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Montag, 27. Juli 2020

Zervreilahorn - Maverik (7a, 9 SL, Erstbegehung)

An einem genial schönen Wochenende zum Ende der Sommerferien 2019 hatten wir erst die Nanouk und dann die Braveheart geklettert. Verzaubert vom Bündner Matterhorn, der einsamen, wunderschönen Umgebung und der Kletterei über Risse und Platten in vorzüglichem, orangem Gneis schweiften meine Blicke über die Wand. Verschneidungen, Kanten, Pfeiler, alles reihte sich aneinander. Ja, da war die Gelegenheit für eine Neutour vorhanden. Die Verlockung war so gross, dass ich am liebsten gleich unmittelbar nach dem Abseilen wieder in die Wand eingestiegen wäre. Das war natürlich utopisch, somit war erst eine Woche an Geduld gefragt, bevor es am darauf folgenden Samstag (24.8.2019) losgehen konnte. Entstanden ist schliesslich eine tolle Route mit typischer Zervreila-Kletterei, die im Semi-Trad-Style (nicht absicherbare, plattige Passagen und Stände gut eingebohrt, die Risspassagen clean) konzipiert ist.


Die fantastische SE-Wand des Zervreilahorns mit der Maverik und den Zustiegen (normal von rechts, alternativ direkt).
Erstbegehung

Um den Tag auch wirklich gütlich nutzen zu können, brachen wir bereits um 5.00 Uhr in der Früh von Zervreila auf. Mit 3 Sätzen Cams, 60 Bohrhaken und vielen weiteren Gegenständen schwer bepackt ging's hinauf ans Zervreilahorn zum Einstieg, wo wir bereits um 7.00 Uhr loslegen konnten. Wir kamen zügig voran: der Schwierigkeitsgrad der am Horn üblichen Mischung von Wandstellen und Rissverschneidungen war meist im Bereich 6b, die Linie ergab sich von selbst und dank vielen Möglichkeiten für zuverlässige mobile Sicherungen konnte die Bohrmaschine meist stumm bleiben. Insgesamt weist die Route auf 9 Seillängen nur 18 gebohrte Zwischensicherungen auf, macht im Schnitt genau 2 Stück pro Länge. Trotzdem, der extrem harte Gneis forderte unseren Bohrer, so dass am Ende nicht nur wir, sondern auch die Akkus erschöpft waren und das Setzen der Bolts zur Geduldsprobe wurde. Doch nachdem sich die letzten 2.5 Seillängen clean klettern liessen, erreichten wir um 20.00 Uhr abends nach 13 Stunden Kletterei doch noch überglücklich und hochzufrieden den Klettergipfel des Zervreilahorns. Nach Hause ins Bett war's allerdings noch ein weiter Weg, nach 22 Stunden auf den Beinen konnte ich mich schliesslich in die Federn legen. Ja, durchaus ein wenig eine verrückte Aktion, aber ein Tag der für immer in Erinnerung bleiben wird.

Der Startschuss zu unserem Projekt, just in time mit dem Sonnenaufgang!
Selbstverständlich wollten wir die Route auch Rotpunkt klettern, sowieso mussten wir auch noch einige Verbesserungen vornehmen, insbesondere die Standplätze hatten wir anlässlich der Erstbegehung um Zeit und Wattstunden zu sparen erst sehr spartanisch eingerichtet. Vier Wochen nach der Erstbegehung (21.9.2019) war es schliesslich soweit, angenehmes Wetter und die Verfügbarkeit von beiden Seilpartnern liessen den Ausflug zu. Mit grossem Genuss und Begeisterung konnten wir unsere Linie erfolgreich Punkten und alle Arbeiten abschliessen. Einzig die zweite Seillänge erforderte dabei ein "genaues Hinschauen". Damals, beim Einbohren und mit dem üblichen Pausieren am frisch gesetzten Zwischenhaken war die linke Kante an der fraglichen Stelle rasch erreicht. Doch würde es auch ohne diesen Zwischenhalt gehen? Ja, und wie - mit einem fantastischen New-School-Move konnten wir das Problem lösen. Jeder der behauptet, die modernen Boulder an den Wettkämpfen hätten nichts mit realem Klettern zu tun, der sollte einmal diese Stelle probieren!

