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Montag, 30. September 2013

Piz Ciavazes - Priz (7b)

Wer kennt ihn nicht, den Piz Ciavazes?! Die eindrückliche Wand, unmittelbar an der Sella-Passstrasse gelegen, hat trotz dolomitischen Dimensionen den Charakter eines MSL-Klettergartens. Die angeblich eher brüchige obere Wandhälfte lässt man gleich ganz aus, und im unteren Teil gibt es inzwischen doch etliche MSL-Touren, die vorbildlich mit Bohrhaken abgesichert sind. Insgesamt also sicher ein prima Angewöhnungsziel für die Dolomiten, vom Charakter her irgendwie vergleichbar mit dem Vorbau am Reissend Nollen. Hier wie dort gibt's viel Klettergenuss und die Touren bilden für sich alleine schon lohnende Ziele, noch lieber holt man sich da aber den Appetit für die ganz grossen Kaliber.

Die eindrückliche Wand des Piz Ciavazes, unsere Route direkt über der dritten (d.h. der kleinen) Tanne von links.
Nach einem ersten Angewöhnen auf dem mit Rasenteppich ausgerüsteten Bernardi-Klettergarten in Wolkenstein wollten wir es alsbald wissen. Also auf zum Sellapass, von wo es noch ein Stück hinunter Richtung Canazei geht. Am Strassenrand ist ausreichend Parkgelegenheit vorhanden, doch Vorsicht: man hinterlasse keine Wertsachen im Automobil, es herrscht akute Diebstahlgefahr. Den Wandfuss erreicht man dann innert weniger Minuten, wobei verschiedene Trampelpfade zur Auswahl stehen. Zwei Seilschaften wollen uns ein kleines Rennen liefern, bei dem wir aber gar nicht teilnehmen müssen. Die wollen alle in die klassische Micheluzzi-Führe, wo sich am Einstieg bereits eine Menschentraube gebildet hat. Der Einstieg zur Priz ist nicht angeschrieben und verwaist, aber z.B. mit diesem Wandfoto tiptop zu identifizieren.

SL 1, 40m, 6a+: Gemütliche und eher plattige Seillänge zum Aufwärmen. Dennoch nicht zu unterschätzen, es hat auch einige anspruchsvollere Stellen und obwohl gut abgesichert, muss hin und wieder doch über die Haken hinaus gestiegen werden.

SL 1, 6a+
SL 2, 35m, 6a+: Eine weitere gemütliche Genuss-Seillänge. Die Wand ist nun bereits steiler als zuvor. Erst gewinnt man entlang von einem Riss an Höhe, danach geht es weiter mit griffiger Wandkletterei. Nach dieser Ouvertüre sollte man nun aber parat sein.

SL 3, 35m, 7a: Nach ein paar Auftaktmetern wartet gleich die Vorstiegscrux der Route: es handelt sich um eine an und für sich gut gesicherte Querung nach links mit feingriffiger und -trittiger Wandkletterei. A0 und bescheissen ist hier einfach unmöglich, die Stelle ist voll obligatorisch. Danach geht's steil über ein griffiges Dach hinweg, eine weitere Crux besteht dann darin, sich oberhalb vom Dach zu etablieren.

SL 4, 25m, 7b: In dieser Seillänge klettert man ein spiegelverkehrtes 'S', die nahe steckenden Haken lassen hohe Schwierigkeiten vermuten. Der Beginn löst sich aber noch prima auf und auch der erste Teil der Rechtsquerung geht gut. Doch plötzlich kriegt man dann das Gefühl, jetzt geht's nicht mehr weiter... ab hier ist es aber nur gerade ein pressig-weiter Zug an eine gute Leiste und nochmals Hopp ins Henkelloch, von wo man in schöner 6c-Ausdauerkletterei den Stand erreicht.

