Wieder einmal an die Wenden, nachdem ich es im 2013 kein einziges Mal geschafft hatte. Auch dieser nasse Sommer bot bisher nicht allzu viele Gelegenheiten. Doch da war die Anfrage von Jonas, und ein geeigneter Tag, um wenigstens eine kürzere Route in Angriff zu nehmen. Kurz heisst jedoch nicht langweilig und schon gar nicht anspruchslos, nicht dass man dies falsch versteht! Der Sektor unserer Wahl war schliesslich der Vorbau des Reissend Nollen. Hier erreicht man in 7-8 Seillängen das Top, ein Rückzug per Abseilen geht super zügig, und falls einen das Wetter doch überrascht, findet man vom Wandfuss innerhalb von wenigen Minuten im Biwak den nötigen Schutz.
Am Vorabend waren in der Region noch einige heftige Gewitter niedergegangen, kombiniert mit den extremen Niederschlagsmengen im Juli 2014 führte dies dazu, dass die Wände frühmorgens doch mit etlichen Wasserstreifen überzogen waren. Nichtsdestotrotz, durch die starke Sonneneinstrahlung trockneten die meisten Routen rasch ab, und wären machbar gewesen. Wir indessen standen am Vorbau des Reissend Nollen und hatten die Wahl zu treffen: Affennase, Nachtexpress, No Festa oder Via Italia? Ganz einwandfrei trocken war erst die Via Italia, eine Tour die durchaus einen oberen Platz auf meiner Projektliste eingenommen hatte. Zwar hatte ich bisher nicht viel über diese Route vernommen, doch aus zwei verschiedenen Quellen hatte ich einen positiven Bericht erhalten. Zudem hatte uns die unmittelbar benachbarte Zyland vor 3 Jahren super gefallen, und bei der Abseilfahrt hatten wir uns damals selbst von der Top-Felsqualität in der Via Italia überzeugen können. Damit war die Routenwahl also erledigt. Eigentlich waren wir früh aufgestanden und wollten zeitig einsteigen. Nach einem Kafihalt auf der Anreise, Abklärungen ob wir trotz Schiessanzeige klettern dürfen und etwas Musse hier und da wurde es schliesslich doch gegen 9.30 Uhr, bis die Kletterfinken geschnürt und der Achter geknüpft war.
Unser Tagesziel, die anspruchsvolle Pitelka-Route Via Italia. Die Wasserstreifen waren nach 1-2h Sonne übrigens alle weg. |
L1, 35m, 7a: Mein rudimentäres Topo suggeriert für den Auftakt ein 6b, dass dies nicht zutrifft, hatte ich ebenfalls im Vorfeld gehört. Nun denn, die ersten Meter sind zwar 6b aber schon ziemlich herb, weil spärlich abgesichert und zudem ist auch der Fels auf den ersten Metern etwas splittrig-blätterteigig. Das bessert sich dann bald einmal, dafür kommt dann auch eine erste, echt harte Kletterstelle an kleinen Leisten und Löchlein. Nach ein paar Metern zum Verschnaufen gilt es einen athletischen Überhang zu knacken, gefolgt von einem Sloper-Runout zum Stand. Mit 7 BH ist diese Länge nur knapp genügend gesichert, vor allem am Anfang.
L1 ist schon ein hartes Gerät und sicher eher 7a als 6b. Jonas fightet am athletischen Überhang und ist gerade beim letzten BH der Länge. |
L2, 30m, 6c: Bereits nach dem ersten Bolt folgt eine glatte, technisch fordernde Stelle. Der Abstand danach entpuppt sich zum Glück als gutmütig, bald darauf wird es dann aber wieder schwer. Ein Wulst will in technisch anspruchsvoller Kletterei an Auflegern überwunden werden, ist aber eng mit BH abgesichert. Ist dies einmal geschafft, so sind es noch etwa 15m in perfektem Fels zum Stand. Die Schwierigkeiten sind im Fünferbereich und damit gering, dafür stecken auch keine Sicherungen mehr.
