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Samstag, 27. Juni 2020

Handegg - Herrenpartie (6b)

Die ersten Routen an der Spiegelwand bei der Handegg wurden wie viele anlässlich der Erschliessungswelle zum Ende der 1970er-Jahre von Hans Howald und Gefährten eingerichtet. Sie führen durch sauberen, über weite Strecken vom Gletscher polierten Granit und bieten vorwiegend Reibungskletterei. Aufgrund der spärlichen Absicherung gerieten diese im Lauf der Zeit mehr und mehr in Vergessenheit. Aus dem Dornröschenschlaf geweckt wurde der Sektor mit der Sanierung von Herrenpartie und Schiefer Traum im 2015/2017. Nun verirren sich - absolut zurecht -  wieder vermehrt Kletterer an diese Wand hinauf. Weil der Zustieg ein wenig länger und auch ein wenig alpiner wie zu vielen anderen Grimsel-Sektoren ist, geniesst man jedoch immer noch ein wenig mehr Einsamkeit. Auch wir wollten die Spiegelwand erkunden, aufgrund von (im Frühjahr stets präsenten) Schneeresten wählten wir schliesslich die etwas einfacher zugängliche Herrenpartie.

Sicht vom Bügeleisen gegenüber auf die Handegg-Wände mit dem Zustieg und dem Verlauf der Herrenpartie.
Der Zustieg erfolgt vom Kraftwerk Handegg, bitte die im Plaisir West ausgewiesenen Parkplätze benutzen, man darf sein Auto nicht überall hinstellen. Man läuft dann am Kraftwerksgebäude vorbei, unmittelbar dahinter beginnt der ausgeschilderte Pfad, welcher in wenigen Minuten auf die aufgeschüttete Ebene hinaufführt. Hier hält man sich nach links, biegt um die Ecke und passiert den Einstieg vom Katzenpfad. Am linken Ende dieser Felszone geht's ca. 30m steil durch ein Couloir hinauf (Fixseil, freigeklettert ca. 3a), über welches man ein Erlenwäldchen mit Pfadspuren erreicht. Durch dieses hindurch in wieder offenes Gelände. Man quert die felsige Zone, d.h. den Auslauf der Schlucht zwischen Spiegelwand und Ölberg, nach links zum Fuss der Spiegelwand. Hier hält sich bis in den Sommer hinein ein Schneefeld, welches den Zugang zum Originaleinstieg der Herrenpartie, bzw. der etwas rechts davon verlaufenden Sanierungsvariante erschwert. In diesem Fall muss man entweder alpines Gerät mitführen (und die potenzielle Randkluft beachten) oder den alternativen Einstieg links in der Verschneidung wählen.


Im Zustieg mit Aussicht auf die Spiegelwand, gerade vor der heiklen Zone (siehe Beschrieb unten).
Achtung: solange oberhalb in der Schlucht noch Schneeresten liegen, kann in der Querung der Auslaufzone und beim unteren Einstieg erhebliche Eisschlag- bzw. Schneerutschgefahr herrschen. Zur Zeit unserer Begehung lagen grosse, von unten nicht einsehbare Blöcke auf Abpfiff und prompt kam es im Tagesverlauf zu 2 massiven Abgängen. Daher wachsam sein und im Zweifel über die Verschneidung links einsteigen, die heikle Zone im Zustieg hat man in wenigen Sekunden überquert. Der Weg zur Verschneidung führt (bei Ausaperung) durch eine geröllige Zone, solange das Schneefeld noch vorhanden ist, muss man links recht steil etwas exponiert über eine Art Moräne schnafeln und dann zum Einstieg queren. Um 10.30 Uhr waren wir bereit zum Starten, die Sonne hatte uns eben erreicht.

L1, 40m, 3b: Aufgrund der Darstellung im Plaisir könnte man in Versuchung kommen, diese Länge seilfrei oder mit Turnschuhen zu begehen. Das scheint mir gar nicht empfehlenswert, doch eigentlich erkennt man schon von unten, dass man es hier nicht mehr mit Semi-Gehgelände zu tun hat. Wesentlich einfacher wie die letzten paar, mit 5b bewerteten Herrenpartie-Längen dünkte mich dieser Abschnitt jedenfalls nicht. Ein bisschen schade, dass die Variante wenige Meter rechts der Verschneidung über die schöne Platte nicht auch saniert ist, die wäre sicher attraktiv. Vermutlich aber gehört sie zum 'Soläblitz'. Es stecken 2 Uralt-Bolts, vermutlich ginge es auch so - den Schneid es auszuprobieren hatte ich vor Ort aber nicht. Für die kleine Verschneidung im oberen Teil dieser Alternativlänge bräuchte man vermutlich auch mobiles Material.

In der Einstiegsverschneidung (L1, 3b) - mich dünkt, dass diese Länge nach Plaisirbewertung eher ein Fünfer ist.
L2, 40m, 5a: Im Plaisir ist dieser Abschnitt komplett als Gehgelände aufgeführt. Tatsächlich kann man auf dem grasigen Band mühelos nach rechts gehen, allerdings müsste man sich dann drüben ohne Stand und Sicherung den Vorsteiger in der nominellen L1 kümmern, was wenig empfehlenswert scheint. Besser also eine Seillänge machen - übers Band, dann noch über 2 Bohrhaken hinauf (ca. 5a) zum Stand mit Drahtseil, gemäss der Plaisir-Zählung quasi der nullte Stand der Herrenpartie.

L3, 30m, 5a: Über erst noch etwas gestuftes Gelände geht es aufwärts, bevor man nach links quert. Das löst sich alles viel einfacher auf, als man von unten meinen könnte. Auch das Bächlein, das hier herunterrann, liess sich problemlos queren, man musste kaum nasse Griffe und Tritte benutzen.

Die letzten, gemässigten Meter (L3, 5a), bevor es dann bald richtig ernst gilt. Auf 11 Uhr der Kletterin die absturzbereiten Schneemassen.
L4, 35m, 6a: Nun gilt es ernst, gleich vom Stand weg folgt die erste richtig schwierige Kletterstelle. Im Originalzustand war das eine echt kühne Sache, der alte Bohri steckt erst sehr weit oben. Heute ist die Stelle jedoch bestens abgesichert, man darf auf dieser Strecke bereits 3x klippen. Etwas Struktur mit ein paar kleinen Leisten und Tritten hilft einem hier vorwärts, Klasse! Es geht dann etwas einfacher dahin, bis man zum Schluss unmittelbar neben der grasigen Verschneidung nochmals fein klettern darf.

Am Ende von L4 (6a) zwingen uns erste Rinnsale auf eine leicht schwierigere Linie links der Haken.
L5, 40m, 5c: Erst noch in der Verschneidung, dann klettert man über diese hinweg auf die Platte. Da offenbarte sich für uns endgültig, dass die Herrenpartie zwar durchaus mittig im trockensten Bereich zwischen den zwei markanten Wasserstreifen durchführt, aber eben durchaus noch manches Neben-Rinnsal vorhanden war. Etwas erschwert musste man einen ca. 1m breiten, trockenen Streifen etwas neben der gut benetzten Hakenlinie benutzen - wobei, in einer Route wo es kaum Griffe und Tritte hat, sollte eigentlich auch das gehen (war dann auch der Fall, mir schien dieser Abschnitt jedoch schwieriger wie 5c). Der weit aussehende Hakenabstand löst sich übrigens perfekt auf.

Klettern unter erschwerten Bedingungen in L5 (5c) - aber es ging!
L6, 40m, 6b: Die Crux! Am Anfang geht's erst noch gut, wobei man nach dem ersten Haken sein Gespür für die Reibung bereits einmal kalibrieren kann. Ein paar unerwartet auftauchende Leisten erlauben aber generell zuerst ein noch recht kommodes Vorwärtskommen. Zuspitzen tut sich die Sache nicht unerwartet dort, wo schon Hans Howald 1979 seinen Bohrer für die damals einzige Zwischensicherung auf dieser Seillänge angesetzt hat. Vom heute vierten Bohrhaken weg gilt es ernst, in Reibungskletterei am Haftungslimit muss man mit präzisen Bewegungen in die Höhe schleichen - immer wieder ein aufregendes Gefühl, cool! Früher war diese Stelle nur mit VI- (d.h. 5c) bewertet. Ich vermute aber, dass man damals 2-3m weiter rechts an der kleinen Verschneidung geklettert ist, was etwas leichter (aber dafür nicht immer trocken) sein dürfte. Wenn man nicht schon vorher ins Rutschen gekommen ist, so kriegt man schlussendlich wieder ein paar Leisten in die Hand und kann etwas kontrollierter Voranschreiten. Doch am Ende dieser Länge, vom alten Muniring hinauf zum neuen Stand wartet nochmals eine knifflige Passage (siehe Video).

Rückblick auf die steil-glatte Reibungspassage der Crux (L6, 6b), noch im Vorstieg auf einer guten Trittleiste fotografiert.
L7, 40m, 5b+: Die letzten vier Seillängen der Herrenpartie bieten sehr schöne, nun aber markant einfachere Reibungskletterei. So kann man es gut zusammenfassen, allerdings könnte man zum Start dieser Seillänge durchaus fragen, ob der werte Herr Dettling bei diesem Fazit nicht ein wenig stark generalisiert hat. Die ersten Schritte vom Stand weg heisst's nochmals sauber schleichen, es ist gleich die anspruchsvollste Passage. Nachher geht's über den Plattenrücken wenige Meter neben dem grossen Pfeiler mit seiner etwas grasigen Verschneidung dann deutlich gemässigter vorwärts.

