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Mittwoch, 21. Juni 2023

Rätikon - Sabra (7a)

Rätikon Sabra, das stand schon viele Male auf dem Zettel, als es um die Auswahl einer Route ging. Irgendwie kam es doch nie dazu, restlos genau zu erklären ist das nicht. Möglicherweise ist es eine Kombination der mit 8 SL auf dem Papier kurz scheinenden Kletterstrecke und einiger nicht durchwegs positiver Online-Rezensionen. Aber spät(er) ist nicht nie, der Tag kam wo wegen abendlicher Verpflichtungen, einem nicht zu 100% gewitterfreien Wetter und einem schon weit zurückliegenden letzten Rätikon-Besuch die Sabra genau das richtige Ziel war. Zudem sollte ich ja sowieso für den im 2024 geplanten Kletterführer recherchieren, das passte umso besser. Mit der Aussicht auf diesen sollte man online vielleicht nicht alle Körner verpulvern - den textlastigen, einen Kletterführer weit sprengenden Blog gibt's nun trotzdem, für ein aktualisiertes Topo und das Wandbild mit dem Routenverlauf verweise ich aber gerne auf das zu erscheinende Schriftstück.

Die Kirchlispitzen mit der Sabra ganz rechts an der noch grösstenteils schattigen 7. Spitze.

Ich habe es auf diesem Blog nun schon mehrmals erwähnt: die Strasse von Schuders zum Parkplatz bei der Kletterhütte oberhalb des Grüscher Älpli ist neu kostenpflichtig (10 CHF/Tag, bezahlbar mit den Apps Twint oder Parkingpay, Details am Ortseingang von Schuders). Ich präferiere inzwischen das E-Bike für die Strecke: es ist gleich geschwind oder tendenziell schneller wie mit dem Auto (bis Melkplatz 26min hin, 18min retour), es schont die Karrosse und vermeidet Parkplatzprobleme, welches es an Wochentagen in der Vorsaison zwar kaum gibt, im Sommer und Herbst an Weekends aber durchaus. Zur Erinnerung, man darf sich nur auf dem Platz unterhalb vom Kletterhüttli stationieren, wo es für ca. 8 Fahrzeuge Platz hat. Vom Melkplatz stiegen wir zügig in ca. 25 Minuten hinauf zum Einstieg, der sich ca. 20m links vom mir wohlbekannten Start der Kamala befindet. Um 9.45 Uhr hatten wir alles parat und legten mit der Kletterei los.

Die beste Variante, um ins Gebiet zu kommen...

L1, 25m, 6b+: Der Start befindet sich bei einem angelehnten Pfeiler bei einer stark verwitterten Sanduhrschlinge. Dieser bietet problemlose erste Meter zur kompakten Wand hinauf, wo es dann gleich volle Kanne losgeht. Die Absicherung ist gut, dennoch will engagiert gestiegen werden. Es wartet mehr oder weniger senkrechte Wandkletterei an schönem Fels - teilweise mit leichter Staubschicht von der Feuchtigkeit, welche hier wohl doch hin und wieder drückt. Sollte letzteres der Fall sein, so erachte ich die Länge als unpassierbar. Das hat auch mit einem längeren Abstand zum letzten BH hin zu tun, welcher in einem zwar nicht sehr schwierigen, aber doch ziemlich kühnen Quergang erreicht werden will.

Trotz der moderaten Bewertung: schon in L1 (6b+) muss man richtig parat sein!

L2, 25m, 6c+: Dieser Abschnitt bietet eine etwas eigenwillige Routenführung. Der erste BH ob dem Stand ist gut sichtbar und wird mit einer Linksschleife erreicht. Dann quert man weit nach rechts und klettert in einem grossen Bogen dem schönsten Fels und den homogenen Schwierigkeiten entlang (?!?). Der Ausweg aus diesem Wandteil führt aber unweigerlich durch den überhängenden Abschluss der Rissverschneidung. Diese kann bestimmt auf zig verschiedene Arten bewältigt werden, von Riss-Jamming über Kamin-Fortbewegung, Ausspreizen und derlei 3d-Manöver ist vieles vorstellbar. Auch das ist übrigens eine Stelle, wo die Feuchtigkeit lange drückt. Insgesamt handelt es sich hiermit um die vermutlich am besten abgesicherte Seillänge der Route.

Ich sage nur "es täuscht". Dieses Foto gibt keinen adäquaten Eindruck der lässigen L2 (6c+). Vor allem befindet sich der Akteur (auch wenn es trivial aussieht) in der Crux, dem kaminartigen Rissüberhang zu entsteigen ist dann im Fall alles andere als einfach!

