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Dienstag, 30. Dezember 2014

Der Anfang vom Ende?

Wer ist beim Klettern für die Sicherheit verantwortlich? Diese Frage hatte ich mit einem Beitrag nach den Vorfällen in San Vito aufgegriffen. Während meines Erachtens die schlüssige Antwort nur lauten kann, dass jeder für sich selber schauen und beurteilen muss, gibt es auch andere Stimmen. Es ist eine Tendenz zur Normierung, Regulierung und Kontrolle ersichtlich, welche meines Erachtens der Anfang vom Ende des Klettersports und erst recht des Alpinismus in seiner heutigen Form wäre. Mit einem Gastbeitrag schildert Patrik Müller, Präsident der IG Klettern Basler Jura, die aktuelle Situation.

Frisches Ausbruchsmaterial im Einstiegsbereich der alten Klettergartens in Klus/Balsthal, welche von einem Felssturz aus Gelände oberhalb der bekletterten Felsen stammen. Trotz der offensichtlichen Gefahr halten sich Kletterer an dieser Stelle ungeniert zum Sichern, Klettern, Pausieren und sogar Grillieren auf. Bild: Jürg Müller, alpinesicherheit.ch
So wie es im Moment scheint, treiben sich gewisse Teile im SAC effektiv mit der Thematik der Verantwortung beim Klettern um, und planen sich dieser Frage juristisch zu nähern. Dies aus verschiedenen Gründen: zum einen nutzen SACler Klettergärten und deren Einrichtungen, zum anderen unterstützen sie Einrichter bei ihrem Tun oder betreiben Unterhaltsarbeiten in, nach Absprache, ihnen zugeteilten Klettergebieten (sogenannte Gebietspatronagen). Zumindest im Unterland (Mitelgebirge) stellen sich nun Ämter und Behörden immer häufiger auf den Standpunkt, dass Kletterrouten oder -gärten bewilligungspflichtige Anlagen darstellen. Somit wären Kletterrouten, oder zumindest deren Ausrüstung, "Anlagen" wofür der Errichter haftbar gemacht werden könnte bei einem Versagen einer solchen (Werkshaftung). Damit in einem solchen Fall ein Einrichter oder Sanierer haftpflichtmässig abgedeckt wäre, müsste dieser also zumindest einen Kurs vom SAC (Einrichten und Sanieren) abgeschlossen haben. Oder er ist als Bergführer für solche Arbeiten qualifiziert.

Anmerkung von Marcel: hier befinden wir uns wohl in einer mehrfach unglücklichen Situation. Die SAC-Sektionen wollen sich absichern, die Bergführer sehen vor allem die zusätzliche bezahlte Arbeit und wer als Kletterer nicht weiterdenkt, denkt sich, dass so alles sicherer wird. Umso wichtiger ist es, dass wir hier entschieden Gegensteuer geben - die Begründung folgt gleich unterhalb.

Felssturz an der Frümel Ostwand in den Churfirsten, welche die beliebte Plaisirroute Städtliblick zerstört hat. Unvorhersehbar und überraschend kam er, und zeigt deutlich auf, dass nichts und niemand die Sicherheit des alpinen und auch weniger alpinen Kletterns garantieren kann. Bild: Thomas Wälti, alpinesicherheit.ch
Wenn ich solche Überlegungen bis in die letzte Konsequenz weiterdenke stellen sich mir die Haare zu Berge. Lasse ich vor jeder Routeneinrichtung ein geologisches Fachgutachten erstellen, damit ich auch auf diese Seite hin rechtlich abgedeckt bin? Es nützt ja nichts, wenn der einzelne Bohrhaken profimässig perfekt, aber in einem brüchigen Felskopf steckt... So gesehen müsste man vermutlich einige klassische Routen oder viele Klettergärten sofort schliessen. Es ist nicht alles betonfester Bombenfels, an welchem wir hier im Jura rumklettern? Ich bin überzeugt, wir müssen die Risikodiskussion unbedingt führen, aber nicht ausschliesslich betreffend den Ausrüstungsstandards einer Route sondern generell auch unter dem neuen Gesichtspunkt von Verantwortung, Haftung und Schuld. Ich frage mich:
  • Wollen wir Routenbaugesuche bei Ämtern einreichen zu deren Bewilligung Normiergesetze benötigt werden?
  • Wer kann den Unterhalt von bestehenden Routen garantieren? Vor allem, wenn der Errichter nicht mehr lebt?
  • Wer beurteilt bestehende Kletterrouten auf deren Sicherheitsstandard und übernimmt dafür die Verantwortung?
  • In welchen Intervallen benötigen Kletterrouten eine Neubeurteilung? (Beispiel Egerkingerplatte: jedes Jahr!) 
  • Normierung der Kletterei draussen wie diejenige in der Halle nach DIN-Normen?
  • Was soll das kosten??
  • Wer soll dass bezahlen??
  • Eidgenössiches Amt für Kletterei mit Fachstellen zu Geologie, Material, Koordination von Sanierungen durch Profis und Meldestelle für Brüchige Felsstellen oder nicht angezogene Maillons? Taskforce die ausrückt um "gefährliche" Routen sofort zu sperren bis die "Reparaturteams" angerückt sind, die Arbeit erledigt und der Abschlussrapport vom Landbesitzer, der Fachstelle, dem Geologen unterschrieben und das ganze in einer Datenbank abgelegt und die Route wieder offiziell für jeden Volltrottel freigegeben hat?
Felssturz im Klettergarten an der Siggenthaler Flue. Ein weiterer Jura-Klettergarten, den man bei normierter Zulassung gleich komplett sperren müsste. Keiner wird hier je die Verantwortung übernehmen können oder wollen, dass nicht noch weiteres Material ausbricht. Trotzdem kann man hier mit etwas Umsicht problemlos und gut klettern. Bild: Patrik Müller.
Vielleicht zeichne ich da gerade etwas sehr schwarz, denn bisher gibt es solcherlei ja noch nicht einmal in den verschrieenen USA. Aber der Gedanke ist bei uns bereits gesetzt und guteidgenössische Gründlichkeit tut manchmal das Ihrige. Ich meinerseits setze immer noch auf den gesunden Menschenverstand, der gerade in unserer Sportart besonders gefördert werden kann. Ebenso auf Verzicht (Demut) wenn mir etwas zuwenig geheuer ist und auf den Nervenkribbel der Anfang und Ausgangspunkt und elementarer Bestandteil vom Klettersport und Alpinismus generell ist. Es lebe das Plaisirklettern und der wilde Trad und alle Formen dazwischen!!!

