschild, über welchen man hinauf zu Stand an einer Fichte klettert (~WI4). Es folgt noch eine weitere Seillänge in einfachem Eis (~WI2), bis man oberhalb auf flaches Gelände trifft. An den Felsen befindet sich nun ein Stand mit 2 BH, von welchen sich bequem Abseilen lässt. Somit war unser Plan bis auf das absurde, italienische Störmanöver perfekt aufgegangen! Die Abseilerei ging ob dem sehr steilen Gelände mühelos. Ein Manöver zum vorletzten Stand, ein weiteres zu jenem am Beginn der Schwierigkeiten. Von dort muss man weitere 3x zum Einstieg abseilen (in der Mitte 1x Abalakov nötig, für das letzte Manöver gibt's orografisch rechts an den Felsen einen BH-Stand, von welchem aber mit 2x60m-Seilen die untersten 10m zum Einstieg abzuklettern sind). In wenigen Minuten waren wir zurück beim Automobil und konnten die Ausrüstung ablegen. Noch immer waren im Thron einige Seilschaften damit beschäftigt, sich gegenseitig mit Eis zu bewerfen. Wir indessen konnten gemütlich und mit Freude über die Erstbegehung nach Hause tuckern. Zwei Dinge allerdings trübten unsere Stimmung etwas: einerseits das respektlose, dumme und äusserst gefährliche Verhalten der Italiener, andererseits die noch immer blutende Schramme am Kinn, welche schliesslich sogar ein paar Stiche brauchte. Aber da die negativen Begleitumstände mit der Zeit in der Hintergrund rücken, werden wir Monate oder Jahre später sicher mit Stolz und Begeisterung auf unser Projekt zurückblicken.

Yehaa, das Top der neuen Route ist erreicht. Der Ausstieg befindet sich etwas höher wie jener vom Thron.

Das Abseilen, v.a. die Länge über das grosse Dach, ist sehr luftig!

Facts

Avers - Bloody Mary ED III M8 WI5+ - 7 SL, 300m - ****; xxx
Material: 2x60m-Seile, 8-10 Eisschrauben, evtl. Ropeman für L1-L3

Interessante Variante zum grossen Avers-Klassiker Thron, welche im Eis nicht schwieriger als das Original zu klettern ist. Die Hauptschwierigkeiten stellen 2 kurze, felsige Passagen dar, welche in kreativer Mixed-Technik überlistet sein wollen. Diese sind gut mit BH abgesichert, erfordern aber auch ein paar zwingende Kletterzüge. Mobiles Sicherungsmaterial lässt sich dort kaum einsetzen. Die Kletterei auf der Variante darf man als objektiv sicher bezeichnen. Ab dem Abzweig der Bloody Mary ist man auch nicht mehr vom Eisschlag aus der Thron-Headwall betroffen. Hingegen ist auf den Zustiegslängen über den Thron die nötige Vorsicht angezeigt, auch in Bezug auf Lawinen! Das Einzugsgebiet ist riesig, so dass auch bei wenig Neuschnee schon bedeutende Spindrifts abgehen können - um von grösseren Lawinen gar nicht erst zu sprechen. Die enormen Schneemassen, welche sich im Februar 2018 unten im Bachbett befanden, sprechen Bände. Konkret: herrscht Stufe 3, so sind weder der Thron noch die Bloody Mary zu verantworten.

Topo zur Bloody Mary. Man kann es auch als PDF in voller Auflösung mit besserer Druckqualität herunterladen.