L3, 40m, 7a: Fantastische Wandkletterei in allerbester Wenden-Manier! Die ersten 2 BH klippt man noch entspannt, danach überwindet man einen längeren Abstand entweder mit einer Rechtsschleife oder geht direkt (schwer, 7b?). Nun folgt erst formidable Kletterei an kleinen Leisten, ähnlich wie in den unteren Millenium-Längen. Gegen Ende hin dann knifflige Linksquergänge und in steilem Gelände hinauf zum unbequemen Hängestand, dort sind dann auch die Abstände etwas weiter.
Die lange und absolut fantastische Wandkletterei in perfektem Fels nach allerbester Wenden-Manier in L3 (7a). |
Ausdauernd und athletisch ist L3 (7a) an ihrem Ende. Rauhe Mikroleisten müssen gekrallt werden, und es pfeift schon ganz schön in die Tiefe. |
L4, 15m, 7a: Der überhängende Start weist einige der typischen Wenden-Suppenschüsseln auf und ist gar nicht so schwer. Die tiptop gesicherte Crux folgt beim Übergang auf die senkrechte Platte oberhalb, weil sich da nur noch die Struktur befindet, aber keine Griffe mehr geschraubt sind ;-) An kleinen Sloper-Leisten richtet man sich auf und bleibt dann dran, der einfacher werdende Runout zum Stand hoch ist dann etwa 7m lang, erfordert kühles Blut und entschiedenes Antreten.
Jonas meistert gerade die Crux-Sequenz (Mantle auf die steile, rauhe Platte) in L4 (7a). Danach dann cool bleiben zum Stand hoch. |
L5, 30m, 6b: Die einzige einfachere Seillänge, was allerdings auf die Stelle am Guillotine-Dächlein (riesige, nicht solid verwachsene Felsschuppe, die aber schon ok ist) auch nur so halb zutrifft. Mit einem weiten Zug darüber hinweg, danach folgt schöne Plattenkletterei mit weiten Sicherungsabständen. Nach dem zweiten BH übrigens entschieden nach rechts halten!
L5 (6b) ist zwar etwas einfacher, aber auch keine Dutzendware. Tolle Seillänge auch hier! |
L6, 40m, 7a: Ein totales Killverviech, diese Länge. Über die ersten 2 BH geht's noch einigermassen gut in sehr schöner Kletterei an vom Wasser zerfressenen Fels. Nun folgt aber eine schwere, zwingende Steilplattenstelle 2-3m über der letzten Sicherung, man muss gaaanz sauber Antreten und als Griffe gibt's nur ein paar Sloper. Das ist aber noch längst nicht alles, anhaltend geht's weiter und das Gelände steilt immer mehr auf. Das Gestein ist perfekt und von einer Rauhheit, dass die Fingerspitzen rosa werden. Einmal geht's rechtsherum einem Riss entlang, zuletzt wird dann noch sehr athletisch an einem Bauch geprüft, wie viel Saft noch in den Armen ist.
Leider kommt auf diesem Foto nicht ganz zur Geltung, wie gut, steil, fordernd und felstechnisch perfekt L6 (7a) ist. |
L7, 30m, 7b: Um den zweiten BH dieser Länge herum folgt eine sehr, sehr knackige Einzelstelle, die propagierte 6c gilt allenfalls in der Fb-Boulderbewertung. Notfalls kommt man hier auch mit 1 p.a. drüber, ansonsten waren die Cruxen in der Route öfters zwingend zu meistern. Nach diesem Piece de Resistance wird es kurz etwas einfacher, man hält sich nach links und trifft de fakto mit der Zyland zusammen, was man aber nicht bemerkt, wenn man die Route nicht kennt. Auch dort gibt es noch ein letztes Dacherl und ein Plattenstelle zu meistern, bevor man den Ausstiegsstand beim Übergang ins gestufte Gelände erreicht.
