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Dienstag, 25. Oktober 2011

Läged Windgällen – Insider (6c+)

Gefragt war eine Herbstkletterei mit guten Seillängen, tollem Fels und alpinem Ambiente. Zudem an einer Ecke, wo wir schon eine Weile nicht mehr waren. Da fiel die Wahl auf die Läged Windgällen. In den entsprechenden Routen ist das Gestein dort von allererster Güteklasse, mit 7 Seillängen hat der „Insider“ genau die richtige Länge für die zweite Oktoberhälfte. Und es gibt dort oben Sonne satt, so dass uns auch die auf Gipfelhöhe liegende Nullgradgrenze nicht zu beunruhigen brauchte.

Nach einer im Gegensatz zum letzten Mal ruhigen Nacht kommen wir wohl früher los, starten aber dennoch erst um 9.15 Uhr zuhause. Unser Plan, bis zur Heidmannegg zu fahren (kein Fahrverbot, freiwilliger Beitrag zum Unterhalt, bitte Folge leisten!) wird schon kurz nach Vorder Rustigen vereitelt. Es hat wohl nicht mehr viel Schnee, aber ein mächtiger Lawinenkegel blockiert die Strasse.


Läged Windgällen mit den von uns gekletterten Routen
Also machen wir uns um 11.00 Uhr per pedes auf den Weg. Leicht überzuckert und ganz alleine sind wir in dieser schönen Berggegend unterwegs, da macht einem auch eine etwas weitere Wanderung nichts aus. Um 12.10 Uhr sind wir am Wandfuss, um 12.30 Uhr geht es los. Der eigentliche „Insider“ startet erst auf einem Band in Wandmitte, somit gilt es eine Route zu wählen, um dorthin zu kommen. „Südrippe“ und „Schmarotzer“ kennen wir bereits, also wollen wir die Tour am rechten Vorbau wählen, die am schönsten aussieht. Das ist meines Erachtens ganz klar die „No Name“, oder nennen wir sie doch besser „HK 96“, das ist nämlich am Einstieg per Bohrmaschine graviert.

Routenbeschrieb „No Name“ bzw. „HK 96“ (6b, 6a+ obl.)

SL 1, 25m, 6a+: Zackig geht es gleich auf den allerersten Metern los, und die Länge bleibt anhaltend bis kurz vor Schluss. Die Kletterei ist sehr gut, steil, athletisch und pumpig. Ich empfand es deutlich schwerer wie angegeben, 6b ist hier ganz sicher angebracht.


Kathrin folgt in SL 1 (offiziell 6a+, eher 6b)
SL 2, 20m, 6a+: Kurzer Quergang aus dem Stand raus nach links an eine kleine Verschneidung mit einem Riss. Dort kurzzeitig aufpassen, damit man nicht abgeschüttelt wird. Doch bald lässt es nach, und nach einigen einfacheren Metern kommt der Stand. Insgesamt deutlich leichter wie SL 1.


Die letzten Meter in SL 2 (6a+) sind nicht mehr ganz so kompakt und schwierig.
SL 3, 40m, 6a: Vom Stand rechts herum in auf wenigen Metern nicht ganz solidem Fels. Dann griffig über das Dach hinweg und sehr schön aufwärts. In der Mitte der Länge ein kniffliger Reibungsaufsteher (Crux) deutlich über dem Haken, gefolgt von einer athletischen Verschneidung. Zuletzt einfacher zum Stand auf dem Pfeilerkopf. Für 6a ist das auch wirklich hart, 6a+ passt besser.

Danach folgt man dem ansetzenden breiten Grasgrat bis zur Wand hoch und quert dann nach links. Nach total ca. 70m vom letzten Stand erreicht man den Ringhaken, an welchem der „Insider“ beginnt.


Wir waren nicht einmal ganz alleine: Eine Seilschaft am Werk im Zentralpfeiler (6a).
Routenbeschrieb „Insider“ (6c+, 6a+ obl.)

SL 1, 40m, 6a+: Los geht’s in typischem Klausenfels, braungrau, sehr kompakt und mit prima Reibung. Gut, aber etwas abschüssig strukturiert, und genau auf diese Art will auch die Crux überlistet werden. Gegen Ende der Seillänge dann weniger kompakt, aber OK. Der Grad geht in Ordnung, nach meinem Dafürhalten die bisher einfachste Länge.


Dasselbe in grün auf den letzten Metern von SL 1 (6a+) im Insider: nicht mehr ganz so kompakt und schwierig.
SL 2, 25m, 6b: Diagonal nach rechts hoch, und Quergang an einem horizontalen Schlitz nach rechts. Dann hoch und an phänomenalem Tropflochfels in technischer Kletterei gegen den von weitem sichtbaren Stand hoch. Der letzte Zwischenbolt steckt leider etwas (zu) hoch, daher wartet eine obligatorische Stelle. 6b geht in Ordnung, im Vergleich zum unteren Teil könnte man eventuell sogar nur 6a+ geben.


