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Mittwoch, 19. August 2020

Tour Termier - Marmotta Impazzita (6c)

Ein weiterer Hitzetag sollte uns bevorstehen, vor der bereits angekündigten Kaltfront eine ideale Gelegenheit, um im Massif des Cerces zu klettern. Denn einerseits sind die Gipfel hier über 3000m hoch, andererseits die Wände eher nach W ausgerichtet, so dass es hier in Absenz von idealem Bergwetter meist keine sonderlich angenehmen Kletterbedingungen gibt. Die vermutlich beste und vielfältigste Wand in der Kette, die vom Col du Galibier nach SE verläuft ist jene des Tour Termier, obendrein weist sie auch noch den kürzesten und bequemsten Zustieg auf. Schon im Vorjahr hatten wir hier in der Ponant Neuf (6a+) einen tollen Klettertag gehabt, das wollten wir sehr gerne wiederholen. Noch diverse, sehr interessante Projekte bis in die oberen Schwierigkeitsgrade stehen uns hier zur Verfügung - doch vorerst wollten wir "Vernunft walten lassen" und mit der Marmotta Impazzita (9 SL, 6c) den rechten Wandteil über eine noch "moderat schwierige" Route kennenlernen.

La paroi aussi grande, la fille un peu moins petite... Tour Termier mit dem Verlauf der Marmotta.
Um 10.10 Uhr liefen wie bei der letzten Kehre südseitig vor dem Col du Galibier los. Im Gegensatz zum letzten Mal war die ganze Familie mit dabei, wobei unser zweites Team nur den Gipfel via Normalweg besteigen und danach mit dem Bike den langen (>50km) Weg zurück zu unserem Basislager in Angriff nehmen wollte. Grosso Modo horizontal mit ein wenig auf und ab verläuft der Weg zum Einstieg und es war eindrücklich zu sehen, wie die Kinder in diesem vergangenen Jahr nicht nur klettertechnisch, sondern auch läuferisch markante Fortschritte erzielt hatten. So waren wir nach 50 Minuten bereits am Einstieg angelangt, der zu dieser Zeit noch im Schatten lag. An diesem 'journée caniculaire' war das kein Problem, ja gereichte sogar zu unserem Vorteil, da wir uns ideal wieder etwas abkühlen konnten. Herrscht aber nicht bestes Bergwetter, so nützt es rein gar nichts, hier vor Mittag am Start zu sein, da sind kalte Griffel und schlotternde Glieder garantiert. Links drüben am Pfeiler in Ponant Neuf (6a+) und Feu Sacre (7a) herrschte emsiges Treiben, doch unsere Route, ja den ganzen Wandteil hatten wir an diesem Samstag komplett für uns alleine, perfekt! Um ca. 11.15 Uhr kletterten wir los.

On the way to... Tour Termier. Gipfel und die noch schattige Wand +/- oberhalb der Kletterin.
L1, 25m, 6c: Für einmal lässt sich am Einstieg keine schlaue Verankerung organisieren und gleich in eine 6c am Fuss dieser imposanten Wand mag Larina auch nicht im Vorstieg gehen, so klettern wir quasi eine Seillänge null zum ersten BH und starten ab dort. Immerhin können wir da dann auch gleich den Rucksack "Munggen proof" deponieren, wobei es jenen an diesem Tag augenscheinlich zu heiss war und sie lieber in ihren Löchern blieben. Anyway, die gelb-braun-graue, wulstige Steilwand in L1 löst sich prima auf, erst helfen ein paar gute Griffe weiter, die nachfolgende Querung ist dann von mehr von fusstechnischer Natur. Die Absicherung ist bestens und die Schwierigkeiten für den angegebenen Grad sehr zugänglich, so geht sich das alles prima aus. Zuletzt dann einfacher zu Stand auf dem Band.