Patrik Müller
Präsident IG Klettern Basler Jura

Freitag, 26. Dezember 2014

Buon Natale a Tutti!

Im Alpinismus gibt's ja kaum so etwas wie eine Zwischensaison. Entweder am Fels, im Schnee oder im Eis geht fast immer ein bisschen etwas. Trotzdem, die Weihnachtszeit präsentiert sich mit dem oft übellaunigen Tauwetter meist als nicht besonders ergiebige Zeit, besonders auf der Alpennordseite hat es zum Skifahren kaum Schnee, fürs Eis ist es zu warm und das Wetter zum Klettern überzeugt auch nur teilweise. Umso besser, dass es noch die Alpensüdseite gibt, die als Ziel für unseren Weihnachtstrip bald gesetzt war.

Claro

Zum Auftakt besuchten wir die Felsen in Claro, schon über 15 Jahre zurück liegt mein letzter Besuch hier. Fuhren wir damals die Bergstrasse nach Censo aufgrund des Fahrverbots noch mit Bike hoch, so darf man dies nach dem Löhnen von 10 CHF nun auch offiziell mit dem Auto tun. In 10-15 Minuten Bergabmarsch erreicht man dann das langgezogene Felsband, das rund 100 sehr interessante Routen in perfektem Gneis aufweist. Das Gebiet gilt als sehr anfällig in Bezug auf Nässe und tatsächlich war hier immer noch der Effekt der heftigen Niederschläge von Anfang November zu sehen. Geschätzt mehr als die Hälfte der Routen war nicht komplett trocken. Umso besser, dass ich hier ohne offene Projekte angerückt war.

Moulin Rouge (6c, ****): Sehr interessante und anhaltende, plattige Kletterei. Drei Einzelstellen stechen bezüglich Schwierigkeit noch besonders heraus, die letzte ein laaanger Move kurz vor dem Umlenker. Da musste ich mich echt schon anstrengen, um den Onsight zu holen.

La Ragnatela (6b, ***): Steile Wand mit interessanter Felsstruktur. Einige Crimps und die auffälligen, schrägen Risse erlauben hier das Fortkommen. Ziemlich anhaltend, eher ein Ausdauerproblem.

La Canta (6c, **): Bouldrige Kantenkletterei, die Bewegungen gut geplant und gut gehookt ist hier halb geklettert. Im Vergleich zur Moulin Rouge meiner Meinung nach kaum derselbe Grad, sondern deutlich einfacher.

Lobbia (6c, ****): Nochmals eine bouldrige Kante. Einfacher Plattenauftakt, das Wesentliche spielt sich auf den 8m danach ab. Trotz der Kürze aber voll genial, um die Ecke drücken, an Leisten schnappen und an Henkeln manteln - supercoole Abfolge!

Damit war der Klettertag dann auch schon wieder gelaufen. Die Sonne erwärmt einen in Claro am kürzesten Tag des Jahres bis irgendwann zwischen 15.30-16.00 Uhr. Diese Zeit hatten wir mehr als ausgenützt und dabei das ganze Gebiet für uns alleine gehabt. Nachdem Larina ihr Projekt auch beendet hatte wartete auf uns noch der Wiederaufstieg zum Parkplatz und nach dem Käffeli die Fahrt in unser Domizil. 

Larina in Moulin Rouge (6c) - bis zum Umlenker gekommen, die B-Note noch etwas verbesserungsfähig :-)

Vigezzo

Der zwischen Malesco und Re gelegene Klettersektor mit dem Namen Villette Alto existiert gewiss schon sehr lange. Auf unsere Traktandenliste war er aber erst gerückt, nachdem ihn Sandro im Extrem SUD publiziert hatte - da sieht man echt mal wieder, was ein gut recherchierter und schön präsentierter Führer ausmacht, ansonsten wäre diese Perle nämlich an uns vorbeigegangen. In rund 10 Minuten Zustieg erreicht man den am sonnigen Südhang gelegenen Felsriegel mit superbequemem Einstiegsbereich. Auch an den kürzesten Tage wärmt die Sonne hier von ca. 9.00-16.00 Uhr, einfach perfekt!

Marco (6c, ***): Schon bald nach dem Einstieg muss man parat sein, dann klettert man durch eine einfachere Zone zur steilen Abschlusszone, wo man für 6c schon ordentlich hinlagen und weite Züge präsentieren muss.

Zip (7a, ****): Bald nach dem Einstieg folgt eine kratzige Passage, bevor man nochmals etwas durchschnaufen kann, um dann das Bewegungsproblem der finalen Crux (sehr interessant an Leisten und Untergriffen) anpacken muss.

Gaby (7c, **): Sehr einfacher Auftakt (ca. 5c, 12m) bis zum Zwischenstand, dann folgt ein etwas brösmelig-sandiger Wulst, der mit einem praktisch trittlosen Boulder (Seitgriff - Crimp - Crimp) zu meistern ist - konzentriert und tough!

