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Dienstag, 29. Juni 2021

3. Kreuzberg - Velo (6c+)

Schwülheisses Wetter mit einer Warnung für unwetterartige Gewitter war angesagt, das machte die Planung für einen MSL-Ausflug alles andere als einfach. Es scheint etwas exotisch, sein Glück bei einer solchen Prognose in den abgelegenen NW-Wänden der Kreuzberge zu suchen. Doch einerseits vermuteten wir, dass der Föhn im Alpstein noch etwas länger für trockene Verhältnisse sorgen würde, andererseits gaben die moderaten Routenlängen inklusive rascher Rückzugsmöglichkeit zur nahen Roslenalp die nötige Sicherheitsreserve um bei solchen Bedingungen zu klettern. So machten wir uns also auf den langen Zustieg, um mit der NW-Wand am 3. Kreuzberg einen mir bisher unbekannten Sektor zu erkunden.

Ja, sie haben schon Schwung, die Kreuzberge - Sicht von oberhalb der Saxer Lücke

Ja, der Weg bis zum Einstieg ist nicht eben kurz. Vom üblichen Ausgangspunkt Nasseel (814m) oberhalb von Sax sind es rund 1100hm bis man in die Kletterfinken schlüpft, happig für Routenlängen im Bereich von 4-5 Seillängen. Weniger anstrengend aber für Fitte im Gesamtkontext kaum viel schneller wird die Sache mit Nutzung der Stauberenbahn. Für 18 CHF gondelten wir mit dieser 1200hm hinauf, um dann mit etwas Auf und Ab (netto +350hm) in rund 1:15 Stunden trotzdem ordentlich verschwitzt den Einstieg zu erreichen. Es sein an dieser Stelle erwähnt, dass man auf dem Rückweg ab Nasseel zur Talstation der Stauberenbahn nochmals ~45 Minuten marschiert, d.h. die 650 eingesparten Aufstiegs-Höhenmeter erfordern also nicht nur finanziellen Einsatz, sondern auch Laufbereitschaft auf dem Heimweg. Übrigens, um dem Routennamen Referenz zu erweisen: für (e-)Bike-Nutzer wäre der Weg von Wildhaus per Zweirad zur Alp Tesel und dann zu Fuss via Mutschensattel eine prüfenswerte Alternative. Steht man einmal im Kar der Roslenalp, so führt ein gut erkennbarer und auf der Landeskarte verzeichneter Pfad in Richtung der Scharte K3/4. An offensichtlicher Stelle quert man auf dem Band unter der Wand auf Wegspuren nach links (NE) hinaus. Mittig wartet eine kurze, etwas exponierte Kletterstelle und zum Schluss muss man noch über ein paar Schrofen linksherum den eigentlichen Einstieg erkraxeln, dann kann es losgehen.

Fokus auf die Nordwand am 3. Kreuzberg mit den beiden von uns gekletterten Routen.

L1, 35m, 6a: Gleich zum Auftakt wartet eine zackige, kompakte Wandstelle, für die Erstbegeher im 1969 sicher eine kühne Sache! Mit einer Linksschleife gewinnt man eine diagonal nach rechts ansteigende Rampe, welche dann einfachere, wenn auch nicht total triviale Kletterei bietet - immer noch schön, wenn auch nicht ganz perfekter Fels.

L2, 40m, 6c+: Nach kurzem Vorgeplänkel kommt man zum Boulderproblem mit der Crux. Der Fels erscheint hier auf den ersten Blick etwas splittrig und a priori hatte ich etwas Bedenken, ob die teils kleinen Schüpplein und Crimps standhalten würden. Doch dank der guten Absicherung kann man beherzt angreifen - mir ging es gut auf, mit einigen kleingriffig-athletischen Zügen war die Stelle rasch erledigt, wobei es jedoch sicherlich auch nicht einfacher wie die angegebene 6c+ ist. Alternativ geht's mit Hakenhilfe leichter, wobei mindestens eine Trittschlinge und dann 1-2 freie Züge für den nächsten Klipp nötig sein dürften (?!?). Die folgende Verschneidung bietet dann lässige, steile Turnerei - der vermeintlich teils lottrige Fels ist gut versintert und damit fest - die 5c aus dem Topo fand ich allerdings deutlich zu tief, 6a+ muss man da bestimmt noch bieten!

Die unteren Längen sind nicht sehr fotogen, hier entsteigt Viktor gerade L2 (6c+).

L3, 35m, 4a: Hat eher den Charakter von einem Überführungsstück über die etwas grasige Rampe und bietet keine Schwierigkeiten - mal abgesehen davon, dass Teile in der Mitte wohl lange nass bleiben, der Struktur sei Dank aber wohl auch dann unschwierig bleiben. Man kommt dann nach 25-30m zuerst am Stand der 'Blatta' vorbei - ich würde beim nächsten Mal diese, bequemere Station nutzen. Der eigentliche Velo-Stand kommt erst 5m später am Ansatz der Verschneidung. Wir nahmen diesen, da wir ungünstigen Seilverlauf vom unteren Stand fürchteten - aber das ist höchstwahrscheinlich unbegründet.

L4, 35m, 6a: Die Signature-Pitch der Route zum Velo hinauf! Die Route führt nicht wie man für einen Klassiker erwarten könnte durch die Verschneidung, sondern rechts davon durch die steile Wand, wo Risse und Schuppen stets gute Griffmöglichkeiten bieten - kühn, elegant und wirklich sehr schöne, athletische Kletterei in luftiger Position. Wegen flüchtigem Blick aufs Topo war ich in Erwartung einer (weiteren) 6c+ losgestiegen... alles löste sich gut auf und echt schwierig schien es nirgends. Schliesslich entpuppte sich dieser Grad aber als Verwechslung, 6a wird dieser Länge offiziell attestiert. Das ist dann etwas gar tief, wir denken dass 6a+ oder 6b eine adäquatere Beschreibung wäre, so steht's dann (vermutlich) zukünftig auch im Alpsteinführer. Am Ende geht's dann rechts am mittlerweile definitiv schrottreifen Velo vorbei zum Stand auf dem Pfeilerkopf.

Die Seillänge am Velo vorbei ist definitiv ein Highlight, nicht nur wegen dem Gerät (L4, 6a).

L5, 20m, 4b: Kurz und ohne besondere Schwierigkeiten die Verschneidung hinauf, um das schrofige bzw. grasige Gelände der Gipfelabdachung zu erreichen. Der Stand befindet sich erst ein Stück weiter oben, er besteht auch nur aus 1 nicht besonders auffälligen BH - man wird ihn aber schon finden.

Vom Stand nach L5 sind es noch rund 40hm über gut seilfrei begehbares Gras zum geräumigen Gipfel. Diesen wollten wir uns nicht entgehen lassen, bzw. gehört der Weg zum Gipfel eigentlich zum obligatorischen Programm. Vom Stand 5 gibt es nämlich keine Abseilmöglichkeit mehr, d.h. ein Fussabstieg ist mehr oder weniger zwingend. Trotzdem kann ich über diesen nichts schreiben... wir hatten nämlich keine Schuhe dabei, wollten noch in der Blatta (4 SL, 7a) klettern und seilten daher über jene ab. Deren Ende ist aber nur umständlich mit etwas heikler Abkletterei zu erreichen. Ging schon, einmal da ist man mit 3 Manövern zügig wieder am Einstieg... und kann testen, ob in seinen Reifen mehr als nur heisse Luft ist. Mehr dazu aber dann im nächsten Beitrag.

