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Dienstag, 23. Februar 2021

Ski & Fly: Wannengrat (1881m) & Brüschbüchel (1817m)

Eigentlich müsste man in dieser Wärmeperiode früh auf und hoch hinaus, wenn man auf Skitour wollte. Doch was, wenn aufgrund von vielen Verpflichtungen nur gerade ein Nachmittag zur Verfügung steht?!? Ja, ohne mein Flug-Zeug im Gepäck wäre ich wohl nicht auf die Idee gekommen, es entgegen aller Vernunft doch mit einer Tour im Klöntal zu probieren, zum "Lumpensammeln" an bisher verschmähten, kleinen Gipfelchen. Naja, das tönt jetzt fast nach einer Verzweiflungstat, herausgekommen ist aber ein tolles Erlebnis mit vielem, was einen schöne Bergtour ausmacht.

Welche eine fantastische Stimmung über dem Schwialppass!

Ein paar Minuten nach 15 Uhr startete ich in Hinter Richisau (1135m). Es liegen dort noch ca. 60cm Schnee, dem es aber bei diesen warmen Temperaturen zügig an den Kragen geht. Über die Gampeleggen lief ich auf kompaktem Schnee zur Unter Schwialp, einzig der folgende, steilere Hang war im Aufstieg aufgrund von faulem Schnee kurz etwas mühsam zu begehen. Auf der Mittler Schwialp öffnet sich das Gelände, die Spuren leiteten alle direkt zum Brüschbüchel. So zog ich meine eigene Linie über die flachen Böden der Brüschalp in wunderschöner Stimmung durch monochromes Licht der von Saharastaub getrübten Nachmittagssonne. Noch vor dem Schwialppass zweigt man rechts ab und steigt über attraktive Rücken hinauf zum Wannengrat, ich kam in einen richtigen Flow! Nach gut 90 Minuten war ich am Gipfel, den ich auf meiner Wägital-Rundtour untenrum umgangen hatte. Eine Pendenz erledigt, könnte man sagen. Allerdings lohnt sich dieses zentral gelegene Gipfelchen dank seiner Rundumsicht ins Wägital, das Pragelgebiet und den Glärnisch durchaus. 

Quel touriste! Aber der Portrait-Modus bei meinem neuen Smartphone wollte einmal getestet sein.

Im Aufstieg wurde mir Gewahr, dass der Schnee wohl feucht, aber eben auch kompakt und ohne Deckel war. Mein initialer (Sumpfschnee-)Plan bestand darin, vom Wannengrat gleich mit den Fellen hinüber zum Brüschbüchel zu wechseln, um dort dann einen Abflug zu machen. Aber die Gelegenheit, auf einem dieser Rücken noch eine schöne Spur mit Kurzschwüngen zu ziehen, konnte ich dann doch nicht auslassen. Klar, fluffiger Pulver war das nicht, aber doch echt lässiges, genussvolles Skifahren - hätte ich aus der Ferne nie so erwartet. Bei der Brüschalp kamen meine Bretter erst einmal zum Stehen. Klar, von hier hätte man nun auch ins Tal abfahren können, das wäre wohl nicht mehr ganz so genussvoll, aber  sicher nicht die grosse Qual gewesen. Aber ich "musste" ja noch auf den Brüschbüchel und mit dem Gleitschirm ins Tal fliegen, also montierte ich wieder die Felle.

Idealer Startplatz (alle Richtungen möglich) am Brüschbüchel.

Über weitere 250hm stieg ich diesem aufs Haupt und war gerade noch rechtzeitig da, bevor sich die Sonne hinter den Sihltaler Gräten verstecken wollte. Der Vorteil vom Brüschbüchel als Gleitschirmberg ist definitiv, dass man in quasi alle Richtungen starten kann. Von Starkwind und sonstigen Unbillen einmal abgesehen, sollte da also nichts anbrennen. Wobei kein einziger Luftzug ging und ich somit die Qual der Wahl in Sachen Absprungrichtung hatte. Bald war ich in der Luft und konnte gemütlich zurück zum Ausgangspunkt gondeln, ein paar Minuten vor 18 Uhr landete ich unmittelbar neben dem Auto. Ja, mit minimalen Erwartungen war ich heute gestartet, doch mit einem schönen Aufstieg mit selbst angelegter Spur in interessantem Gelände, Bergeinsamkeit abseits der Zivilisation am Schwialppass, wunderschönen Monochrom-Stimmungen in der Saharastaub-Luft, einer wirklich lohnenden Skiabfahrt, zwei erstmals besuchten Gipfeln und einem gelungenen Gleitschirmflug wurde ich sehr üppig entschädigt.