Fabri (7a, ***): Anhaltende Kletterei an kleinen Leisten und ein paar Seitgriffen, schön! Teilweise etwas nahe an den anderen Routen gebohrt (oder umgekehrt, je nachdem was zuerst da war).

Edera (7a, ****): Geniales, bouldriges Bewegungs- und Spannungsproblem mit vielen Untergriffen und ein paar Leisten - Gneiskletterei at its best!

Digital Killer (7a+, ***): Ziemlich kratzige und technisch anspruchsvolle Route. Gute Fussarbeit ist unerlässlich, und das Halten von winzigen, rauhen Leisten erfordert noch genügend Fingerhaut.

Facile (5b, ***): Die einfachste Route im Gebiet, fast 30m lange Plattenkletterei mit recht anhaltenden Schwierigkeiten. Für diesen Grad wirklich gut, es war das Projekt für unsere Kinder.

Als die Sonne schon eine Weile hinter dem Horizont verschwunden war und die Dunkelheit hereinbrach, traten wir den Weg zurück zum Automobil an. Kaum eingestiegen war der Nachwuchs schon eingeschlafen. Die Rückfahrt nach Locarno ist zwar nur etwa 30km kurz, wegen der extrem engen und kurvigen Strasse dauert's bei defensiver Fahrweise aber doch fast eine Stunde. Dort wartete dann noch das Highlight des Tages, der Besuch auf der Eisbahn, welche temporär auf der Piazza Grande aufgebaut ist - wirklich tolles Ambiente, guter Sound, was will man mehr?!

Der Anmarsch schön kurz, und dabei erst noch hervorragend bezeichnet...
...der Fels mit dem topfebenen Einstiegsbereich lässt auch nur wenige Wünsche offen.
Facile (5b), easy debii sii, aber nie (!) ohne Chalkbag!

Russo

Ein guter Tessin-Tip für die dunklen Wintertage sind auch die Felsen von Russo im Val Onsernone. Hier wärmt einem die Sonne auch von früh bis Mitte Nachmittag (ca. 9.00-14.45 Uhr). Geboten wird einem interessante Plattenkletterei (linker Sektor) oder athletisches Steilpotenzial (rechter Sektor). In letzterem liessen wir uns nieder - selbst nach zwei früheren Besuchen waren mir hier noch einige Projekte offen geblieben. Bis auf eine weitere Seilschaft waren wir auch hier wieder alleine zugegen und hatten somit bezüglich der Routenauswahl freie Hand.

Lame a doppio taglio (6a+, ***): Steile, für den Grad richtig athletische und auch nicht ganz einfache Kletterei, welche einem System von Rissen und Schuppen entlang führt. So ganz restlos zu 100% solide wirken diese Schuppen auf mich nicht wirklich, da hier aber regelmässig geklettert wird, braucht man sich wohl nicht allzu sehr zu sorgen.

Croce del Sud (7b+, ****): Allez hop, nicht trödeln sondern durchsteigen heisst die Devise. Nach dem einfachen Einstieg wartet erst technisches Geschiebe an Rissspuren und Seitgriffen. Die Crux dann unters und übers markante Dach, ein paar ganz ok Leisten und Henkel helfen dabei. So richtig ins Schwitzen kam ich dann erst danach - die Abschlussplatte mit den seichten Rissen ist unscheinbar aber nicht geschenkt, zudem auch psychisch fordernd. Trotzdem oder erst recht, diesen Onsight liess ich mir nicht nehmen, so dass dieser Ticino-Trip auch sportlich ein richtiger Erfolg wurde.

No Name Nr. 50 (6c, **): An sich schöne Kletterei, unten einer Piazkante entlang, dann durch eine seichte Verschneidung, aber oben bedient man sich dann einiger Schuppen, die wirklich sehr hohl tönen und nicht solide verwachsen sind. Auch die Standhaken stecken nicht einwandfrei - Vorsicht, besser den Roststand links benützen, der steckt wenigstens in solidem Fels.

In Groppa alla Müla (7a, ****): Diese Route hatte ich vor etwa 8 Jahren bereits einmal Punkten können, zum Tagesabschluss stellte sie aber ein interessantes Projekt dar. Nun war ich in Fahrt, tatsächlich gelang der Alzheimer-Onsight. Die Kletterei ist genial, erst tricky und aufreibend im Piaz einer runden Kante entlang, oben geht's dann henklig-toll über die Dachzone hinweg.

Das war es dann bereits wieder mit den tollen Tagen im Tessin - einmal mehr hatte sich die Reise voll ausbezahlt, die Gneiskletterei unter dem stahlblauen Winterhimmel bei milden Temperaturen ist einfach ein Hochgenuss. Klar, früher hatten wir bei solchen Trips jeweils noch etwas mehr Routen in einen Klettertag einfüllen können, heute mit den Kindern zählen auch andere Dinge. So zum Beispiel ein weiterer Besuch auf der Eisbahn, bevor es auf den praktisch leeren Strassen hochzufrieden zurück nach Hause ging.

Käffeli kochen und fotografieren, nur zwei von vielen Beschäftigungen unserer Kinder im Klettergarten...
Und zum Schluss noch die super Eisbahn auf der Piazza Grande!

Mittwoch, 17. Dezember 2014

Extrem SUD

Wer einem Kletterer ein tolles Weihnachtsgeschenk machen möchte, oder wer noch auf der Suche nach Inspiration für die kommenden Feiertage ist, dem kann ich den neusten Führer aus dem Hause Filidor wärmstens empfehlen. Dreizehn Jahre nach der Erstausgabe ist der konsequent dreisprachig (Deutsch/Italienisch/Englisch) gehaltene Nachfolger erschienen, wie gewohnt ein Werk der Extraklasse. Der Führer ist sauber und vom Autor Sandro von Känel persönlich recherchiert, besticht durch klare Topos und viele präzise Detailinformationen. Die grafische Gestaltung ist sehr ansprechend und mit den vielen tollen Kletterfotos handelt es sich schon beinahe um ein kleines Kunstwerk.


