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Donnerstag, 22. Oktober 2020

Graue Wand - Toggel (6c)

Über die 1984er-Route 'Toggel' der Remy-Brothers an der Grauen Wand war lange Zeit nicht viel in Erfahrung zu bringen. Der SAC-Führer Urner Alpen 2 von 1996 wartete mit den lapidaren Bemerkungen "Superroute, zweite SL psychisch anspruchsvoll" auf. In neueren Topos wurde der Toggel dann gar nicht mehr aufgeführt. Nach dem Wenigen, das man vernehmen konnte, handelt es sich allerdings tatsächlich um ein haariges Unternehmen. Bewegung in die Sache kam dann mit meiner Begehung vom benachbarten Eisbrecher anno 2015. Da konnte ich beobachten, dass eine Sanierung im Gang war. Schliesslich erreichte mich die Kunde, dass jene im 2019 abgeschlossen wurde, womit der Toggel sofort Aufnahme in meine Shortlist fand. Wie sich im Rahmen unserer Begehung zeigte, absolut zurecht. Es handelt sich wirklich um Granitklettern auf Weltklasse-Niveau, absolut genial! Einzig die Art und Weise wie die Route saniert wurde ist beschämend, ja fast schon skandalös - mehr dazu dann weiter unten.

Die imposante Graue Wand mit dem Verlauf der Route Toggel (10 SL, 6c).

Nachdem ich am Vortag in der Gletschersinfonie am Wellhorn schon einen perfekten Klettertag erlebt hatte, entschlossen wir uns "zum Ausklettern" noch dem Toggel einen Besuch abzustatten. Das entpuppte sich als ein genialer Schachzug, denn die Route war so genial, dass sie nun nicht einfach ein Anhängsel zum Wellhorn ist, sondern gleich ein erneutes Highlight darstellt. Toll auch, dass die beiden Routen solch unterschiedliche Charaktere aufweisen. Nur in einem Punkt hatten wir uns verschätzt: auf dem rudimentären Topo waren 9 Seillängen annotiert, mit nur einer 6c und ein paar Seillängen im Bereich 6ab tönte das nach "easy going". Das war jedoch ganz und gar nicht der Fall, warten sollte schliesslich durchwegs fordernde Granitkletterei, lange Seillängen, komplexe und komplizierte Moves, die vollen Einsatz erforderten. Aber das war ganz gut so, auf diese Weise konnte gar keine Müdigkeit aufkommen, Körper und Geist hatten stets vollkommen präsent zu sein.

Im Zustieg lag noch viel Schnee. Bis hinauf unter die Wand ist das schon ein wenig hinderlich und mehr zeit- bzw. kraftraubend, der Schlussteil ist hingegen bei Ausaperung unangenehm. Kein Foto gemacht haben wir leider von der alpinen Passage zum Sattel mit dem Einstieg.

Ein wenig Schlaf zur Erholung schien aber absolut ratsam, so brachen wir um ca. 8.45 Uhr vom Tätsch (Taxe 7 CHF pro Tag, in Münzen an Automat zu bezahlen) auf. Aus älteren Berichten entnehme ich, dass wir auch schon in nur einer guten Stunde zum Einstieg der Conquest gegangen waren. Dieses Mal kam mir die Strecke aber durchaus länger vor: einerseits waren die Beine schon etwas müde, an den Füssen waren die Bergschuhe, einige Schneefelder galt es bereits im unteren Teil zu queren und aber der Hütte lag dann eine noch fast geschlossene Schneedecke. Das Weiss war immerhin kompakt und gut zu gehen. Für den steilen Schlussaufstieg durchs Couloir hinauf montierte ich dann die Steigeisen - bei dem weichen Schnee wäre es vorerst wohl noch ohne gegangen, aber ein Ausrutscher käme da bereits teuer zu stehen. Nach einem Intermezzo in felsigem Gelände am Einstieg der Niedermann vorbei versperrte schliesslich ein steiler Schneepropf den Zugang zum Sattel, wo Toggel, Accept und Eisbrecher beginnen. Hier wäre es ohne alpine Ausrüstung (Steigeisen, Pickel) definitiv sehr gefährlich gewesen. Nach all diesen Herausforderungen (rund 1:30h Gehzeit) und einer Pause mit den üblichen Vorbereitungen starteten wir um 10.30 Uhr mit der Kletterei.

