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Sonntag, 25. Juli 2021

Chiavenna - Parete del Castagneto - Bamboccioni Volanti (7a)

Auftakt zu einem kleinen MSL-Trip mit Kathrin! Für den ersten Tag war einiges an Engineering zur Identifikation eines geeigneten Ziels notwendig. Vielerorts waren sintflutartige Regenfälle gefallen und hatten die Felsen unter Wasser gesetzt, das Wetter versprach längst nicht überall eitel Sonnenschein, die Strassen Richtung Süden waren mit Staus blockiert und dass wir erst Mitte Vormittag los konnten, nachdem die Kinder in ihr Trainingslager aufgebrochen waren, machte es auch nicht einfacher. Doch auf der Südseite des Splügenpasses sollte es mit Nordföhn trocken sein, es war in den Vortagen nur moderat Niederschlag gefallen und als Alternativroute in den Süden ist dieser Weg immer eine gute Wahl. Auch die Route mit ihren 7 SL und nur 10 Minuten Zustieg schien realistisch - es blieb einzig die Frage, was wir denn erwarten durften, gab doch das Netz überhaupt keine Informationen her.

Blick von der Strasse auf die Parete del Castagneto mit dem Verlauf der Bamboccioni Volanti (7a).

Der Ausgangspunkt befindet sich genau hier, wenig talabwärts vom Santuario von Gallivaggio. Man folgt erst ca. 100m der Schotterstrasse bis vor einem im Wald versteckten Wohnhaus ("Proprieta Privata") und folgt unmittelbar davor einem Pfad, der rechts in den Wald abzweigt. Diesem ein paar Minuten (ca. 300m?) entlang, bis er sich ein wenig verliert und es auch subjektiv günstiger scheint, nun direkt zur Wand hochzusteigen. Spuren fanden wir da so gut wie keine, aber das Gelände war gut begehbar - wir haben unsere Fährte mit Steinmännern markiert. Von dem Punkt, wo wir den Wandfuss erreicht hatten, mussten wir noch ca. 150m nach links (Norden) queren. Der Einstieg befindet sich relativ unscheinbar an einem ca. 10m hohen Vorbau mit erst einem dünnen Riss und dann 2 BH an der Wandstufe. Offenbar ist die Bamboccioni nach wie vor die einzige Route in dieser Wand, somit ist die Gefahr für einen Irrtum klein und auch am Einstieg haben wir einen Steinmann gebaut. Knapp vor 15.00 Uhr stiegen wir schliesslich ein.

Hier geht's los, der dünne Riss und die überhängende Wand danach!

L1, 40m, 6c: Irgendwie sieht dieser Vorbau klein-niedlich aus, aber ich hatte mit Kennerblick schon vermutet, dass man da nicht 'gratis' durchkäme. Schon die ersten Meter an der Rissspur sind nur mässig griffig, die Wandstufe dann sogar richtig giftig. Überhängend-athletisch, knappes Trittangebot, zum Glück erscheinen ein paar unverhofft positive Crimper, die man aber gleich ordentlich zuballern muss. Mit einem Mantle wird man schliesslich auf den Vorbau entlassen und steigt über Blöcke zur Hauptwand. In steiler Wandkletterei an gutgriffigen Schuppen erreicht man den Stand, zuletzt musste auch noch ein Cam platziert werden.

Kräftige Kletterei an griffigen Schuppen im oberen Teil von L1 (6c).

L2, 35m, 7a: Was für ein Feuerwerk an tollen Kletterstellen wartet in dieser Seillänge! Der Auftakt über einen Wulst noch gutmütig, auch die folgende Schuppe (1-2 Cams zwingend) macht keinen Kummer. Dann geht's aber los, einige Leisten wollen geschickt zu einer rechtsansteigenden Sequenz kombiniert werden, um eine erste Crux zu erreichen. Dank einer Seitgriffleiste und einem optimal platzierten Quarzknubbel ist die Wandstelle möglich - sonst ginge es nicht, ein Wunderwerk der Natur. Man kann dann kurz durchschnaufen, die folgende, balancemässige Wandkletterei an sloprigen Leisten ist aber echt genial - es hat genau die nötig Struktur, dass alles sauber aufgeht, absolut begeisternd! Erst die letzten Meter dann ein wenig einfacher zum Stand hinauf.

