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Montag, 7. Dezember 2020

Rätikon - Via Acacia (7c+)

Bei der Via Acacia (9 SL, 7c+) an der 5. Kirchlispitze im Rätikon handelt es sich um die letzte Neutour von Martin Scheel, eingebohrt anno 1988. Viele interessante Dinge kann man über diese  Route lesen, z.B. "die schönste der extremen Routen im Rätikon" oder auch "trotz moderater Bewertung auch heute noch ein grosses Testpiece". Überzeugend ist auf jeden Fall die Linie mitten durch den grauen Plattenpanzer und mit einer herausragenden Felsqualität ist im Rätikon ja sowieso zu rechnen. Nun denn, obwohl die Absicherung gemeinhin als "gut" bezeichnet wird ist schon nur wegen den vielen, anhaltend schwierigen Seillängen klar, dass da eine ganz grosse Herausforderung wartet. Angie konnte mich davon überzeugen, hier an einem Novembertag bei besten Bedingungen einen Versuch zu starten.

Die Südwand der 5. Kirchlispitze im Rätikon mit dem Verlauf der Via Acacia (7c+)

Nach einer längeren Schönwetterperiode waren die Schneefälle von Ende September, welche damals bereits das vermeintliche Saisonende eingeläutet hatten, wieder Geschichte. So konnten wir problemlos auf's Grüscher Älpli kurven, südseitig war auch alles trocken und schneefrei. Perfekte Bedingungen also, trotzdem war  im Rätikon nur wenig los. Nur gerade 4 Seilschaften waren vor Ort und es wurden nur anspruchsvolle Routen angegangen. Konkret Silbergeier, dann eben von uns die Via Acacia, Pandora und Solo Para Locos. Den Einstieg der Acacia kann man entweder direkt über zuletzt ziemlich steile Schrofen (T5) erreichen, etwas einfacher/günstiger ist es von rechts her zu queren, d.h. an den Einstiegen von Haldejohli und Via Pardutz vorbei. Um ca. 9.45 Uhr hatten wir alles parat und stiegen bei angenehmen Bedingungen ein.

Los geht's! Die Luft an diesem Tag voller Saharastaub, daher kein tiefblauer Himmel, aber trotzdem angenehme Temperaturen.

L1, 40m, 6c: Zuerst noch durchzogenes Gelände, nach ca. 15m dann aber der Wechsel zu Bombenfels mit steilplattiger Rätikonkletterei erster Güte. Da dann recht anhaltend und auch eher luftig gesichert. Die Bolts stecken aber fair und sinnvoll, doch ein Sturz vor dem nächsten Klipp wäre dann doch eher meist ziemlich unangenehm. 

Der obere Teil von L1 (6c) bietet steilplattige Kletterei in Top-Rätikonfels, allerdings luftig gesichert.

L2, 35m, 7c+: Sehr verzwickte Linienführung! Der Einstiegsquergang erfordert Beweglichkeit, löst sich aber für die angedrohte 8- im Originaltopo prima auf. Dann geht's nicht direkt über den Haken, sondern mit einem Loop rechtsherum, was dann wiederum für die 7 sehr hart ist. Nun etwas leichter voran, einer Art Riss/Schuppe folgend in etwas splittrigem Fels. Dann aber links hinaus in die kompaktere Wand und eine Art Rampe hinauf. Hier wird es subito schwierig, wobei 2 Lösungen möglich sind (auf der Rampe oder links davon, unklar welche besser ist, 9-). An deren Ende Rechtsquerung (9-, unübersichtlich, kleingriffig, kaum Tritte - tough!). Der zweitletzte Bolt schwierig zu klippen, bis man fast daran vorbei ist, zuletzt leichter zum Stand. Diese Länge ist eng à la Klettergarten abgesichert, daher wenig zwingend. Trotz der deutlich höheren Bewertung fand ich sie eher zugänglicher als L5 und L6.

Genau hinschauen heisst es in L2 (7c+) mit ihrer verzwickten Linienführung, gerade beim Loop hier.

L3, 30m, 7b+ (oder 6c A0): Aus dem Stand einfache Querung nach links, selbst der Klipp vom zweiten BH löst sich entgegen aller Befürchtungen gut auf, vor allem gibt's da noch einen erstaunlich guten Seitgriff. Nun heisst es aber auf die Trittmulde beim Seitgriff zu manteln, ohne dass noch gross andere Strukturen beim Aufrichten helfen würden. Haben wir beide als einzige Stelle der Route (soweit wir gekommen sind) nicht freiklettern können. A0 geht der Mantle kommod, ach wie gerne hätten wir einen Könner an dieser Stelle (9-) beobachtet... wobei es dann vermutlich aber doch nur unspektakulär aussieht. Danach eine zwar nicht harte, aber unangenehme Stelle zum (zu) weit links in einer Mulde steckenden Haken. Dies gefolgt von einer grossen Rechtsschleife, bevor es in Riesenslalom-Manier einfacher diagonal links hinauf geht - zuletzt mit einer Mutprobe über die glatte Platte, Seilzug inklusive...