L3, 50m, 5c+: Nun ja, gerade attraktiv sieht dieser Abschnitt vom Standplatz unterhalb nicht aus. Das Gelände wirkt eher splittrig und lässt rustikale Verschneidungskletterei bei spärlicher BH-Sicherung vermuten. Schlussendlich entpuppt es sich als weniger schlimm wie befürchtet. Nicht alles was lottrig aussieht fällt gleich auseinander und während auf die gestreckten 50m tatsächlich nur 3 BH stecken, so befinden sich diese genau am richtigen Ort, dazwischen können mobile Sicherungen in anfoderungsgerechten Abständen platziert werden.

In L3 (5c+) macht das Gelände einen etwas splittrigen Eindruck. Sicherlich ist es die alpinste Seillänge der Route, schlussendlich ist es aber doch deutlich angenehmer zu beklettern wie man auf den ersten Eindruck befürchten könnte.

L4, 40m, 6a+: Auch diese Sequenz hat mehr den Charakter einer Übergangslänge zum fantastischen oberen Teil. Hier hätte man sich bestimmt auch eine relativ einfach Linie im vierten Grad zimmern können, doch die Erschliesser wählten einen Weg der erst links eine (erstaunlich knifflige) Plattenstelle einbaut, sich dann rechts schöne Meter sucht und zum Ende einen elegant-griffigen Abschluss findet. Aus der Optik "schöne Klettermeter maximieren" wäre m.E. der Weiterweg über die kompakte Plattenzone links oberhalb des ersten BH logischer gewesen, so hätten sich 40 homogene und sehr schöne Meter im Bereich 6b ergeben (ich hab's im Nachstieg ausprobiert und würde die Route bei der Sanierung dahin verlegen).

Aussichten auf den oberen Routenteil, Jonas in L4 (6a+) unterwegs.

L5, 40m, 6c+: Bis zu diesem Punkt war die Route vielleicht nicht gerade leichtverdaulich, aber doch noch nicht extrem anforderungsreich. Ich schreibe das, weil es ab L5 definitiv einen Gang höher zu schalten gilt. Und zwar schon bald! Über die geneigte Platte pirscht man sich noch problemlos ans aus dem Netz und Erzählungen bereits bekannte Corpus Delicti hinan. Dies besteht aus einer zu 100% zwingenden 6c/+ Reibungsstelle vom zweiten zum dritten BH. Rein metermässig ist der Abstand nicht megaweit, die zwei, drei harten Moves beginnen, wenn man mit den Füssen etwas links oberhalb des Hakens steht. Doch die Stelle ist absolut zurecht berüchtigt - mit dem eher ungünstigen Seilverlauf, den wackligen Moves und einer geneigten Plattenzone unterhalb ist der Mix absolut da, dass es einen womöglich sehr unangenehm runterpaniert. Immerhin wurde der offenbar stark in Mitleidenschaft gezogene Original-BH an dieser Stelle von einer guten Seele durch ein neuwertiges Exemplar ersetzt. Danach geht's vorerst recht gemässigt voran, bis am Ende eine taffe Sequenz nochmals fordert - je nach persönlicher Präferenz zwischen fusslastiger vs. athletischer Kletterei ist das sogar die Crux. In einer Rechts-/Links-Schleife warten coole, zügige und nicht so einfach zu lesende Leistenmoves - echt super, obschon die Felsqualität an der Stelle nur 1b ist.

Erst typische Rätikonplatten, dann powerige Leistenkletterei: in L5 (6c+) wartet das volle Programm.

L6, 50m, 6a: Für Abwechslung ist gesorgt und die folgt hier im Rahmen einer relativ einfachen Seillänge in steilem Gemäuer, wo die Absicherung abschnittweise mobil zu erfolgen hat. Im Auftakt trifft man auf einen Schlaghaken des historischen CFC-Wegs, der hier (wohl teilweise gemeinsam?!?) verläuft. Nach einem Bolt folgt eine abdrängende Schuppe, dann griffige Kletterei über tolle Platten - man achte bloss darauf, seine Sicherungspunkte gut zu verlängern! Denn am Ende (wo man sich mangels weiterem Material möglicherweise zum Verlauf fragt) quert man erst markant an einem geradlinigen Riss vorbei nach rechts, steigt über Platten hinauf um schliesslich den Stand links auf dem Pfeiler zu finden.

Das etwas grasige wirkende Foto wird der langen Reise in L6 (6a) nicht wirklich gerecht. Die Kletterei ist weitgehend super, teilweise selber abzusichern und somit für den tief angesetzten Schwierigkeitsgrad überhaupt nicht langweilig.