Jonas kämpft sich in L7 (7b) übers 6c-Abschlussdach hoch, das eigentlich zur Route Zyland gehört. |
Ob man es glaubt oder nicht, die Uhr zeigte inzwischen 16.30 Uhr, ganze 7 Stunden hatten wir also für die nur gerade 7 Seillängen gekämpft. Immerhin war uns das Wetter hold, denn noch immer strahlte die Sonne vom blauen Himmel. Dennoch, mit einem kühlenden Luft waren die Temperaturen immer sehr angenehm gewesen. Tja, wie schafft man es, so viel Zeit für eine solch kurze Route zu verbraten? Ich muss ehrlich sagen, dass dieses Unternehmen doch ziemlich an der Grenze unserer Fähigkeiten lag. Der Flow und das Selbstvertrauen waren leider bald weg, und erfolgte dann der Wechsel in den Modus "Hochkommen", anstatt "stilrein Klettern". Unter dem Strich konnte ich nur gerade die 6b in L5 onsighten, der Rest gelang zwar all free, d.h. die Einzelstellen waren also eigentlich schon kletterbar, aber trotzdem ist unsere B-Note klar verbesserungsfähig. Natürlich stellt sich nun etwas die Frage, ob die Route tatsächlich so schwer ist, oder ob wir einfach an diesem Tag so schlecht waren. Eine abschliessende Antwort ist schwierig, aber zwei Gedanken dazu. Die Zyland nebenan wäre bezüglich den mir a priori vorliegenden Infos als ähnlich schwer einzustufen, dort hatten wir uns aber viel, viel leichter getan. Die Schwierigkeiten dort waren geringer, viel weniger anhaltend und vor allem auch die Absicherung deutlich freundlicher. Unterstrichen wird dies für mich auch durch die Tatsache, dass ich die 6c-Crux der letzten Zyland-Länge selbst nach der Via Italia mit total leeren Armen noch problemlos meistern konnte. Klar, da war ich vor 3 Jahren schon einmal hochgeklettert, aber von der richtigen Lösung hatte ich keine Ahnung mehr. Ja eben, und diese Stelle fühlte sich für mich eben wie eine 6c an, in der Via Italia dünkte mich das meiste einfach massiv viel schwerer!
Für die Schnellen und Starken gäbe es hier oben noch Supplement: Sawiris, Rockmantic und Virus wären gut erreichbar. |
Nun, zu lamentieren gibt es nix, nur besser machen kann man es das nächste Mal - irgendwie hätte ich gerade Lust, nochmals hinzugehen und die Route sauber(er) zu klettern. Etwas erschöpft traten wir den Weg in die Tiefe an, mit 5 Abseilmanövern erreicht man bequem und rasch in einer halben Stunde wieder den Einstieg. Nachdem wir bereits dort etwas gechillt hatten, bewegten wir unsere müden Glieder erst einmal hinunter ins Biwak. Dort wollten wir im Buch nachschauen, was sich denn in der Gegend alles an Wissenswertem getan hat, und natürlich auch unsere Begehung dokumentieren. Denn oft, so vermute ich, wird die Via Italia im Angesicht ihres Anspruchs und auch durch die Tatsache der fehlenden Dokumentation ja wohl nicht begangen. Irgendwann hiess es dann aber doch Aufbrechen, raschen Schrittes liefen wir gegen die Wendenalp. Der Zeitverlust beim Klettern hatte auch seine guten Seiten: unsere Militärler hatten ihre Zielscheiben durchsiebt und die Hänge mit Blei vollgepumpt, waren aber inzwischen bereits abgezogen, so dass wir unbehelligt passieren konnten. Und bis wir Meiringen erreicht hatten, war es bereits Zeit zum Nachtessen, was wir uns an üblicher Ort und Stelle natürlich nicht entgehen liessen. Merci Jonas für den Vorschlag und fürs Mitkommen, auch wenn's heute eher eins auf den Deckel gab. Immerhin gibt das den Ansporn, weiter an seinen Fähigkeiten zu feilen.
Facts
Reissend Nollen Vorbau - Via Italia 7b (6c+ obl.) - 7 SL, 220m - M. Pitelka - ****; xxx
Material: 10 Express, 2x50m-Seile, Camalots 0.3-0.75
Sehr schöne Kletterei mit einigen tollen Seillängen in bester Wendenmanier. Bis auf die erste Seillänge, welche noch nicht das Gelbe vom Ei ist, bietet die Route tollen, rauhen und griffigen Fels. Leichte Abzüge gibt es für das nicht ganz so eindrückliche Ambiente am Vorbau, zudem hat uns die benachbarte Zyland noch etwas besser gefallen. Insgesamt gibt es gerade knapp noch vier Sterne. Die Kletterei fordert Fingerkraft, Ausdauer und Stehvermögen. Die Schwierigkeiten sind recht anhaltend und erlauben für Normalverbraucher kaum ein zügiges Durchmarschieren. Die Absicherung mit soliden, aber teilweise nicht einfach anzukletternden Bohrhaken ist vernünftig bis gut, diverse schwere Stellen sind aber zwischen den Haken zu meistern, was ein xxx mit Tendenz nach unten ergibt. Kleiner Tipp am Rande: die ersten 20m sind nicht gerade leichtverdaulich, es lohnt sich aber, dranzubleiben!