Die Qualität von L2 (7a) kommt auf diesem Foto nur sehr beschränkt zur Geltung. Einerseits sieht die Wand im Tiefblick nicht super attraktiv aus, andererseits sind die letzten Meter dieser Länge einfacher, strukturierter und auch nicht mehr ganz so gut wie das, was man davor in die Finger kriegt!

L3, 15m, 6c+: Zwar kurze, aber weder banale noch langweilige Seillänge. Athletisch-überhängend an gutgriffigen Schuppen durch die Steilzone unter ein veritables Dach hinauf. Dort heisst es, in der senkrechten Platte nach rechts zu queren. Eine sehr trickreiche Sequenz mit Einbezug von marginalen Unter- und Seitgriffen und entsprechendem "Wegstehen" machen es möglich. Dank der guten Absicherung im Vor- und Nachstieg ohne Panikattacken geniessbar.

Henklig hinauf, dann die knifflige Traverse unter dem grossen Dach in L3 (6c+).

L4, 30m, 6b+: Es wäre ja keine richtige Gneisroute, wenn nicht einmal eine kernige Plattenpassage folgen würde. Die kriegt man hier gleich zum Auftakt: erst gibt's noch ein paar akzeptable Trittmulden, um die ersten Meter zu machen, bei der folgenden Rechtsquerung ist dann aber 100% Vertrauen in dem Gummi gefragt. Über eine gebändert-buschige Zone erreicht man die nächste Platte - der Fels da unglaublich körnig mit super Reibung, ein paar Strukturen lassen sich in die Sequenz einbauen, richtig cool! Das Finish dann einfacher über ein paar Stufen hinweg zum Stand.

Sieht auch wieder etwas botanisch aus, die kompakte Platte davor lässt sich nur erahnen. Aber auch L4 (6b+) bietet wirklich unterhaltsame, plattige Kletterei von hoher Güteklasse, vor allem in einem körnigen Gneis mit hervorragender Reibung.

L5, 45m, 4c: Die easy Pitch mit nur 1 BH... allzu schwierig ist es zwar tatsächlich nicht, aber in einem Plaisirgebiet würde dieser Abschnitt wohl höher eingestuft. Der Beginn über ein paar Stufen hinweg zuerst aber tatsächlich mehr Kraxelgelände, bevor es in eine schöne Platte hineingeht. Ein paar Seitgriffkanten erlauben ziemlich kommodes Fortkommen, der Bolt steckt genau an der richtigen Stelle. Aber dennoch, oho! Erst im Ausstieg kann man legen, über ein vegetatives Band geht's im Gehgelände an die obere Wand heran und dort gutgriffig über blockiges Gelände noch ein paar Meter zum Stand hinauf.

L6, 40m, 6c: Den dornigen Kamin zu Beginn kann man zum Glück rechts liegenlassen und über die Begrenzungskante steigen, was sich gut auflöst und auch in Absenz von BH gut machen lässt. Danach kann man erst legen, diesen Rissen entlang ist es auch noch nicht schwierig. Das kommt dann erst, als die gut mit BH gesicherte Wandkletterei anfängt. Erst etwas gesucht über eine kompakte Wandstelle, dann ziemlich anhaltend, oft an diagonalen Seitgriffstrukturen aber doch mit viel Abwechslung von einem zum nächsten bouldrigen "Problemchen" weiter - supertoll!

