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Montag, 12. August 2013

Drei Zinnen - Hasse Brandler (7a+)

Die Direttissima in der Nordwand der Grossen Zinne: bereits 1958 wurde sie von einem deutschen Team unter dem Antrieb von Dieter Hasse erstbegangen. Eine solche historische und begehrte Linie hat man als Alpinkletterer unweigerlich auf seinem Radar. Schliesslich ist die Wand ein äusserst eindrückliches Gemäuer: vom Einstieg bis zum Ausstieg auf dem Ringband 500m hoch und dabei ganze 20m überhängend, Flachstücke und Platten sucht man vergebens! Lange Zeit schien sie mir aber mit den auf 8+ oder 6+/A2 angegebenen Schwierigkeiten und einer Absicherung fast ohne Bohrhaken ins Reich der kühnen Träume zu gehören. Nachdem ich nun über Jahre Erfahrung gesammelt hatte und ich mich auch einige Male in den Dolomiten herumgetrieben hatte war schliesslich klar, dass die Tour in den Bereich des für mich Möglichen gerückt war.

Wandfoto mit dem exakten Verlauf der Route, (c) by Markus Stadler
Mein überhaupt erster Besuch an den Drei Zinnen lag erst 2.5 Wochen zurück. Die ebenfalls sehr eindrückliche 'Ötzi trifft Yeti' hatte ich zusammen mit Kathrin geklettert. Auch wenn es logisch war, dass ich noch so gerne bald wieder hierher zurückkehren würde, so hätte ich nicht gedacht, dass es nur eine solch kurze Zeit später wäre. Doch als die Anfrage von Tobias kam, welcher diesen Sommer u.a. schon alpine Klettertouren der allerhöchsten Abenteuerklasse wie den Herrmann Buhl Gedächtnisweg an der Rotwand oder die Niedermann/Abderhalden in der N-Wand des Scheideggwetterhorns geklettert hat, da gab es kein Halten. Touren dieser Grössenordnung müssen geklettert werden, wenn der Mix von Bedingungen, Partner und verfügbarer Zeit passt, ansonsten bleiben sie auf ewig kühne Träume.

Das hiess allerdings auch, dass mir ein relativ enges Zeitfenster von einem einzigen Ferientag zur Verfügung stand. So machten wir uns nach getaner Arbeit auf Richtung Südtirol. Den heftigen Gewittern in der Schweiz konnten wir ostwärts haltend gerade so davonfahren. Die Südalpen blieben glücklicherweise komplett verschont davon, so dass wir nach dem Brenner eine geniale Abendstimmung genossen. Schliesslich erreichten wir nach einem Pizza-Znacht die Parkplätze beim Rifugio Auronzo, wo wir uns bei schönstem Sternenhimmel direkt neben dem Auto aufs Ohr legten. Um 4.10 Uhr war Tagwache, um 4.40 Uhr marschierten wir los. Trotzt nicht allzu viel Schlaf fühlte ich mich voller Energie, höchst motiviert und mit 100%iger Zuversicht für das, was uns bevorsteht. 

Yours truly unterwegs in der noch einfacher zweiten SL, vierter Grad.
Der Zustieg auf den breiten Wegen am Rifugio Lavaredo vorbei zum Paternsattel war natürlich völlig problemlos. Dort erwachte der Tag langsam, wir stiegen dem Rücken entlang etwas gegen die kleinste Zinne auf und querten dann auf Steigspuren im Geröll unter die Nordwand der grossen Zinne. Am Wandfuss waren bereits Stirnlampen auszumachen, auch in den Geröllhalden darunter wuselten die Lichter herum. Als wir um 5.20 Uhr am Einstieg der Hasse Brandler standen, war dieser aber glücklicherweise noch verwaist, die anderen Seilschaften aspirierten alle auf die einfachere Comici (6b). Sie sollte im Laufe des Tages von einer wahren, 9 Seilschaften umfassenden Perlenkette begangen werden, wobei sich an den Standplätzen immer wieder Menschentrauben bildeten. Weil das Tageslicht bereits ausreichend war, trödelten wir nicht lange herum, seilten uns an, montierten das Gear komplett und stiegen um 5.30 Uhr ein.

Teil 1, SL 1-8, unterer gelber Teil.

