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Sonntag, 2. Dezember 2012

Im Falle des Falles...

Mit den Schneefällen der vergangenen Woche ist die Skitourensaison 2012/2013 nun auch auf der Alpennordseite definitiv eröffnet. Zusammen mit Kathrin konnte ich am gestrigen Samstag eine Tour auf die frisch und tief verschneite Schafwies im Toggenburg geniessen. Nachdem wir uns im ungespurten Gelände erst den Weg durch dichten Nebel suchen mussten, gab es dann oberhalb Sonne satt. Dieser Eintrag ist allerdings nicht in erster Linie als Tourenbericht gedacht, sondern spinnt einige Gedanken zur mitgeführten Sicherheitsausrüstung.

Fantastische Frühwinterstimmung an der Schafwies, hinten die Churfirsten
Ab sofort werde ich nämlich nun (endlich!!!) auch mit einem ABS-Rucksack auf Touren gehen. Und nämlich mit diesem hier: Mammut Ride Airbag 30l. Schon 3-4 Saisons hatte ich mit einer Anschaffung eines solchen Teil geliebäugelt, und sie doch immer wieder nach hinten verschoben. Preis, Gewicht, die nicht funktionellen  Rucksäcke (der Konkurrenz...), zig Gründe liessen sich finden. Und das Wesentliche: erst wenige hatten einen, und ich fühlte mich auch ohne sicher. Ein Irrglauben!?!

Bricht man ohne LVS, Schaufel und Sonde zu einer Tour auf, so würden das wohl die meisten Tourengänger als fahrlässig bezeichnen. Ohne ABS-Rucksack zu gehen ist hingegen akzeptiert. Objektiv betrachtet ist das absurd, ziemlich sehr absurd sogar. Gilt es doch inzwischen als erwiesen, dass der Airbag eine Verschüttung durch ein typisches Skifahrer-Schneebrett in den allermeisten Fällen erfolgreich verhindern kann, und man meist glimpflich davonkommt. Die traditionellen Rettungsmittel (LVS, Schaufel und Sonde) bringen erst bei einer Verschüttung einen Nutzen. Dann ist die lebensgefährliche Situation bereits Tatsache. Und es ist leider so, dass trotz diesen Hilfsmitteln längst nicht in jedem Fall geholfen werden kann. Fazit: geht es wirklich um Sicherheit und man müsste zwischen ABS und den traditionellen Rettungsmitteln wählen, so müsste man objektiv betrachtet den Airbag wählen. Beides zusammen ist natürlich noch besser. Nur LVS, Schaufel und Sonde ist wohl in der Community akzeptierter Standard, aber gegenüber ABS ungenügend.

Aufstieg im samtenen Pulver über dem Nebelmeer
Die Werbung und (damit?) auch der Fokus der Tourengänger lag in der vergangenen Dekade auch sehr stark auf dem LVS. Im Vergleich zu vor 15 Jahren gab es hier enorme Entwicklungen, vom analogen 1-Antennen-Gerät zum digitalen Modellen mit 3 Antennen und bequemer Bedienerführung. Natürlich ist diese Entwicklung sehr zu begrüssen, doch ich bin sehr der Meinung, dass ihr tatsächlicher Nutzen in der Praxis stark überschätzt wird. Erstens hilft das LVS erst bei einer lebensgefährlichen Ganzverschüttung und zweitens  involviert die Rettung eines Ganzverschütteten mehrere Schritte, wobei die reine LVS-Suche bei entsprechender Übung zeitlich einen relativ kleinen Raum einnimmt. Das beschränkt schlicht und einfach den Praxisnutzen der verbesserten LVS-Technologie.

Machen wir doch hier einmal die hypothetische Betrachtung, was wirklich zählt, wenn man im Hang steht oder fährt, und die Schneedecke ins Rutschen kommt. Welche Faktoren sind entscheidend in Bezug auf die Überlebenswahrscheinlichkeit? Idealerweise hätte man eine umfassende Datenbasis zur Verfügung. Mit den Methoden der statistischen Datenanalyse würde man zu jedem Faktor eine Odds Ratio schätzen, die man mit einem p-Wert versehen könnte. Leider fehlt das quantitative Material, so dass ich nur einige qualitative Überlegungen anstellen kann.

