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Sonntag, 21. Mai 2017

Clariden (3267m) mit Abfahrt via Tüfelsjoch

Es gibt in den Alpen so viel zu entdecken, dass selbst ein aktiver Tourengänger ein Leben lang immer wieder neue spannende Ziele findet. Das Kennenlernen von neuen Landschaften und Gebieten ist eine Passion von mir, so dass ich normalerweise auf das wiederholte Besuchen von Gipfeln verzichte. So gehört der Clariden, welchen ich vor ungefähr 20 und vor ungefähr 10 Jahren bereits 2x besucht hatte, nicht mehr in mein primäres Beuteschema. Trotzdem war ich heute nun zum dritten Mal oben. Und ja tatsächlich, trotz bereits bekanntem Gipfel war es eine sehr schöne Tour. Mit der Abfahrt via Tüfelsjoch konnte ich der Sache etwas Originalität geben und für mich persönlich doch noch etwas Neuland entdecken.

Absolut fantastische Bedingungen am Klausenpass. Blick zum Bocktschingel (3077m) und Clariden Vorgipfel (3191m).
Ein Tourensonntag stand für mich auf dem Programm. Grosse Pläne wurden geschmiedet, aber mit den intensiven Schneefällen am Alpenhauptkamm auch wieder verworfen. Viele Alternativen wurden in Betracht gezogen und eigentlich hatte ich mich mit einem ganz anderen Plan schlafen gelegt. Doch im Anblick der noch sehr dichten Restbewölkung, welche sich noch den ganzen Vormittag über halten würde, änderte ich meine Pläne nochmals und bog von der Autobahn in Richtung Glarnerland ab. Bei meinen ursprünglichen Ziel hätte ich weder auf vorhandene Spur, noch auf andere Tourengänger zählen können, und klare Sicht wäre eine Voraussetzung gewesen. So dann also auf zum zwei Tage zuvor eröffneten Klausenpass - schliesslich wusste ich, dass dort Kollegen unterwegs sein sollten.

Die einstige Schlüsselstelle am Iswändli und durch den Rückgang des Gletschers heute ein harmloser Hang. Trotzdem gibt's unter- und oberhalb, sowie natürlich auf dem Weg zum Gipfel bei ungünstigen Verhältnissen mehr als genügend Gelegenheit, in die Tiefe zu stürzen. Leider sind Unfälle auf dieser an sich nicht sonderlich schwierigen Tour keine Seltenheit.
Das Timing passte. Als ich um 6.15 Uhr meine Ski anschnallte, erblickte ich unter den Dutzenden von Tourengängern, welche sich bereit machten, auch gleich meine Kollegen. So ergab sich ein gemütlicher Aufstieg mit nettem Austausch. Das Panorama konnte man indessen vorerst noch nicht so richtig geniessen, drückte doch die Bise immer wieder Nebelschwaden vom Urnerboden hinauf. Die Schneedecke war kompakt, jedoch nicht wirklich gefroren und mit einer dünnen Schicht Neuschnee belegt. Etwas vor dem Iswändli (ca. 2700m) änderte sich beides. Wir befanden uns nun über der Nebeldecke und genossen besten Sonnenschein und der Schnee war richtig pulvrig. Bald war das Skidepot erreicht.

Blick vom Vorgipfel (3191m) zum Clariden (3267m). Gut sichtbar der kettenversicherte Aufstieg über den Westgrat.
Meine Kameraden wollten über die Normalroute zurück zum Klausenpass fahren. Ich jedoch schnallte meine Ski auf den Rücken, hatte ich doch den festen Entschluss gefasst, auf den Claridenfirn abzufahren. Falls mir das Tüfelsjoch zu heikel gewesen wäre, so hätte ich immer noch südlich um den Claridenstock herum zurück zum Chammlijoch gehen können. Zwei andere Tourengänger waren ebenfalls gerade am Aufschnallen ihrer Ski - es sah also danach aus, als ob ich Mitstreiter finden könnte. Dem war so und ein zweiter Blick offenbarte, dass es sich dabei um Bekannte aus früheren Zeiten handelte, mit welchen ich auch schon super Tourenerlebnisse geteilt hatte. So wollten wir die Tour gemeinsam fortsetzen.

