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Dienstag, 30. Mai 2023

Ofenloch - im Grand Canyon der Ostschweiz

Pfingstmontag, nach 2 Tagen mit RP-Versuchen in MSL-Projekten - beim einen erfolgreich, beim anderen noch nicht ganz (Details folgen...) - ist es nötig, den Griffeln und dem Bizeps etwas Ruhe zu geben. Nach dem vielen Regen im Frühling herrscht aber bestes Vorsommerwetter, welches Jerome und ich für einen Ausflug in die Neckerschlucht nutzen wollen. Der Bach hat sich da tief in die Nagelfluhwände eingefressen, es soll viele Wasserfälle, Engstellen und gewaltige Grotten zu sehen geben - eben so, dass man vom Grand Canyon der Ostschweiz spricht. Dieses Prädikat ist auf jeden Fall absolut verdient, wir waren sehr beeindruckt von der gewaltigen Landschaft im Grenzgebiet der Kantone St. Gallen und Appenzell.

Jerome im Ofenloch, der Wasserfallkessel am linken Bildrand markiert das Ende der Neckerschlucht.

Der Ausgangspunkt für den Canyon ist der ziemlich abgelegene Ampferenboden P.1042. Dahin gelangt am einfachsten durch das Neckertal vom Hemberg her. Die breite Naturstrasse ist ab kurz vor P.895 mit einem Fahrverbot belegt, so dass ein längerer und nicht überaus spannender Marsch ins Tal hinein fällig wäre. Diesen vermieden wir, indem wir die Schluchtwanderung mit einer Biketour kombinierten und bereits bei der Mündung des Necker in die Thur ab Ganterschwil starteten - sozusagen vom Ende des Necker bis zu seinem Beginn und wieder zurück. Bis St. Peterzell muss man teilweise der Hauptstrasse folgen, abschnittweise gibt es Radwege oder Ausweichmöglichkeiten über Güterstrassen, die Landeskarte gibt Auskunft. Ab St. Peterzell folgt ein erster Trail-Abschnitt am orografisch linken Ufer des Necker. Dazu der Strasse nach Hemberg bis zum P.763 folgen und via Neckerau zu einer nächsten (der zahlreichen) nach Hemberg führenden Strassen etwas oberhalb der Schwandsbrugg zu gelangen. Auf dieser bis P.838, dann Abzweigen ins Neckertal bzw. Richtung Mistelegg und weiter hinein ins immer einsamere und tiefere Tal zum Ampferenboden, was total ca. 20km Bikestrecke entspricht.

Dem Säntis und dem Quellgebiet des Necker entgegen - eine sehr schöne Biketour ist das!

Dann geht's zu Fuss weiter, direkt im Bachbett. Man lasse sich nicht durch den Wanderweg verwirren, der nach ca. 200m abzweigt und den Hang hinauf führt. Zum Zeitpunkt unserer Begehung (nach ein paar schönen Tagen Ende Mai, jedoch in einem sehr regenreichen Frühling) konnten wir die gesamte Strecke ohne Probleme trockenen Fusses in Turnschuhen bewältigen. Wenn der Bach aber viel Wasser führt, so muss man unter Umständen geeignetes Schuhwerk (d.h. Sandalen oder Gummistiefel) mitführen. Unser Schlussfazit war, dass man einen Erlebnisparcours wohl genau so anlegen würde, wie dies in der Schlucht der Fall ist. Und zwar ist es schon von Anfang an interessant, aber mit jedem Meter in den Canyon hinein wird das Ambiente noch spektakulärer. Immer wieder tauchen Überraschungen auf und man weiss nie, was als nächstes kommt. Zu den Schwierigkeiten: die Begehung ist weitestgehend komplett unschwierig. Nur bei einigen wenigen Passagen muss minimal gekraxelt werden. An zwei, drei Stellen nutzt man für kurze Zeit relativ steile Uferpassagen, die teils mit älteren Fixseilen versehen sind. Wobei der hier schreibende, trittsichere Berggänger alles ohne je die Hände zu nutzen machen konnte. Sprich, es scheint mir für jeden bergerfahrenen Wanderer machbar - allerdings ist die Gegend sehr abgelegen und Handyempfang gibt es keinen (Stand 2023).

Manchmal muss man etwas über Blöcke oder Schwemmholz kraxeln, nirgends jedoch exponiert.

Ein Riesenüberhang direkt am Weg, der einen mit seiner Wucht fast erdrückt ("hält das alles?")

Hat jemand Mumm für eine Erstbegehung? Fels ist halt dreckig, brüchig, feucht und botanisch...