Tolle Kletterei in L6 (6c) - die Temperaturen waren übrigens bei unserer Begehung perfekt. Der Himmel war oft bewölkt und nur zwischendurch sonnig, mit Nordföhn waren die Temperaturen angenehm warm aber nicht heiss. 

L7, 30m, 6b: Vom Stand geht's nach rechts um die Kante und dort dann hinauf - auf den ersten Blick nicht unbedingt logisch, jedoch aufgrund der schliesslich gebotenen Kletterei ist das ganz bestimmt der korrekte Weg. Man erreicht nämlich einen Wandbereich, der wieder mit der genau richtigen Menge an sloprigen Leisten aufwartet, um die richtige Mischung zwischen elegantem Fortkommen und unterhaltsamen Boulderproblemen zu bieten. Eine etwas markantere Crux wartet am rostigen Riss, wo kurz etwas Entschlossenheit gefragt ist.

Perfekter Auftakt in die Ferien - was kommt als nächstes?!?

Um ca. 19.00 Uhr und damit nach rund 4:00 Stunden Kletterei hatten wir das Top mit einer an beiden Seilenden einwandfreien Onsight-/Flash-Begehung erreicht. Das war nun ein echt genialer Auftakt gewesen. Vom Parkplatz hatte die Wand noch eher unscheinbar ausgesehen, teils auch mit Grünzeug gespickt. Dass wir hier über solch weite Strecken auf steile, griffige Kletterei in perfekt sauberem, rauen Gneis treffen würden, hätten wir nicht in diesem Ausmass erwartet. Mehr oder weniger unmittelbar fädelten wir die Seile, mit 6 effizienten Manövern (7->6->5->4->3->1->Boden) ging es in die Tiefe. Aufgrund der Büsche und der diversen Schuppen besteht sicher eine Gefahr für einen Verhänger, die sich aber für uns nicht manifestierte. Um 20.00 Uhr waren wir schliesslich retour an der Strasse und fanden schon wenig später einige Kilometer unterhalb im Italosvizzero ein Quartier, ein feines Nachtessen und sehr zuvorkommende Bewirtung.

Facts

Parete del Castagneto - Bamboccioni Volanti 7a (6b+ obl.) - 7 SL, 235m - Lisignoli/Crotti - ****;xxxx
Material: 2x50m-Seile, 13 Express, Cams 0.3-1

Unscheinbare, aber echt gute MSL-Route in Strassennähe! Mit nur 10-15 Minuten Zustieg erreicht man die nach Westen exponierte Wand mit Einstieg auf ~850m. Um auf angenehme Bedingungen zu treffen, klettert man in der warmen Jahreszeit entweder am Vormittag oder bei bewölktem Himmel, in der kalten Jahreszeit sollte man ab Mittag die für eine Begehung nötigen Sonnenstunden vorfinden. Die Kletterei begeistert durch viel Abwechslung - es gibt vorwiegend Wandkletterei an sloprigen Leisten und Rissspuren, athletisch-gutgriffige Sequenzen machen ihre Aufwertung und selbst etwas an Kletterei auf Reibung fehlt nicht. Fände man diese Route mit so bequemem Zustieg z.B. im Yosemite Valley, sie könnte sich vor Begehungen nicht retten. Die Absicherung mit Inox-BH ist sehr gut ausgefallen. An einigen einfacheren Stellen mit offensichtlichen mobilen Möglichkeiten müssen Cams gelegt werden, wofür mir 1 Set von 0.3-1 gut ausreichend war. Die Wandstellen weisen alle faire und sinnvolle BH-Absicherung auf, da waren Könner am Werk! Meines Wissens ist die Route nur im Büchlein Valchiavenna Rock von Erstbegeher Guido Lisignoli aufgeführt, das man z.B. auf seinem Camping Acquafraggia erwerben kann. Sein hervorragendes Originaltopo ist jedoch auch auf dem Netz greifbar, siehe unten.

Topo des Erstbegehers Guido Lisignoli, vielen herzlichen Dank!

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