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Donnerstag, 28. Juli 2016

Cinque Torri

Die Cinque Torri sind eine Gruppe von Felstürmen in der Nähe vom Falzaregopass bei Cortina d'Ampezzo und als Klettergebiet sehr bekannt. Weil's hier, an den maximal 120m hohen Türmen keine wirklich langen MSL-Routen gibt, hatten wir sie bis anhin nie von nahem angeschaut. Nun wollten wir vor allem zum Klettern mit den Kindern hier vorbeischauen. Mit kurzem, einfachem Zustieg gibt's hier lässige Normalrouten im dritten und vierten Grat, welche zudem auch noch auf einen richtigen Gipfel führen. Wie es sich dann zeigte, gefielen uns die Cinque Torri sogar noch viel besser wie erwartet. Alles unkompliziert, originelle Kletterei in gutem Fels, sogar einige herausfordernde MSL hat's und schwere Sportkletterrouten gibt es ebenso.

Die Türme 5, 3, 2 und 1 vom Rifugio Scoiattoli bzw. der Bergstation des Sessellifts aus gesehen. 
Um an die Türme zu gelangen, gibt es mehrere Möglichkeiten. Eine öffentlich zugängliche Fahrstrasse führt zum Rifugio Cinque Torri (2137m), nur im August ist diese zumindest zeitweise mit einem Fahrverbot belegt. Weil die Parkmöglichkeiten oben nicht sonderlich üppig sind, empfiehlt sich diese Art der Anreise vor allem für Frühaufsteher. Wer ohne Auto aber trotzdem bequem in die Höhe gelangen will, kann den Sessellift benutzen, welcher zum Rifugio Scoiattoli (2256m) führt. Er ist von 9.00-17.00 Uhr in Betrieb, die Retourfahrt kostet ca. 15 Euro für Erwachsene (Kinder gratis). Oder man kann natürlich auch zu Fuss aufsteigen, es sind knapp 400hm von der Passstrasse auf einem sehr direkten Weg direkt unter dem Sessellift. Um die Türme herum, von den beiden Rifugios ausgehend, führt der bequeme Wanderweg "Giro delle Torri" an fast allen Einstiegen mehr oder weniger vorbei. Insgesamt ist das Ambiente viel weniger alpin und unwegsam, wie ich das im Vorfeld erwartet hätte. Die Kehrseite ist natürlich, dass bisweilen ein ziemlicher Zirkus mit Touristen, Alpinisten und Klettergruppen vorhanden ist. Aber naja, wir als Viererseilschaft mit zwei Kindern gehören da bestimmt auch dazu. Folgende Routen hatten wir begangen.

Torre Quarta Bassa - Via Normale (3 SL, III+)

Diese interessante, komplett mit Klebehaken abgesicherte Route führt durch die S-Wand am vierten Turm, es handelt sich um eine der lohnendsten kurzen und einfachen MSL-Routen an den Türmen. Der stark strukturierte, griffige Fels ist auf der gesamten Strecke von sehr guter Qualität, es handelt sich durchwegs um Wandkletterei mit homogener Schwierigkeit über drei Seillängen von je 20-25m Länge. Einstiegsvarianten gibt's gleich mehrere verschiedene (links an der Kante, rechts an der Kante oder gar in der E-Wand), alle sind aber ähnlich schwer. Oben tendiert man dann etwas gegen links und die Scharte zum Torre Quarta Alta, und schliesslich zum Gipfel. Abseilen kann man entweder über die S-Wand, oder auch nordseitig (2x20m oder 1x40m).

Der Torre Quarta Bassa, die Kletterer markieren den Verlauf der Normalroute.
MSL-Rakete im Anflug - jeden Meter problemlos selber gemeistert, und dies in einem Affenzahn.
Auf dem Gipfel wird gefuttert... hinten die Nordwände der Turmgruppen 2 und 1.

Torre Terza/Latina - Via Normale (3 SL, III)

Vielleicht die einfachste MSL-Route an den Türmen führt durch die Ostwand an Nummer 3. Allerdings ist sie mit beinahe keinerlei fixem Material ausgerüstet, nur ein NH-Stand befindet sich in der Mitte der 70m langen Wand. Dies liegt wohl daran, dass der Fels im Vergleich zu den anderen Türmen hier etwas weniger schön ist. Obwohl, es ist immer noch lohnende, einfache Genusskletterei an meist solidem Gestein, doch auf ein paar Bändern liegt auch etwas Schutt. Somit ist es sicher ratsam, wenn hier nicht zu viele Seilschaften gleichzeitig aktiv sind, und die Absenz von Bohrhaken verhindert das effektiv. Wir sind die Route in 3 kurzen Längen geklettert, vor allem mein Sohn hatte eine helle Freude daran, dass ich hier zahlreich "Freunde" und "Töggel" in die Ritzen stopfen konnte, und er sie danach wieder entfernen durfte. Auch ein selbstgebauter Stand an Sanduhr und Felszacken und die Abseilstelle am Baum (1x40m oder 2x20m an der SW-Kante) imponierte ihm deutlich mehr, wie die Bohrhaken anderswo. Eigentlich wäre er sowieso am liebsten gleich mit mir im Vorstieg mitgekommen, um das Gear zu platzieren, das hätte er dann noch einen Tick spannender wie das Rausgrübeln gefunden. Ich denke mir jetzt, vielleicht komme ich so ja doch einmal noch zu einer Route am El Cap - da könnten sich Vater und Sohn dann gleich tagelang dem Spiel mit diesen Gerätschaften widmen...

Er denkt sich wohl, irgendwann kommt der Tag, wo ich von oben zu dir runtergrinse...
Die Normalwege sind im Aufstieg im dritten/vierten Grad, also muss runter zwingend abgeseilt werden.

Torre Quinta/Inglese - Via Normale (3 SL, IV-)

Der spitzige fünfte Turm ist elegant und beliebt, wir hatten jedoch das Glück, auf freie Bahn zu treffen. Die Normalroute in seiner SE-Wand ist etwas höher bewertet als jene am dritten und vierten Turm, und stellt wegen der Steilheit auch grössere Anforderungen, bzw. fühlt sich schon mehr wie eine "richtige" Kletterroute an. Die drei Seillängen (10m/15m/25m) bieten zuerst eine (etwas polierte) Verschneidung und einen Kamin, während im oberen Teil dann erst Wandkletterei an guten Griffen und zuletzt eine luftige Kante warten. Auch hier gibt's Klebehaken, für jemand der am Limit klettert, dürften sich die Abstände aber etwas gross anfühlen und ein kleines Trad-Rack könnte hilfreich sein. Der Ausstiegsstand befindet sich etwa 3m unter der obersten Spitze und es gibt dort auch keinen bequemen Picknickplatz wie auf den anderen Türmen, zudem führt auch die Abseilstrecke (2x25m oder 1x45m) mehr oder weniger über die Aufstiegsroute - dies alles wurde von den Kindern "bemängelt" und die Kletterei am fünften Turm deshalb hinter den beiden anderen eingeordnet.

Alpiner Zirkus am Torre Quinta/Inglese, der Routenverlauf durch die vielen Kletterer bestens markiert.