Nach dem Passieren von Engstellen, gewaltigen Überhängen, eindrücklichen Felswänden, glattgeschliffenen Kanälen und einiger idealer Badepools kommt das Highlight schliesslich ganz am Schluss: der eindrückliche Kessel, welcher den Canyon beschliesst. Wasserfälle stürzen hier von verschiedenen Seiten in die Schlucht, einen Ausweg gibt es keinen. Dafür die gewaltige Grotte des Ofenloch, absoluter Wahnsinn! Durch einen etwas exponierten Pfad (ca. T4) lässt sie sich in wenigen Minuten Aufstieg gewinnen. Die Dimensionen sind sehr eindrücklich und wenn man ganz ans hintere bzw. obere Ende klettert, so könnte man echt meinen, dein Eingang ins Innere der Erde gefunden zu haben. Gleichzeitig fühlen sich Gestein und Landschaft etwa so an wie auf dem Mars, jedenfalls war das die Einschätzung von Jerome (da kann ich leider nicht mitreden 😜). Wir konnten uns kaum sattsehen und waren einfach nur glücklich, diesen sehr aussergewöhnlichen Ort gefunden zu haben!

Blick talauswärts auf's gewaltige Ofenloch mit Standort Wasserfallkessel / Ende der Neckerschlucht.

Hinein ins Maul des Riesen. Hier hinauf in die Höhle ist etwas Trittsicherheit zwingend erforderlich!

Schliesslich machten wir uns auf den Rückweg. Dieses Mal legten wir die ca. 1.5km zum Bikedepot beim Ampferenboden deutlich schneller zurück wie auf dem Hinweg, wo wir viele Pausen einlegten und die Landschaft ausgiebig bestaunt hatten. Schliesslich sattelten wir die Bikes und genossen den Rückweg, der mit nur ein paar ganz wenigen Gegensteigungen vorwiegend abwärts führt. Auf keinen Fall verpassen sollte man den Hofladen/Besenbeiz direkt an der Veloroute beim Töshof in Brunnadern. Superfeie, selbergemachte Glacé gibt's da in ca. 20 verschiedenen Geschmacksrichtungen. Nun gut, nur zu zweit schafften wir es nicht ganz, alle Sorten durchzuprobieren - zu fünft schiene uns das aber ein durchaus realistisches Unterfangen. Unser Fazit war glasklar: das war ein super lohnender Ausflug! Schade einzig, dass die gewaltigen Wände da hinten leider zu bröcklig sind, um daran zu klettern. Wiesen doch diese Kiesbänke nur die Festigkeit jener im Elsass auf - an eindrücklichen Linien und höchsten athletischen Herausforderungen würde es ganz und gar nicht fehlen.

Der Blick von ganz oben im Ofenloch - riesig der Stollen!

Donnerstag, 25. Mai 2023

Auffahrt 2023 im Elsass

Einen Auffahrtstrip mit Family & Friends galt es zu planen, wobei die starken Teenie-Girls sowohl auf Kletter- als auch auf Bouldermöglichkeiten Zugriff haben wollten. Die prädestinierte Destination für solch ein Programm ist ganz bestimmt das Tessin. Dort entpuppte sich das Wetter jedoch als regnerisch, weshalb eine Alternative gefragt war. Einerseits wettertechnisch, andererseits aber eben auch wegen der Mischung zwischen Blocs und Falaises schien mir das Elsass eine gute Wahl. Bereits vor 4 Jahren hatten wir dort eine tolle Zeit verbracht und die Klettermöglichkeiten als genial empfunden. Einen Beitrag habe ich damals nicht verfasst, nur hier im 2019er-Jahresrückblick fand dieser Ausflug mit Kommentar und Foto Eingang. Im Gegensatz zu damals stationierten wir uns etwas südlicher in der Gegend von Saverne und besuchten vorwiegend uns noch unbekannte Gebiete. Hier ein Bericht über die besuchten Felsen.

Sandsteinklettern im Elsass/Vogesen, immer eine tolle Sache!