L1, 40m, 6a+: Auf los geht's los! Der Einstieg befindet sich wenige Meter unterhalb des Sattels auf der Westseite und bringt die Crux der Länge gleich am ersten Bohrhaken mit einem kurz kniffligen Zug in Wandkletterei. Bald folgt eine lange und im Wesentlichen einfache Linkstraverse. Mittig ist eine Stelle jedoch für den Nachsteiger sehr heikel gesichert. Gleich nach dem Aushängen folgt eine balancy 5c-Stelle, wo ein 15m-Pendler mit Aufprall auf ein geneigtes Band droht. Hier darf der Vorsteiger keinesfalls bloss die Bolts klippen, es gibt nach der heiklen Stelle ein gutes Placement für einen Cam 0.4 oder 0.5.

Die ersten Meter der Route haben es gleich in sich... (L1, 6a+).

L2, 40m, 6b: Aus dem Stand raus gleich zum Bohrhaken, der auf dem Remy-Topo fehlt und daher für etwas Verwirrung in der Linienwahl sorgt. Man könnte wohl gleich nach links abzweigen, der Toggel nimmt aber tatsächlich die logische Linie den selbst abzusichernden Rissen und Schuppen gerade hinauf. Prima Kletterei, es kommen dann schon wieder Bolts. Zum Abschluss dieser Risse fordert dann eine vermutlich ziemlich grössenabhängige Wandstelle. Damit nicht genug, es steht noch eine feine, technische Querung in die links ansetzende Verschneidung an. Mit ziemlich kniffligen und auch etwas kühnen Moves folgt man dieser zum sackunbequemen Hängestand - eine richtig coole Seillänge!

Geniale Perspektive auf die auch nach der Sanierung immer noch ein wenig kühne L2 (6b).

L3, 35m, 6a+: Der Blick nach oben lässt hohe Schwierigkeiten vermuten, doch die Sache löst sich einfacher auf wie befürchtet. Gleich aus dem Stand raus haben die Moves eher Wandkletter-Charakter und bieten die forderndste Stelle der Länge. Nachher geht es bald etwas gemässigter voran und schliesslich in die nun wieder ausgeprägte Verschneidung hinein. Diese bietet schön scharf geschnittene Risse an, wo genussvoll und teils selber absichernd in die Höhe geturnt werden darf.

Verschneidungskletterei am Ende von L3 (6a+) über der grossen Schnee-Landebahn.

L4, 45m, 6b: Es folgt ein sehr abwechslungsreicher und taffer Abschnitt! Die Route führt nach rechts, wo nach den ersten, noch einfachen Metern eine knifflige Querung in Wandkletterei folgt. Der Bolt steckt tiefer, als man die einfachste Kletterlinie vorerst vermutet... traut man da seiner Intuition oder setzt man doch auf die möglicherweise schwierigere, aber psychisch angenehmere Variante einer tieferen Querung? Ich halte mich hier mit Ratschlägen zurück, meine Lösung fühlte sich sackschwer an und ich entging nur knapp dem Abschmieren, d.h. habe die Passage möglicherweise nicht optimal erwischt. Einmal drüben, folgt ein erst griffiger Riss (bleibt länger feucht!), der sich aber schliesst und zu einer dachartigen Verschneidung führt. Auch hier will die Lösung entschlüsselt werden, wie man sich aus dem wegdrehenden Piaz unterhalb ob der Kante etablieren kann. Einmal geschafft, geht's kurz etwas leichter voran, bis einem kurz vor Ende eine popelig aussehende Stelle mit dem Haken unter den Füssen nochmals challengt. Nein, ohne den Untergriff, den miesen Sloper und entschiedenem, plattigen Antreten kriegt man die griffige Schuppe nicht zu fassen, auch wenn man es sich anders wünschen würde.