Torre Grande - Columbus (5 SL, 7a)

Als die Kinder müde waren, gab's dann für Mama und Papa noch einen Ausflug zum ersten und grössten Turm (der genau genommen wie alle anderen auch eigentlich ein komplexes System von mehreren Sub-Türmen ist). Seine Ostwand ist ca. 100m hoch, äusserst steil und bietet neben dem sehr bekannten Klassiker Via Finlandia (6a+) auch einige mit BH gesicherte, sportliche MSL-Routen. Die Columbus verläuft rechts neben der Finlandia und bietet auf den ersten zwei Seillängen (6b, 6c) leicht überhängende, leistenlastige Kletterei (mit ein paar Löchern als Auflockerung) in zinnenähnlichem Fels. In der zweiten Länge kann man es sich dabei auch deutlich schwerer machen wie nötig, daher kommt wohl auch die reichlich hochgestapelte 7b+ (schön wär's...) im Topoguide. Der Oberknaller folgt dann in der dritten Länge, wo ein steiler Wulst überwunden werden muss. Dieser Abschnitt hängt auf 25m Kletterlänge wohl beinahe 10m über! So etwas habe ich bisher ausser auf gehobenen 5*-Wendentouren oder der Titlis Nordwand so noch nie erlebt. Die Griffe sind eigentlich alles gute Löcher, supergute Löcher und Töffgriffe. Nichtsdestotrotz, man muss sich festhalten und an der leicht unübersichtlichen Crux schadet ein bisschen Extrastrom nicht. Es ist zwar reichlich offensichtlich, was man zu tun hat, nur sind die Löcher in der Zielregion nicht einsehbar und um genügend lange rumzutasten, braucht's den Bizeps. Anyway, mir gelang es :-) Es folgt danach noch etwas alpineres und einfacheres Gelände (6a+), um auf den Turmgipfel zu kommen. Es gibt nach 20m einen Stand, nach 35m einen weiteren und im Prinzip noch eine fünfte kurze Länge (der Finlandia?!?), um auf den Gipfel zu kommen. Von dort wählt man entweder den durch die Schluchten führenden Normalabstieg, oder seilt wie wir über die Route ab. Das ist in 3 Manövern machbar, das extrem steile Gelände erfordert allerdings eine solide Abseil- und Pendeltechnik und etwas Zuversicht, da die Seile natürlich einfach ins Leere baumeln. Abgesichert ist die Route übrigens +/- wie im Klettergarten mit BH, fürchten muss man sich hier nicht. Etwa 6b ist vermutlich doch obligatorisch (schwer zu sagen für mich). 

Die gespaltene Ostwand des Torre Grande, die von uns gekletterte Columbus führt zentral durch die Wand rechts vom Spalt. 
Supercoole, leicht überhängende Leistenkletterei in zinnenähnlichem Fels wartet in L2 (6c) der Columbus.
Dieser Shot mit dem senkrecht nach unten hängenden Seil gibt einen Eindruck, wie steil L3 (7a) der Columbus ist.
Das war's dann soweit mit dem Kletterspass in den Cinque Torri. Bevor's auf den Heimweg ging, gab's noch etwas Dolce Vita im Rifugio, die Piadine, die Dessert's und der Kaffee sind durchaus empfehlenswert und das WLAN-Signal so stark, dass man selbst auf den Türmen oben eine Whatsapp schicken kann. Wir kommen sicher wieder, denn hier gibt's auf engstem Raum fast alles was das Kletterherz begehrt - ausser vielleicht das richtig gruselige 20-Seillängen-Abenteuer, aber sowas ist ja dann eh nix für Familien und Geniesser! 

Sonntag, 24. Juli 2016

Torre Brunico / Brunecker Turm - Oltre la Porta (6c+)

Die Oltre la Porta ist eine spannende, mit Bohrhaken gesicherte, aber dennoch alpine MSL-Tour am Brunecker Turm beim Grödner Joch im Sella-Massiv. Sie steht etwas im Schatten der unmittelbar daneben parallel verlaufenden Ottovolante (7a+), die deutlich mehr Besuch erhält. Schon bald 10 Jahre ist der Tag her, an welchem wir diese tolle Route geklettert sind. Auch wenn sie vielleicht wirklich noch einen Tick besser ist wie die Oltre la Porta - allzu gross ist der Unterschied in Bezug auf die Routenqualität nicht!

Die Mur del Pisciadu am Grödnerjoch im Sellagebiet mit dem Verlauf der Oltre la Porta (die erste SL ist nicht sichtbar).
Nach dem regnerischen Vorsommer 2016 war mein Plan, die sehr auf Restfeuchte anfällige 4 Giorni un Estate (7a) am Sass Pordoi klettern zu wollen, vielleicht etwas gar verwegen. Doch immerhin war es nun eine Woche trocken gewesen, dies noch dazu bei sommerlich warmen Temperaturen. Doch ein Augeschein von der Passstrasse zeigte, dass man sich dort zumindest teilweise noch mit Duschgang hätte abfinden müssen, was jetzt in einer Länge im Grad 6c+ nicht unbedingt das ist, was man braucht. Also kurvten wir etwas ums Sellamassiv herum und wählten den Plan B, die Wände am Torre Brunico bzw. der Mur del Pisciadu. Die ebenfalls sehr auf Feuchtigkeit anfällige Anton aus Tirol (7b) schien auch nicht mit Genuss kletterbar zu sein, also war die Oltre la Porta schliesslich die beste Option. Der Zustieg beschränkt sich gerade einmal auf 20 Minuten Gehzeit, man folgt vom grossen Parkplatz erst dem Weg 666 bis oberhalb der Felsstufe des Klettergartens Tridentina, quert dann auf dem Weg 29 nach links und schliesslich weglos hinauf zum Einstieg. Da man hier am Einstieg kein Depot macht und wir bereits aufgeschirrt waren, konnte es schon wenig später um und da man hier am Einstieg kein Depot macht, konnte es schon wenig später um 9:15 Uhr losgehen mit der Kletterei.

Er hat schon Schwung, der Brunecker Turm!
L1, 35m, 6a: Bereits die ersten Meter vom Boden weg haben es gehörig in sich: das Gelände ist gleich überhängend und die Griffe für den angegebenen Grad von 6a jetzt nicht gerade sonderlich henklig. Vielleicht war's ja die Erosion, die hier den Grund so stark abgetragen hat, so dass gegenüber früher neue Klettermeter entstanden sind. Wenn der Kaltstart mit dem Einstiegsboulder (eher 6b) gemeistert ist, so wird es etwas einfacher (6a passt nun), allerdings kann man vor dem hoch steckenden zweiten BH auf 10m problemlos einen Bodenleger fabrizieren (weniger empfehlenswert). Nach einem dritten BH folgt dann in der zweiten Hälfte einfache Kletterei in schrofigem Gelände ohne fixe Sicherungen, ein gutes Keil-Placement verhindert den potenziellen Sturz zurück auf Terra Firma.

L2, 15m, 5c: Uh, oh, hinauf, eine Querung nach links, welche sich doch noch als etwas kniffliger entpuppt als gedacht und nach etwa 7-8 Klettermetern schnappt dann endlich die erste Sicherung (BH) ein. Klaro, eigentlich ist's relativ easy, ein Sturz würde allerdings zu üblem Einkratern führen (weniger empfehlenswert). Danach hält man sich leicht rechts, klippt bei steiler, griffiger, aber nicht schwieriger Kletterei einen weiteren BH und erreicht schon bald den nächsten Stand.

Schöne, griffige Kletterei in L2 (5c). 
L3, 30m, 6b: Hier wartet gleich ob dem Stand eine steile, ja überhängende Wandpassage. Erst geht's noch erstaunlich gut, die Henkel sind da und sogar das Dächli lässt sich meistern. Am schwersten fand ich's erst danach, wo ich eigentlich meinte, es sei schon vorbei. Eventuell habe ich mich einfach etwas blöd angestellt, es war auf jeden Fall noch recht knifflig! Nach dieser 10m langen Passage wird die Kletterei etwas einfacher und folgt einem selbst abzusichernden Riss, zuletzt geht's in schrofigem Gelände an den Stand.

L4, 50m, 6a: Nach dieser Länge denkt sich wohl mancher, das war die bisher schönste der Route! Hier wurde (zum Glück) nicht der traditionelle Weg durch die brüchige Verschneidung gewählt, sondern die schöne, löchrige Wand links davon. Die Hakenabstände sind eher weit, der Fels aber fast unverschämt griffig, die Kletterei wohl auch eher einfacher wie 6a. Oben geht's dann links an die Kante, zuletzt wie des öfteren in einfachem Schrofengelände zu Stand vor der nächsten Stufe.

Im unteren Wandteil gibt's auch die eine oder andere etwas schrofige Passage, vor allem jeweils im Ausstieg zum Stand. Mich hat das nicht weiter gestört, vor allem profitiert man auch davon, weil die Stände alle sehr bequem sind. Hier sehen wir das Ende der sehr schönen L4 (6a). 
L5, 45m, 6a: Fulminanter Auftakt an einem steilen Piazriss. Ein bisschen schauen, bis man einmal drin ist (BH), die Piazerei geht dann gut und ist nach wenigen Metern auch schon vorbei. Oberhalb wartet dann deutlich einfacheres Gelände ohne fixe Sicherungen. Die zwei NH aus dem Topo habe ich nicht gesehen (allerdings auch nicht gesucht). Jedenfalls muss man ziemlich nach links tendieren, 2-3 gute, natürliche Sicherungen bringt man unter, aber hier gilt es im Dreier- und Vierergelände einfach sicher zu klettern.

