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Montag, 8. Juni 2015

Schlossberg - Jingo (6c)

Der Schlossberg, ganz hinten im Engelberger Tal bereits auf Urner Kantonsgebiet gelegen, bietet ein gutes Dutzend an modernen, alpinen Sportklettertouren. Die meisten von ihnen wurden in der ersten Hälfte der 1990er-Jahre durch die Gebrüder Remy erschlossen. Grosse Berühmtheit und Beliebheit erlangten die Routen nie. Irgendwie liegt der Berg etwas abseits, zudem scheint der Zustieg gemäss den Angaben in der Literatur für eine Tagestour zu weit und die WSW-Exposition auf über 2000m schränkt die Anzahl an möglichen Klettertagen weiter ein. Obwohl ich schon seit jeher einmal gerne dorthin wollte, habe ich es nun auch erst nach über 20 Jahren das erste Mal geschafft.

Ein fantastischer Tag bricht an im Engelberger Tal. Sicht auf die Spannort-Gruppe.
Tja, eine MSL-Route hätte ich dieses Jahr schon länger gerne einmal geklettert. Doch der regnerische Mai und zahlreiche Verhinderungsgründe machten diese Wünsche bisher zur Makulatur. Auch für dieses Weekend war die Lage lange unsicher, doch schliesslich einigten wir uns auf einen 2-Tages-Trip mit Familie und Zeltübernachtung in Engelberg. Somit beginnt die Geschichte von dieser Tour bereits am Samstag im beliebten und familientauglichen Klettergarten Schlänggen. Um das Material für Versuche in Zollo del Lächel (7c+) zu installieren, musste ich den Strammen Bolzen (7c) hoch. Sinnvollerweise klettert man dann möglichst kraftsparend von Haken zu Haken... doch weil ich mich gerade fit fühlte und erst oben ans Limit kam, stieg gleich sauber durch. Fürs Selbstvertrauen war das super, für die Ticklist eher weniger: für den Zollo blieb danach nämlich nicht mehr genügend Kraft übrig. Aber man klettert ja nicht nur für die Liste, sondern auch für den Spass an der Freude. Und die war schon gross, der Stramme Bolzen war anno 2008 meine allererste 7c gewesen und diese nun ruckzuck im Alzheimer-Onsight raufturnen zu können war den Effort schon wert. Macht ja durchaus Freude, einen Fortschritt zu erkennen, erst recht in meinem Alter... ;-)

Grashangsteigen gehört zum Alpinklettern auch mit dazu.
Nachdem die Gewitter in der Nacht auf Sonntag nicht allzu heftig waren und daher die Nacht im Zelt geruhsam ausfiel, starteten Mr. Basti und ich nach einem Familienzmorge an der Sonne um 8.30 Uhr mit freiem Ausgang bis um 16.00 Uhr. Wohin des Weges? Ursprünglich hatte der Wetterbericht ein wechselhaftes Menü angekündigt, mit Gewittern die schon früh am Tag auftreten würden. Doch jetzt war ein kristallklarer Tag angebrochen, mit stahlblauem Himmel und idealen Bedingungen. Da wollten wir uns nicht lumpen lassen, und eine Route am Schlossberg probieren. Mit dem Auto ging es, eine Taxe von 5 CHF bezahlend, bei der Talstation der Fürenalpbahn für einmal noch weiter, bis zum wegen Fahrverbot obligatorischen Parkplatz unterhalb vom Leitistein (ca. 1200m). Rasch wurden die Rucksäcke geschultert und die Schuhe geschnürt - auf die Plätze, fertig, los!