In L4 (6b) muss man parat sein: am Anfang, in der Mitte und auch am Ende nochmals...

L5, 20m, 6a+: Obwohl es in den Topos nirgendwo so dargestellt ist, verläuft diese Seillänge im Wesentlichen gleich wie L6 von Eisbrecher. Die plattige Wandstufe bietet halt eben nur direkt oberhalb des Toggel-Standplatzes genügend Struktur, um moderat schwierig darüber hinwegzukommen. Im Eisbrecher-Originaltopo wurde dieser Abschnitt mit 7+ (6b+/6c) eingeschätzt, die Remys geben hier nur eine 5c für dieselben Moves aus. Die Wahrheit liegt wohl dazwischen im Bereich von 6a+. Einmal über der Stufe, geht's nicht an die vor der Nase liegende, schöne Inox-Standkette vom Eisbrecher, sondern auf dem Band nach links leicht absteigend zum Toggel-Stand.

L5 von Toggel (ca. 6a+) verläuft im Wesentlichen gemeinsam mit L6 von Eisbrecher. Man sieht auch eine Seilschaft, welche in der nachfolgenden L7 vom Eisbrecher engagiert ist. Toggel quert hingegen links um die Ecke, der weitere Verlauf ist auf diesem Foto nicht gut einsehbar.

L6, 45m, 6b+: Eine absolute Monster-Länge, voll genial! Mit einem kleinen Abkletter-Loop erreicht man in schwieriger Wandkletterei die Kante links - der hier steckende Bolt nützt als Sicherung nicht viel und hilft höchstens für A0, auf jeden Fall sollte man ihn um Seilzug zu vermeiden wieder aushängen, wenn man einmal drüben ist. Die Kante gehört eigentlich zu einer v-förmigen Verschneidung. Knifflig arbeitet man sich mit allerlei Techniken (Piaz, Knieklemmer, Ellbogenklemmer, Squeeze, Spreizen, Wand links und rechts) in die Höhe. Wirklich eine unglaublich komplexe und komplizierte Sache! Die ersten 2 Bolts stecken rechts oberhalb der Verschneidung, die nächsten 2 links in der Wand, dann findet man sie wieder rechts... das macht es nicht einfacher und es erfordert auch, dem Seilverlauf genaue Beachtung zu schenken. Die Kante ist teils extrem scharf und könnte bei einem Sturz sicherlich auch einen Seilriss verursachen, wenn die Seilführung ungünstig ist. Nach dieser ersten Verschneidung klettert man dann nach rechts und kann kurz etwas durchschnaufen. Das ist auch nötig, weil die nun ansetzende, zweite Verschneidung nochmals eine Herausforderung ist. Auch hier ist vom Squeeze über Faustklemmer im Riss zu Spreizen und Wandmoves nochmals die gesamte Palette gefordert - der letzte BH steckt ~12m vor dem Stand, man sollte unbedingt noch ein paar Cams auf Reserve haben (den 0.5er konnte ich an entscheidender Stelle perfekt platzieren).

Schwierige Verschneidungen erfordern in L6 (hart 6b+) allerlei Techniken.