Facts

3. Kreuzberg - Velo 6c+ (6a A1 obl.) - 5 SL, 165m - Bösch/Scherrer 1969 (saniert 1993) - **;xxx
Material: 40m-Seil, 12 Express, evtl. Cams 0.3-1 & kleines Keilset

Klassische Route mit für die Zeit mutig-moderner Linienführung und lässiger Kletterei in an den schwierigen Stellen schönem Fels. Eine Verbindungsstücke sind etwas grasig und auch nicht bombenfest, passt aber schon. Die Route ist (insbesondere für den weiten Zustieg) eher kurz, aber der zügige, problemlose Fussabstieg führt wieder zurück zum Einstiegsband. So kann man ohne weiteres eine zweite Route anhängen, wobei mehrere attraktive Optionen bestehen. Eine solide Grundabsicherung mit BH ist im Velo vorhanden, hier und da findet man auch noch einen Schlaghaken - wer die Schwierigkeiten an den steilen Stellen im Griff hat und sich im alpin-einfacheren Gelände auch mal einen Runout zutraut, kommt auch ohne mobile Sicherungen durch - Cams & Keile legen ist  aber möglich. Ein schematisches Topo zur Route findet man im SAC-Kletterführer Alpstein. Planungstipp: die Wand ist im Sommer bis ca. 14 Uhr im Schatten.

Mittwoch, 23. Juni 2021

Bockmattli - Dreimal kurz gelacht (6c)

Nachdem die Kinder zu ihrem eigenen Programm aufgebrochen waren, blieb für Kathrin und mich die Gelegenheit zu einer gemeinsamen Klettersession. Wetter und Bedingungen sprachen für eine MSL, allzu grosse Sprünge lagen aber wegen Gewittern und zeitiger Rückkehr nicht drin. Da es aufgrund der Wärme zudem ratsam schien, am Schatten zu klettern, zog es uns wieder einmal ins Bockmattli - doch schon einige Jahre her, seit wir das letzte Mal dort waren! Einige spannende Projekte verbleiben und während wir unseren Plan A verwerfen mussten (da dort an diesem Tag kein Vorankommen war), fanden wir mit der 'Dreimal kurz gelacht' am Grossen Bockmattliturm eine prima Alternative.

Bottom-Up Sicht auf die Bockmattlitürme mit Zustieg und Verlauf von 'Dreimal kurz gelacht'

Etwas vor 10 Uhr konnten wir einen der letzten Parkplätze bei Rüti ergattern und stiegen wieder einmal Richtung Schwarzenegg hinauf. Diesen Weg hatte ich nicht wirklich vermisst, das durch die alpwirtschaftliche Nutzung überdüngte und zertretene, oft schlammige Gelände und der intensive Duft nach Kuhmist in der schon stechenden Sonne machen ihn nicht zum Genuss, sondern zum 'obnoxious part of the game'. Ab der Schwarzenegg im Angesicht der imposanten Türme hellte sich die Stimmung aber schlagartig auf. Nach einem vergeblichen Abstecher in Richtung Plan A stiegen wir schliesslich über die Rampe unter der Föhrenturm Nordwand (zuletzt am laufenden Seil gesichert) hinauf zum eigentlichen Einstieg in der Westschlucht. Um 11.30 Uhr hatten wir alles parat und konnten starten.

Der Blick vom Einstieg auf den steilen Start in L1 (6b+).

L1, 50m, 6b+: Die ersten Meter bewältigt man noch auf dem Parcours der klassischen Nordwandroute, um dann aber gleich rechts abzubiegen. Alsdann nehmen die Schwierigkeiten zu - steiles Gelände, ein paar Löchlein, Seit- und Untergriffe, Stehprobleme. Ein "Problem" stellt der dritte Haken dar - schwierig zu klippen, er schien er mir unsicher (in Schuppe gebohrt und schon etwas rausgerutscht, Mutter lose) und vor allem ist er entscheidend (bei Versagen ist ein Grounder im Bereich des Möglichen) - Vorsicht also! Ein Dutzend Meter geht's noch griffig-steil weiter, dann wird man in flacheres, gängigeres und etwas grasiges Gelände mit schöner Kletterei an griffigen Schwarten entlassen. Die Hakenabstände da dann eher weit, zum Legen eher suboptimales Gelände darum habe ich es gleich bleiben lassen.

Das Finish von L1 (6b+) etwas grasig - stört aber nicht. Unten ist der Fels kompakt und die Kletterei prima.

L2, 30m, 6b: Hier ist vor allem die Orientierung nicht einfach. Am logischsten scheint der Weg leicht linkshaltend hinauf - das ist aber definitiv falsch und führt in die klassische NW-Wand. Stattdessen klettert man in erst einfachem Gelände diagonal nach rechts, unschwierig und mit mobiler Ergänzung der Absicherung. Schliesslich steilt es auf, eine trickreiche Passage mit schöner Kletterei wartet und dann wieder die Frage, wo geht's weiter?!? Links steil über die Ecke hinweg ist richtig.

Richtig lässige, griffige Kletterei mit einer Plattenpassage am Ende wartet in L2 (6b).

L3, 30m, 6c: Ein Bijou von einer Seillänge! Auf dem Netz liest man, die Crux sei am Anfang und könne untenrum umgangen werden. Ich bin direkt mit dem Haken auf Brusthöhe gequert, auch das ist für 6c gutmütig und vielleicht auch so nicht einmal die schwierigste Stelle der Seillänge (untenrum ist aber bestimmt einfacher), wobei da lange Beine für einmal sicher kein Nachteil sind . Sehr schön geht's in griffigem Fels mit Wandkletterei weiter, zu entschlüsselnde Passagen wechseln sich mit Ruhepunkten. Zuletzt dann elegant an die Kante und an dieser hinauf zum leider sehr unbequemen Stand. In dieser Länge habe ich keine mobilen Sicherungen gelegt.

Sehr schöne Wandkletterei mit elegantem Ausstieg über die Kante bietet die Cruxlänge (L3, 6c).

L4, 55m, 6a: Monsterlänge über den Pfeiler, welche sicherlich die meisten 50m-Stricke überfordert. Erst geht's noch gängig dafür mit weiteren Abständen voran, wobei man mobil ergänzen kann. In der zweiten Hälfte warten dann 3 markante, gut eingebohrte Boulderprobleme, Bei jedem will die Lösung ertüftelt werden, wobei mir dies für 6a doch gehörig schwierig vorkam. Im Schnitt ist diese Länge natürlich einfacher wie die ersten drei, in Sachen Maximalniveau dünkte mich die Anforderung kaum wesentlich geringer. Am Ende findet man gut sichtbar an der Kante die Irniger-Platte, der bequemere Standplatz mit 2 BH befindet sich unmittelbar rechts davon in der Nische mit der alten Wandbuchdose. Ausser ein paar Fetzen altes Zeitungspapier findet man in jener aber keine Erhellung.

