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Sonntag, 23. Dezember 2012

Der Umlenkkarabiner: billig oder gut?

Wer kennt sie nicht, und hat sie beim Klettern nicht auch schon angetroffen: die Feuerwehrkarabiner aus dem Baumarkt (siehe Foto unten). In Klettergärten sind sie hin und wieder an den Ständen anzutreffen und als Umlenkkarabiner im Einsatz. Doch was halten die? So genau wusste das bisher vermutlich niemand. Aber da ja schon andere zuvor daran abgelassen haben, wohl genug, um sicher wieder auf den Boden zu kommen. Also rein mit dem Seil, und runter geht's - meist wohl nur langsam, und nicht im freien Fall.

Eigentlich ist das ziemlich paradox. Denn während wir auf unsere persönlichen Karabiner schön acht geben, vertrauen wir beim wichtigsten Karabiner der Sicherungskette hin und wieder auf ungeprüfte Ware dubioser Herkunft. Auf Planetmountain habe ich einen ausführlichen Bericht gelesen, der die Verwendung dieser Teile kommentiert. Zahlreiche Bruchtests wurden vorgenommen, mit dem Fazit, dass diese Feuerwehrkarabiner nicht einmal die Hälfte dessen halten, was ein Kletterkarabiner zu leisten vermag. Die Festigkeiten waren im Bereich von 7-15kN. Genügend für ein Ablassmanöver, wo die Kräfte kaum über 3-4kN hinausgehen. Das ist natürlich der Grund, warum schwere Unfälle mit diesen Feuerwehrkarabinern bisher ausgeblieben sind. Aber klaro, normgerecht und sinnvoll ist die Verwendung dieser Karabiner nicht!


Per Zufall kam mir dann heute Abend auch noch ein solcher Karabiner in die Hände. Eingestanzt ist "CE 350daN DIN5299C 100x10". Mit etwas googeln habe ich dann herausgefunden, dass die DIN5299C tatsächlich eine Norm oder zumindest Standardbezeichnung für solche Feuerwehrkarabiner ist. Weitere Infos findet man z.B. auf diesem Datenblatt. Der hier abgebildete Karabiner entspricht genau den dortigen Spezifikationen. Die Angabe von 350daN (=3.5kN) entspricht einem WLL (= Working Load Limit). Wie ich schon beim Beitrag zur Festigkeit von Maillon Rapides erklärt hatte, ist darin einen 5-fache Sicherheit eingerechnet. Beim vorliegenden Karabiner könnte man also eine Bruchkraft von 17-18kN erwarten. Gemäss den italienischen Tests wird diese typischerweise nicht erreicht, wobei wir aber natürlich nicht wissen, was für welche Karabiner dort getestet wurden.

Weitere Zitate aus dem Artikel:

  • Solche Baumarkt-Karabiner haben oft ein "CE" eingeprägt. Es steht für "China Export" und soll das "CE" der "Conformité Européenne" imitieren, welches die Konformität des Produktes mit den europäischen Normen anzeigt. Für Kletterkarabiner fordert diese eine Bruchlast von minimal 20kN, was die Feuerwehkarabiner nicht halten können.
  • Selbst uralte und halb durchgescheuerte Kletterkarabiner halten weit mehr wie die Feuerwehrkarabiner. Wie die Tests ergaben, zumeist über 25kN, und daher mit einem Kletterseil unzerstörbar. So lange bei Kletterkarabinern der Schnapper noch schliesst und vom Querschnitt noch mehr als die Hälfte da ist, kann man sie zum Ablassen als sicher betrachten.
  • Nebenbei wurden auch noch einige Fixexpressen getestet. Die grosse Gefahr bei jenen ist die potentiell scharfe Kante am seilführenden Karabiner, siehe hier. Aber es ist klar, dass die Schlingen draussen in Wind und Wetter auch an Festigkeit verlieren. Beobachtet wurden Bruchkräfte von 8-18kN. Auch das untere Limit reicht für einen dynamisch gesicherten Sportklettersturz typischerweise noch aus, ohne grosse Reserve allerdings. Bei einem harten Sturz könnte eine alte Schlinge auch mal reissen. Man bedenke dabei, dass das Versagen einer Zwischensicherung zumeist weit weniger gravierende Konsequenzen wie ein Versagen der Umlenkung oder ein Seilriss hat.