Spitzenmässige Kletterei in Hammer-Fels: SL 2 (6b)
SL 3, 45m, 6c+: Gleich vom Stand weg folgt die Crux: steil, schlecht zum Stehen, kleingriffig. Obwohl die Haken hier eng beieinander stecken, wäre ein Sturz ungünstig, weil man doch dem Partner auf die Rübe fällt. Nach 3 Bolts ist das schwerste überwunden, dann geht es sehr schön im 6a+-Bereich weiter, zuletzt dann noch ca. 20m griffiges 5c-Gelände von allererster Güteklasse, mit jedoch weiten (ca. 8m) Hakenabständen. Hier könnte mit Camalots (0.3-0.75) oder allenfalls auch Keilen entschärft werden. Ich hatte nichts dabei, das geht auch, wenn man sich in dieser Schwierigkeit zuhause fühlt. 


Super Fels bis zum letzten Meter der Route, wirklich vom allerfeinsten: SL 3 (6c+)
Zum Grad: gemäss den Erstbegehern VIII-, d.h. 6c+, ebenfalls im Schweiz Extrem 1994 so bewertet, im Wandbuch kein Widerspruch dazu. Warum das im Schächentaler Kletterführer bloss noch 6c bewertet ist: keine Ahnung, ist wohl ein Fehler. 6c+ passt meines Erachtens.


Wandbuch-Eintrag der Erstbegeher, sowie der ersten Wiederholer
Um 17.00 Uhr sind wir am Ausstieg und können im Wandbuch die 29. Begehung der Route eintragen. Und erst noch eine saubere Onsight-Begehung! Während in den 90er-Jahren noch 3-4 Seilschaften pro Jahr antanzten, waren es in den letzten 10 Jahren mit unserer noch genau 10 Begehungen. Allerdings liegt das sicher nicht an der Routenqualität, sondern ganz einfach daran, dass diese Tour zu Unrecht in Vergessenheit geraten ist. Für Klausenverhältnisse sind Fels und Kletterei tiptop.

Das Abseilen, 2x à 50m bis zum Band, dann noch 2x à 50m über „Schmarotzer“ zum Einstieg geht eventfrei. So machen wir uns bei schöner Abendstimmung an den Abstieg und steigen um 19.00 Uhr ins Auto. Das Thermometer zeigt -1 Grad an – unglaublich, ich war den ganzen Tag im T-Shirt (Aufstieg, Kletterei) bzw. im leichten Faserpelzpulli (Sichern, Abstieg) unterwegs!


Tolle Abenstimmung im Schächental.
Facts:

Läged Windgällen – „HK 96“ & „Insider“ 6c+ (6a+ obl.) – Franz & Lük Gisler, Hans Kempf 1993 – 7 SL, 265m – ***, xxxx
Material: 12 Express, 2x50m-Seil, evtl. Camalots 0.3-0.75 (verzichtbar, nur für die letzten 20m im 5c, sonst nicht einsetzbar)

Tolle Kletterei in fast durchgehend prima Schächentaler Kalk, meist an Querschlitzen, Leisten, Auflegern und Tropflöchern. Die Wand ist durchgehend +/- senkrecht, d.h. Athletik ist gefragt. Die schweren Stellen sind eng behakt (xxxx), an den einfacheren, griffigen Stellen müssen diese auch überstiegen werden (xxx). Achtung, es stecken ausschliesslich Sondi-Ringhaken, die gemäss diesen Infos nicht (mehr) über alle Zweifel erhaben sind.


Topo von "Insider" und "No Name" an der Läged Windgällen. Für ein PDF: klicke hier!


Montag, 24. Oktober 2011

Bohrstaub im Haar

Vor dem Winter wird es kaum mehr reichen, bis die Route komplett fertiggestellt ist. Spielt aber auch keine Rolle, denn das hat Zeit bis zum nächsten Jahr. "Monumentale Wandkletterei an phänomenalem Fels, abseits vom Rummel" ist eine Beschreibung, die bisher sicher zutrifft - jedoch ist der Zustieg trotzdem unter einer Stunde zu haben. "Let the Dream Come True", so würde ich das heute nennen - ich freue mich: aufs Fertigbohren, und erst recht aufs Klettern!