First Lines auf dem Claridenfirn. Dieser breite und optimal geneigte Hang mit 300m Höhendifferenz ist der Hammer!
Die erste und logische Frage war "bisch no vill unterwägs?". Und so konnten wir uns gegenseitig erzählen, dass wir (als frühere Intensiv-Skitourer) heute meist zu Gunsten vom Pistenskifahren und sonstigen Aktivitäten mit den Kindern verzichten. Ein Wunder eigentlich, dass wir uns am Clariden und nicht in einer Pistenkneipe getroffen haben. Wir kraxelten über den Kettenweg entlang vom Westgrat auf den Gipfel. Dies ist ein etwas stauträchtiges Teilstück an einem Tag, wo so viele Tourengänger den Clariden besuchen. Anyway, wenig später war der Gipfel erreicht und wir wurden uns Gewahr, dass tatsächlich noch niemand in Richtung Claridenfirn abgefahren war. Umso besser, so konnten wir in diesem fantastischen Hang die First Lines ziehen!

Aufstieg zum Tüfelsjoch. Die Tourengänger zielen ziemlich genau auf den Klettersteig hin, der hinaufführt.
Die Schneequalität war überzeugend: kompakter, etwas angefeuchteter Pulver, der sehr gut drehbar war - der Hammer. Zu bald standen wir unter dem Tüfelsjoch. Auf etwa 2780m gilt es, wieder anzufellen und so 100hm aufzusteigen. Dann führt ein kurzer Klettersteig mit Kette und ein paar Eisenbügeln über eine Felsstufe hinauf. Der Übergang vom plattigen Fels in den Schnee kann je nach Verhältnissen heikel/expo sein, heute ging es aber problemlos. Vom Joch dann kann man linkerhand entweder Abseilen (soweit mir bekannt 3x25m, Angabe ohne Gewähr) oder rechterhand entlang der Ketten absteigen. Zumindest, sofern diese nicht zugeschneit sind. Aktuell waren sie für die erste Traverse nach rechts nutzbar, danach unter dem Schnee versteckt. Mit langem Buddeln wären sie wohl freizukriegen gewesen, doch der Schnee war so kompakt und optimal trittig, dass wir schliesslich ohne dieses Hilfsmittel abstiegen.

Fussabstieg vom Tüfelsjoch bei zugeschneiten Ketten. Solange der Schnee kompakt und trittig ist, kein grösseres Problem. Allerdings ist das Gelände schon steiler (ca. 45-50 Grad) und vor allem viel exponierter, als es auf diesem Foto den Anschein macht. Wer hier ins Rutschen kommt, hat einen Fehler zu viel gemacht.
Wir wählten schliesslich die westliche Abfahrt Richtung Roten Pfaffen. Erstens wollten wir zurück zu den auf dem Klausenpass stehenden Automobilen, zweitens war der untere Teil der Abfahrt via Tüfels Friedhof zur Chlus im unteren Teil bereits ausgeapert. Auch hier gab's noch sehr schöne Schwünge in feuchtem Pulver, allerdings musste auch noch die Nebeldecke durchstossen, sowie ein Lawinenkegel traversiert werden. Auf 2100m beim Tüfels See unterhalb der Clariden Nordwand war fertig mit der Herrlichkeit. Hier muss man schiebend zum Mälchbödemli zurück queren, der mühsam faule Schnee hier unten machte das auch nicht einfacher. Dann ist's nur noch ein kurzes Stück retour zum Pass, es war Schlag 12 Uhr. Das emsige Treiben der Tourengänger hatte dem noch grösseren Andrang der Motorsport- und Velofreunde Platz gemacht. Zurück nach Hause zur Familie, um mit ihr den sonnigen Nachmittag zu geniessen war unser aller Devise. Auch wenn's "nur" meine dritte Besteigung des Clariden war, so war's doch eine sehr schöne Tour bei nahezu optimalen Verhältnissen gewesen.

Nochmals ein Rückblick zum Tüfelsjoch. 

Facts

Clariden (3267m) vom Klausenpass, ZS+, 1350hm, ca. 3-4h. Der Fussaufstieg zum Gipfel über den mit Ketten versicherten Westgrat ist mit WS+ zu bewerten. Steigeisen und Pickel empfehlenswert, sowie Klettergurt, Schlinge und ein möglichst grosser Karabiner. Die Abfahrt via Tüfelsjoch (ZS+) erfordert zwei Gegenaufstiege von total 200hm (150hm zum Joch, 50hm am Tüfels See). Zeitbedarf vom Gipfel 2-3h. Die Anforderungen bei der Überquerung des Tüfelsjoch sind in etwa vergleichbar mit dem Auf-/Abstieg am Clariden. Steigeisen und Pickel empfehlenswert, dazu Klettergurt, Schlinge und ein möglichst grosser Karabiner. Bei guten Bedingungen (d.h. Ketten frei) ist ein Seil nicht nötig. 

