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Samstag, 17. Oktober 2015

Wendenstöcke - Jednicka (7c)

Jednička bedeutet auf Tschechisch so etwas wie Höchstnote, eine so benannte und zudem im Extrem West mit der Maximalnote von 5 Sternen ausgezeichnete Tour muss man also fast einmal geklettert haben. Zumindest wenn man es kann, denn einerseits wollen zuerst zwei steile 7c-Längen absolviert sein, bevor die restlichen Meter zum Top zwar phänomenales Gestein bieten, aber bei etwas moderateren Schwierigkeiten im Bereich von 6b bis 7a wegen der spärlichen Absicherung nicht unterschätzt werden sollten. Insgesamt also eine Route für den, der fast mit jeder Klettersituation fertig wird.

Sicht auf die Wände vom Gross Wendenstock mit dem Verlauf der Route Jednicka (7c).
Zuerst war jedoch das Rätsel zu lösen, wann denn diese Tour stattfinden sollte. Der Herbst 2015 war nämlich generell eher geizig mit guten Gelegenheiten und nun ist die Saison wohl auch schon wieder gelaufen. Doch für einmal waren wieder 3 potenzielle Gelegenheiten in Sicht. Nach wirklich umfassender Wetteranalyse entschieden wir uns für den vermeintlich besten davon. Künstlerpech war dabei nur, dass die anderen beiden besser gewesen wären... Doch die typische Randhochlage im Herbst 2015 mit hoher Nebelgrenze und Labilität in der Höhe ist einfach kaum vernünftig prognostizierbar. Janu, für einen guten Wendentag hat's gereicht, ein optimaler Tag war es aus verschiedenen Gründen nicht. Wer's genauer haben möchte, der lese die ganze Story.

Ursprünglich war ich mich mit Hans verabredet, als Ziel hätten wir auch die Wendenstöcke gewählt, als Route hingegen kaum die Jednicka. Diese kam erst ins Spiel, als Dani nach einem MSL-Kletterpartner suchte. Auf eine Ropegun für die Jednicka zählen zu können schien attraktiv, also war die Sache geritzt. Frühmorgens wurde aufgestanden, so dass wir etwas nach 7.15 Uhr bei noch frostigen Temperaturen nach einem Kaffee auf der Wendenalp loszogen. Das Massiv war total verwaist, nur eine einzige weitere Seilschaft wollte sich an der Excalibur versuchen. Auch später kam niemand mehr nach. Egal, uns sollte es recht sein. Relativ gemächlich stiegen wir auf dem bereits bestens bekannten Pfad zum Fuss des Gross Wendenstock hinauf. Bis an den Einstieg der Route Elefantenohr ist das auf der richtigen Fährte relativ unbedenklich, die letzten Meter von dort rechtsherum über steile Schrofen zum Start der Jednicka (mit verrotteter Schlinge in Minimalsanduhr markiert) verzeihen dann aber definitiv keine Fehler. An der Sonne war es inzwischen angenehm warm, so konnten wir gemütlich frühstücken und starteten um 9.15 in die Route.

Not a bad view for having breakfast: Blick auf die Berner Alpen mit Lauteraar- und Schreckhorn sowie den Wetterhörnern.
L1, 20m, 4a: Verschärfter Teil des Zustiegs, den man gescheiter mit Seil absolviert, auch wenn keine fixen Sicherungen stecken. An einem Riss kann man mobil sichern, am Stand steckt dann der erste Bolt. Er hat mir geflüstert, dass er sich etwas einsam fühle.

L2, 40m, 6c+: Zu Beginn noch nicht so schwierig, geht's kurz etwas boulderig über den ersten BH hinweg. Weiter Runout zum zweiten, und dann?!? Der nächste steckt ziemlich links im Schilf draussen in der Platte. Als unser Vorsteiger hier tatsächlich einen Abgang macht, sind wir doch sehr erstaunt, solcherlei Kapriolen macht er in diesem Grad sonst mit Wahrscheinlichkeit null. Ich kann es im Nachstieg dank ein paar Tipps und Reichweite gerade so flashen. Doch viel logischer und einfacher als die Ecke in die glatte Platte hinaus ist es, wenn man vom zweiten Bolt direkt durch die mobil absicherbare Verschneidung zum vierten klettert. Danach kurz leicht murksig übers Dächlein hinweg und in sehr schönem Fels easy zum Stand. Dort stecken nun zwar 2 BH, dafür rostige Kronenbohrhaken - auch nicht optimal.

