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Montag, 8. Juli 2024

Bockmattli - Kairos (6b, 6 SL, Erstbegehung)

Das Bockmattli, ein kleines Gebirge mit vielen Türmen, Gipfeln, Scharten, Rinnen und Wänden, welches dem Kletterer unzählige Möglichkeiten bietet. Sozusagen in der zweiten Reihe versteckt steht der profan benannte Namenlose Turm. Von der Kletterhütte betrachtet, gibt er doch eine stolze Figur her und über seine Westkante verläuft eine der beliebtesten Routen im Gebiet. Seine etwas versteckte Nordwand blieb hingegen lange unbeachtet, erst im 2015 wurde mit der Meriba (5 SL, 5c+) eine Genusstour eingerichtet. Diese wird regelmässig begangen und fristet jetzt nicht mehr ihr alleiniges dasein: die hier beschriebene Neutour Kairos (6 SL, 6b) weist einen gleichermassen genussreichen Charakter auf. Sprich elegante Wandkletterei in ideal mit Schlitzen, Löchern, Schuppen und Rissen sehr kletterfreundlich strukturiertem Fels bei optimaler BH-Absicherung. Es fehlt die strenge Atmosphäre der Touren in der Nordwand des Grossen Turms mit ihren grimmigen Verschneidungen, die Standplätze befinden sich meist in gemütlicher Lage auf Grasbändern, so dass man sich kaum exponiert fühlt. Noch dazu ist der Zustieg unkompliziert und der Abstieg könnte zügiger nicht sein. Plaisir in alpiner Umgebung lautet das Motto - man darf hingehen und geniessen.

Ambiente total beim Ausstieg auf den Gipfel, im Hintergrund der Kleine Bockmattliturm.

Erschliessung

Schon länger trug ich den Gedanken mit mir, in der Nordwand vom Namenlosen Turm eine Route zu kreieren. Ziemlich sicher war ich mir aufgrund vom Einblick aus verschiedenen Perspektiven, dass es dort die Möglichkeit für eine gute Linie gäbe. Nur in der Wand selbst war ich noch nie: so war meine Begehung der Meriba am 18.6.2024 nicht nur ein Abendvergnügen, sondern die Gelegenheit, um meinen Plan ultimativ zu prüfen. Meine Einschätzung fiel absolut positiv aus und so gab es keinen Grund mehr, noch länger zu warten. Schnurstracks machte ich mich um 20.30 Uhr vom Gipfel auf in Richtung meines Depots in der Gross Chälen. Die Bohrausrüstung hatte ich in wohlweislicher Voraussicht nämlich mitgenommen - denn wenn das Feuer für eine Linie einmal brennt, dann kennt die Ungeduld keine Grenzen mehr. Da war es im Vergleich dazu keine allzu schwere Bürde, Power Drill, Hammer und Haken möglicherweise vergebens ans Bockmattli zu tragen.

Blick von der Kletterhütte auf den Kleinen Bockmattliturm (links) und den Namenlosen Turm, wo Einstieg und Gipfel von Kairos mit Pfeilen markiert sind. Die roten Punkte zeigen den ungefähren Zustiegsweg durch die Kleine Chälen an. Was hier "gar nicht ohne" aussieht, entpuppt sich vor Ort als problemlos begehbares Gelände.

In freudiger Erwartung rüstete ich mich mit dem Material zum Einbohren aus und eilte voller Motivation im Laufschritt mit Puls am Anschlag ein zweites Mal durch die Kleine Chälen hinauf zum Einstieg. Die Sonne hatte sich bereits hinter dem Horizont verabschiedet, als ich wieder in die Kletterfinken geschlüpft war. Doch es sollte noch reichen für einen vielversprechenden Start des Projekts: die ersten 25m gelangen mir, bis mich die einbrechende Dunkelheit um 21.50 Uhr an der weiteren Fortsetzung hinderte. Zügig machte ich mich aus dem Staub, bis zum Bikedepot bei der Schwarzenegg (22.20 Uhr) ging es noch ohne Stirnlampe, wenige Minuten später war ich nach einer Schussfahrt retour im Tal. Nachdem ich die Meriba im Rope Solo geklettert und auch die ersten 25m in diesem Stil eingebohrt hatte, rechnete ich damit, auch den Rest so anzugehen. Täglich schielte ich auf den Wetterbericht in der Hoffnung, zumindest einen abendlichen Abstecher ans Bockmattli machen zu können. Doch das war im Juni 2024 hoffnungslos, meist vereitelten Schauer oder Gewitter den Plan und wenn's einmal noch den Funken an Hoffnung gegeben hätte, standen mir weltliche Verpflichtungen im Wege.