Ha, bei mir ist langsam auch Ende 40 ;-) Der Windsack aus alten Tagen leistet bei solchen Gelegenheiten immer noch und immer wieder gute Dienste. 

Facts

Hinter Richisau - Brüschalp - Wannengrat - Brüschalp - Brüschbüchel
Ca. 1000hm Aufstieg, Ski-Schwierigkeit WS, 2 kurze Passagen 30 Grad auf 20-40hm

Mittwoch, 17. Februar 2021

Eisklettern im Tösstal (Vol. 2021)

Dieser Beitrag kommt mit Verspätung... zeitlich sind 3 Tage zwischen Aktivität und Publikation zwar nicht sehr viel, aber gefühlt hat sich da schon wieder eine Menge getan. Diese kurze Zeitperiode hat gereicht, um die Wiese vor der Haustür von skifahrbar zu grün zu machen und das gesamte Eis im Tösstal den Bach hinunter zu senden. Interessant ist, dass es vor genau einer Woche ebenfalls noch grün und warm war. Dazwischen liegt eine Mini-Eiszeit von gerade einmal ein vier Tagen, während welcher sich im Tösstal kletterbare Bedingungen einstellten.

Larina in Swandive (WI5), die doch schon ein paar Meter senkrechte Kletterei erfordert.

Ob ich an diesem grandiosen Winter-Weekend, während welchem auch Top-Skitourenbedingungen herrschten, wirklich wieder einmal im Eis im Tösstal geklettert wäre (das letzte Mal liegt doch schon 3 Jahre zurück), wenn nicht die Anfrage vom Tages-Anzeiger gekommen wäre, das steht in den Sternen. Doch Helene, Reporterin bei einer der grössten Tageszeitungen der Schweiz, hatte mich mit ein paar Tagen Vorlauf gefragt, ob man am Weekend in der Tössscheidi Eisklettern könnte. Ich war etwas unsicher, vermutete aber doch, dass sich machbare Bedingungen ergeben würden. Schliesslich trat dann die Frage auf den Plan, was für eine Story man daraus konstruieren könnte... tja, das wusste ich auch nicht so genau, das Resultat bestand einfach darin, dass der nicht im Skisprung-Trainingsweekend weilende Teil der Familie Reporterin und Fotografin am Sonntag in die Tössscheidi begleiten würde.

Gut vorbereitet ist halb geklettert... Tooly-Session daheim an der Wand.

Zuerst allerdings ging ich vorsichtshalber am Samstag Abend nach der Skitour noch nachschauen - für mich zum Glück per Bike machbar. Es war zwar alles noch dünn und fragil, doch zum Klettern würde man sicherlich etwas finden - insbesondere da nochmals eine extrakalte Nacht mit zweistelligen Minusgraden folgen sollte. So war es dann auch. Den Zustieg ins Gebiet muss man sich im Moment allerdings etwas verdienen, Parkmöglichkeiten gibt's derzeit nur beim Skilift Steg, alles weiter hinten befindet sich entweder im Park- oder im neuerdings auch wochentags gültigen Fahrverbot. So heisst es entweder, nochmals 20 Minuten zusätzlichen Fussmarsch einzukalkulieren (Zustieg total dann ca. 1h) oder ein Bike mitzubringen.

Dieses Bild ist ein wenig Off-Topic, stammt aber auch von diesem Weekend. Denn neben Eisklettern und Training blieb schon auch noch Zeit, um die grandiosen Tourenbedingungen zu nutzen. Dies nicht für Berge mit klingendem Namen, aber klein ist eben auch fein, insbesondere mit dem Privileg von First Line anstatt von Massenandrang.

Wie schon erwähnt, das Eis hatte über Nacht nochmals deutlich aufgebaut, so dass doch die meisten der klassischen Möglichkeiten begehbar waren. Einige wenige Linien waren sogar schon im Vorstieg safe (d.h. mit genügend und soliden Schrauben) machbar. Oder, und das ist ja der grosse Vorteil an diesem Gebiet, natürlich auch im Toprope. Wobei in der vergangenen Jahren im Zuge von Holerzarbeiten manch ein Baum gestutzt wurde, so dass ein zusätzliches Verlängerungsseil für etliche Touren durchaus vorteilhaft ist. Neben uns waren übrigens auch noch 2-3 weitere Seilschaften im Gebiet, welche sich eine dieser rarer und rarer werdenden Gelegenheiten nicht entgehen lassen wollten.