Beschrieben sind die Perlen am südlichen Simplon und in den Ossola-Tälern, alle wesentlichen Hardmover-Gebiete im Tessin sowie die besten Klettergärten in der Gegend von Lecco. Schliesslich fehlt zuletzt auch ein Abstecher ins Val di Mello nicht. Bezüglich der Auswahl der Gebiete gibt es also kaum etwas zu kritisieren! Vielleicht wäre es noch einen Gedanken wert gewesen, einen kurzen Abriss und Beschrieb der wirklich weltbekannten Boulder-Gebiete Cresciano und Chironico zu geben - ja ich weiss, es handelt sich um einen Kletter- und nicht einen Boulderführer, doch als Auswahlführer für von weit hergereiste wäre das vielleicht doch dienlich. Mir hätten auch ein paar Infos über die Granit-MSL-Touren rund um Chiavenna (z.B. den Precipizio di Strem) durchaus noch getaugt. Aber klar, über die Auswahl der Gebiete kann man immer diskutieren, der Autor muss einfach irgendwo einen Strich ziehen. Und dass ich am liebsten im ganzen südlichen Alpenraum auf die präzisen Filidor-Topos zählen würden, darf man als grosses Qualitätsmerkmal für deren Führer zählen.


Wenn ich noch eine Schwäche an diesem Führer erwähnen darf, so liegt diese meines Erachtens bei den Angaben zu den cleanen oder zumindest über weite Strecken abzusichernden MSL-Routen. Diese sind ziemlich durchgängig mit der Absicherungs-Bewertung x ("nur sehr versierten Kletterern zu empfehlen, expo") angegeben. Dies betrifft aber nur die vorhandene, fixe Absicherung und die kann, darf, ja soll bei gut selber abzusichernden Touren auch spärlich bis inexistent sein. Zur Absicherbarkeit mit mobilen Mitteln sagt der Führer dann aber wenig aus, es gibt nur den Zusatz A ("diese Route lässt sich mit Keilen, Friends und Schlingen nachsichern. Erfahrung im Umgang mit mobilen Sicherungsmitteln ist erforderlich"). Der Punkt ist halt, bei selber abzusichernden Touren gibt es von perfekten Splitter Cracks wo ohne weiteres klettergartenmässig abgesichert werden kann bis zur ultimativen psychischen Herausforderung mit extraweiten Abständen die ganze Bandbreite, und der Führer lässt einen da weitgehend im Dunkeln.

Fazit

Auch wenn ich noch ein paar Verbesserungsvorschläge gefunden habe, dieser Führer ist höchst empfehlenswert und auf jeden Fall sehr gut investiertes Geld - etwas besseres gibt es über dieses Gebiet mit Garantie nicht. Ich freue mich schon, einige der neu beschriebenen Gebiete bald auszuprobieren. Einige Beispiel-Seiten kann man übrigens gratis abrufen.

Sonntag, 14. Dezember 2014

Thai-ai-ai...

Nach meinem Ausflug in die Matterhorn-Nordwand war ich nochmals etwas auf den Geschmack des Projektierens im Klettergarten gekommen. Der warme und trockene November 2014 lud schliesslich dazu ein, man konnte sich ja beinahe uneingeschränkt draussen austoben. Meine Wahl war auf die Thai City (8a) an der Wand im Wald gefallen. Nach etwa 6-7 Sessions und rund 20 Versuchen gelang es mir nun, sie zu punkten... und sie damit wahrscheinlich auch gleich zur Kandidatin für eine Abwertung zu machen. Wenn's der Dettling punktet, dann kann es nicht 8a sein, so scheint mir die Devise zu lauten. Nicht allen meinen bisherigen Routen im achten Franzosengrad war jedenfalls nach meiner Begehung ein langes Weiterleben in ihrem Dasein gegönnt - daran wird es wohl auch liegen, dass die sich jeweils wie verrückt gegen meine Begehung wehren ;-)


Nachdem ich am Weekend zuvor mit der recht strengen Medel-Skitour in den Beinen noch knapp am letzten schweren Zug gescheitert war, öffnete sich nun das Fenster für den Durchstieg. In gewohnter Manier ging's hinauf zur Abschlusscrux, deren Griffe ich langsam auch gescheit festzuhalten gelernt hatte. Und auf einmal hatte ich dann den Sloper nach dem letzten schweren Zug in der Hand. Damit wäre es eigentlich geschafft gewesen, so dachte ich zumindest im Vornhinein. Beim Auschecken oder Fertigklettern nach einem Sturz hatte ich von dort den letzten Zwischenhaken immer souverän eingehängt. Doch nun hing ich da und merkte sogleich, neinnein Marcel, so viel Kraft um hier zu klippen hast du nimmermehr. Das Hauptproblem dabei war, dass dieser Umstand in meinem mentalen Plan ganz und gar nicht vorgesehen war.

Mullerenalp, a magic place! Sicht zum Glärnisch mit dem Vrenelisgärtli 2904m, sowie Wiggis und Rautispitz.
Nach einer ganz kurzen Phase der Beklemmung schnaufte ich dann 3x tief durch. Loszulassen war definitiv keine Option, Klinken ging absolut nicht und somit blieb das Weitersteigen als einzige Möglichkeit. Die abschliessenden Moves sind zwar nicht mehr allzu schwer, aber entkräftet vom Durchstieg und 1-2m über dem letzten Haken stehend bekommt alles eine neue Dimension. Aber es gelang mir, meine Nerven im Zaum zu halten und souverän zum Umlenker durchzusteigen. Mein Herbstprojekt war damit abgeschlossen, grosse Freude und Genugtuung machten sich breit. Doch wie nahe Freud und Leid beim Klettern zusammen liegen können, erlebten wir bald darauf. Nach einem Besuch im Hallenbad des SGU Näfels wurden wir prompt noch Zeugen, wie ein Kletterer vom Top beinahe ungebremst zu Boden stürzte. Zum Glück ging die Sache relativ glimpflich aus, nötig wär's aber dennoch nicht gewesen.