Donnerstag, 20. Oktober 2011

Tüfelstalwand – Pissoir du Diable (6b)

An der Tüfelstalwand wurde bereits früher, sprich in den 1970er-Jahren geklettert. Dann geriet sie lange in Vergessenheit, bis 2010/2011 drei tolle, neue Routen entstanden. Da die Wand nahe und recht gut zugänglich bei Andermatt liegt, und zudem prima Aaregranit bietet, waren diese Touren sofort beliebt und wurden oft wiederholt. Da mussten wir natürlich auch einmal probieren gehen...

Nachdem unser Kleiner in der Nacht kaum geschlafen hatte, und wir dementsprechend auch nicht, waren wir erst um 10.00 Uhr im Zürcher Oberland startbereit. Sorgfältige Kalkulation brachte aber die Einsicht, dass es für die Tour noch gut reichen sollte. Um 11.45 Uhr waren wir schliesslich, komplett „geared up“ am Nätschen (ca. 1820m) startbereit. Das Topo der Erstbegeher suggeriert eine Zustiegszeit von nur gerade 20 Minuten, so machten wir uns raschen Schrittes auf den Weg.

Wir gingen dabei bis zum Wegweiser auf Tüfelstalboden (2015m), bogen dann nach links zur Antenne ab, und verfolgten die Pfadspuren, die vom Diavolo-Klettersteig herkommen. Nach 200hm Abstieg passiert man dann die Fahnenstange, um auf Höhe des letzten Drahtseils vom Klettersteig rechts abzubiegen und die Abseilstelle zu erreichen (Trittspuren, schwache rote Markierung, ca. 35-45 Minuten von Nätschen).


Sustenhorn, Salbit und Rorspitzli im Hintergrund, der obere Teil der Tüfelswand ist auch sichtbar.
Dann geht’s runter ins Tüfelstal. Beim ersten Abseiler sollte man den Stand nicht nach 40m, sondern erst nach 50m suchen, uns blieb nur ganz wenig Seil übrig. Bei der zweiten Strecke verklemmt sich das Seil beim Auswerfen hinter einem Klemmblock. Da kriege ich schon ein etwas ungutes Gefühl. Und tatsächlich, als wir beide unten sind und das Seil abziehen, verklemmt sich das freie Ende 20m über uns an genau derselben Stelle...

Mist, jetzt ist guter Rat gefragt. Etwas schütteln am Seil, das überhaupt nichts bringt. Raufklettern und das Seil befreien ist die einzige Option, sonst sitzen wir hier in der Falle. Und schon ist das alpine Abenteuer näher als man denkt. Über feuchten Dreck, etwas Botanik und mit nicht einfachen Moves im Fels (ca. 5b) komme ich in den Kamin unter dem Klemmblock, zum Glück lassen sich dabei einige Friends legen.

Das Erreichen des Klemmblocks selber und das Befreien des Seils ist wegen der überhängenden Natur der Sache im Kamin alles andere als einfach. Nachdem ich mit den letzten 2 Friends teche, geht’s dann grad. Dann flugs eine 120er-Schlinge am Klemmblock versorgt, an welcher ich abseilte. Und ja, diese rote Schlinge an unmöglicher Position ist von mir, und ich bin von unten da raufgeklettert!


Kletterei im Terrain d'Aventure zum Bergen des verklemmten Seils
Somit ist die Sache mit einem Zeitverlust von gut 45 Minuten bereinigt, und wir erreichen ohne weitere Zwischenfälle das Tüfelstal. In diesem muss noch etwa 60-80 Höhenmeter aufgestiegen werden. Das Gelände ist etwas labil mit losem Material, aber doch problemlos. Achtung, im Frühjahr liegt hier wohl noch lange Schnee, dann können gar Steigeisen nötig sein, und Vorsicht auch vor dem unterspülten Bach, in den man einbrechen könnte. Die Route ist dann gross mit roter Farbe beschriftet, so dass sich der Einstieg problemlos lokalisieren lässt.

Um etwa 14.00 Uhr sind wir dann endlich dort, 2:15 Stunden ab Nätschen, doch etwas mehr als die auf dem Topo veranschlagten 20 Minuten. Eben, gute 45 Minuten sind dem Zeitverlust durch den Seilverklemmer zuzuordnen, aber auch dann ist die Nettozeit noch weit über einer Stunde. Allerdings scheint es mir einen alternativen, besseren und sicher schnelleren Abstieg ins Tüfelstal zu geben (siehe Foto unten). Da ist kein Abseilen nötig, sondern man kann absteigen, und dann einige Fixseile benützen, um an den Einstieg zu kommen. So ist man vielleicht in 45 Minuten ab Nätschen dort.


Alternative Zustiegsmöglichkeit ins Inner Tüfelstal, die kein Abseilen erfordert.
Um 14.15 Uhr steige ich schliesslich, noch im Schatten, ein. Im Herbst erreicht die Sonne das Tüfelstal nicht mehr, am Vormittag liegen wohl sogar fast die ersten beiden SL im Schatten, am frühen Nachmittag noch die Hälfte der ersten. Man berücksichtige dies bei der Tourenplanung...