Kathrin in der letzten Boulderstelle am langen Pfeiler, den die Route in L4 (hart 6a) verfolgt.

L5, 30m, 6a+: Quergang nach links in steilem Gelände und dann aufwärts, hier ist die Felsqualität nun nicht mehr so vortrefflich wie in den unteren Längen - passt aber schon. Die Schwierigkeiten lassen nach und in etwas grasigem Gelände erreicht man schon bald den nächsten Stand.

L6, 30m, 5c+: Zum Ende wartet noch eine klassische Verschneidungskletterei, laut dem 1992er-Bockmattliführer ein UIAA-6er. Tatsächlich löst sich alles gut auf und es wartet keine richtig schwierige Stelle. Vorsicht ist jedoch angezeigt, da einige Schuppen und Blöcke links nicht solide verankert sind. Bis auf einen BH nach ca. 5m ist die Länge clean, man kann jedoch gut mobil ergänzen.

Klassische Verschneidungskletterei in L6 (5c+), die hier sichtbaren letzten Meter die einfachsten.

Um 15.30 Uhr und damit nach knapp 4:00 Stunden Kletterei mit einer an beiden Seilenden nahezu mühelosen, perfekten Onsight/Flash-Begehung hatten wir die Schulter des grossen Bockmattliturms erreicht. Von da wären es noch 2 Seillängen mit leichter Kletterei bis auf den Gipfel, von wo man den recht langen Abstieg über den Südgrat nehmen müsste (oder alternativ umständliche Abseilerei, siehe meinen Bericht zur Supertramp). Wir hatten von vornhinein entschieden, vom Routenende auf der Schulter wieder zum Depot am Einstieg abzuseilen. Das geht mit 4 Manövern (60m-Seile, sonst 5 Manöver) zügig. Der beste Weg zurück auf sicheren Boden ist nicht das Abklettern vom Zustieg, sondern zwei weitere Abseilstrecken. Wichtig: keinesfalls vom Muniring am Einstieg der Schlucht entlang abseilen, sondern etwas absteigen zum Irnigerstand westlich der Schlucht (an welchem man im Zustieg vorbeigekommen ist, mit Blick talwärts links der Schlucht). Nun erst zwischen den Föhren durch und dann steiler 45m gerade hinunter zu einem weiteren Irnigerstand, der nicht sonderlich auffällig ist. Ab diesem sind es dann weitere 50m an den Wandfuss. Mit kurzem Abstieg erreicht man den Trepsenweg und dann wie gehabt zurück ins Tal. Um 17.30 Uhr waren wir retour an der Strasse und fuhren sehr zufrieden mit diesem schönen Ausflug zurück nach Hause zu den Kindern.

Facts

Bockmattli - Dreimal kurz gelacht 6c (6b obl.) - 6 SL, 230m - Kälin/Gysi 1986 (saniert) - ***;xxx
Material: 2x60m-Seile, 10 Express, Cams 0.3-1, evtl. Keile

Sehr schöne und eindrückliche Bockmattlikletterei, die vor allem auf den ersten 3 Seillängen mit überzeugender Felsqualität daherkommt. Danach wird es etwas alpiner, bleibt aber lohnend. Die Bewertung ist für eine Route aus dieser Epoche erstaunlich gutmütig ausgefallen - es ist kein extremes Unternehmen, sondern eher dem Genre "Plaisir+" zuzuordnen. Dazu trägt auch die Absicherung bei. Im 2004/2005 wurde diese durch die BGA einem Facelifting unterzogen. Die schwierigen Stellen sind alle gut mit Inoxbolts gesichert (Niveau xxxx), die einfacheren Passagen sind weiter gebohrt und erfordern teils mobile Gerätschaften. Mir reichte dafür ein Set Cams 0.3-1 gut aus. Keile könnte man sicherlich auch einsetzen und hier und da würde man vermutlich auch einen grösseren Cam unterbringen, wofür ich aber nie Bedarf verspürte. Für die Planung ist noch zu erwähnen, dass die Route im Hochsommer durch ihren Verlauf nahe der NW-Kante schon ab ca. 13.30 Uhr Sonne erhält (v.a. im oberen Teil).

Topo der BGA von der Sanierung 2004/2005, herzlichen Dank!



Donnerstag, 17. Juni 2021

Schafbergwand - Traumfabrik (7b)

Wie sagt man so schön "das Kletterniveau wird durch die einfachste Route bestimmt, an welcher man scheitert und nicht durch die schwierigste Route, die man schafft". Nachdem ich am Tag zuvor mein Vorsommer-Projekt im Grad 8a+ hatte punkten können, war es also wieder einmal Zeit für einen Reality Check in einer plattigen Mehrseillängentour. Immerhin liess das Wetter nach viel Regen und Gewölke einen solchen Ausflug wieder einmal zu, lag doch der letzte bereits fast 3 Monate zurück. Eine kleine Störung versprach dann doch nicht nur eitel Sonnenschein und gemässigte Temperaturen, so dass wir unser Glück an der Schafbergwand suchen wollten - ein Sektor, den man üblicherweise eher in der Nebensaison aufsucht. Für die lange und doch recht zeitaufwändige Traumfabrik war der Entscheid aber doch reichlich weise.

Die Schafbergwand mit Zustieg und Routenverlauf von Traumfabrik (10 SL, 7b).

Mein Seilpartner hatte sich am Tag zuvor nicht dem Sportklettern, sondern bereits einer langen MSL gewidmet, so entschieden wir uns, nicht allzu früh aufzubrechen, zumal dies auch aufgrund der Wetterprognosen vernünftig schien. Um 9.30 Uhr starteten wir in Wildhaus und liefen unter dichter Bewölkung in einer Dreiviertelstunde zum Einstieg. Man passiert dabei zuletzt die sanierten, linken Wandfussplatten, biegt an deren Ende links hoch und erreicht über Bänder (Fixseil & BH vorhanden) die Schrofen oberhalb dieser Platten. Die letzten Meter zum nicht näher bezeichneten Einstieg sind ordentlich steil, aber gut begehbar. Ca. 5m links vom Beginn von "Da muesch en Dickä schickä" steckt der rostfreie Startbolt mit Fixé-Lasche, sonst ist die Route nicht näher bezeichnet. Ich kann aus eigener Erfahrung nur empfehlen, den Klettergurt bereits früher anzuziehen, sonst wartet ein ziemlicher Balanceakt auf dem schmalen Band - wobei das zur Angewöhnung auf das was folgt vielleicht auch gar nicht schadet. Um 10.45 Uhr hatten wir schliesslich alles parat und es konnte losgehen. Nur der Haulbag, den wir zuerst mitzunehmen geplant hatten, musste schliesslich im Angesicht der vielen Föhren, Absätze und des rauen Felses am Einstieg bleiben...

