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Mittwoch, 9. Oktober 2019

Wendenstöcke - Sawiris (7a+)

Bei der Sawiris (9 SL, 7a+) handelt es sich um eine exklusive Linie im oberen Wandteil des Reissend Nollen. Viele Begeher hat sie in der Dauer ihres bisher 12-jährigen Bestehens noch nicht gesehen, laut dem Wandbuch sind es nur 15 Seilschaften. Doch soweit bekannt kehrten alle hellauf begeistert zurück und sprachen von der oder zumindest einer der schönsten Routen an den Wendenstöcken. Soviel vorweg, meine Einschätzung fällt genau gleich aus. Der Fels ist wirklich von einer unglaublichen Kompaktheit und Güte, die Position weit über dem Tal herausragend, die Kletterei auf jedem Meter anspruchsvoll und die Moves durchgehend homogen schwierig im Bereich von 6b-7a. Jedoch gilt es, sich das Vergnügen erst zu verdienen. Abgesehen von der Titlis Südwand handelt es sich bei der Sawiris um die Wendenroute, welche den aufwändigsten Zustieg erfordert - dieser lohnt sich jedoch absolut.

Die grandiosen Wände des Reissend Nollen mit der Sawiris (9 SL, 7a+). Das Foto stammt nicht vom Tag der Begehung.
Wenige Minuten vor 8.00 Uhr liefen wir auf der Wendenalp los, wie so oft im Herbst leuchteten die Wände golden über uns - immer wieder ein tolles Erlebnis. Auf dem bestens bekannten Pfad ging's in Richtung Reissend Nollen, am Einstieg der Zambo vorbei (bis hierher 50-60 Minuten) und dann links hinaus. Die folgende Plattenzone erheischt auf den ersten Blick gehörigen Respekt. Quert man sie auf der Linie des geringsten Widerstands von links nach rechts, so geht's aber ganz leidlich (T6, II). Man kreuzt nochmals die Linie der Zambo in L6 und steigt dann nach links hinauf zum Beginn der As de Coeur. Von hier entlang des markanten Risses wieder etwas nach rechts hinauf auf die Bänder, welche den "Gipfel" von Spasspartout und Zambo markieren (II, kurze Stelle III, derzeit mit Fixseil entschärft). Nun gilt es noch, ein Stück horizontal bzw. leicht aufsteigend nach rechts zu traversieren, um dann am Ende nochmals 40m in gestuftem Gelände zum Beginn der Route hinaufzuklettern (I-II). Die in der Literatur angegebene Zustiegszeit von 2:30h ist sicher grosszügig bemessen, m.E. sind die ca. 900hm mit Ortskenntnissen bei sportlich-zügigem Gehen gut in 1:30-1:45h zu machen. Um ca. 10.00 Uhr waren wir nach einem Imbiss bereit und kletterten los.

Impressionen aus dem Zustieg: die golden leuchtenden Wände von Mähren, Pfaffenhuet und Gross Wendenstock.
Rückblick auf den heiklen Zustiegsteil (T6, II), der zum Einstieg von Caminando, Millenium und As de Coeur führt. Man beachte den Akteur ziemlich exakt in Bildmitte - sieht erschreckend aus, aber wenn man den einfachsten Weg findet, so löst sich doch alles ganz ordentlich auf.
L1, 6b, 25m, 3 BH: schon die ersten Meter sind kein Gehgelände mehr und bereits am und über den zweiten Haken spielt die Musik. Feines Antreten und runde Strukturen oder kleine Käntchen geschickt belasten ist das erste, aber längst nicht das letzte Mal gefragt. Aber es schadet sowieso nicht, sich gleich einmal gut mit dem Reibungskoeffizienten zwischen Schuh und Fels vertraut zu machen. Die zweite Hälfte dann einfacher aufs Band hoch.

L2, 6b+, 25m, 5 BH: schöne Plattenkletterei, zwischendurch gibt's auch noch ein paar originelle, runde Löcher. Ich fand diese Sequenz einfacher wie L1, auch die Haken stecken einen Tick näher beisammen. Meines Erachtens könnte man hier auch 6b und in L1 6b+ geben. Spielt ja aber dann auch keine solch grosse Rolle.