SL 1, 50m, 6a: Einfacher Start, weiter oben dann schöne Risskletterei. Es stecken wohl einige Bolts, aber auch an anspruchsvolleren Passagen müssen Klemmgeräte platziert werden, was aber gut geht. Die Angabe von 36m für diese Seillänge ist definitiv falsch, ich konnte mit 50m-Seilen gerade noch knapp einen Mastwurf am Stand einhängen.

SL 2, 30m, 5c: Zuerst durch ein einfaches Rinnensystem, bevor man dieses verlässt, wartet eine Piaz-Einzelstelle, die etwas anspruchsvoller ist. Zuletzt etwas grasig und einfach zum Stand.

SL 3, 30m, 6b: Kurz nach dem Stand kommt offensichtlich die Crux. Erst an kleinen Seitleisten mit schlechten Tritten über 2 Bolts hinweg, und dann noch ein anspruchsvoller Mantle, wo kleine Leisten ziemlich zugedübelt werden müssen. Ich konnte das onsighten, war aber gefordert – für mein Dafürhalten eher 6c als 6b, doch A0 dürfte hier gut möglich sein, und wahrscheinlich auch nicht selten praktiziert. Nach der Crux dann etwas einfacher über eine Platte, zuletzt an einem runden Riss (nochmals 6a+/6b) zum Stand.


Runder Riss im oberen Teil von SL 3 (6b)
SL 4, 25m, 5c: Vom Stand weg nach links zu einem BH, und dann hart neben dem Grascouloir aufwärts. Man könnte meinen, da steige ich doch einfach das Gras hoch, doch das ist so steil und glatt, dass es im Fels einfacher geht.

SL 5, 30m, 6a: Man folgt erst weiter gerade hoch der Begrenzung der Rinne und quert dann nach links raus über die Platte. Anfangs im einfachen Gelände üppig eingebohrt, wird’s zum Schluss, wo es schwerer ist, dann ein bisschen „allegro“. Dennoch fanden wir diese SL eher überbewertet, 5c täte es im Vergleich zum Rest auch.

SL 6, 30m, 5c: Erst durchs Wachholder-Gebüsch, dann sehr schöne Kletterei an Schuppen und runden Rissen. Die Bolts sind hier eher weit auseinander, und die Moves schwerer als in der vorangehenden SL. Insgesamt deutlich anspruchsvoller wie SL 5, daher würde ich hier 5c+ oder sogar 6a geben.


Tolle Kletterei in SL 5 (6a)
SL 7, 30m, 6a+: Ziemlich kompakte Wand, aber Leisten, Schuppen und Rissen und gute Reibung machen die Begehung zum Genuss. Die Crux kurz vor der Hälfte, feine Leisten an einem Riss zu Untergriff, dann Gegendruck-Passage an etwas runder Schuppe mit schlechten Tritten. Diese Moves sind zwischen den Haken zu klettern und psychisch etwas anspruchsvoll – die Crux dieser Länge, wohl die Vorstiegscrux der Route, und damit würde ich ein 6a+ obl. (statt 6a wie die Erstbegeher) veranschlagen. Zuletzt wieder etwas einfacher, mit etwas unlogisch steckenden Bolts und zwingend zu platzierenden Klemmgeräten, an den Stand.

SL 8, 25m, 6a: Hinauf an das Türmli und an diesem, bzw. dem breiten Riss/Verschneidung entlang hinauf zum Ausstieg mit Wandbuch. Auf einigen Metern gar nicht so einfach, bei aber tadelloser BH-Absicherung.

Um 17.45 Uhr sind wir beide am Ausstieg, kamen also in 3.5 Stunden und somit ziemlich flott durch die Route. Zudem auch beide in einem sauberen Onsight-/Flash-Ascent, lässig! Das Wandbuch zeigt uns, dass wir bereits die 19. Begehung realisiert haben. Die Route wurde am 2.7.2011 befreit, somit ist die Route also in kurzer Zeit sehr populär geworden. Sicher völlig zu Recht, handelt es sich doch um tolle Kletterei, und der lobenden Worte im Wandbuch sind viele!


Während ich noch mit dem Wandbuch und Fotografieren beschäftigt bin, macht sich Kathrin bereits auf den Weg. Abgestiegen wird zu Fuss – sie folgt der deutlichen Trittspur und verpasst die Fixseilreihe, die über eine felsige Zone nach oben führt. Weiter links sind aber auch Trittspuren und bis ich sie einhole, ist sie schon so weit, dass wir da bleiben, wo wir sind. Über einige Felsen mit leichter Kletterei erreichen wir auch so das Ende der Fixseile.