Gipfelblick: erst 9 Tage zuvor war ich noch zum Klettern an den Churfirsten unterwegs

  • ABS-Rucksack: bei einer typischen Skifahrerlawine verhindert ein ABS-Rucksack effektiv und mit sehr grosser Wahrscheinlichkeit eine Komplettverschüttung, da gibt es inzwischen mehr als genügend Daten, welche dies belegen. Ist man nicht ganz verschüttet, so besteht eine sehr grosse Wahrscheinlichkeit, die Sache mit nichts mehr als einem Schrecken zu überstehen. Fazit: dieses Gadget ist sehr entscheidend und sicher das wesentliche Element, wenn es soweit ist.
  • Kamerad: kann man sich nicht aus eigener Kraft aus den Schneemassen befreien, so ist Hilfe nötig. Wie rasch das geschieht, hängt in erster Linie von den Qualitäten des Kameraden ab. First and foremost: behält er einen kühlen Kopf, reagiert rasch und weiss was in welcher Reihenfolge zu tun ist? Zügig muss er (von oben oder unten) auf den Lawinenkegel gelangen. Da zählt wie gut er skifährt, oder wie fit er ist. Dann die Suche per LVS und Sonde: stimmen Strategie, Gerätebedienung und Fitness? Hat er die Stelle bestimmt, muss geschaufelt werden, bei Ganzverschüttung muss meist extrem viel Schnee bewegt werden. Wie viele Kubikmeter schafft er pro Stunde? Fazit: wird man komplett verschüttet, so zählen Wissen/Erfahrung und Fitness des Kameraden am meisten.
  • Schaufel: wer einmal im Lawinenschnee ein Loch gegraben hat, das zum Freilegen der Atemwege einer 1m tief verschütteten Person taugt, der weiss dass die verwendete Schaufel einen grossen Einfluss hat. Ein genügend langer Stiel und ein solides, wohlgeformtes Blatt sind absolut unerlässlich. Die Differenz zwischen guter und schlechter Schaufel macht für ein- und denselben Schaufler rasch mehrere Minuten (!) aus. Fazit: kaum jemand macht sich Gedanken über die Schaufel. Doch hier könnte man mit wenigen zusätzlich investierten Franken viel Zeit gewinnen.  
  • LVS-Modell: Nun der Knackpunkt: spielt es (unter Voraussetzung guten Beherrschens) eine wesentliche Rolle, von welcher Generation das LVS ist? Ich behaupte nein: ok, ein mit allen Geräten geübter User gewinnt mit einem 3-Antennen-Gerät gegenüber dem analogen Modell Zeit. Im Schnitt sind vielleicht 15-30 Sekunden, kaum mehr. Wenn ich nun bedenke, wie viel Zeit zwischen dem Moment, wo ich als Retter reagieren muss und dem Ausgraben vergeht, so dürfte diese Zeitspanne von 3-6 Atemzügen vernachlässigbar sein. Mit Strategie, Fitness und Schaufel kann man die Minuten hingegen bündelweise wettmachen.
Wie schränke ich also die Gefahr durch Lawinen ein? Dies durch zuhause bleiben, Pistenfahren oder durch Restriktion auf zu 100% lawinensicheres Gelände zu erreichen, dürfte für die meisten Tourengänger keine Option sein. Bricht man trotzdem auf, so zählen die Dinge meines Erachtens in der folgenden Reihenfolge:

Lawinenwissen -> defensives Verhalten -> ABS-Rucksack -> Schaufel/Sonde/LVS -> Rettungsstrategie -> Fitness -> Schaufel-Modell -> LVS-Modell

2 Kommentare:

  1. Schöne Fotos; da hab ich doch noch was verpasst gestern! Deine Gedanken zur Sicherheitsausrüstung sind sehr interessant. Eine wichtige Basis hiervon ist die Erfolgsquote des ABS; gibt es hierzu wirklich keine gute herstellerunabhängige Statistik? Was ich auf die schnelle gefunden habe ist nur http://de.wikipedia.org/wiki/Lawinenairbag und die darin zitierten SLF-Untersuchungen (Zeitraum bis 2005) sind doch schon ziemlich alt.

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  2. Hier gibt's Daten von einer Versuchsreihe im 2011 mit den neuesten Airbags, ausserdem weitere interessante Artikel:
    http://www.slf.ch/praevention/verhalten/notfallausruestung/index_DE

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