Mittwoch, 17. Mai 2017

Escalades Autour du Ventoux - St. Léger

Ein Kletterziel für die Osterferien ward gesucht. Während es immer bequem ist, bereits bekannte und liebgewordene Felsen zu besuchen, sollte es dieses Mal doch wieder etwas neues sein. Und es hat sich mehr als gelohnt. Nach Südfrankreich sollte es gehen, genauer nach Malaucène am Fuss des berühmten Mont Ventoux. Statt Schneetreiben wie hierzulande gab es dort Sonne und warme Temperaturen satt. Die Auswahl an Klettergebieten innerhalb von maximal 30 Minuten Fahrdistanz präsentiert sich als riesig. Wir besuchten schliesslich die Felsen von Saint Léger du Ventoux, den Rocher du Groseau, die Combe Obscure, die Dentelles du Montmirail und Beaume Rousse bei Buis-les-Baronnies. Hier eine kurze Präsentation von St. Léger und nützliche Tipps für jene, die auch einmal dorthin in die Ferien reisen möchten. Die weiteren Gebiete in der Umgebung werden dann in einem Folgepost beschrieben.

Steiler Fels, tolles Wetter und immer die Sicht zum alles dominierenden Mont Ventoux an den Felsen von St. Léger.
Ausgangspunkt und Unterkunft

Buis-les-Baronnies ist ein kleines Städtchen mit 2'300 Einwohnern in der Haute Provence, welches sich als Hotspot für Kletterbesucher etabliert hat. Vor allem für Plaisirkletterer gibt's in der unmittelbaren Umgebung eine grosse Auswahl von lohnenden Klettereien. Für Hardmover ist das rund 20 Kilometer und 20 Minuten Fahrzeit weiter südwestlich liegende Malaucène, wo 2'800 Personen leben, jedoch noch etwas besser positioniert. Die Orte dazwischen (Mollans, Entrechaux) bieten weitere, ebenfalls gute Alternativen. Während viele Kletterer auf den zahlreichen Campings oder kostenlos in den Parkbuchten in ihren Vans hausen, zogen wir die Bequemlichkeit einer festen Unterkunft vor. Selbst kurzfristig liess sich über Ostern noch ein äusserst komfortabel ausgestattetes 4-Zimmer-Landhaus mit riesigem Garten, geheiztem Privatpool und einer sehr freundlichen Besitzerfamilie organisieren. Dies notabene zu einem Preis von nur gerade 70 Euro pro Nacht, unschlagbar! Wer auch Interesse an dieser höchst empfehlenswerten Unterkunft hat, der darf sich gerne melden, so dass ich direkten Kontakt vermitteln kann.

Übersichtsskizze vom Gebiet mit den wichtigsten Klettergebieten und Ortschaften.
Blick von der Terrasse von "unserem" 4-Zimmer-Landhaus auf den privaten Garten mit geheiztem Swimmingpool. 
Saint Léger du Ventoux

Das aus den Klettergazetten bekannteste Gebiet in der Region ist eindeutig Saint Léger, was einerseits an seiner Grösse und dann vor allem an der unglaublichen Konzentration von harten Geräten im achten Franzosengrad liegt. Von den gut 500 Routen ist rund die Hälfte im Bereich 7c und schwieriger. Wohl gibt es vereinzelte Routen ab 6a, doch wer nicht mindestens eine 7a drauf hat, muss sich die Touren zusammensuchen und wird hier sicher nicht für längere Zeit glücklich werden. Je nach Sektor gibt's in Saint Léger kräftige Kletterei in erdrückenden Überhängen, Sinter, steile Wandkletterei und sogar (wenn auch dünn gesät) einige eher technische Platten. Die Hauptexposition ist Süd und damit sonnig, je nach Sektor erscheint die Sonne aber erst relativ spät oder verschwindet schon früh wieder, ebenso gibt's rund 80 nach Norden exponierte Touren, welche +/- ganztägig schattig liegen. Ein so richtig geeignetes Winterklettergebiet ist es jedoch nicht, weil bei tiefem Sonnenstand diese rasch hinter dem dominanten Mont Ventoux verschwindet. Ideal ist's im Frühling und Herbst, wobei die Sintertouren nach regenreichen Wintern auch länger feucht bleiben können. Speziell zu erwähnen ist die ruhige und idyllische Lage abseits jeglicher Strassen im Tal des Bergflusses Toulourenc. Mir hat es hier insgesamt unglaublich gut gefallen - die Unkenrufe anderer Berichte in Bezug auf mindere Felsqualität und geschlagene Griffe kann ich nicht wirklich nachvollziehen. Klar, es sind keine verdonesken Platten sondern meist Überhänge, die auch mal etwas staubig oder blockig sein können, aber jedenfalls insgesamt sehr geeignet fürs steile Sportklettern. Von den von mir gekletterten Routen habe ich nur eine einzige bei 2 Griffen als manipuliert wahrgenommen. Und auch dort war's gut gemacht, da muss man solche Eingriffe schon aus puristischen Gründen ablehnen um sich zu beschweren.