Es sieht gar nicht mal nach so viel Material und Gewicht aus... es täuscht!

Am 28.6.2024 hatte ich mich mit Guido für ein Erschliessungsabenteuer verabredet. Auch dafür hatten wir uns wegen dem instabilen Vorsommerwetter im 2024 schon lange Wochen gedulden müssen. Endlich kam ein stabil-trocken-warmer Tag, nun musste es klappen. Doch es war wie verhext: in unserer eigentlichen Zielregion hatte es entgegen aller Prognosen in der Nacht noch heftig gewittert und geschüttet. Nein, das machte absolut keinen Sinn, wir mussten umdisponieren. Nicht nur für den Leser dieses Bericht liegt es auf der Hand wohin, für mich war das im Moment genau so klar. Guido willigte ein und war von diesem Projekt genauso begeistert wie vom ursprünglichen. Auch mir machte es keine Schwierigkeiten, so kurzfristig umzudisponieren. Mit einem Partner schien es realistisch, in diesem Push gleich bis zum Gipfel zu kommen, das wollten wir auf jeden Fall probieren.

Los geht's! Das ist der Auftakt in die Route (L1, 6a+), anlässlich der RP-Begehung.

So trugen wir unsere schweren Säcke zum Einstieg: 45 Bohrhaken betrug das im Einklang mit der Akkukapazität geplante Budget. Ob uns das bis zum Gipfel bringen würde?!? Meine Prognose war positiv, der Tag (bzw. die folgenden Zeilen) würden es zeigen. In direkter Linie wurde das bereits begonnene, erste Teilstück fortgesetzt, ein Stand platziert, der Sack gehisst und die Moves durch Guido im Nachstieg mit Genuss geklettert. Fünf weitere Male wurde dieses Prozedere repetiert. Die geplante Linienführung konnte exakt eingehalten werden - alles ging bestens auf, selbst die herausfordernd scheinende Löcherplatte von L4 bot die Strukturen genau am richtigen Ort. Das tönt nun so, wie wenn es im Handumdrehen erledigt gewesen wäre, was nun doch nicht ganz der Realität entspricht. Nach rund 9:00h in der Wand waren wir um 19.00 Uhr abends beide am Top. 39 Bolts waren es schliesslich gewesen, die ich im Vorstieg platziert hatte. Spätestens der nächste Tag bezeugte dann, dass dies eine harte Beanspruchung von Fuss- und Wadenmuskulatur gewesen war. Mit noch so grosser Freude allerdings!

Tolle Plattenkletterei mit ein paar seichten, aber griffigen Löchern in L4 (6b).

Damit war alles bereit für die ersten Wiederholungen der Route. Der Lauf der Dinge entwickelte sich schliesslich so, dass wir uns diese 8 Tage später am 5.7.2024 selbst sicherten. Ein freundlicher Samstagvormittag war angekündigt, bevor die nächste Gewitterfront über das Land ziehen sollte. So stellten wir einen straffen Zeitplan auf, denn nebst dem RP-Business in der Kairos sollte bei entsprechender Planung auch noch das Nebenprojekt Turmschartenwächter realisierbar sein. Nun denn, dass mir eine durchgehend sturzfreie RP-Begehung der Kairos gelang, wird die Leser bei den dafür vorgeschlagenen Schwierigkeiten kaum verblüffen und auch nicht für weitreichenden Applaus sorgen. Solcherlei Tun ist ja sowieso nur für den eigenen Genuss bestimmt und diesen hatte ich ausgiebig. Es war eine grosse Freude, die Route mit leichtem Gepäck zügig zu durchsteigen und nochmals zu erleben, wie mein Plan mit diesem Projekt so prima aufgegangen war. Bei eitel Sonnenschein stiegen wir freudig auf dem Gipfel aus. Die Konsultation von Uhr, Himmel und Radar-Animation verriet, dass wir das geplante Zweitvorhaben noch würden umsetzen können. Davon berichtet dann aber ein nächster Blog...