Letzte Meter in SL 7 (6a+)
Von da muss aber noch weiter aufgestiegen werden (markiert mit Steinmännern und roter Farbe), dann eine Querung durch ein Blockfeld mit anschliessendem Fixseil-Abstieg in steilem Gelände. Dann noch eine Hangquerung auf schön rausgepickelter Wegspur, dann endlich erreichen wir bei P.2029 die Strasse, die zum Gütsch hochführt. Auf dieser abwärts, zurück zum Nätschen, um 19.00 Uhr sind wir beim Auto. Also total 1:15 Stunden Abstieg, und erneut das im Topo vorgeschlagene Zeitbudget von 25 Minuten massiv überstrapaziert. Mit Kenntnis des Weges und ohne Verpassen der Fixseile geht’s vielleicht 15 Minuten schneller, aber mehr nicht – man berücksichtige dies bei der Kalkulation des Zeitbudgets!

Facts

Tüfelstalwand – Pissoir du Diable 6b (6a obl.) – Bühlmann/Dolf 2011 – 8 SL, 270m - ***, xxx
Material: 12 Express, 2x50m-Seil, Camalots 0.3-1, evtl. Keile. Camalots 2 und 3 verzichtbar.

Sehr schöne und abwechslungsreiche Granitkletterei mit Rissen, Schuppen, Wand- und Plattenstellen. Die Absicherung mit Inox-Bohrhaken ist gut und durchdacht. Teilweise etwas weitere Abstände in einfacherem Gelände und obligatorisch zu platzierende Klemmgeräte fordern vom Vorsteiger aber ein solides 6b-Niveau. Für den Zu- und Abstieg schadet auch etwas alpine Erfahrung keineswegs.

Gutes Topo und Bericht der Erstbegeher.

Fotogalerie - Klick auf ein Bild startet die Diaschau

  
  

  

  

 
  

Dienstag, 18. Oktober 2011

Wendenstöcke – Ab ins Altersheim

Nein, es gibt an den Wenden keine Route, die so heisst - nur fast, nämlich „AHV“. Der Blog-Titel ist aber trotzdem völlig korrekt gesetzt. Denn in unserer geplanten Route „No Name“ am Mähren sahen wir ziemlich alt aus, und die erwähnte „AHV“ diente dann als Trostpflaster.

Vorgeschichte

Oben auf der Wunschliste war ein Besuch am Mähren schon lange. Diesen riesenhaften Berg umgibt eine gewisse Mystik, eine sagenumwobene Aura. Die meisten dort erschlossenen Touren wurden nie publiziert, und Informationen sind nur spärlich zu erhalten. Zumindest für mich. Immerhin, die „amici transalpini“ Matteo und Fabio erschlossen am Mähren nicht nur zwei harte, lange und wilde Routen, sondern lieferten auch eine Beschreibung von „Muggenstutz“. Oder von dem, was sie davon hielten (mehr dazu unten). Die tönte durchaus positiv: trotz einer zu überwindenden Schrofenzone vielfach sehr guter Fels, eine Crux in überhängender Ausdauerkletterei im Grad 7a+, der Rest im Bereich 6b/6c, mit 6b obligatorisch.

Die gewaltige Felsmauer des Mähren an den Wendenstöcken
Wie immer gestaltete sich die Partnersuche für Touren ohne Rang und Namen nicht ganz so einfach, einige Male repriorisierte ich auch meinen eigenen Wunsch dort zu klettern. Doch dann war Jonas mit von der Partie, um den Mähren zu erkunden. Dass dort viel weniger als in anderen Sektoren an den Wendenstöcken geklettert wird, zeigt sich schon dadurch, dass im Zustieg absolut keine Wegspuren vorhanden sind.

Zustieg

Bis unter die Wände geht’s allerdings mit etwas alpinem Gespür ganz gut, zwar in steilem Gras und über Schrofen, aber dennoch im grünen Bereich. Doch dann sieht die Querung nach links ins grosse Amphitheater übel wild aus, zudem hat es auch noch Schnee- und Lawinenreste. Wir eiern den Fels entlang, nützen teilweise die Randkluft und müssen auch ins Gras. Die Querung ist extrem exponiert, und ein Rutscher wäre mit Garantie das Ende. Nach der Querung steigen wir über Felsstufen, mit Stellen im 2./3. Grad, gegen das gut sichtbare Mähren-Biwak hoch.