Das Gebiet ist sehr schön gelegen im ruhigen, strassenlosen Tal des Bergbachs Toulourenc.
Face Sud

Bequem zugänglicher, beliebter und sonniger Sektor, welchen man in 10-15 Minuten praktisch horizontalem Fussmarsch als ersten auf der Südseite erreicht. Rechts und links gibt's auch einige moderat schwierige Routen im sechsten und siebten Franzosengrad, zentral dominieren die gewaltigen Überhänge, wo die Konzentration an schwierigen Routen enorm ist. Wir fokussierten uns auf die von weitem als senkrecht erscheinende Sinterwand links rund um die Route Sale fee mal brossé (7b), welche hier sicher das beste Angebot im siebten Franzosengrad hat. Nun denn, was von weitem als senkrecht aussieht, sind immer noch beständig überhängende, 30-40m lange Pumpmonster. Aber echt geniale. Wir kletterten die sehr beliebte La Levrotte (7a), welche nebst anhaltender Kletterei im 6bc-Bereich ein zentrale Sektion mit kräftigen Zügen an sloprigen Griffen aufweist. Unmittelbar daneben befindet sich die Une monde à refaire (7a+), welche bereits erstaunlich pumpig beginnt. Die Crux dann in der Mitte, erst gilt es an etwas glatten Sintern mit Seit- und Untergriffen beherzt vom letzten Bolt wegzuklettern und sich dann im steilen Henkelgelände darob nicht abschütteln zu lassen. Die Kräfte waren bereits geschwunden und die Sonne hatte uns derweilen bereits kräftig eingeheizt, so dass erst einmal ein Bad im mit ca. 15 Grad schön erfrischenden Bergfluss Toulourenc angesagt war. Als die Kinder danach ein Nickerchen hielten, reichte es mir noch für die L'affreux Jojo (7a). Diese wird nur relativ selten begangen, kaum erstaunlich. Der bouldrige Einstieg ist knallhart und etwas schmerzhaft, die lange Rechtsquerung wartet nochmals mit einer knifflig-schweren Stelle auf und selbst das Sloperfinish ist nicht ohne. Nach meinem Dafürhalten eher 7b als 7a.

Das Face Sud mit seinen gewaltigen, noch schattigen Überhängen. Wir waren an der ersten, sonnigen Wand links davon.
Unsere Badestelle am ca. 15 Grad kühlen Toulourenc. Da bist du wieder frisch für den nächsten Go im Projekt!
La Baleine (Topo)

Dies ist der am weitesten westlich gelegene Sektor. Da nach Osten exponiert, kehrt bald einmal der Schatten ein, was ihn bei ambitionierten Sportkletterern sehr beliebt macht. Neben einigen wenigen Touren im sechsten Franzosengrad geht's ab 7a richtig los, für die Jungs mit den starken Oberarmen gibt's hier sehr viel zu tun. Etwas spontan und unüberlegt (ähm nein, genau genommen war es, weil die Kinder unbedingt nochmals im Toulourenc baden wollten...) gingen wir diesen Sektor vom üblichen Ausgangspunkt bei der Bergerie La Salamandre an. Nicht weiter schlimm, es wartet eine sehr schöne Wanderung von 35-45 Minuten Dauer etwas ansteigend talauswärts. Andererseits wäre der Zustieg von oben, d.h. vom höchsten Punkt der nach Saint Léger führenden Strasse (klar zu erkennen, der Pfad ist offensichtlich und meist sind viele Autos aus ganz Europa parkiert) mit nur 10 Minuten massiv kürzer. An eine der Touren in der gewaltigen Grotte (der Schwanzflosse des namensgebenden Wals) traute ich mich nicht wirklich, obwohl es hier, rein aufgrund der Ansicht kaum vorstellbar, auch schon ab 7c losgeht. Die dagegen flach ausschauende Wand links davon entspricht meinen Vorlieben eher. Plattenkletterei gibt's hier allerdings auch keine, sondern pumpige, 25-40m lange, konstant überhängende Ausdauerkletterei, oft an kniffligen Slopern. Gesagt sei, dass sich dieser Wandteil auch sehr hoher Popularität erfreut, für meinen Geschmack war es da fast eher etwas zu voll. 

