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Donnerstag, 6. Mai 2021

Auf einen Kaffee mit...

Nach dem Artikel über das Eisklettern im Tages-Anzeiger war die Pressestelle meines Arbeitgebers auf mich, bzw. mein Hobby aufmerksam geworden. Ich wurde daher für ein Interview im Rahmen der Reihe "Persönlich" im internen Mitarbeiter-Magazin angefragt, welches ich nun auch hier in einer extended-Version publizieren darf. Die Fragen (und auch die Antworten) sind eher auf Laien wie auf Bergsportler zugeschnitten, aber vielleicht finden auch die Blog-Leser hier lesenswerte Unterhaltung. 

Guten Morgen Marcel, wie trinkst du deinen Kaffee?

Wenn ich jetzt die freie Wahl hätte, dann wäre es ein richtiger italienischer Cappuccino – am liebsten natürlich vor Ort, nach einem Tag am Fels, beispielsweise in Ligurien oder am Gardasee. Oder dann beim Klettern, im Klettergarten haben mir jeweils einen Gaskocher und die Bialetti dabei und brauen uns einen Schwarzen, den wir dann mit Kondensmilch geniessen, um für eine harte Route parat zu sein, mmmh!

Nicht mehr ganz von heute (oder gestern), aber Kaffeetrinken beim oder nach dem Klettern hat Tradition!

Du bist ja ein passionierter Kletterer. Wie ist es dazu gekommen?

Es ist sicher etwas, das schon immer in mir steckte. Wohlgemerkt ist aber niemand aus meiner Familie jemals klettern gegangen. Ich habe dann schon mit 10, 11 Jahren begonnen, auf eigene Faust steile Abhänge und Felsen in meiner Umgebung zu erkunden, zu besteigen und zu kartieren. Dabei ist das Zürcher Oberland, wo ich aufgewachsen bin, gar nicht geeignet für die Kletterei, da der Fels meist brüchig ist. Aber meine Kollegen und mich hat das nicht aufgehalten. Wir sind hinaufgestiegen, wo wir es uns zugetraut haben. Für den Weg zurück haben wir wo nötig ein "Seil" (eher eine Wäscheleine) verwendet und dabei Bauchbremse und Dülfersitz selber "erfunden". Eine eher wilde Sache, meist ziemlich abenteuerlich und wir haben es für uns behalten, was wir da genau gemacht haben. Das war der Anfang.

Und wie ging es weiter?

Mit 14 oder 15 Jahren – ich war damals im Gymi – fuhren wir mit dem Zug nach Süden in ein Klassenlager. Aus dem Reusstal hatten wir imposante Sicht auf den Bristen und ich äusserte mich beiläufig, dass ich dort nun am liebsten gleich raufsteigen möchte. Das machte einen Kollegen aufmerksam, mit dem ich bis anhin nicht viel zu tun hatte. Er meinte, das würde ihm auch gefallen, sein Vater sei Bergsteiger und wir könnten diesen Berg mit ihm machen. Eine Tour ergab sich dann wenige Wochen später, doch statt auf den Bristen ging es gleich auf die Überschreitung von Lenzspitze und Nadelhorn, das sind zwei Viertausender im Wallis. Eigentlich eine ziemlich verrückte Sache, aber es klappte alles, ich war begeistert und mir wurde klar, dass ich mit dieser 'richtigen' Art der Kletterei weitermachen will. Folglich bin ich dann eine Woche in ein J+S-Lager gegangen, um die Grundlagen zu lernen. Von da an war ich selbständig unterwegs, anfangs meist mit dem erwähnten Kollegen. Auch den Bristen haben wir später nachgeholt.

Das ist noch länger her... auf meiner ersten, "richtigen" Tour in der Lenzspitze-Nordwand.

Du hast selbst Kinder. Wird die Kletterei nun doch weitergegeben in der Familie?

Ja, unsere Kinder klettern ziemlich gerne und für ihr Alter auch ziemlich stark. Das hat sich fast von selbst ergeben. Meine Frau ist ebenfalls passionierte Kletterin und so sind die Kinder bereits an Felsen und in der Halle an Plastikgriffen herumgekrabbelt, bevor sie richtig laufen konnten. Heute ist es aber auch ohne kletternde Eltern viel einfacher, zu diesem Sport zu kommen. Kaum ein Kind ist noch nicht in der Kletterhalle gewesen und wenn es einem gefällt, findet man da viel einfacher als früher die Möglichkeit, diese Aktivität zu betreiben. 

Wie stehst du zu Kletterhallen? Sind die nicht etwas verpönt bei «richtigen» Kletterern?