Meinerseits gab es dann am Tag darauf noch einen süssen Dessert. Prophylaktisch hatte ich für eine weitere Galerie-Session abgemacht. Doch nach dem Durchstieg war die Wahl des Kletterziels frei, und da zog es uns eher über den Nebel. Vom Wetter erwartete ich nicht allzu viel, die dicke Jacke, Kappe, Handschuhe und die langen Unterhosen wanderten ins Gepäck. Aber weit gefehlt, die Sonne lachte weitgehend vom Himmel und bescherte uns einen magischen Klettertag auf der Mullerenalp. Dass ich mir dort noch kurzerhand die Begehung der Val Lunga (7c) krallen konnte, das war dann quasi das Marzipanrüebli auf der Torte. Mein Dank geht an alle die dabei waren und mich unterstützt haben, ganz besonders natürlich an den Neni! 

Facts

Hier gibt's mehr zur Wand im Wald, und das ist der Link (scrollen!) zu den Infos über die Mullerenalp.

Mittwoch, 10. Dezember 2014

Zur Sicherheit von Bohrhaken in maritimem Umfeld

In meinem Beitrag zu den Geschehnissen in San Vito hatte ich ja schon über die Gefahr der Hakenkorrosion in Meeresnähe geschrieben. Darauf hin ergab sich ein sehr interessanter Austausch mit Josef Werderits. Er befasste sich beruflich mehr als dreissig Jahre lang mit Fragestellungen zu Festigkeit und Sicherheit, unter anderem von Verankerungen und bei der Werkstoffwahl. Diese Mails habe ich dann zu diesem Beitrag verarbeitet. Auch wenn einiges daraus etwas technisch daherkommen mag und Hintergrundwissen erfordert, so ist es sicherlich für alle Kletterer dennoch sehr lesenswert.

Am wichtigsten jedoch dies: rostfreier Stahl korrodiert anders, als dies bei gewöhnlichem (verzinktem) Stahl der Fall ist. Es tritt nämlich in aller Regel keine üppige Rostschicht auf, sondern die sich ausbildende Schutzschicht auf dem rostfreien Material wird nur punktuell angegriffen und die Korrosion schreitet dann von dort aus fort. Man spricht in diesem Zusammenhang (wissenschaftlich ungenau) auch von "Lochfrass" oder "Spaltfrass". Somit ist die Sache äusserst heimtückisch und für Nicht-Experten nur schwerlich zu beurteilen. Was die Route Collina dei Conigli am Monte Monaco betrifft, so hat mir ein Schweizer Bergführer mitgeteilt, dass er die Route wenige Tage vor dem Hakenbruch noch geklettert habe, und diese rein optisch noch in einem vernünftig guten Zustand schienen.

Rostfreier A2-Bohrhaken von Raumer, der auf Capo Caccia / Sardinien beim Reinsitzen gebrochen ist.
Hakenbrüche aufgrund von Korriosion durch die salzhaltige Meeresluft sind ja zum Glück nicht ein alltägliches Szenario, aber doch auch nicht ganz so selten wie man vielleicht denken könnte - selbst am Mittelmeer, und nicht nur in den Tropen. Auf Planetmountain ist z.B. der korrosionsbedingte Bruch eines rostfreien Klebehakens in der Grotte von Bidiriscottai bei Cala Gonone/Sardinien dokumentiert. Weiter hat mir ein anderer Kollege (ebenfalls ein Schweizer Bergführer) von einem glimpflich ausgegangenen, durch Korrosion verursachten Bruch eines Inox-Dübels in der Route Daytona am Capo Caccia, ebenfalls in Sardinien berichtet. Dies passierte ohne Sturz, einzig durchs ins Seil sitzen am zweiten Bohrhaken der Route. Dank aufmerksamer und gekonnter Sicherung sowie einem Einzelkarabiner im ersten Haken konnte der resultierende Sturz kurz vor dem Boden aufgefangen werden... 

Nun aber zu den Angaben von Josef, editiert und vervollständigt vom Autor:

(1) Als wesentlichste Aspekte sehe ich den verwendeten Werkstoff und die „Formgebung“ (Typ, konstruktiver Aufbau) – die Themen „Felsausbruch“ und „Setzen der Haken“ sind nicht spezifisch für meeresnahe Gebiete; ich werde hier darauf auch nicht eingehen.

(2) Zum Werkstoff: Speziell möchte ich die Werkstoffproblematik am Beispiel der als Haken am häufigsten verwendeten „Spreizanker“ (manchmal auch „Spreizdübel“ oder ganz korrekt „kraftkontrolliert spreizende Dübel“) erläutern – bei diesem System ist das Thema Werkstoff auch am brisantesten.

Spreizanker-System von Petzl aus hochwertigem Material (A316L), jedoch bedenklich kurzem Anker.
(3) Spreizanker aus rostfreiem Standardwerkstoff A2 werden in Thailand in Meeresnähe nach kurzer Zeit unter Sturzbelastung brechen (man braucht dabei keine „Experten“ vor Ort zur Erforschung der Ursachen). Solche A2-Bolts (Werkstoff ist meist 1.4301, teils 1.4306 oder 1.4307) stecken zu zig-tausenfach rund ums Mittelmeer. Während Jahren bis Jahrzehnten hat man mangels besserem Wissen und mangels Verfügbarkeit anderer Materialien damit eingerichtet oder gar saniert. Am Mittelmeer ist das Klima zwar nicht ganz so aggressiv wie in Thailand, aber... 