L7, 45m, 6c+: Eine wahre Monsterseillänge in prima Fels! Schon gleich aus dem Stand raus geht's los und so richtig "lugg" lässt es nie mehr. Wiewohl wartet nirgends die Megahärte in Form einer extremen Boulderstelle. Doch gleich zu Beginn ist's kräftig an Löchern, Leisten und Slopern, dann bahnt man sich den Weg über sehr schönen, teils mit prima Griffen gespickten Fels. In der zweiten Hälfte wird es dann mehr und mehr fusslastig - erinnerungswürdig v.a. die Linksquerung mit einem einzigartigen 3-Finger-Schlitz (ohne den die Stelle im sonst blanken Gelände wohl kaum kletterbar wäre) mit seinem engagierten Klipp danach. Einfach dran bleiben heisst es, zum Ende wird es dann an einem Riss nochmals athletisch, wobei da selbst bei verlängerten Sicherungen (und sonst erst recht) das Seil in die ungünstige Richtung zieht. 

Mit Aussichten aufs Schweizertor in der Monsterlänge L7 (6c+)

L8, 45m, 7a: Zum Ende folgt die am höchsten bewertete Seillänge und tatsächlich findet man da klar die schwierigsten Kletterstellen. Los geht's mit einer leicht überhängenden, griffarmen Wandstufe, die zu einer einfacheren Verschneidung führt. Die Moves sind erst hart und der Exit ins einfacher werdende Gelände heikel. Man kann da durchaus fallen und sollte das passieren, so kommt man wegen dem tief steckenden BH mit dem Belayer und dem Standband sehr viel schneller in intimen Kontakt als einem lieb ist. Man kann zwar einen 0.2er Cam platzieren der das verhindert, aber auch nur wenn man so viele Reserven hat, dass man wohl einfacher gleich durchzieht, bis man oben steht (Anmerkung der Redaktion: der Cam lässt sich auch aus einer Trittschlinge platzieren - was, wenn man sich nicht ganz sicher ist, der Gesundheit zuliebe vielleicht nicht der dümmste Approach ist). In griffigem Gelände gelangt man zu den nächsten Herausforderungen, welche in einem reibungslastigen Runout in einem seichten Winkel zu hoch steckendem Bolt und einer Boulderstelle mit nicht offensichtlicher Routenwahl bestehen. Das ist es aber noch nicht, das Schlussbouquet folgt erst danach in Form von einer grifflosen Zauberstelle (in senkrechtem Gelände, notabene). Für uns hat sich da keine machbare Lösung erschlossen, schon gar nicht in 7a-Kragenweite. Immerhin geht's da kommod A0 und die letzten 10m zum Stand stellen auch kein unüberwindbares Hindernis dar.

Kein Top-Foto und aussehen tut's ähnlich wie davor. Das ist aber am Routenende in L8 (7a).

So erreichen wir um 16.15 Uhr nach doch 6:30h der Kletterei das Top. Nun ja, die für 8 SL doch recht lange Kletterzeit ist schnell erklärt: in den meisten Längen wird das Seil ausgeklettert, vielfach ist es über längere Passagen schwierig und während die Absicherung wohl als "gut" bezeichnet kann, so erlaubt sie kein zügiges Durchmarschieren, sondern wohlüberlegtes Vorgehen. Noch dazu sind die einfacheren Abschnitte eher spärlich geboltet, so dass dort mit selber absichern, Wegsuche und zurückhaltendem Vorgehen auch nicht aufs Tempo gedrückt werden kann. Für den Rückweg kann man entweder über die NE-Flanke abkraxeln und dann via Schweizertor zu Fuss absteigen oder auch Abseilen, wozu 7 Manöver fällig sind. Um die Schuhe nicht mitnehmen zu müssen, hatten wir uns dafür entschieden. Je nachdem wie speditiv man ist, dauert es wohl nur ein bisschen oder auch ein Stücklein länger wie der Fussabstieg. Nachher machten wir uns zügig auf die Socken, genossen den Bike-Downhill nach Schuders und fuhren einer 40. Geburtstagsparty entgegen, die genau wie die Sabra und die Erinnerungen an die Kamala daneben in Erinnerung rief, dass es schon eine gute Weile her ist, seit ich auch noch so jung war.

Facts

Rätikon / 7. Kirchlispitze - Sabra 7a (6c+ obl.) - 8 SL, 320m - Wyser/Morel/Tischhauser 1991 - ****;xxx
Material: 50m-Seil, 12 Express (min. 5 verlängerbare), Cams 0.2-0.75 (evtl. 1 und 2), Keile