L7, 45m, 6c: Der Blick ins Topo und nach oben (oder umgekehrt) lässt einen leer schlucken. Es wird steiler und ja offenbar nochmals schwieriger... wie man diese Herausforderung wohl bewältigt?!? Gleich vom Stand weg folgt schwierige Wandkletterei - mit 2 BH zwar gut gesichert, aber im Sturzfall ist die Sicherungsperson trotzdem in Schusslinie. Danach gilt es dann wieder einmal, eine dachähnliche Verschneidung zu überqueren. Das konnte man ja bis zu diesem Zeitpunkt schon ein paar Mal praktizieren - und hilft hoffentlich, diese nun nochmals schwierigere und athletischere Stelle zu meistern. Mit meinem letzten Reserven klammerte ich mich fest, die Kräfte schwanden und der Abgang schien unvermeidlich... in letzter Hoffnung setzte ich alles auf eine Karte und plötzlich löste sich die Stelle auf. War es nun wirklich so schwierig?!? Wer weiss... Jedenfalls, nach dieser Passage erreicht man ein bequemes Band und damit ist die Route geknackt. Es warten auch danach noch sehr schöne und auch nicht ganz triviale Kletterstellen, aber so richtig über eine längere Strecke hart ist es nirgends mehr. Gleich oberhalb vom Band folgt ein griffiger Piazriss - zwar gut gesichert, aber das Band im Sturzraum bleibt (ohne Sichtverbindung zur Sicherungsperson) heikel. Am Ende des Risses kurze, fordernde Rechtstraverse, bevor man in einfacherem, rissig-gestuftem Gelände zur gut sichtbaren Inoxkette klettert. Auch dieser Stand (und die letzten Meter der Seillänge) verlaufen gemeinsam mit dem Eisbrecher und zwar dessen L9. Dieser Sachverhalt ist zwar in keinem Topo so beschrieben oder eingezeichnet, stimmt aber unzweifelhaft. Lustigerweise haben die Remys ja zwischen Toggel und Eisbrecher noch Platz für die Route Artilium gefunden - wo diese genau durchführt, hat sich mir bisher aber noch nicht im Detail erschlossen.

Zwar nicht mal senkrechte, aber trotzdem sehr athletische Kletterei folgt nach diesem Spreizer in L7 (6c).

L8, 40m, 6a: Zuerst an schuppigen Griffen über die Steilstufe hinauf (BH), auch dieses Stück verläuft gemeinsam mit dem Eisbrecher. Jener führt dann gerade hinauf in den cleanen Riss, während Toggel auf einem schmalen Felsband nach links führt (2 BH gut sichtbar). Schliesslich steigt man einem Riss folgend in genussvoller, nicht allzu schwieriger Kletterei hinauf (es stecken nochmals 2 BH), wobei die Sache nach und nach anzieht. Der Stand schliesslich steckt am rechten Risssystem, es will also noch dahin gewechselt werden. Auf welcher Höhe man das optimalerweise vollzieht, bleibt sowohl anhand der Topos wie auch aufgrund unserer Erfahrung unbekannt (verschiedene Lösungen führen zum Ziel).

Super Granitkletterei, coole Perspektive in L8 (6a).

L9, 40m, 6b: In der Wand links der Verschneidung geht's hinauf, Struktur und ein paar Risse helfen beim Vorankommen, die Verschneidung selber muss man vorerst nicht bemühen. Allerdings scheint dann der Abstand zum 2. BH sehr weit und um mobil zu sichern sieht's vorderhand auch etwas mau aus. Allerdings (und dieses Placement sollte man nicht verpassen) gibt's direkt an der Kante der Verschneidung einen sanduhrmässigen Zacken, wo man ideal eine Schlinge legen kann. Oberhalb dieser ersten Wand dann etwas nach links zu einer Schuppe (BH & mobil zu sichern), um dann erneut links steile, aber unglaublich griffige, dafür etwas hohl tönende Risse/Schuppen zu gewinnen, welche einen in leicht überhängender Kletterei auf das diagonal verlaufende Standband bringen. In dieser Seillänge wurde die Passage bei der Sanierung wohl neu gelegt. Die alten Topos schlagen eine tiefere Bewertung vor, welche mehr rechtsrum wohl auch zu finden wäre. Es stecken aber genügend  BH, um den heute angedachten Verlauf nachvollziehen zu können. Die 6b dünkte mich im Vergleich zu anderen Seillängen (v.a. L4, L6) doch deutlich softer - passt aber eher zu den heutigen Einschätzungen. Weiterer Hinweis: wie in manch anderer Seillänge gilt es auch hier den Seilverlauf mit langen Exen und/oder Halbseiltechnik zu optimieren, sonst bremst man sich aus.

Grosszügige Kletterei erster Güteklasse mit einem steilen Finish wartet in L9 (6b).