Los ging's mit der Fièvre Spiteuse (7a), welche einigermassen moderat und grossgriffig beginnt. An einem ersten Dächli zieht's dann schon an, das Finish an gefühlt 1000 miesen, vollgechalkten Slopern ist sogar echt hart. Zudem etwas komisch gebohrt (Runout), das Bohrfieber ist dort wohl erloschen. Als nächstes ging es in die A force de ne pas réflechir, on a un bonheur stupide (7a), welche sich als leichter verdaulich entpuppte. Nach einer kräftigen Startsequenz offeriert ein Riss beinahe durchgehend so etwas wie Henkel und selbst das unvermeidbare Sloperfinish fällt hier einigermassen gnädig aus. Bevor es zum Baden im Toulourenc ging, holte ich mir noch den Onsight in der 1984 (7b). Wow, das ist echt eine Hammerroute. Kräftiger Auftakt, dann mal ein paar Henkel. Eine heikle, technisch anspruchsvolle Querung, gefolgt von einem Bauch mit Slopern, wo ich mich knapp ins griffige Gelände darob retten konnte. Nachdem man sich etwas gesammelt hat, stellt sich ein weiterer Wulst mit powerigen Leistenzügen in den Weg. Schliesslich folgt das Finish mit einem Schaulaufen in luftigster Position an einer unglaublichen Henkelparade, echt super!

Der ostexponierte super Sektor La Baleine. Wer erkennt den grossen Walfisch?

Zu viel Kraft ist ein Zustand, den es beim Kletter nicht gibt... Die gewaltige Grotte im Sektor La Baleine mit Routen ab 7c.
Face Nord

Ebenfalls ganz im Talgrund gelegen und in wenigen Minuten zugänglich ist dieser bis auf etwas Morgensonne ganztags schattige Sektor. Und ich muss sagen wow, das ist mal ein Klettergarten! Den nähme ich jetzt auch gerne mit nach Hause. Es gibt rund 50 Routen von 6a-8b von bis zu 40m Länge, wobei die Sinterklettereien dominieren. Die einfacheren Routen bieten steile Wandkletterei an Henkeln, die ganz schwierigen führen durch die typischen, etwas splittrig aussehenden Saint Léger Überhänge mit ihrer typischen Leisten-Griffstruktur. Im Frühling und nach starken Regenfällen können alle Routen hier lange nass bleiben, was bei unserem Besuch zum Glück kein Problem darstellte. Wenig erstaunlicherweise erfreut sich auch dieser Sektor einer grossen Beliebtheit, doch dank dem grossen Angebot von 7a-8a, dem geräumigen Wandfuss und dem langgezogenen Felsband fühlt es sich hier viel weniger als "Gstungg" und Andrang an wie z.B. im La Baleine. Hingegen fühlt man sich hingegen mit meinem Kletterkönnen (wie in den anderen Sektoren von Saint Léger) rasch einmal als kleine Maus. Unglaublich, wie viele fitte Leute es in ganz Europa gibt, welche die eine 7c nach der anderen 8a einfach mal so rasch wegspitzen. Da muss ich definitiv noch etwas mehr Suppe essen... Ein weiterer Vorteil am Face Nord besteht darin, dass man über einen steilen Trampelpfad (ca. T4+) innert Kürze zur besten Badestelle im Toulourenc gelangt. Zur Freude unserer Kinder, für die heisst Klettern in Saint Léger nämlich zu einem wesentlichen Teil auch Baden im Fluss, so dass wir diesen Sektor gleich 2x besuchten. 