L8, 50m, 5b: Hier gibt's etwas Abwechslung, da man zuerst (natürlich immer noch vorwiegend auf Reibung) einer Verschneidung entlangklettert. Auch weiter oben folgen einige Rippen, die man gut als Seitgriffe nutzen kann. Insgesamt eine gemütliche Sache.

Wunderbar geniale Reibungsplatten warten im oberen Teil der Herrepartie - da hat der Gletscher saubere Arbeit geleistet.
L9, 45m, 5b: Viel gibt's hier nicht zu sagen, es gibt kaum Griffe/Tritte - reine Reibungskletterei, wo man einfach in die Höhe schleichen, laufen, spazieren, flanieren, ... kann. Speziell: bei den alten Haken sind die Ringe ganz schön in die Länge gezogen, auch bei den neuen Bolts sind die Plättli schon deutlich flachgedrückt. Hier liegt im Winter wohl oft ein Schnee- oder Eispanzer auf dem Fels, der langsam zu Tale kriecht.

L10, 35m, 5b: Der schwierigste Schritt folgt gleich nach dem Stand, danach geht's sehr schön und einfacher über einige typische Handegg-Badewannen hinweg, bevor man zum einfachen Reibungs-Schlussspurt exakt mittig zwischen Wasserstreifen ansetzen darf.

Geschafft! Die letzten Meter in L10 (5b) sind flacher, da müssen die Plattenkrallen nicht mehr zum Einsatz kommen.
An dieser Stelle endet die Route, original führte sie noch 2 Seillängen weiter. Da das Gelände oberhalb aber flacher/einfacher und weniger interessant wird und zudem viele lose Steine herumliegen, deren Auslösen die ganze Wand und alle Kletterer gefähret, haben die Sanierer entschieden, das Material oberhalb abzubauen. Es war gut 14.00 Uhr, wir hatten also rund 3:30 Stunden gebraucht - wenn man kann und will, geht es sicher auch schneller. Da uns aber ein wunderbarer Bergtag vergönnt war und wir die ganze Spiegelwand für uns hatten, nahmen wir es gemütlich, schossen ausgiebig Fotos und liessen auch einige Verpflegungspausen nicht aus. Insbesondere die Einblicke auf die oberen Längen vom Siebenschläfer waren spannend, die kannten wir ja von unserer Begehung 10 Tage zuvor bestens. So konnten wir allen Seilschaften bei ihrem Treiben zusehen, die Stellen kommentieren und jeweils prophezeien "Achtung, jetzt kommt er/sie dann ins Rutschen (oder greift zum Haken)". An der äusserst glatten und kniffligen Crux in L5 vom Siebenschläfer (6b+) bewahrheitete sich diese Prognose jedes Mal ;-) 

Coole Perspektive auf die oberen Seillängen vom Siebenschläfer.
Schlussendlich war es dann aber doch Zeit zum Abseilen. Auf den glatten Platten geht es mühelos, da das Seil jeweils selbständig in die Tiefe gleitet, perfekt. Es sind aber doch 9 Strecken, gefolgt vom alpinen Abstieg über die Moräne, die immer noch den Eisblöcken ausgesetzte Traverse, das Erlenwäldchen und schliesslich das Couloir. Dann konnten wir es rollen lassen und ab ins Restaurant Handegg. Da zeigte sich dann, dass wir doch ein wenig mehr auf die Tube hätten drücken sollen. Die Küche hatte an diesem Tag schon ab 16 Uhr geschlossen. Diese Marke hatten wir um wenige Minuten verpasst, so dass die erhofften Pommes-Frites leider ausfallen mussten. Es gibt ja aber noch einige Handegg-Touren mehr, so dass wir sicher zurück kommen werden und uns dann möglicherweise gleich eine Doppelportion gönnen werden :-)



Facts

Handegg - Herrenpartie 6b (5c+ obl.) - 10 SL, 400m - H. Howald et al. 1979, saniert 2017 - ***;xxxx
Material: 2x50m-Seile, 12 Express, Cams/Keile nicht nötig und kaum einsetzbar

Die Route bietet nahezu ausschliesslich Reibungskletterei in geneigtem, vom Gletscher polierten und sauberem Granit. Wer an dieser Art Kletterei Freude hat, kommt also voll auf seine Kosten. Negativ bemerken mag man die Absenz von Abwechslung oder ganz markanten Passagen. Die Sanierung durch Roland & Renate Kernen und Knut Burgdorf im 2017 ist vorbildlich ausgefallen. Die Route wurde wo nötig/sinnvoll korrigiert und durch die schönsten Passagen gelegt, die Haken stecken so, dass man die Kletterei stressfrei geniessen kann, aber trotzdem noch ein gewisser Anspruch besteht - perfekt! Noch grösser sind die Änderungen beim (meist nassen) Originaleinstieg (R. 315b im Topo unten), wo man auf 2 Seillängen einer komplett neuen, besseren Linie folgt. Früh im Jahr ist aber auch dieser wegen dem grossen Schneefeld nicht zugänglich - man kann dann über die Verschneidung links aussen in die Route gelangen. Die Route ist im Plaisir West 2019 mit der linken Einstiegsvariante aufgeführt, an dieser Stelle wird das Topo vom Sanierungsteam zur Verfügung gestellt - vielen Dank!


Freitag, 19. Juni 2020

Gelmerfluh - Sagittarius (6b)

Weil es "im Restaurant Handeck so feine Pommes-Frites gebe" wollten die Kinder nach dem Auffahrts- nun auch das Pfingstweekend am Grimsel verbringen. Nun denn, Motivation ist alles, mit der Absicht neben kulinarischen Genüssen auch noch die eine oder andere Granittour zu klettern, fuhren wir erneut mit im überhängenden Kalk müde sportgekletterten Fingern ins Haslital. Da ganz offensichtlich noch wenig los war, ergab sich für Larina und mich am Pfingstsonntag schliesslich die spontane Gelegenheit, die enorm populäre Sagittarius an der Gelmerflue zu klettern. Diese wurde im 2003 vom Team Filidor um Jürg von Känel mit vielen Bolts super eingerichtet, wobei die Route teils alten (noch heute sichtbaren) Spuren folgt. Sie bietet nach 3 noch eher durchschnittlichen Auftaktseillängen vor allem im mittleren und oberen Teil wirklich hervorragende Kletterei mit viel Abwechslung. 

Das sind Ausblicke! Der 30m-Riss im mittleren Teil der Sagittarius (L7, 6a+) bietet wirklich fantastische Granitkletterei!
Der Zustieg vollzieht sich ab Chuenzentännlen P.1597 an der Grimselstrasse. Der Zustieg folgt einem gut ausgetretenen Pfad, allerdings ist gerade das erste Stück am dem PP wenig ausgeprägt, so dass ein wenig Spürsinn gefragt ist. Das Weglein führt nach rechts hoch zum Fuss der rechten Gelmerfluh-Platten, von wo man nach links der schon vom PP erkennbaren Rampe folgt. Diese ist breiter und einfacher zu begehen, als es a priori den Anschein macht, trotzdem warten auch ein paar mässig exponierte Kraxelstellen in etwas plattigem Fels (T4+, teils I-II). Im Frühjahr halten sich oft lange Schneereste, was die Sache heikel machen kann - im extrem trockenen 2020 gab es jedoch bereits Ende Mai nur letzte, kleine Batzen, die harmlos und umgehbar waren. Nach total 20 Minuten erreichten wir den bequemen Platz unmittelbar vor den Einstiegen, wo man sich bereit machen und das Material sicher verstauen kann - erstaunlich, wie manche Leute hier an diesem betriebsamen Ort mit viel Vertrauen ihre Schuhe an exponierten Plätzen deponiert hatten... so tritt wohl öfters mal einer, losgelöst durch ein ausgeworfenes Seil oder eine unachtsam abseilende Person den Weg in die Tiefe an. Item, eine erste Seilschaft war bereits in der Mitte der Sagittarius unterwegs, eine zweite hatte eben den ersten Stand erreicht und von hinten rückten weitere Leute heran. So hiess es einsteigen, wofür man vom Depot noch etwas nach links hinauf zum beschrifteten Start steigen muss. Um 10.30 Uhr ging es schliesslich los.

Wandbild mit dem (perspektivisch etwas verzerrten) Verlauf der Sagittarius. Ich fand immer (und finde immer noch), dass die Wand von der Strasse gar nicht so überaus attraktiv aussieht. Aber es täuscht hier wirklich, die Kletterei ist viel lohnender, wie man auf den ersten Blick meinen könnte.
L1, 5a & L2, 5c+: Die ersten beiden Abschnitte können auch mit 50m-Stricken gut zu einer Seillänge zusammengefasst werden. Zuerst geht's noch etwas alpin über Stufen und das Grasband nach links, schliesslich an etwas runden Rissen mit einer kurzen Reibungspassage hinauf, wo schon bald der erste Stand folgt. Der zweite Teil ist deutlich schwieriger: weiterhin gibt's runde Risse, eine kleine Verschneidung und auch ein paar Leisten in der Platte - hier muss definitiv schon da und dort geschaut und schlau angetreten werden.