Dieser erste Teil bietet sehr schöne, athletische und kompromisslos senkrechte Kletterei an gelbem Fels mit Leisten und Löchern. Mehrere kleine Dächlein wollen passiert werden, die Schwierigkeiten sind recht anhaltend im siebten Grad. Da aber alles gut freizuklettern ist und die Seillängen zudem nicht allzu lang, kommt man hier zügig voran. Insgesamt eine super schöne Genusskletterei zum Auftakt der Route.

Während der Start entlang dem Pfeilerriss eindeutig ist, bestehen für den ersten Standplatz und die Linie zum Ende von SL 1 und zu Beginn von SL 2 diverse Möglichkeiten. Wir landeten schliesslich mehr oder weniger ganz oben auf dem Pfeiler. Hier sollte man sich nicht in die direkt weiter führende Sachsendirettissima verkoffern, sondern muss links abbiegen. Wir mussten in SL 2 gar wieder etwas abklettern, was aber problemlos und schnell ging. Ein direktes Hinausqueren vor dem Pfeilergipfel wäre sicher möglich, aber nicht zwingend schneller, und ganz bestimmt nicht einfacher.

Danach wartet das erste 6c-Dach mit sehr schöner Kletterei an Leisten und Löchern, diese 3. SL ist mit 4 BH und etlichen NH bestens abgesichert. Die nächste, kurze Verbindungslänge (SL 4, 5b) ist deutlich weniger banal, wie man meinen könnte. Und gleich danach geht es wieder zur Sache: SL 5 (6b+) klettert sich super und ist auch gut gesichert. Dennoch, wegen einiger fehlender Rostgurken ist die Crux hier obligatorisch zu klettern. Danach (SL 6, 6b) klettert man fast ein ‚S‘, vorausschauende Seilführung ist empfehlenswert. Die Crux an ein paar Leisten ist cool und gleich beim BH. In SL 7 (6b) klettert man erst einfach nach links hinaus, dann will eine kurze Boulderstelle an Seit- und Untergriffen überlistet werden, bevor man über eine vibrierende Schuppe und einfacheres Gelände zum Stand klettert. An dieser Schuppe hätte ich mir bei einer Erstbegehung oder sehr selten begangenen Route sicher grosse Sorgen gemacht. Da hier aber alle drüber müssen und die Route viel Verkehr sieht, war ich mir ziemlich gewiss, dass sie halten wird. In SL 8 (4a) folgt dann eine Horizontaltraverse nach links unter die überhängende Riesentreppe. Dabei muss wiederum etwas abgeklettert werden.

Im Vorstieg an der ersten schweren Stelle, das 6c-Dach in SL 3. Diese SL ist mit 4 BH und ein paar NH super gesichert.
Tobias folgt in eben dieser SL 3 (6c). Unten auf dem Pfad am Wandfuss viel Betrieb. Und ständig die Rufe "siete Comici?"
Aufgrund vom Aussehen schwer zu glauben, es ist aber tatsächlich SL 4, irgendwas um 5bc rum. Kein Geschenk.
Yours truly ebenda (SL 4, 5bc) im Nachstieg. Gut zu sehen die Massierung von Personen am Comici-Einstieg.
Vorstieg in SL 5, ca. 6b+. Diese hat wegen fehlenden NH eine Passage 6b obl., die aber mit BH gut gesichert ist.
Nun Tobias im Nachstieg in SL 5. Die Situation unten am Comici-Einstieg gegenüber vorher noch immer unverändert.
Querung hinüber zur Boulderstelle in SL 7 (6b). Einfach super Kletterei in super Position!
Teil 2, SL 9-13, die überhängende Riesentreppe

Dieser zweite Teil bietet das Herzstück mit den Cruxlängen der Route. In stark überhängendem Gelände folgt man einer Verschneidungs- bzw. Rissreihe, wobei man mehrere Dächer unterqueren muss. Dies macht eben den Anschein einer überhängenden Riesentreppe. Die Kletterei ist selbstverständlich sehr athletisch, dafür aber meist an grossen Griffen, so dass sich diese SL alle im achten Grad abspielen. Leider ist dieser Teil oft feucht oder gar total nass, was die Anforderungen noch weiter erhöhen kann. Da aber sehr viele NH (von oft dubioser Qualität) stecken, kann über weite Strecken (wenn nötig) auch hakentechnisch geklettert werden.