Donnerstag, 20. Dezember 2012

Avers - Thron (WI5+)

Der Thron (traditionell: der Grosse Aversfall oder für die Italiener: Il Mostro) ist unter den regelmässig begehbaren Eisfällen in der Schweiz sicher einer der imposantesten. Weitere Pluspunkte sind das Fakt, dass er trotz grosser Steilheit und recht hoher Schwierigkeiten als sicher eingestuft werden kann, da keine fragilen Säulen und Zapfen vorhanden sind. Ob man die Lage unmittelbar neben der Strasse als weiteres Positivum werten will, sei der individuellen Vorliebe überlassen. Zur Popularität der Linie hat das aber sicher beigetragen.
Der Thron in seiner ganzen Pracht (20.12.2012). Er ist länger und steiler, als es hier aussieht!
Die Erstbegehung dieser Linie ist strittig: es wird von einer erfolgreichen Begehung in den 1960er-Jahren gemunkelt, dann gab es 1978 einen Versuch bis weit hinauf, doch wer als erster das Top erreichte, ist nicht bekannt. Für mich ist es schon erstaunlich, dass sich die Kletterer mit derlei Dingen so schwer tun. In meinem beruflichen Umfeld, der Wissenschaft, läuft es so: die Ehre fällt demjenigen zu, der (typischerweise durch eine Publikation) den frühesten Nachweis erbringt, dass er etwas erreicht hat. Es ist dann auch nicht nötig zu beweisen, dass noch niemand sonst dies zuvor gemacht hat. Logo, denn das ist auch schlicht unmöglich. 

In der ersten Ausgabe von "Eiskalt: Wasserfallklettern in der Schweiz" (Urs Odermatt, 1996) wird der Thron noch mit WI6 bewertet, versehen mit dem Zusatz "noch keine freie Begehung bekannt". Inzwischen wurde die Bewertung nach unten korrigiert, Begehungen sind häufig und Rotpunkt dürfte die Norm sein. Auch Free Solo wird der Fall hin und wieder gemacht. Für mich persönlich ist dies unvorstellbar, und ich bin verblüfft, dass ein solches Teil seilfrei begangen wird, während dieser Stil im Fels bei uns kaum praktiziert wird. Müsste ich (z.B. um dem Weltuntergang zu entgehen) zwingend für ein Solo zwischen Thron und Excalibur (die Felstour an den Wendenstöcken) wählen, so fiele meine Wahl bestimmt auf letztere.

Zustieg über den Bach: via Lawinenkegel sind wir drüber, und dann die Stufe hoch. Weiter rechts (nicht im Bild) ist's einfacher.
So, nun aber zum Tourenbericht: durch einen Besuch im Gebiet kurz zuvor hatten wir die Gewissheit, dass der Thron bereits in sehr guten Bedingungen ist. Von den anderen Touren im hinteren Avers sind auch viele schon gut. Selbst weiter vorne sind die tiefer gelegenen Diedrolux und das Rote Vergissmeinicht vermutlich machbar, auch wenn sie noch teilweise dünn aussehen. Noch ein bisschen schwieriger als sonst war einzig der Zustieg: es liegt aktuell nur etwa 30cm Schnee, der Rhein ist noch kaum zugefroren oder mit Lawinenschnee aufgefüllt. Trotzdem liess er sich dann trockenen Fusses überqueren, und mit etwas Mixed-Kletterei gelangten wir vom Bachbett auch hoch zum Einstieg. Mein persönlicher Tipp: man steigt besser von der hinteren Parkbucht zu, nicht so wie wir von derjenigen direkt vis-à-vis vom Thron.

Drei erste, gestreckte 60m-Längen führen hoch zum wesentlichen, steilen Teil. Diese sind gemütlich, und waren sehr schön zu klettern, mit genügend und sehr gutem Eis. Die Schwierigkeiten sind dort sehr überschaubar: wählt man die schwächste Linie, so überschreitet man die 75 Grad nirgends, längere Stücke sind auch im Bereich von 50-60 Grad. Sprich, Terrain ein bisschen wie in der Grandes Jorasses Nordwand, oder auch in der Fläscheposcht im Sihltal.

