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Donnerstag, 9. Juni 2022

Gantrisch / Nüneneflue - Znüni näh (7b)

Diese Neutour aus dem Jahr 2020 hatte unmittelbar nach der Publikation des Topos mein Interesse geweckt. Die Erschliesser versprachen besten Fels und Top-Absicherung und vor allem befand sich das Unternehmen in einem Gebiet, wo ich bis dato noch nicht vorbeigekommen war. Während der Gantrisch für die Berner Locals ein Eldorado für voralpine Skitouren und Graskraxeleien ist, so ist bzw. war er für das Felsklettern eine wenig renommierte Adresse. An einem quellwolkig-gewittrigen Tag im Vorsommer schien das Projekt aber genau die richtige Dimension zu haben und tatsächlich wurden wir nicht enttäuscht. Der scharfe Tropflochfels war einwandfrei, ebenso die Bestückung der Route mit soliden Inoxbolts. Selbst die unvermeidliche, nachmittägliche Schauerzelle zog unmittelbar neben uns vorbei und lieferte ausser einem beeindruckenden Schauspiel nur ein paar minimale Tropfen.

Die beste Übersicht erhält man auf dem Topo der Erschliesser - danke Andy Klaus & Adrian Voegeli! 

Neue Wege einzuschlagen war das Motto, das betrifft in gewisser Weise schon die Anreise zum Ausgangspunkt. Nein, den Gurnigel hatte ich bisher noch nie überquert, aber das ist ja schon fast eine Nebensache. Ein wesentlicher Spannungsfaktor war aber, dass Hin- und Rückreise zum ersten Mal die nominelle Reichweite des Elektromobils übertrafen und es im Aspekt 'Nachladen unterwegs' durchaus noch etwas Entdeckungsbedarf gab. Auf dem Hinweg war das aber noch kein Thema und wir starteten gut gelaunt, perfekt im Fahrplan und bei strahlendem Sonnenschein um Schlag 9.00 Uhr vom oberen Parkplatz bei der Wasserscheidi (~1600m) mit dem Zustieg. Diesen mit dem Bike bis nach Gustiberg (1727m) zu verkürzen, würde wohl fast die Hälfte unserer benötigten Zeit von 55 Minuten einsparen. Ab der Alp folgt man dem Wanderweg zur Schwalmere, verlässt diesen an offensichtlicher Stelle, um weglos über zuletzt steile Grashänge (T5) den Einstieg bei der markanten Tanne (1900m) zu erreichen. In deren Schatten konnten wir uns gemütlich vorbereiten und starteten um 10.20 Uhr mit der Kletterei.

Unterwegs auf neuen Wegen im Gantrischgebiet, welches aus dieser Perspektive sich nicht wirklich als Felsklettergebiet präsentiert. Die drei Gipfel am Horizont nennen sich (v.l.n.r) Gustispitz, Nüneneflue und Gantrisch. Auf der Rückseite des mittleren Gipfels befindet sich unsere angepeilte Route. Obwohl sie aus dieser Perspektive weit entfernt scheint, lässt sich der Einstieg in einer knappen Stunde erreichen.

L1, 30m, 6c+ (bzw. 6b+/6c): Schon wenige Meter, nachdem man den Boden verlassen hat, heisst es bei einem markanten Boulderzug ein erstes Mal parat zu sein. In der Folge präsentiert sich die Kletterei stets griffig an stark strukturiertem Tropflochfels und interessant. In einer grossen Linksquerung gilt es stets abzuwägen, ob man lieber zuerst hinaufsteigt und dann traversiert oder umgekehrt. Schliesslich erreicht man ein Band mit dem Stand. Gegenüber dem links ansteigenden Grasgelände hat man sich da gar noch nicht so weit entfernt - aber definitiv schon eine sehr schöne prima Aufwärmlänge geklettert.

Viktor unterwegs auf der grossen Querung im oberen Teil von L1 (6c+).

L2, 30m, 7b: Nochmals etwas nach links hinaus und dann die Wand obsig, so heisst das Motto hier. Gleich zu Beginn wird man sich gewahr, dass nun eine Schippe draufgelegt werden muss. Scharfe Tropflochgriffe sind durchaus da, aber die Steilheit zwingt einen, die Moves zu planen und sich solide festzuhalten. Ein bugartiger Pfeiler lässt dann anziehende Schwierigkeit vermuten, welche man mit der Crux auch vorfindet. Über ein paar Meter ist es steil, anhaltend, kleingriffig und vor allem sehr unübersichtlich. Scharfe Tropflochstruktur gibt es zuhauf, die richtige Lösung zu erkennen ist aber schwierig und es bleibt einem nicht ewig Zeit, um nach dieser zu suchen. Mich wirft es schliesslich vor der Thank-God-Kelle ab, schade! Nach dieser mit kleinem Runout weiter, zuletzt dann in einer etwas gemüsigen, aber sehr gut abgesicherten Traverse nach links hinaus zum Stand.