L1, 25m, 6b: Linkshaltend wird das erste Dach umklettert, auf einigen Metern war es da erst noch feucht-schlonzig (sicher oft so), danach muss man sich gleich gescheit festhalten. Eine unangenehme Stelle folgt zum dritten Haken, es hat loses Gestein und dubiose Schuppen aber ohne herzhaft zu ziehen geht's nicht. Nochmals etwas athletisch gelangt man auf die Platten, die nun linkshaltend zum Stand führen. Ein erster Test, aber wer die Linie erkennt, kommt hier noch kommod durch.

Herbalpin geht's los in L1 (6b), bisschen lose, bisschen feucht...

L2, 27m, 7b: Jetzt heisst es richtig parat sein, was aufgrund der bisherigen Kletterei aber nicht der Fall ist. Schon gleich zu Beginn der Seillänge wartet die erste, ganz heftige Stelle mit knapp senkrechter Kletterei an wenig strukturiertem Fels. Nachdem man nochmals ein paar Griffe befühlen darf, folgt dann bald das nächste Fragezeichen. Während man diese vorerst noch mit der Ausweichstrategie Textilgriff erledigen kann, stellt sich bald die nächste glatte Passage zwingend in den Weg. Geschafft habe ich sie eigentlich nur, weil es bald einmal so weit war, dass ich weder zurück konnte noch abzuspringen traute, stehenbleiben für schmerzende Füsse sorgte und nur noch vorwärts als Option blieb. Die Reibung gab zum Glück mehr her wie ich ihr zutraute und so schnappte die Exe schliesslich ein - aber ganz ehrlich, das Seil dann ohne Textilhilfe zu klippen, das wäre 'menschenunmöglich' gewesen. Mit nochmals etwas A0 ging's vom Haken weg und schliesslich hin zum in dieser Route mehr üblichen Grasriss-Gelände, wo die letzten 10m im 6bc-Terrain verlaufen. Unter dem Strich fühlte sich diese Länge für uns abartig schwierig an. Hatten wir erst noch mit dem Gedanken gespielt, diese Länge auszuchecken und punkten zu wollen, so schien das mit nur einem Second Go komplett illusorisch (und mehr Zeit bzw. Geduld hätten wir nicht gehabt). 7b?!? Naja, jedenfalls keine 7b wie im Klettergarten, wo es Griffe hat.

Krass schlabbrig glatte Platte in L2 (7b)! Viktor engagiert sich hier gerade in der Sequenz, welche aufgrund ihrer zwingenden Natur die Vorstiegscrux der Route darstellt (grifflose 6c+/7a obl.). Komfortabel kletterbar wird es erst wieder, wenn man die grasigen Risse erreicht, was mehr oder weniger das Motto der gesamten Route ist.

L3, 35m, 6c+: Unter der den Standplatz schützenden Föhre findet wer sucht gleich den ersten Zwischenbolt (leicht zu übersehen!). Sonst geht's hier zu Beginn noch ausreichend gutmütig zur Sache. D.h., man kann dem kompakten, riss- und graslosen Gelände über die Strukturen mal links und mal rechts ausweichen. Der zweite Teil der Länge kommt dann fordernder daher - erst recht, wenn man direkt über die eng steckenden Haken klettern würde, welche einen von den grasigen Rissen rechts wegzulocken versuchen. Das wäre wohl schöner, aber gleich markant schwieriger und irgendwie unlogisch, wenn man 1-1.5m rechts kommoder vorankommt (und die Bolts trotzdem klippen kann).

L4, 35m, 6b+: Ähnliches Programm wie in L3, meist kann man sich von grasigem Riss zu grasigem Riss oder Loch mogeln, ohne länger über die auch hier schwierigen Platten klettern zu müssen. So fühlte es sich nicht wahnsinnig fordernd an, deshalb habe ich die 7+ vom Originaltopo nur zu 6b+ übersetzt, womöglich ist diese Länge aber noch einfacher einzustufen. Wir jedenfalls fanden z.B. die 6a+ von L7 deutlich anspruchsvoller. Nach dieser Länge erreicht man endlich einmal einen bequemen Stand auf dem Südturmband, während man vorher immer mitten in der absatzlosen Platte hing - wobei er dafür von Ameisen besetzt ist, welche einem ständig anfressen... gilt leider für die ganze Route: entweder unbequem oder Termitenplage.

Das Finish von L4 (6b+), von Grasmutte zu Grasmutte, am Ende entert man die Legföhre im Vordergrund.

L5, 50m, 6c+: Eine lange Reise mit den schwierigsten und schönsten Klettermetern gleich zu Beginn. Nach dem Bouldereinstieg quert man eine endlich einmal etwas besser strukturierte und prima geboltete Platte nach links und hinauf zum Dachriegel. Es wartet ein blinder Klipp, etwas splittriger Fels, doch echt schwierig ist es nicht - nur wartet nachher ein gehöriger Runout in etwas ghüderigem Gelände (Vorsicht!). Die folgenden 35m sind an sich nicht schwierig (~6a), aber knapp gesichert und der Fels erheischt auch da und dort Vorsicht. Nach ausgekletterten 50m erreicht man den Stand, der sich an der Kante etwa 15m unter dem Südturmgipfel befindet und kann gut den weiteren Routenverlauf studieren. Nun heisst es 20m durch die Büsche Richtung NW abseilen in die Schlucht (besser nur 1 Seil verwenden, Standplatz befindet sich gut sichtbar ca. 2m oberhalb vom Schluchtgrund). Zur Bewertung möchte ich hier noch sagen, dass uns dieser Abschnitt leichter gefallen ist wie manch andere der Route.

Schöne, für einmal recht strukturierte, eng gebohrte Platte am Anfang von L5 (6c+), das Dach auch sichtbar.

Oben raus in der langen L5 (6c+) wartet dann eher alpine, weiträumig gesicherte Kletterei.

L6, 30m, 5a: Sehr grasig geht's vom Standplatz steil direkt hinauf, die Felsen sind entweder lose oder tönen dumpf hohl. Fixe Absicherung gibt's vorerst auch keine, so dass eine Bewertung von T6+ adäquater scheint. Nachher geht's dann in einer rechts-links-Schleife in etwas felsigerem Gelände weiter, da stecken dann auch Bolts.

Wildes Gelände in der Südturmschlucht mit crazy Klemmblocktunnel - welch eine Bombe!

Grasiges Gelände im T6+-Stil wartet am Anfang von L6 (5a).

L7, 35m, 6a+: Eigentlich eine superkompakte Platte, die man aber nur unter Ausnutzung der rissigen und damit grasigen Strukturen erobern kann. Schon gleich zu Beginn fordernd rechts hinaus, noch fast komplett im Fels - das geht, da es hier kleine Schüppchen hat, die jedoch wiederum sehr fragil wirken. Später weiter an und neben den grasigen Rissen, unter Ausnutzung weiterer Schüppli und Legföhren in alpiner Manier. Die Klimax schliesslich zum Stand hin - längerer Runout, der breite Riss und ein Mantle-Problem in zwei Graslöcher hinein. Ich hab's mit Körpergrösse schliesslich relativ souverän erledigt, kleiner gewachsene könnten da ins Schwitzen kommen - kam uns insgesamt schwieriger wie 6a+ und anspruchsvoller wie manch andere Länge (z.B. L1, L4, L8, L10) vor.