Tolle Rätikontour, welche unten noch etwas verhalten startet aber auch dort schon schöne Passagen bietet. Die obere Hälfte weist dann durchgehend besten Fels und geniale Kletterei auf. Die Route ist eher länger, wie die nur 8 SL suggerieren, da diese meist lang sind, sowie komplexe und anhaltende Kletterei bieten. Da zusätzlich die Haken nicht immer in einer Linie stecken, kämpft man am Ende der Seillängen meist gegen Seilzug - man beherzige sich den Tipp, genügend verlängerbare Alpine Draws mitzunehmen und diese auch einzusetzen. Die schwierigen Stellen sind gut eingerichtet, weisen aber doch immer wieder zwingende Passagen nahe der Höchstschwierigkeit auf. An den einfacheren Stellen stecken die Bolts eher spärlich und mit grossen Abständen. Das ist aber insofern wenig problematisch, als dass dort meist gut mit mobilen Mitteln ergänzt werden kann. Die Geräte der Wahl sind kleine Cams 0.2-0.75 - entweder doppelt oder dann mit einem Satz Keile ergänzt. Grössere Cams (1-2) bringt man sicher auch mal unter, sie scheinen mir aber verzichtbar. Hinweis: Jahreszeit beachten, da im Schatten vom Schweizereck gelegen, erscheint die Sonne trotz SE-Ausrichtung erst recht spät und verschwindet aus den oberen Seillängen spätestens Mitte Nachmittag. Topo und weitere Details zu den Routen im Panico-Führer Rätikon Süd, dessen Neuerscheinung für 2024 geplant ist.

Donnerstag, 8. Juni 2023

Gandschijen - Golden Flake (7a)

Der Gandschijen hoch über dem Göschener Tal bietet prima Granitkletterei an sehr schöner, sonniger Lage mit einwandfreiem Fels. In den 1980er-Jahren war er sogar ein Szene-Hotspot, doch heute scheint er mehr und mehr in Vergessenheit zu geraten. Es liegt wohl einerseits daran, dass für Extreme der Salbit bekannter ist und längere Routen bietet, andererseits die Plaisirkletterer im Gebiet der Bergseehütte ein umfassenderes Angebot finden. Doch für Tagestouren würde einem am Gandschijen eigentlich sehr viel geboten, gerade für Tage mit unsicheren Prognosen oder bis weit in den Spätherbst hinein. Dass dieses Angebot nicht häufiger genutzt wird, liegt bestimmt auch daran, dass die Touren in den Filidor-Auswahlführern nicht verzeichnet sind und man auch sonst keine aktuellen Topos findet, so dann man auch wenig bis nichts über Sanierungen und aktuelle Gegebenheiten weiss. Kommt noch hinzu, dass das Hakenmaterial in manch einer der älteren Touren verrostet und unzuverlässig ist. Hier ein Versuch, etwas Licht ins Dunkel zu bringen.

Der Gandschijen mit seiner breiten Südwand und dem Verlauf der Golden Flake (7a).

Am Gandschijen war ich soweit auch kein Habitué, nur ein einziges Mal bewegte ich mich vor Jahren für den Südpfeiler vor Ort. So reisten wir an einem Samstag, für welchen nachmittägliche Schauer prognostiziert waren früh an, um mit der sanierten Super Gwüest (7a) eine der Toptouren der Wand zu klettern. Ein wenig fürchteten wir nach den vielen gewittrigen Regenfällen schon, auf nicht einwandfrei trockene Verhältnisse zu treffen. Doch da die Wand aus dem Tal perfekt einsehbar ist und in der Gegend auch noch viele Alternativziele vorhanden sind, dünkte uns das Gebiet trotzdem die richtige Wahl. Ein Abgleich vom Topo aus dem Uri Excellence bzw. dem SAC-Tourenportal mit den durchaus vorhandenen Wasserstreifen im rechten Teil der Gandschijen-Wand ergab uns am Parkplatz grünes Licht - auf dem (leider falsch!!!) verzeichneten Verlauf mied die Route die feuchten Zonen und wir machten uns auf den Zustieg.

Bergidylle auf dem Zustieg mit dem Börtli im Vordergrund.

Offizielle Parkplätze findet man nur unten beim Campingplatz, so muss man erst 800m/60hm der Strasse entlang gehen, um dann auf Güterstrassen zum Börtli hinaufzusteigen. Ab da dann auf schwacher Wegspur durchs hohe, benetzte Gras hinauf zum markanten Spitzistei. Ab dort führen dann viele Wege nach Rom bzw. zum Wandfuss - im Blockchaos hat es hier und da Wegspuren, aber keine durchgehende, richtig verfolgbare Spur. Spielt aber auch keine Rolle. Wir nahmen es eher gemütlich und benötigen gerade ca. 1:00 Stunden für die rund 550hm. Subito hatten wir die weiss lackierten Bolts der Super Gwüest lokalisiert. Während die erste Länge bekletterbar gewesen wäre, so führte die zweite ganz offensichtlich einer siffig nassen Verschneidung entlang, halt eben rund 15-20m weiter rechts wie im SAC-Topo eingezeichnet. Das machte nun wirklich absolut keinen Sinn, da einzusteigen. Grrr, solch irreführenden Informationen sind doch immer wieder sehr ärgerlich!