Anreise und Zustieg

Per Auto oder öV auf kurvenreicher Strasse von Chur via Ilanz nach Vals und weiter nach Zervreila zum Parkplatz bei der Kapelle (P.1984). Nun der mit Fahrverbot für Motorfahrzeuge belegten Schotterstrasse entlang ca. 2.7km zum Beginn des Wanderwegs nach Furggelti, dabei vernichtet man rund 130 Höhenmeter. Es ist sehr empfehlenswert, für diesen Abschnitt ein Bike zu verwenden. Die Zeitersparnis auf dem Hinweg beträgt ca. 30 Minuten, auf dem Rückweg ca. 15-20 Minuten. Dann zu Fuss dem Wanderweg entlang bis zu dieser Stelle auf ca. 2240m (Steinhaufen, Eisenstange mit weiss-rot-weisser Markierung), wo man diesen nach rechts verlässt.

Der Zustieg ist für sich alleine schon ein Erlebnis, die Gegend ist wunderschön!
Die Pfadspur zum Zervreilahorn ist ganz am Anfang nicht sehr ausgeprägt, wird aber bald deutlicher. Sie verläuft später am Fuss des markanten, diagonal verlaufenden Felsbands - im Zweifel einfach in diese Richtung gehen. Man erreicht schliesslich den flachen Boden (Biwakplatz) auf ca. 2420m und wenig später übers Geröllfeld den Fuss der Wand. Von dort auf Pfadspur links aufwärts und über den Graskegel zur Kraxelstelle, die aufs grasige Einstiegsband leitet. Auf diesem noch ca. 200m nach links, man passiert dabei die Einstiege von Medea, Nanouk und Braveheart. Ca. 25m links der letzteren befindet sich der angeschriebene Einstieg auf ca. 2550m, ein kurzes Fixseil erleichtert die letzten Meter. Alternativ und einen Tick schneller kann man auch unterhalb der Wand gut begehbar übers Geröllfeld queren und erst hinten über die Stufe direkt zum Einstieg der Braveheart hinauf (Fixseil vorhanden). Unser totaler Zeitbedarf von der Kapelle bis zum Start der Route belief sich am Tag der Rotpunktbegehung (mit Bike, zügiges Gehen, inkl. der Bohrausrüstung fürs Nachbessern im Gepäck) auf 1:15 Stunden. In der Literatur steht 2:30h, man kalkuliere also selbst.

Hier geht's los! Der Einstieg befindet sich 25m links der Braveheart und führt direkt oberhalb vom BH in gerade Linie an das System mit Schuppen und Verschneidungen. Die mit BH abgesicherte Linie, welche über die Platte nach links zieht, ist die Holy Smoke. Man lasse sich also nicht in falsche Versuchung bringen...
Routenbeschreibung

Zervreilahorn - Maverik 7a (6b obl.) - 9 SL, 230m - Dettling/Wegmayr 2019

L1, 6b, 30m: Achtung, vom Einstiegsband startet nicht nur die Maverik, sondern auch die Holy Smoke, welches mit mehreren BH gesichert nach links über die Platte zieht, während die Maverik gerade hinauf an die Schuppe und später Verschneidung führt. Direkt über den Einstiegsbohrhaken folgt in der Maverik eine plattige Stelle um wach zu werden, bevor man die griffige Schuppe in die Finger kriegt und dieser folgt. Nach einem Absatz geht's los: erst den Riss geschickt nutzen, dann in kräftigen Piaz wechseln um das Dächli athletisch zu überwinden. Über zwei Stufen hinweg gelangt man zum Stand.

In L1 (6b) der Maverik. Kurze Platte, dann griffige Schuppen und eine Piazverschneidung mit Dächli.
L2, 6c 1pa oder 7a, 30m: Schon der Gegendruck-Start aus dem Stand raus hat es in sich. Gute Beinarbeit, etwas Fingerkraft und Vertrauen in die Füsse sind nötig, damit das Scheunentor nicht aufgeht! Dank griffigen Leisten kommt man anschliessend besser zur Cruxzone voran. Dort erst an der feinen, diagonal verlaufenden Rissspur aufwärts, doch irgendwann ist fertig. Man finde die richtige Strategie, um an die offensichtliche Kante links zu gelangen! Ganz einfach geht das mit einem kurzen Pendelquergang am BH (das wäre dann 6c 1pa), doch auch in freier Kletterei ist es möglich. Wir haben uns dafür an einigen Tricks aus der New-School-Boulderszene bedient. Das macht die Stelle unglaublich schwierig zu bewerten. Schlussendlich denken wir aber, dass der Move mehr Kopfsache und knifflig als echt schwierig ist, ja für Spezialisten dieses Genres möglicherweise sogar "einfach". Somit werfen wir eine 7a dafür aus. Gewiss ist da nur eines - der das ganze Valsertal füllende Jauchzer, wenn der Move gelingt!