L10, 20m, 6a: Die Abschlusslänge ist zwar kurz, bietet aber nochmals senkrechte und absolut tolle Granitkletterei à la Chamonix. An henkligen Rissen und Schuppen geht's in traditioneller Manier mobil absichernd ganz gut voran (Cotation Chamoniarde wäre hier wohl IV). Ganz am Ende kommt dann aber noch ein BH, denn da wartet noch ein "moderner" Kletterzug, der die 6a-Bewertung durchaus rechtfertigt. Der Stand befindet sich unmittelbar darob am Grat auf der Rückseite.

Sehr steil an super-griffigen Schwarten ist die letzte Seillänge (L10, 6a).

Um 16.15 Uhr und damit nach 5:45h Kletterei waren wir hochzufrieden am Top angelangt. Da waren wir also doch eine ganze Weile beschäftigt - länger auch als ich im Vorfeld aufgrund des Topos gedacht hätte. Doch die Schwierigkeiten sind über längere Strecken anhaltend, die Kletterei ist oft komplex und kompliziert und Gelände um einfach durchzumarschieren gibt es wenig. Weiter muss zusätzlich mobil abgesichert werden, was aber auch nicht immer perfekt und à discretion möglich ist, d.h. die Wahl der Placements und das Legen von zuverlässigen Sicherungen frisst wie das Rearrangieren vom typischerweise ausgeschossenen Rack immer Zeit in Anspruch. Aber die Begehungszeit ist natürlich (ausser für Planungszwecke) völlig egal (mir persönlich jedenfalls)! Was zählt, ist die geniale Kletterei und die Tatsache, dass mir die ganze Route onsight/flash gelungen war.

Ausblick vom Top der Route auf die Dammastock-Kette.

Am Top gab es nicht viel zu tun und so fädelten wir unsere Seile in den Stand und glitten in die Tiefe. Beim ersten Abseiler lassen sich auch mit 50m-Stricken die Abschnitte 9 & 10 (knapp!) verbinden und das Seil fällt aufgrund der Steilheit schön selbständig in die Tiefe. Doch das war es dann in etwa mit den Abseilfreuden. Da der Toggel im Routenverlauf beständig etwas nach links quert, muss in der Folge stets diagonal abgeseilt werden, um den Sattel beim Einstieg wieder zu erreichen. Wir wechselten beim zweiten Abseiler auf die besseren Kettenstände des Eisbrechers, sowieso käme man via Toggel im unteren Teil nicht mehr zum Sattel zurück. So gab es dann zahlreiche, stark diagonal verlaufende Abseilmanöver. Die griffigen Schuppen, welche die Kletterei an der Grauen Wand so toll machen, erwiesen sich hier als entscheidender Nachteil - sie frassen beständig das Seil, so dass viel Pflegen und nach dem Abziehen auch 2x ein Wiederaufstieg zum Befreien nötig war - insgesamt ein ziemlicher Figg! Immerhin, nach 9 Manövern waren wir wieder am Sattel bei Schuhen und dem deponierten Material und konnten auch gleich noch über den Schneepropf am Sattel abseilen. Vorsichtig stiegen wir durch das felsige Couloir mit viel losem Geröll ab (tw. marode Fixseile), dann über den aufgeweichten Schneehang hinunter. Hier konnte die Anspannung nun abfallen. Dank der tollen Stimmung, spannenden Diskussionen und dem Gefühl eine Hammerroute geklettert zu haben, fielen die inzwischen reichlich müden Beine auf dem Rückweg zum Tätsch nur wenig ins Gewicht.

Gedanken zur Sanierung

Die Route wurde ja von Yves Remy persönlich "saniert", wobei es höchst fragwürdig ist, was da geleistet wurde. Konkret wurden 40 Bolts hinzugefügt - an fast jedem Standplatz einer, die meisten (ca. 30) anderen an Kletterstellen, wo vorher nichts war. Natürlich steht es den Erstbegehern frei, ihre Route im Charakter zu verändern und ich kann auch attestieren, dass diese Zusatzbolts sinnvoll gesetzt sind und ich sie eigentlich auch in den allermeisten Fällen als nötig empfand. Die Route ist auch in diesem neuen Zustand noch immer anspruchsvoll und muss zusätzlich mobil abgesichert werden - total Psycho-Stellen oder gefährliche Sequenzen gibt es aber kaum mehr. Keine Kritik bzgl. dem Nachbohren also.

