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Dienstag, 11. August 2015

Titlis Nordwand - Süpervitamin (7b)

Eine Dosis Süpervitamin kann nie schaden - wo und wie dieses zu finden ist, liegt jedoch im individuellen Ermessen. Das illustre Schweizer Erstbegehungsduo Reto Ruhstaller und Bernd Rathmayr verspricht uns Fels-Aficionados aber, dass wir an der Titlis Nordwand eine gehörige Portion davon abbekommen würden. Die Grundlagen bestehen in einer Route mit sehr vielen, steilen Klettermetern an besten Henkelgriffen in luftiger Exposition, mit einer wohldurchdachten, guten, aber dennoch fordernden Absicherung.

Wieder einmal unterwegs ins Schattenreich der Titlis Nordwand.
Nachdem wir dieses Jahr bereits im Lochblick zugange waren, hätte ich gerne noch ein weiteres der einschlägigen Schattengebiete besucht. Doch mein Kletterpartner Hans war so heiss auf seine Dosis, dass ich schliesslich gerne ins Projekt Süpervitamin einwilligte. Mit einem topmotivierten Partner eine solche Linie versuchen zu können, ist ja schliesslich auch viel Wert. So machten wir uns wieder früh auf den Weg, etwas nach 7.00 Uhr starteten wir den Zustieg bei der Fürenalp-Bahn. Schon dort wurden wir uns aufgrund der parkierten Fahrzeuge gewahr, dass wir die Wand heute nicht für uns haben würden, da (befreundete) Konkurrenz offenbar schon auf dem Weg war.

Unterwegs im Zustieg bei der Hohfaldalp mit schönen Blicken zum Hahnen und Sättelistock.
Wie bereits letztes Mal stiegen wir am Klettergarten Schlänggen vorbei hinauf in Richtung Hohfaldalp. Mit den Vorkenntnissen fiel es uns dieses Mal einfacher, um die Brennesselfelder herum zu navigieren und den Pfad in Richtung Galtigbergboden gleich von Beginn weg aufzunehmen. Aufgrund der vielen Besuche im Hitzesommer 2015 hat die Wegspur seit unserem letzten Besuch jedoch auch an Qualität gewonnen. Nach 1:40 Stunden und somit etwas langsamer als letztes Mal befanden wir uns beim Einstieg von Piccola Spada. Vor dort erreicht man in einer Viertelstunde, auf dem exponierten Band bei stellenweise leichter Kletterei querend, den Einstieg. Da vom Band aus diverse Routen und Projekte starten und nichts angeschrieben ist, ist es gar nicht so einfach die korrekte Linie zu identifzieren. Am richtigen Ort befindet man sich unmittelbar nachdem eine markante Platte mit Fixseil gequert wurde, bei einer Sanduhr mit fixer Schlinge, einen BH am Einstieg sucht man hingegen vergeblich.

Diese Platte mit einem Fixseil muss man noch queren, um zum Einstieg zu kommen.
Um 9.45 Uhr waren wir schliesslich an der Reihe und stiegen hinter unseren Freunden Dani und Anika ein. Letztes Mal hatte ich mich noch sehr skeptisch bezüglich der Kletterei hinter einer anderen Seilschaft geäussert. In Bezug auf die Route Lochblick und Piccola Spada trifft meine Meinung diesbezüglich auch nach wie vor zu. In der steileren Süpervitamin hingegen, wo es weniger Schuttbänder gibt, ist ein Hinterhersteigen eher denkbar - umso eher, als uns die vorangehende Seilschaft gut bekannt war und vorsichtig agierte. Trotzdem, es sei erwähnt, insbesondere am Ende von L3 gibt es durchaus lose Steine, die man bei Unachtsamkeit in die Tiefe schicken kann, und die für nachfolgende Kletterer gefährlich werden können. Ebenso muss man beim Abseilen kooperieren und/oder Vorsicht walten lassen.

L1, 40m, 6a+: Schöne Plattenkletterei mit vielen Knobs und ein paar Löchern. Gut abgesichert und nach meinem Empfinden auch nicht so schwer für den angegebenen Grad.