L3, 6a: Die im Topo mit Kusiplatte benannte Sequenz weckt einige Erwartungen, es handelt sich aber um eine der am wenigsten lohnenden Seillängen der Tour. Zuerst geht's gut griffig und easy durch eine fast kaminartige Rinne über einen etwas steileren Aufschwung, bevor man schliesslich zur wenige Meter hohen, glatten Platte gelangt. Diese kann mit einem etwas schwierigeren Schritt in einer Delle direkt geklettert werden, alternativ geht's rechtsherum mit Hilfe der rissigen Strukturen wohl einfacher und notfalls sicherlich A0.

Larina folgt auf der Kusiplatte (L3, 6a) - diese ersten 3 Seillängen sind noch nicht ganz das Gelbe vom Ei.
L4, 5c+ & L5, 5c+: Vom bequemen Stand am Pfeiler steigt man ganz wenig auf und quert dann das Couloir in die Wand rechts, wo ein supercooler Abschnitt folgt. Gleich zu Beginn der Wand eine schwierige Stelle auf Reibung, danach turnt man genussreich an diagonal verlaufenden Strukturen in die Höhe. Sofern man über 60m-Seile und genügend Exen verfügt, kann man den etwas links aussen liegenden, mässig bequemen Stand auslassen und gleich in L5 weiterklettern. Diese führt ohne besondere Schwierigkeiten erst einer diagonalen Rissspur entlang. Die Crux folgt gegen das Ende hin an einer kurzen Verschneidung, wo an der runden Kante gedülfert und ziemlich glatt angetreten werden muss. Zuletzt nach links hinauf zum Stand.

Ab hier ändert der Fels und die Kletterei ist viel schöner. Unterwegs in den zusammengehängten L3 & L4 (5c+).
L6, 6a+: Mit der schwarz(-weissen) Kante wartet eine weitere Signature-Stelle der Route. Von weiter unten sieht's noch etwas unnahbar aus, schliesslich präsentiert sich links der Kante aber eine griffige Rissschwarte, die auch bereitwillig Cams fressen würde (ist aber alles eng geboltet). Schliesslich gibt man den Riss auf und entert in etwas schwierigerer Kletterei die Kante, was einen schliesslich leichter zur Crux bringt, die aus einem schwierigen Reibungsschritt in die Verschneidung rechts besteht. Griffe gibt's da so gut wie keine, es heisst hinstehen und darauf vertrauen, dass die Füsse auf der leicht sandigen Platte nicht rutschen (oder am Bolt ziehen, A0 möglich). Ich empfand das als den schwierigsten oder zumindest heikelsten bzw. unkontrollierbarsten Move der Route. Da war ich echt kurz unsicher, aber der Fuss hielt schliesslich...

Sehr schöne Kletterei in L6 (6a+). Larina gerade beim Entern der Kante, die Crux über die schattige Platte im Vordergrund.
L7, 6a+: Der 30m-Riss, das Highlight der Sagittarius! Bevor man an diesem sagenhaften Splitter in die Höhe turnen kann, heisst es aber erst eine Wandstelle zu bewältigen - geht gut direkt, etwas absteigend womöglich einfacher. Dann heisst es vorerst cruisen, stehen doch gleich 3 Risse zur Verfügung - wie gemacht, um zu steigen. Auch Cams könnten hier à discretion versorgt werden, aber in der Sagittarius ist das nicht im Programm (alles eng geboltet). Je weiter man kommt, desto schwieriger wird der Riss, am kniffligsten ist das horizontal nach rechts verlaufende Stück. Zuletzt dann wieder einfacher und eher piazmässig an Schwarten zum Stand.

That's a justified grin! Der 30m-Riss (L7, 6a+) ist die herausragende Seillänge der Sagittarius.
L8, 6b & L9, 6a: Mit Tom's Dach folgt nun die nominelle Schlüsselstelle. Gleich vom Stand weg nach links unter einem kleinen Wulst an ein paar Leisten mit den Füssen auf Reibung nach links, gefolgt vom Mantle auf den guten Tritt an der "Dach"kante. Auf den nächsten 2-3m muss gescheit auf Reibung angetreten werden, danach über das wunderschöne Flachdach (=Platte) üppig strukturiert und genussreich zum unbequemen Stand. Nach meinem Empfinden war das ein 'petit 6b', kein Vergleich z.B. mit der 6b+ Reibungscrux im Siebenschläfer, ebenso massiv einfacher wie die dortigen 6b-Längen oder die 6b-Crux der Herrenpartie, eher vergleichbar mit den Anforderungen am Bügeleisen, welches nur mit 5c+ oder 6a bewertet ist. Aber sei's drum, Kletterbewertungen sind und bleiben individuell-variabel-diskutabel, das weiss man ja schon lange. Wer 60m-Seile und genügend Exen hat, kann den Stand mitten in der Platte auslassen und gleich weiter auf die folgende Länge. Diese verläuft erst weiter auf der Platte (geht gut), der zweite Teil kommt dann steiler, dafür griffiger vorher. Coole Moves an Leisten wollen geplant und sauber ausgeführt werden, super!

Unterwegs in der tollen L9 (6a), hinter der Akteurin die rötliche Platte (Toms Flachdach) über welche L8 (6b) verläuft.
L10 - L13, 5b-6a: Die restlichen 4 Seillängen haben nun einen ganz anderen Charakter, sind sich alle sehr ähnlich und äusserst genussreich zu klettern. Der Fels wird hier steiler, ist aber unverschämt griffig mit vielen Knubbeln und granatenähnlichen Strukturen - etwas Vorsicht ist jedoch nötig, da nicht alle davon bombenfest verankert sind (geht aber schon, keine Sorge). Die Absicherung ist weiterhin super, die angegebenen Schwierigkeiten schienen mir generell, aber auch selbst im Vergleich mit den plattigeren Längen im unteren Teil als etwas zu hoch eingestuft - mir schien das alles eher im unteren bis mittleren Fünferbereich zu sein. Die ganz markanten Passagen fehlen hier, L10 führt nach der Crux zu Beginn direkt über den Pfeiler, in L11 verlässt man diesen nach links, L12 ist gleich zu Beginn nochmals etwas steiler und schwieriger, L13 ist schliesslich sehr kurz. Wir brauchten für diesen letzten Abschnitt nur gerade mehr eine gute Stunde, ein weiterer Beleg dafür, dass es sich um Cruising-Gelände handelt.

Durchaus etwas Exposition und schön griffiges Gelände trifft man in den Seillängen 10-13 der Sagittarius.
Um 14.30 Uhr hatten wir also nach 4:00h gemütlicher und genussreicher Kletterei das Top erreicht, welches wenig oberhalb vom letzten Stand einen vorzüglichen Pausenplatz bietet. Trotz Pfingstsonntag und Grossandrang war soweit alles perfekt aufgegangen. Die beiden Seilschaften vor uns kamen zügig voran, von hinten drängelte niemand nach, so dass wir ohne Hast und mit ein paar Futter- und Umschaupausen an den Ständen unterwegs sein konnten. Der Abstieg erfolgt durch Abseilen über die Route, eine separate Piste gibt es leider nicht. Somit sind unweigerlich alle nachfolgenden Seilschaften zu kreuzen - nicht ganz optimal, geht aber schon. Im oberen Teil sind die Seillängen leider gerade ein wenig zu lang, um Stände überspringen zu können. Andererseits wäre es wegen der Gefahr von Seilverhängern auch wenig ratsam. Hier ist umsichtiges Verhalten und gute Seilpflege angesagt. Die zahlreichen Schuppen sind seilfressend und dieses einfach freizuzerren birgt das Risiko, Steine zu lösen und die zahlreichen Personen weiter unten zu gefährden. Ab L9 geht's dann im plattigeren Gelände rascher voran, hier können schliesslich (selbst mit 50m-Seilen) noch 3 Stände übersprungen werden, so dass man nach 10 Manövern wieder beim Depot steht. Wer gut zu Fuss ist, steigt wohl am besten wieder über das Band ab. Wir wählten den 50m-Abseiler (Stand gleich links beim Depot), der uns auf dem Schnee am Wandfuss deponierte. Bei Ausaperung muss man hier nochmals 30m abseilen (der Stand wäre zugänglich gewesen, bei sehr viel Schnee ist er dies aber u.U. nicht!), doch da der Schnee schön weich war, liess es sich gut absteigen. Um 16.30 Uhr waren wir retour an der Strasse, jetzt war es höchste Zeit für die versprochenen Pommes-Frites!!!