Der markante Spitzistei, sieht ein wenig aus wie Fuchur, der Glücksdrache.

Somit war eine gute Alternative gefragt. Der Südpfeiler war mir halt schon bekannt, das wäre nur eine Notlösung gewesen. Weiter rechts sind auch Sali Konrad (6c+) und Gatsch (6b) saniert. Doch da war nichts zu holen, dieser Bereich war grossflächig wasserüberronnen, das war uns bereits aus dem Tal klar. Andere schwierige und laut Topo durchaus interessante Touren in diesem Wandteil wären Börtlergrind (7a), Titanic (7b) und Weg durch die Muschel (7b+). Diese wären nässetechnisch möglicherweise gegangen, jedoch weisen sie dermassen veraltetes Hakenmaterial auf, dass es uns schauderte und sie keine Option darstellten. Somit erkundeten wir als nächstes den linken Wandteil. Da und dort war eine alte Linie zu erkennen, doch auch hier nur mit stark veraltetem Material und wer wollte da schon mit den nur vagen Angaben bzw. Vermutungen was das sein könnte einsteigen?!? Schliesslich stach der letzte Trumpf und das war die Golden Flake (7a) der Gebrüder Jud aus dem Jahr 2014, deren Topo ich dereinst auf dem World Wide Web ergattert hatte. Hier war der Fels trocken, es steckten moderne Inoxbolts und die Linie sah attraktiv aus. Einzig verfügten wir nur über ein Camset 0.2-2, während das Topo teils cleane Längen verhiess und ein Doppelset empfahl. Naja, irgendwie würde es sich vielleicht doch ausgehen, dachten wir uns, notfalls halt via Backcleaning. Und vor allem hatten wir ja auch keinen vernünftigen Alternativplan und so stiegen wir schliesslich um 9.15 Uhr ein.

Los geht's - die Säcke verstauten wir lieber ziegensicher am ersten BH.

L1, 35m, 6c: Über die ersten paar einfachen Meter kommt man noch gut voran, auch die Absicherung ist auf diesem Abschnitt sehr eng gehalten. Doch der Schwung wird von einem heftigem Boulderproblem bald gebremst. Ich konnte schliesslich total überstreckt die rettende Leiste fassen und die Stelle ziehen, während dem wenig kleiner gewachsenen Viktor ein guter Dezimeter fehlte und er keine kletterbare Lösung fand - unter 190cm dürfte man da mit 6c sehr, sehr knapp bedient sein. Man folgt dann dem Verlauf einer Schuppe, die vorerst ein paar bessere Griffe hergibt, sich bald aber schliesst und nur noch so etwas à la 4mm Micros bereithält. Man muss an dieser Stelle auch sehr abschüssig auf die Füsse stehen und etwas Gegendruck erzeugen, noch dazu zwingend zwischen den Haken! Gut abgesichert zwar, jedoch voll obligatorisch und etwas unangenehm, es ist die Crux in Bezug aufs Hochkommen der Route. Wir empfanden das eher als Fb 6C Boulderproblem wie als eine 6c-Route - aber vielleicht waren wir noch nicht aufgewärmt oder es fehlte noch die Form in einer langsam anlaufenden Saison?!? Hat man diese Passage einmal geschafft, geht's immer noch anhaltend, aber wieder machbarer voran, bei sehr eng steckenden Haken. Sprich, die Absicherung ist hier etwas inhomogen - sehr dicht da, wo es nicht unbedingt nötig wäre, mit dem weitesten Abstand da wo es am schwierigsten ist.

Schöne, aber fordernde Kletterei der dünnen Schuppe entlang mit zwei sehr schwierigen Einzelstellen in L1 (offiziell 6c, nach unserem Gusto deutlich schwieriger). 

L2, 30m, 6b+: Laut Topo ist diese Länge komplett clean, so waren wir erstaunt, aber mit unserem knappen Camset erfreut, hier auf insgesamt 8 BH zu treffen. Diese stecken auf dem einfacheren ersten Drittel etwas links der Linie, was aber wohl daran liegt, dass die Erschliesser erst nach dem Einrichten einige fragile Schuppen ausgeräumt haben. Der Hauptgang folgt dann im zweiten Drittel mit einer cleanen, halbmondförmigen Verschneidung. Man kann aber gut Cams legen, wenn auch aus anstrengender und teils blinder Position. Der Riss an sich ist meist schon ordentlich griffig, hingegen ist es steil und die Tritte sind schlecht bzw. nahezu inexistent. Burly Layback heisst es also, da kann das Blut schon in Wallung kommen. Ich konnte es im Nachstieg (viel) näher am Limit als ich in einer 6b+ erwarten würde durchsteigen. Doch der Leser weiss es ja schon längst, diese Art von Kletterei ist der dettling'sche Antistyle - trotzdem dürfte die Bewertung hier auf der harten Seite sein. Einmal um die Ecke gebogen, geht's dann im letzten Drittel an sich einfacher zum Stand. Problematisch ist hingegen, dass die Flake hier nur Zentimeter dünn ist und grossflächig abbrechen könnte. Das wäre sowohl für den Vorsteiger (Kappen des Seils) wie für den Sichererer (direkt unterhalb) ein ungünstiges Szenario - VORSICHT!!! Also möbelte sich Viktor hier technisch über die beiden BH in der Wand hoch. Im Nachstieg war das Klettern an der Flake zu verantworten - wie geschrieben im Gesamtkontext unschwierig, die dünne Schuppe hielt bei pfleglicher Behandlung stand.