Sieht doch schon ganz ordentlich aus - schöne Kompakteisstufen zum Einstieg.

Den Auftakt machten wir in moderat schwierigem Gelände, Kathrin und Larina waren ja schliesslich schon eine Weile nicht mehr in diesem Metier aktiv gewesen. Bzw. im Falle von Larina handelte es sich mehr um ein Schnuppern bei früheren Tössscheidi-Besuchen vor doch auch schon wieder 4-5 Jahren (siehe hier und da). Immerhin, pflichtbewusst und smart hatte sie sich entschieden, daheim zuerst noch eine Drytool-Session einzulegen. Dazu musste ich aber auch zuerst die entsprechenden "Griffe" an unserer Wand wieder montieren. Tja, die Kletterei mit den Geräten in Eis und Fels ist auch bei mir etwas in den Hintergrund gerückt, was vermutlich nicht nur am globalen Klimawandel liegt, sondern auch noch andere Gründe hat.

Quelle: Frontseite Tages-Anzeiger am 15.2.2021

Auf jeden Fall, nach drei Routen waren die Fotos im Kasten und alle Notizen gemacht, d.h. wir verabschiedeten die beiden Reporterinnen vor Ort. Unsereins kletterten wir noch ein wenig weiter. Wobei die Sonne das enge Tal in den frühen Nachmittagsstunden definitiv verlässt, was eindeutig zu Lasten von Ambiance und Temperatur ging. So hatten wir nach einer Weile auch genug, schwangen und auf die Räder und düsten im Nu zurück nach Steg. Es verblieb noch Zeit, um die Beine auf einer schönen Züri Oberland Skitour zu vertreten (möglicherweise ja auch eine Saison-Letztbegehung) und dann gespannt auf den Artikel zu harren. Um 18.30 Uhr traf der Entwurf bei mir ein - faszinierend, dass die Endversion schon am folgenden Morgen um 6 Uhr gedruckt im Briefkasten lag! Sogar auf die Frontseite hatten wir es geschafft - natürlich der Verdienst der beiden Reporterinnen, die hier den richtigen Riecher hatten und den Zeitpunkt genau getroffen haben. Herzlichen Dank den beiden für den lässigen Tag und die tolle Zusammenarbeit. 

Quelle: Tages-Anzeiger vom 15.2.2021

Mittwoch, 10. Februar 2021

Skitour Jörihorn (2844m) & Gorigrat (2872m)

Ja, manchmal braucht es das einfach! Nachdem anhaltender Regen bei uns daheim die gesamte Schneedecke weggewaschen hatte, sich die Sonne schon länger nicht zum Vorschein gekommen war und wir outdoor nur gerade ein paar Kletterrouten in eher marginalen Bedingungen hatten machen können, ergab sich ein kleines Fenster für eine Skitour. Die Schnittmenge von mit Sicherheit sonnigem Himmel, gutem Pulverschnee und relativer Erreichbarkeit konvergierte auf die Region am Flüelapass.

Manchmal braucht's eine Dosis... Sonne, blauer Himmel, glitzernder Pulver und Bergeinsamkeit.

Nachdem ich erst noch einige Arbeitsstunden leisten musste, lief ich um 12.45 Uhr bei der Barriere (P.1964m) etwas oberhalb vom Tschuggen los. Um meine Wünsche nach etwas Vitamin D Auffrischung auch wirklich zu erfüllen, empfahl sich eine Tour über die SW-Hänge im Gebiet - dank Schneefall am Vortag und tiefen Temperaturen lockten auch diese noch mit lockerem Schnee. Zum Pischahorn sowie zum Gorihorn/Isentällispitz war ich früher schon einmal getourt, dito zum Flüela Wisshorn, wobei vom Aufstieg via Winterlücke aufgrund der Gefahr eines grösseren Bergsturzes zur Zeit sowieso abgeraten wird. Somit war das Jörihorn die logische Wahl. 