Da war die Mission am Fels schon erfüllt - nun hiess es noch, trocken ins Tal zu kommen. Hat geklappt!

Zustieg

Vom Wägitalersee entweder zu Fuss oder bequemer und zeitsparend per Bike zur Schwarzenegg. Ein markierter Wanderweg führt weiter zur am Wochenende bewarteten Kletterhütte Bockmattli. Von dieser kurz durch die Gross Chälen hinauf, bis in der fünften Kehre nach dem Wegweiser ein deutlicher Pfad nach links in die Kleine Chälen abzweigt. An deren Fuss gute Depotmöglichkeit, dann ~10 Minuten auf guten Trittspuren durch die Rinne hinauf bis zum Punkt, wo die Spur von der Westschulter des Kleinen Turms von links her einmündet. Nach einer kurzen Traverse von 20m nach rechts befindet man sich auf dem bequemen Einstiegsband. Links am Fuss einer Verschneidung startet Meriba (5c+), die mit Fixé-Laschen mit Bächli-Imprint ausgerüstet ist. Zehn Meter rechts davon ist der Einstieg von Kairos (Austrialpin-Plättli), gekennzeichnet durch 2 SU-Schlingen und einem eingemeisselten 'K' (Koordinaten CH LV95 2'715'015/1'217'665 bzw. WGS84 47.09998, 8.95379, Höhe 1660m). Gehzeit vom See zu Fuss ca. 75-90 Minuten (750hm), mit Bike ca. 30 Minuten schneller.

Durch die Kleine Chälen geht's in 10-15 Minuten von der Kletterhütte hinauf zum Einstieg.

Und wenn wir schon beim Zustieg sind: Kairos lässt sich ideal mit allen Routen kombinieren, welche auf der Westschulter des Kleinen Bockmattliturms enden (u.a. meine Kreationen Echo der Zeit, Element of Slime, Prachtsexemplar). Insbesondere zum Echo der Zeit ist es schwierigkeitsmässig die perfekte Ergänzung. Von dessen Ausstieg an der Westschulter erreicht man in nur 2 Minuten den Einstieg von Kairos und kann gleich wieder loslegen, es ist ein absolut logisches Enchainement.

Blick zur Westschulter, wo Echo der Zeit, Element of Slime und Prachtsexemplar enden. Ein kurzer Abstieg über das Band (mit inzwischen guter Wegspur) führt unmittelbar am Start von Kairos vorbei. Wer also noch Lust auf mehr hat, kann gleich wieder loslegen.

Routenbeschreibung

Bockmattli / Namenloser Turm - Kairos 6b (6a obl.) - 6 SL, 180m - M. Dettling & G. Arnold 2024
Material: 1x40m-Seil, 12 Express, Cams/Keile einsetzbar aber nicht zwingend nötig

L1, 40m, 6a+: An Henkeln geht's mit dem Motto "hoch das Bein" über den ersten Überhang hinweg, bevor griffige Löcher zur Verschneidung führen, die an einigen 'klingenden' Griffen erstiegen wird. Der direkte Weiterweg führt auf eine dunkle Platte. Formidable Strukturen mit Trittmulden und kleinen Schüpplein erlauben die Passage in gerader Linie, bevor man gutgriffig über einen kleinen Wulst die letzten Meter zum Stand absolviert.

Guido folgt in L1 (6a+) an unserem Bohrtag. Nebenan ist eine Seilschaft in der Meriba unterwegs.

L2, 25m, 5c/6a: Auch hier erlaubt der schön strukturierte Fels das Weitersteigen direkt über die folgende Wandzone. Mittig in der Seillänge heisst es dann aber unweigerlich, auf einen Grasbalkon zu manteln (originelle Passage, geht gut!). Die folgende Steilzone markiert die Crux: auch diese geht sehr elegant und an überraschend auftauchenden Griffen direkt - wer es sich einfach(er) machen will, klettert eine Rechtsschleife. Dann zu Stand auf bequemem Band.