Auftakt mit gut gebohrter Schuppenkletterei in L2, am Horizont die cleane Verschneidung (hart 6b+).

L3, 40m, 7a: Augenscheinlich sieht diese Länge gut mit BH abgesichert und vorerst auch nicht so schwierig aus, da kann man guten Mutes lossteigen. Tatsächlich warten vorerst keine bösen Überraschungen und entlang dickerer und dünnerer Schuppen und Schüpplein gewinnt man an Höhe. Im zweiten Teil der Länge verschärft sich die Sache und im Hinterkopf schlummert der Gedanke, dass die 7a unweigerlich kommen muss - wie die Erstbegeher in ihrem Topo proklamieren sogar als 7a obligatorisch. Tatsächlich gibt es eine Stelle, wo das sonst durchgehende Schuppensystem quasi unterbrochen ist, bzw. nur noch als ganz dünnes Risslein mit Mikrokanten auftritt. Voll daran zu dübeln und den Füssen im Nichts zu vertrauen lautet das Motto - es fühlt sich etwas ungeschmeidig an. Die Strukturen fragil einerseits, aber auch für Finger und die Haut auf den Fingerkuppen nicht so sorgenfrei. Und tatsächlich muss man wenig später auch sehr gut auf den Füssen stehen und mit diesen ca. 1m über dem letzten Haken einen delikaten Klipp ausführen. Das ist nicht geschenkt, doch unter dem Strich dünkt mich die Stelle in L1 nicht einfacher punkto schieres Hochkommen. Nach dieser Cruxsektion auf 3/4 Höhe der Seillänge geht's wieder besser, wenn auch immer noch fordernd zum Stand hinauf. Nachtrag: bei einer späteren Begehung Ende Mai 2023 gab's im Bereich der Crux offenbar einen Griffausbruch, was diese Stelle nun einerseits markant schwieriger, gleichzeitig auch markant zwingender mache.

Fordernde, plattige Wandkletterei in L3 (7a) - mit der Crux da, wo die Schuppe unterbrochen ist.

L4, 30m, 6b: Hier oben hatte das Topo zwei weitere, weitgehend cleane Seillängen versprochen. Mit unserem abgespeckten Camset waren wir gespannt auf deren Anblick. Zum Glück fiel dieser nicht beängstigend aus. Hier in L4 geht's erst einfacher dahin - der erste BH steckt hoch und zum Legen ist's eher dürftig, da wäre die Transplantation von einem der teils dicht steckenden BH in den unteren Längen gar nicht mal so blöde. Anyway, es ging auch so, vorbei an 2 eng steckenden Silberlingen wechselt man von der linken an die rechte Schuppe, die dann mit durchaus fordernder Piazerei aufwartet und bis auf einen weiteren BH mit Cams gesichert werden muss. Die 6b passt hier wohl recht gut, deutlich einfacher wie L2 aber schwieriger wie L5 lautet unsere Einschätzung. Sofern man nur über 1 Camset verfügt und nicht extrem 'bold' am Weg ist, ist die Nutzung des Standes nach L4 durchaus sinnvoll. Er ist nicht sehr bequem, aber auch nicht voll übel.

Blick auf das Schuppensystem, entlang welchem L4 (6b) und L5 (6b) verlaufen.

L5, 30m, 6b: Die Erstbegeher schlagen hier eine 6b vor, uns dünkte es die einfachste Länge der Tour. Weiter geht's entlang von teils pfleglich zu behandelnden Schuppen. Zwei BH vermitteln Sicherheit, der Rest kann mit Cams gesichert werden, was gut möglich ist. Schlussendlich warten nirgendwo die extremen Schwierigkeiten, im Kontext der anderen Längen wäre man hier mit 6a auch bedient. Am Ende steigt man dann ins Wachholdergebüsch aus - unschwierig zwar, aber legen kann man da halt nicht mehr, ausrutschen aber sehr wohl.

Blick auf den Ausstieg von L5 (6b) mit dem Ausstieg ins Wacholdergebüsch.