Es sieht zwar so aus, als ob ich hier am Anfang von L5 (6a) erst ca. 3cm vom Boden weg bin. Aber ganz ehrlich, die Crux dieser Länge ist an dieser Stelle schon gemeistert. Das schwerste ist wirklich, vom bequemen Boden weg die Hände an den Piazriss zu kriegen.
L6, 20m, 5c+: Schöne, steile und gut mit BH abgesicherte Kletterei an griffigem Fels. Nach meinem Empfinden klettertechnisch eher etwas schwieriger wie die beiden Längen davor, dafür kann man hier dank der guten Absicherung auch einfach gemütlich dahinmoven.

Hinauf ins Licht! Sehr schöne Kletterei in der steilen, eng mit Bohrhaken abgesicherten L6 (5c+).
L7, 45m, 6a+: Eine etwas komische Seillänge, mit irgendwie nicht ganz logischer Linienführung. Erst markant nach links zu BH, hinauf zur Schlinge am Pfeilerkopf und dann unlogisch deutlich nach rechts halten (mehr als das Topo suggeriert). Die Linie gerade mehr oder weniger gerade hinauf wäre sicher möglich, aber so ganz ohne Sicherungen... Rechts wartet ein kurzes Dächli (easy für 6a+), ein selber abzusichernder Riss und am Schluss noch eine etwas einschüchternde, klassische Dolomiten-Passage (SU-Schlinge und NH), welche sich aber doch erstaunlich easy klettert.

Das Finish von L7 war nicht so fotogen, daher hier ein weiterer Shot aus L6 (5c+, steil und anhaltend für den Grad!).
L8, 20m, 2a: Kurze und problemloses Überführungsstück: hinauf und dann nach rechts.

L9, 25m, 6c+: Unmittelbar links der Ottovolante-Crux geht's hier sehr schön an gelbem, steilem Fels in die Höhe. Es hat ein paar Löcher und scharfe, tropflochartige Strukturen. Der erste BH steckt für die Turnerei direkt über dem Band nicht gerade nahe, aber es ist einfache Kletterei. Die Crux dann am zweiten vorbei knifflig und kleingriffig. Nicht so einfach zu lesen, aber meine Lösung ging :-) Danach im 6b-Terrain anhaltend bei guter BH-Absicherung zum unbequemen Hängestand.

So präsentiert sich der Blick auf den eindrücklichen oberen Wandteil, im Vordergrund wartet die Cruxlänge (L8, 6c+). Der sichtbare Kletterer ist gerade an der Schlüsselstelle der rechts daneben verlaufenden Nachbarin Ottovolante (7a+) engagiert und macht das, was dort wohl viele machen: A0...
Coole Tropfloch-Crimperei in der Cruxlänge (L9, 6c+) im soliden, gelben Fels.
L10, 35m, 6c: Die (gemäss Topo) A0-Passage am steilen Wulst gleich nach dem Stand lässt sich problemlos bei etwa 6c freiklettern. Man zieht dabei an einer kleinen, blockigen Verschneidung. Leicht spooky, aber das Material schien mir doch solide (und sonst hätte es sicher eh schon längst jemand ausgerissen), zudem gefährdet man weder den Seilpartner noch die Seilführung. Danach dann total geniale, sehr anhaltende 6b-Wandkletterei, immer wieder taucht eine griffige Schuppe, ein Loch oder eine Leiste auf. Gut mit BH gesichert, aber hier muss man etwas marschieren, wohl das forderndste Stück für den Vorsteiger.

Das geniale, anhaltende Finish in steiler Wandkletterei von L10 (6c) - auf dem Foto kommt's nicht ganz zur Geltung.
L11, 30m, 6a: Sehr schöne Kletterei an einer schwach ausgeprägten Verschneidung in orangem Fels, der viele Löcher und Henkel aufweist. Das geht alles gut und die BH-Absicherung ist hier prima ausgefallen, trotzdem ist's vielleicht doch eher mit 6a+ zu bewerten - nach meinem Empfinden jedenfalls schwerer wie L4, L5 oder L7. Man erreicht dann eine Art Rampe, dieser entlang links aufwärts zu Stand an der Kante.

Auf der einfachen Rampe am Ende von L11 (6a), die super Kletterei im schönen Löcherfels davor sieht man leider nicht.
Unsere Nachbarn in der Ottovolante am Stand, zudem der Blick zum Grödnerjoch und den Cirspitzen.
L12, 35m, 6c: Coole Henkelwand mit vielen Löchern oberhalb vom Stand. Der erste BH steckt etwas hoch, danach folgen sie dann bei den schwersten Moves aber bald fast in Hallenmanier. Die 6c fand ich jetzt nicht sonderlich hart für den Grad, liegt aber vielleicht dran, dass die entscheidende Leiste getickt war und im entscheidenden Loch gar ein Schnürlein steckte. Obenraus wird die Kletterei dann etwas gemütlicher (ca. 5c+), zuletzt dann nicht mehr ganz perfekter Fels.

Der Brunecker Turm wirft einen Schatten wie ein Sombrero... und Kathrin klettert das Finish von L12 (6c).
L13, 50m, 4c: Rechts aufwärts (BH gut sichtbar) und dann nicht durch die grimmige Rinne, sondern in der Wand links davon schön in sehr strukturiertem Fels aufwärts. Es kommt hin und wieder ein BH, meist nicht so gut von weitem sichtbar. Etwas längere Exen helfen hier, um bis ans Ende genussvoll moven zu können. Der Stand kommt wirklich erst ganz oben kurz vor dem Plateau, der letzte Abstand ist eher weit und das Gelände wird etwas brüchig.

Das Top erreicht, inklusive dabei der Tiefblick noch Colfosco.
Um 15.40 Uhr hatten wir nach knapp 6:30 Stunden Kletterei das Top in einer einwandfrei sauberen Begehung erreicht. Schon beinahe 10 Jahre ist es her, seit wir nach der Ottovolante (7a+) das erste Mal hier oben standen. Damals war noch vieles anders - wir beide eine Dekade jünger, und vor allem noch ohne Familie. Gewisse Dinge waren damals natürlich einfacher, vor allem die Freiheit, tun und lassen zu können, was man will. Aber trotzdem hatten wir es noch einmal hierher geschafft und sowieso, trotz etlicher Jahre mehr auf dem Buckel ist unser Kletterniveau sogar höher als damals. Mal sehen, was die Zukunft bringt, auf jeden Fall gibt's an diesen Wänden noch mehr zu entdecken.

Blick zum Torre Brunico mit dem Team aus der Ottovolante am Top. Hinten in der linken Bildhälfte der Sas Ciampac.
Nun denn, wir wollten uns nicht mit Philosophieren lange aufhalten, denn die Kinder warteten natürlich schon auf unsere Rückkehr. Der Übergang vom Brunecker Turm zum Hochplateau dahinter verlangt noch etwas Kraxelei, die wegen der Exponiertheit keine Fehler verträgt. Nachdem mir die Gegebenheiten hier bereits etwas bekannt waren, verzichtete ich dieses Mal darauf, zu früh den intuitiv irgendwie logischen Weg nach rechts hinauf einzuschlagen. Wir hielten uns stattdessen die Höhe haltend eher nach links, hier trifft man bald auf einen guten Pfad, welcher zur Pisciadu-Hütte führt. Von dieser ist es nicht weit, bis man den Abstieg über den klettersteigähnlich ausgebauten Highway 666 durch das Val Setus antrifft. Hier war es, wie es schon immer war. Viele Touristen sind unterwegs, und bewegen sich nur im Schneckentempo fort. Uns nimmt der Abstieg gerade eine Stunde in Anspruch, und wenig später sind wir retour daheim.