Ausblick auf L2 (5c/6a), wo gerade der letzten Zwischenhaken gebohrt wird.

L3, 25m, 5c+: Zuerst eine kurze "Emmentaler-Passage" mit griffigen Löchern zum "Kühlschrank", d.h. einem zwischen etwas grasigen Rissen eingebettenen, kompakten Plattenstück. Die Absicherung ist so konzipiert, dass man dieses rein im Fels ersteigen kann. Ausweichen ist wohl einfacher und weniger genussvoll, mais chacun à son goût. Der Stand dann erneut auf bequemem Grasband.

Die bequem gelegenen Standplätze sind sehr angenehm, dafür gibt's weniger tolle Nachsteigerfotos.

L4, 30m, 6b: Eine tolle Seillänge! Ja, es geht wirklich direkt durch das kompakteste Plattenstück mit seinen nur fein angedeuteten Lochstrukturen (siehe Foto im Abschnitt 'Erschliessung'). Die BH sind vom Stand auf den ersten Blick leicht zu übersehen - es geht nach rechts rüber an den Fels und dann gerade hoch, nicht etwa links die Rinne hinauf! In der Lochwand gilt es, die optimale Griff-/Tritt-Kombination zu entschlüsseln - eine knifflige Sache, doch mit der richtigen Lösung ist es gar nicht allzu schwierig! Im oberen Teil bieten rissähnliche Strukturen Brotlaib-Pinching, bevor ein Hangel an einem griffigen Riss nach rechts zum Stand führt.

Eine schöne Hangelpassage beschliesst die Cruxlänge (L4, 6b).

L5, 25m, 5c+: Hier geht's über ein kompaktes, pfeilerähnliches Stück Fels weiter - mit griffig-steilem Auftakt, gefolgt von einem technischen Boulder. Etwas leichteres, griffiges Gelände führt zu einem breiten Grasband, wo sich am Fuss der letzten Felsstufe der Stand befindet. Das Wandbuch liegt in einer Nische 2m links vom Stand in einem Honigglas (gut sichtbar, bitte nach Eintrag wieder gut verschliessen und verstauen, danke!).

Am Einrichten von L5 (5c+).

L6, 35m, 5b: Schöne, griffige und gemütliche Kletterei führen über die Kante hinauf. Bei einem Absatz nach 20m wechselt man nach rechts in die Wand (die BH leiten den Weg). Ein kleiner Überhang und ein schöner Plattenriss bilden die letzten klettertechnischen Programmpunkte, bevor ein paar grasige Meter direkt zum Gipfel vom Namenlosen Turm führen. Der Stand (Muniring und Longlife-BH, gemeinsam mit Namenloser Kante und Höhlenweg) befindet sich 3-4m zurückversetzt südseitig am Fels - am besten mit Seilschlinge vorne an der Kante zur Nordwand nachnehmen!

Fantastisch das Ambiente da oben, mit Ausblicken bis zu mir daheim im Züribiet!

Abstieg

Von Namenlosen Turm gibt es zwei ideale, zügige und unkomplizierte Fussabstiege. Dazu vom Gipfel 100m ostwärts auf gut sichtbarer Wegspur der Krete entlang bzw. leicht nordseitig unterhalb gehen bis zu einem kleinen Sattel. Nun entweder a) nach rechts auf einem Weg in die Gross Chälen absteigen, was in 20 Minuten zur Kletterhütte Bockmattli führt. Alternativ b) vom Sattel nach links weglos über die wenig steile Grasflanke absteigen. Diese führt einen (zuletzt über eine kurze Stufe) zur Kleinen Turmscharte am oberen Ende der Kleinen Chäle. Dann durch diese auf Trittspuren hinunter zurück zur Kletterhütte. Der Zeitbedarf dafür ist etwas länger, dafür kommt man nochmals am Einstieg vorbei. Ein Abseilen vom Gipfel ist nicht sinnvoll und aufgrund der Lage des Standplatzes am Gipfel auch nicht vernünftig auszuführen. Ein Rückzug ist jedoch bis zum Stand nach L5 von jedem Punkt der Route gut möglich, die Standplätze sind entsprechend ausgerüstet.