Geklettert bin ich hier Madame Cowboy (7a), eine super Sinterroute mit kräftigem Slopereinstieg und vielen Henkeln danach. Ihre Nachbarin La chevauchée fantastique (L1 7a, L2 7a+) ist auch toll und etwas anhaltender schwierig. Die etwa 10m der zweiten Länge gehen über den steilen Wulst und fordern einen kräftigen Zug von einer scharfen, kleinen Seitgriffleiste in ein gutes Loch. Die Bille de Clown (7b) erklimmt zwar in nur einer Länge den 40m hohen Fels, ist aber auch zweigeteilt. Nach einem recht gemütlichen Einstieg folgt ein steiles Wandstück mit Slopern und einem Untergriff, der hoch angegangen werden muss. Nach einem No-Hand-Rest folgt der etwas einfachere obere Teil, wo ein Überhang mit Sloperausstieg doch nochmals entschlossen angegangen werden will. Les Rifougneurs (L1 7a+, L2 7c) ist eine weitere, coole Route. In der ersten Länge konzentriert sich die Schwierigkeit auf das bouldrige Dächli mit seinen Slopern oberhalb. Und die zweite Länge... erst ein dachartiger Wulst mit sinterähnlichen Henkeln. Gegen dessen Ende warten dann 2-3 weite Züge an nur noch mässigen Griffen. Ok, schön positive, kleine Leisten, aber da muss einfach noch etwas Strom im Tank sein. Zu erwähnen auch die psychische Anforderung. Die Crux von L2 klettert man vom zweitletzten Bolt weg. Steht man mit den Füssen etwa 1m darüber, so kommen wieder Henkel. Allerdings sind es nun nochmals 2-3m zur nächsten Sicherung, welche zuletzt unangenehm über Untergriffe angeklettert werden muss. Wer hier fliegt, der fliegt... ins Leere zwar, aber das gibt einen richtigen Abgang. Gefühlt irgendwie sogar unangenehmer wie eine Wendenroute, weil's nach dem Runout prompt vor dem nächsten Bolt nochmals schwieriger wird. Der steckt allerdings nur so hoch, weil's von da bis zum Stand nochmals gleich weit (5-6m) ist. Erst nicht allzu schwer, der Schlussmantle auf's Band auffi ist aber nochmals fordernd (ca. 6c) - einfach nicht abwerfen lassen. Erwähnt seien an dieser Stelle auch noch die einfacheren Routen wie Hold Up (6b+), Mélodie (6a), Mauvais joueur (6a), La voix de sages (6a+) und Nom de Bluye (L1 7a), in welchem ich dem motivierten Rest der Familie Seil oder Exen eingehängt hatte.

Nicht ganz einfach, die Vorzüge des Face Nord abzulichten. Hier ein kümmerlicher Versuch... es lohnt sich aber hinzugehen!
Topo

Das Gebiet von St. Léger steht im Zentrum einer grossen Kontroverse um lokale und auswärtige Topos. Es gibt hier einen lokalen Führer mit dem Namen "Escalades Autour du Ventoux", welcher das Gebiet vollständig beschreibt. Gut, empfehlenswert, erfordert jedoch Französischkenntnisse und ist ausser lokal nicht ganz einfach zu erhalten. Schliesslich ist 2009 von Rockfax der Kletterführer "France Haute Provence" erschienen, welcher die Felsen von St. Léger fast komplett beschreibt, daneben jedoch auch noch viele weitere, wichtige Gebiete der Region beschreibt (u.a. Ceüse, alle Gebiete um Buis-les-Barronies, Orpierre, Dentelles de Montmirail, Buoux, Venasque). Obwohl etwas teurer, stellt er so natürlich einen guten Deal dar, ist in Englisch und im Rest von Europa auch ziemlich einfach erhältlich. Die Locals hat's allerdings ziemlich wenig erfreut, dass ein fremder Führer ihnen hier das Wasser abgräbt. So hängen bis heute die Plakate "No Vampire Topo" aus. In diesem Sinne ist es sicher empfehlenswert, den lokalen Führer zu berücksichtigen. Auch wenn ich sonst die Qualität der Rockfax-Führer sehr schätze, in Bezug auf St. Léger ist das gebotene wenig überzeugend. Es ist wirklich eine ziemlich plumpe Kopie des lokalen Führers, die sonst sehr nützliche Sternchenbewertung ist hier nutzlos und vielfach unzutreffend (der Grossteil der Routen wird einfach mit 1* bewertet) und die Charakterisierungen der Touren stimmen im lokalen Führer einfach besser. Dass Rockfax die unübliche "von rechts nach links" Darstellung des lokalen Führers auf's übliche "von links nach rechts" geändert hat, macht in diesem Gebiet, wo man von rechts her kommt, auch gerade noch wenig Sinn. Der Sektor La Baleine ist übrigens neuer und weder im einen noch im anderen Führer enthalten. Man kann das Additif jedoch hier downloaden (falls der Link einmal nicht mehr gehen sollte, ich hab's lokal gespeichert...).