Na dann wollen wir mal schauen: ich starte in SL 9 (7a), welche vorerst einmal noch gutmütig beginnt. Etwas unvorsichtig „überlebe“ ich den Ausbruch einer Leiste für die rechte Hand, dank guter Position kann ich mich knapp vor dem Abkippen stabilisieren. So heisst es tief durchatmen und weiter. Drei überhängende Treppenstufen wollen überwunden werden, wobei es mit jeder ein bisschen schwieriger wird. An der letzten die Crux hinauf zum Hängestand (der einzige, alle anderen sind wirklich bequem!) mit athletischer Leistenzerrerei. Während sich diese SL nur stellenweise feucht bzw. nass präsentiert hatte und für mich gut zu onsighten war, schien die nächste, noch steilere und schwerere 10. SL (7a+) nun total nass zu sein. Hinzu kommt, dass die flachen und auch noch mit Magnesia zugepappten Leisten und Henkel im eher glatten Zinnenfels bei Nässe schmierig und schwer zu halten sind, bzw. man sie nur schwer kontrolliert halten kann und auch plötzlich rausflutschen kann. Hier traue ich mir ein kontrolliertes, freies Klettern (und vor allem Einhängen der Sicherungen!) nicht wirklich zu und schicke Tobias zum Techno-Basteln vor. Ich würde dann im Nachstieg voll angreifen können und mir so die Option für eine vollständig freie Begehung der Wand erhalten. So weit der Plan, leider ging er nicht auf: schwer und nass war es auch mit Seil von oben, dazu der Rucksack und das Aushängen der Sicherungen, Friends und Keile rausklauben, dafür hatte ich den Saft leider nicht.

Die folgende SL 11 (7a+) schien wieder trockener zu sein. Sie sieht nicht mehr ganz so steil aus, was aber täuscht! In athletisch-henkliger Ausdauerkletterei gewinnt man hier an Höhe, die Crux ungefähr in der Mitte, wo man bereits angeplättet einem weiten Zug nach rechts an einen guten Henkel machen und danach noch etwas dranbleiben muss. Zwar waren auch hier einige Griffe etwas feucht, dennoch konnte ich diese SL gut klettern. Und ich behielt auch für SL 12 (7a) gleich noch die Führung. Der Auftakt sieht steil aus (und ist es auch), danach sollte es dann gemäss Topo etwas nachlassen. Mit sehr athletischen Gegendruck-Zügen will ein Dach an einem Riss umklettert werden, danach heisst es an Henkeln dranbleiben. Hier lief ich dann bereits etwas auf Reserve, konnte aber auch hier noch sauber onsight durchziehen. Dies trug mir, man glaubt es kaum, einen Szenenapplaus von den Beobachtern aus der Comici ein. An deren überfüllten Standplätzen waren nämlich etliche Seilschaften am Warten, und von dort hat man beste Sicht auf das Geschehen in den Cruxlängen der Hasse-Brandler. Tja, da fühlt man sich gleich als kleiner Held! Mit dem Erreichen des Standes nach SL 12 sind die nominell grössten Schwierigkeiten vorbei. Ich zähle aber die einfachere SL 13 (5c) auch noch zu diesem Teil. Sie führt hinauf (zuletzt eher links halten) zum Biwakband (tatsächlich prima Biwakplatz) mit dem Wandbuch. Dieses war im August 2012 ersetzt worden, somit blieb es uns verwehrt, die Einträge heutiger und früherer Klettergrössen anzuschauen und zu fotografieren.

