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Sonntag, 9. Oktober 2016

Bockmattli - Gravitation (8b)

Jetzt kann auch in den Bockmattli-Nordwänden im zehnten UIAA-Grad geklettert werden! Daniel Benz und Bruno Wälli haben am Ostturm mit der 6-SL-Route Gravitation (8b) eine neue Extremroute eingerichtet und rotpunkt geklettert. Auch die Kletterei ist wirklich cool: über 4 Seillängen ist's anhaltend schwer bei richtig guter, abwechslungsreicher Kletterei. Von Stellen an Sloperleisten über kleingriffig/technische Passagen zu knallharter Crimperei an Schüppchen/Untergriffen bis zu einem witzigen, sehr athletischen Hin-/Her-Quergang gibt's fast alles, was das Hardmover-Herz begehrt. Noch dazu ist es die einfachste und logische Route durch die eindrückliche Wand, ja vermutlich die einzige Freiklettermöglichkeit durch etwa 3 Hektar steiles Felsmaterial überhaupt, was die Route umso aussergewöhnlicher macht.

Der Routenverlauf durch die steile Nordwand am Bockmattli Ostturm.
Nebst der Tatsache, dass ich mit den Erstbegehern bekannt bin und allein deren Leistung hier schon eine Erwähnung verdient, konnte ich mir auch noch einen kleinen Anteil an der Geschichte dieser Route sichern. Am 12. September 2015 konnte ich nämlich mit Dani die erste bohrmaschinenfreie Kletterbegehung der Gravitation durchführen. Nachdem sich Dani Ende September 2016 eine durchgehende RP-Begehung sichern konnte, kann und will ich an dieser Stelle meine persönlichen Eindrücke wiedergeben. Der Zustieg vollzieht sich wie üblich zur Schwarzenegghöchi. Von dort steigt man aber nicht wie üblich zum Kletterhüttli auf, sondern wählt den markierten Wanderweg, der unterhalb der Türme zur Trepsenalp führt. Über die Geröllhalde unter dem Einschnitt zwischen Ostturm und Grossem Turm steigt man dann hinauf, die Aura der beinahe unendlich hoch und steil scheinenden Türme ist hier gewaltig! Bevor man losklettern kann, gilt es erst über steiles Grasgelände (ca. T5) und danach entlang einem Drahtseil über felsige Schrofen zum Einstieg zu kommen. Man kann und sollte hier bereits sichern, im Prinzip ist der Weg zum Einstieg aber problemlos.

Wandbuch, Seiten 1 und 2. Ab jetzt werden neue Kapitel beschrieben...
Nun, die Frage stellt sich, wer dieses Drahtseil denn überhaupt installiert hat. An dessen Ende beginnt nämlich nicht nur die Gravitation, sondern auch eine historische Route. In technischer Kletterei hat hier jemand im Meterabstand auf der Linie des fallenden Tropfens Bohrhaken angebracht. Vermutlich in äusserst mühsamer, zeitraubender Handarbeit. Aufgrund von Stil und Material dürfte die Linie der Epoche der späten 1960er- oder 1970er-Jahre zuzuordnen sein. Es ist sozusagen die Kompressorroute am Bockmattli - und sowas gilt ja heutzutage eher als Schandfleck. Trotz vielerlei Anstrengungen konnten wir nicht herausfinden, wer der Urheber ist, bzw. was es mit diesem in Wandmitte abgebrochenen Versuch auf sich hat. Weder ist in den früheren Ausgaben der Bockmattliführer (vor 1992) etwas darüber erwähnt, noch wissen Gebietskenner und Locals etwas darüber. Unsere Recherchen führten auch zur interessanten Geschichte von Heini Ryffel und seinem Gefährten Juli Hensler, welche nachweislich am Ostturm abgestürzt sind. Allerdings kaum in diesem Projekt, denn die Beschreibung passt gemäss den Texten (1,2) von Emil Zopfi und den Kommentaren dazu ganz und gar nicht. Und zudem hätte sich ein solch talentierter Freikletterer wie Heini Ryffel, der damals in kurzer Zeit viele der zeitgenössischen Masterpieces wiederholen konnte, wohl auch kaum einer solchen Nagelei hingegeben. Wie auch immer, legen wir den Fokus nun auf die neue Linie der Gravitation. 

L1, 25m, 7a: In steiler, athletischer und griffiger Kletterei geht's in einer kleinen Rechtsschleife aufwärts. Fordernde Kletterei bereits, die Felsqualität gut, aber im Vergleich zu dem was noch folgt nicht erste Sahne. Gut eingebohrt ist's auch, im Runout zum Stand hin wird man aber bereits etwas getestet.