Die Westwände am Hinter Schloss / Schlossberg (3133m) im Engelberger Tal. Auch eine coole Skitour, übrigens!
Zügig marschierten wir auf der Fahrstrasse ins Tal hinein zum Stäfeli (1393m). Für dieses Teilstück würde ein Mountain Bike (v.a. in der Abfahrt) einen weiteren Zeitgewinn bringen, diese hatten wir allerdings aus logistischen Gründen nicht mitnehmen können. Auf 1500m verlässt man die fahrbare Piste und steigt auf dem Hüttenweg gegen die Spannorthütte hinauf. Die Literatur schlägt zum Zustieg an die Schlossberg-Wände den Weg via die Hütte vor. Uns schien es hingegen direkter und zeitsparender, den Hüttenweg vor der zweiten Runse auf 1770m zu verlassen und direkt die Grashänge zum Einstieg hinaufzusteigen. Das Gelände ist weglos, lässt sich aber gut begehen (ca. T4+) und stellt eine Abkürzung dar. Bereits nach 1:20h sportlichem Gehen hatte ich die 900hm bis zum Einstieg gemeistert. So waren wir dann um 10.15 Uhr kletterbereit - noch immer tief im Schatten, die Sonne erreicht den Einstieg dieser nach WSW ausgerichteten Wandpartie selbst im Juni erst um 12.30 Uhr. Es war aber windstill und die Temperaturen sehr angenehm, somit kein Problem. Ich kann mir aber schon gut vorstellen, dass man hier bei ungünstigen Bedingungen doch auch ziemlich schlottern kann. 

Basti unterwegs in den Grashängen vom direkten Zustieg zur Wand. 
Uns blieben folglich noch 5:45 Stunden für 7-8 Seillängen Kletterei, Abseilen und Abstieg. Somit fokussierten wir uns auf die etwas einfachere Jingo (6c) und liessen die ebenfalls ins Auge gefasste Espio (7a) links liegen. Sowieso, sich zum Saisonauftakt ein gutes Gefühl zu holen und die erste MSL-Route sauber, zügig und souverän onsight durchzusteigen ist auch wichtig. MSL-Klettern ist nämlich zu einem wesentlichen Teil auch Kopfsache, das darf man nicht unterschätzen. Und auch wenn beide Routen im Vergleich zu unserem Sportkletterniveau "einfach" sind, so gelten bei plattiger Hinsteh-Kletterei, tricky Balance-Moves oder Gegendruck-Risskletterei deutlich über der letzten Sicherung einfach andere Massstäbe als bei der ideal gesicherten, Schlänggen-Kletterei an allesamt markierten Griffen und Tritten. So genug philosophiert, hier folgt eine Beschreibung der einzelnen Seillängen.

Vista vom Einstieg (oder so...). Schöne Blicke auf den Chli Spannort und den Titlis sind garantiert.
L1, 35m, 6a+: Kurzer Auftakt in Wandkletterei, dann über ein grasiges Band zum wesentlichen Teil. Das ist ein steiler und markanter Doppelriss, welcher in athletischer Kletterei bezwungen wird. Hier stecken auf den ersten ca. 8m bei ungünstigstem Sturzgelände keine BH. Man kann aber gut Friends platzieren, nur einfach vertrauen muss man ihnen...

Yours truly in der Crux der recht anspruchsvollen L1, 6a+.
L2, 20m, 6b: Steile Kletterei dem nun weiter auseinander liegenden Doppelriss entlang. Hier wurden im Zuge der Sanierung 2008 drei zusätzliche BH hinzugefügt, wofür man durchaus dankbar ist. Sonderlich gut war diese Stelle nämlich nicht absicherbar, dünkt es mich. Die Crux dann oben, wo man den Riss nach links auf die Platte hinaus verlässt.

Steile Risskletterei mit plattiger Crux am Ende in L2, 6b.
L3, 20m, 6c: Steilplatten-Kletterei, die auch einige griffige Schuppen und Gegendruck-Passagen aufweist. Klettert sich elegant und schön. Die Crux ist ein feingriffiges One-Move-Wonder direkt am BH an die nächste Henkelschuppe. Fand ich eher problemlos für die angegebene 6c.