Übles Zustiegsgelände am Mähren, man steigt im Profil auf dem Grasrücken hinten auf und quert zur Position des Fotografen.
Dort stellt sich die Frage, wo denn die Route überhaupt beginnt. Es gilt, an den markanten Turm rauszuqueren, ein Fixseil soll angeblich dabei helfen. Dieses erblicken wir nach einer Weile, doch die Querung auf einem schwach ausgeprägten Band zu dessen Beginn erscheint uns dann definitiv zu herb. Ich mache im Biwak auf Suchaktion, vielleicht haben sich ja die Erstbegeher erbarmt, wenigstens hier einige Infos zu ihren Touren zu hinterlassen.

Aber Fehlanzeige, das Biwak ist zwar gut eingerichtet mit topfebener Liegefläche, ausserdem hat es viel Kletter-, Schlaf- und Kochmaterial, aber ein Biwakbuch oder eine Toposammlung, wie es sie in den Biwaks am Excalibur und am Reissen Nollen gibt, fehlt hier. Somit bleibt uns nichts übrig, als im heikel-exponierten Kessel herumzuschnafeln und den Start der Route zu suchen.

Das Biwak am Mähren. In exponierter Position, aber bequem!
Schliesslich erblicke im am Fuss einer gut kletterbar aussehenden Wasserrillenplatte in 15m Höhe einen Bolt. Wir halten dies zwar für den Start von „Zyklopenauge“, das Topo aus dem Schweiz Extrem West suggeriert da eine erste Länge im Grad 6a, die auf ein Band hochführt. Könnte passen, und zudem ist es eine gute Möglichkeit, um auf das Band und ans Fixseil für die Querung zum Turm zu kommen.

Beschrieb von „Muggenstutz“, bzw. „No Name“

Um 11.30 Uhr klettert Jonas dann endlich los. Diese erste Länge entpuppt sich für den (vermuteten) Grad von 6a als ordentlich gutmütig. Auch recht so, sonst wären die 2 Bolts auf 50m wohl zu wenig gewesen. Vom Stand auf dem Band weg steilt sich die Wand ordentlich auf, die Bolts stecken deutlich näher – könnte also gut die zweite Länge des „Zyklopenauge“ mit dem Grad 7b sein, denken wir (allerdings falsch, siehe unten).

Jonas in SL 1 (5b). Danach Querung nach links an den Turm, und an diesem dann hoch.
Wir queren indessen, erst einfach, dann kletternd, dem in den letzten Kernlitzen hängenden Fixseil entlang, nach links. Zuletzt biegt man um die Ecke, und schlagartig hat man atemberaubende Exposition. Der Weiterweg nach oben sieht nun prima aus, steiler, griffiger Fels; und einige Bolts sind auch sichtbar. Die erste Länge am Pfeiler ist 25m kurz, vernünftig gesichert, ca. 6a+ und wirklich hübsch.

Jonas folgt in SL 3 (6a+)
Die folgende Länge sieht dann mehr nach „a serious matter“ aus: es wird deutlich steiler, dafür scheinen die Bolts in beruhigenden Abständen zu stecken. Doch Schein ist nicht Sein: auf den ersten 10m hat es nur gerade 2 gebohrte Sanduhren, immerhin mit noch recht frischen Schlingen. Danach steilt sich die Sache noch mehr auf, und es folgen noch 4 Bohrhaken.

Toller Blick auf SL 4 (7a)
Die Kletterei ist dabei wirklich formidabel: grossgriffig, ausdauernd, mit dem einen oder anderen kniffligen Boulder eingemixt. Durchaus vergleichbar mit den zentralen Längen der Patent Ochsner. Die Felsqualität ist hier vielleicht leicht minder, wahrscheinlich liegt es einfach daran, dass es hier noch ganz und gar nicht abgeklettert ist. Der Ausstieg zum Stand an Slopern ist dann auch nochmals fordernd. Nach 25m kommt dann der Stand, wir schätzen diese Länge auf ca. 6c+/7a. Und schade, dass ich unterwegs mal kurz falsch abgebogen bin, und deshalb eine schöpferische Pause einlegen musste, das wäre onsight machbar gewesen.

Steil, griffig und luftig: Jonas folgt in SL 4 (7a)
Danach ist’s mit dem attraktiven Gelände fürs erste mal vorbei, einem Fixseil entlang steigt man nach nichttrivialem Felswulst über Schrofengelände hoch bis zu einem Bolt nach 40m. Dort nachnehmen, dann weitere 40m dem Fixseil entlang, nach links in die Verschneidung abbiegend, auf den Pfeilerkopf. Von dort dann ein 25m-Horizontalquergang nach links, immer noch das (fast aufgelöste) Seil verfolgend, zur Fortsetzung der eigentlichen Kletterei.