Im Aufstieg entlang der Passstrasse. Flach und langweilig, ja gar Latscherei liest man dazu oft. Mir gefällt das jeweils, da man sich auf diese Weise umso zügiger von der Zivilisation entfernt und in "neue" Gegenden vorstösst.

Dafür folgt man zuerst eine fast eine dreiviertel Stunde lang (2.5km/200hm) der Passstrasse bis zum Rossboden, wo man sich dann über ideale Skihänge hinauf Richtung Müllersch Täli hält. Über nochmals flacheres Gelände geht man bis unter die Jöriflüelafurgga und pirscht sich an den Gipfelhang heran. Hier erreicht bzw. übersteigt das Gelände teilweise die Marke von 30 Grad, aber mit einer guten Spuranalage wird man den Gipfel meistens erreichen können. Um etwa 14.25 Uhr und damit nach rund 1:40h Aufstieg war das für mich der Fall. 

Blick vom Jörihorn zum Flüela Wisshorn (Bildmitte), sichtbar die Aufstiegsspur im Müllersch Täli.

Ganz zufrieden war ich damit noch nicht. Auf der Landeskarte hatte ich ausgetüftelt, dass man nordseitig in die 2820m hohe Scharte absteigen und von dort mit dem P.2872 am Gorigrat einen weiteren Gipfel mitnehmen könnte. Während diese Erhebung auf der Karte zwar keinen eigenen Namen trägt, so ist sie doch deutlich selbständiger wie das Jörihorn selber (Schartenhöhe 66m vs. 25m, Dominanz 500m vs. 200m) und somit ein richtiger Gipfel. Vor allem aber lockt auch ein kecker Felsbug am Top, der eine kleine alpinistische Herausforderung bietet.

Links der Isentällispitz (2985m), in Bildmitte Gorigrat (2872m) mit seinem Felsbug, rechts Jörihorn (2844m).

Den Abstieg in die Scharte konnte ich komplett mit den Ski an den Füssen erledigen, auch an den Fuss vom Felsbug gelangte ich zügig. Um diesen aber auch wirklich zu erklettern, musste tatsächlich Hand an den Fels gelegt werden und ein paar Züge im 3./4. Grad waren unumgänglich. Da wenig exponiert, nicht allzu hoch und mit einer soliden Schneedecke als Crashpad durfte man diese Einlage wagen - ein cooles, kleines Abenteuer, um die einfache Standard-Skitour ein wenig zu würzen. Weiter könnte man dies auch auf dem Rückweg tun, indem man die Abfahrt über die Westhänge ins Tschuggentäli legt. Doch mit 100hm in 35 Grad steilem Gelände schien das bei LWS 3 nicht die richtige Wahl.

Der "rückseitige" Abstieg vom Jörihorn in die Scharte 2820m.

So stieg ich zurück aufs Jörihorn und fellte ab, inzwischen war die Uhr auf 15.15 Uhr vorgerückt. Auch von hier gäbe es einige kreative Abfahrtsvarianten, doch war dies gar nicht wirklich nötig. Vor mir waren zwar bereits ca. 20 Tourengänger abgefahren, aber sie hatten ihre Linien alle in einen engen Korridor um die Aufstiegsspur gelegt. So war es ein leichtes, durch eine komplett unberührte Geländekammer zu fahren, was ja den Pulverzauber jeweils ungleich verstärkt. Genial war's, anders kann man es nicht ausdrücken, das Foto unten sagt alles!

First Line und Top-Bedingungen!

Zu bald war ich wieder unten an der Passstrasse. Ursprünglich hatte ich mir ausgemalt, auf dem Rückweg noch den Baslersch Chopf mitzunehmen. Doch diese Hänge lagen nun bereits komplett im Schatten. Klar wäre es noch möglich gewesen, doch es schien mir nun genussreicher, einer Spur an den SW-Hängen zu folgen, welche ins "Nichts" des Kessels zwischen P.2784 und P.2818 führte. Noch während ich im Aufstieg zum Jörihorn war, hatten 3 Tourengänger von dort her kommend drei super Linien in den Hang gelegt. So ging's nochmals gute 400hm hinauf, auf 2600m endete die Spur und Weiterweg war (zumindest beim vorherrschenden Lawinenbulletin) nicht mehr möglich. Wie vermutet wurde dieser zweite Aufstieg mit einer erneut hervorragenden Pulverabfahrt vergolten. Zum Schluss blieb noch die Schussfahrt über die Passstrasse, bevor ich um schlag 17.00 Uhr zurück beim Ausgangspunkt war.

