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Freitag, 30. März 2012

Aiguille d'Argentière / Y-Couloir

Am Vortag ins Gebiet angereist, hatten wir uns in der NE-Wand der Courtes mit dem Couloir zur Aiguille qui Remue (Bericht) vergnügt. Nun war ein guter Plan für den zweiten Tag gefragt. Wegen Committments von meinem Tourenpartner Christoph war die Rückkehrzeit im Tal bereits bestimmt. Daher fiel die sich von mir eträumte Schweizerführe an der Courtes erneut aus, und wir entschieden uns für eine Überschreitung der Aiguille d'Argentière - ein stolzer Gipfel von 3901m Höhe, auf der Schweizer Grenze gelegen.

Aiguille d'Argentière Südwand. Das Y-Couloir mittig deutlich sichtbar, nur der von uns begangene, linke Seitenast ist leicht versteckt.
Nach reichlich geruhsamer Nacht, im Zimmer war viel Platz und schön ruhig war es auch, krochen wir um 6.30 Uhr unter der Bettdecke hervor. Nach dem Frühstücksbuffett waren wir um 7.15 Uhr startbereit, als mehr oder weniger letzte verliessen wir die Hütte. Über ziemlich steile, hartgefrorene Hänge geht es unter den schönen Felstürmen der Arête du Jardin aufwärts. Hier kann man auch sehr gut Felsklettern, die Bedingungen dafür wären aktuell ausgezeichnet, gerne hätte ich hier Hand angelegt.

Blick von nahem auf das Couloir, das man hier bis zur Verzweigung einsehen kann. Die Einstiegsstufe sieht oberpopelig aus...
Wir gehen indessen zielstrebig auf den Schneekonus zu, welcher zum Beginn des Y-Couloirs zielt, das die ganze Südflanke der Aiguille d'Argentière durchreisst. Schon von weit entfernt erblicken wir eine Seilschaft, welche bereits an diesem Konus aufsteigt. Sie bewegen sich scheinbar in Zeitlupe, wir werweissen noch, wer von uns zuerst am Bergschrund sein wird. Doch diese Runde geht für uns aus - wir passieren die Slowmo-Gänger etwa 50hm unter dem Schrund. Wir pausieren gemütlich und rüsten uns fürs Couloir, bis wir losgehen, haben sie uns noch nicht einmal erreicht. Sowas aber auch...!

...aber es täuscht. Es ist doch 1 SL von 40m, die gewisse bergsteigerische Anforderungen stellt.
Anyway, auf uns wartet nun der schwierigste, je nach Perspektive abschreckendste oder spannendste Teil der Tour. Durch den Rückgang von Eis und Firn lässt es sich nicht mehr bequem in das Couloir einsteigen, sondern es gilt, eine Felsstufe zu meistern. Diese bietet eine etwa 40m lange Mixed-Seillänge. Nicht schwierig, aber sehr schön. Erst mit einem grossen Schritt über den Bergschrund, dann etwas Eis und Glasuren, wo man mit den Eisen auch mal auf den Fels treten muss, und zuletzt noch eine Felsstufe, die man mit den Geräten klettert. Absicherung mit Eisschrauben und Zackenschlingen war gut möglich, Keile und Friends hätte man sogar auch noch versenken können, wenn man sie dabei gehabt hätte. Hakenmaterial steckt allerdings nicht viel, vor allem nichts wirklich zuverlässiges. Aber eben, dies ist auch völlig unnötig, und man kann nur hoffen, dass hier nicht jemand auf die Idee kommt, Bohrhaken anzubringen.

Unterer Teil des Y-Couloirs, mit Stairway to Heaven.
Mittlerweile an der Sonne kann ich Christoph nachsichern. Bald ist er bei mir, und wir machen uns auf ins Couloir. Dieses ist in besten Bedingungen. Der Schnee ist schön kompakt, griffig und tragend. Vor allem ist von bereits erfolgten Begehungen eine richtige Treppe vorhanden. Einfacher könnte man es nun wirklich kaum haben, ein richtiges Kinderspiel. So kommen wir trotz gemütlichen Steigen zügig voran, und erreichen eventfrei um 10.45 Uhr, nach 3.5 Stunden Aufstieg, den Gipfel. Diesen haben wir für uns alleine, wir waren die ersten, welche an diesem Tag oben waren.

Christoph unterwegs im Y-Couloir. Seil nachziehen ist übrigens deutlich ringer wie Seil buckeln.
Auf dem Gipfel ist es dann ideal, windstill und warm, ein leichter Pulli genügt, um nicht ins Frieren zu kommen. So können wir dem Schnee noch etwas Zeit geben, um aufzufirnen. Wir erwägen, welche Route wir für die Abfahrt wählen sollen. Als Optionen stehen die Aufstiegsroute (Y-Couloir), das Barbey-Couloir in der Ostflanke, oder der westseitige Weg über den Glacier du Milieu zur Auswahl. Nach Abwägen von Zeitbudget, Schneequalität, einigen weiteren Parametern und der Tatsache, dass wir in der Hütte einiges an technischem Material deponiert haben, entscheiden wir uns für den Milieu-Glacier.