Wenn man ein paar Euros dabei hat, kann man auf dem Rückweg in der Pisciadu-Hütte noch eins zischen. Wobei, der Abstieg durch das steile Val Setus auf dem Highway 666 verträgt also nicht zu viele Promille im Blut, sonst wird's gefährlich (bei Gewittern und Nässe bestimmt auch, da bleibt man besser noch ein wenig in der Hütte). 
Facts

Torre Brunico - Oltre la Porta 6c+ (6b+ obl.) - 13 SL, 435m - Boldrin/Maceri 2003 - ***;xxx
Material: 1x oder 2x50m-Seil, 12 Express, Camalots 0.3-1, 1 Set kleine und mittlere Keile

Schöne alpine Sportklettertour, welche eher zu Unrecht etwas im Schatten der benachbarten Ottovolante steht. Letztere ist vielleicht einen Tick homogener und schöner, doch schlussendlich sind sich die beiden Routen ähnlich. Der untere Teil bietet einige lohnende Einzelstellen mit schwererer Kletterei, welche jeweils durch leichtere, manchmal etwas schrofige Abschnitte verbunden sind. Oberhalb vom Band in Wandmitte geht's dann aber so richtig los mit ein paar steilen Seillängen am Stück. Hier gibt's von Tropflöchern, Leisten bis zur typischen Dolomiten-Lochzerrerei alles, was das Kletterherz begehrt. Die Absicherung kann man als gut bezeichnen, wobei bei diesem Begriff etwas Vorsicht angebracht ist. An allen schweren Kletterstellen stecken Bohrhaken, überall wo es schwerer als 6b ist, sogar in kurzen, klettergartenmässigen Abständen. Es handelt sich komplett um verzinktes Material, welches zur Zeit (Juli 2016) noch in gutem Zustand ist. Das leichte Gelände ist hingegen ganz klar ungenügend abgesichert, an diversen Stellen mit etwas schrofigem Dreier- und Vierergelände sollte man seiner Gesundheit zuliebe besser nicht stürzen. In diesem Terrain bringt man hier und da noch einen Friend oder vor allem, kleine bis mittlere Keile unter, weshalb diese am Gurt nicht fehlen sollten. Aber wie bereits erwähnt, es lässt sich nicht jeder Meter an einfacher Kletterei genügend absichern. Immerhin ist der Fels an diesen Stellen meist fest, daher passt's mit etwas alpiner Erfahrung durchaus. 

Topo

Die Route ist in zahlreichen Dolomiten-Auswahlführern mit grob generalisierten Topos oder einem Foto mit Routenverlauf enthalten. Mit etwas alpinem Spürsinn reicht das aus, entweder kann man den Bolts folgen, oder dann nimmt die Route (ausser in L7, siehe Text) den logischen Verlauf. Das eindeutig beste schematische Topo, das ich zu dieser Route kenne, ist jenes aus dem Topoguide Band I, welches auch als Einzelstück erwerbbar ist. Bis auf einen vergessen gegangenen BH in L2 und der zu wenig ausgeprägt gezeichneten Rechtsquerung in L7 passen hier die Details!

Montag, 18. Juli 2016

Engelhörner - Queen of Desert (7a+)

Mitten im Winter 2015/2016 entdeckte ich das Topo zur Neutour Queen of Desert (7a+) in der Westwand der Gertrudspitze in den Engelhörnern. Sogleich wurde dieses natürlich auf der Festplatte gespeichert und eine Begehung hoch oben auf die Wunschliste gesetzt. Tja, um aber im Winter dort oben anzurücken, müsste man ganz schön verwegen sein, weshalb vor allem Geduld gefragt war und der Fokus auf das Vorhaben nicht verloren werden wollte. Nach dem regnerischen Vorsommer 2016 kam mit den ersten Julitagen aber schliesslich Gelegenheit, um dort oben anzugreifen. Soviel vorweg, eine geniale Route, welche mir ein tolles Erlebnis beschert und meine Erwartungen auf ein Abenteuer voll erfüllt hat!

Situation im Ochsental mit einem Teil der Engelhorn-Kette. Gepunktet der Zustieg durch die dritte Rinne und zum Fixseil.
Nach gutem Zureden konnte ich schliesslich meinen Seilpartner die Idee vom MSL-Sportklettern am Hintisberg ausreden und ihm einen Versuch in den Engelhörnern schmackhaft machen. Generell war es so, dass sich die Partnersuche für die Queen of Desert nicht gerade einfach gestaltete. Entweder schien das Verhältnis zwischen Zustiegs- und Routenlänge unattraktiv, oder dann herrschen generelle Vorbehalte gegenüber dem Klettern von (Neu)touren, über welche man nicht schon im Internet alle Details nachlesen kann und genau weiss, ob sie sich lohnen oder nicht. Da verfolge ich selber hingegen lieber den explorativ-abenteuerlichen Approach und freute mich, an eine mir noch unbekannte Wand vorzustossen, wo noch nicht alle Pfade bestens ausgetreten sind. Anyway, nach den Efforts vom Vortag in der La Trahison war zuerst einmal gütliche Nachtrühe und ein gemütliches Frühstück mit der Familie angesagt. Da ein mit Sicherheit gewitterfreier Tag prognostiziert war, wollte ich die Route angenehm in der Nachmittagssonne klettern und auf das frühmorgendliche Schlottern in der schattigen Westwand verzichten. So war es schliesslich 11.05 Uhr, bis wir uns wenige Meter unterhalb von Grossrychenbach auf ca. 1540m auf die Socken machen.

Unterwegs am Fixseil, das Gelände ist einfacher wie man meinen könnte, aber extrem exponiert.
In zügigem Anstieg war in wenig mehr als einer halben Stunde bereits die Engelhornhütte (1901m) erreicht. Bisher hatte ich zu diesem Ziel immer den klassischen Zustieg von der Rosenlaui gewählt, der ist aber eindeutig länger und irgendwie auch ein bisschen mühsamer. Ohne Rast ging's gleich weiter hinauf ins Ochsental, wo ich noch ein wenig den Erinnerungen an längst vergangene Kletter- und Lebenszeiten mit unvergesslichen Biwaks und dem Klettern verschiedener Engelhorn-Klassiker schwelgen konnte... Bald galt es aber, in den Kletter- und Spürmodus zu schalten. Die Passage durch die dritte Rinne hinauf Richtung Vorderspitze mag einen auf den ersten Blick erstaunen. Wenn man hier schon ein paar Mal durch ist, dann weiss man aber, dass doch geht, was zuerst beinahe unmöglich aussieht. Im ziemlich glattgewaschenen Schluchtgrund geht's auffi, akrobatisch im Bear Hugging Style wollen zwei Klemmblöcke überwunden werden und die Querung rechts raus erlaubt dann schon keine Fehler mehr - hier allenfalls Seilsicherung in Betracht ziehen, obwohl für den Vorsteiger wenig Sicherungsmöglichkeiten existieren.

Blick vom Ende des Fixseils und der nachfolgenden 25m-Querung zum Beginn der Route beim letzten roten Punkt.
Danach kraxelt man im einfachen, aber exponierten Schrofengelände aufwärts zum Fuss des Vorbaus der Vorderspitze Westkante. An dessen unterem Ende quert man nach rechts zur Abbruchkante und tatsächlich, da ist es - das Fixseil, das eine bequeme Passage über eine felsige Zone hinauf in das Kar unter der Gertrudspitze Westwand erlaubt. Nach 25m endet das Fixseil, aber ein schmales Grasband ermöglicht das Fortkommen hinauf zum unteren Ende des Kars - eigentlich easy, aber superexponiert, einige BH zur Sicherung sind vorhanden. Im Kar selber geht es dann über plattige, wenig gestufte Felsen hinauf, wobei man sich immer an den linken Rand hält. Man passiert 25m nach der Mündung einen Einzel-BH  mit Schlinge, danach folgen in 50m-Abständen 3 Standplätze mit jeweils 2 BH bis zum eigentlichen Beginn der Route. Die ersten zwei dieser Teilstrecken erledigten wir noch in den Zustiegsschuhen und seilfrei, das letzte Teilstück hinauf zum eigentlichen Routenbeginn wäre mir in diesem Modus aber definitiv viel zu haarig gewesen. Die plattigen Felsen werden immer steiler, die Kletterschwierigkeit am Schluss würde ich als etwas zwischen einem Dreier und Vierer einstufen - ich fand's schon am Strick und mit Kletterfinken nicht ganz unbedenklich, denn Möglichkeiten zur Zwischensicherung habe ich bis auf eine alte Rostgurke keine finden können. Bis zum Wechsel auf die Kletterfinken brauchten wir etwa 1:45 Stunden Zustieg, wobei hier das Anziehen des Klettergurts auch schon inbegriffen ist. Um 13:45 Uhr und somit 2:40 Stunden nach Aufbruch bei Grossrychenbach starteten wir schliesslich mit der Kletterei in L1.