Facts

Gelmerfluh - Sagittarius 6b (5c+ obl.) - 13 SL, 400m - Jürg von Känel et al. 2003 - ****;xxxx
Material: 2x50m-Seile, 13 Express, Cams/Keile nicht nötig

Hochfrequentierter Plaisir-Klassiker mit abwechslungsreicher Kletterei über Platten, Risse und griffige Wandabschnitte. Der Zustieg ist kurz, was natürlich zur Beliebtheit beiträgt. Trotz der Kürze erfordert er leichte Kraxelei und sollte auch nicht auf die allzu leichte Schulter genommen werden, solange im Frühjahr noch Schnee auf dem zu querenden Band liegt. Die Route selber scheint mir wenig von Wasserstreifen betroffen und dürfte damit früh im Jahr und auch nach Regenfällen bald wieder geniessbar sein. Der Absicherungsstandard "Plaisir super" ist hier sicher gerechtfertigt, überall wo es schwierig ist, stecken die Haken eng, nur im einfacheren Gelände muss man hier und da mal ein wenig über  die Haken steigen. Die Bewertungen sind im Grimsel- bzw. Granitvergleich eher milde ausgefallen. Somit erstaunt es nicht, dass es hier viel Andrang von Kletterern aus allen Herren Länder gibt. Stark variierendes Können und Erfahrung der Seilschaften, unterschiedliche Geschwindigkeiten und Vorstellungen von Kooperation und Standhandling können eine ebenso grosse Herausforderung wie die Kletterei an sich bieten. Man plane seine Begehung also entsprechend! Das Topo findet man im Plaisir West 2019, Band I sowie auch in älteren Ausgaben desselben Werks.

Sonntag, 14. Juni 2020

Handegg - Bügeleisen (6a)

Das Bügeleisen ist ein auffälliger Felspfeiler auf der orografisch linken Seite des Haslitals, genau gegenüber der Handegg-Wände mit ihren vielen bekannten Touren. Der helle Fels und die Kompaktheit lassen vermuten, dass man hier auf lohnende und herausfordernde Platten trifft und genau so entpuppt es sich dann auch. Wobei die Kletterei durchaus einen etwas anderen Charakter als gegenüber hat. Es ist etwas steiler, dafür ist der Fels ein wenig üppiger strukturiert. Auffallend sind auch die vielen stumpfen, diagonal verlaufenden Risse, die man immer wieder in seine Klettersequenz einzubauen hat. Mit dem kurzen Zustieg und einer Länge von nur 5 SL bzw. 200m handelt es sich eher um Halbtagestouren, die man im Vorbeigehen oder als Apéro bzw. Dessert zu einer anderen Tour mitnehmen kann.

Übersichtsbild mit Zustieg und Verlauf der Bügeleisen-Route. Ja, eigentlich erklettert man da nur einen kleinen Teil vom Berg. Hinten Golegghorn, Stampfhorn und Ritzlihorn. Das Foto wurde im Siebenschläfer gegenüber an den Handeggwänden aufgenommen.
Nachdem uns die Mama zwecks Steigerung des derzeit gebeutelten Bruttosozialprodukts verlassen hatte, galt es für uns drei übrig gebliebenen eine geeignete Tour zu finden. Ganz so hoch hinaus wie am Vortag mit dem Siebenschläfer zu gehen, schien dabei nicht die richtige Strategie zu sein. Entweder etwas moderates im Bereich von 10-12 Seillängen oder etwas schwierigere, aber dafür kürzere Touren standen zur Auswahl. Die Kids entschieden sich für das Bügeleisen, das war auch für meinen Geschmack eine attraktive Wahl. Direkt an der Grimselstrasse, beim Beginn einer mit Fahrverbot belegten Waldstrasse gibt's ein paar wenige Parkplätze. Dieser folgt man für 50m, wo ein mit Steinmännern markierter, guter Pfad abzweigt, der erst links und später rechts der Geröllreisse durchs Unterholz führt - sollte irgendwann Bushwhacking nötig sein, so ist man falsch unterwegs. Nach ca. 15 Minuten erreichten wir den Einstieg, wo eine andere Familie bereits mit der ersten Seillänge beschäftigt war. So konnten wir uns gemütlich auf die Tour vorbereiten und kletterten um ca. 10.15 Uhr los.

L1, 5a: Nachdem wir gut hatten beobachten können, was in dieser Länge auf einen wartet, entschloss sich Jerome zum Vorstieg. In bravouröser Manier schlich er über die erste Reibungsplatte, danach geht's auf einer Art Plattenrücken einfacher dahin, bevor sich im zweiten Teil ein nicht so einfach zu lesender, griffiger Wulst in den Weg stellt, bevor man den etwas unbequemen Stand erreicht.

L2, 5a: Wir nahmen einen Führungswechsel vor, die nächsten beiden Seillängen würde Larina im Vorstieg machen. Die zweite Länge bietet keine Reibungskletterei, sondern es geht einer diagonal verlaufenden Verwerfung entlang griffig in die Höhe, zum Schluss gibt's noch etwas Wandkletterei. Schöne Kletterei, gut abgesichert, der einzige Wermutstropfen ist der erneut etwas unbequeme Stand.

Ausblick auf L3 (5c), die Akteurin hat gerade den erwähnten Runout gemeistert (und diesen mit Schlinge an der Legföhre entschärft :-)).
L3, 5c: Im ersten Teil der Seillänge klettert man in ähnlichem Stil wie zuvor in der griffigen Wand und an diagonal verlaufenden Strukturen. Zum Abschluss der ersten Hälfte verunsichert ein "fehlender Bohrhaken" die Vorsteigerin. Klar, das Gelände ist da einfacher, aber passen die dortigen 8m Hakenabstand wirklich noch zur Einstufung "Plaisir super"? Wie auch immer, es geht schon, stürzen vor dem nächsten Klipp wäre aber definitiv keine gute Idee. Schwierig wird es aber erst etwas später, plötzlich verschwinden die soweit guten Griffe und es heisst gekonnt unter Ausnützung von ein paar "Unebenheiten" über das plattige Gelände moven. Mit einer einfachen Linksquerung erreicht man eine schöne Plattform, welche den einzigen, richtig bequemen Stand der Route bietet.

L4, 5c+: Die letzten beiden Seillängen soll nun noch Papa vorsteigen. Die Route folgt nun den offensichtlichen, diagonal verlaufenden Rissen. Diese sind des Öfteren ziemlich stumpf ausgefallen. Mit einem Mix von Brotlaib-Pinching und hie und da einem Piaz arbeitet man sich in die Höhe. Mal geht's recht gut voran, dann ist es plötzlich wieder überraschend knifflig - eine sehr gut abgesicherte Länge, aber nicht geschenkt!

L5, 6a: Über die erste Stufe hinauf geht's ähnlich den diagonal-stumpfen Rissen entlang noch relativ gemässigt vorwärts, bis man plötzlich über eine sehr feingriffige Platte nach links zu traversieren hat. Not so easy, die Schwierigkeit ist wohl auch etwas von der Reichweite abhängig. Wieder etwas griffiger und einfacher geht's weiter, eine eng abgesicherte Stelle lässt eine weitere Crux vermuten. Diese lässt sich aber mit einer guten Linienwahl entschärfen, bevor man in anhaltender und genussreicher Kletterei das Top erreicht.

Tiefblick auf die letzten Meter zum Top in der letzten Seillänge (6a).
Dieses befindet sich bei einem Muniring wenige Meter bevor der Fels mit Latschen bewachsen ist. Um 12.45 Uhr und damit nach ca. 2:30h Kletterei sind wir dort. Da man nicht bequem sitzen kann, beschliessen wir gleich wieder in die Tiefe zu gleiten und fädeln die Seile. Weil hinter uns nochmals zwei Seilschaften nachkommen, wollen wir nicht über die Route, sondern direkt über die südlich ausgerichtete Felspartie abseilen. Das interessiert mich zusätzlich, weil hier zwei Linien mit neuen Inox-Bolts in die Höhe ziehen. Ob es sich dabei um (teilweise) neue Routen oder um sanierte, schon länger bestehende Touren handelt, hat sich für mich nicht zu 100% geklärt. Schade kriegt man dazu keine genauen Infos, offenbar wurde an diesem Pfeiler schon viel mehr geklettert, als man aufgrund des publizierten Materials vermuten könnte. Allerdings, das sei auch gesagt, die Routen sehen einerseits ziemlich schwierig und andererseits anspruchsvoll gesichert aus (in beiderlei Hinsicht kein Vergleich mit der von uns begangenen, klassischen Bügeleisen-Route). Mit zwei gestreckten 50m-Manövern setzen wir den Fuss wieder auf den Grund. Nun gilt es aber noch, neben der Wand abzusteigen. Das Gelände ist steil und mit rutschigem Gras bewachsen, ohne Seilsicherung geht's nicht (nur mit Kletterfinken und den Kids erst recht). Der Plan B besteht darin, etwas rechts durch die Büsche zu gehen. Das geht seilfrei und ist soweit ok, sofern man nicht gerade eine Allergie gegen Alpenrosen und Legföhren hat. Nur ganz zuletzt, kurz vor dem Einstieg müssen wir für eine 4m hohe, überhängende Felsstufe tatsächlich nochmals das Seil zu Hilfe nehmen. Das Fazit: für alpin taugliche Personen bildet dieser Abstieg bei Andrang eine Alternative zum kompletten Abseilen über die Route, generell würde ich aber eher zu letzterem raten.