So darf man das nicht sagen. Für mich ist Klettern schon etwas, das sich idealerweise am Fels und noch besser in den Bergen, in wilder Umgebung abspielt. Eine Kletterhalle kann das nicht bieten und ist somit vom Erlebnis her nicht ganz das Wahre. Trotzdem bin ich doch recht häufig indoor anzutreffen, denn die Vorteile sind nicht von der Hand zu weisen: Erreichbarkeit, Zeitrahmen, Wetterunabhängigkeit, zudem ist auch der soziale Aspekt nicht zu vernachlässigen. So macht es mir durchaus Spass, an einem Winterabend mit Freunden und Bekannten an Plastikgriffen zu ziehen, sich gegenseitig zu motivieren und sich auszutauschen. Aber in der Natur ist die Kletterei deutlich vielfältiger. Es gibt viel mehr Möglichkeiten, eine Route zu lösen. Es ist mehr Tüftelei dahinter als in der Halle, wo es meist nur wenige Freiheitsgrade gibt und man sich an dem ausrichten muss, was sich der schraubende Mensch ausgedacht hat.

Die Maske verrät es, dieses Bild ist wirklich aktuell - leichtfüssig zu bleiben, schadet auch im Alter nicht!

Tüftelei gefällt dir als Ingenieur natürlich…

Ja, das hat durchaus Parallelen. Man steht vor einem Problem und versucht es zu lösen. Manchmal denkt man erst, es sei unmöglich und plötzlich findet man einen Kniff und es geht doch. Danach versucht man zu optimieren, Ziel ist grösstmögliche Effizienz und die Ausnutzung der persönlichen Stärken, bzw. das Vermeiden von "Moves", die man persönlich weniger gut kann. Denn die Aufgabe beim Sportklettern lautet immer, die Route am Stück durchzusteigen, ohne eine Erholungspause im Seil hängend machen zu müssen. Selbst bei bestehenden Routen, wo die Haken schon vorhanden sind, muss man sich für einen Ablauf entscheiden. Noch kreativer es, wenn ich selber neue Routen erschliesse. Da findet man quasi eine komplett blanke Leinwand vor. Dieser Aspekt fasziniert mich besonders.

Hast du konkrete Kletterziele, die du noch erreichen willst?

Naja, ich bin inzwischen in einem Alter und so lange in diesem Sport, dass es sehr herausfordernd ist, noch neue persönliche Bestmarken in Sachen Schwierigkeit zu erreichen und die Qualifikation für die Olympischen Spiele schaffe ich «vermutlich» auch nicht mehr. Aber ja, die Liste mit Routen, die ich noch gerne machen würde, ist ellenlang. Ein 'richtiger' Kletterer hat immer da Projekte, dort Projekte, ja überall und für jede Situation Ideen im Kopf. Was aber genau zur Realisierung kommt, hängt oft von äusseren Faktoren (Wetter, Bedingungen, Partner, …) ab - spielt aber auch keine so grosse Rolle, da ja alles Wunschziele sind und man (zumindest ich) im Vornhinein auch nicht so genau sagen kann, womit man schlussendlich am meisten Erlebnis und Freude hat. Fokussierter bin ich dann, wenn es darum geht, selber neue Routen einzurichten. Da habe ich bestimmte Projekte, die 'in Arbeit' sind. Die will ich auf jeden Fall fertigstellen. Dazu fühle ich mich auch ein wenig verpflichtet.

Ca. 40 Wendenrouten geklettert, ca. 100 gibt es --> also noch 60 Projekte :-)

Es hat dich aber niemand damit beauftragt?

Nein, zum Glück nicht, zu "müssen" würde der Sache dann auch wieder den Reiz nehmen. Es ist ein Privileg, es macht mir viel Spass und ich möchte auch keine unvollendeten Baustellen zurücklassen. Schliesslich ist Routen einrichten ein Geben und Nehmen. Ich nehme mir die Freiheit, ein Projekt für eine neue Route zu starten. Wenn ich irgendwo meine Haken in den Fels geschlagen habe, kann an diesem Ort niemand mehr seine eigene Linie legen. Man konsumiert also eine Ressource, spricht nimmt der Allgemeinheit vom noch vorhandenen Felspotenzial weg. Ich finde, das verpflichtet einen dann auch, qualitativ hochwertig zu erschliessen, sprich das Bestmögliche daraus zu machen und etwas Gelungenes zu hinterlassen, so dass hoffentlich viel weitere Kletterer Freude an der Tour haben werden.

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