Offenbar gibt es hier 2 Varianten. Eher links haltend hoch, und eher rechts haltend hoch. Der Fels sieht bei beiden prima aus. Und da wir keine Ahnung haben, wie schwer das alles ist, wählen wir die rechte Variante. Die sieht etwas zugänglicher aus, ausserdem stecken auf den überblickbaren 15m zwei, und nicht nur ein BH wie links. Über die 2 Bolts hinweg entpuppt es sich dann sogar leichtverdaulich, die Sorgen beginnen der folgenden, gebohrten Sanduhr, ausgestattet mit vermoderter Schlinge aus alten Zeiten. Von dieser steigt man 4m weiter, und der nächste Bolt steckt über einem abdrängenden Wulst. Ihn anzuklettern ist unangenehm.

Toller Fels, tolle Kletterei: Start in die rechte Variante von SL 8 (6b+)
Es reduziert sich zu reibungslastig hochstehen, dann am Bauch weit hochgreifen und hoffen, dass ein unsichtbarer, gut haltbarer Griff kommt. Falls nein, so kann es durchaus zum Abflug kommen. Ich bin 4m über der vermoderten Schlinge, die ist nochmals 3-4m über dem Bolt und ich bin geschätzte 15m über dem Boden/Band, das wir gequert haben.

Bei einem Sturz und dem nicht unwahrscheinlichen Versagen der Schlinge wird es also knapp. Wenn ich mein Leben nicht der Schlinge anvertrauen will, so muss dieser nicht recht abzuschätzende Kletterzug mit 100%iger Sicherheit gelingen. Und so stelle ich mir das nicht wirklich vor, solch unmittelbare Gefahr für Leib und Leben im Grad 6a+/6b, nein danke. Mangels Alternativen bleibt aber nur die Vorwärts-Strategie, und tatsächlich hat es oben am Wulst natürlich einen guten Griff.

Anspruchsvolle Plattenkletterei in SL 8 (6b+)
Nach dem Bolt dann die klettertechnische Crux (ca. 6b+) an einem Sloperloch, dann über eine zunehmend glatte Platte, an einem weiteren BH vorbei zum Stand. Am Schluss nochmals eine zwingende Stelle, wo man erst sehr gut hinstehen muss, um eine fragile Schuppe anzuteasen, um schliesslich möglichst sanft an ihr zu dülfern. Und zuletzt dann noch ein sehr unangenehmer Schritt an den Stand, auch schon wieder 4-5m über dem Bolt.

Na ja, während im unteren Teil die Absicherung durchaus noch als gut, aber (wie immer an den Wenden) anspruchsvoll bezeichnet werden konnte, war es hier definitiv haarig. Der richtige alte Wenden-Style des Erschliesserduos Lechner/Pitelka, mit äusserst spärlichen Bolts und gebohrten Sanduhren mit Schnüren in erbärmlichen Zustand.

Anspruchsvolles Finish von SL 8, die anzuhechtende Schuppe ist ziemlich fragil.
Auch die nächste Länge sieht felsmässig top aus, allerdings ist auch die Absicherung brutal weit. Jonas geht los, bläst aber bald zum Rückzug. Die Reihe ist an mir, und mein Problem ist dasselbe: zur ersten Sicherung (dem BH) sind es vom Stand ca. 8m. Nach 5m kommt eine heikle Stelle, hoch antreten auf Reibung, an Sloper-Rauhigkeiten aufrichten und dann? Entweder kommt dort, wo es nach nichts aussieht, ein haltbarer Griff, und sonst wird es dann rasch prekär.

Es droht ein unkontrollierter Abflug mit 10m-Faktor 2-Sturz, in den Stand. Immerhin verfehlt man den Sicherungspartner mit Garantie. Aber insgesamt nö danke, das ist jetzt wirklich echt gefährlich, d.h. massive Verletzungsgefahr und die Wahrscheinlichkeit eines Sturzes ist ganz deutlich da. Objektiv gesehen ist’s zwar wohl auch „nur“ im 6a+/6b-Bereich, doch auch ich klettere wieder ab. Damit ist der Rückzug beschlossene Sache: Good Bye!

Start in SL 9, in diesem Stil geht's 8m bis zur ersten Sicherung (BH), und es wird noch schwerer!
„Muggenstutz“ oder „No Name“?

Am Einstieg checken wir dann mit einem Blick auf den im SAC-Heft publizierten Bericht langsam den Puck: wir sind gar nicht die „Muggenstutz“ geklettert. Wir waren zwar in der Tour, die wir angepeilt hatten, und die uns als ebendiese „Muggenstutz“ verkauft wurde. Aber sie war es nicht, sondern es war die Nr. 2, „No Name“.

