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Samstag, 18. Juli 2020

Wellhorn - Gletschersinfonie (6c+)

Die Gletschersinfonie (25 SL, 6c+) ist sicher die bekannteste und vielleicht auch die beste Tour in der SE-Wand des Klein Wellhorn. In einer einmaligen Gebirgsszenerie klettert man hier in meist perfekt rauem Kalk über Platten und steilere Wände einem isolierten Gipfel entgegen. Es ist eine Tour, die nach ganz oben auf die Wunschliste eines jeden Kletterers gehört. Lange Jahre habe ich auf den richtigen Moment gewartet, um hier einmal anzugreifen. Nun war der Tag X gekommen, das lange Warten wurde mit perfekten Bedingungen, passender Form und einer kompletten Onsight/Flash-Begehung belohnt. Das Klettern hat ja viele Facetten und bietet manch tolles Erlebnis, vom Erfolg am Boulder-Wettkampf über das Klippen des Umlenkers in einem Langzeit-Sportkletterprojekt, dem erfolgreichen Einbohren von Neutouren bis zu epischen Gipfelerlebnissen im Hochgebirge. Aber durch solch grosse und abweisende Wände wie am Wellhorn zu steigen, den ganzen Tag über mit unzähligen Challenges konfontiert zu werden und am Ende alle erfolgreich geknackt zu haben ist für mich wirklich das 1a im Klettersport. In diesem Sinne sicher einer der besten Klettertage meiner 32-jährigen "Karriere".

Szenerie, Timing und Form passen - nichts wie los in die Gletschersinfonie am Klein Wellhorn!
Da uns ein mit Sicherheit gewitterfreier Tag zur Verfügung steht (nur dann macht es Sinn, in die Gletschersinfonie einzusteigen!) und die Juni-Tage lang sind, wollen wir nicht allzu früh und erst mit der Sonne einsteigen. Frühmorgens weht am Wellhorn nach klaren Nächten nämlich meist ein schneidig-kalter Abwind vom Gletscher her, der einen die ersten Seillängen schlotternd und wenig genussreich absolvieren lassen würde. Meine Berechnungen zeigen, dass der Einstieg in der zweiten Junihälfte ab ca. 7.45 Uhr besonnt wird - in der Tat ist es dann sogar noch eine Viertelstunde früher. Es sei an dieser Stelle erwähnt, dass die Sonne Mitte August schon deutlich länger (ca. 1h) hat, um über den Grat des Gstellihorns zu steigen. Somit heisst es trotzdem früh aufstehen, um 4.15 Uhr schellt daheim der Wecker, so dass wir um 6.45 Uhr beim Parkplatz der Gletscherschlucht loslaufen können. Die Parkgebühr für das Gebiet beträgt 8 CHF und muss zuvor am Automat einige Kilometer weiter unten an der Strasse berappt werden (auch mit elektronischen Zahlungsmitteln möglich). 

Von unterhalb der Wand lässt sich nicht die gesamte Route einsehen. Doch immerhin ist auf diesem Shot der Beginn in der Nische am Ende der orangen Linie klar markiert. Die ersten paar Seillängen am ersten Aufschwung sind dann klar einsehbar und mit Schwierigkeitsgraden versehen. Im zweiten Drittel liess sich die Linie immerhin noch einzeichnen, die Schlusswand ist hingegen auf diesem Foto nicht sichtbar.
Die Gletschersinfonie ist bereits meine fünfte Wellhorn-Route, so ist mir der Zustieg bestens bekannt. Effizient macht man hier Höhe, so dass wir für die 750hm gerade 1:00h brauchen. Es sei erwähnt, dass der Einstieg für Ortsunkundige ohne gutes Wandfoto gar nicht mal so einfach zu finden ist. Ein paar Tipps: er befindet sich erst "weit hinten", nachdem man ein gutes Stück der augenscheinlich schon kletterbaren Wand gefolgt ist. Die ominöse Nische, wo die Tour wirklich startet liegt heutzutage ca. 30m über dem flachen Terrain am Wandfuss und muss kraxelnd im 2./3. Grad über eine von rechts unten nach links oben verlaufende Rampe erreicht werden (zur Zeit der Erstbegehung war da noch der Gletscher!). Eine Anschrift gibt es zwar, aber sie ist inzwischen so verblasst, dass sie erst aus unmittelbarer Nähe erkennbar ist. Nachdem wir uns verpflegt, vorbereitet und ausgiebig mit Sonnencrème beschmiert hatten, ging es kurz behost um 8.15 Uhr los mit der Kletterei.