L2, 30m, 6a: Bereits etwas steilere Seillänge, gleich auf den ersten Metern muss an einem Wulst etwas zugepackt werden. Danach griffige Kletterei an sehr guten Knobs.

Schöne Felsstruktur mit vielen Knobs warten auf den ersten 3 Seillängen. Hier in L2 (6a).
L3, 45m, 6b+: Hier kann man eine Stelle zu Beginn der Seillänge durchaus schon als knifflig bezeichnen, für einmal gibt's die Knobs und Löcher hier nur in Mini-Grösse. Der Rest der Seillänge dann einfacher im Stil der beiden vorangehenden, die letzten Meter sind etwas brüchig.

L4, 45m, 7a/7a+: Eher unangenehm zu kletternde Seillänge. Der Auftakt über einen splittrigen, aber einigermassen ausgeputzten Wulst ist athletisch. Danach Rechtstraverse und über die glatt aussehende, senkrechte Wand hoch zu etwas brüchigem Schluss. Es gibt hier viele kleine, positive Schüpplein und ein paar Löcher. Die kleinen Leisten wirken ziemlich fragil, ohne mit Vertrauen daran zu ziehen geht's aber nicht. Die Absicherung ist zwar gut, in der schwersten Sequenz aber zwingend. Gut verlängern, um dem Seilzug zu entgehen hilft auch.

Yours truly unterwegs in L4 (7a/7a+), die glatte Wand mit vielen kleinen, fragilen Schüppchen klettert sich etwas unangenehm.
Hans folgt nach in L4 (7a/7a+), die letzten Meter haben hier etwas abnehmende Felsqualität.
L5, 25m, 7a: Nun ist man beim überhängenden Wandteil angelangt. Zuerst eine Traverse links raus zu grossen, wenig soliden Schuppen. Diese am besten möglichst wenig belasten, d.h. links liegen lassen und an kleinen Leisten gerade hoch. Weiter geht's dann in einer henkligen, ausdauernden Rechtstraverse in nun tollem, griffigem Fels zum Stand. Kam mir insgesamt deutlich einfacher wie L4 vor.

In L5 (7a) wird es steil und griffig. Hier die Nachsteigerin der vorangehenden Seilschaft am Werk.
Dem vage angedeuteten Band entlang traversiert man in L5 (7a) an Henkeln nach rechts.
L6, 40m, 7b: Eigentlich lohnt sich die Anreise und der ganze Aufwand schon nur für diese Seillänge! Ich kann klar sagen, dass dies die beste und aussergewöhnlichste Sequenz ist, die ich je auf einer MSL geklettert habe. Sie hängt etwa 10-15m über und hat auf den ersten 25m ausschliesslich Henkel und Superhenkel - eine geniale Turnerei! Der Ernst beginnt dann mit einer Linkstraverse, hier wollen für einmal ein paar kleinere Tropflochgriffe gekrallt werden. Und dann warten zum Stand hinauf noch zwei abdrängende, bouldrige Wulste und etwas Ausdauergelände zum Schluss. Auf dem letzten, wirklich dem allerletzten Hemd, total durchgeschwitzt und durchflutet vom Adrenalin kann ich auch diese Seillänge onsight ziehen. Knapper ging's nun wirklich nicht, an einer Stelle liess sich prompt 3m über dem letzten Bolt der Abgang nur um Haaresbreite vermeiden, ein paar grenzwertige Moves in äusserster Not verhinderten den Abflug. Aber dann war der Henkel da und der nächste Bolt geklippt. Erwähnt sei noch, dass die Seillänge zwar gut eingebohrt ist, zwischen den Haken sind jedoch immer etwas Luft und auch nichttriviale Moves zu finden.