Somit sind wir über die erste SL von „Muggenstutz“, und nicht über jene von „Zyklopenauge“ eingestiegen. Das erklärt auch, dass es sich einfacher anfühlte als die angegebene 6a im Topo. Und die Tour, die nach dem ersten Stand gerade weitergeführt hätte, das wäre die echte „Muggenstutz“ gewesen. Wie schwer die aber ist: keine Ahnung!

Der gewaltige Überhang an der Basis des Mähren: hier führt "Eiserner Vorhang" (7c+) hoch.
Trostpflaster „AHV“

Nun denn, wir machen uns an den exponierten Abstieg aus dem Kessel. Beim Aufstieg kam uns das super haarig vor, irgendwie ist der Abstieg aber doch nur halb so schlimm. Auch recht. Inzwischen ist die Idee aufgekeimt, noch die Pitelka-Tour mit der Nr. 13 und dem sinnigen Namen „AHV“ zu probieren. Diese führt auf einen vorgelagerten Pfeiler (nennen wir ihn doch „Geriatrie-Pfeiler“) und sieht vom Einstieg aus beurteilt gut gängig aus.

Tolle Kletterei in SL 2 von AHV (6b)
Ist sie dann auch: in 2 langen Seillängen (55m, 6a und 45m, 6b/+) führt sie auf diesen Pfeiler. Die Absicherung ist genügend, aber auch nicht gerade üppig. In der zweiten, anhaltenden Länge stecken gerade mal 6 Bolts. Mit Keilen und kleinen Friends kann aber da und dort noch etwas nachgebessert werden. Die Kletterei ist nett: unterhaltsam, nie trivial und durchaus fordernd. Der Fels ist nicht ganz so kompakt wie anderswo an den Wendenstöcken, aber doch von guter, fester Qualität – gut vergleichbar mit den Touren am Vorbau des Reissend Nollen. Mit einer stilreinen Onsight-Begehung erreichen wir das Top, und können so doch noch einen Erfolg feiern am heutigen Tag.

Rückblick und Fazit

Für mich waren das die Wendenrouten Nr. 20 und Nr. 21, und zugleich der erste Besuch am Mähren. Dieser ist tatsächlich deutlich wilder als die anderen Sektoren, und auch seltener besucht. Wen wundert’s, sich doch etliche Routen gar nie publiziert worden, und auch sind fast alle sehr anspruchsvoll, was Absicherung und Schwierigkeit der Kletterei angeht.

Jonas auf den letzten Metern der "AHV"
Unserem Bailout aus der „No Name“ haftet für mich ein etwas schaler Nachgeschmack an. OK, scheitern gehört zum Klettern und ist natürlich immer etwas frustrierend. Wenn das Scheitern mangels Kletterkönnen oder mangels psychischer Stärke passiert, so ist wenigstens klar, wo und wie man sich verbessern soll. D.h., es kann einen auch stark machen. Hier hat es aber nicht an diesen beiden Parametern gefehlt, sondern an der Risikobereitschaft. Diese Einstellgrösse will ich nicht verändern – somit bestehen für mich eigentlich keine weiteren Möglichkeiten, was die „No Name“ und weitere Routen in ähnlichem Stil am Mähren betrifft...

Facts

Wendenstöcke – Mähren – No Name 7a+ (6b+ obl.) – Lechner/Pitelka 1990 – 11 SL, 350m - ***, xx
Material: 10 Express, 2x50m-Seile, Camalots 0.3-2, Cliff, Messer, Seilstücke für Sanduhren, evtl. Tibloc für Fixseil.

Die „No Name“ bietet über weite Strecken tolle Kletterei in prima Wendengestein. Die Fixseilpassagen bzw. die Schrofenzonen sind wendenuntypisch, sind aber durchaus zu verkraften. Während die steilen, athletischen Passagen im unteren Teil gut abgesichert sind, warten oben dann weite Sicherungsabstände über den windigen, gebohrten Sanduhren, die eine gewisse Unerschrockenheit und Risikobereitschaft erfordern.

Topo der No Name am Mähren

Wendenstöcke – Mähren – AHV 6b (6b obl.) – Michal Pitelka – 2 SL, 100m - **, xxx
Material: 12 Express, 2x60m-Seile, Keile, Camalots 0.3-0.5

Es handelt sich um eine durchaus lohnende Kurztour in gutem Fels. Natürlich entbehrt sie mit ihren 2 Seillängen am Fuss einer 700m-Wand vielerlei Logik, und kaum jemand wird den weiten Zustieg für eine solch kurze Kletterei in Kauf nehmen. Als Dessert oder Trostpflaster ist sie aber auf jeden Fall empfehlenswert. Die Absicherung ist trotz einigen Runouts vernünftig, v.a. in der zweiten Seillänge muss aber zwingend mobil ergänzt werden.

Topo der AHV am Mähren