Abendliches Ambiente Richtung Titlis, Grassen und Fünffingerstöcke. Zum Glück hielt das Wetter, die Gewitter kamen erst in der Nacht. |
Die Route wurde in den Führerwerken vom SAC und dem Filidor-Verlag bisher nie erwähnt, nur im Auswahlführer "Klettern in der Schweiz" von Matteo Della Bordella findet sich eine knappe Erwähnung mit eingezeichneter, ungefährer Linie, aber ohne Topo. Ausgestattet mit einem knappen Begehungsbericht von obsig.ch und einer im Biwak aufgefundenen Skizze mit (falschen) Schwierigkeitsangaben begingen wir die Route. Soweit ich weiss, wurde sie von Michal Pitelka eingerichtet. In welchem Jahr, ist mir unbekannt. An den meisten Ständen, sowie auch bei einigen Zwischenhaken stecken daneben auch alte, abgebrochene Dübel. Möglicherweise ist die Route schon älter und wurde vor einigen Jahren saniert. Ich habe darum ein Topo gezeichnet, das man auch als PDF runterladen kann.
Wenden Breakdown
Animiert von der Frage "gibt es denn an den Wenden überhaupt noch Routen in deinem Schwierigkeitsgrad, die du noch nicht kennst" habe ich die Routen einmal sortiert. Die Via Italia war meine 23. Route am Massiv, konkret umfasst die Liste (nach Datum absteigend) die folgenden Touren:
Via Italia, Ben Hur, AHV, No Name, Dragon, Zyland, Strada del Sole, Blaue Lagune, Todo o Nada, Passion, Legacy, Sternschnuppe, Inuit, Lancelot, Voie de Frère, El Condor, Millenium, Excalibur, Painkiller, Caminando, Spasspartout, Patent Ochsner, Sonnenkönig.
Im SAC-Artikel von Peter von Känel sind am ganzen Massiv 95 Routen aufgelistet. Grundsätzlich gibt es also noch etwas Luft, auch wenn diverse dieser Routen entweder noch Projekte sind, aufgegebene Routen (z.B. Lupus), irgendwelche obskuren Routen, die man auch nicht wirklich wiederholen will (z.B. Lochstreifen), auch bei grossem Optimismus zu schwere (z.B. Zahir) oder dann solche die nicht begangen werden bzw. keine Infos vorliegen (z.B. Werwolf). Nun also zuerst die Liste von Routen, wo ich mir selber einen Komplettvorstieg zutraue, d.h. die sich auf meiner Projektliste befinden (Seilpartner willkommen!!!).
Milchsuppe, Kooianisquazi, Vreneli, Torwächter, Gory, Stars Away, Hodler George, Zonda, Wendenvögel, Niagara, Elefantenohr, Paco, Aureus, Charia, Querschläger, Pitelka/Eggler Nr. 64, Las Aguas del Inferno, Imax, Imago, As de Coeur, Sawiris, Affennase, Nachtexpress, No Festa, Rockmantic, Gross/Keusen, Planète Mathilde, L'Herbe à Tonton.
Das sind doch immerhin 28 Stück und damit mehr, als ich bisher begangen habe. Somit reicht es also noch für ein paar Jahre, und es sind noch ein paar grosse und schöne Herausforderungen mit dabei. Natürlich würde ich mich auch sehr freuen, noch das eine oder andere noch anspruchsvollere Testpiece zu begehen. Dort heisst es dann aber Vorsteiger willkommen, da mir diese Routen vermutlich im Vorstieg zu schwierig sind. Vielleicht kommt ja mal jemand mit in...
Zyklopenauge, Gemini, Squaw, Letzter Mohikaner, Transocean, Troja, Indian Summer, Andorra, Jednicka, Hakuna Matata, Batman, Trash, Tsunami, Dingo, Virus.
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