Das hier läuft noch unter Zustieg... die letzten 50m zum eigentlichen Beginn der Route sind steil und bereits etwa ein Vierer.
L1, 45m, 6b: Schöne Kletterei über eine Art Vorbau-Wändchen. Immer wieder erleichten gute, positive Leisten das Fortkommen und ein paar schöne Löcher und Schlitze hat es auch. Das Finish dann plattig und easy, zu gemeinsamem Stand mit dem Albatros (6b+). Während dieser links weiterzieht (Equipment ist allerdings nur mit dem Fernglas zu erspähen), folgt die Queen of Desert gerade hinauf der Bohrhakenreihe mit der Bezeichnung "T.".

Jetzt geht's endgültig los mit der Kletterei, das ist L1 (6b).
L2, 45m, 6a+: Vorerst gemütliche, geneigte Plattenkletterei mit überschaubaren Schwierigkeiten, dies sind aber bis zum Ende der Route die letzten einfachen Meter! In Mitte der Seillänge fordert eine Stelle etwas geschicktes Antreten, das Finale dann steiler und überaus henklig - vielversprechend für den weiteren Verlauf, denn hier ist man nun endgültig am Fuss der steilen Westwand angekommen.

Kurz vor dem Stand in L2 (6a+), gutgriffige und gutmütige Henkelkletterei, auch wenn's nicht so aussieht.
L3, 30m, 6c: Der Blick hinauf verrät's, hier gibt's eine pumpige, überhängende Ausdauerlänge. Gute, henklige Griffe sind auch vorhanden, also los. Mein Kletterpartner wird im Vorstieg schon gleich nach dem ersten BH durch einen Griffausbruch gestoppt - die verführerische, vorstehende Zacke war der Belastung nicht gewachsen. Im zweiten Versuch geht's dann etwas weiter, bis kurz vor dem Klippen des fünften Hakens dieses Mal ein weiter Abgang wegen Griffausbruch erfolgt. Bei einer längeren, schöpferischen Pause wird das weitere Vorgehen erörtert. Schliesslich einigen wir uns auf die Option, dass wir die Kletterei fortsetzen und ich den kompletten Vorstieg übernehme.

Marmor, Stein und Eisen bricht, aber unsere Liebe zur Kletterei hoffentlich nicht! So angetroffen vor Ort...
L4, 40m, 6b: "La paroi se couche un peu" heisst es im französischen Jargon, d.h. es geht nicht mehr ganz so steil wie in der Länge zuvor weiter. Sprich, nicht mehr überhängend und henklig, sondern in senkrechter Wandkletterei an gutem, griffigem Fels. Hier tritt nun auch die sehr charakteristische Felsstruktur der Wand zutage. Alles ist von links unten nach rechts oben geschichtet, Flachstücke oder Bänder sucht man vergebens.

Prima Kletterei an rauhem, wasserzerfressenem Fels in L4 (6b), dem Bruchriss am Bildrand folgt ein alter Versuch.
L5, 30m, 6c: Im gleichen Stil geht's weiter, formidable, anhaltende Wandkletterei an gutem, rauhem Fels. Auf einigen Metern folgt man hier einem alten Versuch - nimmt mich Wunder von wann und wem, kühne Gesellen mit einem Gottvertrauen in ihre wackligen Schlaghaken müssen das gewesen sein! Bei der Crux muss man dann schon ein wenig beherzt vorwärts steigen, die Absicherung mit soliden, perfekt platzierten Inoxbolts ist aber tadellos!

Keep on Moving! Sehr anhaltende Kletterei wartet in den oberen Seillängen, das hier ist das Finish von L5 (6c).
L6, 40m, 6b+: Es wird nochmals etwas steiler und geht dem Ausstieg entgegen. In einem grossen Bogen steigt man auf dieser eindrucksvollen Seillänge bei stellenweise etwas minderer Felsqualität aufwärts. Es hat in dieser Länge auch das eine oder andere etwas fragile Schüpplein, so dass bei der Griffauswahl ein gut geschultes alpines Auge hilft. Mir schien das gut machbar, ich habe nach meinem Erachten nur solide Griffe belasten müssen.

"Stand, chasch cho!". Wackliger Stand, ein Relikt aus vergangenen Zeiten am Ende von L4 (6b).
L7, 30m, 7a+: Nun kommen die beiden steilen Abschlusslängen! An der Felsqualität gibt's nun rein gar nix mehr zu meckern, es wartet beste Crimperei bis hinauf zum Gipfel. Mit Fluss und Selbstvertrauen geht's erst famos aufwärts, doch die Climax folgt gegen den Stand hin. Es wird brutal trittarm und an den diagonalen Strukturen gibt's nur noch wenige, nicht so gut erkennbare, kleine Leisten. Um alles abzutasten bleibt nicht ewig Zeit und irgendwann geht bei mir kurz vor dem Ziel das Licht aus... schade! Alles gegeben, gut gemacht, der Durchstieg im Onsight bleibt leider doch verwehrt. Zufrieden bin ich trotzdem!

Es lohnt sich hinzugehen! Hier das zähe Finish von L7 (7a+), die Crux der Route.
L8, 20m, 7a: Die Tatsache,  dass in dieser Abschlusslänge am meisten BH pro Klettermeter stecken weist schon darauf hin, dass hier nochmals anhaltend und anspruchsvoll geklettert werden muss. Wenige Meter rechts vom Albatros-Ausstieg geht's vertrackt an den üblichen, diagonalen Strukuren hinauf, wobei hier im Gegensatz zur Länge davor auch mal ein Rastpunkt das Gewinnen von Übersicht und das Planen der nächsten Moves erlaubt.

Vom Ausstiegsstand sind es nur wenige Meter zum Gipfel der Gertrudspitze (2633m), die lasse ich mir nicht entgehen, auch wenn es oben bis auf einen kümmerlichen Steinmann nicht allzu viel zu sehen gibt. So bald werde ich auf der Gertrudspitze wohl kaum wieder vorbeikommen, und besonders viele Menschen betreten diesen Punkt nicht. Klar, da wäre noch das ambitiöse Projekt mit dem Hufeisen, d.h. der Gesamtüberschreitung der Engelhornkette... aber das ist dann vielleicht etwas fürs nächste Leben, denke ich mir vor Ort. Umso erstaunlicher aber, dass der mir bekannte Lorenzo am selben Tag (aber ein paar Stunden früher) denselben Punkt bei einer Teilüberschreitung der Engelhorn-Kette erreicht hat. Seine Zeilen und Fotos, die ich 2 Tage nach der Tour zu Gesicht bekomme, machen dann doch wieder Appetit auf das Hufeisen, oder zumindest Teile davon. Zur Planungshilfe übrigens noch, der Gipfel wurde um 18:45 Uhr erreicht, somit hatte die Kletterei vom eigentlichen Einstieg gerade 5:00 Stunden in Anspruch genommen.

Nicht so das Top-Foto, aber: CUUUUMBRE! Wow!
Nun galt es noch, wieder sauber und effizient vom Berg zu kommen. Ein alpiner Abstieg vom Gipfel via Vorderspitze und Simelisattel wäre möglich, da er aber auch Abseilstrecken und exponierte Kraxelei erfordert, bringt das gegenüber einem Abseilen über die Route vermutlich kaum grosse Vorteile. Im oberen Teil gestaltet sich die Abseilerei über die Queen of Desert ob der steilen, absatzlosen Wand sehr effizient. Man sei ausdrücklich gewarnt, dass mehrere Abseilstrecken nahe an die 50m heran- oder sogar etwas darüber hinausreichen. Mit unseren praktisch neuen 2x50m-Seilen ging das gut auf, mit älteren, etwas geschrumpften Stricken kommt man aber in die Bredouille! Von R0 seilten wir noch 3x50m + 1x25m an den Beginn der Querung ab. Hier mussten 25m in Seilschaft gesichert werden, bevor die Fixseilpassage zurück in etwas weniger exponiertes Gelände leitet. Nach etwas Abstieg dann noch ein weiterer 25m-Abseiler in der Schlucht, so dass wir etwas vor 21.00 Uhr, d.h. in rund 2:00 Stunden vom Gipfel, wieder den sicheren Boden vom Ochsental betreten. An der schwach frequentierten Engelhornhütte vorbei geht's raschen Schrittes zurück nach Grossrychenbach, wo sich der Kreis schliesst.