In L2 (7a oder 6c 1pa) wartet plattige Wandkletterei mit einem kniffligen Bouldermove.
L3, 6b+, 30m: An der Kante der grossen, abgespaltenen Schuppe geht's in die Höhe. Wer gerade Musse hat, könnte sich auch in Rampftechnik durch den Offwidth-Spalt kämpfen ;-) Steht man einmal auf der Schuppe, so geht's ganz logisch nach links und hinauf, bis einen der Crux-BH in die Wand lockt. Eigentlich hat's gute Tritte, nur haben diese nicht unbedingt die korrekte Ausrichtung. Somit ist Vorstellungsvermögen und Bewegungssubilität gefragt, um den kniffligen Move zu bezwingen, New-School-Dynamik ginge wohl auch. Es folgen Rissspuren mit einer nochmals etwas kniffligen Stelle (0.2er-Cam zwingend) zum Stand.

Super Kletterei auch in L3 (6b+). Es hat mehr (nach rechts offene, auf dem Bild nicht sichtbare) Struktur, wie man denkt!
L4, 6b, 25m: Es wartet eine kaminartige Verschneidung bzw. Schuppe, die mit kreativen Techniken erklettert sein will. Mal so und mal anders geht's am besten, zwischendurch hilft aber echt ein kurzer "Squeeze" am besten und es lässt sich alles mobil absichern. Oben dann steil, ja sogar überhängend, supercool! Zuletzt, nach dem BH, geht's dann nicht rechts in die Verschneidung, sondern - an sich der logische Weg - an die Kante und um diese herum.

Die kaminartige Verschneidung bzw. Schuppe in L4 (6b) erfordert vielfältige Techniken!
L5, 6b+, 30m: Absolut fabelhafte Risskletterei an einem perfekt gefrästen Finger Splitter. Unten gibt's einige Verbreiterungen, wo man etwas grösseres Gear platzieren kann, für die erste Crux mit Fingerklemmern und Toe Jams passt dann allerdings nur der 0.3er optimal. Der einfachste Weg führt dann an die Kante und über ein griffiges Dächli, bevor die zweite Episode am Fingerriss folgt. Auch hier sehr schön mit zwingenden Klemmern über die Crux, erneut passt der 0.3er optimal. Auf dem folgenden Podest ist die Seillänge noch nicht zu Ende. In cooler 3d-Kletterei geht's die steile Verschneidung hinauf, der Ausstieg zuletzt erfolgt nach rechts.

Hervorragende Trad-Kletterei wartet in L5 (6b+) mit perfekt gefrästen Finger Cracks und einer Verschneidung am Ende.
L6, 6a+, 30m: Ein gemütliches Zwischenstück mit schöner Wandkletterei führt einen an den Fuss der nächsten, orangen Steilwand. Zwei kniffligere Stellen sind mit je einem BH gesichert, der Rest lässt sich auch hier prima mobil absichern. Ein weiteres Highlight ist dann der Stand auf dem perfekten, topfebenen Bivy-Ledge. Ein prima Platz für eine Pause und um seinen Blick schweifen zu lassen!

Prima Wandkletterei, die man jedoch auch vorwiegend mobil absichern kann wartet in L6 (6a+).
L7, 6c, 35m: Angezogen hat uns auf dieser Seillänge natürlich die markante Schuppe. Doch leider ist sie am Rand dermassen dünn und hohl tönend, dass wir schlussendlich die Finger davon gelassen haben und es auch wenig empfehlenswert scheint, mobile Sicherungen daran zu legen. Das ist nicht weiter störend, weil man unmittelbar rechts in der Wand an Leisten super schön und sogar eher einfacher klettern kann (dafür war halt ein zusätzlicher BH nötig). Bald folgt eine schwierige Wandstelle an einer kniffligen Seitgriffkante. Nein, hier liegt nicht etwa die Bewertung von 6c daneben! Es geht wirklich in diesem Grad, wenn man die Lösung findet. Doch damit nicht genug. Die danach ansetzende, steile Rissverschneidung mit genialem Dächli ist echt super zu klettern und komplett mobil zu sichern.

Ausblick auf L7 (6c), die griffigen Schuppen laden zum Klettern ein!
L8, 6a+, 30m: Über eine Doppelstufe geht's zum markanten Splitter Crack in Faustgrösse. Dieser hat uns bereits bei der Begehung der Braveheart so herzlich aus der Ferne angelacht, dass wir ihn so gut wie zwingend in die Route einbauen mussten. Auch wirklich super zu klettern, nur etwas länger dürfte er noch sein! Anschliessend der Kante entlang auf die liegende Platte, welche entlang von weiteren, breiten Rissen überquert wird.