Hier geht's los, 30m über dem Wandfuss etwas splittrig steil aus der Nische raus - ohne Sicherung!
L1, 35m, 5c: Am Einstieg, d.h. in der Nische selber steckt leider kein Haken mehr, dieser wurde im Zuge der Sanierung ein paar Meter nach oben versetzt. So klettert man ungesichert gleich steil und etwas splittrig rechts aus der Nische raus - höchste Vorsicht, ein Sturz wäre da für beide in der Seilschaft potenziell tödlich (besser erst ab Erreichen des ersten BH sichern, so erwischt es wenigstens nur einen...). Die Moves über den ersten Haken dann für den banalen Grad gar nicht einfach, zudem auch das erste, aber längst nicht das letzte Mal mit der Frage "links oder rechts?!?" verknüpft. In der Folge geht's dann deutlich moderater voran, es stecken total 5 BH, womit auch die Absicherung gut ist. Im oberen Teil der Seillänge verläuft die Route gemeinsam mit der Miracolo, was allenfalls für  Verwirrung sorgen könnte.

L2, 15m, 6a+: Weil 35m+15m=50m könnte man versucht sein, auf dem ersten Streich gleich zwei Felder vorzurücken. Diese Strategie funktioniert! Vom ersten Stand geht's deutlich nach rechts hinaus in die steile Wand, um die Längen zu verbinden darf man den Stand nicht klippen oder muss ihn beim bald folgenden, ersten Zwischenbolt wieder aushängen. Die Steilstufe fordert, es gilt einige sloprige Löcher zu bedienen, gar nicht mal so easy! Bald darauf erreicht man gredig obsi in einfacherem Gelände den Stand. 

Schöne Kletterei am Ende von L2 (6a+).
L3, 45m, 6c: Nach dem Aufwärmen folgt hier gleich eine der nominell schwierigsten Sequenzen. Sie beginnt mit einer kniffligen Plattenquerung aus dem Stand raus, bevor es über einen feingriffigen Abschnitt schleichermässig unter den markanten Dachriegel raufgeht. Nach ein paar Leistenzügen verwendet man griffige Querfugen, um unter dem Dach weit nach links hinaus bis zum Zusammentreffen mit der Miracolo zu klettern. Hier wartet der athletische Cruxmove etwas über dem Haken, die Sache hat auch etwas einen Ausdauerfaktor, insbesondere da der hier noch reichlich mit Getränken/Gewicht gefüllte Rucksack heftig in die Tiefe zieht. Einmal droben wartet als Herausforderung noch eine erstmal zu entschlüsselnde Plattenstelle über eine Sanduhr, den Bolt kann man hier erst klippen, nachdem man das Rätsel gelöst hat :-) Schliesslich in einfacherem Gelände zum Stand, man verwende die erste Kette (wenige Meter links oberhalb ist der Stand von Miracolo). 

Erst plattig, dann an den Querfugen unter dem Dach queren und athletisch darüber hinweg: das Programm in L4 (6c).
L4, 40m, 6a: Wenig nach links auf dem Band, doch es geht bereits vor dem Miracolo-Stand in die silbergraue Wand hinauf (den Stand von Miracolo berührt/verwendet man nicht, das Topo aus dem Extrem West stimmt hier nicht ganz mit den Gegebenheiten vor Ort überein). Ein sehr schöner, flowiger Abschnitt, sloprig und stets interessant gewinnt man an Höhe, bis man den Stand unter dem nächsten Steilriegel findet. 