Oben raus nimmt die Neigung zu, hier die steilste Stelle, wohl so etwas wie 45-50 Grad.
Auf dem Papier ist dies auch die einfachste Abfahrt, aber was heisst schon einfach. Vom Gipfel bis zum Bergschrund auf 3600m messe ich 330m Horizontaldistanz, was eine Durschnittsneigung von 42.5 Grad ergibt. Also gehörig steil, weil die Neigung ganz unten und oben flacher ist, dürfte das Couloir im Mittelteil gute 45 Grad haben. Das Y-Couloir ist übrigens nur unwesentlich steiler, auf den 420m Höhendifferenz vom Grat bis oberhalb der Einstiegs-Steilstufe kommen 450m Distanz (43 Grad im Schnitt, die Einfahrt ist deutlich steiler!), beim Barbey-Couloir sind es ziemlich genau 600m Distanz auf die obersten 600hm (45 Grad).

Oberer Teil der Abfahrt über den Milieu-Glacier, zwischen den Felsen die Crux, auch gute 45 Grad steil.
Nach ca. einer Stunde Gipfelrast, das Panorama ist einfach fantastisch und der Himmel wird von keiner einzigen Wolke getrübt, machen wir uns auf die Abfahrt. Wie erwähnt, es geht gleich rassig los. Weil der Schnee hier oben überdies noch ziemlich hart und erst leicht aufgesulzt ist, würde ein Sturz ganz offensichtlich den unaufhaltbaren Absturz bedeuten. Die Fahrerei hier weist also sehr ernsthafte Züge auf, für mich persönlich ist das auf jeden Fall deutlich weniger entspannt wie am Fleckistock und Konsorten (Hausstock, Hinter Schloss, ...).

Schöne und rassige Abfahrt, der Schnee hier gut, perfekt war er aber nicht.
Dementsprechend gehen wir vorsichtig zu Werke, auch weil von unten etliche Tourengänger im Aufstieg sind, welche man im Couloir bei einem Sturz auch gleich noch wegkegeln würde - viele der Entgegenkommenden scheinen sich der Gefahr auch gar nicht bewusst zu sein, welcher sie hier ausgesetzt sind. Ja nu, es geht alles gut, mit einem Sprung meistern wir zuletzt den Bergschrund mit Skis an den Füssen. Mit Aussuchen der nach SE exponierten Hänge können wir nun auf gut aufgesulzte Bedingungen zählen. Allerdings ist die Schneeoberfläche nicht glatt, so dass es schneetechnisch keine Traumabfahrt wird, auch wenn die Szenerie mit all den Granittürmen sehr, sehr eindrücklich ist.

Landschaftlich super schön, sehr eindrückliche Szenerie. Hinten die Aiguille Verte.
Nach einer Weile sind wir dann retour bei der Hütte, bzw. bei jenem Punkt, wo diese mit 10 Minuten Aufstieg wieder erreicht werden kann. Ich nehme das auf mich und hole das deponierte Material ab. Als ich wieder retour bin, sind wir im Nu auf dem Gletscher unten, wo es dann in Schussfahrt Richtung Tal geht. Tourengänger, welche zu Fuss unterwegs sind, kommen uns entgegen. Da haben wir echt Mitleid, denn irgendwann werden die hier auch wieder zu Fuss absteigen müssen - dabei ist das ideales Skigelände.

Auf dem Argentière-Gletscher, Variantenabfahrt mit wilder Piste, aber dennoch eindrücklich und genussvoll.
Auf dem Gletscher befindet sich eine von Tourengängern eingefahrene Piste, so dass es sich hier schön drehen lässt. Wie wir weiter vorne zum Zusammenschluss mit der Variantenabfahrt von Grandes Montets kommen, verbreitert und verbessert sich diese nochmals. Der Gletscher ist sehr spektakulär und schön, ich muss sagen, schon nur diese Variantenabfahrt wäre die 20 Euro für das Billett nach Grandes Montets wert! Auch sind wir zum genau richtigen Zeitpunkt hier, der Sulz ist perfekt al dente. Auf 2300m unten wechselt man schliesslich auf die Piste, wo wir bereits in etwas tiefem Sulz in rasanter Fahrt bald Argentière auf 1200m erreichen. Es ist nun 13.45 Uhr, wir packen zusammen, und machen uns auf den langen Heimweg.

Facts:

Aiguille d'Argentière 3901m - Couloir en Y (AD+, 5.2) & Glacier du Milieu (PD+, 4.2) - 1130hm

Das Y-Couloir vermittelt einen sehr schönen, nicht so stark frequentierten, landschaftlich eindrücklichen, alpintechnisch zugänglichen, aber nicht trivialen Aufstieg zum Gipfel. Der Weg bis zum Bergschrund auf 3350m ist problemlos. Eine einfache, schöne und lohnende Mixed-Seillänge vermittelt den Zugang zum Couloir und ist die Crux. Das Couloir dann, ist unten rund 40 Grad steil, in den letzten 100hm zum Grat mag es knappe 50 Grad erreichen.

Die Abfahrt über den Glacier du Milieu gilt als nominell deutlich einfacher wie das Y-Couloir (Bewertung 4.2 anstelle von 5.2). Diese Differenz scheint mir aber ehrlich gesagt etwas gar gross. Die obersten 300hm der Mileu-Abfahrt sind nämlich "gheerig stotzig" - zusammen mit dem oft vorherrschenden Hartschnee, verursacht durch das häufige Abrutschen sind hier mit den Skis an den Füssen definitiv keine Fehler erlaubt. Ein Abstieg zu Fuss mit Steigeisen ist jedoch natürlich auch möglich.

Cheers - The Action Team!



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