Kronthal

Wir reisten schon am Mittwochnachmittag an, der Weg führte direkt an der Carrière de Kronthal vorbei. Dieses hervorragende Sportklettergebiet mit über 100 Routen liegt direkt an der Hauptstrasse. Dementsprechend ist das Ambiente nicht so toll, die athletische Sandstein-Kletterei aber umso mehr. Da nach SW exponiert, ist es im Mai bei Sonnenschein eigentlich viel zu heiss für diese Felsen. Doch im notorisch kühlen und sonnenarmen Frühjahr 2023 war dies nicht wirklich das Problem. So konnten wir nicht nur die Finger ein wenig strecken, sondern (ich meinerseits) mit der Le génie des carpettes (7a) und der Spéléoscopie (7b) die ersten Punkte buchen. Letztere ist laut den Online-Datenbanken eine sehr beliebte Route und da sich auf dem braunen Fels die weissen Chalkflecken so gut präsentieren, identifizierte ich sie als ein realistisches Ziel für einen Onsight. Ein Schweizer Kletterer wies mich vor dem Einstiegen darauf hin, dass dem nicht so wäre, aber probieren wollte ich es natürlich trotzdem. Er lag aber genau richtig, die anhaltende Kletterei an abschüssig-miesen Leisten mit bescheidenen Trittmöglichkeiten zeigte sich widerspenstig. Im zweiten Go ging's dann, so kamen wir auch schön rechtzeitig 2 Minuten vor Receptionsschluss zum Camping. Eine Abreibung für zu spätes Erscheinen gab's trotzdem, das war ja schon fast wie dereinst in der Schreckhornhütte 😊

Einklettern in Kronthal, trotz der vielen weissen Flecken ist die Kletterei knifflig!

Grotte du Brotsch

Der beliebeste Crag in diesem Teilgebiet der Nordvogesen ist mit einigem Abstand die Grotte du Brotsch. Diese eindrückliche Höhle ist ein ziemlich aussergewöhnliches Klettergebiet. Das gedruckte Topo listet 28 Routen auf. Das ist jedoch bei Weitem nicht alles, für eine vollständige Übersicht konsultiere man diese Webseiten (klick, klack). Dies bringt den Vorteil mit sich, dass man so plötzlich 81 Routen zur Verfügung hat 😲 Das liegt jedoch nicht etwa daran, dass es einen auf Papier nicht beschriebenen Sektor gäbe. Sondern, es wird in dieser Höhle, einer Spraywall ähnlich, quasi jede kletterbare Kombination von Griffen und Tritten als Route definiert. Das "Problem" besteht mehr darin, dass es nur relativ wenige unabhängige Linien gibt und das Gebiet sehr beliebt ist. Schlussendlich war es aber trotz Auffahrt nicht extrem störend, am Ende des Tages waren wir überall dort eingestiegen, wo wir es wollten. Neben ein paar Aufwärmrouten im linken Teil waren dies eindrückliche Routen im Bereich der grossen Grotte...

Schöne Aufwärmroute (oder Projekt...) an der Grotte du Brotsch: Via Diabolo (5c+)

Héliotrope (7b): sie verläuft am linken Rand des steilsten Bereichs, bietet aber dennoch schon so richtig kräftige und anhaltende Kletterei. Die Route ist wirklich ein Highlight, dementsprechend beliebt und oft projektiert. Die Girls haben hier beide einen blitzsauberen und arschcoolen Flash hingelegt, was mir - ähm - nicht ganz gelungen ist 😎. Dabei hatte es so einfach ausgesehen, doch das entscheidende Loch entpuppte mich für meine Griffel als unfreundlich, noch dazu befanden sich da meine langen Beine noch im steilen Niemandsland.

La traité de déversification (8a): soft 8a heisst es allenthalben, sowas nimmt man ja gerade in den Ferien doch gerne mit. Wer in den endlosen Diskussion stöbert, kann sich nach dem Lesen von Bewertungsvorschlägen à la 7b+ oder 7c erst recht die Hoffnung machen, da einen günstigen Punkt zu erzielen. Naja, schon der Anblick dieses rund 60 Grad überhängenden, dachartigen Wandbereichs rief bei mir starke Zweifel hervor. Da müssten die Griffe also schon sehr gut sein... Ob sie das sind oder nicht, ist natürlich ein Frage des persönlichen Standpunkts, für mein Befinden sind diese schlonzigen Sloperlöcher aber längst nicht Idealhenkel. Dementsprechend waren bei mir innerhalb eines Tages keine Lorbeeren zu holen. Die Girls kriegten nach längerem Bouldern zwar alle Moves inkl. ein paar richtig cooler Cutloose-Dynos zusammen, einen Durchstieg aber nicht. Selbst für hoffnungsvolle, junge Gym Rats (die Indoor regelmässig steile 7c's onsighten und 8a's punkten) dünken mich die online geäusserten Bewertungsvorschläge also doch eher auf der fragwürdigen Seite - für dünnbizepsige Senioren natürlich erst recht.

Larina in der dachartigen Traité de deversification (8a).

Voyage au bout de la suie (7a+): eine Wahnsinnsreise mitten durch die Grotte, kaum zu glauben, dass dies in einem so tiefen Schwierigkeitsgrad zu haben ist. Es liegt daran, dass man sich hier weitestgehend an idealen und sehr idealen Henkeln bedient, mit Ausnahme der zupfigen Bouldercrux am zweiten Haken. Hier war unsere Erfolgsrate im Onsight/Flash bei 1/3, wobei sich der Autor den Punkt erst im zweiten Anlauf sichern konnte...