Auf dem Abstieg (Variante b)), hier in der Kleinen Turmscharte mit super Ausblick auf den Westpfeiler.

Material, Absicherung & Topo

Die Route ist mit 46 rostfreien Bohrhaken prima abgesichert und kann auf Stufe xxxx bzw. Plaisir gut+ eingeschätzt werden. Diese Form der Erschliessung wurde bewusst gewählt: sie erlaubt es, genussvoll und direkt über die schönsten, kompaktesten Felspartien zu steigen, ohne im Riesenslalom im grasigen Gelände zu steigen. Ein gewisser Anspruch besteht aber dennoch, ca. 5c+/6a ist obligatorisch zu meistern - bei guter Absicherung in Gelände wo man auch stürzen darf, wohlverstanden! Wiederholt sind (v.a. an einfacheren) Stellen SU-Schlingen, Cams und/oder Keile für zusätzliche mobile Sicherungen einsetzbar. Zwingend nötig erscheint mir dies wegen der guten BH-Grundabsicherung jedoch nicht. Zuletzt noch ein paar Planungsgrundlagen: die NW-seitig ausgerichtete Route liegt bis am frühen Nachmittag im Schatten, hat grob von Mai-Oktober Saison und trocknet dank der Wandkletterei über kompakte Wandzonen (für Bockmattli-Verhältnisse) zügig ab. Selbst im niederschlagsreichen Juni 2024 war sie stets einwandfrei begehbar. Zuletzt noch ein Wort zu den Bewertungen: diese beziehen sich auf die lohnendste Art die Route zu klettern, d.h. auf den direkten Weg über die Haken im Fels. Hier und da lassen sich mit Umwegen in grasduchsetztem Gelände wohl einfachere Lösungen finden. Zuletzt verbleibt mir nur, viel Spass zu wünschen! Hier gibt's das Topo als PDF, allez les amateurs!

Das schematische Topo zur Kairos im Bockmattli. Gibt's auch als PDF!

Zuletzt werden hier noch unsere Gedanken zur Wahl des Routennamens geschildert. Ich zitiere von dieser Webseite: "Chronos und Kairos, die Dichotomie der Zeit. Die alten Griechen hatten zwei Bezeichnungen für die Zeit: Chronos und Kairos. Der griechische Gott Chronos, Vater des Zeus, steht für den tickenden Sekundenzeiger, die fallenden Körner der Sanduhr. [...] Wer seine Lebenszeit nicht effizient nutzt, der wird von Chronos verschlungen. Dem aktiven Menschen ist Chronos der Schatz an Erfahrungen und Weisheiten. Kairos hingegen, der jüngste Sohn des Zeus, ist der Gott des rechten Augenblicks und der günstigen Gelegenheit. Kairos trennt die Verbindung zur Vergangenheit. Die Chancen liegen im aktuellen Moment. Um die Gelegenheit am Schopf zu packen, muss man achtsam im Moment leben. Denn der richtige Augenblick ist flüchtig. [...] Chronos steht für Erfahrungen, Kairos für Möglichkeiten. Chronos ist die Vergangenheit und die Zukunft, Kairos ist die Gegenwart.". Das hat bestens gepasst, denn hier haben wir den richtigen Moment für diese Neutour gepackt. Zudem kann Kairos ideal im Anschluss ans Echo der Zeit geklettert werden...

Das Fototopo zur Kairos im Bockmattli. Gibt's auch als PDF!

Dienstag, 2. Juli 2024

Bockmattli - Meriba (5c+)

Ja, von Mitte Mai bis Mitte Juni lief wetterbedingt nicht viel im MSL-Business. Oder genauer gesagt: gar nichts. Darum auch die temporäre Funkstille auf diesem Blog. Untätig war ich deswegen natürlich nicht geblieben, aber übers Sportklettern und Bouldern gab's (trotz einiger schöner Erfolge) nix generell Wissenswertes zu schreiben. Doch endlich einmal war ein trockener und warmer Sommertag angesagt. Für eine grössere Tour reichte es leider nicht, unverrückbare Termine bei der Arbeit stellten es sogar in Frage, ob ich überhaupt ausrücken könnte. Schliesslich war es 15.15 Uhr, bis ich den Laptop endgültig zuklappen konnte. Allzu grosse Sprünge lagen um diese Zeit nicht mehr drin und ob der Unsicherheit hatte ich auch keinen Partner organisiert. Für einen Ausflug ans Bockmattli, wo ich das letzte Mal vor 3 Jahren war, sollte es aber reichen.