Zweiter Aufstieg in den Kessel zwischen P.2784 und P.2818 - ohne Gipfel, aber mit gutem Schnee.

Facts

Jörihorn (2844m) vom Tschuggen
900hm, Ski-Schwierigkeit WS, auch bei ungünstigen Bedingungen machbar

Donnerstag, 4. Februar 2021

Kandersteg - Allmenalpfall (WI4)

Im Eiskletterführer Hot Ice wird der Allmenalpfall auf Position 9 der besten Schweizer Eisfälle aufgelistet. Doch trotz dieser Tatsache und dem Fakt, dass er gut erreichbar quasi mitten in Kandersteg steht, erhält er gar nicht so viel Aufmerksamkeit. Das liegt wohl daran, dass er sich nicht im Epizentrum Oeschiwald befindet, sondern an den sonniger exponierten Osthängen des Tals. Da er ab Mitte Februar in den Morgenstunden tatsächlich schon etwas Sonne erhält, gilt es die Begehung gut zu planen. Belohnt werden die Mühen auf jeden Fall, mir hat die Kletterei exzellent gefallen.

* Ein Bericht von meinem zur Zeit vorletzten Eisklettertag im Februar 2019

Blick aus dem Kessel unter dem Einstieg hinauf zur Route. Wie so oft ist hier alles perspektivisch ziemlich verzerrt. Sprich, der Eisfall sieht kürzer und flacher aus, als er sich dann klettert. Und auch der Weg bis zum Einstieg sieht ziemlich nach sanftem Gelände aus, doch sind diese Hänge zum Schluss tatsächlich an die 45 Grad steil!
Vom Bahnhof geht's westlich der Bahnlinie entlang in Richtung Allmenalpbahn, welche im Winter nicht in Betrieb ist. Über geräumte Strassen erreicht man den Waldrand, dort wo sich auch der Beginn des Kandersteger Klettersteigs befindet. Man verlässt dessen Verlauf aber sofort und muss den Vorbau P.1464 rechts umgehen. Bald geht's steil aufwärts durchs Gehölz, die Orientierung nicht eben einfach und wenn (wie zum Zeitpunkt unserer Begehung) keine Spur liegt, kann das eine anstrengende Sache sein. Eindrücklich, aber noch bunter wird es, wenn man aus dem Wald tritt, um die Ecke biegt und im Kessel unter dem Einstieg steht. Hier kann einem steile Wühlerei drohen und man muss sich nicht nur wegen der Lawinengefahr absolut sicher sein, sondern es drohen bei Tauwetter auch Eis- und Steinschlag aus den Felsen rechts. Das Ambiente ist aber grandios, ebenso wie die Vorfreude auf die Kletterei, welche bereits hellblau leuchtend lockt. Der Weg vom Bahnhof an den Einstieg hatte uns gerade etwa 1 Stunde gekostet, bei guter und vorhandener Spur geht's bestimmt noch mindestens eine Viertelstunde schneller.

Der letzte Abschnitt unserer ersten Seillänge reicht von der Steilheit an die Senkrechte heran.
Die Kletterei am 250m langen Eisfall umfasst 5-6 Seillängen. Nach etwa 20 moderat steilen Einstiegsmetern geht's dann bald zur Sache und es folgt der steilste Abschnitt der ganzen Tour. Auf rund 10 Metern reicht die Steilheit an die Senkrechte heran. Die Eisqualität zum Zeitpunkt unserer Begehung war grundsätzlich in Ordnung, aber mangels Begehungen halt nicht ausgeräumt und ausgehackt. Sprich, das Eis war generell wenig strukturiert und trittarm, an den flacheren Stellen auch stellenweise krustig überschneit. Unter diesen Voraussetzungen fühlte sich die WI4 nicht wesentlich weniger anspruchsvoll an wie die oft begangenen, schwieriger bewerteten Eisfälle à la Pingu, Rattenpissoir oder Haizähne im Oeschiwald. Das ist sozusagen der Preis, den man hier für die Exklusivität bezahlt. Einen guten Stand findet man frühestens nach 50m, ein echtes Flachstück sogar erst nach gestreckten bzw. gar überreizten 60m vom Einstieg. Wir brauchten schliesslich wider besseres Wissen zwei Seillängen, um diesen Punkt zu erreichen.