Bereits fordernde Kletterei in L1 (7a), trotzdem ist's natürlich nur ein Aufwärmen für das, was kommt.
L2, 45m, 7c+/8a: Eine Monsterlänge! Zuerst geht's dem markanten, grauen Streifen entlang, noch gemeinsam mit der Artifroute. Bald werden die Griffe aber kleiner und die Kletterei schwer. In abschüssigem Gelände gilt es sich an sloprigen Leisten in die Höhe zu arbeiten. Sobald man nach rechts in die gelbe Wand hinausquert, gibt's auch wieder etwas positivere Griffe, die Länge bleibt aber bis zum Schluss fordernd, auch weil gegen das Ende hin die Hakenabstände immer grösser werden.

Betont senkrechte, anhaltend schwierige Wandkletterei wartet in L2 (7c+/8a). Der Kontrast zum Brüggler hinten enorm!
L3, 20m, 7b: Vom Stand gilt es, zuerst ein Stück über L2 zurückzuklettern, um dann in fordernder Wandkletterei im gelben Fels hinaufzumoven. Man kommt schliesslich zu einem Ruhepunkt, von welchem ein witziger, technischer Boulder am einem 1-Finger-Untergriff folgt - ob man's glaubt oder nicht, mir ging es tatsächlich bei Verwendung des kleinen Fingers am besten. Zuletzt dann noch etwas weniger schön (flechtig/dreckig) aber doch nicht ganz einfach in die Oase (Grasinsel in Wandmitte), wo sich noch einige Relikte der früheren Kletterer befinden.

Der Move am Pinky Mono in L3 (7b) - unglaublich aber wahr, mit den anderen Fingern fühlte es sich schlechter an.
L4, 45m, 8b: Eine weitere Monsterlänge! Der Auftakt in einer Querung nach rechts einfach (ca. 6a), aber oft dreckig und nass - für diesen Fall haben die Erstbegeher ein kurzes Seilstück zurückgelassen. Danach die steile Verschneidung hinauf (ca. 6c), auch noch nicht so überzeugend. Das Herzstück folgt dann aber, wenn beim Ende der Hakenleiter das markante Dach überquert wird. Auf der senkrechten oder gar leicht überhängenden Platte geht die Post ab - an kleinen, scharfen Kratzern und ein paar Untergriffschüppchen arbeitet man sich in die Höhe. Erst die allerletzten Meter zum Stand mit Wandbuch unter dem markanten Dachriegel bieten wieder etwas makroskopische Griffe.

Knallharte Crimperei an Tropflöchern und kleinen Schüppchen in der überhängenden Wand: L4, 8b.
L5, 25m, 7c+: Es bleibt zu hoffen, dass während dem Eintrag im Wandbuch wieder etwas Kraft zurückgekehrt ist. Denn die braucht es hier definitiv. Die einzige frei kletterbare Linie führt erst in einem Quergang etwa 7m nach links, dann anspruchsvoll mit einem dynamischen Move 3m hinauf. Danach quert man wieder zurück, bis man oberhalb vom Stand steht - also 15 richtig schwere Klettermeter für nur 3-4m Terraingewinn. Vor allem die Rückquerung hat es in sich, an runden Griffen und sehr trittarm (im hier nun typischen, glatten Bockmattli-Nordwandfels, bis dahin kommt das Tanzparkett kaum vor) gilt es zu klettern. Wegen der eher knapp gehaltenen Absicherung muss hier der Nachsteiger ebenso sehr parat sein - ein idealer Ort, um eine neue Freundin auf Alpintauglichkeit und stabile Psyche zu testen ;-) Nach einem fordernden Dynamo und einer Hangelstelle sind dann erst die letzten Meter entlang einer Verschneidung etwas einfacher (ca. 7a), dafür teilweise selber abzusichern.

Auch die letzten Meter in der Verschneidung der anspruchsvollen L5 (7c+) sind nicht geschenkt.
L6, 55m, 6c+: Eine wirklich genussvolle Abschlusslänge im typischen Bockmattli-Nordwandstyle. Erst durch eine lässige Verschneidung, dann ein griffig-überhängender Wulst und zuletzt dann noch etwas Auslaufen in einfacherem 6a-Plaisir-Gelände. 