Auf geht's! Steht man einmal am Einstieg, ist sofort klar, dass eine längere Reise bevorsteht.

Und hat man einmal eine Seillänge geklettert, ist auch sofort etwas Exposition da, auch wenn es von unten flach aussieht.
Danach steilt es dann ordentlich auf, und zwei weitere, fast komplette 60m-Längen führen zum Top. Die erste der beiden beginnt noch moderat (80-85 Grad) und wartete zudem mit perfekt bissigem Eis und guten Tritten auf, ein wahrer Genuss. Der Schluss dieser Länge dann, zu einer bequemen und gut geschützten Nische hin, war senkrecht und wartete mit nicht mehr ganz so einfach zu kletterndem Eis (Blüten und Blumenkohle) auf. 

Sicht auf den oberen und wesentlichen Teil des Thron. Ab der Position des Akteurs geht's +/- senkrecht dahin bis zu Kante!

Eisblüten-Kletterei im oberen Teil der vierten Seillänge.
Ebenso der Start in die letzte Seillänge: kompromisslos senkrecht geht es zuerst dahin, weil einige Wulste überwunden werden müssen war es durchaus ein bisschen athletisch. Das Eis war dann bisweilen auch ein bisschen röhrig und splittrig, also nicht ganz einfach zu schlagen. Trotzdem, auch hier prima Bedingungen, nicht dass dies falsch verstanden wird. Ein WI5+ ist halt auch kein Spaziergang, in diesem Rahmen lagen die Schwierigkeiten halt eben schon. Vom Ende des ganz steilen Teils (wo viele umdrehen) geht es dann über rund 30 deutlich einfachere Meter zum Top.

Steil, eindrücklich und nicht mehr ganz triviales Eis in der letzten Seillänge.
Der Rückweg ist zwingend per Abseilen zu erledigen. Nicht dass ein Fussabstieg unmöglich wäre, doch wegen der Wildruhezone ist er vom 20. Dezember bis 30. April eines jeden Jahres verboten. In der Hauptsaison wird man jedoch meist auf bereits eingerichtete Abseilstellen zählen können, und muss nicht wie wir noch eigene Abalakovs drehen. Mit vier ganz gestreckten Abseilern (60m-Seile mit ausnützen des letzten Zentimeters inklusive der Seildehnung) und etwas Abklettern am Schluss erreichten wir zügig wieder den Einstieg. Retour über den Rhein, zurück beim Auto der Blick auf die Uhr: nein, das Mixedklettern in Campsut verschieben wir auf eine andere Gelegenheit, jetzt geht's nach Hause.

Bye-bye! Nach unten geht's via Abalakov.
Facts

Avers - Thron (WI5+) - 5-6SL, 280m Kletterlänge - Erstbegehung unbekannt

Imposanter Eisfall mit 180m an einfacherem Zustieg und einer kompromisslosen, beinahe senkrechten 80m Headwall. Da in kompaktem Eis und praktisch frei von Säulen und Zapfen ist der Thron für die Schwierigkeit als ausserordentlich sicher einzustufen. Gefahr droht jedoch durch Lawinen, welche über den Fall abgehen können: nach grösseren Neuschneefällen und wenn spontane Schneebretter, Nassschneelawinen oder Gleitschneerutsche zu befürchten sind, ist ein Verzicht angezeigt. Ebenso ist zu beachten, dass das Gelände oberhalb sowie der Fall selber (je nach Sonnenstand) spätestens ab frühem Nachmittag besonnt sind.   

Sonntag, 16. Dezember 2012

Windows of Opportunity

Leider haben Regen, Wärme und Wind den schönen Pulver nicht nur in unserer Gegend, sondern weitherum wieder weggefressen. Wie schade, denn am letzten Mittwoch waren die Bedingungen gut wie nur selten. Stahlblauer Himmer und allerbester Pulver in Hülle und Fülle. Definitiv eine Gelegenheit, die es zu packen galt! Noch besser ist es natürlich, wenn man diese Bedingungen für eine Tour nutzen kann, die nur selten solch gute Bedingungen bietet.