In der Voyage (7a+), der Direkteinstieg mit den vielen Exen ist die Brombeerzeit (8a).

Althal

Um die Kräfte wieder ein wenig ins Gleichgewicht zu schieben, schien ein Besuch von einem etwas weniger steilen Gebiet angezeigt. Das Topo wurde gewälzt, schliesslich stehen im Gebiet viele eher kleinere Felsen zur Auswahl, die auf dem Papier alle attraktiv aussehen (wobei wegen Vogelschutz im Frühjahr manche Crags nicht zugänglich sind). So auch Althal, wobei der lokale Führer nicht sehr aussagekräftig ist und uns ziemlich im Ungewissen liess, was da wartet. Augenscheinlich war in den Online-Datenbanken nur, dass da nicht sehr häufig geklettert wird. Trotzdem, wir wollten es probieren und kurvten nach Hommert in die tiefe, elsässische Provinz. Obwohl der Zustieg so gut wie keine Trittspuren aufwies, gelang er uns auf Anhieb korrekt und so standen wir nach wenigen Minuten in der gut im Wald versteckten Wand. Ziemlich verblüfft, denn diese sah auf den ersten Blick eher wie eine Kiesbank aus. Die Matrix besteht aus einem sehr weichen Sandstein, in welchen viele Flusskiesel eingebettet sind. Und ja genau, an diesen bewegt man sich dann - sehr aussergewöhnlich! Anfängliche Zweifel, ob dies dann auch tatsächlich dem Gewicht eines Kletterers standhalten möge wichen mit zunehmender Erfahrung dem Vertrauen, dass doch nicht gleich alles auseinanderfällt. Schliesslich gelangen mir nach den einfacheren Aufwärmrouten zwei 7a und mit der L'ombre du charme eine 7b+, die sich schon ziemlich taff anfühlte. Ein cooler Tag, gerade wegen seiner Aussergewöhnlichkeit hat das Gebiet uns sehr gefallen. Zuletzt sei noch erwähnt, dass die Girls alle Moves - selbst die scheinbar grössenabhängigsten) am Ende auch gezogen hatten (wenn auch nicht jede Route im Vorstieg gepunktet wurde).

Klettern an der "Kiesbank" von Althal. Derlei Konglomerat-Felsen gibt's bei mir daheim in der Umgebung zahllos viele - leider fällt da bei Berührung alles auseinander. Auch wenn dieser Fels nicht die Bezeichnung "bombenfest" verdient, so kann man hier doch vernünftig, genussreich und erstaunlich athletisch-ausdauernd klettern.

Grotte du Baldur

Eigentlich hatten wir ja geplant, uns mindestens 2 Tage dem Bouldern zu widmen. Kurzfristig fiel die Entscheidung dann doch nochmals auf's Seil, mir war es natürlich recht. Der Kompromiss war, dafür ein Gebiet mit kurzen, dafür umso steileren Routen auszusuchen. Das war die dachartige Grotte du Baldur, die mit 28 Routen von 6b-8b+ aufwartet. Zu erwähnen ist, dass der im Topo beschriebene Zustieg vom Grand Ballerstein nur wenig Sinn macht. Zuerst ist es ein Gekurve dahin, danach mangels Parkmöglichkeiten viel weiter zu laufen, wie wenn man schon vorher in Schäferhof gestartet wäre. Nun ja, für das nächste Mal wissen wir es. Die Routen in der Grotte schienen mir ziemlich unternutzt, in manchen Routen waren überhaupt keine Kletterspuren auszumachen. Der Fels bietet eine Mischung von Kieseln und Sandsteinhenkeln. Onsightklettern entpuppte sich als sehr schwierig: ohne die Griffe zu putzen waren diese meist viel zu brösmelig und bei den zahllosen Kieseln ist es meist nahezu unmöglich, den griffigsten zu identifizieren, sofern keine Chalkspuren dran sind. So war es nach dem Aufwärmen dann auch nötig, selbst in den 7a-Routen (Starting Blog, Les confessions) und in der Patère Austère (7a+) einen zweiten Go zu geben. Die Krönung bestand aus der ultrasteilen Le serpent à sornettes (7b+/7c). Eine ideale Trainingstour für die Halle, könnte man fast sagen - bis auf den Ausstieg ins vermooste Gelände. Dies war definitiv eine Route, wo die Girls die bessere Figur abgaben wie ich - was jedoch bei dieser Steilheit absolut die Norm ist... 

Steil, steiler, Baldur! Dachartige Kletterei im Sandsteinkonglomerat.