Facts

Handegg - Bügeleisen 6a (5c obl.) - 5 SL, 200m - Balsiger/Streich 1980, saniert von Känel/Müller 2018 - ***;xxxx
Material: 2x50m-Seile, 14 Express, Cams/Keile nicht nötig

Schöne, schon morgens besonnte Halbtagestour über den auffälligen Pfeiler. Die Kletterei kommt etwas griffiger und vielleicht ein wenig abwechslungsreicher daher wie in anderen Touren der Umgebung, das Schleichen auf Reibung im Gletscherschliff ist hier praktisch inexistent. Eigentlich ist der Fels durchaus als sehr gut zu bezeichnen, er weist aber etwas mehr Flechten und schwarzen Belag wie an den Handeggwänden gegenüber auf. Seit der Sanierung im 2018 ist die Route sehr gut abgesichert: an den schwierigen Stellen stecken die Bolts klettergartenmässig, wenn das Gelände etwas einfacher ist, kann man jeweils auch ziemlich bald wieder klippen, nur in deutlich einfacherem Terrain gibt's auch mal einen weiteren Abstand, wo man mehrere Meter über die Bolts steigen muss. Das zur Zeit aktuellste Topo zur Route findet man im Plaisir West 2019, Band I. 

Montag, 8. Juni 2020

Handegg - Siebenschläfer (6b+)

Pioneered by Hans Howald 1979 im Zuge der ersten Freikletterbewegung der Schweiz, das ist der Siebenschläfer. Früher war ein gerüttelt Mass an Kühnheit nötig, um weitab der letzten Sicherung über die glatten Platten zu schleichen. Mit der Sanierung im Jahr 2000 fand die Route aber dann sogar Eingang in die Plaisirführer. Um seine Knochen muss man sich im Siebenschläfer heutzutage zum Glück nicht mehr fürchten, doch nach wie vor bleibt eine komplett freie Begehung durchaus eine Herausforderung. Ebenso geblieben sind die Wunderwerke der Natur, d.h. vom Gletscher geschliffene Formen, welche eine höchst aussergewöhnliche Kletterei über polierte Platten, badewannenähnliche Strukuren und auch ein paar Steilaufschwünge mit oft bouldrigem Charakter bieten. Für mich verdient der Siebenschläfer das Prädikat 'Weltklasse', er ist die beste Granit-Reibungstour, die ich bis dato klettern konnte.

Auf in den Siebenschläfer, man kann schon die typischen, rund geschliffenen Mulden erahnen!
Der Winter 2020 war extrem schneearm und das Frühjahr trocken, so dass man bereits Mitte Mai für die Auffahrtstage an der Handegg ideale Bedingungen erwarten konnte. Nachdem wir am Vortag erst noch ein wenig am überhängenden Kalk die Finger gestreckt hatten, wollte sich der eine Teil der Familie dem Katzenpfad widmen, während Larina und ich den Siebenschläfer angehen wollten. Anreisen und Zusteigen konnten wir so gemeinsam: man parkiert gemäss den Angaben im Plaisir West beim Kraftwerk Handegg (Verbote beachten!), geht über das Kraftwerksgelände und wählt den ausgeschilderten Pfad dahinter. Nach einigen Minuten erreicht man eine Ebene. Hier geht's bei einem Steinmann in die Büsche hinein, der deutliche Pfad führt nach total rund 15 Minuten an den Einstieg. Dieser befindet sich am tiefsten Punkt vom Fels, links von einem Couloir/Rinne, erkennbar an der üppigen Absicherung mit Mammut Longlife Bohrhaken. Hinweis: einige Meter rechts davon startet eine brandneue Linie/Projekt (rostfreie Bolts mit Mammut-Plättli), welches zur Zeit noch nicht in den Topos verzeichnet ist und verwirrlich sein könnte. Zum Einsteigen bereit waren wir schliesslich um 10.30 Uhr, ideal für diese Jahreszeit. Die ersten Sonnenstrahlen trafen uns gerade, der Schatten zog sich danach entsprechend unserer Klettergeschwindigkeit immer weiter zurück, so dass die Platten und wir selber an diesem Spätfrühlingstag angenehm gewärmt wurden. 

Übersicht über die Handegg-Sektoren Spiegelwand, Ölberg und Hangholzegg mit dem Verlauf der Route Siebenschläfer.

Engeliweg

Die ersten 5 gemütlichen Seillängen gehören nominell zum Engeliweg, der aber im Prinzip keine separate Route darstellt. Da auch diese perfekt gesichert sind, konnte ich mit gutem Gewissen meiner Tochter den Vorstieg überlassen - sie konnte diese Aufgabe dann auch souverän erfüllen, bravo! 

In L1, 40m, 5b: muss man gleich zu Beginn muss man ein wenig schauen: direkt über den Rücken links vom Couloir geklettert ist es alles andere als einfach, da kneift man gerne ein wenig nach rechts aus! Auch danach folgt schon einmal eine erste Stelle, um sich an die Reibung zu gewöhnen. Zuletzt dann einfacher zum Stand. L2, 40m, 5a: führt diagonal links hinauf über die Reibungsplatte zu Stand auf dem bequemen, breiten und grasigen Band. Danach klettert man in L3, 35m, 4c erst einem Riss entlang (ein etwas weiterer Abstand, Cam legen möglich), gefolgt von geneigter Reibungskletterei. In L4, 30m, 5a ist der Beginn etwas verwirrlich, links steckt ein (wohl kürzlich hinzugefügter) Bolt, rechts einer im Abseits in der kompakten Platte. Folgt man den Bolts in der direkten Verbindungslinie, ist das gar nicht mal so einfach! L5, 40m, 5b leitet zuerst über ein kleines Dächlein hinweg, danach steilt es etwas auf, dafür ist der Fels etwas mehr strukturiert - sehr schön!

Sie ist nicht nur perfekt vorgestiegen, sondern hat auch noch schöne Nachstiegs-Fotos von Daddy gemacht!

Der Zickzack-Anfang von L4 (5a), der BH rechts steckt wirklich komplett im Schilf (lange Exen oder auslassen!)

Standplatz-Patent... nach Lehrmeinung viel zu nahe gebohrt. Aber in diesem harten Granit ist wohl unbedenklich, was im Kalk mehr Schwächung des Munirings als ein Backup wäre. Im Siebenschläfer-Teil stecken an den Ständen dann zum grössten Teil nur noch auf die Muniringe, doch jemand hatte sich die Mühe genommen, diese jeweils mit einer laaaangen Schlinge mit dem ersten BH der Seillänge zu verbinden!?!

Die letzte Seillänge im Engeliweg (5b), bereits etwas steiler und anspruchsvoller, aber etwas Struktur ist da.

Siebenschläfer

Um 12.15 Uhr und somit nach 1:45 Stunden hatten wir den Engeliweg geschafft und konnten gleich im Siebenschläfer weiterklettern. Hier nimmt der Anspruch deutlich zu, so dass ich ans scharfe Seilende wechselte. Interessant ist übrigens die Tatsache, dass der Siebenschläfer von oben ausgecheckt und eingerichtet wurde (sofern ich den  Artikel der Erstbegehungszeit korrekt interpretiere). Diese Technik gilt ja bis heute als verpönt... aber sie hat sich hier auf jeden Fall gelohnt, findet die Route doch einen machbaren, homogen schwierigen Weg durch stellenweise unmögliches Terrain und bietet so ein Feuerwerk von kniffligen, technischen Boulderstellen - ein Wunder, dass schliesslich alles aufgeht!

L6, 40m, 6b: Nun gilt es ernst! Es wird nochmals etwas steiler, die Struktur nimmt aber nicht zu. Nun müssen die Moves sorgfältig geplant und die kleinen Unebenheiten im Fels korrekt in eine Sequenz eingefügt werden. Man muss zwar gekonnt auf Reibung antreten, aber doch auch immer kleine Griffchen und Tritte nutzen, es ist keine reine Schleicherei. Die Absicherung ist hier eng gehalten (es wurden wohl kürzlich nochmals einige Bolts hinzugefügt und einige Abstände damit halbiert, total ca. 14 Express nötig!). Zum Ende hin begibt man sich dann auf einen etwas gängigeren Quergang nach links. Mit wie vielen Sicherungen musste man hier früher klarkommen? Das Topo aus dem alten Artikel zeigt 7 Haken und eine Bewertung von VI+, wobei die heutige 6b sicher absolut angemessen ist. 

In L6 (6b) beginnt der Ernst der Sache mit kniffliger Kletterei, der Quergang am Ende ist dann etwas einfacher.
L7, 35m, 6a: Über die Platte nach links und zum Riegel hoch, dieser Abschnitt bleibt im Frühjahr oder nach Regen gerne länger feucht (kann heikel sein!). Die Stufe ist etwa mannshoch, wie kommt man da darüber hinweg?!? Doch wie von Zauberhand (bzw. eben beim Auschecken von oben richtig erkannt), befindet sich genau an der richtigen Stelle ein genügend guter Sloper, wo man den nötigen Schwung für den Mantle holt - ein totaler genialer Move, der für 6a ziemlich hart daherkommt (original war diese Stelle mit VII (~6b) bewertet, A0 aber gut möglich). Das wäre vielleicht eine Real-Life-Felsstelle, die all jenen zu Gute kommt, die während der Pandemiezeit ausgiebig Tischboulder geübt haben :-) Zuletzt noch ein paar Meter über die hier ultraglatte Platte zum Stand, dank einiger Dellen geht's aber ausreichend kommod und im Gesamtkontext unschwierig.