Auf der gesuchten Linie über die Bolts sauschwere Platte in L2 (6c+). Die logische Verschneidung wäre einfacher...
...sehr schöner Fels und gemütliche Kletterei auf den letzten Metern von L2 (6c+).
L3, 25m, 7c: Die massiv überhängende Wand oberhalb gibt gleich durch, was hier wartet. Die ersten Meter sind dank den gutgriffigen Wenden-Suppenschüsseln noch nicht schwierig. Dann nimmt die Struktur rapide ab und es beginnt mit athletisch-weiten Zügen an ok Leisten. Die Sache ist aufgrund der Felsstruktur und komplett absenten Kletterspuren reichlich schwer zu lesen. Doch nachdem ich beim Vorsteiger zuschauen konnte wie es geht, schaffe ich es zur ersten Crux nach 15m: Rechtsquerung mit powerigen Moves auf die Schulter, danach nochmals kräftiges Ausdauergelände zur zweiten Crux, einem Linksquergang an kleinen, scharfen Kratzern. Es hat zwar viele davon, doch es ist trittarm und schwer zu erkennen, wie man sich die Sequenz zusammenbasteln soll. Irgendwie geht's aber sicher ;-) Der Stand dann links aussen in der steilen Wand (kein No-Hand-Rest), jetzt immerhin mal 2 Einschlaganker, allerdings verzinkt mit rostfreien Laschen und dementsprechend angefressen von der Korrosion. Wieso ich das schreibe? Ich habe inzwischen genügend alte Haken demontiert um zu wissen, dass es bei diesem Hakentyp (wie auch bei den Kronenbohrhaken) vielfach nur wenige Hammerschläge bis zum "pling" braucht. Dani sind sogar schon welche beim Lösen der Mutter gebrochen. Sowieso gehören diese Dinger aus dem Fels verbannt, nur sind leider die Wendenstöcke noch voll davon...

Schöner Fels und steile Kletterei mit neben Ausdauergelände zwei schweren, bouldrigen Passagen in L3 (7c)...

...hier hat man gut lachen, denn in dieser Position ist L3 (7c) bereits geritzt.
L4, 25m, 7c: Es ist zu hoffen, dass die Ruhepause am Stand die Unterarme wieder zurück auf Betriebsmodus gebracht hat. Die ersten sehr steilen Meter gehen gleich kräftig an positiven Leisten los, fühlt sich an wie im Acherli oder Mapragg. Ist man sich dann bereits etwas angeplättet, so werden die Griffe in Routenmitte kleiner und die Moves noch weiter. Und dann geht's ohne guten Ruhepunkt in die finale, senkrechte Platte. Diffiziles, trittarmes Gelände mit kleinen scharfen Griffen muss man hier meistern, richtig verdonesk. Im Durchstieg ist das sicher nochmals ein richtiges Pièce de Resistance, ohne die Kraftreserven und Körperspannung um hier im Nichts sauber anzutreten wird es nicht gehen. Der Experte meinte (wie bei der Länge zuvor) "hard for the grade", wobei L4 ihm und auch mir den eher etwas einfacheren Eindruck machte. Meinereiner konnte ich die erste Hälfte dieser Länge durchziehen, und danach wenigstens sauber von Haken zu Haken a.f. klettern. Am Stand dann leider auch wieder nur 2 Kronenbohrhaken (die zudem zu tief und damit unbequem stecken), Pre-Klipp des/der nächsten Bolts daher aus Sicherheitsgründen sinnvoll.

Dieser Bottom Shot aus L4 (7c) lässt dank der Haul Line die Steilheit des Geländes erahnen.

Die Perspektive aus der anderen Richtung, mit dem Sicherungsteam am Werk...
...relativ gutgriffige (man sieht's :-)) Kletterei bei Absicherungsstandard Klettergarten+ in L4 (7c).
L5, 45m, 7a: Mit den nominellen Schwierigkeiten ist es nun vorbei, also wird nun an der Absicherung etwas runtergeschraubt, damit es einem nicht langweilig wird. Wobei es in dieser Seillänge echt noch einigermassen geht. Anspruchsvoll und bisweilen obligatorisch, gefährlich ist es (wenn kein BH versagt) hier hingegen noch nicht. Wermutstropfen sind die qualitativ eher mässigen Bolts, und zwei zerfetzte Sanduhrschlingen, die man aus der Kletterstellung leider unmöglich ersetzen kann. Ohne Umschweife zu erwähnen ist aber das einfach absolut göttliche Gestein hier, selten solch schönen Fels unter den Fingern gehabt! Die Kletterei senkrecht, an Tropflöchern, Leisten, Löchern, Schlitzen und auch mal einem Töffgriff, total genial. Und für den Grad auch einigermassen "normal schwierig", wie ich fand.

