Seiten

Dienstag, 3. September 2019

Pizzo Frachiccio - Forza Bregaglia (6b)

Auf zu einem weiteren Abenteuer im Bergell. Schon das dritte Mal in Folge starten wir unseren Sommertrip hier. Das hat mannigfaltige Gründe: erstens herrschte beim Aufbruch immer top Wetter, so dass wir die schönen Tage nicht mit weiten Autofahrten verbringen mochten. Zweitens sind die granitige Kletterei und das alpine Ambiente einfach grandios, für uns aber doch ausserhalb vom Bereich für Tagestouren. Diese Mal wollen wir es mit einer 2017 durch die Lokalmatadoren Guido Lisignoli und Bernhard Falett neu erschlossenen Route probieren. Wie erwartet kriegt man beste Bergeller Kletterei mit ein paar fordernden Plattenpassagen geboten.

Sicht von der Albignahütte auf den gewaltigen Pizzo Frachiccio, an dessen P.2622 sich die Route befindet.
Gewitter mahnen uns an diesem Tag zu einem frühem Aufbruch, so dass wir bereits um 7.45 Uhr die Albignabahn nehmen (Betrieb wäre ab 7.00 Uhr). Der Zustieg über den Cacciabellaweg kostete uns genau die auf dem Topo verzeichneten 40 Minuten. Der Einstieg befindet sich tatsächlich am tiefsten Punkt vom Fels direkt am Weg. Derzeit ist der Routenname mit roter Farbe angeschrieben, aber vermutlich wird diese nicht ewig halten. Nach den üblichen Vorbereitungen geht's um 8.45 Uhr bei blauem Himmel und angenehmen Temperaturen los.

Ambiente beim Wärterhaus am Albigna-Stausee, grandios! Der Pizzo Frachiccio am rechten Bildrand schon besonnt.
L1, 6b: Eine währschafte Knallerplatte wie sie im Buche steht! Der Auftakt zum hoch steckenden ersten BH ist noch trivial. Doch dann nehmen die Schwierigkeiten stetig zu, spätestens dort, wo der grosse Linksbogen beginnt, kann man die Sache als äusserst knifflig bezeichnen. Und dann, wenn die Moves an der äussersten Abrutschgrenze gelungen sind, stellt man am letzten BH fest, dass es zum Stand hin nochmals einen Tick steiler und schwieriger wird. Doch irgendwie ging dann selbst das! Die Absicherung im oberen, schwierigen Teil ist gut, aber (insbesondere wegen dem querenden Verlauf) komplett zwingend. Nachdem ich am Stand ein wenig mein Mütchen gekühlt hatte, kommt die Tochter nach. Unglaublich, wie gut sie auf den Füssen steht, es scheint mühelos zu gehen. Ihr lapidarer Kommentar: "Papi, hast du das jetzt echt so schwierig gefunden, wie es ausgesehen hat?". Ähm, haben wir das nicht schon einmal gehört?!?

Im Bild die veritable Knallerplatte von L1 (6b) - fordernd und im oberen Teil sehr anhaltend!
L2, 6b: Nein, einfacher wird es nicht. Die Steilzone gleich nach dem Stand hält einen kniffligen Boulder auf Lager. Zwei kleine Crimps heftig blockieren, auf nichts antreten und dann gefühlvoll manteln. Die Plattenstelle danach ist auch nicht von schlechten Eltern, bei Nichtbeherrschung wäre man zurück auf Feld 1. Danach wirs es dann etwas einfacher, der Fels hält coole Wasserlöcher bereit. Dann noch ein Aufschwung und Stand.

Da sind die bouldrigen Auftaktschwierigkeiten in L2 (6b) bereits gemeistert, die Platte ist etwas einfacher als in L1.
L3, 6b: Gleich nochmals ein heftiger Plattenboulder nach dem Stand. Durchaus morpho, mir ging der recht gut und es war für mich die einfachste der 6b's. Für Larina war die Stelle hingegen nicht frei kletterbar. Der Rest der Seillänge bietet dann deutlich geringere Schwierigkeiten, zuletzt übers Grasband zu Stand.

L4, 5a: Einfaches Überführungsstück, das sich die felsigen Passagen sucht. Erst eher linkshaltend, bevor man dann nach dem vierten BH den Stand sehr deutlich rechts suchen muss. Für Verwirrung kann auch eine alte Route (wohl die 'Annamaria'?!?) sorgen, deren Verlauf man hier berührt. Aber einfach den alten Grümpel ignorieren und die schönen Inoxbolts suchen!