Wenn alle Wegkreuzungen in den Bergen so gut markiert wären, dann gäbe es bestimmt weniger Verhauer...
Ab Meiringen bin ich dann alleine unterwegs auf der Fahrt ins heimische Bett. Das Radio überträgt live vom Open Air in Frauenfeld, aus dem Lautsprecher dröhnen fette und harte Rap-Beats. Nachdem ich ohne Mitfahrer unterwegs bin, kann ich das Volumen den Gegebenheiten entsprechend anpassen und beschwingt über die Strassen cruisen. Der Party-Sound (hier kann man ein Ohr voll nehmen) passt perfekt zu meiner Stimmung: die Queen of Desert hatte mich voll begeistert, mich in einsames, abenteuerliches Gelände geführt und sportlich herausgefordert. Noch dazu konnten wir uns mit der ersten Wiederholung sogar noch mit alpinem Ruhm und Ehre bekleckern. Mich würde es aber nicht erstaunen, wenn das nicht alle so sehen. Die ganz pessimistische Interpretation wäre dann so: "eine brüchige Route am Arsch der Welt, mit mühsamem, weitem und gefährlichem Zustieg, wo sonst kein Mensch zum Klettern hingeht". Das ist eben der Unterschied zwischen MSL-Sportklettern à la Hintisberg und alpinem Klettern sportlicher Prägung - make your choice!

Facts

Gertrudspitze - Queen of Desert 7a+ (6c obl.) - 8 SL, 280m - Anker/Romang 2015 - ***;xxxx
Material: 2x60m-Seile, 12 Express

Diese Route muss man sich zwar mit einem längeren Zustieg verdienen, dieser führt jedoch in einen sehr spannenden, einsamen Winkel der Engelhorn-Gebirges. Aficionados werden das grandiose Ambiente im einsamen, exponierten Kar unter der Gertrudspitze Westwand zu schätzen wissen! Zudem hat die Wand richtig Schwung und Steilheit, beim Zustieg droht sie einem quasi "auf den Kopf zu fallen" und wirkt so richtig unnahbar. Aus dieser Perspektive ist es kaum zu glauben, dass ein solch moderat schwerer Weg durch sie hindurchführt. Die Route bietet eine prima alpine Kletterei sportlicher Prägung an überwiegend guten Griffen und Tritten. Der Fels ist meist von guter bis sehr guter Qualität, stellenweise trifft man aufgrund der charakteristischen diagonalen Schichtung auch einmal auf ein fragiles Schüppchen oder einen wackligen Henkel. Mit etwas Umsicht lässt sich das aber gefahrlos beklettern, zumal auch in Sachen Absicherung alles im grünen Bereich bleibt. Es stecken solide Inoxbolts in humanen Abständen. Zwischendurch darf und muss man durchaus etwas Steigen zwischen den Haken, es ist jedoch nie gefährlich oder psychisch besonders anspruchsvoll. Man kann vor der grandiosen Arbeit der Erstbegeher nur den Hut ziehen, Chapeau! Zu erwähnen ist auch, dass die Schwierigkeiten in dieser Route sehr anhaltend sind und es praktisch keine leichten, geschenkten Meter gibt. Ab L3 findet sich kaum mehr ein Move, der leichter als 6b ist! So kommen einem die "nur 8 Seillängen" dann auch nicht unbedingt als Kurzprogramm vor. Zuletzt noch ein paar Hinweise: erstens, die Route ist üblicherweise nur im Hochsommer und Frühherbst zugänglich, wenn überhaupt kein Schnee mehr liegt. Zweitens, wer hier oben in einen Wettersturz kommt, gerät in Probleme! Ein Rückzug dauert und ist gefährlich, Schutz gibt es unterwegs oder am Gipfel so gut wie keinen. Drittens, die im Topo empfohlenen Klemmgeräte hatte ich nicht mitgeführt, ich konnte weder gute Einsatzmöglichkeiten erkennen, noch empfand ich sie als nötig.

Topo

Das Topo der Erstbegeher zu dieser tollen Route! Merci vielmals dem Team Anker/Romang!

Dienstag, 12. Juli 2016

Tällistock - La Trahison (7a)

Seit dem Erscheinen des Kletterführers Schweiz Extrem anno 1994 wurden die Touren in linken Wandteil am Tällistock in so ziemlich jedem Kletterführer über die Gegend aufgeführt. Aber wer ist je dort geklettert? Weder im Netz noch über persönliche Kontakte lässt sich auch nur das klitzekleinste Detail herausfinden, was die Sache natürlich umso reizvoller macht. Wir entschliessen uns, der Sache auf den Grund zu gehen und sind schlussendlich begeistert. Die La Trahison (7a) ist eine bisweilen etwas ruppige Alpinkletterführe mit viel Charakter, welche nebst manchmal etwas splittrigem Fels und ein paar Bändern auch viele Meter mit tollem Wendenfels in einer eindrücklich steilen Wand bietet - nach unserem Gusto sehr lohnend und ein so richtig befriedigendes Alpinklettererlebnis bietend!

Ansicht vom linken Wandteil am Tällistock mit dem Verlauf der Route La Trahison (7a)
Bevor es schliesslich an den Tällistock geht, werfen wir noch einen Blick auf die Wendenstöcke. Zum Beispiel am Pfaffenhuet liesse es sich da durchaus klettern. Die uns interessierenden Routen in den anderen Sektoren weisen aber entweder noch Wasserstreifen auf, sind wegen Schneefeldern weiter oben noch dem Steinschlagrisiko ausgesetzt oder dann eher kürzere Herbstklettereien, so dass wir auf die Option Tällistock setzen, wo alle Zeichen auf Grün stehen. Mit der Tällibahn (automatischer Betrieb von 7.00-21.30, 12 CHF für Retourfahrt) geht's bequem in die Höhe auf 1700m, wo unsere Tour um 8.00 Uhr startet. Wir folgen dem Pfad in Richtung Sätteli für etwa 100m und steigen dann direkt durchs Bachbett ("Üsser Flüeligrabe" auf der LK) zur Wand hinauf. Im Aufstieg ist das definitiv eine gute Variante. Das Gelände ist erst steil und weglos, aber harmlos. Das letzte Stück zur Wand hin führt dann etwas unangenehm über hartes Geröll und glatte, ungestufte Steilwiesen. Das ist durchaus etwas heikel, es empfehlen sich gute Schuhe mit kantenstabiler Sohle. Nach 40 Minuten Kraxelei sind wir am Einstieg und geniessen ein zweites Frühstück an der Sonne, bevor es um rund 9.00 Uhr mit der Kletterei losgeht.

L1, 40m, 6b: Entgegen der Angabe in allen Topos, wo die beiden Routen Talmud und La Trahison gemeinsam verlaufen, gibt es hier 2 Bohrhakenreihen. Wie viele Führerautoren waren hier wohl schon vor Ort? Wir wählen die rechte Variante, die tolle Kletterei an griffigen Querschlitzen bietet, nur der Fels ist etwas staubig. Die beiden Varianten kommen an einem gemeinsamen Stand wieder zusammen, die linke Variante ist wohl ähnlich schwer.

L2, 40m, T5: Querung im Gehgelände nach rechts (1 BH zur Zwischensicherung). Die Route verläuft nachher auf der markanten Platte rechts vom grossen Riss-/Kaminsystem, durch welches die crazy Route Liste Noire verläuft.

Schöne Plattenkletterei in L3 (6a).
L3, 35m, 6a: Schöne Plattenkletterei in prima gefinkeltem, silbergrauem Fels bis hinauf auf ein Band. Danach folgt in L4 (15m, 3a) eine horizontale Querung auf dem Band nach rechts, die man allenfalls auch an L3 anhängen kann. Rechts drüben steckt allerdings nur ein einzelner BH. Die Querung (L4) und L5 kann man jedoch wegen dem Seilverlauf unmöglich linken.