Das weckt Vorfreude! Blick vom Einstieg auf die gelb-braun-graue, kompakte Wand mit L1 (6c).
L2, 25m, 6b: Sehr schön durch die gelbbraune Wand an Leisten und Tropflöchern, wirklich eine super Kletterei! Am Ende dieser Seillänge ist der Verlauf kurz nicht ganz klar... rechts oben lockt der Stand, die einfachste und direkteste Linie würde über die grosse, mässig verankerte Schuppe führen. Hier nimmt die Route aber noch einen Umweg links herum durch das kompakte Steilgelände, die dortigen Bolts sind aus der Kletterposition schwerlich zu erkennen.

Schon fast wie ein Gemälde! Coolio Kletterei in L2 (6b), am unteren Bildrand mittig ist gerade noch die im Text erwähnte, mässig verankerte Schuppe zu erkennen, die eigentlich den logisch-einfachsten Weg an den Stand vermitteln würde. Die Bolts sind aber so platziert, dass man diese nicht berühren soll und im kompakten Gelände klettert.
L3, 25m, 6c: Ich würde sagen "die beste Seillänge der ganzen Route!". Anhaltende Kletterei an Leisten und Tropflochstrukturen durch die steile Wand. Der beste Weg will erkannt werden, mal hier und mal da präsentiert sich die optimale Lösung, für uns ein grosser Genuss! Der Stand am Ende leicht rechtshaltend auf einem bequemen Band.

Auf diesem Foto kommt es nicht ganz so zur Geltung, aber L3 (6c) bietet Hammer-Kletterei!
L4, ca. 60-65m, 5c+: Hier nimmt die Route erst einen gesuchten Verlauf rechts vom schuttigen Couloir, einfach den eng steckenden BH folgen. Der Fels ist trotzdem nicht ganz top, jemand hatte sich sogar die Mühe gemacht, alle (vermeintlich) unsicheren Griffe mit einem Magnesia-Kreuz zu verzieren. Schliesslich erreicht man ein Band, auf welchem man im Lotterfels nach links traversieren muss. Das ist zwar einfach, aber die Sicherungsabstände sind gross, Fehler sind da weder im Vor- noch im Nachstieg erlaubt. Einen wirklichen Zwischenstand wie im Topo angedeutet gibt es nicht, man müsste  diesen an einem Einzelbolt improvisieren. Zum nächsten regulären Stand sind es jedoch sehr deutlich >50m, man muss ein längeres Stück gemeinsam klettern.

In L4 (5c+) ist das Gelände weniger kompakt, was aber (für Botaniker) auch seine Vorteile hat ;-)
L5, 45m, 6c: Während die Route unten Tropfloch-Wandkletterei geboten hatte, erfolgt hier nun der Wechsel auf eine klassisch anmutende Verschneidungslinie in orange-flechtigem Gestein, mich hat das an wenig an die Wand vom Schlossberg erinnert. Nach ein paar easy Auftaktmetern kommt man bald zu einer leicht überhängenden Wand. Hier wäre der 1pa-Move gemäss Topo: bei dieser kurzen Stelle muss man zwar in der Tat an ein paar kleinen Tropfloch-Strukturen ziehen, aber auch ohne Griff zum Haken dünkt mich das nicht schwieriger wie 6c. Später dann im 6ab-Gelände der Verschneidung entlang, wobei die Haken übertrieben weit links in der Wand stecken. Erst ganz am Ende ist es in der Wand dann einfacher als am Riss selbst.

Top-Ambiente mit Tiefblick, erst Wandkletterei und dann Verschneidung, das ist L5 (6c).
L6, 25m, 6a: Weiter geht's durch die fast klassisch anmutende Verschneidung, die gegen Ende einen ziemlich athletischen Piaz bietet, cool! Vom Turm dann noch ein paar Meter in gemässigter Wandkletterei zum Fuss der nächsten Verschneidung.