Der Blick von unten (am Stand nach L4) zeigt anhand der Seile, wie steil L5 und L6 tatsächlich sind.
Yours truly schüttelt und kämpft und schüttelt und kämpft... bis er L6 (7b) tatsächlich einwandfrei durchgezogen hat!
Kleiner Mann in grosser Wand. In L6 (7b) sind die Griffe aber schon grösser, wie dieses Foto suggeriert!
L7, 30m, 7a+: Man wähnt sich schon beinahe oben, auch die Wand legt sich hier bereits wieder etwas zurück, total sind es vielleicht noch 3-4m Überhang auf der gesamten Seillänge. Nach einem einfachen Runout zu Beginn gibt's dann doch nochmals pumpige Leistenmoves, ein bouldriger Wulst erst an Untergriffen, dann mit weiten Zügen darüber hinweg und schliesslich eine zwingende Sequenz an ein paar Löchern, wenn man einmal darüber ist. Achtung, zum Schluss dann deutlich nach links halten, aktuell steckt dort eine Reepschnur in dünner Sanduhr - die hat mir nicht nur die Orientierung erleichtert, sondern auch psychisch sehr geholfen. Das Finale ist nämlich nochmals richtig athletisch und es war Gold wert, dort nochmals einhängen zu können - auch wenn die dünne Sanduhr sicherlich keinen Sturz, sondern höchstens das Körpergewicht trägt.

Kräftige Kletterei im ersten Teil von L7 (7a+)...
...man muss aber beissen bis zum allerletzten Meter, gerade das henklige Finale verlangt die letzten Reserven!
Um 15.15 Uhr erreichen wir nach 5:30 Stunden Kletterei das Top. Ich für meinen Teil bin restlos und total ausgepowert, der Fight bis an die Grenze in L6 und die Efforts in L7 haben meine Kräfte total aufgebraucht. Vor lauter Unterzuckerung fühle ich mich dem Delirium nahe, das Süpervitamin scheint also gewisse Nebenwirkungen zu haben und erst nach einer gewissen Latenzzeit einen Effekt zu zeigen. Für die steile Abseilfahrt ist jedoch nochmals Konzentration aufzubringen, Fehler im Handling würden hier schonungslos bestraft, sauberes Pendeln ist unabdingbar. Da wir die 60m-Seile dabei haben (die es für diese Route nicht zwingend braucht, für andere am Massiv jedoch schon), sind wir nach 5 Manövern wieder am Einstieg. Nun gilt es noch, für den Rückweg übers exponierte Band konzentriert zu bleiben, danach laufen wir gemütlich zurück ins Tal, wo wir Hunger und Durst mit Käseschnitte und Panaché stillen können und damit auch ein bisschen meinen ersten Vorstieg in Hauptverantwortung einer Ruhstaller/Rathmayr-Route zelebrieren :-)

So sieht's aus, wenn man über L7 abseilt - haltlose Perspektive!

Facts

Titlis Nordwand - Süpervitamin 7b (6c+ obl.) - 7 SL, 255m - Ruhstaller/Rathmayr 2012 - ****;xxx
Material: 2x50m-Seile, 12 Express, Keile/Friends nicht nötig

Tolle Route mit einer aussergewöhnlichen, sehr steilen Cruxlänge an unglaublich griffigem Fels. Schon nur dafür lohnen sich Anreise, Zustieg, die Kletterei der unteren Seillängen und eigentlich das ganze, jahrelange Training um überhaupt auf dieses Niveau zu kommen. Die Auftaktlängen bieten schöne Kletterei an lässigen Knobs und geben ideale Aufwärmlängen her. Als etwas störend empfand ich die von der Felsqualität her mindere Zone vom Ende von L3 bis zum Anfang von L5. Sie ist safe und gut machbar, bietet aber nicht Höchstgenuss. Die Absicherung mit durchdacht platzierten Bolts ist erfreulich gut ausgefallen und verdient solide xxx. Gefährlich oder heikle Stellen gibt es keine, trotzdem sind auch ein paar schwerere Kletterstellen zwingend zu meistern. Insgesamt ist die Route etwas weniger anspruchsvoll wie andere Kreationen (z.B. Deep Blue Sea, Tsunami) desselben Erstbegeher-Duos. Für die im Originaltopo angegebenen Cams (wir hatten sie dabei) konnte ich keine Einsatzmöglichkeit erkennen, sie blieben unbenutzt am Gurt. Das Originaltopo der Erstbegeher kann man hier downloaden: klick!

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