Dieses Foto aus L2 (7b) sieht bei genauer Betrachtung sehr gechillt aus. Das freut mich, auch wenn es eigentlich komplett irreführend ist. An dieser Stelle holt man nämlich das letzte Mal etwas Luft, bevor es in die Crux geht, das Gelände ist steil und ermöglicht keine entspannte Ruheposition - doch die Kunst beim (Onsight-)Klettern ist es eben, sich auch in prekären Situationen wieder zu sammeln und mit der Energie möglichst haushälterisch umzugehen.

L3, 30m, 6c+: Eine absolut geniale Seillänge mit anhaltender, ausdauernder und griffiger Kletterei in bestem, scharfem Tropflochfels. Wirklich sehr speziell ist es, dass wir hier keine Crux ausmachen konnten. Die Moves sind wirklich fast beständig von ähnlicher Schwierigkeit über die gesamte Kletterstrecke hinweg - sehr aussergewöhnlich!

Hammermässige Tropflochkletterei in L3 (6c+)

L4, 25m, 7a (bzw. 6c+): Hier findet man einen leicht anderen Charakter vor, das verrät schon der Blick nach oben. Zwei überhängende Wulste gilt es zu überqueren, sie fragen eine gewisse Athletik ab. Der Rest der Seillänge geht hingegen leichter von der Hand. Zum Ende der Seillänge trifft man mit der Route Fakir (3 SL, 7a, Hostetter/Joss 2014) zusammen, deren Stand man nutzen muss bzw. kann. Ich zog es nämlich vor, diesen eher unbequemen Ort gleich wieder zu verlassen und weiter dem ansetzenden Fixseil entlang ins Schrofengelände hinaufzusteigen. Zum nächsten Doppelbolt-Stand reicht es mit 50m-Seilen nicht, da aber zahlreiche Einzelbolts stecken die dank dem Fixseil ausreichend Redundanz haben, kann man gut bis zum "Seil aus" steigen.

Steile Kletterei über 2 Wulste hinweg wartet in L4 (7a).

L5, 30m, 4a und Grasgelände: Das Fixseil beginnt nicht direkt am Stand nach L4, sondern erst 2m weiter oben beim ersten Zwischenbolt. Bis dahin wollen noch einige Moves am Fels geklettert werden und auch über die nächsten 2-3 BH lässt es sich bei abnehmender Gesteinsqualität Hand ans Gestein legen, bevor man endgültig in weniger steiles Grasgelände aussteigt. Der eigentlich Stand befindet sich weiter oben bei einer Art Schulter, wo man mit dem Kettenweg zusammentrifft.

Ausstieg ins grasige Gelände in L5, unbedenklich da top eingerichtet mit BH und Fixseil.

L6, 25m, Gehgelände: Leicht ansteigende Horizontaltraverse in grasigem, unschwierigem Gelände. Dank Fixseil und zahlreichen Bolts gut am laufenden Seil bzw. ohne Partnersicherung zu machen. Man erreicht ein bequemes Band, wo die beiden Varianten in der Schlusswand starten.

Zweiter Teil des Gras-Intermezzos (L6) zum bequemen Band am Fuss der Gipfelwand, wo wir noch eine kleine Sportklettersession durchgegeben haben (d.h. die letzte Seillänge und ihre Variante mit Sichern von diesem Band geklettert haben).

L7, 30m, 7b: Die schwierigere rechte Variante in der Gipfelwand haben die Erschliesser auf ihrem Topo als das Original bezeichnet. Über weite Teile bietet die Länge knapp senkrechte Wandkletterei an Löchern und kleinen Leisten, gut gangbar im 6c/7a-Bereich. Der Felscharakter ist hier ganz anders als in den unteren Längen, die Qualität aber immer noch top - eine geniale Turnerei. Die Crux erfolgt schliesslich ganz am Ende. An der Stelle wo man nach rechts auskneifen und in einfachem Gelände den Gipfelgrat erreichen könnte, gilt es (etwas gesucht) steil an einer patschigen Sloperkante zu bouldern. Da der finale Stand eher unbequem ist und wir sowieso noch die linke Variante klettern wollten, lenkten wir am Top um und sicherten vom Grasband aus - sicher die empfehlenswerte Variante, wenn man nicht weiter zum Gipfel will, zudem ermöglichte es beiden den Vorstieg dieser Schlusslängen. Es sei allerdings bemerkt, dass für das Umlenken 60m-Seile empfehlenswert sind, mit 50m reicht es mehr schlecht als recht (bzw. genau genommen gar nicht ohne Tricksen).

Unterwegs in L7 (7b), der Ausstieg an der steilen Nase links oberhalb des Akteurs.