Blick zurück von unterwegs... der Fotograf ist am Klettern, nicht die Lady.
L7, 30m, 6b: Auch hier geht's mit Verschneidungskletterei los, zu Beginn mit gar nicht mal so einfachen Moves. Nach der Hälfte der Seillänge ändert das Programm dann wieder zurück zur Wandkletterei, bis man den auf einer bequemen Terrasse gelegenen Stand erreicht.

Ausblick am Ende von L7 (6b): Massif des Écrins und Col du Lautaret.
L8, 35m, 6c: Vom Stand weg geht's nun nicht etwa (logisch) über den Pfeiler, sondern erst im Gehgelände 10m in den Schuttkessel hinein. Die durch die Wand führenden BH-Reihe ist dann offensichtlich. Die Crux wartet hier gleich zu Beginn mit nichttrivialen, technischen Moves an etwas glattem Fels - einerseits vermutlich die schwierigste Einzelstelle der Route, andererseits landet man hier bei einem Sturz definitiv im Geröll. Da muss man sich entweder ganz sicher sein, dass die Moves sitzen oder halt am Haken ziehen.

L9, 35m, 6a+: Hier ganz am Ende zeigen die 3 vorliegenden Topos (Cambon, Plaisir Sud, Topoguide) ein sehr uneinheitliches Bild und bilden die Situation im Gelände allesamt wenig realitätsgetreu ab. Gleich vom Stand weg folgt noch eine etwas schwierigere Stelle (evtl. auch einfacher wie 6a+...), die einen auf ein sehr schöne, einfache Wasserrillenplatte bringt. In dieser eher linkshaltend aufwärts, vor einem Wulst mit markant platziertem BH befindet sich links der Stand.

Auf den Wasserrillen kurz vor dem Routenende (L9, 6a+).
Gerade um 15.00 Uhr und damit nach 3:45 Stunden Kletterzeit hatten wir den Stand nach L9 und damit das Routenende erreicht. Erneut waren uns alle Seillängen in perfektem Stil Onsight/Flash gelungen. So galt es nun nur noch, erfolgreich wieder vom Berg zu kommen und das war von diesem Punkt gar nicht mal so offensichtlich. Man könnte a) anscheinend weiter hinauf und über zwei Dreierlängen der Allo la Terre den Vorgipfel erreichen, b) auf die Rückseite queren und zu Fuss absteigen, wobei man sich da idealerweise schon vorher nach rechts orientiert hätte und Schuhe mitführen muss oder c) abseilend in die Tiefe gleiten. Wir hatten, da alleine in der Wand, von Beginn weg auf die letzte Option gesetzt und die Schuhe am Einstieg gelassen. Im Vorfeld hatte ich auf C2C gelesen, dass man über die Usure du Temps direkt und kommod in 6 Manövern über die steile Wand effizient abseilen könne, so ist das auch im Cambon-Topo verzeichnet. Allerdings herrschte am Routenende einiges an Unklarheit, an welchem der im der im Cambon-Topo verzeichneten Stände wir uns tatsächlich befänden und in welche Richtung denn nun der erste Abseiler zu ziehen wäre... kurz und diagonal, d.h. an der Abbruchkante retour in die Richtung aus der man hergeklettert ist, lautete die korrekte Losung - wir folgten einfach unserem Bauchgefühl und das lag wieder einmal richtig. Danach sind die Strecken 40-45m lang und führen +/- gerade hinunter. Zügig waren wir so retour bei unserem Depot und konnten gemütlich den schönen Rückweg zum Col du Galibier antreten. Tour Termier, we will be back!