Blick von der Kletterhütte Bockmattli auf den Kleinen Turm und den Namenlosen Turm. Der Einstieg und das Top der Route Meriba (5 SL, 5c+) sind mit den Pfeilen markiert. 

Mit dem E-Bike ging's zügig von der Staumauer hinauf zur Schwarzenegg, dann zu Fuss ins Reich der Türme. Diese präsentierten sich auf den ersten Blick verwaist und menschenleer. Etwas unverhofft kreuzte ich später aber dann doch zwei Seilschaften, welche beide das Echo der Zeit geklettert hatten und mir lobende Worte darüber berichteten. Dem konnte ich nur zustimmen, diese Linie hätte mir bestens gefallen, war meine Replik 😊 Mein Weg führte mich schliesslich hinauf durch die kleine Chälen zum Einstieg. Diesen findet man am Namenlosen Turm auf der Höhe, wo von links die Wegspur von der Westschulter am Kleinen Turm einmündet. Es starten dort zwei mit BH abgesicherte Routen, die linke mit den grossen Fixé-Plättli mit dem Bächli-Imprint ist die Meriba. Rechts startet die vom Autor im 2024 erschlossene Neutour Kairos (6b). Um 17.45 Uhr war ich 'all geared up' und startete im Rope Solo Modus in die Route.

L1, 40m, 5c+: Eine absolut geniale Seillänge. Steil, aber mit Schlitzen, Löchern und Leisten garniert. So geht auch das was schwierig aussieht immer super auf, ohne dass es je schwierig würde! Noch dazu ist die Absicherung mit vielen BH im Komfortmodus ausgefallen, auch stecken sie an den absolut richtigen Stellen.

Dieses Foto wurde beim Abstieg von der Westschulter des Kleinen Bockmattliturms aufgenommen (nachdem wir die erste RP-Begehung der neuen Version vom Element of Slime gemacht hatten). Kathrin (in voller Auflösung sichtbar) befindet sich gerade an dem Punkt, wo die Spur von der Westschulter mit jener in der Kleinen Chäle zusammentrifft. Und genau von dort quert man wenige Meter hinüber zum Einstieg der Meriba. Deren tolle erste Seillänge ist hier bestens sichtbar.

L2, 40m, 5c: In ähnlichem Stil geht's weiter - nicht mehr ganz so gut und anhaltend, hin und wieder kann/muss man hier nun auch schon mal auf's Gras treten. Am Ende der Seillänge wird man sich bewusst, dass man an einer Art Vorbau/Turm geklettert ist und nur eine kleine Abkletterpartie von 2-3m in die Scharte einen zum nächsten Stand bringt (in Seilschaft vermutlich seilzugtechnisch nicht ganz optimal).

L3, 35m, 5c: Hier ist das Gelände nun nicht mehr ganz so homogen toll wie davor. Die Route sucht und findet aber den besten Weg mit lässiger Kletterei, besonders im Mittelteil geht's super griffig an bzw. rechts einer Verschneidung durch. Auch am Ende dieser Seillänge ist man wieder auf einer Art Turm angelangt. Hier ist das Abkletterstück in die Scharte nun schon 4-5m (Fixseil vorhanden) und man sichert vermutlich bequemer mit Zackensicherung auf dem Turm nach?!?

Der Fokus bei der Aufnahme dieses Fotos lag mehr auf dem eleganten Bockmattli Westpfeiler leicht links der Bildmitte. Tatsächlich ist aber auch fast der ganze Verlauf der Meriba in der schattigen Nordwand am Namenlosen Turm einsehbar.

L4, 35m, 5c: Auf diesem Abschnitt bewegt man sich am linken Rand einer grossen Platte. Wenn man sich den besten Weg sucht, wird es nie schwierig, griffige Schuppen helfen auch hier kommod bei der Fortbewegung. Am Ende in wenig steilem Grasgelände zu Stand an 2 BH am Fuss der Kante des folgenden und letzten Felsabschnitts.

