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Freitag, 19. Juni 2020

Gelmerfluh - Sagittarius (6b)

Weil es "im Restaurant Handeck so feine Pommes-Frites gebe" wollten die Kinder nach dem Auffahrts- nun auch das Pfingstweekend am Grimsel verbringen. Nun denn, Motivation ist alles, mit der Absicht neben kulinarischen Genüssen auch noch die eine oder andere Granittour zu klettern, fuhren wir erneut mit im überhängenden Kalk müde sportgekletterten Fingern ins Haslital. Da ganz offensichtlich noch wenig los war, ergab sich für Larina und mich am Pfingstsonntag schliesslich die spontane Gelegenheit, die enorm populäre Sagittarius an der Gelmerflue zu klettern. Diese wurde im 2003 vom Team Filidor um Jürg von Känel mit vielen Bolts super eingerichtet, wobei die Route teils alten (noch heute sichtbaren) Spuren folgt. Sie bietet nach 3 noch eher durchschnittlichen Auftaktseillängen vor allem im mittleren und oberen Teil wirklich hervorragende Kletterei mit viel Abwechslung. 

Das sind Ausblicke! Der 30m-Riss im mittleren Teil der Sagittarius (L7, 6a+) bietet wirklich fantastische Granitkletterei!
Der Zustieg vollzieht sich ab Chuenzentännlen P.1597 an der Grimselstrasse. Der Zustieg folgt einem gut ausgetretenen Pfad, allerdings ist gerade das erste Stück am dem PP wenig ausgeprägt, so dass ein wenig Spürsinn gefragt ist. Das Weglein führt nach rechts hoch zum Fuss der rechten Gelmerfluh-Platten, von wo man nach links der schon vom PP erkennbaren Rampe folgt. Diese ist breiter und einfacher zu begehen, als es a priori den Anschein macht, trotzdem warten auch ein paar mässig exponierte Kraxelstellen in etwas plattigem Fels (T4+, teils I-II). Im Frühjahr halten sich oft lange Schneereste, was die Sache heikel machen kann - im extrem trockenen 2020 gab es jedoch bereits Ende Mai nur letzte, kleine Batzen, die harmlos und umgehbar waren. Nach total 20 Minuten erreichten wir den bequemen Platz unmittelbar vor den Einstiegen, wo man sich bereit machen und das Material sicher verstauen kann - erstaunlich, wie manche Leute hier an diesem betriebsamen Ort mit viel Vertrauen ihre Schuhe an exponierten Plätzen deponiert hatten... so tritt wohl öfters mal einer, losgelöst durch ein ausgeworfenes Seil oder eine unachtsam abseilende Person den Weg in die Tiefe an. Item, eine erste Seilschaft war bereits in der Mitte der Sagittarius unterwegs, eine zweite hatte eben den ersten Stand erreicht und von hinten rückten weitere Leute heran. So hiess es einsteigen, wofür man vom Depot noch etwas nach links hinauf zum beschrifteten Start steigen muss. Um 10.30 Uhr ging es schliesslich los.

Wandbild mit dem (perspektivisch etwas verzerrten) Verlauf der Sagittarius. Ich fand immer (und finde immer noch), dass die Wand von der Strasse gar nicht so überaus attraktiv aussieht. Aber es täuscht hier wirklich, die Kletterei ist viel lohnender, wie man auf den ersten Blick meinen könnte.
L1, 5a & L2, 5c+: Die ersten beiden Abschnitte können auch mit 50m-Stricken gut zu einer Seillänge zusammengefasst werden. Zuerst geht's noch etwas alpin über Stufen und das Grasband nach links, schliesslich an etwas runden Rissen mit einer kurzen Reibungspassage hinauf, wo schon bald der erste Stand folgt. Der zweite Teil ist deutlich schwieriger: weiterhin gibt's runde Risse, eine kleine Verschneidung und auch ein paar Leisten in der Platte - hier muss definitiv schon da und dort geschaut und schlau angetreten werden.

L3, 6a: Die im Topo mit Kusiplatte benannte Sequenz weckt einige Erwartungen, es handelt sich aber um eine der am wenigsten lohnenden Seillängen der Tour. Zuerst geht's gut griffig und easy durch eine fast kaminartige Rinne über einen etwas steileren Aufschwung, bevor man schliesslich zur wenige Meter hohen, glatten Platte gelangt. Diese kann mit einem etwas schwierigeren Schritt in einer Delle direkt geklettert werden, alternativ geht's rechtsherum mit Hilfe der rissigen Strukturen wohl einfacher und notfalls sicherlich A0.