Nouveau Gueberschwihr

Also musste am letzten Tag nochmals Gegensteuer gegeben werden! Nachdem wir unser Camp geräumt hatten, fuhren wir schon ein Stück heimwärts und wollten uns an den Blöcken im neuen Sektor von Gueberschwihr versuchen. Schliesslich hatten die Matten so viel Platz im Auto beansprucht und die Packerei zu einem Tetris auf höchstem Level gemacht, dass sie idealerweise doch noch zum Einsatz kamen (natürlich zum Preis, nach der Session das Pack-Tetris noch einmal wiederholen zu müssen). In Gueber gibt's auch viele, sehr beliebte Kletterrouten, bei unserem letzten Trip im 2019 hatten wir da auf der Hinreise einen Stopp eingelegt. Auch die Blöcke werden regelmässig genutzt - allerdings ist der Mai nicht gerade die Prime Time dafür. Überall wuchert die Vegetation und Zecken gibt's en masse. Das sollte uns aber nicht abhalten, wir hatten eine lässige Session. Am störendsten schien mir, dass die Blöcke nicht sehr kompakt liegen, bzw. auf engem Raum meist nur wenige Probleme eines Schwierigkeitsbereichs zu finden sind. Daher kommt man nicht darum herum, immer mal wieder zu dislozieren, was hier am Hang mit dem ganzen Gestrüpp aufwändiger erschien wie z.B. in den Tessiner Gebieten. Damit ich noch einmal (vielleicht zum letzten Mal...) mit dem guten Gewissen "ich bin doch noch besser" heimreisen konnte (just kidding of course 😜), fand ich ganz am Ende tatsächlich noch einen Move, den die Teenies nicht replizieren konnten...

Ich bin ja durchaus nicht talentiert für derlei Sprünge, meine ersten Versuche waren denn auch nicht von Erfolg gekrönt. Trotzdem war ich mir ziemlich bald sicher, dass ich es hinkriegen würde. Es dauerte dann zwar verflixt lange, bis meine Hand endlich am Topgriff kleben bleiben wollte. Doch in der Slowmotion sieht man auch schön, dass eben doch eine ganze Menge an Koordination erforderlich ist. Wohl weil mir hier die umfassende Erfahrung fehlt, bin ich auch ein ineffizienter Lerner. Sprich, mir fehlt völlig die Intuition, was zu verbessern ist, um zum Erfolg zu kommen. Das geht irgendwie nur mit blindem Trial & Error, was dann halt entsprechend Zeit braucht. Dass meine Wahrnehmung von solchen Moves schlecht ist, zeigt auch die Tatsache, dass mein Rat "erst aus den Beinen pushen, dann erst kommt der Zwick aus den Armen" laut der Slomo falsch, ja geradezu komplett verkehrt ist 😂 ich hätte aber schwören können, dass ich erst mit den Beinen gedrückt und erst nachher mit den Armen gezogen habe 🙄 Nun ja, auf jeden Fall hat dieses Outdoor-Training für das Indoor-Bouldern jede Menge Spass gemacht. Der Sonntagnachmittag verging auf jeden Fall wie im Flug und schon zu bald war es Zeit, um endgültig nach Hause zu fahren. Danke an alle die dabei waren für die tolle Zeit!

Jump oder Gump?!? Die spannende Frage, wie grössenabhängig dieser Boulder ist, bzw. welches die ideale Körpergrösse für dieses Problem, jene Route, diesen Move ist, hat uns immer und immer wieder viel Gesprächstoff gegeben. Interessant ist ja, dass wir auf ungefähr ählichem Niveau sind, dies jedoch bei komplett unterschiedlichen körperlichen Voraussetzungen in Sachen Grösse, Gewicht und Strength to Weight Ratio. 

Montag, 8. Mai 2023

Bodio / Pilastro Sovriano - Dharmacakra (7b)

Der Pilastro Sovriano, wenige Minuten oberhalb von Bodio in der Leventina, ist das aus dem Norden am schnellsten erreichbare MSL-Gebiet mit Routen oberhalb vom Plaisirbereich. Trotzdem wird da nur selten geklettert. Das liegt möglicherweise daran, dass die Dharmacakra erst 2019 erschlossen wurde und noch wenig bekannt ist. Der Moloch gleich nebenan wurde zwar schon 2008 eröffnet, hat aber wegen seiner knappen Absicherung und den sehr zwingend gehaltenen Schwierigkeiten einen zweifelhaften Ruf erlangt, welcher sicher viele Aspiranten abschreckt. An einem Tag mit nicht einwandfrei klarer Wetterlage, dem vorösterlichen, potenziellen Chaos auf den Strassen und dem Wunsch nach einer zeitigen Rückkehr war der Pilastro für uns das richtige Ziel. Kam hinzu, dass es inzwischen April war, wo die Wand auch vernünftig lange an der Sonne steht - in den Wintermonaten ist es nämlich nur ein kurzes Zeitfenster von 2-3 Stunden.