No Vampire Topo!

Freitag, 5. Mai 2017

Sportklettern in St. Loup

Noch einmal hatte es Ende April vor unserer Haustür 30cm Neuschnee gegeben, dazu in der Südschweiz die ganze Woche hindurch Bindfäden geschifft. Da war guter Rat teuer für das geplante Sportkletter-Weekend mit der Familie. Solchen findet man in der Regel auf den Wetterseiten (siehe hier), wo sich die gefallene Niederschlagsmenge übersichtlich darstellen lässt. Neben dem Zentralwallis hatte es auch im Waadtländer Jura nur moderat geregnet. Also auf ins nach im brandneuen Extrem Jura beschriebene St. Loup!

The Monkey Face, gesehen im Sektor Bain de Sang. Die Route Nightmare (8a+) gleich rechts davon ist eine echte Perle!
Das zwischen Lausanne und Yverdon im malerischen Flusstälchen des Nozon gelegene Gebiet wurde in den 1990er-Jahren vor allem durch die Routen der Gebrüder Fred und François Nicole bekannt. Nebst vielen weiteren harten Geräten war es vor allem die eindrücklich glatte Wandpartie der Bain de Sang (9a), welche diese Felsen in den Fokus brachten. Es handelte sich dabei um eine der weltweit frühen Routen in diesem Schwierigkeitsbereich. Doch es gibt nicht nur schwere Routen in St. Loup, vom Plaisirbereich über die mittleren Grade bis nach ganz oben, es ist unter den total rund 300 Klettereien wirklich alles vorhanden. Was man jedoch nicht erwarten darf, sind athletische Ausdauerhämmer in Grotten von spanischem Zuschnitt. Das Felsband ist zwar teils bis zu 50m hoch, die Kletterei aber meist knapp unter oder über der Senkrechte angesiedelt. Es dominiert Wandkletterei an manchmal unverhofft guten Löchern, Briefkasten-Schlitzen und Schuppen, wobei auf dem nächsten Meter dann schon wieder alles griffarm und wenig strukturiert ist. Charakteristisch für die Kletterei in St. Loup ist ein ziemlich beschränktes Angebot an Tritten. Der Fels ist für (mein Verständnis von) Jura-Verhältnissen sehr gut und die Reibung gar nicht mal so übel - nichtsdestotrotz aber halt doch etwas ganz anderes wie z.B. im Rätikon oder an der Schafbergwand, wo man überall auf nichts antreten kann. Von den Jura-Gebieten, die mir bekannt sind, hat mich St. Loup am meisten an die Falkenflue erinnert.

Banal oder schwierig? Eher das Zweitere. Blick auf die Wandpartie mit dem Projekt Demain und Bain de Sang (9a). 
Es ist allgemein bekannt, das Gebiet sei sehr kinderfreundlich - das ist an sich nicht falsch. Trotzdem möchte ich das Bild ein wenig korrigieren, damit man weiss, was einen hier erwartet. Ja, das ruhige und von einer Güterstrasse (Fahrverbot!) durchzogene Nozon-Tal ist eine gute, bequem zugängliche Umgebung. Wenn es warm genug ist, gibt der Bach auch gute Spielmöglichkeiten her. Obwohl der Wandfuss meist nur wenige Meter vom Strässchen entfernt ist, besteht aber in der Regel keine direkte Sichtverbindung zum Bach, weil dazwischen dichtes Buschwerk wächst. Auch das Gelände an den Einstiegen ist meist relativ eng und etwas unbequem, wenn natürlich auch ungefährlich. Dieses Setup macht die Wahl der richtigen Jahreszeit für dieses Gebiet denn auch nicht ganz einfach. Im Winter ist's in diesem Tälchen bestimmt nicht sonderlich mild, und die Sicherungsperson friert sich im Schatten der Büsche einen ab. An der Sonne klettern tut man meist erst in der zweiten Routenhälfte. Umgekehrt im Sommer, da ist's unten zwar  durchaus angenehm, dafür aber kann man oben gebrutzelt werden. Somit sind Frühling und Herbst sicher die besten Jahreszeiten. Wir kletterten am ersten Tag in den vorderen Sektoren gleich beim Eingang ins Tälchen. Die bis zu 40m langen Routen boten besten, technisch anspruchsvollen Klettergenuss. Einige Routentipps:

Sept pas si durs! (7a): Höchst empfehlenswert, immer wieder griffige Löcher und Schuppen, gängig.
Pour toi Auguste grimpeur étoile (7b+): Knifflige Einzelstellen und Ruhepunkte, eher gutmütig.
Beurre noir (7a): Gut, aber direkt über die Haken in der Crux (sonst expo!) massiv schwerer wie 7a.