L5, 35m, 6c: Erst gerade aufwärts unters Dächlein, Querung nach links und dann folgt eine zupfige Stelle in Hammer-Fels über den Ausläufer des Dächleins hinauf. Einen nächsten BH kann man da noch nicht erspähen, das Gelände wird aber einfacher und gerade hinauf geht's weiter. An der oberen, nun wieder steilen Wand geht's weiter - Wandkletterei an kleinen Leisten und grösseren Griffen. Leider ist diese Stelle (ca. satt 6b) ungenügend eingebohrt und etwas psycho, da 2x ein Sturz aufs flachere Gelände darunter droht. Das ist ein bisschen schade, denn im Rest der Route stecken die Haken durchaus vernünftig.

Gute Moves auch in L5 (6b). Hier muss man parat sein, ein Sturz an der falschen Stelle könnte schmerzhaft enden.
L6, 45m, 6c: Nachdem in der Länge zuvor schon einmal etwas Adrenalin in die Adern geschossen ist, frage ich mich, wie es hier wohl weitergeht, zumal der erste Teil auch noch etwas splittrig aussieht. Tatsächlich warten die Hauptschwierigkeiten der Länge bald nach dem Stand, der Fels ist aber besser als er aussieht (wie so oft auf dieser Route!) und die 6c ist höchst zahm. Der zweite BH steckt übrigens ziemlich im Schilf, zur Vermeidung von Seilzug wird der nach dem Klippen des dritten besser wieder ausgehängt. Nach gut 10m sind die Schwierigkeiten dann vorbei, es wartet noch lässige Plattenkletterei in schönem Fels diagonal nach rechts aufwärts.

Prima Kletterei in schönem plattigem Fels wartet im oberen Teil von L6 (6c). 
L7, 35m, 5c+: Dieses Teilstück hat ähnlichen Charakter wie der zweite Teil der Länge davor, d.h. genüssliche Plattenkletterei in schönem Fels. Gegen das Ende der Länge vor der nächsten Steilzone hin lässt die Gesteinsqualität aber etwas nach, c'est un peu peteux. Der Stand dann in typischer Remy-Manier 3m zu hoch und total unbequem.

L8, 25m, 6b: Der steile Auftakt ohne Zwischensicherung sieht kühn aus, entpuppt sich aber dank den idealen Henkeln als leichtverdaulich. Danach aufwärts, die Crux kommt ziemlich unverhofft in einer giftigen, zwingenden Querung über ein abschüssiges Plätteli nach links aufwärts. Zum Schluss dann in schrofigem, einfachem Gelände zum Stand auf bequemem Band.

L9, 25m, 6a: Links aufwärts, durchs Nadelöhr hindurch oder daran vorbei und am Pfeiler entlang aufwärts. Recht schöne Kletterei in ziemlich gutem Fels. Links davon befindet sich die Schlucht / Verschneidung / Kaminrinne (wie man dem immer sagen will...) der Liste Noire. Man sieht zwar kein Material, aber hier muss die wohl verlaufen - sieht aus wie so ein echter Dolomiten-Schocker!

Kurz vor der Passage durchs (nicht sichtbare) Nadelöhr in L9 (6a).
L10, 20m, 5c+: Kurze und problemlose Seillänge zur Erholung. Etwas rechts vom Stand geht's gerade die Wand hinauf, der Fels ist nicht überaus schön aber doch völlig ok zu beklettern.

L11, 20m, 5c+: Zuerst über die nach Megabruch aussehende Wandstelle hinweg. Aber typisch für diese Wand, dort wo man langklettert sind's dann doch solide, raue Henkel, alles im grünen Bereich. Danach geht's in gutem Fels die steil-griffige, selbst abzusichernde Verschneidung hinauf, die man dort wo es schwieriger wird nach links hinaus verlässt.

L12, 35m, 6b: Nun sind wir definitiv im obersten Wandteil angelangt, der noch ein Feuerwerk von tollen Seillängen mit Wendencharakter bereit hält. Dies ist der erste Abschnitt davon, unnahbar und schwer sieht er aus. Beim Klettern offerieren sich dann aber unerwartet auf einmal Schlitze, Löcher und Leisten, so richtig Wenden-Style halt. Ich fand diese Länge recht schwer und anhaltend für den Grad, im Vergleich zu anderen in der Route.

Prima Wandkletterei im Wenden-Style wartet in L12 (6b), die für den Grad recht anspruchsvoll ist.
L13, 35m, 6c: Von Jonas schallt's "chasch di ufes Rissdach freue" und schon von weitem sehe ich, was er meint. Hier folgt die definitiv charakteristischste Passage der Route! Schon vom Stand weg geht's nicht ganz einfach und athletisch los, dann ist eine Art Doppeldach zu meistern. Es ist eine ziemlich kühne und anstrengende Sache, die Henkel und Klemmer sind aber da. Nebst den Bolts sollte man auch noch zwei, drei Klemmgeräte platzieren. Leider stecken die BH in den inneren Dachwinkeln sehr seilzuggefährdend, verlängern würde aber auch in einem unangenehmen Sturz resultieren, man hat die Wahl zwischen Pest und Cholera. Hat man sich dann über das grosse Rissdach hinaufgefightet, folgt die Route nur noch etwa 2-3m dem markanten Riss und zweigt dann kühn nach links in die Wand ab. Achtung, Verhauer-Gefahr, der BH und der Stand danach sind aus der Kletterstellung kaum sichtbar und dem Riss weiter zu folgen wäre durchaus logisch (aber definitiv falsch!). Die Wand darob bietet Wenden-Kletterei in perfektem Fels, ist allerdings kühn und runout. Wer Selbstvertrauen und Nerven behält und noch etwas Kraftreserven hat, stellt aber fest, dass es nicht ganz so schwer ist, wie man befürchtet hat!

Yours truly unterwegs zum markanten Rissdach von L13 (6c), welches in Realität grösser ist als es hier scheint!
L14, 35m, 6b: Links vom Stand in sehr schönem, gefinkeltem Fels in Steilplatten-Kletterei aufwärts bis man in eine etwas einfachere Zone mit Bändern gelangt. Dort entschieden nach links halten (mehrere BH) vorhanden zum Stand auf bequemer Terrrasse.

L15, 40m, 7a: Nun folgt die nominelle Cruxlänge... und dies nachdem ich im Rissdach schon etliche Körner verschossen habe und in der 6c voll gefordert war. Die Sache entpuppt sich dann aber als gutmütiger wie gedacht. Es handelt sich um prima abgesicherte Wandkletterei an Tropflöchern und Leisten, die Füsse müssen gut eingesetzt werden, typischer Wenden-Style. Langsam etwas auf Notstrom meistere ich die Crux aber hoppla, oben wartet noch ein etwas mühsamer Wulst, auf den im Hau-Ruck-Stil raufgemantelt werden will, aber ich komme zum Glück im Onsight durch. Wenig später ist der wieder mal unbequem platzierte Stand erreicht, dabei wär's 3m links und höher doch so gut gegangen...

Fantastische Wandkletterei erwartet einen in der schwersten Seillänge (L15, 7a).
L16, 40m, 6c: Das Top ist nahe, aber noch nicht erreicht. So viel wird sofort klar, wenn man auf den überhängenden Kamin blickt, wo die Route weiterführt. Meine Empfehlung: rechte Schulter rein, Gear alles links anhängen und am Rücken gar nix (kein Chalkbag, Jacke, etc.), sonst bleibt man stecken. Aber naja, geht ja im Rückenkratzer-Style! Damit ist das Menü aber noch nicht gegessen, nun folgt noch sehr schöne, überhängende Pfeilerkletterei an Leisten und Töffgriffen. Zum Glück stecken hier die Bolts eng, sonst wäre das mit langsam ausgehenden Kräften eine giftige Geschichte!

Um gut 17.00 Uhr sind wir am Top, da waren wir jetzt doch 8 Stunden lang beschäftigt! Aber die Route ist lang, steil und will erobert werden, Leute mit unserem Können marschieren da nicht einfach so hopp-hopp-zack-zack zum Top. Aber es ist uns gelungen und schon oben beim Handshake wissen wir genau, dass wir hier etwas geschafft haben, das uns in Erinnerung bleiben wird. Alpine Kletterei mit sportlicher Prägung, so soll es sein! Nachdem wir unser Material und die Schuhe am Einstieg deponiert haben, kommt etwas anderes als ein Abstieg durch Abseilen gar nicht in Frage. Dass dies der Anfang einer kleinen Odyssee ist, war uns da noch nicht bewusst.