Unmittelbar in der Nähe des Dorfes Bodio kann man diese anspruchsvolle MSL klettern.

Der Zustieg ist sehr simpel, von Norden kommend eingangs Bodio links abzweigen in Richtung Tennisplatz und Vita Parcours. Nun entweder die öffentlichen Parkplätze da nutzen oder gemäss Skizze im Kletterführer auf einer Naturstrasse links um die Tennisplätze herum zu einer Wiese unter den Wänden. Der Bergweg bringt einen in knapp 10 Minuten zum Klettergarten, welcher durchaus auch einen Besuch verdient hätte. In den steilplattigen, bestimmt technisch anspruchsvollen Touren könnte man sich gut das Rüstzeug für die Tessiner MSL holen. Nachdem wir das dortige Angebot studiert hatten, zogen wir (mit einem gewissen Zögern meinerseits, ich hätte mich mit dem Sportklettern gut anfreunden können) am Wandfuss nach rechts hinaus. Die Trittspur war gut erkennbar und entgegen der Angabe im Topo auch erfreulich wenig überwuchert - das liegt aber möglicherweise daran, dass die Vegetation nach dem Winter erst gerade wieder zu spriessen begonnen hat. Nach der Überquerung einer Bergsturzzone (no problem) geht's nochmals kurz ein paar Meter aufwärts. Der Moloch ist gut sichtbar angeschrieben, die Dharmacakra beginnt in globo am selben Ort (konkret: 1.5m rechts), ihre Aufschrift ist schon reichlich verblasst. Ein paar Minuten nach 10.00 Uhr waren wir bereit und stiegen ein.

Hier (bzw. 1.5m rechts davon) geht's los, auch wenn wir nicht den Moloch geklettert haben.

L1, 35m, 6c: Die Route beginnt am überhängenden Riss in der kleinen Grotte am Wandfuss. Dessen Logik erschliesst sich durch die Tatsache, dass das weniger steile Gelände unmittelbar links bereits durch den Moloch besetzt ist. Wobei, das muss man sagen, sich der Riss wirklich cool klettert und einen gleich mal aufweckt. Was man auf den ersten 20m hingegen vergeblich sucht, sind BH - weder in der Dharmacakra noch im Moloch stecken zu Beginn welche. Selber legen ist Trumpf, was auf den ersten Metern zwar nicht beliebig, aber doch vernünftig möglich ist. Die Dharmacakra zieht dann auf die Rampe rechts, links an der Verschneidung hilft ein sehr dünner Riss bei Fortbewegung und Absicherung. Tja, hier kann man sehen, "was das Leben einem Kletterer wert ist". Viktor steckte hier seine ganze Habe von 5 Microcams, plus Keile und weitere (grössere) Gerätschaften in die Ritzen - das zeigt exemplarisch, dass man a) in diese Pieces irgendwie nicht restloses Vertrauen hat, b) die Kletterei mit marginalen Griffen und den Füssen auf der leicht moosigen Platte tricky und etwas unsicher ist und c) ein 10-15m Bodensturz mit Einkratern in der Blocklandschaft am Einstieg wegen Ausreissen der mobilen Sicherungen ein distopisches Szenario darstellt ☠. Aber gut, zum Klettern ist es nicht mal so extrem schwierig (aus Sicht des Nachsteigers ca. 6b). Auf 20m Höhe folgen dann kurz hintereinander 2 BH und eine schwierige Plattenstelle, meiner Meinung nach die Crux der Länge. Der extrem körnig-raue Gneis bietet hervorragende Reibung, welche aber zwingend zu nutzen ist. Zum Ende folgen dann 10m an athletischem Finale, auch nochmals im 6c-Bereich, wo es vor allem die richtige Beta zu erkennen gilt.

Die rampenartige Verschneidung in L1 (6c), welche an dünnen Rissen mobil abgesichert werden muss.

L2, 25m, 5c: Nach diesem herben Auftakt geht's zwar für eine ganze Seillänge komplett ohne BH, aber trotzdem viel gemütlicher weiter. Man folgt der geneigten Rampe nach rechts, der Spalt zur Hauptwand lässt das Versorgen von Gerätschaften zu. So spaziert man, bis es um die Ecke geht und man kurz darauf die (noch weiter nach rechts ziehende) Rampe verlässt und den breiten Riss gerade hinauf wählt. Auch der klettert sich gutmütig, am meisten stört das an einer Stelle (schon wieder) heftig wuchernde Gebüsch. Immerhin ist es so solide, dass es auch als Griff dient, so ist bald darauf der eher unbequeme Stand erreicht.