L7 linke Variante, 30m, 7a: Kein Mauerblümchen, sondern eine echt coole Sequenz! Sie bietet anhaltende, steile Wandkletterei an scharfen Leisten, Schüppchen und Löchern mit einem kniffligen Finale. Unter dem Strich hat uns diese Seillänge sogar noch besser gefallen wie das Original. Sie ist homogener und wir empfanden sie als die logischere Linie zum Top - wenn nur eine der beiden Längen geklettert werden sollte, dann würde ich persönlich diese hier bevorzugen.

Auftakt in die linke Variante von L7 (7a), geniale Kletterei hinauf an die steile Nase am Horizont.

In der Gegend von 17.00 Uhr und damit nach 6:30h vergnüglicher Kletterei hatten wir unser Tageswerk beendet und dabei am Ende etwas Glück mit dem Wetter gehabt. Während Viktor seine letzte Länge am Leaden war, entwickelte sich aus der Quellbewölkung urplötzlich eine Schauerzelle. Während sie bei uns nur das Licht stark abdunkelte und wenige Tropfen schickte, so regnete es schon am Gustispitz drüben und wenige Minuten später in der Gegend von Thun recht stark. So konnten wir trocken geblieben die nächsten Schritte planen. Um die Punktebuchhaltung komplett ins Reine zu bringen, wäre ein Second Go in L2 nötig gewesen (der Rest der Tour war onsight gelungen). Doch da diese von oben kommend nicht erreichbar ist, die Kletterei einiges an Kraft gekostet hatte und vor allem die Haut an den Fingerspitzen schon sehr dünn, empfindlich und rosa geworden war, entschieden wir uns dafür, den Heimweg anzutreten.

Da hatte sich der fette, Regentropfen bringende Topf schon Richtung Thun verzogen... :-) während er nur wenige Minuten zuvor direkt bei uns noch fast für Unheil gesorgt hätte. Es zeigt eben, dass solch instabile Wetterlagen in den Bergen immer heimtückisch sind.

Wir stiegen dem Fixseil entlang zurück, ein kurzer Abseiler von wenigen Metern brachte uns zu Stand 4. Rund 40m gleitet man von dort steil über den Fakir in die Tiefe, der nächste Stand muss etwas seitlich in überhängendem Gelände angependelt werden! Ein weiterer Abseiler führt in die steilen Grashänge der NE-Flanke, nach ca. 45-50m findet man an den Felsen einen weiteren Stand. Dieser ermöglicht es, nochmals bis in flacheres Terrain abzuseilen, wobei man aber auch noch das Depot am Einstieg aufheben muss (was nicht am Seil möglich ist). Sehr zufrieden darüber, eine tolle Tour mit meist perfektem Fels in einer für uns bisher unbekannten Gegend geklettert zu haben, wanderten wir zum Ausgangspunkt zurück. Wir rollten talwärts und kümmerten uns dann um eine Nachlademöglichkeit für das Elektromobil. Das entpuppte sich als einfacher wie befürchtet. Während wir im Shop einen Recovery Drink kauften, hatten innerhalb von nur 10 Minuten bereits genügend Elektronen ihren Platz gefunden, damit der Energiebedarf für die Heimfahrt gesichert war. Ja, so eine 50kW-Spritze direkt in die Unterarme würde einem beim oder nach dem Klettern manchmal auch gut tun, befanden wir :-)

Facts

Gantrisch / Nüneneflue - Znüni näh 7b (6c obl.) - 8 SL, 230m - Klaus/Voegeli 2020 - ****;xxxx
Material: 2x50m-Seile (60m u.U. vorteilhaft), 16 Express, Cams/Keile nicht nötig

Obwohl der Gantrisch zum Felsklettern kaum bekannt ist, findet man in der Ostwand der Nüneneflue unerwartet guten, scharfen und griffigen Tropflochfels à la Rosenlauistock Südwand. Zudem haben die Erschliesser Top-Arbeit geleistet und aus dem zur Verfügung stehenden Felsmaterial wirklich das Optimum an Kletterroute herausgeholt. Der Verlauf quert beständig etwas nach links, die Linie ist aber logisch und folgt dem besten Gestein. Die grasige Querung zur Schlusswand ist problemlos und zügig zu machen und lohnt sich bestimmt - erst recht, wenn man dort beide Seillängen klettert. Für diejenigen mit dem ganz grossen Felshunger gäbe es beim Abseilen auch noch die Möglichkeit, die 3 Längen des Fakir anzuhängen (sehen prima aus, gut abgesichert). Die Absicherung von 'Znüni näh' mit Inoxbolts darf man als perfekt bezeichnen. Die Haken stecken in kurzen Abständen und sind ideal platziert. Dennoch bleibt ein gewisser Anspruch vorhanden. Hingehen und geniessen, kann man da nur sagen, einfach genügend solide Fingerhaut muss man mitbringen. Zu erwähnen ist noch, dass die Route im Vorsommer bis ca. 14-15 Uhr besonnt bleibt. Topo und einige weitere Infos findet man bei rebolting.ch.

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