Auf den ersten Seillängen der Sawiris wartet technische Plattenkletterei bei grandioser Felsqualität!
L3, 6c+, 40m, 8 BH: nun geht's richtig los, wie mein französischer Kollege so schön schreibt "avec des pas très obligatoires en dalle". Die ersten Meter geht's wie bisher gehabt noch mehr oder weniger gemässigt dahin, doch die Hauptschwierigkeiten folgen bald: sie fordern extreme Steilplattenmoves und mutig-prekäres Antreten auf Reibung, und sind zwischen den Haken zwingend zu meistern - für mich Adrenalin pur! Nach dieser ~10m langen Cruxsequenz lässt's dann wieder etwas nach, die Haken sind auch wieder etwas dichter und freundlicher platziert, nur zuletzt gibt's nochmals einen nicht ganz trivialen Runout zum Stand hinauf.

Das Finish von L3 (6c+) ist nochmals fordernd. Nicht ganz so schwierig, aber der Abstand zum Stand ist einfach weit.
L4, 7a, 30m, 9 BH: langsam steilt's etwas auf. Nach einem ersten Wanderl mit schönen Leisten und Tropflöchern folgt nochmals eine etwas geneigte, nicht ganz so schwierige Zone, bevor es in die leicht überhängende Abschlusswand hineingeht. Die Griffe sind zwar da, aber so richtig gute oder positive Henkel fehlen dann eben doch. So pumpt's ordentlich und es wird im etwas unübersichtlichen Schlussteil vom letzten Haken zum Stand geprüft, wie viel Saft und Entschlossenheit zum Vorwärtssteigen noch übriggeblieben ist.

Göttlich das Gestein und athletisch die Kletterei in L4 (7a). Das Attribut 'unübersichtlich' für dieses Slopermeer passt.
L5, 7a, 25m, 6 BH: die offensichtlich ziemlich glatte Zone gerade oberhalb wird mit einem Linksquergang umgangen. Das geht vorerst ganz gut, wobei man sich hier bereits in überhängendem Gelände befindet und etwas angeplättet wird. Dort wo's dann wieder hinauf geht, gilt's dann über ein paar Meter, eine Schippe draufzulegen. Wie fast überall in der Wand gibt's fast unzählige Möglichkeiten, um auf Reibung anzutreten und sloprige Strukturen um sich in die Höhe zu schieben hat's ebenfalls viele. Nur die richtig guten Griffe/Tritte, wo man sich rasch vorwärts wuchten und auch wieder erholen kann, die fehlen eben mehrheitlich. So gilt's stets abzuwägen, ob man sich nun an dem, was man gerade hat einmal aufwärts schiebt, um dann möglicherweise in eine Sackgasse zu geraten, oder ob man weiter nach einer besseren Lösung sucht. Der Laktatpegel in dem Armen wird einem dabei möglicherweise die zu wählende Strategie diktieren.

Wenn der Fotograf den Apparat schön gerade gehalten hätte, so wäre der Beginn von L5 (7a) leicht überhängend.

Unglaublich kompaktes Gestein am Ende von L5 (7a). Gut gesichert zwar schon, aber trotzdem sehr verpflichtend!
L6, 6b+, 35m, 8 BH: hier legt sich die Wand nochmals ein wenig zurück und die Griffe sind mindestens gleich gut wie bis anhin, so klettert sich dieser Abschnitt genussreich und im Vergleich zu vorher und nachher schon beinahe erholsam. Undankbar darum wird manch einer nicht sein!

Vorzügliches Gestein auch in der etwas einfacheren Seillänge Nr. 6 (6b+).
L7, 7a+, 40m, 10 BH: es folgt nun nämlich eine richtige Monsterlänge mit anhaltenden Schwierigkeiten im ortstypischen Gelände, noch gewürzt mit einem athletischen Ausstieg. Die Wandkletterei zu Beginn ist betont senkrecht, man bedient dabei Seitgriffschlitze, scharfe Leisten, Tropflöcher und auch ein paar etwas staubige Schlitze, wobei wirklich fast jeder Meter voll fordernd ist. Wie bereits erwähnt spitzt sich die Sache am Ende zu. Über den unübersichtlichen Wulst am Ende muss man einfach noch hinweg, wobei die Griffe oberhalb zwar gross, aber eben auch sloprig-abwärtsgeschichtet sind. Hier geht mir doch tatsächlich 2 Moves vor der Rettung noch der Saft aus... schade!