Immer wieder schön, eine erste Spur legen zu können!
Die Gelegenheiten, ja eben die Windows of Opportunity zu erkennen, liegt am Grund jeder erfolgreichen Alpinkarriere. Denn erzwingen lässt sich in den Bergen wenig bis nichts. Man muss die Demut haben, auf den richtigen Moment zu warten. Beim Skitouren heisst das für mich: wenn schon einmal bis in tiefe Lagen viel Schnee liegt, dann macht man jene Touren, die zu diesem Zeitpunkt erst möglich sind. Und sicher nicht solche, welche ein viel grösseres Begehungsfenster aufweisen. Denn Perioden, wo man erst auf 800, 1000 oder gar 1200m Höhe genügend Schnee findet, gibt es ja leider mehr als genügend.

In meinem Fall war die Tour der Wahl ein steiler Südhang im Züri Oberland. Er bietet ideale Neigung über 400hm (in der oberen Hälfte rund 32 Grad, in der unteren Hälfte rund 20 Grad, insgesamt etwa 24 Grad). Selbst auf vielen bekannten Skitouren in den höheren Alpen finden sich nicht allzu viele Hänge, die ein dermassen ideales Profil aufweisen. Wegen Exposition, Steilheit und dem etwas rauhen Gelände als Unterlage braucht es aber genügend Schnee, damit es Spass macht. Am vergangenen Mittwoch war dies mit einer Schneedecke von gut und gerne 1m gegeben.

Nach der ersten Runde: super Hang, bester Schnee, traumhafte Bedingungen.
Natürlich "musste" ich meine eigene Spur in den noch vollkommen jungfräulichen Schnee legen. Die Abfahrt war dann einfach der Oberhammer. Wirklich optimales Gelände, stiebender, gut gesetzer aber doch schön weicher Pulverschnee und im oberen Teil gar noch einige Obstacles (gut eingeschneite Wurzelstöcke), welche wilde Sprünge zuliessen. Natürlich liess ich es mir nicht nehmen, auch noch einen zweiten und einen dritten Aufstieg hinzulegen. Mit 1300hm im Kasten zog ich dann von dannen, es rief das Skifahren mit meiner Tochter und die Anwesenheit an einer Schnapszahl-Zivilhochzeit. Ansonsten hätte ich bestimmt noch weitere Spuren gelegt, bis die Beine leer gewesen wären...

Kurzer Umweg im Aufstieg über ein Plateau, um das Winter-Wunderland voll auszukosten.

On Top, einfach wunderschön!

Blick Richtung Zigerschlitz.

Und auf die andere Seite, in Richtung von meinem Hausberg Bachtel, den ich diesen Winter auch schon 5x mit Ski besucht habe!

Sonntag, 9. Dezember 2012

Schibenstoll - Rauchpause (6c, A0)

Schon seit Jahren war sie auf der Liste meiner Wunschtouren, die Rauchpause am Schibenstoll. Immer wieder gab es den einen oder anderen Grund dagegen, und so harrte die Route bis im Sommer 2007 meiner Begehung. Ja, das liegt schon lange zurück. Weil ich diese Tage per E-Mail über die Route diskutiert habe, eben wieder einmal durch meine Fotos gezappt bin und mit dem Topo die Erinnerung an die Route aufgefrischt habe, gibt es an dieser Stelle nun doch noch einen kurzen Bericht darüber.

Zustieg zur Route, d.h. Querung auf dem Schüerliweg unter der Schibenstoll Südwand.
Während ich vermute, dass sich der bequemste Zustieg von der per Auto erreichbaren Selamatt (P.1537, Schribersboden) via Stollenfurgge und Schnüerliweg in ca. einer Stunde vollzieht, gelangten wir mit der Seilbahn von Unterwasser auf den Chäserrugg. Mit dabei war nicht nur die Kletterausrüstung, sondern auch der Gleitschirm, den wir per Veloschloss an den Windmesser auf dem Hinterrugg ketteten. Er sollte uns später einen bequemen Weg ins Tal ermöglichen. Für uns indessen ging es erst einmal zu Fuss runter, in die Scharte an der Mündung des Gluuristals.