L5, 35m, 4b: Der Auftakt bietet nochmals ein paar spannende Moves, nachher wird das Gelände gratartig und deutlich leichter. Am Ende geht's in grasigem Gelände um die Bäume herum dem Gipfel entgegen. Der letzte BH-Stand von Meriba befindet sich ca. 5m unter dem Gipfel hinter der Tannengruppe, von wo man dann seilfrei die letzten Meter zum Gipfel steigen kann. Alternativ gleich den Muniring der Namenlosen Kante am Top nutzen, welcher sich 1m jenseits unterhalb des Gipfels südseitig befindet.

Eh bien, c'est ça! Ein paar Minuten nach 20.00 Uhr und somit nach rund 2:15h der Kletterei hatte ich die Route 2x im Aufstieg und 1x abseilend bewältigt. Das war also ziemlich zügig gegangen - wie vermutet war die Meriba dank ihrer Unkompliziertheit, der angenehmen Straightforward-Kletterei und der sehr guten Absicherung ein ideales Ziel für eine Rope Solo Mission gewesen. Denn dabei zählt für mich nur der Genuss und Spass am Moven, da muss ich mich nicht mit anspruchsvollen Routen verwirklichen, die man besser in Seilschaft angeht. So konnte ich gechillt auf dem Namenlosen Turm eine Pause machen. Der Abstieg von der Meriba führt erst auf deutlichen Wegspuren ca. 100m dem Grat entlang Richtung Osten, in der ersten Scharte führt dann rechts ein Weg in die Gross Chälen hinunter und retour zum Kletterhüttli. Alternativ kann man von der Scharte auch nach links weglos über die Wiese absteigen und gelangt so zur kleinen Turmscharte, von wo man durch die Kleine Chälen wieder die Kletterhütte erreicht. Das ist kraxliger und eher langsamer, dafür kommt man nochmals am Einstieg vorbei und kann ein allfälliges Depot aufheben. Dieser Alternativabstieg ist auf dem Foto oben gut sichtbar. Für mich persönlich war's das nicht ganz, das Tageslicht liess noch einen spannenden Erkundungsgang durch das Bockmattlimassiv zu und ich machte mich erst auf den Heimweg, als es definitiv einzudunkeln begann. Viel Freude hatte es gemacht, sich endlich wieder einmal im Terrain und nicht nur im Klettergarten oder an den Blöcken zu bewegen - möge endlich so richtig stabiles Wetter kommen, das uns mehr derartige Ausflüge ermöglicht!

Time to go home: die Westschulter am Kleinen Turm im letzten Licht.

Facts

Bockmattli / Namenloser Turm - Meriba 5c+ (5c obl) - 5 SL, 185m - M. & K. Schmed, T. Götz 2015 - ***;xxxx
Material: 1x40m-Seil, 12 Express, Cams/Keile nicht nötig

Genussreiche, unkomplizierte und sehr gut abgesicherte Plaisirroute, die meist Wand- und Plattenkletterei in prima strukturiertem, solidem Bockmattli-Nordwandfels bietet. Hier und da spriessen Grasbüschel und auf ein paar Abschnitten geht/klettert man im Grasgelände, was aber überhaupt nicht stört. Position und Umgebung sind fabelhaft, mit dazu gehört ein Gipfelerlebnis - top! Wie bereits erwähnt, ist die Absicherung mit rostfreien BH bestens, fürchten muss man sich hier nicht. Hier werden wohl alle frohgemut auf mobile Sicherungen verzichten können - anbringen könnte man allerdings immer wieder welche, wenn man denn wollte. Erwähnenswert: abseilen über die Route macht keinen Sinn, der Fussabstieg ist viel schneller und einfacher. Falls ein Rückzug nötig ist, so ist dieser sicher möglich - wegen der Lage der Standplätze 2 und 3 hinter Scharten ist aber etwas Improvisation gefragt (sprich einfach an den Kettenständen abseilen funktioniert eher nicht). Für einen Rückzug günstiger liegen die Standplätze der Nachbarroute Kairos. Das Topo zur Meriba findet man im plaisir OST oder auf der Webseite der YOYO-Kletterschule.