Die Platte ist leider zu steil und zu wenig strukturiert, um sie klettern zu können. So führt der obere Teil von L7 (6a+, eher schwieriger) der Botanik entlang, was aber gar nicht mal geschenkt ist. Der letzte BH ist hier sichtbar, der Weg  zum Stand hinauf durchaus etwas heikel - nun ja, der Sturz würde wohl sanft (?!?) vom Legföhrenbusch aufgefangen.

L8, 22m, 6b: Die Route hat uns schon einiges gelehrt und so haben wir vor dieser 6b mit nur 4 BH doch etwas Respekt, insbesondere da der erste Haken 1m links vom Stand kaum wesentlich zur Entschärfung der Situation beiträgt. Auch hier klettert man wieder entlang grasgefüllter Strukturen durch das kompakte Gelände. Die Crux befindet sich gleich nach dem ersten BH - mit dem Grübler entgrasen wir erst einen Schlitz, so dass dieser als Tritt genutzt werden kann. Das scheint auch im Nachhinein imperativ, denn der zwingende Aufsteher (gut gesichert!) ist fordernd. Der zweite BH steckt am richtigen Ort, einfacher geht's weiter, bevor man sich nach dem dritten BH fragt, ob man den Stand rechtsherum entlang der grasigen Strukturen erobert oder den direkten Weg über die Platte wählt - hier ist aber definitiv letzterer empfehlenswert, ein paar schöne Crimps und gefinkelte Reibungstritte erlauben recht entspanntes Steigen.

Viktor am Entgrasen mit dem Grübler vor dem entscheidenden Aufsteher  in L8 (6b).

L9, 25m, 6c: Wer bis hier durchgehalten hat, wird mit der schönsten Länge der Route belohnt! Die luftige Querung über die Platte zwischen 2 Dächern hindurch führt über kompakten, grasfreien Fels und ist trotzdem im (für uns) machbaren Bereich. Nicht geschenkt aber - am (gefühlten?) Haftreibungslimit gelang mir der Durchstieg. Die ersten Meter gehen dank etwas tropflöchriger Struktur recht gut, doch schon vor dem Break in der Mitte wird es glatter und gewagte Moves werden nötig. In der zweiten Hälfte dann sowieso - die Füsse stehen auf Abpfiff, doch einige kleine, teils scharfe Strukturen erlauben hier, Kraft an den Fels zu bringen. Darunter auch ein genialer, lochähnlicher 1-Finger-Crimp, der zwingend zu nutzen ist. In dieser Länge ist die Absicherung sportklettermässig gut ausgefallen, wobei es ganz am Ende zum Stand hin doch noch richtig zwingend wird, man die Backen zusammenkneifen und vor allem kühles Blut bewahren muss. Mit dem inzwischen erlangten Selbstvertrauen gelingt's - wir sind uns aber einig, dass dies mit Ausnahme von L2 die schwierigste Seillänge der Tour war.

Richtig coole, aber auch richtig anspruchsvolle Plattenkletterei in L9 (6c). Der Gesichtsausdruck von Viktor zeigt gut, wie es sich schon nur im Nachstieg anfühlt - nun stelle man sich dasselbe noch 2m über dem Haken im Vorstieg vor... gut dass keiner mit der Kamera da war, um meine Fratze abzulichten ;-)

L10, 25m, 6b: Der Legföhrengürtel ist nahe, doch auch diesen und den Abschlussstand erreicht man nicht ganz ohne Einsatz. Zuerst über sehr scharfkantige, aber nur seichte Wasserrillen an zwei BH gut gesichert aufwärts (ein Sturz könnte doch für tiefe Schnittwunden sorgen!). Der dritte BH steckt dann zwar nicht da, wo laut Topo suggeriert wird, ist aber gut zu finden - fast eher ein Verhauer, denn die Platte links hinauf ist  halt einfach zu glatt. Wie geht's weiter?!? Entweder gerade über die griffige Wasserrille und dann in die Büsche oder weit rechts herum über die Grasrisse. Ersteres scheint gewagt (geht aber gut, wie der Nachstieg zeigt), letzteres umwegig (geht aber auch gut, wie der Vorstieg zeigt). Der Abschlussstand liegt bereits halb im Buschwerk und ist sehr unbequem - wir ziehen deshalb den Termitenstand nach L9 vor und lenken sportklettermässig um.

Erst über seichte Wasserrillen, dann eher botanisch geht's zum Top in den Büschen (L10, 6b).

Gemeinsam am Routenende befinden wir uns damit nicht, dennoch können wir 19.15 Uhr als "Ende der Kletterei" notieren. Was, das macht ja kaum zu fassende 8:30 Stunden für die ganze Route. Ob's nun daran liegt, noch im Sportklettergroove (zu) gemütlich rumgemacht zu haben oder ob es einfach so schwierig und fordernd war?!? Wir können es auch nicht beantworten, sind aber froh nicht zur dunkleren Jahreszeit gekommen zu sein, dann hätte es nämlich nicht gelangt -  immerhin konnte ich mir dank Geduld und Einsatz bis auf die 7b alle Längen als gepunktet notieren. Gleichzeitig fragten wir uns, wie wir letztes Jahr die Gletschersinfonie am Wellhorn in guter Zeit gemanagt hatten. Naja, eigentlich sind das eher Konversationen für das Tourenabschlussbier, doch wir mussten nun erst noch vom Berg kommen. Das ist eine nicht ganz mühelose Geschichte. Von Stand 9 geht's 40m zu einem routenunabhängigen Stand. Leider haben die Erschliesser nicht in einen zweiten solchen investiert, so dass man volle 50m zum Stand in der Schlucht und dann in dieser abseilen musst. Das Seilabziehen durch die Büsche klappte zum Glück ohne Verhänger.

Beim Abseilen muss nochmals 1 Seillänge geklettert werden, retour auf das Südturmband.

Weiter geht's die Schlucht hinunter - laut Alpsteinführer mit Schwierigkeit 1 und daher in so etwas wie verschärftem Gehgelände, was aber definitiv nicht stimmt. Erst geht's unter der Teufelskugel, einem wahnsinnigen Klemmblock durch in schuttigem Gelände, zuletzt über eine steilere Stufe in einen engen Kamin (diese Stelle wäre sicher ein Vierer, wenn nicht mehr!), bevor man auf eine Verflachung gelangt. Von dieser wieder in die Wand des Südturms hinaus und über das Band 35m in leichter Kletterei zurück zu Stand 4 der Route. Das geht besser wie wir im Aufstieg gedacht hatten, Seilsicherung aber zwingend nötig. Schliesslich seilten wir eventfrei über die hier steileren und weniger bebuschten Platten zum Einstieg ab (irgendwo zwischen 20.30-20.45 Uhr). Es galt noch, vorsichtig die Steilpassage abzusteigen, dann liefen wir zügig nach Wildhaus, wo wir um 21.30 Uhr beim Auto eintrafen. Ja, das war nun doch eine längere Geschichte geworden in einer eher abenteuerlichen, sportlich gebohrten Route - aber auch ein entsprechend tolles Erlebnis. Welch (guter!) Kontrast zur Sportkletterei!