Auftakt zur ersten Seillänge an der überhängenden Riesentreppe (SL 9, vielleicht knapp 7a).
Und irgendwann klebst Du oben an der Decke. Der Stand nach SL 9 ist der einzige, der nicht so bequem ist.
Gegenperspektive, Tobias steigt SL 9 (7a) nach. Steilheit und Exponiertheit kommen nicht wirklich rüber.
Nun ist er dran: Techno-Bastelei mit Fifi und teilweise Keilen und Friends in der leider sehr nassen SL 10 (7a+).
Gegenperspektive aus SL 10. Hier gilt schwarz = nass = sehr 'schliferig'.
Yours truly versuchts dann im Nachstieg durchzusteigen. Hat mit meinem Können bei Nässe und mit Gepäck nicht gereicht.
Dann die Attacke auf den steilen Riss von SL 11 (7a+). Schwerer und steiler wie es aussieht, dafür henklig. Aber teilweise feucht.
Zum Stand hin von SL 11 (7a+) dann sogar noch einige Meter, wo man etwas entspannen kann. Dafür sehr luftig.
Start in SL 12 (7a) mit nochmals steilem, wildem Gelände. Auch zu berücksichtigen: der Gurt mit 20 Exen, Klemmzeugs, Schuhen und Jacke wiegt mit über 10kg Gewicht arg schwer. Dann bei jedem Klippen noch schön überlegen, wie am besten verlängert wird, dass der Seilverlauf gut ist, etc.. Somit also was ganz anderes wie eine 7a in Klettergarten oder Halle.
Abschluss vom steilen Teil, Tobias folgt kurz vor dem Biwakband.
Teil 3, SL 14-18, Ausstiegskamine

Am Biwakband stecken die letzten BH, ab dort hat man sich durch nominell einfacheres Gelände mit klassischer Kletterei an Rissen, Verschneidungen und in Kaminen zum Ausstieg durchzuschlagen. Auch wenn man hier immer noch zahlreiche NH antrifft, so dann doch in deutlich geringerer Zahl als davor. Die Kletterei verbleibt zudem steil und oft auch athletisch, und dolomitentypisch sind die klassischen 5c-Stellen eben gar nicht so viel (wenn überhaupt) einfacher als die 6b-Wandstellen an Leisten und Löchern. Der Fels wechselt etwas seinen Charakter, ist nun nicht mehr gelb, sondern grau oder dunkel. Immer noch ist er aber meist fest, auch dieser Ausstiegsteil ist meines Erachtens genussreich zu klettern.

Weiter geht es mit SL 14 (6a+): erst noch gemütlich der gelben Verschneidung entlang, dann gar nicht so einfach über den dunklen Überhang hinweg. Standmöglichkeiten gibt es nach 30m, 40m und 50m, alle von ähnlicher Qualität (Platz zum Stehen, 3-4 NH, Möglichkeit zur Verstärkung). Tobias klettert dann dem tiefen Riss entlang weiter (SL 15, 5c+), bis er unter einem Kamin zum Stoppen kommt. Der Kamin (SL 16, 6a) ist tief fast wie eine Schlucht, düster, moosig und nass. Da soll ich hoch? Wir prüfen unsere zahlreichen Topos und erhalten keine präzise Antwort. Mir ist der Weg über die linke Begrenzungskante doch deutlich sympathischer. Deren Schwierigkeit lässt sich aber von unten nicht genau einschätzen und zudem stecken auch keine Haken. 

Schliesslich entdecke ich noch etwas weiter links in der Wand 2 BH. Ich habe noch nie etwas von einer Tour hier durch gelesen, also keine Ahnung, was die hier machen. Auf jeden Fall klettere ich mal hoch (heikel, Sturz auf Band möglich). Im zweiten BH ist ein (Umkehr)karabiner, danach kommt nämlich nichts mehr. So gesichert quere ich dann auf Höhe des 1. BH 10m nach rechts zur Begrenzungskante des Kamins, und da dann rauf (geht gut, 5. Grad). Oben in der Nische dann Möglichkeit zum Stand. Für Tobias braucht’s dann einige Seilmanöver, um hier nachzusteigen und wir lassen noch etwas Zeit liegen. Nun sind es noch ca. 60m bis zum Ringband. Nur mit 50m-Seilen ausgerüstet wird das nicht reichen und simultanes klettern bei schlechten Sicherungen und zuletzt auch etwas losem Geröll vor dem Ringband ist sicher nicht schlau. So gibt es nochmals zwei Seillängen im vierten und fünften Grad. Um 14.15 Uhr sind wir beide am Ringband, 8:45 Stunden nach dem Start.