A2-Inoxdübel im Sektor Odyssey auf Kalymnos. Solche Haken stecken auf der Insel zu Tausenden, noch scheinen sie zu halten...
(4) Der gleiche Haken aus A4-Stahl (1.4401/A316 bzw. 1.4404/A316L) wird länger halten, je nach lokalen Gegebenheiten sehe ich aber durchaus noch Bruchrisiko. Entscheidend dafür sind vor allem Feuchte, Chloridgehalt (Meerwasser), Einwirkungsdauer und Temperatur(!). Anmerkung des Verfassers: Genau, und wir Kletterer führen quasi ein Feldexperiment durch, wo ausprobiert wird, wie viel es braucht und wie lange es dauert, bis die Haken brechen. Rund ums Mittelmeer ist aber noch kein Versagen von A4-Haken bekannt!?!

A4-Anker mit A2-Plättli unmittelbar nebenan im Odyssey auf Kalymnos, die beiden Borhaken sind genau gleich alt.
(5) Seit relativ kurzer Zeit sind Spreizanker aus hochkorrosionsbeständigem Stahl (HCR, High Corrosion Resistant) als Standardprodukte erhältlich. Diese können aus Duplex-Stählen (siehe EN 10088) oder aus Superausteniten (z.B. 1.4539 - Rolex macht seine Oyster-Modelle daraus - oder 1.4547) hergestellt sein. Von Fischer und Hilti gibt es solche Anker, gemäss den in den technischen Zulassungen angegebenen Bemessungslasten handelt es sich wahrscheinlich um Superaustenite. Abgesehen von sehr wenigen (zumeist theoretischen) Fällen sollten diese Anker aus im tropisch-maritimen Umfeld dauerhaft Sturzbelastungen standhalten. Eine brauchbare Grösse der für uns relevanten Beständigkeit ist der PREN-Wert (Pitting Resistance Equivalent), der in Normen oder in den Herstellerangaben zu finden ist.

(6) HCR-Anker sind das eine, dazu sind jedoch auch HCR-Laschen notwendig! Alle Bestandteile an einem Bohrhaken müssen aus ein und demselben Werkstoff gefertigt sein, sonst stellt einem die galvanische Korrosion ein Bein - wiewohl, in freier Wildbahn findet sich die metallurgisch ungünstige Kombination von verzinkten Ankern und rostfreien Laschen ziemlich oft, wobei sich hier im Laufe der Zeit das weniger edle Material (d.h. der nicht sichtbare Anker) geschwächt wird. Nun, Laschen sind etwas aus dem Kletterbedarf, und es gibt aktuell meines Wissens noch keine HCR-Laschen zu kaufen. Duplex und Superaustenite sind jedoch als Bleche erhältlich, die Herstellung geeigneter Laschen ist damit (mit entsprechendem Wissen/Können) kein Problem.

Die galvanische Zelle, für einmal andersrum als gewohnt, aus einer Route am Gonzen. Verwendet wurde ein rostfreier Anker (vermutlich A4) und ein verzinktes Plättli. Man sieht gut, wie dieses durch galvanische Korrision geschwächt wird. Meistens ist diese ungünstige Kombination gerade andersrum montiert, d.h. ein verzinkter Dübel mit rostfreier Lasche.
Galvanische Korrision in der üblichen Variante: rostfreie A2-Lasche, kombiniert mit einem verzinkten Dübel in der Route Berghi an der Parete Nascosta im Simplongebiet. Die Mutter zeigt hier den Rost, richtig schlimm sieht der Dübel jedoch garantiert unter der Lasche und im Bohrloch aus, nur sieht man dies von aussen nicht...
(7) Zur Formgebung der Haken: Kritisch unter korrosiven Umgebungsbedingungen (Meeresnähe, durchaus auch Nähe zu bestimmten Industrieanlagen) sind Kerben, Kontaktstellen und Spalte. „Spreizdübel“ (siehe oben) weisen genau all diese Elemente auf – Korrosionsversagen ist damit natürlich besonders kritisch. (In Kommentaren wird fallweise nur von „Spannungsrisskorrosion“ gesprochen. Tatsächlich ist das Thema wesentlich komplexer – Spannungsrisskorrosion ließe sich in unserem Fall mit geringem Aufwand vermeiden, das Bruchrisiko würde dadurch allerdings nur geringfügig verringert!).

(8) Haken ohne die oben genannten „kritischen Formelemente“ sind wesentlich weniger anfällig bezüglich Korrosionsversagen, das Werkstoffthema damit auch weit weniger kritisch (als nur ein Beispiel die Haken in vor kurzem sanierte Routen im rechten Sektor der „Cala Luna“ – sehr saubere unkritische Formgebung, über den Werkstoff weiß ich leider nicht Bescheid). Unkritische Formgebung bedeutet also Klebehaken. Gelungene Lösungen sind aus meiner Sicht die geschmiedeten Anker von Petzl (BATINOX 14mm, COLLINOX 10mm). Nach meinem Wissen aus A4 bzw. A316L. Ob diese im tropisch-maritimen Umfels bei hoher Salz- und Temperaturbelastung "dauerhaft sicher" (Grössenordnung 50 Jahre) sind, kann ich nicht beurteilen. Die Klebehaken (ebenfalls aus A4) einiger anderer Hersteller halte ich aufgrund der Formgebung für den Einsatz in maritimer Umgebung für grundsätzlich nicht geeignet.

Klebehaken Petzl Collinox 10mm. Quelle: petzl.com


(9) Bei den Vorteilen von Klebehaken in Bezug auf die Korrosion des Stahls muss aber natürlich auch der Kleber in Betracht gezogen werden. Auch dieser muss "dauerhaft sicher" sein, was in aggressivem Klima längst auch nicht bei jedem Produkt gegeben ist. Zumindest will kein Hersteller eine Lebensdauer oder gar Garantie für den Einsatz am Fels im maritim-tropischen Umfeld abgeben. Somit beackert die Klettergemeinschaft hier ein weiteres Experimentalfeld.