So good, simply awesome! Die Cruxlänge (L8, 7a+) ist anhaltend fordernd, luft, steil & scharf.
Muss man das jetzt schon als grasigen Bruchfels bezeichnen?!? Endlich aus der steilen Zone in L7 (7a+) draussen.
L8, 7a, 35m, 9 BH: die kompakte Wand zu Beginn mit den Nahe steckenden Haken lässt vermuten, dass es hier gleich zur Sache geht. Und so ist's dann auch: am Anfang lassen sich die Schwierigkeiten noch geschickt überlisten, doch am dritten Bolt ist dann ein richtig kniffliger Mantle gefragt. Der Rest der Seillänge präsentiert sich dann ungleich griffiger und führt im 6b-Gelände genussreich zum Stand, wo sich auch das Wandbuch befindet.

Taffer Auftakt an kompaktem Fels in L8 (7a), wenig später lassen die Schwierigkeiten dann nach.
L9, 5b, 45m, 4 BH: die Erstbegeher schreiben auf dem Topo, die letzte Seillänge sei "nur alpinistisch interessant". Für mich keine Frage, dieser Abschnitt wird auf jeden Fall geklettert. Wobei, im Hinterkopf sind da dunkle Erinnerungen an die "alpinistisch interessante" Zusatzlänge der Tsunami, welche uns damals ziemlich in die Bredouille gebracht hat. Allerdings sieht der Fels hier deutlich kompakter aus, Bohrhaken sind sichtbar und die Abseilmöglichkeit vom Top ist ebenfalls gegeben, so zögere ich dennoch nicht. Der erste Teil der Seillänge bietet nochmals vergnügliche Kletterei, die gar nicht mal so einfach ist - vielleicht eher 6a als 5b?!? Danach wird das Gelände einfacher und die "losen Steine" kommen tatsächlich noch - mit etwas alpiner Erfahrung aber kein Thema. Der Stand befindet sich übrigens wirklich erst ganz oben auf dem Pfeilerkopf, den Einzelbolt mit Maillon muss man überklettern!

Ambiente am Top mit dem neu erbauten Gipfelsteinmann. Hinten die 3500er Sustenhorn, Gwächtenhorn und Tierberge.
Um 16.30 Uhr und damit nach rund 6:30 Stunden Kletterei sind wir auf dem Pfeilerkopf. Wie schon a priori erwartet, hatten die "nur" 9 Seillängen doch einiges an Zeit gekostet. Wir hatten zwar nirgends grosse Schwierigkeiten, doch die Kletterei ist sehr anhaltend anspruchsvoll und oft sehr tüftelig. Wer sauber Freiklettern will (wozu es sowieso meist keine Alternative gibt!), der braucht einfach Geduld und Zeit, um sich Übersicht zu verschaffen, die Moves zu planen und auszuführen. Da wir aber mit genügend Zeitreserve geplant hatten und das Wetter einwandfrei war, sprach auch nichts dagegen. Auf dem Pfeilerkopf kann man sich frei bewegen und stolz auf das Geleistete sein. Das Ambiente ist fantastisch, auch der Gipfel von Caminando bzw. Millenium befindet sich keine 100m entfernt und liesse sich über die Bänder querend erreichen. Ich nahm mir die Musse, den Punkt mit einem grossen Steinmann zu verzieren. Der Weiterweg hinauf zum Gipfel des Reissend Nollen sah gar nicht mehr einmal so übermässig weit und schwierig aus. Für diesen Tag war's keine Option, aber irgendwie ist's eben doch reizvoll... ich glaube, eines Tages muss ich einmal ganz hinaufsteigen (es sind noch ca. 300hm, teils Geh- und Kraxelgelände I-II, an der Schlusswand ein paar Seillängen IV bis V).