Die gelbe Verschneidung zum Start von SL 14 (ca. 6a+), oben wartet noch ein schwarzer Überhang.
Typisches Gelände im oberen Teil, tiefe Risse und Kamine. Hier führt SL 15 (ca. 5c) entlang.
Beim nassig-moosigen Kamin vor lauter Schreck kein Foto gemacht, hier sind wir schon drüber weg. Ist's noch weit?
Letzte Kamineinlage in SL 18, in den Dolomiten ist das wohl nur ein Dreier.
Am Top, d.h. auf dem Ringband angekommen, nach 8:45 Stunden Kletterzeit. 
Gipfel und Abstieg

Am Ringband ist die Tour (für die meisten) zu Ende. Eigentlich gäbe es noch 3 weitere SL, die in schuttigen Kaminen durch die Nordwand zum Gipfel führen. Da aber unisono davon abgeraten wird, verzichten auch wir darauf. Auf dem Ringband gehen wir im Uhrzeigersinn auf die Südseite und wollen dort noch über den Normalweg auf den Gipfel. Von der Stelle am Ringband wo der Abstieg startet muss man doch noch ordentlich nach Westen halten (mind. 100m). Wir steigen etwas zu früh hinauf, doch das Gelände ist hier überall gangbar und wir treffen schliesslich auf den Normalweg. Vor dem Gipfel muss noch ein etwas glatter Kamin (III) und ein Überhänglein mit origineller Stelle (IV-) überwunden werden. Da diese Stellen nur kurz sind und zudem nicht sehr exponiert, steigen wir hier mit Zustiegsschuhen und seilfrei. Um 14.45 Uhr sind wir schliesslich beim Gipfelkreuz und können mit einem Handshake den Erfolg feiern.

Nach einer Weile machen wir uns auf den Abstieg. Bis aufs Ringband gelangen wir gut ohne Seilhilfe. Beim Normalweg seilen wir erst einmal 2x20m und 1x50m an BH in einem tiefen, schluchtähnlichen Kamin ab, um die Steilzone hinter uns zu bringen. Danach wird abgeklettert, die optimale Linie ist dabei gar nicht einfach zu erkennen. Allerdings ist das Gelände auch ziemlich beliebig und es spielt keine Rolle, ob man 20m weiter links oder rechts unterwegs ist. Es muss aber überall im Grad II geklettert werden! Weiter unten ist dann die Linieführung des besten Abstiegs zwingend zu finden. Man hält sich nur kurz etwas links eine Rinne hinunter, um dann eine Scharte zu gewinnen, wo es auf die SW-Seite wieder steil runter geht. Hier abseilen oder steil und exponiert abklettern (II-III). 

Auf dem Ringband laufen wir um den Berg herum auf die Südseite.
Crux im Gipfelaufstieg, ein glatter Kamin mit einer Dreierstelle. Ist gut seilfrei machbar.
Yippieyeah, das Top ist erreicht. Nachdem unsere Begehung vom Salbit Westgrat ohne das Kunststücklein auf der Gipfelnadel in ihrer Gültigkeit angezweifelt wurde (siehe Kommentare), lassen wir hier nun nix mehr anbrennen :-)
Hier massieren sich die Leute. Mit einer Gruppe von 8 Personen ohne viel Bergerfahrung auf dem Normalweg der Grossen Zinne, welch ein Vergnügen muss das für den Führer sein! Wir wollen nicht ewig auf deren in Zeitlupe geschehenden Manöver warten und belasten in einem freien Moment unbemerkt rasch deren Seil zum Festhalten beim Abklettern einer Steilstufe, hehe.... So erreichen wir die nächste Scharte, wo man zurück auf die Ostseite wechselt. In einer schluchtähnlichen Rinne geht es erst recht steil hinunter, wir seilen nochmals 2x25m ab. Zum Glück sind viele Stände vorhanden, so dass wir auch hier die Massierung von blockierten Personen rasch passieren können. Unglaublich aber wahr, während wir beide zwei 25m-Abseiler inkl. Seilhandling bewältigt haben, hat die mit Abseilen beschäftigte Person der Gruppe (ohne jegliche Behinderung durch uns oder andere) nicht mal 1x50m Abseilen geschafft! Nach etwas Abklettern dann im Abstiegssinn links auf ein Band, und bald steht man in der Schlucht zwischen Grosser und Kleiner Zinne. Der Altschnee in der Schlucht stellt kein Problem mehr dar, wir surfen das Geröll und sind bald bei der Kapelle, etwa eine Stunde hat uns der Abstieg gekostet.