Am Beginn der grossen S-Kurve in der nominellen Cruxlänge (SL 4, 7b).
Immer noch in SL 4 (7b). Die eigentliche Crux ist nur kurz, aber heftig (na gut, auch nicht ganz so extrem für den Grad). 
SL 5, 30m, 6b: Schöne Seillänge mit griffiger Leistenkletterei, gewürzt mit einem originellen Dächlein. Dieses macht von weitem einen anspruchsvolles Eindruck, löst sich dann aber wie so oft doch prima auf.

SL 6, 35m, 6c+: Auch hier will ziemlich am Anfang der Seillänge ein weiteres Dächlein überwunden werden. Allerdings fehlen hier die ganz schönen Griffe und die Sache ist doch echt trickreich. Ich bin aber gut in Fahrt und kann mich drübermogeln. Zuletzt, zum Stand auf dem grossen Band hin gibt es dann einen wirklich unnötigen 15m-Runout. Die Kletterei ist wohl nicht so schwer, ein Sturz liegt allerdings nicht drin.

Am Ende von SL 5 (6b).
SL 7, 20m, 6c: Los geht's durch die eindrucksvolle gelbe Wand. Dieses bietet immer wieder gute Löcher als Griffe. Teilweise sind diese hinten etwas mit Lehm gefüllt. Bei Trockenheit kein Problem, bei Nässe sicher ätzend. Die Kletterei echt super, ziemlich ausdauernd und gar nicht so banal. Die Absicherung auch prima, wenngleich man etwas Guzzi geben muss.

Oro e Carbone in der optisch sehr schönen und auch prima zu kletternden SL 7 (6c).
SL 8, 20m, 7a: Gleich vom Stand weg pressige Wandkletterei an Leisten, welche zur Crux führen. Diese ist nur unter Verwendung einer geschlagenen Leiste im Grad 7a zu haben. Leider befindet sich dieses Kunstwerk nicht dort, wo man einen natürlichen Griff erwarten würde, weshalb ich mich hier schwer tue. Was kann ich da raten? Einfach dorthin greifen, wo man denkt dass der Griff nicht ist, hehe... Hat man diese Stelle gepackt, bietet das Finale dann noch steile, griffige Ausdauerkletterei.

Das Ausdauer-Finish in SL 8 (7a). Die Crux schon weiter unten an einer geschlagenen (aber unverzichtbaren) Leiste.
SL 9, 45m, 5c: Während einem das Topo mit der Angabe von 20m und einem Grad von (je nach Version) von 5b oder 5c ein easy Ausklettern zum Top weismachen will, ist die Realität ziemlich anders. Erstens Mal klettert man ein 50m-Seil beinahe aus und zweitens ist die Kletterei nach wie vor steil und auch recht fordernd. Ich denke, 6a oder gar 6a+ wäre jetzt auch nicht unpassend.

Nochmals steil und erst auf den allerletzten Metern richtig easy: SL 9, 5c.
Wie dem auch sei, glücklich und zufrieden erreichen wir das Top. Ich hatte die ganze Tour sogar Onsight klettern können, eine für mich sehr zufriedenstellende Performance. Ursprünglich hatten wir mit einem Abseilen über die Tour geplant. Aufgrund der Meterangaben in den Topos hätten sich etliche Stände überspringen lassen sollen. Irgendwie schien mir aber der Zollstock der Erstbegeher arg vertrimmt zu sein, d.h. die Abschnitte alle deutlich länger wie angegeben. Somit wären doch etliche Manöver fällig gewesen und zudem folgten uns auch noch 2 Seilschaften hintendrein. Noch viel wichtiger war aber das Fakt, dass sich auf der anderen Seite des Fassatals ein Gewitter zusammengebraut hatte, wo bereits erste Blitze zuckten. Beim Abseilen ins Wetter geraten wollten wir ganz und gar nicht, vor allem weil bei einem Platzregen auch Steinschlag und Sturzbach aus der Schrofenzone oberhalb der Route droht. 