Wer sich bis hier durchgekämpft hat, hat nun vielleicht mehr Fragen als zuvor. Immerhin sei an dieser Stelle versichert, dass Josef nichtsdestotrotz (mehr oder minder) seit über vierzig Jahren den Haken im Fels vertraut. Genau so würde ich das selber ebenfalls unterschreiben, auch wenn mir die wesentlichen Inhalte der obigen Zeilen nun schon ein paar Jahre bewusst sind. Es schadet sicher nicht, eine gesunde Vorsicht walten zu lassen. Kritisch ist beim Sportklettern oft der Bereich zwischen dem zweiten und dem vierten/fünften Haken, wo das Versagen einer einzigen Sicherung oftmals zu einem Bodensturz führen würde. Beim Umlenker ist darauf zu achten, dass zumindest zwei zuverlässig (!!!) verbundene Fixpunkte vorhanden sind, zum Topropen hängt man besser noch die obersten 1-2 Zwischenhaken ebenfalls ein. Achtung auch beim Abbauen durch Ablassen von stark überhängenden Routen (z.B. in der Grande Grotta auf Kalymnos) - irgendwann verhindert meist auch nur noch 1 Haken einen potentiell fatalen Pendler in den Boden, zudem wird die Sicherung dort auch noch ungünstig axial belastet. Im Zweifelsfall lässt man besser die letzten 2 Exen drin und holt diese kletternd raus.

Links

UIAA: Extreme Caution Advised for Anchors in Tropical Marine Areas (Web oder PDF)
Forumsbeitrag von Alan Jarvis, Delegierter der Sicherheitskommission der UIAA 
Dokument von Hilti zu Korrosion und Materialien (PDF)
DHV-Bohrhakenbroschüre (PDF, unbedingt lesen!)
Artikel über Capo Caccia auf Planetmountain

Freitag, 5. Dezember 2014

Unfall in Ponte Brolla Ost

Nicht schon wieder... mein Blog soll kein Ort werden, wo ständig über Kletterunfälle berichtet wird. Im Ostsektor von Ponte Brolla hat sich aber einer ereignet, aus welchem auch wieder das eine oder andere lernen können. Mitte Oktober stürzte ein Deutschweizer Kletterer aus rund 10m Höhe auf den Boden und verletzte sich schwer. Was ist passiert?

Gemäss den Angaben auf aquile.net stieg der Kletterer in eine Route ein, welche er nicht komplettieren konnte. Stimmen die Angaben auf dem Foto, so dürfte es sich um die Artiglio del Diavolo (6c) handeln. Der Rückzug erfolgte, indem ein dünnes Maillon von nur 4mm oder 5mm Dicke in einen einzigen BH installiert wurde. Beim Ablassen am Doppelseil öffnete sich nun die nur von Hand angezogene Schraube, wohl durch die Reibung der Seile oder durch die Vibration. Leider war die Festigkeit dieses dünnen Billig-Maillons (es handelte sich um ein nicht genormtes Baumarkt-Maillon) nicht genügend gross, so dass es aufgebogen wurde und der Sturz auf den Boden folgte.

Mit dem Doppelseil wurde an einem dünnen/kleinen Maillon abgelassen. Durch Reibung des Seils oder durch Vibrationen, unterstützt durch die Schwerkraft, öffnete sich der Verschluss. Dabei muss man sagen, dass auch etwas Pech mit dabei war. Von 4 möglichen Konfigurationen mit Anordnung des Verschlusses und Laufrichtung des Seils ist wohl nur eine einzige brandgefährlich. Foto: M. Bognuda / aquile.net
Links das Unfall-Maillon, rechts ein baugleiches, noch unbenutztes Teil. Die Festigkeit ist nur 4mm oder maximal 5mm, zudem war es kein genormtes Qualitätsstück. Gemäss Experimenten von Tessiner Kletterern verbiegt sich ein 4mm-Maillon im offenen Zustand bereits, wenn man ein Gewicht von ca. 100kg anhängt. Foto: Kantonspolizei TI, Sgt M. Castellani / aquile.net
Schauplatz des Unfalls: 1) ist die Stelle, an welcher das Maillon platziert wurde, hierbei handelt es sich mit grösster Wahrscheinlichkeit um einen Bolt der Artiglio del Diavolo (6c). An der Stelle 2) gab die Verankerung nach, 3) markiert die Sturzstrecke von 5-10m und 4) den Punkt des Aufpralls. Foto: Kantonspolizei TI, Sgt M. Castellani / aquile.net
Fazit:

  • Ein Rückzug soll wenn schon durch Hinterlassen eines Karabiners und nicht eines Maillons erfolgen. Dazu hatte ich schon bei meinem Text zur Festigkeit von Maillons aufgerufen. Es ist nämlich total nervig, wenn Bohrhaken schon durch Maillons belegt sind. In vielen Fällen braucht es nur wenig, und man kann die Dinger nur noch mit Werkzeug oder gar Eisensäge entfernen. Die Mehrkosten eines günstigen Schnappers gegenüber einem genormten Maillon mit ausreichender Festigkeit (8mm) sind minimal (ca. 1-2 CHF).
  • Dünne Baumarkt-Maillons sind einfach totaler Schrott, wenn schon dann verlasse man sich auf genormte Ware mit ausreichender Dicke/Festigkeit. Diese nimmt massiv ab, wenn der Verschluss offen ist. Dass man die Schraube nur mit Werkzeug zuverlässig anziehen kann ist ein weiterer Grund, dass man besser einen Karabiner anstelle von Maillons für Rückzuge verwendet!
  • Dieser Tipp ist eigentlich gar nicht nötig, weil man ja nicht auf Maillons zurückgreifen soll. Wäre dieses aber so platziert worden, dass sich der Verschluss gegen oben und nicht gegen unten öffnen muss, so wäre hier sehr wahrscheinlich nix passiert. Vibration und Seilreibung dürften fürs Öffnen des Verschlusses nur ausreichen, wenn die Schwerkraft unterstützen kann.
  • Beim Rückzug von einer zweifelhaften Verankerung wird besser abgeseilt als abgelassen. Die auf die Verankerung wirkende Kraft ist beim Ablassen theoretisch doppelt so gross wie beim Abseilen. Die dynamisch auftretenden Kraftspitzen dürften den Faktor 2 sogar eher noch übertreffen, weil es beim Ablassen entsprechend schwierig ist, eine gleichmässige Belastung zu erreichen.