Raschen Schrittes geht es zurück zum Rifugio Auronzo zum Tourenabschlussgetränk. Wir verladen unseren Krempel und setzten uns ins Automobil. An der Mautschranke müssen wir den Geldbeutel zücken, 33 Euro kostet der Spass, Wahnsinn! Da sind Pizza und Getränk im selben Lokal wie am Vortag mit 20 Euro für zwei Personen doch deutlich preiswerter. Zuletzt wartet dann noch etwas Fleissarbeit mit der langen Heimfahrt, zum Glück sind die Strassen frei. Aber noch deutlich vor Mitternacht komme ich ins Bett, am nächsten Tag bin ich bereits wieder an der Arbeit.

Abseilen durch die steile Schlucht unterhalb vom Ringband.
Und wieder zurück auf sicherem Boden. Von links Westliche Zinne, Grosse Zinne und Kleine Zinne. 
Facts

Grosse Zinne Nordwand - Hasse Brandler oder Direttissima 7a+ (6b obl.) - 18 SL, 580m - D. Hasse et al. 1958 - *****; xxx
Material: 20 Express, Klemmkeile 4-9, Camalots 0.3-3

Grandioser Klassiker im alpinen Zirkus Maximus, der aber heute meistens über weite Strecken freigeklettert wird und dank seinem Charakter sowie den zahlreich steckenden NH durchaus auf gewisse Weise das Flair einer modernen alpinen Sportklettertour hat. 