L8, 40m, 6b+: Der komplette Ausreisser in dieser Datenreihe! Für einmal gilt's hier keine Platte zu klettern, sondern es wartet ein 30m hoher, überhängender Aufschwung mit genialer, athletisch-überhängender Risskletterei. Die erste Sequenz führt zum Angewöhnen an ein markantes, gutgriffiges Horn, wo die Planung des folgenden Abschnitts geschehen kann. Es gilt hier ein wahres 3d-Puzzle zu lösen: ein paar sloprige Leisten, die Kante der Verschneidung sowie die oben kaminartig abstehende Schuppe können genutzt werden. Es dauerte eine ganze Weile, bis ich einen Kniff entschlüsselt hatte, mir kam es für 6b+ doch ziemlich hart vor (original VII+ (~6c), A0 möglich und anhand der vorhandenen Seilstücke wohl oft praktiziert). Möglicherweise liegt es daran, dass die hier nach links offene Verschneidung lange schattig und etwas feuchtelig ist - so fühlte sich der Grip auf den Sloperleisten miserabel an, aber es ging dann doch. Nach diesem Boulder folgen durchgehend griffige Risse mit schön scharfen Kanten, eine formidable Turnerei.

Ausstieg aus der Steilstufe (L8, 6b+), darunter die zuvor erkletterten Platten mit einer Seilschaft in 'Eile mit Weile'.
L9, 25m, 6a: Einfacher Quergang oberhalb der Steilstufe nach rechts zum ersten Bohrhaken, wo wieder ein fantastisches Boulderproblem wartet. Gefühlvoll manteln oder mit Hau-Ruck und dynamisch?!? Tja das ist die gute Frage, jedenfalls ist es alles andere als einfach sich hier aufzurichten, bevor einen die Schwerkraft wieder in die Tiefe zieht. Der Rest der Seillänge kommt dann gutmütiger daher, zuerst nach rechts hoch und wieder etwas nach links zurück.

L10, 40m, 6b+: Ein Wunderwerk der Natur! Hier gibt diverse, rund geschliffene, muldenartige Strukturen mit einem badewannenmässigen Charakter. Über diese gilt es mit viel Vertrauen in die Haftreibung hinwegzubouldern. Eine noch etwas steil-glattere Stelle bildet dabei die Crux der ganzen Route. Sie ist perfekt eingebohrt, A0 ist auch möglich, aber wir sind ja zum Freiklettern da! Mit blossem Hinstehen werden aber die Füsse abrutschen, das wird subito klar. Griffe, an welchen man ziehen kann hat es auch nicht. Somit ist eine alternative Idee gefragt: mir gelingt es schliesslich, dynamisch auf den ersten, üblen Sloper zu moven, an welchem ich mich sofort vor dem Abrutschen nach rechts, auf einen zweiten, etwas besseren Sloper retten musste - absolut mega, da fühlt man sich gleich wie an einem Boulder-Worldcup :-) Eine solche Stelle zu bewerten ist natürlich extrem schwierig (original VII), für mich war es aber um Welten schwieriger wie eine moderne Plaisir-6b+ in Wandkletterei. Als Boulderbewertung in der Fontainebleau-Skala würde 6B+ vielleicht etwa hinkommen, in Routenbewertung ergäbe das dann eine 1-2 Buchstabengrade höhere Einstufung... wie auch immer, die Stelle ist genial und auch danach folgen weitere, nicht mehr ganz so schwierige Plattenboulder, wo hingestanden, gepresst, gestützt und gemantelt werden will, der Hammer!

Diese geniale Länge (L10, 6b+) lässt sich kaum mit dem Apparat einfangen, die muss man erleben! Am Ende hilft ein Tritt-Rail kommod über den letzten Quergang hinweg, da sind die Schwierigkeiten nicht mehr von demselben Zuschnitt wie an der Crux.
L11, 40m, 5c: Der Ausblick auf die sich sogar aufsteilende, kompakte Wand lässt Böses vermuten und im von uns mitgeführten Topo aus dem Plaisir West 2019 ging für diese Länge interessanterweise die Bewertung vergessen (im Originaltopo steht VI, in älteren Plaisir-Ausgaben 5c). Die Sache entpuppt sich dann aber als wesentlich gutmütiger wie befürchtet. Die kompakt scheinende Wand hält einige taugliche Leisten bereit, was in diesem Gelände einen massiven Unterschied macht. In der Folge warten dann in Form einer kleinen Kopie von L10 ein paar weitere Badewannen-Boulder, welche aber allesamt deutlich einfacher ausfallen wie das Original.

L12, 40m, 5c: Vom Stand geht's nach rechts in die kompakte Wand, doch auch hier ist das Gelände für einmal relativ üppig strukturiert, jedenfalls für Handegg-Verhältnisse (original VI). Nachher gredig obsi, auch hier vermochte der Gletscher nicht alles glattzupolieren, was Händen und Sohlen Widerstand zu leisten vermag.

Unglaublich, was der Gletscher hier für Arbeit geleistet hat - hektarenweise Küchenabdeckung in L12 (5c).
L13, 35m, 6b: Eine nochmals total geniale Sequenz: durch eine kompakte, wohl ungangbare Platte zieht eine feine Rissspur. Viel Griffiges bietet diese nicht, aber ein paar Dullen und Käntchen sind vorhanden und das macht den Unterschied zwischen "Esel steht am Berg" und "Kletterer marschiert vorwärts". Im finalen Drittel der Länge folgt dann ein weiterer potenzieller Rausschmeisser - immer steiler werdend in der Fortsetzung des Risses bleiben oder klettert man da kreativ besser nach rechts in die Wand?!? Du wirst hoffentlich die richtige Lösung finden. Es folgt nun ein Rechtsquergang, bevor man linkshaltend nochmals einen Badwannä-Tango in der ausgewaschenen Rinne vorzeigt.

L14, 60m, 5c: Im abschliessenden Teilstück wartet bald, ähnlich wie zuvor, nochmals ein Rechtsquergang. Dieses Mal gängiger wie zuvor, aber für eine 5c doch noch mit Oho-Effekt! Links haltend klettert man dann in ähnlichem Charakter wie zuvor hinauf, schliesslich lassen Neigung und Schwierigkeit etwas nach und nach ca. 45m Kletterstrecke trifft man auf den Muniring, der das Routenende markiert. Damit gab ich mich noch nicht zufrieden, mit einem 60m-Seil erreicht man einen weiteren Stand (zwei verzinkte, verrostete Fixé-Haken) an der Stelle, wo der Fels wieder steiler wird. Klar handelt es sich dabei um einen halbwegs logischen Endpunkt, de fakto befindet man sich aber hier schon irgendwo im Nirgendwo, denn es würden oberhalb durchaus nochmals ein paar Seillängen warten. Der Fels scheint kompakt, auch schwierig, zu schwierig vielleicht? Wurde es je überhaupt ausprobiert und hat es sich als unlohnend erwiesen? Fragen über Fragen stellen sich... und die Tatsache, mitten in der Wand zu enden ist denn auch ein kleiner Wermutstropfen für eine Route, die ansonsten gut und gerne das Prädikat "Weltklasse" verdient.

Auch wenn wir da schon auf dem Heimweg sind, dieses Foto zeigt einen Ausblick auf L14 (5c). 
Um 16.30 Uhr, nach also total rund 6:00h (bzw. 4:15h für die Siebenschläfer-Längen) absolut vergnüglicher Kletterei erreichen wir das Top - wir hatten uns die Zeit genommen, um jede Stelle in freier Kletterei zu entschlüsseln, was sich mit einer einwandfreien Begehung voll ausbezahlt hatte. Mit dem (vor)schnellen Griff zum Silberling käme man bestimmt schneller voran, aber kann dies das Ziel sein?!? Das Routenende bietet zwar durchaus die Gelegenheit, um ein wenig auf dem geneigten Granit zu fläzen. Da aber die anderen Familienhälfte den Katzenpfad bereits beendet hat und uns aus dem Hotel Handeck verfängliche Fotos mit kulinarischen Genüssen sendet, zieht es uns auch gen Tal.  So fädeln wir unsere Seile in den Ring und gleiten in die Tiefe. "Leider" sind die Seillängen im oberen Teil gerade ein wenig zu lang, als dass man mit den 60er-Seilen Stände überspringen könnte. Erst oberhalb der Steilstufe geht's, von da erreichen wir den zweitletzten Stand vom Katzenpfad, mit einer weiteren Strecke das Grasband nach L2 und nach einer kurzen Gehpassage mit dem letzten Abseiler schliesslich den Boden (total 8 Manöver). Gemütlich packen wir zusammen, laufen hochzufrieden zum Hotel Handeck und geniessen den ersten Restaurantbesuch nach der Coronazeit.



Facts

Handegg - Siebenschläfer 6b+ (6a obl.) - 14 SL, 540m - Howald/Rüedi 1979, saniert 2000 - *****;xxxx
Material: 2x50m-Seile, 14 Express, Cams/Keile nicht nötig

Der Siebenschläfer ist eine reibungslastige Granitroute mit Prädikat 'Weltklasse'. Nach einem mässig schwierigen, aber doch auch schon schönen Auftakt über den Engeliweg folgt ein Feuerwerk an technischen Boulderstellen über Platten, geschliffene Granitmulden, heikle Mantles und am Steilaufschwung sogar auch noch athletische Kletterei. Es ist also für viel Abwechslung gesorgt und es wird keineswegs langweilig. Die Absicherung ist im Engeliweg und in den ersten Siebenschläfer-Längen bis und mit der Steilstufe wirklich als "Plaisir super" zu bezeichnen. Nachher steigt der Anspruch an den Vorsteiger etwas an, in gewissen Passagen muss auch über dem letzten Haken noch gescheit auf Reibung gestanden werden und es ist nicht jeder Mantle einfach mit Hakenziehen zu entschärfen. Trotzdem erreicht auch hier die Absicherung noch Stufe xxxx. Ein Topo findet man im Plaisir West (aktuelle und auch schon ältere Ausgaben), nach wie vor interessant ist das Originaltopo.

