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Samstag, 14. November 2015

Watch your Anchor!

Über die (Un)Sicherheit von Bohrhaken in maritimem Umfeld hatte ich vor rund einem Jahr bereits berichtet. Vor rund einer Woche hat nun die UIAA, der internationale Kletter- und Bergsteiger-Verband ein Dokument veröffentlicht, welches doch schockierende Ergebnisse zutage fördert. Sollen die im Dokument ausgesprochenen Empfehlungen eingehalten werden, so sind in der Kletterszene doch ein gewaltiges Umdenken sowie einschneidende Verhaltensänderungen notwendig. Es ist sehr empfehlenswert, sich den kompletten Bericht (auf Englisch) zu Gemüte zu führen. Nachfolgend eine kurze Zusammenfassung der wesentlichsten Punkte.

Wie in meinem Blog von Dezember 2014 bereits erwähnt wurde, dreht sich das Problem um die schwer erkennbare Korrosion von sogenannt rostfreien Stählen. Leider sind alle diese Materialien im Kletterumfeld nicht zwingend beständig, sondern dem sogenannten Stress Corrosion Cracking (SCC, auf Deutsch Spannungsrisskorrosion) unterworfen. Das Problem betrifft vor allem das maritime Umfeld, d.h. Küstenregionen und bis zu 100km landeinwärts, sowie sonstwie belasteten Standorten (Industrie, Vegetation, ungünstige Mineralien im Fels, ...). Die unsichtbare Korrosion kann die Haken und Laschen so stark angreifen, dass sie bei normalen Sportkletterstürzen oder sogar nur unter Körpergewicht versagen.

Dieser Haken auf Kalymnos ist garantiert nicht mehr einwandfrei. Wie viel er wohl noch hält?
Der Bericht enthält eine Liste von Ländern, wo Hakenversagen aufgrund von SCC bereits beobachtet wurde. Die umfasst durchaus populäre Kletterdestinationen wie Thailand, Griechenland mit seinen Inseln, Italien, Sizilien, Sardinien, die balearischen Inseln, undsoweiter. Da die gefährliche Korrosion von rostfreiem Material von Auge nicht erkennbar ist, hat die UIAA eine Reihe von Empfehlungen für Kletterer verfasst. Die meisten davon sind leider zahnlos oder schwer durchzuführen, z.B. man solle das Risiko von SCC bei der Wahl einer Kletterdestination oder -route in Erwägung ziehen und Sicherungspunkte mit mobilem Material, Bäumen oder Sanduhren redundant machen. Wenn man das konkret durchdenkt, so gibt es eigentlich nur 2 mögliche Ansatzpunkte: entweder, man nimmt das Risiko bewusst in Kauf, oder verzichtet bis auf weiteres auf den Besuch von gefährdeten Gebieten.

Eine Untersuchung an einem betroffenen Fels durch Petzl habe gezeigt, dass rund 20% der Sicherungspunkte in einem (ungenannten) Sektor durch SCC dermassen angefressen seien, dass sich bereits bei einer Belastung von 1-5kN versagten (Körpergewicht bis kurzer Sportklettersturz). Ebenfalls wird der bereits von mir dokumentierte Hakenbruch beim Abseilen aus einer MSL-Route in San Vito lo Capo erwähnt. Mir persönlich erscheinen die 20% über alles eine eher hoch gegriffene Schätzung. Wären tatsächlich so viele Haken dermassen schwach, so würden aus den einschlägigen Gebieten sicherlich deutlich mehr Hakenversagen aus der Praxis bekannt. Nützen tut dies freilich wenig, denn auch wenn es nur 2% oder gar 0.2% sein sollten, ein einziger versagender Haken kann nunmal das Ende bedeuten (z.B. bei einem Sturz in den zweiten oder dritten Haken der versagt, mit Grounder in ungünstiges Gelände).

Besseres Exemplar, ebenfalls aus Kalymnos. Die Lasche ist aber auch nicht einwandfrei. Gemäss neustem Wissen ist der Fall auch hier klar, oder eben nicht. Haltekraft unbekannt, man muss davon ausgehen, dass ein solcher Bolt versagen kann.
Zündstoff beherbergen vor allem auch die neuen Empfehlungen der UIAA, da diese nun meilenweit strengere Anforderungen stellen, als sie der bisherige Gebrauch im Kletteralltag zeigen. Konkret:

  • In küstennahen Gegenden (Meeresnähe, bis 100km Inland, sonstige betroffene Standorte) sollen nur noch Materialien aus dem korrosionsbeständigen Titan oder HCR-Stähle zum Einsatz kommen. Das ist begrüssenswert, in der praktischen Umsetzung jedoch nicht einfach. Titanhaken gibt es nur als Klebehaken, HCR-Laschen bisher gar nicht, zudem kostet ein entsprechender Haken gleich ein mehrfaches wie ein "rostfreier" A4-Bohrhaken von guter Qualität.
  • In von SCC nicht betroffenen Gebieten wie z.B. den Alpen bzw. ganz Zentraleuropa soll Outdoor nur noch Material in A4-Stahlqualität (AISI 316 oder die Low-Carbon-Variante 316L) eingesetzt werden. Rostfreie Haken aus A2-Stahl oder gar verzinkte Ware sind zur Verwendung im Klettersport nicht mehr empfohlen! Der Punkt ist nur, dass sogar namhafte Hersteller von Kletter-Hardware nach wie vor kaum Produkte aus A4-Stahl anbieten. Vielerorts wird nach wie vor mit A2-Material saniert, schlimmstenfalls sogar mit noch schlechterem Material wie Zink-Inox-Gemisch wie z.B. meine Beobachtungen an der Grauen Wand von diesem Sommer zeigen.
Der Hammer kommt dann aber zum Schluss. Die UIAA benennt ganz klar, dass die Klettergemeinde hier vor einer riesigen Herausforderung steht. Aktuell stellt sich heraus, dass das in den allermeisten Kletterrouten verbaute Material den Anforderungen nicht genügt, bzw. nicht sicher ist. Dies betrifft nicht nur maritime Klettergebiete, sondern auch ganz viele andere Felsen. In einigen von meinen Reports sind z.B. die Wendenstöcke erwähnt, wo in fast allen Routen die ungünstige Zink/Inox-Mischung steckt, die nun am Ende ihrer Lebensdauer angelangt ist. 

Eine etwas andere Baustelle, aber das Problem beschränkt sich eben nicht nur auf die maritimen Gebiete, welche wir in den Ferien besuchen. In den Alpen ist zwar das Klima günstiger, d.h. SCC weniger ein Problem. Doch auch hierzulande steckt noch vielerorts komplett ungeeignetes Material wie dieser verzinkte Anker mit Inoxlasche im Simplon-Gebiet. 
Der Bericht schliesst mit der Erkenntnis, dass die Herausforderung von unsicheren Bohrhaken sicherlich nicht von einzelnen Individuen (d.h. guten Seelen) gemeistert werden kann, welche aus eigener Initiative und mit eigenen finanziellen Mitteln als Dienst an der Allgemeinheit Sicherungen warten und ersetzen. Ganz klar auf den Punkt gebracht heisst dies: "the bulk of the climbing population needs to start paying for anchors, whereas in the past most had a free ride". Es wird also nicht gehen, ohne dass sich der gemeine Kletterer finanziell beteiligt - für mich definitiv keine neue Erkenntnis. Ich bin gespannt, wie es in dieser Causa weitergeht...

6 Kommentare:

  1. Die Farbe der Haken kommt mir vom Sizilienurlaub vor ein paar Wochen doch sehr bekannt vor... Vielen Dank für diesen beängstigenden Bericht! Das bekannte "wird scho halten" zieht also jetzt dann auch ins Sportklettern ein. Ob die Klettergemeinde bereit ist zu zahlen? Ich bin gespannt!

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    1. Ja, da bin ich auch gespannt. Auf camptocamp.org, wo es eine Diskussion zu diesem Thema gibt, lautet der Tenor "aber wir zahlen doch schon für die Topos und via unsere Clubs..." und das Problem wird vielfach auch eher negiert. Eine grosse Bereitschaft ist dort also nicht zu erkennen.

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  2. Interessant auch die pointierte Meinung von Michel Piola, einem sehr eifrigen Erschliesser in vielen Gebieten weltweit. Er hat selber seine Erfahrungen mit SCC gemacht und schreibt folgendes. Er habe 2 Versagen von BH persönlich miterlebt, die nur mit viel Glück ohne Todesfolge ausgegangen seien. Er befürchtet Dutzende von Toten, wenn die betroffenen Gebiete nicht gesperrt würden, bevor sichere Haken angebracht seien. Er stuft die Kletterei in Meeresnähe aktuell als äusserst gefährlich ein und meint, das Problem würde von den lokal ansässigen Playern vor allem aus wirtschaftlichen Gründen heruntergespielt.