Wissenswertes

  • Während Ambiente und Nimbus dieser Tour ganz klar die 5* verdienen, gibt es bei der Routenschönheit an sich auch einige Abstriche. Abzug gibt es für die leider fast immer nassen und so total schlonzigen Schlüsselpassagen und die eher schrottige Absicherung mit NH, welche ein ständiges Einhängen, Verlängern, Basteln etc. bedingt. Auch der Fels ist nicht immer ganz perfekt, in der Summe aber fest, kletterfreundlich und gut. Insgesamt sicher eine Tour, die man geklettert haben muss!
  • Meine übliche, auf BH-gesicherte Touren gemünzte Bewertung bzgl. der Absicherung ist hier natürlich schwer anzuwenden. Rein von der Menge der Haken in den schweren Seillängen (>=6b) kann man xxxxx geben, dafür handelt es sich auch vornehmlich um schlechte NH. Bis zum Biwakband steckt an jedem Stand 1 neuer BH und pro SL jeweils auch 1-2 Stück, welche das Gefahrenpotential limitieren. In den einfacheren SL hat es immer noch recht viele NH (bzgl. Menge ungefähr xxxx), und immer wieder kann man auch gute Klemmgeräte oder Keile hinzulegen, wenn man will. Somit gebe ich insgesamt xxx.
  • Ein Rückzug aus der Tour ist wegen der Steilheit und der traversierenden Linie sicher nicht einfach, aber schon machbar falls nötig. Oberhalb vom Biwakband ist die Linie wohl direkt, dafür aber sind die NH-Stände spartanisch. Die Dachzone wird sich mit etwas Pendeln, Sicherungen einhängen und einem langen Abseiler an den Stand vor dem Quergang (SL 7) bewältigen lassen. Ab dort kann man dann über das direkter verlaufende 'Phantom der Zinne' runter. Und auch aus dem ersten Routenteil kommt man sicher wieder auf den Boden.
  • Mit etwas Können sollte man also nicht in der Route blockiert werden. Ansonsten ist eine Rettung gerade im steilen Teil alles andere als einfach. Im Pustertal gibt es aber entsprechende Profis, welche dies draufhaben, siehe Berichte (1,2). Am Ausstieg auf dem Ringband steckt (wohl von Rettungen) ein 'Nest' von 9 BH, und auch auf dem Biwakband gibt es noch einige weitere. Erwähnenswert in punkto Rettung ist vielleicht auch, dass man in der ganzen Wand Handyempfang hat.
  • Trotz allem ist es aber sinnvoll, sich nur bei besten Wetterbedingungen auf dieses Unternehmen einzulassen. Gerade aus Süden und Westen aufziehende Gewitter kann man in der Wand unmöglich erkennen und bemerkt diese erst, wenn es bereits zu spät ist. Zuverlässige Infos zum Wetter vor Ort erhält man auf diesen Seiten: klick und klack. Um die Kletterei genussreich zu gestalten, sollte es im Tal schon über 30 Grad sein, bzw. auf 3000m Höhe auch noch 10 Grad. Wir hatten da grosses Glück, nie gab es kalte Finger oder Zehen, und ein leichter Faserpelzpulli war genug der Bekleidung.
  • Bei einer solch bekannten Tour gibt es auf dem Netz natürlich fast unzählig viele Berichte von der Tour. Schön zu lesen ist derjenige bei alpin.de (Link), nützlich auch derjenige von bergsteigen.com (Link). An dieser Stelle sorry an alle, die ich hier jetzt nicht erwähnt habe. Topos gibt es ebenso unzählige, wobei die Schwierigkeitsangaben von Version zu Version leicht anders sind. Aber eigentlich reicht es zu wissen, dass der erste Teil +/- 6b ist, der zweite Teil +/- 7a und der dritte +/- 5c und klassisch. Ist man einmal am zweiten Stand angelangt (bis hierher gibt es keine ganz klare Linie und auch ein exaktes Topo hilft nix), wird man den Weg dank dem zahlreich steckenden Material auch nicht mehr verfehlen. Als Topo zu empfehlen sind aber sicher das Wandbild von Markus Stadler und das Topo von bergsteigen.com und erst recht das selbstgezeichnete Topo, welches Julius Kerscher im August 2016 auf dem Alpinkletterstammtisch bei Facebook veröffentlicht hat (Download). Gut eingezeichnet ist der Routenverlauf auch in der Toposkizze im Buch 'Dolomiten: Routen und Erlebnisse' von Ivo Rabanser. Der Beitrag über die historischen Dimensionen der Tour in jenem Buch ist auch sonst sehr empfehlenswert. Für den Abstieg hilfreich kann dieses Topo des Normalwegs sein.
  • Zur Beliebtheit der Tour vielleicht noch folgende Richtgrösse: im 2013 wurde die Saison erst am 26.7. eröffnet (das Frühjahr war sehr nass und es lag lange Schnee). In den rund 10 Tagen bis zu unserer Begehung gab es bei idealem Wetter dann 22 Begehungen, im Schnitt also mehr als 2 pro Tag. Somit muss man bei perfekten Bedingungen damit rechnen, dass mindestens 1-3 weitere Seilschaften am Start stehen, am Weekend eher noch mehr. Da mit Ausnahme der ersten zwei SL ist ein Überholen kaum realistisch ist, sollte man diesen Faktor womöglich in die Tourenplanung mit einbeziehen.
Schweizer Seilschaft (wir haben's gehört!) in der Demuth-Kante an der Westlichen Zinne.
Geschichte & Quo Vadis, Hasse Brandler?

Wie man z.B. im Buch 'Dolomiten: Routen und Erlebnisse' von Ivo Rabanser nachlesen kann, bestand das Erstbegeher-Team aus Elbsandstein-Kletterer aus Sachsen. Der Kopf dieser Gruppe, Dieter Hasse, sah die Tour zeitgenössisch als eine Art 'Sportroute' an. Sämtliche Haken wurden stecken gelassen, sie sollten den Massstab für künftige Begeher festlegen. Eingerichtet wurde die Tour damals angeblich mit 140 NH und 7 BH. Diese 'üppige' Absicherung sorgte damals für Lob wie Kritik, gleichzeitig war sie aber sicher mit ein Grund, warum diese für die damalige Zeit extrem anspruchsvolle Tour sofort mehrere Wiederholungen erhielt.

In den Dolomiten ist ja die Verwendung von BH allgemein (wobei sich dies in Neutouren schon stark gebessert hat), und erst recht die Sanierung von Klassikern mit BH ein grosses Politikum. Bezüglich der Hasse Brandler mag es geradezu paradox anmuten, dass ausgerechnet Alexander Huber im Zuge seiner Freesolo-Begehung der Route jeden Stand (bis zum Biwakband) mit einem BH aufpeppte, und auch als Zwischensicherung jeweils an den 1-2 schwersten Stellen pro Seillänge einen setzte. Natürlich sind diese BH den meisten Begehern höchst willkommen und sorgen auch für Sicherheit. Seilschaftsabstürze und das sturzbedingte Ausnageln ganzer SL sind so mit hoher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen.