Absolut fantastische Wandkletterei bei göttlicher Felsqualität in L5 (7a).
L6, 45m, 6c+: Diese Seillänge sollte man keinesfalls unterschätzen. Einerseits fanden wir sie in Bezug auf die Moves eh schwerer wie die 7a davor, andererseits ist die Absicherung hier nochmals eine rechte Stufe spärlicher ausgefallen. Der Start mit einem Quergang nach rechts raus noch gut kletterbar und der Bolt steckt genau an der richtigen Stelle. Nach ein paar machbaren Metern folgt man aber dann bald einer kniffligen Rissspur, wo die schweren Moves absolut zwingend sind und auch nur von einem antiken Fixkeil abgesichert. Da wären rechte Flüge möglich! Für das Finale hat man dann besser einige Reserven übrig, es ist zwar nicht mehr extrem schwierig, aber anhaltend pumpig bei weiter Absicherung, hier lässt sicherlich keiner mehr freiwillig los. Hoffen wir mal, dass es nicht unfreiwillig passiert ;-)

Quergang zum Auftakt von L6 (6c+), für lokale Verhältnisse easy und gut abgesichert...

...dieses Foto aus dem Schlussteil von L6 (6c+) lässt erahnen, wie extrem weit hier die Sicherungsabstände sind.
L7, 40m, 6a+: ACHTUNG LEBENSGEFAHR!!! Nachdem man (endlich einmal!) bequemen Stand etwas zur Erholung nutzen konnte, beginnt die Seillänge mit athletischen Metern an guten Griffen, und auch vernünftiger Absicherung. Nach 10m quert man ums Eck, und es warten ca. 25m Horizontalquergang nach rechts. Zu Beginn steckt ein schlechter NH, kurz vor dem Stand ein BH, dazwischen gibt es viel Luft und 2 zerfetzte Schlingen in soso Sanduhren. Nachdem Hans mit meinem Seil als Geländersicherung rüber ist, wäre die Reihe an mir. Vom (unsichtbaren) Stand drüben heisst es, dass die Zwischensicherungen auf 20m einen Sturz vermutlich nicht standhalten würden. Nicht sehr ermutigend, aber wenigstens ehrlich, das schätze ich! Dazu liefert mit Dani noch die Info, dass der Fels unterhalb messerscharf sei und er die Befürchtung habe, das Seil würde im Sturzfall durchtrennt. Ich solle die Passage nur klettern, wenn ich mir zu 100% sicher sei, nicht zu stürzen... Nun denn, ist ja nur 6a+ (Wendenbewertung). Trotzdem, hier 200m über dem Einstieg eine Passage faktisch Free Solo zu klettern, ist jetzt nicht wirklich das, was ich mir vorstelle. Somit bin ich nicht unglücklich über den Vorschlag vom Stand drüben, dass ich an Ort und Stelle bleibe, bis ich vom für sie gut erreichbaren Zahir-Stand, der etwas höher und weiter links liegt, besser gesichert bin. Nach ein paar Minuten des Wartens gehe ich die Querung dann an. Nachdem die letzte NH-Gurke ausgehängt ist, müssen erst ca. 3m abgeklettert werden, bevor dann eine etwas unübersichtlich-wacklige Stelle mit ein paar kleinen Tropflochgriffen folgt. So easy ist das nicht, natürlich konnte ich es schliesslich problemlos klettern, mit der Aussicht auf einen potenziell tödlichen Sturz hätte ich es aber definitiv nicht machen wollen. Herzlichen Dank an meine Kletterpartner, welche hier vorausschauend gehandelt haben, und mich nicht ahnungslos in eine potenziell gefährliche Lage klettern liessen - bin ich froh, mit solchen Leuten unterwegs sein zu können!

In L7 (6a+) geht's zuerst gerade hinauf, für den Grad jetzt auch nicht wirklich einfach...

...dann 20m horizontal rüber, dazu miserabel gesichert. Hier der letzte Teil zum Zahir-Stand hinauf.
Als wir alle am Zahir-Stand hängen ist es Zeit für eine Diskussion, wie es weitergeht: einerseits könnte man von dieser Stelle noch das Finish von Zahir klettern, mit drei kurzen Längen in den Graden 7b/7a/6c+. Oder dann retour zum Stand der Jednicka, was gut möglich wäre, um mit 6b/6c zum Routenende zu gelangen. Die Zeit ist bereits fortgeschritten, der Wendennebel hat in der letzten halben Stunde gewaltig an Dichte zugelegt, ist nun richtig feucht-netzend und gewährt nur noch ca. 10m Sichtweite. Die Option Jednicka fällt damit aus dem Rahmen, einerseits wäre auf den letzten beiden Seillängen praktisch ohne fixe Absicherung die Orientierung bei so wenig Sicht schwierig. Andererseits kann gemäss Angaben in den Topos vom Top nicht über die Route abgeseilt werden und ob wir bei diesem Nebel zum Ende der Zahir- oder der Aureus-Abseilpiste finden/wechseln können, ist auch reichlich unsicher. Und wenn's sowieso nicht die ganze Jednicka ist, so müssen es auch nicht die Zahir-Ausstiegslängen sein. So ungerne man eine Route vor dem Top aufgibt, hier war der Entscheid sicherlich vernünftig und korrekt, im Rückblick noch mehr als vor Ort. 