Ausblick auf die fantastische Eismauer, die wir in unserer dritten Seillänge erklettert haben. 20m oben streift das letzte Licht der Sonne den Eisfall seitlich. Wie beim Eisklettern üblich haben wir keinen einzigen Strahl vom wärmenden Gestirn abbekommen.
Nun wartet eine fantastische, breite und ziemlich homogen um die 75 Grad steile Eismauer von erneut rund 60m Höhe. Es war schlicht ein Riesenspass, sich hier in die Höhe zu pickeln. Eine etwas flachere Sequenz führt schliesslich zum schon von weither sichtbaren Schlussbouquet. Die letzte Seillänge bietet erneut fantastische Eishackerei mit über längerer Zeit 80 Grad Steilheit. Dabei ist es wichtig, sich nicht zu weit nach links zu halten. Von unten sieht das zwar prima aus, das Eis wird links oben jedoch immer dünner und der Ausstieg ist nur ganz rechts möglich. Über einen kurzen Schneehang gelangt man schliesslich zum ersten, soliden Baum. Erneut sind es gestreckte 60m von der letzten Verflachung unterhalb. Da wie bereits erwähnt die Allmenalpbahn im Winter nicht in Betrieb ist, ist das Abseilen die einzig sinnvolle Option für den Abstieg. Für die ersten beiden Strecken stehen Bäume zur Verfügung, für die beiden folgenden müssen Abalakovs eingerichtet werden. Mit 4 Manövern à 60m reicht's gerade retour zum Einstieg.

Viel Ambiente in unserer dritten Seillänge!
Es verbleibt der Rückweg: durch die steile Rinne geht's im Abstieg freilich deutlich besser wie aufwärts. Im Wald unterhalb war der Schnee während unserem Abstieg bereits heftig angefeuchtet und stollte an den Steigeisen. Noch ganz anders war die Situation am Eisfall selber gewesen: der war nämlich kalt geblieben, die dortige Schneeauflage war sogar noch pulvrig. Noch erstaunlicher war dann jedoch das Klima am Bahnhof: mit einem Kaffee in der Hand setzten wir uns an der Sonne auf die Bank und warten auf den Zug. Hier konnten wir uns gleich etlicher Schichten entledigen, selbst im T-Shirt war's schön angenehm. Gut, wer oft in die Berge geht, kennt diese schnelle Temperaturwechsel ja zur Genüge. Eigentlich hätte es sich gut noch etwas verweilen lassen, um die Eiskletterer-Blässe in einen Skifahrer-Teint umzuwandeln. Freilich stiegen wir dann aber doch ein, als der Zug einfuhr.

Facts

Kandersteg - Allmenalpfall D+ II WI4 - 5-6 SL, 250m - *****
Material: 2x60m-Seile, ca. 14 Eisschrauben, Abalakov-Material

Der Allmenalpfall ist absolut zurecht ein Klassiker, in diesem Schwierigkeitsgrad dürfte es sich um eine der schönsten Routen in der Schweiz handeln. Die Kletterei ist homogen und ohne Flachstücke, zwei Sektionen von je rund 10m reichen an die Senkrechte heran (je nach Eisbildung und Linie). Die breite Eismasse und die Lage in einem wilden Kessel geben der Sache trotz der Nähe zur Zivilisation ein alpines Ambiente. Trotz der hohen Qualität der Kletterei und der Nähe zum Epizentrum Kandersteg herrscht am Allmenalpfall viel weniger Verkehr wie im Oeschiwald. Die Route selber ist nach NE ausgerichtet und erhält bis Mitte Februar nur ca. 1 Stunde seitliches Streiflicht von der Sonne. Die im Aufstiegssinn rechts vom Fall liegenden Felsen und die dort möglicherweise hängenden Säulen, Zapfen oder gleich ganze Eisfälle werden jedoch viel stärker beschienen und sorgen vor allem auf dem Zustieg und kurz vor dem Einstieg für Stein- und Eisschlaggefahr. Daher ist ein gutes Zeitmanagement zentral. Ebenso wenig darf man die Lawinengefahr im teils über 45 Grad steilen Zustiegskessel unterschätzen. Einmal auf der Route sind die objektiven Gefahren durch Eis- und Steinschlag sowie Lawinen dann deutlich geringer.