Anstelle der ursprünglich gesetzten, rund 150 Haken, welche den Massstab definieren sollten, stecken nun heute viel mehr. Ich schätze, dass es rund doppelt so viele sind. An jedem Stand im Schnitt etwa 4-5 Stück, in den schweren SL dann 20-25, in den einfacheren ungefähr 10. Die meisten davon halten wahrscheinlich nicht viel und sind arg altersschwach, einige gute Exemplare mag es auch geben. Das Klettern an diesem Schrott (immer wieder einhängen, abbinden, verlängern, 20 Exen mitführen, dennoch Seilzug...) gestaltet sich schlicht und einfach weniger genussreich, als wenn die Tour vernünftig mit BH abgesichert wäre.

Alt und neu: an den Ständen hat's bis zum Biwakband jeweils 1 BH, sowie viele alte, rostige NH.
Aus meiner Sicht wäre es ob dem Hintergrund der Route (sie wurde ja als 'Sportroute' erstbegangen) der sinnvollste Approach, den ganzen, alten Schrott auszuräumen und auf dem Niveau von 6b obligatorisch (was heute schon der Fall ist!) mit soliden BH abzusichern. Im unteren 6b-Teil wären das so ca. 4-5 Stück pro Länge, im steilen Teil vielleicht 8-10. In den Ausstiegslängen könnte man pro Stand 1-2 BH geben und den gut absicherbaren Rest zum grössten Teil clean belassen. Für mich wäre somit der Charakter der Tour mindestens so gut erhalten wie mit dem ganzen Müll heutzutage.

Falls diese Zeilen jemandem aufstossen sollten, und er den Respekt vor den Erstbegehern vermisst. Als erstes muss man bedenken, dass wir heute sowieso nicht mehr dieselbe Tour wie früher klettern: mit Kletterfinken, Magnesia und Klemmgeräten, der brüchige Fels ausgeputzt. Perfekte Wetterberichte, ständiger Handykontakt in die weite Welt inklusive Internet, rasche Rückzugsmöglichkeit (auch dank dem 'Phantom'), Bergrettung mit Helikoptern und schliesslich stecken mindestens doppelt so viele NH wie früher. 

Zweitens habe ich einen enormen Respekt vor den Erstbegehern und ihren damaligen Leistungen, ihrer Kühnheit, der Geduld, dem Aufwand und schon nur der Tatsache, 150 Haken an den Wandfuss zu schleppen! Im Gegensatz zu vielen anderen Kletterern interessiere ich mich sehr für die alpine Geschichte. Ich glaube, dass wir mit dem Schreiben, Kaufen und Lesen von Büchern und Artikeln über die damaligen Geschehnisse viel mehr Erinnerung und Respekt an die Erstbegeher zollen können, als indem wir ihr altes Material und ihre Touren verrotten lassen oder uns daran hochfürchten. Zumal dann ja wie beschrieben die Tour auch bezüglich Hakenanzahl weit weg vom Zustand ist, den die Erstbegeher hinterlassen haben. Aus diesem Grund würde ich eine massvolle Sanierung der Tour mit BH, inklusive dem Ausräumen des alten Materials und dem Beibehalten von problemlos selbst abzusichernden Stellen begrüssen.


3 Kommentare:

  1. Ein gutes Statement. Der Respekt vor dem Erstbegher muss der Maßstab sein. Vor einer Sanierung sollte also Dietrich Hasse gefragt werden, er lebt ja glücklicherweise noch. Ich denke, er hätte nichts dagegen.

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  2. Toller Tourenbericht. Danke für die vielen nützlichen Infos. In 2-4 Wochen soll es an die Zinne gehen :-)

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  3. Update: In der Rubrik "Wissenswertes" einen Link zu neuem, sehr gutem Topo hinzugefügt, welches Julius Kerscher im Alpinkletterstammtisch auf Facebook veröffentlicht hat. Wer das nicht mitnimmt auf die Tour, der hat etwas Wesentliches nicht dabei.

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Kontakt: mdettling74@gmail.com.