Über zwei Stufen geht's in L8 (6a+) zum perfekten Faustriss - genial!
L9, 5c, 25m: Gleich oberhalb in der gelben Wand warten ein paar wunderschöne Risse mit genialer Felsstruktur, eine echte Plaisir-Clean-Kletterei. Zuletzt führt der logische Weg nach rechts und mangels weiterem Akkustrom blieb uns bei der Erstbegehung gar nichts anderes übrig, wie zum Abschlussstand der Braveheart zu zielen. Im Zuge der Rotpunktbegehung hätten wir zwar einen eigenen Schlusstand ein paar Meter weiter links setzen können, was uns jedoch schliesslich als unnötige Hakenverschwendung und Zervreilahorn-Perforierung vorgekommen wäre. Somit endet die Maverik am selben Ort wie die Braveheart. Es lässt sich an diesem Punkt auch ideal aufs Gipfelplateau aussteigen, ebenso haben wir das Wandbuch dort platziert (Configlas in der Nische, unverfehlbar).

Zum Schluss wartet noch cleane Plaisir-Risse (L9, 5c). Die Braveheart führt gratartig über die angelehnten Blöcke zu gemeinsamen Endpunkt.
Abseilen

Erfolgt am besten und einfachsten gleich über die Route selber. Es sind 5 Manöver, die nötigen Standplätze (9-7-5-3-2) sind ausgerüstet. Auf den ersten beiden Strecken werden die 2x50m-Seile jeweils gut ausgenutzt, aber es reicht. Alternativ könnte man auf dem Gipfelplateau auch wenig absteigen und die Piste über die Fahnenroute verwenden. Mit 2x50m sind aber auch dort 5 Abseiler nötig und besser/effizienter ist diese Variante nicht. Somit macht's also wenig Sinn bzw. lohnt sich höchstens für einen Einblick in jene Route und die grosse Abschlussplatte, bzw. für jene, die nur mit einem Einfachseil angerückt sind (dann 10x22m abseilen).



Material

Absolut unverzichtbar ein Satz Cams der Grössen 0.2-3. Wer so legt wie im Topo empfohlen und die mobilen Sicherungen nicht üppiger platziert wie man es bei Bohrhaken tun würde, kommt damit gerade knapp aus. Wenn man ein bisschen grosszügiger und weniger taktisch legen möchte, so kann sich ein zweites Set Cams der Grössen 0.3-0.75 als durchaus sehr nützlich zeigen. Allenfalls könnte man auch einen Satz Keile der entsprechenden Grössen mitführen, was uns jedoch als deutlich weniger praktisch erscheint. Als eher optional darf man das doppelte Mitführen der Cam-Grössen 1-3 bezeichnen, es ist jedoch durchaus möglich, auch diese sinnvoll an den Fels zu bringen. An Seilen sind 2x50m nötig, mit einem Einfachseil müsste man die Abseilpiste über die Fahnenroute (10x22m) nutzen. Mit 8 Exen (wovon 4 verlängerbare Alpine Draws) sollte man gut durchkommen, wenn man dort wo durch geraden Seilverlauf möglich/sinnvoll die Cams direkt und ohne Exe klippt. Risshandschuhe sind insgesamt eher optional, es gibt neben dem Fist Splitter in L8 nur wenige Stellen, wo ein Jamming mit dem Handrücken zum Einsatz kommt.

Da kann man nur noch sagen, let's go und viel Spass! Das Bild aus L1 (6b).
Topo

Hier unten als Bild, für die beste Qualität empfiehlt sich ein Download als PDF! Artwork by Viktor, vielen herzlichen Dank! Nach Abschluss unserer Neutouren-Trilogie gibt's ebenfalls eine Gesamtdokumentation mit allen Topos, Wandfotos und Routenbeschrieben.


1 Kommentar:

  1. Die Route wurde im Sommer 2020 (vor der Publikation dieses Beitrags) schon einige Male geklettert. So unter anderem von Lina & Hene. So wie sie mir geschrieben haben, hat es ihnen offenbar sehr gut gefallen. Mit unseren Bewertungen waren sie einverstanden, einzig L7 sahen sie eher bei 7a als 6c. Hier sind wir uns aber ziemlich sicher, dass die 6c mit der richtigen Methode passt, man die Seillänge aber auch schwieriger klettern kann.

    Dann hat mir Kai nach der Entdeckung des Wandbuchs am Braveheart-Ausstieg geschrieben, das Topo erhalten und ist gleich am nächsten Tag in die Maverik eingestiegen. Seine Zeilen: Nochmal ganz vielen dank für das Topo! Wirklich eine sehr schöne Tour! Wir fanden sie insgesamt etwas fordernder als die Braveheart, die Bewertungen passen aber denke gut so.... Bolts sind top platziert, danke fürs einrichten!

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