Dienstag, 2. Dezember 2014

Wer ist verantwortlich?

Auf dem Internet wird auf meinen letzten Post hin die Frage aufgeworfen: "Warum? Warum nur habt ihr nichts gemacht, wenn euch die Gefahr bekannt war?". Ich habe Verständnis für die Frage und kann den Schmerz von Familie, Angehörigen und Beteiligten verstehen, wie auch den Wunsch, das Rad der Zeit zurückdrehen zu können, den Unfall ungeschehen zu machen, ja vielleicht sogar einen Verantwortlichen dafür zu finden. Hier der Versuch einer Antwort.

An deren Basis steht die Tatsache, dass beim Klettern letztendlich jeder für seine eigene Sicherheit verantwortlich ist und seine eigenen Entscheidungen treffen muss. Mein Kollege hat diesen Umlenker für sich als unsicher beurteilt und ihn nicht benutzt, ich habe an mehreren anderen Orten wie z.B. in Tartareu schon gleiches getan, und dies dann sogar auf meinem Blog so beschrieben. Ebenso habe ich schon an zahlreichen Stellen aufs Weiterklettern oder Einsteigen in Routen verzichtet, weil sie mir (!!!) mit zu altem Material eingerichtet erschienen oder aus sonstigen Gründen zu gefährlich waren. Aber deswegen diese Touren gleich zu sperren, umzubohren oder auszunageln, das ist einfach komplett unrealistisch. Zumal meine Meinung, mein Empfinden, mein Können und mein Wissen ja nicht sakrosankt sind, wer hat schon den Röntgenblick wie viel ein Haken tatsächlich hält?

Weiterklettern? Heimgehen? Sanieren? Ignorieren?
Wenn ich mein Empfinden zum Massstab nehmen würde, so gäbe es sogar ganze Sektoren, wo man die Haken entfernen müsste. Ein Beispiel ist der wohlbekannte Sektor Emisfero im Val Pennavaire (Oltrefinale). Nach meinem Geschmack ist der Fels dort grossflächig hohl, sprich zu wenig solide um darin zuverlässige Bohrhaken zu setzen. Meine (!!!) Konsequenz ist es, dass ich an dieser Wand nicht klettere, Punkt. So ist es beim Klettern und so soll es meines Erachtens auch bleiben. Es gibt keine Regeln, Schilder und Normen und niemand der die Verantwortung für unser Tun und Lassen übernimmt, ausser wir selber. Es geht gar nicht anders, denn da draussen haben Wind, Wetter, Regen, Schnee und Eis ihren Einfluss, der Zahn der Zeit nagt an allem. Und wo wäre dann die Grenze, wenn wir Verantwortung für die anderen übernehmen müssen? Darf ich, ja muss ich vor dem hoch steckenden ersten Haken in einer Tour im Frankenjura einen zusätzlichen setzen, wenn ich die Gefahr erkannt habe, dass da jemand auf die Blöcke am Einstieg stürzen und sich schwer verletzen könnte? Gebe ich in L3 vom Batman an den Wendenstöcken einen zusätzlichen BH, weil ich gesehen habe, dass dort das Seil bei einem Sturz über eine scharfe Kante läuft und womöglich durchtrennt wird? Soll ich den Runout in der Crux der Blauen Lagune (Wendenstöcke) entschärfen, weil sich da schon viele den Fuss gebrochen haben und der nächste der noch etwas unglücklicher stürzt sich vielleicht ein Schädel-Hirn-Trauma zuzieht? 

Bei der Begehung der Blauen Lagune, dort leider kein unübliches Szenario.
Gemäss der geltenden Kletterethik werden all diese Fragen mit einem klaren Nein beantwortet. Der Preis, den wir dafür zahlen sind Unfälle von möglicherweise fatalem Ausgang, welche bei anderer Absicherung oder einer Sanierung zu verhindern gewesen wären. Andererseits, 100% Sicherheit kann und wird es beim Klettern nie geben – wer sicher und unfallfrei unterwegs sein will, braucht Umsicht, Wissen, Können, Demut und auch das Glück, nicht zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein. Doch selbst für vorsichtig agierende Könner verbleibt stets ein Restrisiko, umso bitterer ist die Stunde, wenn es zuschlägt. Zuletzt, was mich selber betrifft: ja, ich saniere hin und wieder Routen und ersetze Haken. Ja, ich versuche meine Neuerschliessungen nach bestem Wissen und Gewissen mit hochwertigem Material gut und sicher auszurüsten und ja, ich teile meine Wahrnehmung von Gefahren durch meinen Blog mit euch Kletterern. Wer aufmerksam mitliest, wird viele aus meiner Sicht nützliche und potenziell sogar lebensrettende Tipps lesen – was daraus gemacht wird, bleibt aber jedem einzelnen selber überlassen.

Bitte denkt an Stefan und seine Familie, der Spendenaufruf befindet sich hier!