Von dort wartet ein steiler und ziemlich herbalpiner, grasiger Abstieg nach Süden (T6). Ein Sturz oder Rutscher wäre unmöglich aufzufangen, der beste Weg ist von oben kommend nicht ganz einfach einzuschätzen. Aber es ging alles gut. Erst die letzten 15m, wo das Gelände noch steiler ist, kann man dann abseilen. Danach geht es immer unter der Wand entlang auf dem sogenannten Schnüerliweg gen Westen, bevor man kurz vor dem ziemlich markanten Chiantiegg den Einstieg erreicht. Auch dieser Abschnitt gilt als ein T5, im Vergleich zum Abstieg aus dem Gluristal-Sattel ist er aber ein Kinderspiel.

Hier muss man runter: grimmiges, ungesichertes T6-Gelände im Abstieg vom Gluuristal-Sattel.
Schliesslich konnte es losgehen mit der Kletterei.

SL 1, 2a: In ähnlichem Stil wie auf dem Zustieg fängt die Route an, grasig und etwas heikel. Absichern kann man nicht recht, so dass die Sache durchaus eine gewisse Ernsthaftigkeit aufweist. Als Bewertung passt daher T6+ besser als 2a.

SL 2, 6a+: Nun geht es mit der richtigen Kletterei los. Schon unmittelbar nach dem Stand fordert eine plattige, aber gut mit Bohrhaken abgesicherte Querung in eine Verschneidung hinein alles. Ich schaffte das gerade so am Limit, und ich denke 6b+ wäre als Bewertung sicher passender. Die Verschneidung dann schön, einfacher und gut selbst abzusichern.

SL 3, 5c: Einfachere Kletterei in mässigem Fels, die zudem auch noch selber abgesichert werden will, teils auch etwas grasig. An der Bewertung habe ich für einmal nichts auszusetzen. 

Der Fels ist an sich von guter Qualität, in manchen Seillängen aber immer wieder mit etwas Gras durchsetzt. Ausstieg aus SL 3 (5c).
SL 4, 6a: Kurze, steile und selbst abzusichernde Verschneidung. Klettert sich schliesslich einfacher, als man von unten zuerst denken würde. Danach auf dem Band noch etwas nach links halten.

SL 5, 6a+: Die schönste Seillänge der Route: Steilplattenkletterei in tollem Fels. Wirklich schwer ist nur eine kurze Stelle zu Beginn, danach tauchen immer schön griffige Leisten auf und auch zum Stehen ist der Fels prima strukturiert. Die Absicherung teilweise etwas weit, aber ok. Der Schluss der Länge ist sicher deutlich einfacher, wenn man nicht den direkten Weg wählt (siehe Topo, Achtung Seilzug!).

Prima Kletterei in SL 5 (6a+), mit schönem Tiefblick auf den Schnüerliweg, der über das Band am Wandfuss verläuft.
SL 6, 6b/A0: Noch, und immer noch ein Freikletterproblem: insgeheim hatte ich mir erhofft, hier etwas in freier Kletterei ausrichten zu können. Nachdem das aber bereits 20 Jahre lang niemandem geglückt war, ein ziemlich vermessenes Vorhaben. Und es wurde nix: weil die Uhr schon vorgerückt war und die Moves auch gar nicht banal aussahen, bediente ich rasch die Textilgriffe. Vermutlich ist die Stelle kletterbar, aber halt stehtechnisch anspruchsvoll, kleingriffig und nicht besonders hübsch. Die obere Hälfte der Länge klettert man in schönem Fels frei, erst an einem Riss, dann mit einer kühnen Querung nach rechts.

SL 7, 6c: Zuerst etwas rampfig einen steilen Riss hinauf, dann querend nach links. Das ist die Crux, etwas plattig und nicht besonders elegant. Nachdem man nochmals einen Haken geklippt hat, gilt es dann den bereits vom Gras überwucherten Stand zu lokalisieren (NH plus Sanduhr). Der macht nicht so richtig Freude, unbequem ist er auch. 

Die obere Hälfte von SL 6 (6b/A0) bietet schöne Freikletterei. Trotz etwas Restnässe war sie gut passierbar.
SL 8, 1a: Querung über das Grasband hinweg, Fels gibt es eigentlich keinen, als Bewertung passt T6 besser.