Über diese abschüssig-glatte, nahezu grifflose Platte musst du am Ende von L3 (7b+) gehn...

L4, 55m, 6c+: Über 50m lange Seillänge, eine richtig gute Möglichkeit für einen Zwischenstand bietet sich jedoch tatsächlich nicht an. Mit einem 60m-Seil aber gut zu machen. Erst kurzer Boulder in den Graskanal hinunter, diesen ein paar Meter hinauf zu BH #1. Die unscheinbare Passage dort hat es in sich (eine Scheel 7+ Einzelstelle gibt's nicht geschenkt). Nun leichter und etwas grasig zu Aufschwung (BH), gefolgt von einem unschön-splittrigen Abschnitt. Nach nochmals etwas Gras wird der Fels dann aber top. Erst erstaunlich gutgriffig, dann plötzlich knifflig (8-) und schliesslich etwas schlabbrig in Top-Rätikonfels hinauf. Erst zuletzt wird das Gelände wieder grasdurchsetzt und einfach, man erreicht schliesslich das Mittelband.

Der erste Teil der langen L4 (6c+) bietet nicht Top-Kletterei, bei der Position der Akteurin ist es dann aber super!

L5, 30m, 7b+: Über eine Sanduhr in die sehr schöne Tropflochwand hinein, die nach dem Einstiegsboulder vorerst verschwenderisch griffig daherkommt. Bald werden die Strukturen kleiner und schon fordernd geht's unter den Wulst hinauf (original 7 und 7+). Die "erste Welle" geht noch gut, dann folgt aber die 8+ Crux: Seitgriff - Löchlein - Zange (leider etwas staubig), die Frage ist bloss, wohin mit den Füssen und wie kommen diese über das Overlap?!? Kräftig weiter an Seitgriff und hepp an den Thank-God-Jug. Der Rest, vorwiegend ausdauernd an Seitgriffen, dann etwas einfacher zum unbequemen Hängestand. Zwar gut abgesichert, an der Crux aber trotzdem recht zwingend. Ich fand diese Stelle hart, die Seillänge insgesamt nicht leichter wie L2.

Aussichten auf L6... superkompakt, supertechnisch, leider kein Action-Foto von L5 (7b+) gemacht.

L6, 30m, 7b+: Es wird etwas weniger steil, dafür extrem technisch in super Fels. Erst an scharfen Seitgriffschüpplein hinauf, die einfachste Linie verläuft etwas links der Haken, natürlich zum Preis einer kniffligen Rechtsquerung vor dem dritten Klipp. Die 8+ Stelle danach hat uns grosse Probleme bereitet... schwierig in schlechten Seitgriff reinkommen, auf kleinsten Rauigkeiten hoch anlaufen und irgendwie die offensichtliche Schuppe links oben fassen - nach zig Versuchen ging es dann doch, gefolgt von heiklem Klipp. Anhaltend technisch geht's weiter, von gutem Seitgriff wieder plattig anlaufen und auf Tropflöcher, der nächste Abstand eher über seichte Wasserrillen, dann eine Wandstelle wo eine Schuppe ausgebrochen ist, bis uns schliesslich die 8+ Stelle nach dem BH #7 dieser Länge endgültig ausgebremst hat. Vom Haken weg ein paar Meter schwierig, man käme schliesslich zu seichten Wasserrillen und nach heikel aussehendem Mantle zu einem weiteren Bolt (sprich, es stecken auch hier mehr Bolts als laut Originaltopo, sie sind aber trotzdem weit auseinander!). Leider ist gerade dieser entscheidende Bolt #7 zu wenig tief gebohrt und steht ziemlich weit vor... wenn der dann auch noch versagen würde, so würde es definitiv unangenehm bei einem Sturz. Alles in allem dünkte uns diese Länge extrem taff, sehr zwingend und trotz an sich vernünftiger Sicherung psychisch anspruchsvoll. Zudem ist sie für kleiner gewachsene möglicherweise gleich nochmals schwieriger.

Brutal fusstechnisch an Mikrokratzern ist L6 (7b+) - hier mit Pause, nachdem eine zwingende Stelle nach zig Versuchen geglückt ist.