Dienstag, 2. Juni 2020

Schöllenen - Inox (7a)

Die Inox, am gleichnamigen, markanten Pfeiler in der Schöllenen stellt ein wahres Granit-Testpiece dar. Bereits 1983 war sie von den Remy-Brothers in kühner Manier erstbegangen worden, eine für die damalige Zeit wirklich herausragende Leistung. Lange Jahre haftete ihr der Ruhm einer extremen Kletterei an, bevor sie durch die Eröffnung von höher bewerteten Routen im Kalk von Wenden und Rätikon etwas in Vergessenheit geriet. Nach einer komplett missglückten Pseudo-Sanierung durch die Erstbegeher im 2007 wurde die Route dann verdankenswerter Weise im 2012 durch Spiri et al. renoviert und mit soliden Inoxbolts versehen. Die Hakenanzahl blieb dabei gegenüber der Erstbegehung praktisch unverändert, diese wurden jedoch mit Blick auf Sicherheit und Anspruch an den Kletterer grösstenteils neu platziert. Kaum mehr eine Stelle ist nun echt gefährlich, aber auch kaum eine schwierige Kletterstelle lässt sich mit Hakenhilfe entschärfen, so dass der Grad 7a in abschüssigem, superkompaktem Granit obligatorisch geklettert werden muss. Ich würde sagen: die Inox ist ein absolutes Must-Do für jeden ambitionierten MSL-Kletterer in der Schweiz, eine absolute Hammerroute!

Der Routenverlauf der Inox in der Schöllenen.
In der Woche zuvor hatte ich back-to-back zwei 8a-Routen punkten können. Was lag also näher, als in der Inox zu testen, wie weit es wirklich um meine Kletterfertigkeiten steht. Wer sich ein wenig auskennt, weiss genau was das bedeutet: ein Grad der im bekannten, überhängenden Klettergarten gerade noch zum Aufwärmen taugt, erscheint im haltlosen Granit plötzlich als unbezwingbar. Oder mit anderen Worten, in einer solchen Route wie der Inox kann man einfach nur "aufs Dach kriegen". Nun denn, hin und wieder schadet dieses Gefühl nicht und so machten wir uns auf den Weg. Nachdem wir beide kürzlich für die benachbarte Suworov (6c) vor Ort waren, mussten wir uns um den Zustieg keine langen Gedanken machen. Raschen Schrittes folgten wir dem Graben des Schutzwalls bis zur Stelle, wo unser Steinmann den Beginn der Pfadspuren markierte, die in wenigen Minuten zum Einstieg führen. Dieser befindet sich wenige Meter rechts vom tiefsten Punkt und ist an den Bolts mit den rostfreien Fixé-Laschen, welche in die Verschneidung führen, zweifelsfrei zu identifizieren. Wir einigten uns, die Route im Block-Vorstieg anzugehen, wobei mir persönlich der zweite Teil zufiel. Um 10.30 Uhr hatten wir alles parat und zwar mit gehörig Respekt, aber guten Mutes bei Sonnenschein und angenehmen Temperaturen ein.

A little bit of history... die folgenden Seiten sind auch interessant, aber die muss man vor Ort nachlesen :-)
L1, 35m, 6 BH, 7a: Die erste Seillänge präsentiert sich vom Einstieg de visu als gutmütiges Teilstück zum Aufwärmen, man fragt sich beinahe schon, wo der 7a-Move wohl überhaupt steckt. Voll montiert präsentiert sich dann allerdings schon das vermeintlich triviale Abheben vom Boden als gar nicht mal so einfach. Nichtsdestotrotz, der Auftakt über 3 BH und einem selbst abzusichernden Abschnitt in der Verschneidung ist noch leicht verdaulich. Die Klimax folgt am Schluss, wo bei der Sanierung die linke, frei kletterbare Variante gebohrt wurde (die A0-Möglichkeit rechts existiert nicht mehr). Man muss fein an Untergriffen antreten, um eine verzwickte Pinch zu erreichen und diese mit den Füssen im Nichts durchmoven - das ist schon einmal der erste Test und die 7a ziemlich obligatorisch. Mir ging's im Nachstieg gerade auf, ich konnte die Länge flashen.

Ausblick auf L1 (7a), die erst noch relativ gutmütig daherkommt, es im Finish dann aber doch in sich hat.
L2, 30m, 6 BH, 7a: Den gewonnenen Schwung sollte man nun nutzen, um über die äusserst knifflige Crux gleich zu Beginn der zweiten Länge hinwegzukommen. Hier wurde der erste Bolt etwas fies links aussen platziert, so dass er zur Fortbewegung nicht verwendet werden kann, mit dem alten Placement war das möglich... In abschüssigem, etwas glitschigem Gelände muss hier auf die leisesten Andeutungen einer Delle angetreten werden, wenige, ungünstig ausgerichtete Seit-/Untergriffe leisten dabei etwas Unterstützung. Nun sollte man sich bevor die Füsse rutschen nach der Seitgriffleiste weit oben strecken und diese hernach in Streckenfortschritt ummünzen. Nach einem heiklen Aufrichter kann dann endlich wieder geklippt werden. In unserem Fall erforderte diese Stelle unzählige Versuche und ein paar harte Stürze in den ersten Bolt - für meinen persönlichen Geschmack dürfte es sich hiermit sogar um die schwierigste Einzelstelle handeln. Damit ist es nicht gegessen, der Abschnitt zum dritten Bolt eignet sich hervorragend, um allfällige aufgekommene Glücksgefühle wieder zu dämpfen. Direkt oder rechtsrum? Das originale Topo zeigt  die Rechtsvariante, was einen aber auf eine heikle, sloprige Linksquerung weit über dem letzten Bolt zwingt - es ist die vielleicht einzige, schwierige Kletterstelle der Route im >=6bc-Bereich, wo ein Sturz sehr unangenehm scheint. Direkt geklettert wäre es psychisch angenehmer, aber sturzmässig auch nicht ganz unbedenklich und vermutlich schwieriger (wir sind beide rechtsrum). Der Abschnitt über die letzten 3 Haken zum Stand ist dann vergleichsweise einfach zu haben.

Auch dieser Abschnitt sieht auf dem Foto wesentlich einfacher aus, als er in Realität ist. Die heikle, sloprige Linksquerung in L2 (7a).
L3, 40m, 8 BH, 7a: Eine Monsterlänge, super! Nach einen schon nicht ganz einfachen Auftakt stellen sich die ersten Fragezeichen am zweiten Bolt - nämlich ob man sich auf die Untergriffquerung oberhalb dessen oder die abschüssige Wandkletterei direkt am Haken einlassen soll. Da wir beide schlussendlich dieselbe Lösung gewählt haben, bleibt die Frage an dieser Stelle unbeantwortet. Die Stelle bringt einen zur Crux am nächsten Haken, wo man an zwei schlechten Leisten die Füsse auf die Platte presst, so dass sie im Abrutschgelände trotzdem haften. So gelangt man zu einer Verschneidung, in welcher sich ein grosser Teil der Seillänge abspielt. Zuerst gelangt man noch recht gut vorwärts, aber die Sache neigt sich nach rechts und wird immer abdrängender und kniffliger. Mit kreativ-abwechslungsreichen funky Moves (unverhofft auftauchende Leisten in der Wand rechts, Piaz im Riss, Verwendung der Kante) turnt man in die Höhe, total genial - Haken steckt natürlich auch nur alle 4-5m einer. Zuletzt quert man dann an ein paar perfekten Zuschraub-Crimps nach rechts hinaus in die Wand, über welche man den Stand erreicht. In dieser Seillänge gelang uns sogar ein Team-Onsight, sie ist zwar deutlich anhaltender als L2, für mein persönliches Empfinden aber leichter.

Crimpy Wandquerung am Ende von L3 (7a).
L4, 30m, 2 BH, 6a+: Die "einfache" Länge der Route, aber geschenkt gibt's da wie erwartet wenig bis gar nichts. Seien wir mal ehrlich, wenn z.B. der bekannte, von mir kurz darauf begangene '30m-Riss' in der Sagittarius am Grimsel wirklich eine 6a+ sein sollte, so müsste diese Länge hier mindestens eine 6c sein. Aber item, im Gesamtkontext der Inox wird dieses Teilstück wohl keinen Begeher ausbremsen (ausser er hätte seine Cams vergessen). Durch die griffige Wand erreicht man an einem Bolt vorbei die clean sanierte Piazschuppe. Steil und ungünstig nach rechts geneigt zieht diese in die Höhe, die Wand rechts ist strukturlos und glatt, so dass nur ein kompromissloser Layback hilft. Der Riss im Grund der Verschneidung hat erst Grösse 0.5, dann 0.75 und schliesslich 1, meinereiner braucht für diesen Abschnitt auch zwingend 3 Cams. Bei einem diagonalen Rail verlässt man die erste Verschneidung knifflig nach links zu einem BH, um den zweiten, ähnlich langen Teil an einer weiteren, kräftigen Piazschuppe zu klettern. Auf diesen 15 cleanen Metern passen erneut dieselben Cams wie unten, so dass man 0.5-1 am besten doppelt mitführt. Aber meine Piaz-Vorliebe kennt man ja, sie wird nur noch getoppt von langen Runouts in cleanen Piazrissen...