Zurück am Boden - mit schöner Abendsicht auf die Rückseite der Churfirsten.

Facts

Schafbergwand - Traumfabrik 7b (6c+ obl.) - 10 SL, 300m - Weber/Abele 2003 - **;xxx
Material: 2x50m-Seile, 12 Express, 1 Set mittlere-grosse Keile, Cams 0.3-1, evtl. 2

Eine der längeren Touren an der Schafbergwand, welche erst am Südturm verläuft und nach einem Abseiler in dessen Schlucht durch die obere Südwand führt. Der Fels ist in diesen Sektor ein wenig mehr vertikal, aber sogar eher weniger strukturiert als im Bereich um den Sandührliweg. Das macht die Kletterei im reinen Fels überaus anspruchsvoll bis unmöglich, so dass sich die Route entlang der grasig-rissig-botanischen Zonen hangelt und diese den Kletterer magnetisch anziehen. Wir haben ausgiebig diskutiert, wie viele Sterne wir der Traumfabrik geben wollen und uns schliesslich für ** entschieden, was man als Bank(sch)rotterklärung interpretieren könnte. Das ist definitiv nicht die Absicht, die Tour fällt sicher eher unter die Kategorie 'Special Interest', aber wir haben einen spannenden, langen und abenteuerlichen Klettertag verbracht, der viel Freude gemacht hat. Aber für Freunde von athletisch-griffiger Kletterei in vegetationsfreiem Fels ist die Traumfabrik definitiv nicht die richtige Wahl. Die Absicherung mit rostfreien Inoxbolts ist gut, aber eher sportlich ausgefallen. Auch in schwierigerem Gelände gibt es den einen oder anderen zwingenden Abstand, bei tieferen Schwierigkeiten trifft man immer wieder auf weiter gesicherte Passagen. Im Originaltopo meinen die Erschliesser, dass es ohne mobile Sicherungen gehe, ich würde aber auf jeden Fall einen Satz Keile empfehlen und auf Cams auch nicht verzichten.


Originaltopo der Erschliesser - vielen herzlichen Dank!

Freitag, 4. Juni 2021

Feldschijen - Sännetuntschi (6c+)

Die Feldschijen sind eine Gruppe von Granitdomen, ziemlich abgelegen zwischen der Göscheneralp und dem Furkapass. Allzu oft wird da oben nicht geklettert, doch im Hochsommer zieht es immer wieder Seilschaften ins 'Sännetuntschi'. Diese Risskletterei in der NW-Wand von Turm 3 hat einen ziemlich hohen Bekanntheitsgrad erlangt. Für die Region, ja gewissermassen die ganze Schweiz bietet sie eine aussergewöhnliche Kompilation von Jam-Rissen in Hand- bis Faustgrösse. So wollten wir uns denn auch einmal dem Motto "stopf as you stopf can" widmen und spazierten schwer beladen mit Cams bis Grösse 4 zum Einstieg.

Blick auf die Granittürme des Feldschijen mit dem Verlauf der Route Sännetuntschi.

Unsere Tour beginnt erst um 11.00 Uhr beim gebührenpflichtigen Parkplatz (8 CHF pro Tag) beim Berggasthaus Dammagletscher (1770m). Einerseits haben wir darauf gesetzt, die Route erst am Nachmittag mit partiellem Sonnenschein und bei wärmeren Temperaturen zu klettern, andererseits erforderte die Anreise Richtung Gotthard an einem Samstag in der Ferienzeit auch einfach etwas Geduld. Über den Staudamm und dann dem markierten Bergweg entlang marschieren wir zur kleine Brücke bei P.1926, wo wir den relativ wenig ausgeprägten, aber weiss-blau-weiss markierten Weg Richtung Lochberglücke einschlagen. Auf ca. 2320m verlassen wir diesen und queren die gerölligen Älprigenplatten in Richtung Einstieg. Hier geht's einfach der Nase nach, Wegspuren konnten wir nicht ausmachen, eine beste Passage gibt es wohl auch nicht - geht alles, wenn auch mit ein wenig mühsamem Geröllgeholper. Der Einstieg befindet sich auf ca. 2450m, ca. 100m rechts oberhalb vom tiefsten Punkt der Turm 3 Nordwand. Um 12.30 Uhr und somit nach 1:30 Stunden Zustieg waren wir vor Ort und bereiteten uns auf die Kletterei vor, die wir etwa eine Viertelstunde später starteten.

Auf dem Zustieg überquert man zuerst den Staudamm, hinter die Dammastock-Kette.

L1, 50m, 4c, Material 1x 0.2-4: Der Beginn der Route ist nicht markiert und es steckt auf dieser Vorbaulänge auch kein Material. Trotzdem lässt sich relativ zweifelsfrei identifizieren, wo es losgeht. Wo dann aber im Detail am besten geklettert wird, ist dann gar nicht so klar. Es gibt 2 parallel verlaufende Kamine und selbst darin noch Varianten. Das Gelände ist eher unerfreulich, feucht, dreckig, flechtig, moosig, dazu mit losen Schuppen gespickt und auch nicht so einwandfrei abzusichern - also eher Alpinismus als Sportklettern. Nach ca. 40m kommt dann ein BH als Zwischensicherung, der Stand nach 50m steckt weiter oben/rechts wie man vielleicht vermuten könnte.

Die erste Seillänge führt durch kaminartige Schluchten, wobei es wie das Foto zeigt eben 2 parallel verlaufende davon gibt. Da kein fixes Material steckt, bleibt es der Fantasie des Begehers überlassen, wo die Route durchführt. Vermutlich spielt es keine grosse Rolle, beide Varianten dürften machbar sein.

L2, ca. 80m, 2a, Material 1x 0.2-3: Mit der ersten Länge hat man den Vorbau quasi erklommen, nun geht's auf diesem drauf wieder einfacher dahin. Durchaus sinnvoll, nochmals von den Kletterfinken auf die Zustiegsschuhe zu wechseln. Erst quert man unschwierig und absolut logisch diagonal nach links. Ganz zum Schluss dann noch über eine Felsstufe hinauf zur Kette eines Projekts und nach rechts zum Stand am Fuss vom nicht zu verfehlenden Sännetuntschi-Riss. Dieser Abschnitt ist deutlich länger als 50m, man kann/muss gemeinsam Steigen (oder seilfrei gehen), ein paar Cams bringt man unter.

Nach dem Kamin quert man in L2 (2a) über grasige Bänder zum eigentlichen Routenanfang.