Da habe ich ihn gerade im Crux-Move der ganzen Route erwischt: L3, 6c.
L4, 35m, 6a+: Wiederum ein steiler Auftakt mit athletischer Risskletterei. Auch hier wurden zusätzliche BH angebracht, den einen oder anderen Cam sollte man trotzdem platzieren. Danach wird es ein bisschen einfacher, bleibt aber anhaltend, zudem will auch der Weg ein bisschen gesucht werden. Zuletzt markant nach links zum Stand.

Athletische Risskletterei, schwerer und steiler wie es hier aussieht, zu Beginn von L4, 6a+.
L5, 35m, 6a+: Wie gehabt ein Auftakt in athletischer Risskletterei, wo man ebenfalls wieder froh um die Zusatz-BH ist, denn gut selber absicherbar war das bestimmt nicht. Nach ungefähr 10m lässt's dann etwas nach, weiter oben wartet dann noch eine knifflige Stelle in einem v-förmigen Kamin, welche vor der Sanierung und dem jetzt steckenden BH bestimmt sehr heikel war - bei einem Sturz wäre man erst 5m aufs Bödeli (dort BH) runtergeknallt, um dann ins steilere Gelände zu purzeln...

Basti folgt in der erwähnten, noch recht kniffligen v-förmigen Kaminverschneidung von L5, 6a+.
L6, 35m, 5b: Auftakt an sehr schönen Wasserrillen, dann über ein paar geneigte Meter zum schönen Doppelriss. Spreizen mit den Füssen, Jammen mit den Händen, echt genial und super Fels. Die Schwierigkeiten dünkten mich jetzt deutlich höher wie 5b, im Vergleich zum Rest könnte man hier jetzt durchaus auch 6a geben. Ist alles andere als banal.

Sicht auf die letzten beiden Seillängen. Hier Basti in L6, 5b, die ich jedoch eher mit 6a/+ bewerten würde.
L7, 35m, 6a: Auch wenn links ein BH der 6c-Länge von Espio lockt, geht es direkt die Verschneidung hinauf, obwohl keine fixen Sicherungen im Blickfeld sind. Es kommen dann aber doch noch 3 BH. Die Kletterei echt hammermässig, der Fels ist super, schön strukturiert und so turnt man in der steilen Verschneidung mit grossem Genuss empor. Kaum zu glauben, dass diese irre steile Linie so einfach zu haben ist.

Geniale Turnerei in der Abschlussverschneidung. L7, 6a.
Oben angekommen, quert man noch 10m nach rechts hinaus zum Stand und Wandbuch. Alternativ kann bestimmt auch der Stand der Nachbarroute Rittergold benutzt werden, der sich beim Ausstieg quasi vor der Nase befindet. Um 13.30 Uhr sind wir nach 3:15 Stunden vergnüglicher Kletterei oben und können im Wandbuch blättern. Seit der Sanierung im Jahr 2008 und damit 7 Jahren sind erst gerade 9 Seilschaften vorbeigekommen, wobei es sich dabei einige Male auch noch um den Hüttenwirt mit jeweils einem Gast gehandelt hat. In den 15 Jahren zwischen Erstbegehung und Sanierung gab es bestimmt eine noch tiefere Begehungsfrequenz. Obwohl uns weder das Wetter noch unser Zeitbudget zur äussersten Eile antreiben, brechen wir doch bald wieder auf. In 5 Manövern erreicht man abseilend wieder den Einstieg, wobei nach dem ersten Abseiler ein routenunabhängiger Abseilstand zu nutzen ist (gut aufzufinden, schon im Aufstieg gut sichbar). 