Blick auf die Rampe zu Beginn von L2 (5c).

L3, 30m, 7b: Die Fragezeichen bestehen hier nicht in der absolut klar gegebenen Linienwahl, sondern viel mehr darin wie gut bzw. ob überhaupt das (frei) kletterbar ist. Markante Rissspuren leiten zu und über ein ca. 2m ausladendes Dach, wo man erst mal drüberkommen will. Bis unters Dach geht's fast unerwartet easy, auch die geduckte Querung unter diesem zur Schwachstelle rechts macht schlussendlich keine grossen Probleme. Sich am Riss nach aussen zu hangeln ist zwar schon athletischer aber auch noch 'manageable'. 

Blick auf L3 mit dem Crux-Dach (7b), der einzige BH der Länge im Bildzentrum sichtbar.

Dann klippt man den ersten und einzigen BH der Seillänge und sieht sich mit dem Boulderproblem konfrontiert. Schon vom Stand aus lässt sich trefflich über die verschiedenen Herangehensweisen diskutieren und selbst wann man in der Ausgangsposition hängt, stehen noch immer alle Optionen offen. Die spannende Frage, welche davon gehen und welches die 7b-Lösung ist, wird an dieser Stelle natürlich nicht beantwortet 😎. Auf jeden Fall, wer das Onsight klettern will, muss das nötige Gespür und auch noch reichlich Power haben. Kletterbar ist's aber, ich hab's frei geschafft. Für den Vorsteiger kommt die wahre Crux aber danach. Die dünne Doppelrissspur ist erneut nur mit kleinen Cams und Keilen absicherbar, welche einem nicht so wirklich das Gefühl geben, hier bedenkenlos grössere Flüge hinlegen zu können. Noch dazu sind 2-3m echt knifflig im 6c+/7a-Bereich zu klettern, bevor es wieder nachlässt und der Riss einfacher ausläuft.

Der Riss in L3 (7b) ist gut geputzt, aber knifflig (nicht dieser letzte Teil im Bild jedoch).

L4, 30m, 6b: Einfacher bewertet, aber auch nicht nur ein Giveaway. Gleich zum Auftakt gibt's Piazerei an (erneut) dünner Rissspur. Trotz einem BH zu Beginn heisst es wieder kleines Gear zu platzieren und dann entweder nicht zu fliegen oder darauf zu vertrauen, dass dieses halten würde. Sonst hätte das Band gleich unterhalb locker das Potenzial, für ein frühzeitiges Saisonende zu sorgen. Man biegt dann über eine Wandstufe um die Ecke, dieser Teil ist einfacher zu klettern und mit 3 BH prima geboltet. Nach einer steilen, aber sich prima auflösenden, cleanen Verschneidung wartet noch ein letzter Moving-Boulder (mit BH) auf's Stand-Ledge.

Auftakt-Piaz-Crux in L4 (6b), trotz BH nicht unbedenklich wegen Sturz auf den Absatz.

L5, 30m, 6c: Über zwei, drei Stufen, die aber an griffigen Rissen lässig zu klettern sind, gewinnt man hier den ersten Teil der Seillänge ziemlich mühelos - selber absichern geht auch ganz ordentlich und so kann man den Fokus auf die von unten wahnwitzig scheinende Abschlussplatte legen, die mit 4 BH bestens eingerichtet ist. Aus der Nähe zeigt sich dann, dann die vertikale Wand recht gut mit Leisten bestückt ist. Trotzdem, etwas Athletik und weite Moves sind wiederholt nötig, womöglich ist auch Körpergrösse hier kein Nachteil. Noch dazu sollte man sich hier nicht in mögliche Sackgassen locken lassen, dann steht dem Durchstieg nichts im Wege.

Blick auf L5 (6c) mit der kühnen Abschlussplatte. Aber es hat BH und auch die nötigen Leisten.