L3, 25m, 6c+, Material 1x0.2, 2x 2-4: Nun geht's gleich volle Kanne los! Das Aufwärmen ist bisher leider nicht ganz adäquat ausgefallen und so stellen mich dann schon bald klamme Hände und Füsse vor erhebliche Probleme - wird wohl manch einem schon ähnlich ergangen sein. Die Länge beginnt mit einem Einstiegsboulder, gar nicht mal so simpel (Keile oder Cam 0.2). Hat man die griffige Schuppe erst einmal gefasst, so klippt man Bolt Nr.1 und gelangt mit ein paar Moves an der hier noch griffigen Schuppe sowie ein paar Jams (Cam 3, Cam 4) recht zügig zur Ecke am Riss, wo sich Bolt Nr.2 klippen lässt und man nochmals passabel rasten kann. Nun wird es aber endgültig seriös, der Riss ist hier breit (Cam 4), meine breite Faust klemmt nur knapp und die Füsse rutschen durch - die Alternative ist ein paar Meter Layback, was recht gut geht, nur ist Absichern und der Wechsel zurück in den Riss zum Jammen nicht trivial. Es folgt dann ein Stück, wo die rechte Wand einen kleinen Wulst hat (d.h. der Riss ist innen breiter wie aussen), immerhin ist man hier zurück auf Grösse Camalot 3, d.h. die Faust zieht gut und die Füsse klemmen wieder. Schliesslich klippt man Bolt Nr.3 und kann in den Schlussspurt gehen. Hier verengt sich der Riss nochmals etwas (Camalot 2) und die Jams sitzen perfekt - sofern noch genügend Puste vorhanden ist!

Bottom View vom Sännetuntschi-Kernstück (L3, 6c+), natürlich schwierig einzuschätzen so...

Insgesamt ist die Sache halt einfach schon unglaublich anhaltend und pumpig (jedenfalls für meine Risstechnik). Wenn man im Toprope klettert oder so souverän/kühn ist, um im Vorstieg nur spärlich Cams zu legen (eigentlich würde sicherheitstechnisch 1x4, 1x3, 1x2 ausreichen...), dann passt die Bewertung "pumpige 6c+ in ungewohnten Stil" vielleicht schon. Die Realität für manche "Alpen-Normalkletterer" ist aber wohl eher, dass man stets zwei Cams der passenden Grösse shuffelt (erst #3, dann #4, dann wieder #3, am Ende #2). So lässt es sich zwar die ganze Seillänge im Quasi-Toprope klettern, aber der zusätzliche Zeit-/Kraftaufwand ist nicht zu unterschätzen, einfach eine unglaubliche Pumpkröte auf diese Art. Noch dazu ist ständig das Seil im Weg, sowohl für die Hände wie für die Füsse... so ging's jedenfalls mir und definitiv die Nerven verloren, den Onsight preisgegeben und in einen Cam gegriffen habe ich, als ich Klippen wollte, mir jedoch mit den Füssen das Seil blockiert hatte und nicht mehr Umtreten konnte, ohne abzupfeifen. Das war schon ein wenig schade und auch ein wenig ärgerlich, wobei ich natürlich bei einem solchen Gerät nicht wirklich auf einem stilreinen Onsight zählen konnte. Um die Sache wenigstens ein bisschen in Ordnung zu bringen, gab ich am Ende des Tages beim Abseilen dann noch einen zweiten Go im Toprope. So konnte ich eigentlich mühelos durchsteigen - klar, ein bisschen pumpig war es immer noch, aber so war die Bewertung von 6c+ durchaus nachvollziehbar. Nun müsste man halt auch im Vorstieg in erster Linie klettern statt ständig mit den Cams rumfummeln, dann ginge es schon auch - Kopfsache, nächstes Mal dann ;-).

"Stopf as stopf can" lautet das Motto. Einfach ein unglaubliches Gerät, diese L3 (6c+).

L4, 35m, 6b+, Material 1x 0.2-0.75, 2x 1-2: Mein Kletterpartner kommt dermassen gepumpt an den Stand, dass er mir gleich nochmals den Vortritt lässt. Der Riss zieht hier vorerst weiter pfeifengerade in dem Himmel und man darf sich auf ähnliches Programm freuen (oder fürchten). Allerdings legt sich das Gelände hier doch ein wenig zurück und nach den ersten Jamming-Metern in einem perfekt saugenden Handriss (Cam 2) bieten eine Zusatzschuppe rechts und ein paar Strukturen hier und da dann die Möglichkeit, wieder in einem mehr gewohnten Standard-Kletterstil unterwegs zu sein. Die Querung am Ende ist dann sogar nur mehr BH-gesicherte Wandkletterei ohne Riss. Insgesamt eine sehr schöne Sequenz, viel weniger ernsthaft und brutal als L3, ein richtiges Plaisir - mit 5 BH und einem Fixkeil auch relativ üppig ausgestattet.

Erst tolle Risskletterei, am Ende dann fast "normale" Wandkletterei (L4, 6b+).

L5, 35m, 6a+, Material 1x 0.2-4, evtl. Keile: Hier ist die Routenlinie gar nicht mal so ganz klar, aber vermutlich klettert man schon über die markante, abstehende Schuppe hinweg diagonal nach rechts oben gegen die grosse Verschneidung hin, dort befindet sich nämlich ein (Seilzug generierender) BH. Nun nach links zur Schlinge und schliesslich hinauf. Die beste Passage auch hier nicht ganz eindeutig, vermutlich aber schon via den dünnen Riss links. Nicht so einfach abzusichern (Cam 0.2 oder mittlerer Keil) und auch nicht so einfach zu klettern, wobei man den Riss dafür kaum nutzen kann, sondern mehr leistige Wandkletterei ausführt. Zuletzt dann durch die Verschneidung an grossen Cams zum Stand auf der Kanzel.

Nicht nur die Kletterei überzeugt, auch die Gegend und das Panorama sind toll!

L6, 20m, 6b, Material 1x 0.2-0.5: Das Auftakt-Wändchen kann man sich sicherlich viel schwieriger machen, als es ist - hier wartet ein Boulder mit BH. Nun geht's grosso modo nach rechts wieder gegen die grosse Verschneidung, inklusive einem Abkletterstück. Diese turnt man dann hinauf, mit 2 BH ist die Stelle gut abgesichert, wenn man wollte könnte man vielleicht auch noch die 4er-Cams platzieren, was ich jedoch nicht als nötig empfand. Schliesslich erreicht man einen superbequemen Stand auf einem freistehenden Turm, richtig cool!

Nach einer Boulderstelle klettern man in L6 (6b) an breiten Rissen zu einem superbequemen Stand.

L7, 35m, 6a+, Material 1x 0.2-2: Linkshaltend geht's an 2 BH gesichert in die Wand hinaus, nach einem schwierigen Auftaktschritt helfen ein paar Leisten weiter, so dass es nahezu mühelos geht. Das Ziel ist der Riss links (nicht der rechte!). Dieser wartet mit supergenialem Cruising-Gelände auf, die Finger klemmen perfekt (Cam 0.5). Man steigt schliesslich auf eine bequeme Plattform aus, auch mit 50m-Seilen lässt sich die nächste, kurze und einfache Seillänge noch anhängen.

Optimal positionierte Leisten und ein Fingerriss führen einen durch diese Plattenwand (L7, 6a+).

L8, 15m, 5b, Material 1x 0.3-2: Auch hier gibt's wieder 2 Risse zur Auswahl, die Route führt jedoch scheinbar durch den rechten (der andere wäre aber sicherlich auch kletterbar). Schön, aber kurz und problemlos erreicht man den geräumigen Stand unter dem markanten Riss der nächsten Seillänge, den man schon von Weitem her bestaunen konnte.