L6, 30m, 6a+: Das Topo schlägt den Weg rechts durch die Büsche vor, wir haben die Schuppe zentral ob dem Stand geklettert - geht easy. Gleich danach wird es aber kniffliger - ein Riss mit 2 alten Schlaghaken verlockt zum Jamming, de fakto klettert sich die Passage leicht rechts über den dortigen Bohrhaken aber wider Erwarten deutlich einfacher. Weiter geht's in Wandkletterei, die irgendwie weder richtig schwierig noch richtig einfach ist und uns beiden das Gefühl gegeben hat, dass wir uns dumm anstellen. Ob's am Fels oder den Kletterern liegt?!? Ein weiteres Gustostück wartet dann mit dem Ausstieg in die Botanik am Ende der Wand.

Ausstieg aus L6 (6a+) mit Blick zum Göscheneralpsee und den Feldschijen.

Um 14.00 Uhr und damit nach doch 4:45h Kletterei waren wir am Routenende angelangt. Am Gipfel des Gandschijen war ich damals anlässlich der Südpfeiler-Begehung nicht gewesen, doch nun liess sich dies gut nachholen. Seilfrei geht's noch ca. 20hm durch einen Graskanal hinauf auf das geräumige Plateau. Wir vergnügten uns an einem sauberen Jam-Riss-Boulder und erfreuten uns an der Aussicht ins Voralptal und die Salbittürme - deren Lockrufen werden wir vermutlich noch schneller erliegen als jenen der saftigen Risstouren in der K1 Nordwand, die wir auf der letzten gemeinsamen Tour gehört hatten. 

Schöner Jam-Boulder am Gipfelplateau mit Sicht zum umwölkten Sustenhorn.

Plötzlich, und obwohl es schon eingetrübt hatte unerwartet, setzte leichter Regen ein. Das war das Zeichen zum Aufbruch. Wir stiegen wieder zum letzten Stand ab und fädelten die Seile ein. Mit zwei kürzeren und zwei bis auf die letzte Faser ausgereizten Manövern (6-5-3-2-Boden) waren wir zügig retour am Einstieg. Das Wetter hatte noch mehr oder weniger gehalten. Weiterhin fiel zwar leichter Regen, so richtig nass wurden wir aber doch nicht - mit Ausnahme von Füssen und Beinen, denn das hohe Gras hatte natürlich nicht abgetrocknet. Doch dies musste uns nicht weiter stören, bald waren wir retour im Gwüest und beschlossen sehr zufrieden die Tour. Ja, unseren Plan mit der Super Gwüest hatten wir an diesem Tag nicht verwirklichen können, dafür eine andere, spannende Linie kennen gelernt. Diese stand zwar vorab nicht zuoberst auf unserer Projektliste, unterhielt uns aber mit schöner, spannender und fordernder Kletterei. Noch besser war allerdings der Umstand, dass wir nebenan ein schönes Bohrprojekt für uns entdecken konnten. Schon im Aufstieg war uns linkerhand der oft prima strukturierte Fels aufgefallen, nähere Einblicke beim Abseilen überzeugten uns dann umso mehr von diesem Vorhaben. Mittlerweile haben wir diese tolle Linie eingebohrt und gepunktet - mehr dazu in einem späteren Beitrag auf diesem Blog :-)

Facts

Gandschijen - Golden Flake 7a (6c+ obl.) - 6 SL, 190m - A. & P. Jud 2014 - ***;xxx(x)
Material: 2x50m-Seile, 13 Express, Cams 1x 0.2-2 plus evtl. 1x 0.3-1.

Schöne Kletterei in sauberem, körnigem Granit entlang von dicken, dünnen, grossen und kleinen Schuppen. Die eine oder andere davon wirkt fragil und etwas Erfahrung in pfleglichem Umgang mit solchen Strukturen schadet sicherlich nicht. Uns brach aber kein einziger Griff aus, nicht dass dies falsch verstanden wird! Die im Topo angegebenen Schwierigkeiten passen für 95% des Geländes gut, zwei Boulderstellen in L1, eine weitere in L3 und den cleanen Riss in L2 fanden wir jedoch anspruchsvoller wie proklamiert. Die Absicherung der Route mit Inoxbolts und Kettenständen ist sehr gut ausgefallen, in L2/L3 stecken mehr Bolts wie im Topo verzeichnet. Einige Abschnitte in L2, L4 und L5 sind mobil mit Cams abzusichern, was dort gut möglich ist. Wir kamen notgedrungen mit 1 Set Cams 0.2-2 durch, die Grössen 0.3-1 zu verdoppeln schadet aber nicht - ausser man empfinde 6bc-Piazrisse als Spaziergelände. Den als 7a angegebenen, obligatorischen Schwierigkeitsgrad habe ich etwas nach unten korrigiert. Die im Vorstieg heikelste, zwingende Stelle ist in L1 (nominell 6c, könnte auch 7a sein). Auch in L3 warten nochmals delikate Moves ein wenig über dem Haken, wobei uns die eher nur 6c als 7a obl. dünkte (wobei dies nach einem Griffausbruch im Mai 2023 so möglicherweise nicht mehr zutrifft, siehe den Text zu L3). Das Topo der Erstbegeher ist hier abgebildet, in gedruckter Literatur wurde die Route noch nie publiziert. Weitere Infos zu den anderen Routen am Berg findet man sonst nur im leider stark veralteten und unpräzisen SAC-Führer Urner Alpen 2 von 1996.