SL 9, 5c+: Anspruchsvolle Verschneidungskletterei, die bis auf einen unguten Normalhaken selber abgesichert werden muss. Das ist zwar recht gut möglich, trotzdem sollte man hier noch einige Reserven haben, zumal auch die beste Linie gar nicht so offensichtlich ist. Würde ich eher mit 6a+/6b bewerten.

SL 10, 2a: Über den Sandstein der Garschella-Formation, oder wahlweise ziemlich viel Gras erreicht man den Gipfel. Haken stecken sowieso keine mehr, also wählte ich eine Variante, die mehr durch den Fels führt und eher 4b als 2a war. 

Nun gut, der Gipfel war erreicht, und die für mich letzte Churfirstenwand nun auch durchstiegen. So richtig schlecht war das jetzt nicht, aber in Begeisterungsstürme versetzte mich die Route nun auch nicht gerade. Aber sowieso war noch nicht aller Tage Abend, auf dem Programm stand ja noch einiges. Zuerst der alpine Abstieg über die Ostflanke: während das erst noch gut geht, wird das Terrain bald steil und eine erste Felsstufe muss abgeklettert werden (T6). Sorgfältig erreichten wir den Abbruch des zweiten Felsriegels, wo sich schliesslich ein Stand identifizieren liess. Mit einem 50m-Abseiler reichte es gerade so in einfacheres Gelände hinunter, von wo zum Gluuristal-Sattel abgestiegen werden kann.

Schibenstoll Ostflanke: vom Gipfel über Gras und die erste Felsstufe nahe der Kante abklettern. Über steile Schrofen runter zum nächsten Felsriegel, wo man mit 1x50m Abseilen die grasige Schrägrampe erreicht, über die man zur Geröllhalde absteigen kann.
Die Schwierigkeiten waren nun zwar vorbei, doch mit gemütlich (aber weit, ca. 1.5h!) ins Tal bummeln war aber nix. Unser Weg nach Hause führte nochmals hinauf zum Hinterrugg. Viel Zeitreserve blieb nicht mehr, so übergab ich Kathrin das Klettermaterial und sprintete so schnell ich noch konnte die 260hm hinauf zum Hinterrugg, um den Gleitschirm für den Flug vorzubereiten. Oder, im schlechteren Fall, ihn zu schultern und zurück Richtung Tal zu steigen. Keuchend kam ich an und konnte immerhin konstatieren, dass der angesagte WNW-Wind perfekt mit 15km/h anstand und somit ideale Startbedingungen versprach. Als dann Kathrin verschwitzt und erschöpft bei mir auftauchte, gab es keine Pause. Sondern es hiess gleich rein in den Sitz, anschnallen und los, denn die Dunkelheit war bereits am Hereinbrechen.

Immerhin gelangten wir inklusive dem Kletter-Karsumpel mit einem sauberen Start in die Luft. Der Gleitflug nach Unterwasser dauerte bloss gute 15 Minuten, somit hatte sich die Fliegerei zeitlich doch noch ausbezahlt. Im letzten Licht landeten wir am Parkplatz in Unterwasser und packten unsere 7 Sachen zusammen. Müde und erschöpft ging es nach Hause. Eine Frage beschäftigte uns die ganze Fahrt: "was machen wir morgen?" Perfektes Wetter war angesagt, die Excalibur an den Wendenstöcken angedacht. Nach einigem Ringen stellten wir den Wecker auf 5 Uhr früh - eine Entscheidung, die wir vielleicht beim Aufwachen kurz bereuten, die aber, erst recht im Rückblick 5.5 Jahre danach, vollkommen korrekt war!

Facts

Churfirsten/Schibenstoll - Rauchpause 6c, A0 (6b obl.) - 10 SL, 325m - Wiesmann/Ott 1988 - **, xx(x)
Material: 12 Express, Keile 4-9, Camalots 0.3-3

Abenteuerliche Kletterei in an sich gutem und zumeist solidem Fels, der aber immer wieder von grasigen Stellen unterbrochen wird. Die Absicherung kann als gut bezeichnet werden. Wo nötig stecken solide, durchdacht platzierte Bohrhaken. Dazwischen muss aber viel selbst gelegt werden, teilweise über ganze Seillängen hinweg, was aber zumeist gut möglich ist. Insgesamt würde ich meinen, eine Tour eher für den Liebhaber einsamer Wege, von regionaler Bedeutung und nur bei ausreichender Alpinerfahrung anzuraten.