Larina folgt auf der Kusiplatte (L3, 6a) - diese ersten 3 Seillängen sind noch nicht ganz das Gelbe vom Ei.
L4, 5c+ & L5, 5c+: Vom bequemen Stand am Pfeiler steigt man ganz wenig auf und quert dann das Couloir in die Wand rechts, wo ein supercooler Abschnitt folgt. Gleich zu Beginn der Wand eine schwierige Stelle auf Reibung, danach turnt man genussreich an diagonal verlaufenden Strukturen in die Höhe. Sofern man über 60m-Seile und genügend Exen verfügt, kann man den etwas links aussen liegenden, mässig bequemen Stand auslassen und gleich in L5 weiterklettern. Diese führt ohne besondere Schwierigkeiten erst einer diagonalen Rissspur entlang. Die Crux folgt gegen das Ende hin an einer kurzen Verschneidung, wo an der runden Kante gedülfert und ziemlich glatt angetreten werden muss. Zuletzt nach links hinauf zum Stand.

Ab hier ändert der Fels und die Kletterei ist viel schöner. Unterwegs in den zusammengehängten L3 & L4 (5c+).
L6, 6a+: Mit der schwarz(-weissen) Kante wartet eine weitere Signature-Stelle der Route. Von weiter unten sieht's noch etwas unnahbar aus, schliesslich präsentiert sich links der Kante aber eine griffige Rissschwarte, die auch bereitwillig Cams fressen würde (ist aber alles eng geboltet). Schliesslich gibt man den Riss auf und entert in etwas schwierigerer Kletterei die Kante, was einen schliesslich leichter zur Crux bringt, die aus einem schwierigen Reibungsschritt in die Verschneidung rechts besteht. Griffe gibt's da so gut wie keine, es heisst hinstehen und darauf vertrauen, dass die Füsse auf der leicht sandigen Platte nicht rutschen (oder am Bolt ziehen, A0 möglich). Ich empfand das als den schwierigsten oder zumindest heikelsten bzw. unkontrollierbarsten Move der Route. Da war ich echt kurz unsicher, aber der Fuss hielt schliesslich...

Sehr schöne Kletterei in L6 (6a+). Larina gerade beim Entern der Kante, die Crux über die schattige Platte im Vordergrund.
L7, 6a+: Der 30m-Riss, das Highlight der Sagittarius! Bevor man an diesem sagenhaften Splitter in die Höhe turnen kann, heisst es aber erst eine Wandstelle zu bewältigen - geht gut direkt, etwas absteigend womöglich einfacher. Dann heisst es vorerst cruisen, stehen doch gleich 3 Risse zur Verfügung - wie gemacht, um zu steigen. Auch Cams könnten hier à discretion versorgt werden, aber in der Sagittarius ist das nicht im Programm (alles eng geboltet). Je weiter man kommt, desto schwieriger wird der Riss, am kniffligsten ist das horizontal nach rechts verlaufende Stück. Zuletzt dann wieder einfacher und eher piazmässig an Schwarten zum Stand.

That's a justified grin! Der 30m-Riss (L7, 6a+) ist die herausragende Seillänge der Sagittarius.
L8, 6b & L9, 6a: Mit Tom's Dach folgt nun die nominelle Schlüsselstelle. Gleich vom Stand weg nach links unter einem kleinen Wulst an ein paar Leisten mit den Füssen auf Reibung nach links, gefolgt vom Mantle auf den guten Tritt an der "Dach"kante. Auf den nächsten 2-3m muss gescheit auf Reibung angetreten werden, danach über das wunderschöne Flachdach (=Platte) üppig strukturiert und genussreich zum unbequemen Stand. Nach meinem Empfinden war das ein 'petit 6b', kein Vergleich z.B. mit der 6b+ Reibungscrux im Siebenschläfer, ebenso massiv einfacher wie die dortigen 6b-Längen oder die 6b-Crux der Herrenpartie, eher vergleichbar mit den Anforderungen am Bügeleisen, welches nur mit 5c+ oder 6a bewertet ist. Aber sei's drum, Kletterbewertungen sind und bleiben individuell-variabel-diskutabel, das weiss man ja schon lange. Wer 60m-Seile und genügend Exen hat, kann den Stand mitten in der Platte auslassen und gleich weiter auf die folgende Länge. Diese verläuft erst weiter auf der Platte (geht gut), der zweite Teil kommt dann steiler, dafür griffiger vorher. Coole Moves an Leisten wollen geplant und sauber ausgeführt werden, super!