Aussicht vom Top. Kommt das Gewitter, oder kommt es nicht?
Also entschieden wir uns für den Fussabstieg übers Gamsband, der sich auch in Kletterfinken als gut machbar entpuppte. Das Gelände ist äusserst eindrücklich und wartet mit einigem Auf und Ab sowie einigen nicht zu unterschätzenden Abklettermanövern oder Abseilern an improvisierten Verankerungen auf. Doch auch wenn mir das wie eine kleine Weltreise vorkam, so waren wir in 45 Minuten vom Top retour beim Auto, mit Abseilen wäre man kaum wesentlich schneller. Ah ja, das Gewitter verzog sich übrigens in Richtung Südwesten, somit blieben wir komplett trocken und auch bald schien wieder die Sonne.

Eindrückliches Gamsband, der Weg geht der auffälligen Verwerfung entlang...
...teilweise ziemlich exponiert, wenn auch problemlos.
Facts

Piz Ciavazes - Via Priz 7b (6c obl.) - 9 SL, 280m - Prinoth/Riz 2003 - ****; xxxx
Material: 12 Express, Keile/Friends nicht nötig

Sehr schöne und gut abgesicherte alpine Sportklettertour in recht harmloser Umgebung. Auch wenn man keine Ängste ausstehen muss, so wird der Vorsteiger dennoch etwas gefordert und sollte mindestens den Grad 6c solide draufhaben. Im ersten Routenteil bis zum Band dominiert eher technische, fingerkräftige Wandkletterei an Leisten, oberhalb wird es dann noch etwas athletischer an Löchern. Der Fels ist solide und gut, jedoch nicht ganz so schön und verschwenderisch griffig wie in den absoluten Dolomiten-Highlights.

Ich bin auch ein (fürs Gamsband tauglicher) Wanderschuh...

Wissenswertes

Nach Regenfällen oder im Frühjahr sollte man mit einer Begehung besser zuwarten. Der obere Routenteil führt durch einen grauen Wasserstreifen in gelber Wand und ist öfters mal nass oder zumindest feucht. Einige Löcher in diesem Wandteil sind hinten mit Lehm gefüllt. Im trockenen Zustand stellt dies kein Problem dar, bei Feuchte macht es hingegen sicher wenig Spass.

Am Gamsband oberhalb liegt allerhand an Schotter rum, und zum Ausstieg der Route führt eine Art Rinne. Während bei unserer Begehung alles ruhig blieb, ist eine gewisse Steinschlaggefahr sicher nicht von der Hand zu weisen. Ganz besonders akut ist dies, falls einem ein Gewitter in der Wand erwischen sollte, oder auch wenn es Schneeresten auf dem Band hat.

Der mächtige Sass Pordoi, der mit seiner '4 Giorni un Estate' auch ein absolutes Wunschziel darstellt.
Durch die exakt südliche Ausrichtung ist die Route auch spät im Jahr lange uneingeschränkt besonnt. Zusammen mit der moderaten Länge, dem kurzen Zustieg und der Abseilmöglichkeit bildet sie somit ein Ziel, welches man auch noch sehr spät in der Saison angehen kann. Fürs frühe Frühjahr ist hingegen die Problematik von Steinschlag und Feuchte zu berücksichtigen.

Ein Wandfoto mit eingezeichnetem Verlauf gibt es hier. Ein Topo mit untertriebenen Meterangaben und gedumpten Schwierigkeiten ist bei Montialpago zu finden. Ansonsten gibt es auch noch eines im Führer 'Alpine Sportkletterrouten Nördliche Dolomiten' von Armin Oberhollenzer. Dort sind auch die weiteren modernen Routen in der Wand beschrieben, etliche Topos stellt auch Alberto de Giuli zur Verfügung. Auf den ersten Blick sehen die Routen im zentralen Wandteil alle prima aus, ich werde sicher zurückkehren um diese auch zu versuchen.

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