We are on top! Jonas bringt mir meine vor dem Crux-Kamin in L16 (6c) zurückgelassene Jacke.
Vom Ausstiegsstand kann/soll man nicht runter, der alternative Abseilstand 4-5m unterhalb war aber sofort identifiziert. Schon hier beschleicht mich ein etwas ungutes Bauchgefühl... Das Gelände an der Kante ist reichlich brüchig, überall hat's lose Steine und in welche Richtung wir genau Abseilen müssen, ist unklar. Das Gelände auf einer Art Pfeilerkopf ermöglicht es, einen Sektor von etwa 90 Grad zu wählen, was weiter unten folgt, ist nicht einsehbar. Und natürlich, wenn man sich einmal entschieden hat, das Seil säuberlich gelegt hat, so dass keine Steine ausgelöst werden, so kann man sich seitlich nicht mehr verschieben. Nach 50m (?!?) sollte ein weiterer, routenunabhängiger Abseilstand folgen. Ich mache mich auf den Weg...

Als das Seilende näherrückt, kommt es, wie es kommen muss - nirgends sind Haken auffindbar. Ich spähe und spähe aber Mist, hier bin ich irgendwo im Nirvana gelandet. Notabene im überhängenden Gelände, wo ich nur dank Pendeln überhaupt noch an die Wand komme. Tja, Verzagen hilft da nix, es gibt nur eines, ich muss die 50m wieder nach oben, pfff! Übrigens, das Megajul hatte ich ja aus anderen Gründen schon einmal als Sicherungsgerät der Wahl zum MSL-Klettern angepriesen. Doch ich muss sagen, auch diese Aufstiegsaktion am Seil hat es sehr erleichtert, das wäre mit einem normalen Tube ohne Blockierfunktion bzw. nur Prusikschlingen wesentlich mühsamer gewesen!

Nachstieg in L12 (6b), eine wirklich geniale Seillänge mit sehr schönem Fels.
Als ich wieder nahe beim Top bin, schildere ich Jonas die Situation und wir beraten. Um nochmals in einer etwas anderen Richtung auf die Suche nach dem Abseilstand zu gehen ist ein Scheissgame. Die Erfolgsaussichten sind tief, der Seilaufstieg halt doch mühsam und insgesamt vor allem zeitfressend. Wir entscheiden uns schliesslich, die Aufstiegslinie zu wählen und so in die Talmud zu gelangen, über welche die Abseilpiste im unteren Teil verläuft. Das ist auch mühsam, da diese im oberen Teil stark querend verläuft. Mit Abseilverankerungen improvisieren, 1x Wiederaufstieg weil sich das Seil nicht abziehen lässt und dem Abklettern einer einzelnen 5er-Quergangs-Länge geht das nicht ganz gratis, aber da wissen wir wenigstens, was wir haben.

Mit der Zeit läuft's dann besser und wir schweben über die Talmud in die Tiefe. Zwischendurch zieht auch noch ein kleiner Schauer durchs Gadmertal. Immerhin sind wir gerade bei einer Grotte, können die Seile und uns trocken halten, also kein Problem, nach ein paar Minuten geht's weiter. Erst um 19.45 Uhr sind wir wieder am Einstieg, heieiei, so kann man Zeit verbraten! Nun wartet noch der Abstieg über die steilen, ungestuften und vom Regen auch noch nassen Grasplanggen - eine ziemlich mühsame und auch etwas heikle Sache, ein Ausrutscher liegt nicht drin! Trotzdem, weit ist's eigentlich nicht, denn schon um 20.20 Uhr nehmen wir die Tällibahn. Wenig später können wir die tolle Route in unserer Wenden-Stammkneipe bei Pizza und Bier feiern - merci Jonas, das hät gfägt!

Facts

Tällistock - La Trahison 7a (6b+ obl.) - 16 SL, 500m - C. & Y. Remy 1992 - ***;xxx
Material: 2x50m-Seile, 12 Express, Camalots 0.3-1 plus 1 kleinerer, evtl. Keilset

Eindrückliche und lange Kletterei durch den steilen, linken Wandteil am Tällistock. Man darf diese Route gut und gerne als anspruchsvolle Wendentour bezeichnen. Allerdings trifft man hier nicht auf die homogen beste Felsqualität ohne Bänder dazwischen wie ein paar Kilometer weiter östlich. Gestandene Alpinkletterer müssen sich vom einen oder anderen grasigen Band oder ein paar splittrigen Metern jedoch nicht abhalten lassen. Der Fels ist zudem meist besser als er auf den ersten Blick von unten aussieht, als heikel in Bezug auf die Gesteinsqualität empfanden wir die Route nirgends. Wenn, dann ist's im schlimmsten Fall etwas splittrig, lose Blöcke, hohle Schuppen und dergleichen gibt's hingegen kaum. Wie im Text bereits erwähnt, warten auch viele Klettermeter in bestem Wendenfels auf die Begeher, die Route hat viel Charakter und stellt schlicht und einfach ein Abenteuer dar. Insgesamt gibt's für mich drei Sterne, ich liebe sowas! Die Absicherung ist mit über 100 BH recht gut ausgefallen. Psychisch anspruchsvolles Harakiri-Gelände weitab von der letzten Sicherung tritt kaum auf, am ehesten noch aus dem insgesamt zugänglichen Rahmen fallen L5 und das Finish von L13 - geht aber schon. Leider gibt's kein Routenbuch, aber ich vermute, dass diese Tour noch kaum Wiederholer gefunden hat - Kletterspuren gibt's weder vor Ort, noch im Netz, noch durch mündliche Überlieferung. Irgendwie schade, es lohnt sich wirklich, jedenfalls für Leute die alpine Erfahrung haben oder dieser erweitern möchten.

Zu erwähnen ist der Abstieg: dieser führt zuoberst entlang von routenunabhängigen Abseilstellen, die alles andere als einfach aufzufinden sind. Im Rückblick kann ich nun sagen, dass wir wohl viel zu fest in Nähe der Aufstiegslinie (d.h. nur ~20m rechts davon) gesucht haben. Man muss zu Beginn viel mehr nach WSW abseilen, möglicherweise sogar in die grimmige Schlucht rechterhand und nicht über die Wand, in der man aufgestiegen ist. Sonst würde man nämlich unmöglich in direkter Linie die Fortsetzung der Abseilpiste über die Talmud weiter unten erreichen können. Eine Alternative und sicher nicht schlechte Lösung ist ein Fussabstieg. Auf einer Höhe von 2440m kann man vom Ausstieg den Gipfelaufbau nördlich umrunden und ins Tälli absteigen, um dann via Sätteli zurück zur Tällibahn zu gelangen. Als Zeit dafür sind ca. 1.5 Stunden zu veranschlagen. Man lese meinen Beitrag zur Inwyler/Bielmeier für weitere Hinweise zum nordseitigen Abstieg. Das nächste Mal (beim Klettern der benachbarten Talmud) werde ich jedenfalls sicher zu Fuss absteigen.

Ein Topo zur Route findet man in diversen Führern über das Berner Oberland (z.B. diverse Ausgaben des Schweiz Extrem, Arrampicare in Svizzera, SAC-Führer, ...). Diverse Details, die Proportionen und die unterschlagene L1 sind v.a. in den neueren Versionen jeweils unstimmig, zum Auffinden der Route sollte es aber dank den regelmässig steckenden BH dennoch reichen. Vorsicht ist v.a. nach dem Rissdach in L13 angezeigt - hier den Abbieger nach links nicht verpassen. Wenig erstaunlicherweise gibt das älteste Topo aus dem Schweiz Extrem von 1994 den Routenverlauf besser wider, als die späteren, mehr generalisierten Kopien davon. Der Zufall will es, dass genau dieses Topo in der Datenbank von alpinrouten.de verfügbar ist, daher hier eine Kopie davon.

Topo zur Route aus dem vergriffenen Schweiz Extrem von 1994. Quelle: alpinrouten.de