Hier könnte man noch weiter hinauf. Blick auf das einfache Gelände im Vordergrund, welches zur Gipfelwand führt.
Nach einer halbstündigen Pause machten wir uns an die Abseilfahrt. Die oberste Seillänge präsentiert dabei ziemlich suboptimales Abseilgelände. Wir machten diese in 2 Etappen an nur einem, doppelt genommenen Seilstrang - sonst besteht die Gefahr von Steinschlag und das Seil liesse sich vermutlich nur sehr schwer oder gar nicht abziehen. Auch die unteren Seillängen warfen bei mir a priori ob dem steilen Gelände und dem stets etwas nach links traversierenden Verlauf einige Bedenken auf. Schlussendlich ist das dann aber keine Sache und es ging flott voran, nach 5 weiteren Manövern waren wir zügig zurück am Einstieg. Aber natürlich ist die Sache hier noch keineswegs gegessen und der Weg ins Tal ist noch lange. Wir entschieden uns schliesslich, entlang der uns beiden unbekannten Remy-Routen Rockmantic und später dann Virus direkt über die Vorbauwand in die Tiefe zu gelangen (30m absteigen, 2x abseilen, 40m absteigen, 5x abseilen). Da die Routen teilweise spärlich ausgerüstet sind, sind der Verlauf bzw. die nächstfolgende Standplatz nicht immer ganz einfach zu finden. Schlussendlich brauchten wir so vom Einstieg der Sawiris zurück zum Parkplatz gerade gut 2:00h und damit länger wie für den Aufstieg - nicht ganz optimal. Folgende Optionen wären wohl besser:

Auf Spaziergang am Top der Sawiris. Der Ausstieg von Millenium/Caminando ist problemlos erreichbar.
  1. Abseilen über Sawiris, dann zu Fuss zurück über die Bänder und den Aufstiegsweg. Nachteil: viel heikle Abkletterei mit Schwierigkeiten bis T6/III. Kann entschärft werden, indem man 1-2x an Einzelbolts zum Einstieg von As de Cour abseilt und den unteren Vorbauteil 3x50m über Spasspartout.
  2. Wechsel vom Top von Sawiris zum Ausstieg von Caminando/Millenium, über die dortige Piste abseilen. Vom Einstieg dieser Routen kurz zu Fuss absteigen und dann noch 3x50m über den unteren Teil von Spasspartout abseilen. Nachteil: man kommt nicht mehr am Einstieg der Sawiris vorbei und muss mit Haulbag klettern.
  3. Wenn man schon direkt über den Vorbau abseilen will, so wechselt man nach dem ersten Teil (30m absteigen, 2x abseilen, 40m absteigen) sicherlich besser von der Rockmantic in die Via Italia, da die Abseilerei über den steilen Vorbauteil dort deutlich effizienter gestaltet werden kann (siehe Beschreibung). Das Top der Via Italia ist mit einer 20m-Querung auf Bändern gut erreichbar. 
Anyway, auch wenn der Weg ins Tal für einmal etwas Geduld und Ausdauer brauchte und es bereits gegen 20 Uhr und am Eindunkeln war, als wir auf der Wendenalp eintrafen: auch meine 36. Wendenroute war ein richtiges Highlight gewesen, von dem ich noch lange zehren konnte!

Facts

Reissend Nollen - Sawiris 7a+ (6c obl.) - 9 SL, 300m - Wicky/Krummenacher/Dollinger 2006 - *****;xxx
Material: 2x50m-Seile, 12 Express

Kaum eine Route an den Wendenstöcken erfordert mehr Aufwand im Zustieg wie die Sawiris. Trotzdem lohnt sich ein Besuch absolut, das Gestein und die Kletterei sind einfach fabelhaft - hier wackelt einfach gar nichts, 5 Sterne, keine Frage! Wer das Verhältnis von Lauf- zu Kletterzeit verbessern möchte, könnte alternativ auch über eine Vorbauroute starten. Ein sicherlich sehr lohnendes Unterfangen, das jedoch nur für starke und schnelle Seilschaften realistisch ist. Abgesichert ist die Sawiris gut, ja für Wendenverhältnisse stecken die Bolts sogar ziemlich üppig. Um trotzdem keinen falschen Eindruck zu vermitteln: die Kletterei ist anhaltend schwierig, geschenkte Meter gibt's fast keine. So muss man sich dennoch engagieren und immer wieder auch zwischen den Haken schwierige Moves klettern. Ich vergebe hier trotz der soliden Absicherung aufgrund vom Gesamtanspruch nur xxx, jedoch bestimmt an der oberen Grenze. Für mobiles Sicherungsmaterial konnte ich keinen nennenswerten Einsatzzweck erkennen, wir hatten dieses gleich daheim gelassen - dies kann man m.E. auch getrost so machen. Nähere Infos zu den anderen Touren am Berg und ein Topo findet man im Schweiz Extrem West.

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