Tja, inzwischen war es bald 16.00 Uhr, unsere Reserven an Kraft, Haut, Psyche und natürlich Tageslicht waren aufgebraucht. Auf dem Programm wären erst noch 2 weitere, laut Topo vermeintlich etwas einfachere Seillängen (6c+, 7a), das Grande Finale im Bereich 7c+/8a und die Ausstiegslänge (6a+) der Via Pardutz zum Gipfel gestanden - ein happiges Restprogramm für 2 ausgepowerte Athleten. Somit gab es für einmal eine (wenn auch im voraus absehbare) Schlappe - wie immer fuxt es mich gewaltig, eine Route nicht beenden zu können. Heisst aber natürlich nicht, dass es nicht dennoch ein toller Klettertag und eine gewaltige Horizonterweiterung war. Unter dem Strich machten wir in den athletisch schwierigen Sektionen der Route die beste Figur, mit etwas Übung wäre das zu meistern. Aber diese extrem (fuss)technisch-koordinativen Steilplatten, da fehlt (mir) vielleicht einfach das ultimative Können dafür. Und logo, sofern man eben das Rüstzeug nicht hat, um auf Minidellen an der Haftgrenze des Schuhs präzise, balanciert und trotzdem mit der nötigen Dynamik zu moven, so fühlt sich das dann mangels Kontrolle auch für die Psyche sehr herausfordernd an, was dann auch noch zu Lasten der notwendigen Lockerheit in diesem Gelände geht. Auf jeden Fall, so viel ist sicher: die Acacia ist keine Route, wo man mit brutaler Leistenpower zum Erfolg kommt. Da braucht es Klettertalent und die nötige Souplesse. Aber wie schön, dass der Klettersport solch vielfältige Challenges bereithält!

Time to go home with the promise to come back...

Facts

5. Kirchlispitze - Via Acacia 7c+ (7b obl) - 10 SL, 370m - Martin Scheel et al. 1988 - *****;xxx

Material: 2x60m-Seile, 10 Express, evtl. Camalots 0.2-0.75

Eine Scheel-Nimbusroute durch den kompakten Plattenpanzer der 5. Kirchlispitze. Es wartet für das  Rätikon typische Steilplattenkletterei, vielfach in rauem Topfels. Soweit wir gekommen sind, haben wir auch einige Stellen angetroffen, wo das Gestein mal etwas splittrig, staubig oder grasig war, aber das ist kein Stilbruch, so dass aufgrund von Position und Nimbus die vollen 5* sicher berechtigt sind. Die Kletterei ist auf weite Strecken extrem (fuss)technisch und diffizil, d.h. sie erfordert viel Vertrauen in die Reibung, Balance und Koordination. Etwas Athletik schadet natürlich nie, sie kann aber nur vergleichsweise schwierig an den Fels gebracht werden, somit sicherlich nicht das dankbarste Projekt für reine, starke Überhang-Sportkletterer. Die Absicherung der Route ist an sich gut, nur im einfacheren Gelände unter ca. 6bc gibt es weite Abstände. Da konnten wir in den Längen 1-4 noch den einen oder anderen kleinen Cam zur Beruhigung der Nerven versorgen, Könner kommen vermutlich ohne aus. Doch auch in den schwierigen Passagen, wo die Route gut abgesichert ist, ist die Kletterei oft zwingend und psychisch anspruchsvoll. Gute, bzw. überhaupt so richtig nutzbare Griffe fehlen eben oft und man bewegt sich beständig an der Abschmiergrenze, das fühlt sich halt einfach immer speziell an. Doch auch hier gilt, wer's richtig drauf hat, für den ist vielleicht alles halb so wild. In Sachen Topo ist das hier abgebildete Original von Martin Scheel nach wie vor die Referenz.

Originaltopo der Via Acacia von Martin Scheel @ azoom.ch.

Sanierung

Aufgrund der Bilder von der Erstbegehung wurde die Via Acacia mit der Maschine gebohrt. Verwendet wurden aber (bis auf ganz vereinzelte Exemplare) nicht die heute üblichen Expansionsdübel, sondern so etwas à la Kronenbohrhaken, wo eine flache Schraube kleineren Durchmessers in den M10-Dübel geschraubt ist. An den Standplätzen handelt es sich um rostfreie Ware, die Zwischenhaken sind aber nur verzinkt und öfters rostig. Immer mal wieder trifft man auf ein Exemplar, welches zu wenig tief gebohrt wurde, d.h. wo das Plättli wackelt/dreht bzw. der Dübel etwas vorsteht (das bedeutet sicherlich erhöhte Bruchgefahr). Unter dem Strich: das Hakenmaterial hat >30 Jahre nach der Erstbegehung ein Update verdient. Natürlich 1:1, d.h. blosser Ersatz der Haken. Trotzdem ist das eine Herkulesaufgabe, denn einerseits stecken total 90 BH, andererseits kann man die neuen Bolts ja nicht genau an demselben Platz wie die bestehenden positionieren. Oft entscheiden hier aber Zentimeter über Klippbarkeit und Anspruch der Route, d.h. die Ausführenden müssen sehr sorgfältig arbeiten und es kommt ihnen eine grosse Verantwortung zu, dieses Monument zu pflegen. An gewissen Stellen (z.B. L2, L3) gibt es auch ein gewisses Optimierungspotenzial der Hakenpositionen (in Bezug auf geradlinigen Seilverlauf), ohne dass der Charakter der Route geändert würde... ein Job für Eastbolt?

Rostfreier Kronen(?)bohrhaken, dieser Typ kam an den Standplätzen zum Einsatz. Die Zwischenhaken sind leider weitgehend von deutlich schlechterer Qualität.

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