Typische, sehr schöne Bockmattli-Kletterei in L6 (6c+). L1-L4 haben jedoch anderen Charakter (schärfer & steiler).
Das Routenende befindet sich auf einem breiten Band. Ich hatte erst noch moniert, dass eine Route doch schliesslich auf dem Gipfel zu Ende sein solle - vor Ort musste ich dann aber auch klar eingestehen, dass eine Weiterführung keinen Sinn gemacht hätte. Wer will nach einem 8b-Testpiece noch 2-3 SL in schrofigen Vierern rumeiern, nur um danach mühsam wieder darüber abseilen zu müssen. Anwärter, welche nebst hohem Niveau auch noch ein richtiges Alpinistenherz mitbringen, könnten den Gipfel aber mit etwas Trad-Gear (oder evtl. einem Queren in die Kälin/Steiner) vermutlich erreichen - wahrscheinlich käme man dann über den Trubadur auch wieder runter. But try at your own risk! Die steile Abseilfahrt über die haltlose Wand ist dann ebenfalls sehr eindrücklich und erfordert Aufmerksamkeit. Witzig ist auch der reproduzierbare Peitschenknall vom Seil, welches hier fast 120m ungebremst in die Tiefe fällt - inmitten der steilen Arena hallt es besonders laut, nur nicht zu Tode erschrecken! Über den Vorbau kann dann ebenfalls in direkter Linie und erstaunlich bequem abgeseilt werden. Bald darauf steht man also wieder unter den Türmen und blickt auf eine grandiose Kletterei zurück. Ich bin gespannt, wann die Route ihre ersten Wiederholer findet, und wie sie diese dann einschätzen.

Eindrücklich steile Abseilerei bei haltloser Perspektive...
...beim Seil abziehen macht's reproduzierbar "peng", und das ist das Resultat am Seilende.
Steiles Abseilen über den unteren Wandsteil, der Fels hier scharf und gar nicht bockmattlitypisch.

Facts

Bockmattli Ostturm - Gravitation 8b (ca. 7b obl.) - 6 SL, 215m - Benz/Wälli 2015/16 - ****;xxx
Material: 2x60m-Seile, 15 Express, Camalots 0.5-2, Handschuhe fürs Drahtseil

Eine wirklich coole Extremroute, die über 4 Seillängen anhaltend anspruchsvoll ist. Die schweren Stellen sind nicht total abgefahrene und halbwegs unmögliche Boulder, sondern "normale Kletterei", halt einfach an entsprechend kleinen/schlechten Griffen und Tritten. Es wird einem viel Abwechslung in einem super Ambiente geboten: Sloperleisten, Kratzer-Passagen, Untergriffe und ein witziger Quergang. Es handelt sich zudem um den leichtesten und damit logischen Wanddurchstieg, die Schwierigkeiten sind überhaupt nicht gesucht oder erzwungen. Somit darf man für die Schönheit auf jeden Fall 4 Sterne vergeben, der Fels ist gut und solide, wenn auch nicht auf jedem Meter von 1a-Qualität (sprich da und dort auch mal etwas staubig oder belagig). Die Absicherung würde ich über weite Strecken als xxxx bezeichnen, einige Stellen (Ende von L1 und L2, Beginn von L3, L5) sind aber fordernder, deshalb insgesamt xxx. Es stecken solide Inoxbolts, stellenweise muss man in leichterem Gelände noch etwas mit Cams ergänzen, was aber bei offensichtlichen Placements problemlos möglich ist. Nach starken Regenfällen und im Frühjahr braucht die Route etwas Zeit, bis sie richtig abgetrocknet ist. Sie bleibt im Hochsommer bis gegen 15.30-16.00 Uhr im Schatten, im Herbst erreicht die Sonne die schweren, unteren Seillängen kaum mehr. Das hervorragende Topo der Erstbegeher kann man hier als PDF runterladen: klick!

2 Kommentare:

  1. Sälü mitenand,
    also zu den Bohrhaken hätte ich möglicherweise etwas Zusatz-Informationen. Zeitpunkt leider nicht sehr zuverlässig, aber wahrscheinlich Mitte 60er Jahre. Soweit ich mich entsinne war dieser 'Bohrer' Robert Strahm, der da mit viel Handarbeit hochgeklommen ist. So wie er uns erzählte, kam da aus einigen der gebohrten Löcher direkt Wasser heraus, was dann zum Abbruch des Unternehmens führte. Sicherung wurde (glaube ich) durch seine Frau geleistet (später am Bondo-Pass umgekommen?). Ob dieser Robert Strahm der gleiche ist wie der der in Mönchaltdorf wohnt weiss ich nicht.
    Grüsse, Rolf Ganahl, jetzt in Grand Junction, Colorado, USA
    P.S. gewaltige Tour u. Leistung, gratuliere.
    Zu unserer Zeit konzentrierten wir uns darauf, ohne Trittleitern auszukommen. Kletterwánde (gyms) gab es damals ja noch nicht. Training im Donautal und Calnanques.

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    1. Hallo Rolf,

      Vielen Dank für die Infos, sehr interessant! Ja, das waren noch Zeiten...

      Beste Grüsse, Marcel

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