Luftiges und haltloses Abseilen über Zahir (8b+). Bequeme Standplätze darf man hier auch nicht erwarten.
Also werden die Seile gefädelt, und runter geht's. Das ist durchaus nochmals sehr aufregend, denn die Wand ist beständig und teilweise massiv überhängend, die Seile verschwinden irgendwo im dichten Nebelgrau und die Seillängen verlaufen teils querend. Somit ist nochmals volle Konzentration vonnöten, aber wir erreichen sicher den Einstieg. 17.30 Uhr ist es bereits, so viel Tageslicht bleibt gar nicht mehr. Wir ziehen also einen weiteren Abseiler zum Einstiegsbereich vom Elefantenohr, und steigen dann vorsichtig zur Wendenalp ab.  Die Sichtweite ist durchgehend minimal, zum Glück hilft mir die Erfahrung von über einem Dutzend Besuchen in diesem Sektor, um den richtigen Weg zu finden. Selbst auf dem Weg von der Wendenalp nach Gadmen ist die Suppe weiterhin stockdicht und die Fahrerei mit 10m Sichtweite bei Dunkelheit mühsam. So geht's statt über den Susten den etwas weiteren Weg über den Brünig heim, wo aber ebenfalls ein Sauwetter mit Nieselregen und Nebel herrscht.

In der Zahir steckt besseres Material, allerdings wurde hier leider auch minderwertige, verzinkte Ware eingesetzt. So beginnt auch dieses Denkmal, vor sich hinzurosten. Die Route ist erst gut 10 Jahre alt...
Facts

Gross Wendenstock - Jednicka 7c (7a obl.) - 9 SL, 300m - Ulrich/Weibel/Pitelka 1988 - ****; x-xxxx
Material: 2x50m-Seile, 12 Express, Camalots 0.3-2

Die Jednicka ist eine sehr schöne Route in teilweise fantastischem Fels, die teils (zu) spärliche Absicherung und die fragwürdige Qualität der Sicherungen nehmen ihr aber einiges an Glanz, der fünfte Schönheitsstern bleibt nur schon deswegen auf der Strecke. Ganz unabhängig davon hat uns die Kletterei in der rechterhand nahe gelegenen Ben Hur besser gefallen, und auch linkerhand im gut und zeitgemäss abgesicherten Elefantenohr dürften Plaisirkletterer wie wir mehr Vergnügen haben. Natürlich hat auch die Jednicka Qualität, die beiden 7c-Seillängen bieten lässige, steile und schöne Sportkletterei bei guter BH-Absicherung, die Schwierigkeiten sind dort nicht obligatorisch und die Hakenabstände teils sogar nur 1m kurz (insgesamt xxxx). Davor gibt es eine und danach zwei Längen im Bereich 6c+/7a, wo die Sicherungsabstände zwischen knapp genügend und gut variieren (xx-xxx). Der Quergang ist wie im Text erwähnt in meinen Augen expo, ja sogar ausgesprochen gefährlich (x). Kletterseile taugen für diese Art von Belastung (extremer Pendelsturz mit Schraddeln über scharfe bis schärfste Felskanten) nicht und ein Sturz könnte dort wegen Seilriss das Ende bedeuten. Eine sanfte Sanierung, wo die bestehenden Sicherungspunkte (BH, teils aufgebohrte, teils aufwändig ergrübelte Sanduhren mit zerfetzten Gammelschlingen) mit solidem Material gebohrt werden, würde die Route massiv aufwerten.

Dieses Exemplar ist eine von zwei Zwischen"sicherungen" im grossen, gefährlichen Quergang von L7 (6a+). Eine zweite Schlinge hat keinen Platz in der Sanduhr und das Fädeln erfordert einen Draht. Darüber hinaus hat man hier nicht beide Hände frei, somit muss man einerseits ein Messer dabei haben, und andererseits bereit dazu sein, 10m von der letzten Sicherung in einen Cliff zu hängen, um die Schlinge zu ersetzen. Ideal... perfekt... durchdacht... :-/

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