Um ca. 15.00 Uhr hatten wir nach fast 5h Kletterei endlich das Top erreicht 🤯 Tja, so kommt es wenn a) keine BH stecken und man b) endlos mit kleinem Gear basteln muss, weil c) die Schwierigkeiten zu hoch sind, um im Komfortmodus easy drüberzusteigen und d) die Konsequenzen bei einem Sturz grob wären. Wobei es gesagt sei, dass wir für L1 und L3 sicher über 3:30h verbraten haben, während der Rest problemlos über die Bühne ging. Meinereiner habe ich beim blossen Anblick von L1 gerne Viktor das scharfe Ende überlassen... Aus meiner Perspektive, nichts gegen das Klettern an mobilen Sicherungen an sich, aber ewig zu Basteln, dem Zeug doch nicht restlos zu trauen und dann im Survival-Mode zu klettern (in Gelände, das eigentlich zu schwierig ist für solches) ist eher weniger nach meinem Gusto - langsam kommt vielleicht das Alter, wo sich diese Sicht durchsetzt, bevor man schon mittendrin steht und nicht mehr zurück kann. Und eines ist sicher, diesbezüglich war meine Einschätzung vom Boden absolut korrekt. Nun ja, einem motivierten Partner und meiner Geduld sei Dank gibt es unsere Begehung und diesen Bericht der Tour trotzdem, wäre 2x Marcel vor Ort gewesen, hätte sich die Seilschaft wohl umgehend auf den Rückweg in den Klettergarten gemacht.

Vista auf Bodio (im Vordergrund) und in die Riviera - trotz nähe zur Autobahn ganz OK.

Schliesslich warfen wir die Seile aus und glitten zurück gen Tal. Den ursprünglich einmal ins Auge gefassten Plan, nach dem Motto "wenn schon denn schon" auch noch den Moloch zu klettern, hatten wir da längst über Bord geworfen - das lag schon nur aus Zeitgründen nicht mehr drin. Da aber einerseits die Beschreibung im SAC-Kletterführer Tessin auf ein Abseilen über diese Nachbartour hindeutet und wir uns diese berüchtigten Runouts so einmal aus der Nähe hätten anschauen können, schien die Linie der Wahl gegeben. Allerdings nur, bis ich an der ersten Station einen indisponierten Stand mit verrotteter Schlinge und ultra-rostigem Schäkel antraf. So wählten wir lieber auch für das Abseilen die Dharmacakra, was in 3 Manövern (5 -> 3 -> (2 oder 1) -> Boden) mit 2x50m-Seilen zügig erledigt ist. Dann machten wir uns (ich mit dem subjektiv doch leicht schalen Gefühl an diesem Tag etwas vorschnell die Flinte ins Korn geworfen und zu wenig Kampfgeist gezeigt zu haben) zurück auf den Weg Richtung Norden - schliesslich war sowieso meine zeitige Rückkehr zur Mithilfe oder zumindest Präsenz beim Büffeln für eine Lateinprüfung gefragt. Immerhin gibt's als Multitasking-Byproduct nun ziemlich zügig einen Bericht und sogar ein schematisches Topo zur Tour 😁

Facts

Bodio / Pilastro Sovriano - Dharmacakra 7b (6c obl.) - 5 SL, 150m - M. Pagani 2019 - ***;(xx-xxx)
Material: 2x50m-Seile, 10 Express, 1 Satz Microcams (ca. 5 Stück bis Grösse 0.2), 1x 0.3-4, Keile

Talnahe, rasch zugängliche und anspruchsvolle MSL-Kletterei, welche über einen signifikanten Teil des Parcours mobil abgesichert werden muss. Das ist nach unserem Empfinden nicht stets optimal möglich und erfordert zwingend den Einsatz von Microcams und Keilen, welche in genügender Anzahl mitgeführt werden müssen (optimal wären wohl TCUs mit einem möglichst schmalen Kopf). Weil zudem auch die Placements an diversen Orten eher dünn sind und nach unserem Empfinden nicht 'Bomber Gear' liegt, hat die Sache durchaus einen ernsten Anspruch. Echte Tradsters oder sonstige Unerschrockene mögen das problemlos finden, für meine Gemütslage und Risikobereitschaft wäre je ein zusätzlicher BH in den neuralgischen Zonen von L1 und L3 jedoch Gold wert. Die mit BH gesicherten Passagen sind mit Inoxmaterial auf Niveau xxxx geboltet, insgesamt kommt man jedoch wegen den mobilen Passagen (je nach Einschätzung derer Zuverlässigkeit) nur auf xx-xxx. Auch der vom Erschliesser vorgeschlagene obligatorische Grad von 6b dünkt uns zu tief. Stimmt de fakto vielleicht, wenn man in den kritischen Passagen alles an den eher wackligen Cams und Keilen technisch macht, nach unserem Empfinden sollte man aber besser mit einer 6c obl. Erwartung an die Sache rangehen. Die mittleren und grossen Klemmgeräte sind im Vergleich zum kleinen Gear viel weniger wichtig. Trotzdem, einen Satz muss man mitführen. Grösse 4 ist schon einsetzbar, schien uns aber nicht zwingend. Nähere Infos im SAC-Kletterführer Tessin, äquivalent dazu das hervorragende Topo des Erschliessers oder meine schematische Skizze.

Schematisches Topo zu Dharmacakra am Pilastro Sovriano in Bodio.