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    1. Hoi Marcel

      Danke für diesen erhellenden Beitrag. Diesbezüglich habe ich mir als Routenerschliesser auch immer wieder Gedanken gemacht. Ich persönlich denke, dass was in unseren Gebieten (Jura, Voralpenkalk) für ein Drama um verzinkte Anker gemacht wird vielleicht etwas übertrieben, dafür wurde die aggressive Umgebung der Küsten unterschätzt. Wenn man da z.B. auf Kalymnos die Bh's genauer anschaut können da schon Bedenken aufkommen. Hier würde ich es sehr schätzen, wenn gerade eidgenössische Profierschliesser hier ihre Verantwortung wahrnehmen und den Erschliessungsspektakel einer längerfristigen Perspektive unterordnen würden.
      Selber saniere ich zur Zeit im Jura konsequent mit Klebehaken. Das soll ja das Nonplusultra sein. Ich bin aber gespannt, ob nicht auch da über kurz oder lang das Altersverhalten der Verbundmaterialien noch vor dem Korosionsverhalten der Metalle eine Rolle spielen wird...
      Immerhin ist mir z.B. aus Finale-Ligure wo seit jahren, in Küstennähe, konsequent mit Klebehaken eingerichtet und saniert wird, bis dato keinen diesbezüglichen Versager bekannt. Und auch bei uns im Basler Jura ist noch keiner der sauber eingeklebten Griwil Klebehaken ausgebrochen. Und diese stecken nun auch seit bald einmal 25 Jahren.

      Interessant der hier angefügte Link zu festgestellten Prolemen mit der Schweissnaht der Inox Fixe-Umlenkketten (http://www.alpenverein.de/bergsport/sicherheit/fixe-umlenkung_aid_16119.html). Diese Naht wird von Hand geschweisst und hatte bereits verschiedentliche Versager!

      Ich meinerseits sehe es als wichtigen Bestandteil an, in Kletterkursen auch das Thema Bohrhakensicherheit anzusprechen. Denn Wird aus fun ein fail ist fertig lustig. Und es kann entscheidend sein, dass ein Kletterer den Unterschied eines Segmentankers oder Longlife erkennt, oder wie die Kleberstelle um einen sauber gesetzter Klebeanker aussieht (sieht man einen Haarriss zwischen Kleber und Fels, oder ist der Kleberrückstand gar an gewissen Stellen abgebrochen? Alarm!).

      Mit bestem Gruss aus dem sonnigen Baselbiet
      Patrik Müller

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    2. Hallo Patrik,

      Danke für Deinen Kommentar. Ich denke, in den allermeisten Punkten stimmen wir überein. Wichtig scheint mir vor allem, dass man sich als Erschliesser an den Gold Standard der Zeit hält. Und damit hat heute der Einsatz von verzinktem Material oder gar der Inox-Zink-Combo keine Berechtigung mehr. Man weiss, dass dies keine langfristige Lösung ist. Auch "bei uns" ist die Lebensdauer von solchen Systemen nur 20-50 Jahre. Aber klar, vor 20-30 Jahren war dies noch nicht abzusehen. Die Klebehaken gehören in der Schweiz wie die Verwendung von A4-Einschlagankern sicherlich auch zum Gold Standard. Man kann eine lange Lebensdauer erwarten. Wie lange die sein wird, ist halt zum aktuellen Zeitpunkt noch reichlich unklar. Ist es bei den Klebehaken vor allem die Beständigkeit des Verbundmaterials das fraglich ist, ist es bei den rostfreien Einschlagankern das SCC.

      In Meeresnähe war man sich dem kritischen Punkt SCC schlicht und einfach bis vor relativ kurzer Zeit nicht bewusst. Ich denke den Leuten, die bis vor 1-2 Jahren in Meeresnähe mit A4-Material eingerichtet haben, kann man keinen grossen Vorwurf machen. Diese haben sich an die gültigen Standards gehalten. Leider zeigt sich nun, dass diese langfristig nicht genügen. Und noch viel schlimmer: es gibt in diesem aggressiven Klima aktuell gar keinen Standard. Soweit ich weiss, gibt es bei Titan auch noch einige Unklarheiten (um nicht zu sagen Probleme), und HCR-Material für den Kletterbedarf gibt es noch kaum. Darüber hinaus hat es die Langzeittauglichkeit auch noch nicht bewiesen.

      Beste Grüsse, Marcel

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  3. Weitere Artikel zu diesem Thema (auf Englisch):

    - Versagende BH auf Sardinien
    - UIAA recommends Titanium bolts only for marine crags

    Das lässt einem Pläne für zukünftige Kletterferien schon einmal überdenken.

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