Ein Topo findet sich im exzellenten SAC-Kletterführer Churfirsten - Alvierkette - Fläscherberg von Thomas Wälti.

Sonntag, 2. Dezember 2012

Im Falle des Falles...

Mit den Schneefällen der vergangenen Woche ist die Skitourensaison 2012/2013 nun auch auf der Alpennordseite definitiv eröffnet. Zusammen mit Kathrin konnte ich am gestrigen Samstag eine Tour auf die frisch und tief verschneite Schafwies im Toggenburg geniessen. Nachdem wir uns im ungespurten Gelände erst den Weg durch dichten Nebel suchen mussten, gab es dann oberhalb Sonne satt. Dieser Eintrag ist allerdings nicht in erster Linie als Tourenbericht gedacht, sondern spinnt einige Gedanken zur mitgeführten Sicherheitsausrüstung.

Fantastische Frühwinterstimmung an der Schafwies, hinten die Churfirsten
Ab sofort werde ich nämlich nun (endlich!!!) auch mit einem ABS-Rucksack auf Touren gehen. Und nämlich mit diesem hier: Mammut Ride Airbag 30l. Schon 3-4 Saisons hatte ich mit einer Anschaffung eines solchen Teil geliebäugelt, und sie doch immer wieder nach hinten verschoben. Preis, Gewicht, die nicht funktionellen  Rucksäcke (der Konkurrenz...), zig Gründe liessen sich finden. Und das Wesentliche: erst wenige hatten einen, und ich fühlte mich auch ohne sicher. Ein Irrglauben!?!

Bricht man ohne LVS, Schaufel und Sonde zu einer Tour auf, so würden das wohl die meisten Tourengänger als fahrlässig bezeichnen. Ohne ABS-Rucksack zu gehen ist hingegen akzeptiert. Objektiv betrachtet ist das absurd, ziemlich sehr absurd sogar. Gilt es doch inzwischen als erwiesen, dass der Airbag eine Verschüttung durch ein typisches Skifahrer-Schneebrett in den allermeisten Fällen erfolgreich verhindern kann, und man meist glimpflich davonkommt. Die traditionellen Rettungsmittel (LVS, Schaufel und Sonde) bringen erst bei einer Verschüttung einen Nutzen. Dann ist die lebensgefährliche Situation bereits Tatsache. Und es ist leider so, dass trotz diesen Hilfsmitteln längst nicht in jedem Fall geholfen werden kann. Fazit: geht es wirklich um Sicherheit und man müsste zwischen ABS und den traditionellen Rettungsmitteln wählen, so müsste man objektiv betrachtet den Airbag wählen. Beides zusammen ist natürlich noch besser. Nur LVS, Schaufel und Sonde ist wohl in der Community akzeptierter Standard, aber gegenüber ABS ungenügend.

Aufstieg im samtenen Pulver über dem Nebelmeer
Die Werbung und (damit?) auch der Fokus der Tourengänger lag in der vergangenen Dekade auch sehr stark auf dem LVS. Im Vergleich zu vor 15 Jahren gab es hier enorme Entwicklungen, vom analogen 1-Antennen-Gerät zum digitalen Modellen mit 3 Antennen und bequemer Bedienerführung. Natürlich ist diese Entwicklung sehr zu begrüssen, doch ich bin sehr der Meinung, dass ihr tatsächlicher Nutzen in der Praxis stark überschätzt wird. Erstens hilft das LVS erst bei einer lebensgefährlichen Ganzverschüttung und zweitens  involviert die Rettung eines Ganzverschütteten mehrere Schritte, wobei die reine LVS-Suche bei entsprechender Übung zeitlich einen relativ kleinen Raum einnimmt. Das beschränkt schlicht und einfach den Praxisnutzen der verbesserten LVS-Technologie.