Klare Linien und ein ziemlich taffer Piaz in L4 (hart 6a+).
L5, 35m, 6 BH, 7a+: Die nominelle Crux, das kann ja heiter werden! Den ersten Bolt erreicht man mühelos, allerdings zum Preis einer schon echt kniffligen Rechtstraverse darüber hinweg. Eigentlich ist da ein verdammt guter (natürlich abschüsser Reibungs-)Tritt, aber irgendwie ist es doch kaum möglich, sich da drüber zu schieben, ohne dass der Fuss rutscht. Einmal gelungen, ist man dafür an ein paar griffigen Strukturen rasch beim zweiten Haken, wo die Musik zu spielen beginnt. Eine unglaublich kompakte Platte mit ein paar Noppen stellt sich in den Weg und es will erst einmal entschlüsselt werden, wie man darüber hinweg kommt. Direkt hoch sind die rettenden Griffe und auch der nächste BH nicht einmal meilenweit entfernt, dafür aber ist das Gelände am Bolt richtig blank. Am einfachsten geht's zuerst linksrum in die Höhe, dafür wartet dann eine heikle Horizontaltraverse deutlich über dem Haken. Hat man eine Lösung für diese Passage gefunden, bringen einen gut zu managende Moves über 2 BH zu einer henkligen Dächerzone, welche im Zuge der Sanierung 'gecleant' wurde. Man kann aber gut legen und turnt nach rechts hinauf, cool! Am Ende kommen dann nochmals 2 Bolts, wobei schon der Klipp des Finalen sich als knifflig präsentiert. Das gilt erst recht für die folgende Kletterstelle, wo es auch wieder viel Interpretationsspielraum gibt. Vom Hook bis hin zu einem kleinen Umweg nach rechts ist vieles denkbar, was wohl am besten aufgeht?!? Finde es selber heraus ;-)

Zuerst wartet in L5 (7a+) superkompaktes Gelände, danach folgen einige griffigere Dächer.
L6, 40m, 6 BH, 7a: Nach einem Start-Mantle klettert man zügig vorwärts zu einem knapp 1m ausladenden Dach, welches die Erstbegeher wie man anhand der alten Bohrkronen sieht, A0 erschlossen haben. Heutzutage ist fertig mit solcher Praktik, steckt der Bolt doch unterhalb im Dach und nachher folgt nichts (bzw. nur Griffe, aber kein Metall ;-)). Diese Crimps sind nicht so schlecht und der Mantle übers Dächle zwar zwingend, aber auch nicht voll die Härte - ich empfand diese Stelle als klar einfacher wie die fusslastigeren L2 und L5. Damit enden die Hauptschwierigkeiten, doch in weiterhin fordernder, schöner 6bc-Kletterei mit ein paar zwingenden Passagen erreicht man zuletzt nach links tendierend den Ausstiegsstand mit dem Gamellen-Wandbuch, nur etwa 10m vom Ende der Suworov entfernt.

Die letzten Meter zum Top in L6 (7a).
Nach zähem Ringen hatten wir ein paar Minuten nach 17.00 Uhr und damit nach über 6:30h Kletterei das Top erreicht. Ja, so vergeht die Zeit, wenn man um diverse Kletterstellen heftig kämpfen muss und die Boulderpuzzles erst entschlüsselt werden wollen. Doch anders geht's bei dieser voll zwingend gehaltenen Absicherung nicht, ausser natürlich man fühle sich so in seinem Element, dass man die Inox einfach hochspazieren könnte. Allen die sowas drauf haben gebührt unser höchster Respekt, tja da würde ich gerne dabei zusehen und mir eine Scheibe davon abschneiden! Trotz unserer ausufernden Begehungszeit sind wir hochzufrieden, es hatte total Spass gemacht! Ja, in der Inox ist der Grad 7a halt einfach schon richtig, richtig schwierig. Ohne Bewegungstalent, ohne gute Reibungstechnik und ohne das Mindset, sich auf Kletterei an der Haft- und Abrutschgrenze in abschüssigem Gelände jenseits der letzten Sicherung einzulassen, kommt man hier nirgendwo hin - nur mit Kraft allein geht's nicht, allerdings ist etwas Strom in Finger und Arm dann auch durchaus wieder unabdingbar. Es ist nämlich auch nicht so, dass es sich um reine Reibungskletterei handeln würde, die Wand ist recht steil und man hat ständig kleinere oder grössere Griffe in der Hand. 

Auf dem Heimweg... der Inox-Pfeiler mit seinem etwas weniger steilen Sockel hat auf den Fotos einfach ein klein wenig etwas von der Nose am El Cap. Genau dafür hatte mir mein Kollega Roby die Route dereinst auch empfohlen, hatte er sie doch selber als Trainingsroute für sein Freikletterprojekt am El Cap genutzt. Dieses ist dann tatsächlich gelungen, eine absolut geniale und in den Medien viel zu wenig gewürdigte Geschichte. 
Nachdem wir ausgiebig im Wandbuch gelesen hatten - wir markierten die 32. Begehung seit der Sanierung vor 8 Jahren, wobei etliche Kletterer gleich mehrere dieser auf sich vereinen - machten wir uns auf die Abseilfahrt. Im Laufe des Tages hatte sich die Sonne erst wegen Wolken rar gemacht, später war sie dann sogar hinter dem Horizont verschwunden. Zusätzlich war eine steife Brise aufgekommen, so dass wir (positiv gesehen) stets auf exzellente Bedingungen am Reibungslimit hatten zählen können. Für die Abseilerei wären hier 60m-Seile durchaus praktisch, so würde man in nur 3 Manövern wieder an den Einstieg kommen. Mit den 50er-Stricken muss man hingegen jeden Stand nutzen, nur zuletzt kann man sich diagonal gerade auf den etwas höher gelegenen Einstieg der Suworov retten. Wir packten unsere Ware und philosophierten schon jetzt: "wann und für welche Tour würden wir wohl hierher zurückkommen?". Die Inox hatte uns bereits in ihren Bann gezogen - eigentlich wäre es ja schon noch nötig, hier einmal noch alle Längen zu punkten oder noch besser, so gut zu werden, dass man über alle diese Boulderstellen einfach hinaufschweben kann. Eine andere Möglichkeit bestünde noch in der Cyclope, welche de visu durchaus ein paar interessante Kletterstellen bereithalten könnte. Abgesehen von den rostig-alten Haken und der weit gebohrten ersten Länge sieht die Absicherung dort noch recht zugänglich aus. Pointless erscheint hingegen die Chifir rechts der Inox. Komplett unverständlich, wie die Brothers hier ihren eigenen Meilenstein Inox mit einer unlogischen, nicht frei kletterbaren Linie mit diversen A1-Bohrhakenleitern und teilweise gemeinsamen Ständen entwertet haben.



Facts

Schöllenen - Inox 7a+ (7a obl.) - 6 SL, 210m - C. & Y. Remy 1983, saniert 2012 - *****;xxx
Material: 2x50m (oder bequem zum Abseilen) 2x60m-Seile, 12 Express, Cams 1x 0.2-0.4 & 2x 0.5-1

Trotz der moderaten Bewertung im 7a-Bereich wird diese haarsträubende Granitroute auch heute noch für manchen Kletterer ein Testpiece darstellen. Einerseits liegt das am Charakter der Kletterei, die perfekte Fusstechnik, gute Nerven und auch etwas Kraft erfordert, wobei letztere sicher bei den wenigsten Aspiranten den limitierenden Faktor darstellt. Die Bohrhaken sind solide und intelligent platziert - es scheint allerdings mit Absicht so, dass die Kletterei so obligatorisch wie möglich ist. Wahnwitzig weit oder gefährlich sind die Abstände eigentlich nie, nur halt eben auch an den Schlüsselstellen oft zwingend. Ob man dies nun als xx oder xxx wertet, ist ein wenig Ansichtssache. Wäre die Kletterei nur ein wenig mehr positiv-griffig-kontrollierbar-zugänglich, so würde man bei diesen Abständen ohne weiteres von guter Absicherung reden und somit entscheide ich mich für die xxx. Stellenweise müssen Cams platziert werden, was dann aber sehr gut möglich ist. In der Originalversion (so schien es uns) konnten vermutlich etliche der schwierigen Kletterstellen genullt werden, dies aber wohl zum Preis von gefährlichen Abständen im etwas einfacheren Gelände - somit weist die Route heute sicher das gesündere und sportlich wertvollere Absicherungskonzept auf. Bezüglich der Schönheit der Route gibt es keine Zweifel: das verdient volle 5*, Weltklasse! Stünde diese Tour im Yosemite, so wäre sie ganz sicher ein gehypt-überranntes Testpiece. Nun befindet sie sich halt "nur" in der Schöllenen (ja immerhin auch ein geschichtsträchtiger Ort) mit ihrem etwas gewöhnungsbedürftigen Ambiente und führt auch auf keinen Gipfel, aber die Kletterei ist einfach so gut, so komplett, so anhaltend und so fordernd, dass die Höchstnote absolut verdient ist.