Topo der Erstbegeher von Golden Flake - vielen herzlichen Dank für eure Arbeit!

Dienstag, 6. Juni 2023

Topoguide - Kletterführer Alpen - Band IV

Mein Bücherregal hat Zuwachs erhalten! Die inzwischen 4 Bände des Kletterführers Alpen von Topoguide nehmen dabei einen Raum von exakt 13.75cm ein und beinhalten mit einem Totalgewicht von 5.5kg sehr viel Stoff, um sich über den ganzen Alpenbogen von Nizza bis Paklenica in der Vertikalen zu bewegen. Schon 8 Jahre ist es her, seit im 2015 der Band III erschienen ist, gar 18 Jahre seit dem Beginn der Reihe mit Band I im 2005. Seither ist einige Zeit vergangen, dementsprechend hat sich manches geändert - sei es einerseits klimatisch bedingt die Situation im (Hoch)gebirge, und andererseits die Einstellung zur Absicherung sowie die Menge an Bohrhaken in manchen Touren. Vor allem aber, das wird in Band IV sehr deutlich, die Lebenssituation der Autoren und ihr Verhältnis zur Kletterei, was sich deutlich in der Auswahl der beschriebenen Touren auswirkt.

Die 4 Bände des Kletterführers Alpen von Topoguide: eine geballte Ladung an Information!

Bestand der Mehrwert im ersten Band noch vorwiegend in der präzisen Beschreibung von begehrten, alpinen Klassikern mit traditioneller Absicherung, so liegt er heute in der Präsentation von lohnenden, zugänglichen Genusstouren unter südlicher Sonne, welche man sich ansonsten über viele Führerwerke verteilt zusammenklauben müsste. Im Band IV sind 280 Routen beschrieben, welche von den Autoren alle selber geklettert wurden und mit präzisen Topos plus allen nötigen Detailinformationen präsentiert werden. Ca. 40% befinden sich ganz im Südwesten der Alpen, d.h. Meeralpen, Verdon und Dauphiné. Eine Neuheit ist das Valle dell' Orco und Aosta mit seinen Seitentälern. In den (mir) näher gelegenen und früher ausführlicher dokumentierten Gebieten nördlich des Alpenhauptkamms (Mont Blanc, Schweiz, deutsche und österreichische Nordalpen) gibt's hingegen nur punktuelle Ergänzungen. Ca. 30% der beschriebenen Touren stammen aus den Dolomiten und den Gardaseebergen und befinden sich damit ebenfalls unter dem Einfluss der im Süden öfter scheinenden Sonne.

Topoguide, das sind präzise Infos und präzise Topos! Hier eine der Touren, wo Band IV mein Interesse daran geweckt hat 😀 Neu gibt's auf der Webseite zu vielen Touren noch ein Wandfoto mit markiertem Einstieg, so z.B. hier für den Rocher du Pierron - perfekt, das ist sehr nützlich! 

Die Vor- und Nachteile der Topoguide-Reihe habe ich in meiner Rezension zum Band III ausführlich beschrieben. Daran hat sich mit dem Erscheinen von Band IV nichts Wesentliches geändert, die damals aufgeführten Punkte treffen immer noch weitestgehend zu. Für jene, die sich nicht die Mühe machen wollen, das alles (nochmals) zu lesen, hier eine Kurzform: man erhält für 65 Euro einen "very good value", welcher einem bei der Planung von Trips in den Süden viel kostbare Zeit erspart, einen zielgerichtet in lohnende Gebiete/Touren bringt und mit allen nötigen Informationen versorgt. Für viele dieser Gebiete gibt es keine andere deutschsprachige Literatur, teilweise sogar überhaupt keine aktuellen, gedruckten Infos. Die Hauptnachteile bestehen in der Übersichtlichkeit (v.a. über die 4 Bände, welche teilweise dieselben Gebiete beschreiben) und im Format der Bücher, welche nur als "Nachschlagewerk" taugen, für eine Mitnahme an den Fels aber komplett ungeeignet sind. Herzlichen Dank Volker und Nicole für eure Arbeit! Am meisten honoriert ihr diese mit einer von mir absolut empfohlenen Anschaffung von Band IV, hier geht's zur Bestellmöglichkeit.