Verzinkter Einschlaganker mit Alteisen-Lasche, anlässlich der Sanierung 2019 gesetzt.

Äusserst fragwürdig ist aber das eingesetzte Material und das Belassen der alten Ware. Es wurden durchwegs verzinkte Anker eingesetzt, die im Granit der Grauen Wand demnächst wieder korrodieren werden. Die Laschen ein Mischmasch aus Alteisen, neue Ware verzinkt oder rostfrei, diverse verschiedene Fabrikate - ganz klar ungenügend. Überall dort, wo bereits bei der Erstbegehung BH gesetzt wurden, wurde einfach die alte Ware belassen. D.h. konkret, dass man sämtliche Schlüsselstellen (teils auch längere Abschnitte) nach wie vor an den handgebohrten M8-Spits von 1984 klettert. Auch an den Standplätzen steckt überwiegend Antikes, einzig mit belassenen, ausgedienten Alu-Karabinern, wo das Schraubgewinde mit dem Hammer unbrauchbar geschlagen wurde, wurden diese bei der Sanierung "aufgebessert".

M8-Spit mit Petzl-Alulasche ("Colalasche"). Anscheinend stammen diese Bolts aus dem Späleo-Bereich und waren gar nie zum Klettern gedacht. Sicherlich genügen sie heute, d.h. 36 Jahre nach der Erstbegehung, nicht mehr wirklich zum Klettern. Sämtliche Schlüsselstellen im Toggel müssen aber über solchen Haken geklettert werden...

In Summe also: die Route ist super, wirklich sehr empfehlenswert, das Vorgehen bei der Sanierung dilettantisch, ja eigentlich skandalös. Und es handelt sich ja nicht etwa um namenlose Amateure, sondern um eigentliche "Erschliesser-Profis" und Ehrenmitglieder des SAC... ich habe diesen Text unmittelbar nach unserer Begehung auf Facebook geteilt mit der Bitte um Stellungnahme und Diskussion. Die Meinung dazu war einhellig, dass es "so nicht geht" und man dieses Treiben eigentlich als Felsverschandelung bezeichnen muss.

Verzinkter Einschlaganker mit korrodierter, verzinkter Fixé-Lasche. Ich kann es natürlich nicht beweisen, bin mir aber ziemlich sicher, dass es sich nicht um eine neue Lasche handelt, welche hier vor Ort korrodiert ist, sondern um ein bereits korrodiertes Exemplar, das anderswo entfernt wurde und dem hier ein neuer Einsatzzweck angedacht wurde... :-/

Facts

Graue Wand - Toggel 6c (6b+ obl.) - 10 SL, 370m - C. & Y. Remy 1984, saniert 2019 - *****;xxx
Material: 2x50m-Seile, 12-14 Express, Camalots 0.2-3, evtl. 0.3-1 doppelt und/oder Keile

Top-Granitkletterei, vorwiegend steil durch Verschneidungen, an griffigen Schuppen und über einige Wandstellen. Granittypisch ist die Route anspruchsvoller, wie die eher tiefen Bewertungen vermuten lassen. So ist auch schon im Grad 6b+ reichlich Einsatz gefragt und der Vorsteiger muss durchaus etwas auf dem Kasten haben, um hier durchzukommen. Der Anspruch vom Toggel ist m.E. höher wie im auf den Topos ähnlich bewerteten Eisbrecher oder auch der Conquest. Seit der Pseudo-Sanierung im 2019 stecken nun überall Bohrhaken, wo diese nötig sind. Leider sind manche davon von zweifelhafter Qualität. An vielen Stellen muss nach wie vor mobil abgesichert werden, ein volles Rack muss auf jeden Fall mitgeführt werden. Ein mässig präzises Topo zur Route findet man auf C2C.  

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