L9, 35m, 6b, Material 1x 0.3-0.75, 2x 1-2: Nochmals eine richtig coole Risspassage in luftiger Position, zudem sitzen die Jams an diesem Handriss einfach perfekt! Der erste Move ist wohl gleich der schwierigste, einmal sauber im Riss etabliert geht's dann zügig voran, auch weil man hier immer ziemlich gut Antreten kann. Erst sitzt der 2er-Cam perfekt, gegen der Ausstieg muss man dann zur Grösse 1 greifen. Es stecken hier auch noch 2 Bolts (fast ein wenig schade!), so dass kühne Kletterer vielleicht sogar ohne mobile Sicherungen steigen. Einmal ins flachere Gelände ausgestiegen, wartet dann noch plattige Wandkletterei - jedoch nix Schwieriges mehr, da stört es auch nicht, dass man da nicht mehr Cams à discretion versorgt.

Ein hervorragender Handriss zum Jammen wartet zum Auftakt in L9 (6b).

L10, 40m, 5c, Material: 1x 0.2-2: Das Abschlussstück ist rasch erledigt, plattige Wandkletterei mit ausreichend Struktur. Die Bewertung von 5c dürfte deutlich zu hoch gegriffen sein, denke das ist eher ein Vierer und in den Gesamtanforderungen z.B. viel einfacher wie die herbalpine Auftaktlänge durch den Kamin. Aber die gemütlichen Moves in der Abendsonne machen viel Spass und runden das Erlebnis ideal ab.

Plattiges Abschlussgelände hoch über dem Göscheneralpsee (L10, 5c).

Um 17.45 Uhr sind wir am Top, somit hatten wir etwa 5:00 Stunden für die gesamte Route gebraucht. Sie endet auf einem breiten, sehr bequemen Band noch "mitten in der Wand". Ein wenig schade ist es schon, dass man hier nicht auf einen Gipfel oder zumindest den Grat gelangt. Aber eine logische Fortsetzung mit homogenen Schwierigkeiten scheint tatsächlich nicht gegeben, so dass der Endpunkt durchaus verständlich ist. Es wäre aber sicher möglich, mobil absichernd noch weiter hinauf zu steigen, auch die unten links vom Sännetuntschi verlaufende Niedermann-Route führt hier wohl vom Endpunkt in logischer Linie zum Gipfel hinauf. Dies allerdings zum Preis, nicht wieder Abseilen zu können und über den Normalweg runter zu müssen - für uns keine Option, da wir Schuhe und Rucksäcke am Beginn von L3 deponiert haben. So begehen wir für etwas Tiefblick immerhin das breite Band bis zu dessen Ende, legen uns ein paar Minuten auf die quarzgespickte Platte und bauen einen schönen Steinmann. 

Wunderbare Stimmung am Top, hinten der Lochberg und die Dammastockkette.

Schliesslich gleiten wir in die Tiefe, ob der Steilheit geht das effizient und mit 5 Manövern (Stände 10-9-7-5-4) waren wir zurück bei unserem Depot vor dem 6c+ Riss. Nachdem dieser im Second Go auch noch sauber durchstiegen werden konnte, gilt es noch 3 Abseilmanöver über den Vorbau zu ziehen. Es geht in logischer Linie +/- gerade hinunter, die Abschnitte sind nicht allzu lang (35-40m) und die Abseilringe jeweils gut sichtbar. Um 19.30 Uhr waren wir retour auf Terra Firma, nach einer Pause in der Abendsonne ging es in einer guten Stunde retour zum Ausgangspunkt. Wow, das war nun wieder ein Klettertag erster Güte in einem richtigen Klassiker des Schweizer Alpinkletterns gewesen. Und genug getextet, jetzt ist es Zeit für das Video :-)





Facts

Feldschijen - Sännetuntschi 6c+ (6c obl.) - 10 SL, 290m + 80m Gehgelände - Giger/Jäggi 1985, saniert 2012 - *****;xx(xx)
Material: 2x50m-Seile, 8 Express, 1x Cam 0.2-0.75, 2x (oder optional 3x) Cam 1-4, evtl. Keile

Negativ gesehen könnte man sagen, die Route befindet sich mit relativ langem Zustieg fast am Ende der Welt, bietet nach 2 etwas mühsam-alpinen Vorbaulängen einen senkrecht-taffen Schinderriss und führt dann in ein paar einfacheren Seillängen mit etwas gesuchtem Routenverlauf auf ein Band unter dem Gipfel. Das wird der Sache aber nicht gerecht, denn die bolzengeraden Jam-Risse sind hier kompromisslos wie nicht mancherorts in der Schweiz, so dass sich Zustieg und Vorbau allemal lohnen. Nach der Crux geht's im weiteren Verlauf zwar durchaus gemütlicher und etwas im Zickzack voran, letzteres allerdings zugunsten des Einbezugs der lohnendsten Splitter Cracks in der Wand - in diesem Sinn also absolut logisch. Auch die Wandpassagen auf dem oft schwarzen, teils etwas flechtigen Granit klettern sich echt gut, der Fels bietet hier manch tolle, unerwartet griffige Leiste. Alles in allem mit dem Faktor aussergewöhnlich würde ich sagen 5*, Weltklasse!

Blick zurück auf die Wand beim Abseilen über den Vorbau, der Riss von L3 in Bildmitte gut sichtbar.

Überall wo nötig, ist die Route mit Inox-Bolts gut abgesichert, überall sonst kann man einwandfrei mobil absichern, somit erreicht die Sicherungssituation stets mindestens Stufe xxxx. Es sei erwähnt, dass hier und da (wohl schon seit der Erstbegehung) ein paar "convenience bolts" stecken - wenn man will, so ginge vielleicht sogar die ganze Route clean, sicher aber wären nicht mehr wie eine Handvoll Zwischenbolts nötig. Die Bewertungen habe ich aus dem Extrem Ost übernommen, sie wurden gegenüber dem Originaltopo etwas nach oben verändert. Eher zu hoch gegriffen scheint mir die 6c obligatorisch, der Riss in L3 kann komplett geaidet werden, ebenso die schwierigen Passagen in L4 (6b+). Rein technisch gesehen dürfte kaum mehr wie 6a/6a+ obligatorisch sein, allerdings macht die Route durchaus nur eher dann Sinn, wenn man sich in Routen auf 6bc obl. Level wohlfühlt. Bezüglich der empfohlenen Cams habe ich aufgeschrieben, was wir in etwa verwendet haben oder hätten verwenden können, bzw. was ich mir bei der nächsten Begehung an den Gurt hängen werde. Kurz gesagt reicht vom kleinen Gear bis Grösse 0.75 ein einziges Set, die Grössen 1-4 sollte man doppelt dabei haben, das passt dann schon. Wer an den Jam-Rissen hallenartige Abstände bevorzugt (soll vorkommen ;-)), kann aber natürlich auch noch weitere Exemplare der Grössen 1-4 versenken. Auf dem Netz habe ich auch gelesen, dass ein Cam 5 hilfreich sei - man bringt ihn im Offwidth-Teil von L3 sicherlich unter, allerdings sassen da m.E. auch die 4er-Cams absolut solide.