Auf dem Rückweg zum Col du Galibier, einfach schön hier unterwegs sein zu können!
Facts

Tour Termier - Marmotta Impazzita 6c (6a+ obl.) - 9 SL, 300m - Gally/Sordello 1997 - ****;xxxxx
Material: 1x oder 2x50m-Seile, 14 Express

Diese tolle Route bietet zuerst Wandkletterei an wasserzerfressenem Tropflochfels, folgt dann in eher klassischer Manier einem Verschneidungssystem und hat einen (steil)plattigen Abschluss. Die Felsqualität darf man als sehr gut bis hervorragend einstufen, es ist ein grandioses Unternehmen für Kletterer, die sich noch nicht ganz an die grossen alpinen Sportkletterrouten wagen dürfen. Auf dem Topo sieht auch die Marmotta nicht ganz so einfach aus, die Bewertungen sind aber eher gutmütig ausgefallen (wenn man jetzt z.B. mit den Wendenstöcken oder dem Rätikon vergleicht). Hinzu kommt eine sehr komfortable Absicherung, überall wo es schwierig ist, stecken die Bolts in kurzen Abständen und die Moves sind selten obligatorisch. 

2 Kommentare:

  1. Hallo Marcel,
    herzlichen Dank wieder einmal (und viel zu selten) für die tolle Beschreibung. Vor allem die Information wo der Beginn der Abseilerei zu suchen ist, ist sehr wertvoll und somit gut zu finden.
    Meiner Meinung nach gehört die L8 (6c mit Groundergefahr) die ihr geklettert seid nicht zur Tour. Jedenfalls bin ich im beschriebenen Schuttkessel die rechte Variante geklettert (die linke habe ich zuerst gar nicht gesehen) und mich gewundert, dass ich nicht an der von dir beschriebenen gefährlichen 6c-Stelle (lt. JM Cambon 6c/A0) vorbeikomme. Wenn man dann in der leichten Wasserrillenplatte von L9 leicht nach links hält kommt man wieder zusammen und an den von dir beschriebenen Abseilstand. So wie ich das sehe endet die "Marmotta" im Schuttkessel und die von mir gekletterten Längen V+ und V gehören zur "Allo la Terre". Die zwei folgenden Dreierlängen zum Vorgipfel würden dann zur "Termiertière" gehören. Und die von euch gekletterte 6c? Eine Variante der "Allo la Terre"?
    Egal. Ich wollte nur schreiben, dass man den potentielle Grounder vermeiden kann und trotzdem gut zum Abseilstand kommt. Nächstes Mal würde ich wahrscheinlich den Fußabstieg ausprobieren ... (Als Unterlage habe ich einen älteren J.M. Cambon und den Topoguide)
    Liebe Grüße,
    Markus

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    1. Hallo Markus,

      Vielen Dank! Ein super Ferienprogramm habt ihr da gehabt :-)

      Ich habe die neuste (letzte) Ausgabe vom Cambon-Führer. Die Angaben da sind etwas widersprüchlich. Die Textbeschreibung erwähnt 8 Seillängen und einen Ausstieg über die Allo la Terre. Wir sind zwar bis zum Schuttkessel nur 7 Seillängen geklettert, aber das stützt deine Aussage, dass die Tour dort endet.

      Im Fototopo geht allerdings die Marmotta vom Schuttkessel noch auf 2 Seillängen (6b+, 6a) eigenständig weiter. Das Topo ist jedoch so schlecht, dass man unmöglich sagen kann, wo diese beiden Längen genau durchführen. Vor Ort habe ich jedoch keine andere Möglichkeit gesehen wie das, was wir geklettert sind.

      Eigentlich wäre das schon die logische Fortsetzung der Marmotta (mal davon abgesehen, dass der Pfeiler wo sich der Stand nach L8 daran befindet, die wirklich logische Linie wäre). Die 6b+ Bewertung stimmt aber im Vergleich mit den unteren Längen sicher nicht. Groundergefahr besteht tatsächlich, ist aber mit Griff zum Haken zu vermeiden. Wobei, wenn man sich nicht sicher ist, diese etwas diffizile 6c sauber klettern zu können, so macht die rechte Variante wie von euch geklettert freilich mehr Sinn.

      Lg, Marcel

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