Kathrin in der Sept pas si durs! (7a), 40m Klettergenuss bis zum Top vom Cliff.
Am zweiten Tag liessen wir es uns dann nicht nehmen, rund um den Extremklassiker Bain de Sang (9a) zu klettern. Diese selber liessen wir verständlicherweise aus und vergnügten uns in den folgenden Routen:

Riff-Raff (6b): Kurz, aber alles andere als banal für den Grad, sehr technisch.
Les ailes de Mercure (7a+): Bouldereinstieg, Crux am kräftigen, trittarmen Wulst.
Odyssée (7c+): Empfehlung mit Bouldereinstieg, nachher weite Züge an guten Griffen.
L'ososcaphe à thermosiphon (7a+): Kurz, aber ein sehr kniffliges Bewegungsproblem.

Zu tun gäbe es noch viel, viel mehr und die technisch anspruchsvolle Tüftel-Kletterei in nicht ganz so steilem Gelände taugt mir auch sehr. Leider ist's für einen Tagesausflug zu weit weg für uns, aber auf dem Campingplatz in La Sarraz (mit Schwimmbad) kann man sich sehr gut installieren. A+ à St. Loup!

Fazit dieses Weekends und Graffiti am Einstieg von Bain de Sang (9a).

Montag, 1. Mai 2017

Ueli Steck (1976-2017)

Beim Zmorge als Auftakt zu einem wunderschönen Klettertag im Jura erreicht uns die bestürzende Nachricht, dass Ueli Steck bei den Vorbereitungen auf die geplante Everest-Lhotse-Traverse offenbar am Nuptse tödlich abgestürzt ist. Es zieht mir den Boden unter den Füssen weg, die Gedanken kreisen den ganzen Tag ob diesem traurigen Geschehen. Soweit bisher bekannt ist, passierte der Unfall ja weder in besonders grosser Höhe, noch in sehr schwierigem Gelände. Wie wenig es manchmal braucht: sei es eine kleine Unachtsamkeit, ein fallender Stein, ein im falschen Moment brechendes Steigeisen oder eine zur Unzeit versagende Pickelhaue.


Mit seinen Leistungen, seiner Akribie in der Vorbereitung und seiner enormen Motivation war mir Ueli eine grosse Inspiration. Nicht nur das, er war ein Wegbereiter für eine neue Art des Bergsteigens, welche ohne viel Ballast auskommt. Und er war jederzeit bereit, bisherige Konzepte und Denkweisen zu Gunsten von einem moderneren und besseren Ansatz zu verwerfen. Das gefiel mir, ebenso wie seine Vorträge, an welchen man seine Begeisterung förmlich spüren konnte. Ein paar Mal habe ich ihn auch am Fels getroffen, mit ihm sogar einmal das Projekt geteilt. Da war er einer von uns - keiner, der aufgrund von seinem Status eine Sonderbehandlung oder Vortritt eingefordert hätte. Im Gegenteil sogar. Ebensowenig war er sich zu schade, Amateure wie mich bei einem Versuch anzufeuern oder über die richtige Beta zu diskutieren. Und vor allem, er gab sich auch keine Blösse dabei, wenn er eine Stelle schlechter als ein Weekend-Punter lösen konnte. Das hat mich fast am meisten beeindruckt.


Während ihn nach meiner Auffassung fast alle aus der Bergszene auf diese Art und Weise kannten und schätzten, wurde er von der breiten Öffentlichkeit nicht richtig verstanden. Die Vielzahl an absolut beschämenden und verletzenden Kommentaren in den Mainstream-Medien schmerzt mich gleich nochmals. Wie kann man so über einen Menschen urteilen, den man nicht gekannt hat?!? War es, weil er für viele der Spiegel der eigenen Mutlosigkeit war - derjenige, der aufgezeigt hat, was alles drin läge, wenn man die Courage hätte, Konventionen zu brechen, den eigenen Träumen zu folgen und mit Motivation für das zu Arbeiten, wovon man träumt?!? Machs guet, Ueli, wo auch immer du jetzt bist!

Die Bilder sind von meinem Ausflug in die Everest-Region anno 2006.