Machen wir doch hier einmal die hypothetische Betrachtung, was wirklich zählt, wenn man im Hang steht oder fährt, und die Schneedecke ins Rutschen kommt. Welche Faktoren sind entscheidend in Bezug auf die Überlebenswahrscheinlichkeit? Idealerweise hätte man eine umfassende Datenbasis zur Verfügung. Mit den Methoden der statistischen Datenanalyse würde man zu jedem Faktor eine Odds Ratio schätzen, die man mit einem p-Wert versehen könnte. Leider fehlt das quantitative Material, so dass ich nur einige qualitative Überlegungen anstellen kann.

Gipfelblick: erst 9 Tage zuvor war ich noch zum Klettern an den Churfirsten unterwegs

  • ABS-Rucksack: bei einer typischen Skifahrerlawine verhindert ein ABS-Rucksack effektiv und mit sehr grosser Wahrscheinlichkeit eine Komplettverschüttung, da gibt es inzwischen mehr als genügend Daten, welche dies belegen. Ist man nicht ganz verschüttet, so besteht eine sehr grosse Wahrscheinlichkeit, die Sache mit nichts mehr als einem Schrecken zu überstehen. Fazit: dieses Gadget ist sehr entscheidend und sicher das wesentliche Element, wenn es soweit ist.
  • Kamerad: kann man sich nicht aus eigener Kraft aus den Schneemassen befreien, so ist Hilfe nötig. Wie rasch das geschieht, hängt in erster Linie von den Qualitäten des Kameraden ab. First and foremost: behält er einen kühlen Kopf, reagiert rasch und weiss was in welcher Reihenfolge zu tun ist? Zügig muss er (von oben oder unten) auf den Lawinenkegel gelangen. Da zählt wie gut er skifährt, oder wie fit er ist. Dann die Suche per LVS und Sonde: stimmen Strategie, Gerätebedienung und Fitness? Hat er die Stelle bestimmt, muss geschaufelt werden, bei Ganzverschüttung muss meist extrem viel Schnee bewegt werden. Wie viele Kubikmeter schafft er pro Stunde? Fazit: wird man komplett verschüttet, so zählen Wissen/Erfahrung und Fitness des Kameraden am meisten.
  • Schaufel: wer einmal im Lawinenschnee ein Loch gegraben hat, das zum Freilegen der Atemwege einer 1m tief verschütteten Person taugt, der weiss dass die verwendete Schaufel einen grossen Einfluss hat. Ein genügend langer Stiel und ein solides, wohlgeformtes Blatt sind absolut unerlässlich. Die Differenz zwischen guter und schlechter Schaufel macht für ein- und denselben Schaufler rasch mehrere Minuten (!) aus. Fazit: kaum jemand macht sich Gedanken über die Schaufel. Doch hier könnte man mit wenigen zusätzlich investierten Franken viel Zeit gewinnen.  
  • LVS-Modell: Nun der Knackpunkt: spielt es (unter Voraussetzung guten Beherrschens) eine wesentliche Rolle, von welcher Generation das LVS ist? Ich behaupte nein: ok, ein mit allen Geräten geübter User gewinnt mit einem 3-Antennen-Gerät gegenüber dem analogen Modell Zeit. Im Schnitt sind vielleicht 15-30 Sekunden, kaum mehr. Wenn ich nun bedenke, wie viel Zeit zwischen dem Moment, wo ich als Retter reagieren muss und dem Ausgraben vergeht, so dürfte diese Zeitspanne von 3-6 Atemzügen vernachlässigbar sein. Mit Strategie, Fitness und Schaufel kann man die Minuten hingegen bündelweise wettmachen.
Wie schränke ich also die Gefahr durch Lawinen ein? Dies durch zuhause bleiben, Pistenfahren oder durch Restriktion auf zu 100% lawinensicheres Gelände zu erreichen, dürfte für die meisten Tourengänger keine Option sein. Bricht man trotzdem auf, so zählen die Dinge meines Erachtens in der folgenden Reihenfolge:

Lawinenwissen -> defensives Verhalten -> ABS-Rucksack -> Schaufel/Sonde/LVS -> Rettungsstrategie -> Fitness -> Schaufel-Modell -> LVS-Modell