Unterwegs in der tollen L9 (6a), hinter der Akteurin die rötliche Platte (Toms Flachdach) über welche L8 (6b) verläuft.
L10 - L13, 5b-6a: Die restlichen 4 Seillängen haben nun einen ganz anderen Charakter, sind sich alle sehr ähnlich und äusserst genussreich zu klettern. Der Fels wird hier steiler, ist aber unverschämt griffig mit vielen Knubbeln und granatenähnlichen Strukturen - etwas Vorsicht ist jedoch nötig, da nicht alle davon bombenfest verankert sind (geht aber schon, keine Sorge). Die Absicherung ist weiterhin super, die angegebenen Schwierigkeiten schienen mir generell, aber auch selbst im Vergleich mit den plattigeren Längen im unteren Teil als etwas zu hoch eingestuft - mir schien das alles eher im unteren bis mittleren Fünferbereich zu sein. Die ganz markanten Passagen fehlen hier, L10 führt nach der Crux zu Beginn direkt über den Pfeiler, in L11 verlässt man diesen nach links, L12 ist gleich zu Beginn nochmals etwas steiler und schwieriger, L13 ist schliesslich sehr kurz. Wir brauchten für diesen letzten Abschnitt nur gerade mehr eine gute Stunde, ein weiterer Beleg dafür, dass es sich um Cruising-Gelände handelt.

Durchaus etwas Exposition und schön griffiges Gelände trifft man in den Seillängen 10-13 der Sagittarius.
Um 14.30 Uhr hatten wir also nach 4:00h gemütlicher und genussreicher Kletterei das Top erreicht, welches wenig oberhalb vom letzten Stand einen vorzüglichen Pausenplatz bietet. Trotz Pfingstsonntag und Grossandrang war soweit alles perfekt aufgegangen. Die beiden Seilschaften vor uns kamen zügig voran, von hinten drängelte niemand nach, so dass wir ohne Hast und mit ein paar Futter- und Umschaupausen an den Ständen unterwegs sein konnten. Der Abstieg erfolgt durch Abseilen über die Route, eine separate Piste gibt es leider nicht. Somit sind unweigerlich alle nachfolgenden Seilschaften zu kreuzen - nicht ganz optimal, geht aber schon. Im oberen Teil sind die Seillängen leider gerade ein wenig zu lang, um Stände überspringen zu können. Andererseits wäre es wegen der Gefahr von Seilverhängern auch wenig ratsam. Hier ist umsichtiges Verhalten und gute Seilpflege angesagt. Die zahlreichen Schuppen sind seilfressend und dieses einfach freizuzerren birgt das Risiko, Steine zu lösen und die zahlreichen Personen weiter unten zu gefährden. Ab L9 geht's dann im plattigeren Gelände rascher voran, hier können schliesslich (selbst mit 50m-Seilen) noch 3 Stände übersprungen werden, so dass man nach 10 Manövern wieder beim Depot steht. Wer gut zu Fuss ist, steigt wohl am besten wieder über das Band ab. Wir wählten den 50m-Abseiler (Stand gleich links beim Depot), der uns auf dem Schnee am Wandfuss deponierte. Bei Ausaperung muss man hier nochmals 30m abseilen (der Stand wäre zugänglich gewesen, bei sehr viel Schnee ist er dies aber u.U. nicht!), doch da der Schnee schön weich war, liess es sich gut absteigen. Um 16.30 Uhr waren wir retour an der Strasse, jetzt war es höchste Zeit für die versprochenen Pommes-Frites!!!



Facts

Gelmerfluh - Sagittarius 6b (5c+ obl.) - 13 SL, 400m - Jürg von Känel et al. 2003 - ****;xxxx
Material: 2x50m-Seile, 13 Express, Cams/Keile nicht nötig

Hochfrequentierter Plaisir-Klassiker mit abwechslungsreicher Kletterei über Platten, Risse und griffige Wandabschnitte. Der Zustieg ist kurz, was natürlich zur Beliebtheit beiträgt. Trotz der Kürze erfordert er leichte Kraxelei und sollte auch nicht auf die allzu leichte Schulter genommen werden, solange im Frühjahr noch Schnee auf dem zu querenden Band liegt. Die Route selber scheint mir wenig von Wasserstreifen betroffen und dürfte damit früh im Jahr und auch nach Regenfällen bald wieder geniessbar sein. Der Absicherungsstandard "Plaisir super" ist hier sicher gerechtfertigt, überall wo es schwierig ist, stecken die Haken eng, nur im einfacheren Gelände muss man hier und da mal ein wenig über  die Haken steigen. Die Bewertungen sind im Grimsel- bzw. Granitvergleich eher milde ausgefallen. Somit erstaunt es nicht, dass es hier viel Andrang von Kletterern aus allen Herren Länder gibt. Stark variierendes Können und Erfahrung der Seilschaften, unterschiedliche Geschwindigkeiten und Vorstellungen von Kooperation und Standhandling können eine ebenso grosse Herausforderung wie die Kletterei an sich bieten. Man plane seine Begehung also entsprechend! Das Topo findet man im Plaisir West 2019, Band I sowie auch in älteren Ausgaben desselben Werks.

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