Zu dumm nur, dass wir weiter unten den Vorsprung auf unseren Zeitplan wegen einem unachtsamen Seilverhänger preisgeben. Bald einmal sehen wir ein, dass Schwingen und Zerren nichts nützen wird, und nur das Schnüren der Kletterfinken weiterhilft. Ich habe dann die Wahl, die Jingo-Cruxlänge erneut zu klettern, oder mit der links davon gelegenen Espio-Länge (6c) noch ein paar neue Meter kennen zu lernen. Ich entscheide mich dann für das letztere. Achtung: entgegen der Angaben in den neusten Kletterführern wurde die Route Espio (7a) definitiv nicht saniert! Hier kann man sich auf der gesamten Route nach wie vor an der Remy-Originalabsicherung testen, oder vielleicht auch ärgern. So stecken z.B. in der 6c der Espio bei anhaltenderen Schwierigkeiten dann halt nur 3 statt 5 BH wie in der Jingo nebenan, wobei der eine auch noch ungünstig mitten in der Crux steckt und die 6c deshalb auf jeden Fall zwingend ist. Aber naja, mit 2x tief durchschnaufen war dieser kleine Test für die Psyche auch gemeistert, bald darauf das Seil befreit und wir zurück am Wandfuss. 

Aufgrund von einem Seilverhänger gibt's noch Extrameter in L3, 6c der Nachbarroute Espio.
Nachdem nun 15.00 Uhr bereits vorbei war, musste nun doch noch ein Eilmarsch ins Tal erfolgen, um unser Zeitlimit einzuhalten. Im Abstieg gingen wir an der Hütte vorbei. Das macht sicherlich Sinn, die weglosen Grashänge abzusteigen braucht bestimmt mehr Zeit. Nach etwas Geröllsurf und einem kurzen Grüezi in der Hütte ging es dann joggend den Hüttenweg runter und vom Stäfeli talauswärts. Auf der kurzen Autofahrt konnten wir gerade unsere Schweisstropfen abtrocknen, um dann rechtzeitig bei unseren Familien einzutreffen. Der Plan war perfekt aufgegangen, die Tour super und die Kletterei sogar besser wie im Vorfeld erwartet. Was will man noch mehr - logo, vielleicht eines der härteren Testpieces an diesen Wänden angehen - das dann jedoch an einem anderen Tag. Ich war bestimmt nicht das letzte Mal hier!

Geröllsurf in Richtung Spannorthütte und dann im Laufschritt retour zu den Familien...
Facts

Schlossberg - Jingo 6c (6a+ obl.) - 7 SL, 220m - C. & Y. Remy 1993 - ***;xxx
Material: 2x50m-Seile, 12 Express, Camalots 0.3-1, evtl. Keile 4-9.

Schöne, abwechslungsreiche Kletterei an Rissen, Verschneidungen und ein paar Plattenstellen. Die Felsqualität ist durchgehend gut, nur auf den Bändern liegen hier und da ein paar lose Steine rum. So lange aber niemand sonst klettert oder abseilt, stört das nicht weiter. Konkurrenz muss man jedoch kaum befürchten, da sich im Schnitt nicht viel mehr wie 1-2 Seilschaften pro Jahr in diese Route verirren. Seit der Sanierung im Jahr 2008 kann man die Route als gut abgesichert bezeichnen. Sämtliche Schlüsselstellen sind gebohrt und es warten keine harten Stellen oberhalb der letzten Sicherung. Trotzdem sind punktuell noch mobile Sicherungen zu platzieren. Hierfür empfand ich ein Set von kleinen und mittleren Cams als ausreichend. Klemmkeile wären zwar einsetzbar, haben wir jedoch nicht als nötig empfunden. Als obligatorischer Grad dürfte 6a+ in etwa passen, man bedenke aber, dass es sich dabei um steile Risskletterei nach alpiner Kalibration handelt, und nicht um eine soft bewertete Klettergarten- oder Hallenroute an Henkeln. Generell empfand ich die Seillängen bis und mit 6a+ als eher fordernder wie erwartet, v.a. die 6c der Crux ist dann hingegen eher ein Einzelzug und gutmütig obendrein. Planungshilfe: die Sonne erreicht den Einstieg nicht vor 12.30 Uhr.

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