Der Mittelteil der Route ist im Rückblick nicht so fotogen, da sich die Stände auf bequemen Jardins befinden. So zeigen wir an dieser Stelle nochmals ein Bild aus dem Zustieg. Aus dieser Perspektive hat der P.2622 des Pizzo Frachiccio schon richtig Schwung und wirkt auch als eigenständiger Gipfel, obwohl er eigentlich nur eine Nebenerhebung ist. Nun ja, für uns Kletterer ist dies ja alles sowieso nicht so wichtig, solange tolle Moves warten.
L5, 5c: Während die schwierigen Einstiegslängen über knapp strukturierten, hellen und sauberen Fels führen, ist der Charakter hier anders. Der Fels ist dunkel, mit griffigen Schuppen versehen, dafür auch etwas flechtig. Die Kletterei ist aber absolut genussreich, ideal kann man hier in die Höhe turnen.

L6, 5c: Mit ähnlichem Charakter wie in der Länge zuvor geht's hier in die Höhe. Die Bohrhaken sind nicht entlang der grössten Schuppe zu suchen, sondern rechts davon, wo das Gelände noch griffiger ist. Zuletzt geht's dann über einen steilen Riss auf den Turm, den Frachiccio Spire.

Schöne, für den oberen Teil der Route typische, griffige Schuppenkletterei in L6 (5c)
L7, 6a: Nochmals etwas höhere Schwierigkeiten auf einer von einem seichten Riss durchzogenen Platte, welche sonst kaum (gute) Griffe aufweist. Die Herausforderungen liegen eher im ersten Teil der Länge, oben raus wird es einfacher.

Ankunft auf dem Frachiccio Spire, hinten die Staumauer. Die Bahn endet etwas unterhalb der Staumauer.
L8, 5b: Auf der Kante und teils sogar links davon klettert man auf dieser gemutlichen Abschlusslänge in die Höhe. Die Route endet rund 50m unter dem Grat, welcher über einfaches Schrofengelände erreicht werden könnte (um dann rückseitig die Abseilstellen der Via Kaspar zu nutzen).

Victory! Das Routenende ist erreicht, es beginnt bereits rundherum zu quellen. Die Gewitter kamen aber erst in der Nacht.
Nach 3:45h vergnüglicher Kletterei sind wir um 12.30 Uhr am Top. Der für MSL noch nicht wieder ganz einsatzbereite Teil der Familie ist schon wieder auf dem Rückweg von der Wanderung zur Albignahütte, somit halten auch wir uns nicht lange auf und fädeln die Seile in den Abseilring. Wir verfügen heute über 2x60m, so reicht es gerade in 5 Manövern zum Einstieg (Stände 8-6-5-4-2, Achtung beim Überspringen langt es jeweils nur ganz knapp!). Der Rückweg zur Bahn ist dann Formsache und bald sind wir im Tal. Im nahen Italien gibt's in bereits bekannter und beliebter Bar Gelati und Caffè, bevor sich Kathrin und Jerome noch ein wenig am Sasso del Drago die Finger lang ziehen.

Auf dem Heimweg greift dann der noch nicht MSL-fitte Familienteil noch an.


Facts

Piz Frachiccio - Forza Bregaglia 6b (6b obl.) - 8 SL, 320m - Lisignoli/Quilt/Falett 2017 ***;xxx
Material: 2x50m-Seile, 10 Express, evtl. kleine bis mittlere Cams z.B. 0.3-1

Tolle Granitkletterei an sonniger Lage in alpinem Ambiente, die aber dank der Albignabahn trotzdem einen kurzen Zustieg aufweist. Geboten werden einem zuerst 3 anspruchsvolle 6b-Seillängen, die sich für Nichtspezialisten in fordernder Reibungskletterei auch eher hart bewertet anfühlen werden. Danach geht's dann etwas gemütlicher und auch griffiger weiter, dafür ist der Fels in den oberen Seillängen etwas flechtig. Die Absicherung mit sinnvoll platzierten Inox-Bohrhaken ist auf Stufe "Plaisir gut". Konkret sind die Schlüsselstellen gut aber anspruchsvoll geboltet, das einfachere Gelände weist etwas weitere Abstände auf. Da die Schwierigkeiten v.a. in der ersten Seillänge sehr anhaltend sind, ist der geforderte Grad zwingend zwischen den Haken zu klettern. In den einfacheren Seillängen könnte man punktuell noch mit kleinen bis mittleren Cams ergänzen. Allzu viele gute Placements gibt's aber nicht und aufgrund der guten Grundabsicherung mit Bohrhaken ist es auch nicht zwingend. Nähere Infos zu den anderen Routen am Berg gibt's im Plaisir Süd oder im SAC-Führer Graubünden. Die Forza Bregaglia ist noch nicht in gedruckter Literatur publiziert, daher unten das hervorragende Topo der Erstbegeher.   

Das super Topo der Erstbegeher. Quelle: campingacquafraggia.com

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Ich freue mich über Ergänzungen zu diesem Blog via Kommentarfeld!
Kontakt: mdettling74@gmail.com.