Sehr schöne Kletterei in L4 (6a), von unten würde man den Schwierigkeitsgrad zweifellos höher einschätzen.
L5, 40m, 6b+: Los geht's mit einer gut abgesicherten, etwas unübersichtlichen Linksquerung, wo es ein paar kleine Leisten zu identifizieren und kombinieren gilt. Danach kommt es nochmals zum Kontakt mit der Miracolo, wobei das Einbauen eines Haken von jener Route absolut Sinn macht. Ab dieser Stelle geht es jedoch leicht rechts haltend die graue Steilwand hinauf. Super schöne und geniale Kletterei - nie extrem schwierig, aber immer fordernd und vor allem ziemlich luftig abgesichert. Geht aber schon, einfach mutig vorwärtssteigen, megacool! 

Eine etwas unübersichtliche Linksquerung an Leisten wartet am Anfang von L5 (6b+).
L6, 30m, 5a: Auf den ersten Blick mag man kaum glauben, dass hier nur ein banaler Fünfer wartet. Los geht's mit einer etwas unlogisch anmutenden Querung nach rechts. Dort entpuppen sich dann erst ein paar formidable Löcher und dann eine wahre Steigleiter aus riesigen Silex-Einschlüssen, der Verlauf macht also absolut Sinn und ist voll genial! Die Absicherung mit BH und SU-Schlingen ist hier gut, so erreicht man bald und ohne grosse Schwierigkeiten den Stand. 

Fotogener Start in die gemütliche, aber sehr schöne L6 (5a) mit den Engelhörnern im Hintergrund.
L7, 20m, 6a+: Hier haben wir es mit einem relativ kurzen 1-Bolt-Rüteli zu tun, welches man durchaus an die vorhergehende Länge anhängen kann (Stand gut verlängern!). Bald kommt man zu dieser einzigen Zwischensicherung. Nun ist die Wand kompakt und fordernd. Da sie sich weiter oben wieder zurücklegt, ist man völlig ahnungslos, wo die Route durchführt. Queren nach links, gerade hinauf?!? Wieder einmal eine Stelle, wo man seiner Intuition ausgeliefert ist. Jedenfalls befindet sich der Stand danach viel weiter links als die Topos suggerieren, der Nachsteiger sieht sich in der Crux (nach dem Aushängen des BH) einem ordentlichen Pendler ausgesetzt. 

L8, 50m, 2b: Nun hat man das erste Routendrittel erledigt. Es folgt hier der Übergang zum zweiten Abschnitt via ein schrofiges Teilstück. Dazu steht ein Fixseil zur Verfügung (Zustand ok, Stand Juni 2020), welches erst rechts und oben wieder nach links zu einem Stand führt. Dank dem Fixseil kann man hier auch seilfrei gehen oder (besser) die nächste Seillänge am laufenden Seil anhängen. 

Das Gelände zwischen dem ersten und zweiten Wandabschnitt ist nicht spektakulär, daher hier nochmals L5 (6b+).
L9, 50m, 5b (?): Das Topo aus dem Extrem West schreibt hier von Gehgelände, während das Sanierungstopo eine Seillänge im Grad 5b verzeichnet. Klar ist, es geht linkshaltend in einfachem Gelände in die gut gestufte, schluchtartige Rinne. Hier kreuzt man auch die Miracolo, die schliesslich rechts der Rinne hinaufführt (Irniger-Plättli). Die Gletschersinfonie führt links der Rinne weiter (Fixé-Laschen gut sichtbar). Zuletzt muss man tatsächlich über ein paar Aufschwünge zum Stand am Fusse der nächsten, kompakten Plattenzone klettern - es ist aber eher ein Dreier als ein Fünfer, problemlos am laufenden Seil zu machen. 

L10, 40m, 6a: Gar nicht mal so einfach geht es hier los, der Fels ist schräg abwärts gesichert und man ist durchaus froh, dass die Absicherung im Zuge der Sanierung hier aufgepeppt wurde. Schliesslich legt sich die Wand ein wenig zurück, es folgt eine coole Single-Wasserrille, bevor zum Schluss eine glatte Platte überlistet werden will. Diese führt hinauf zum Stand in der überdachten Nische (Zufluchtsort bei Gewitter!), der Stand hier besteht nur aus einer (allerdings grossen) Sanduhr). Sollten jedoch die Schlingen verrottet sein, so ist hier viel Material (ca. 3m langes Seilstück) nötig. 

Den Auftakt zu den weiten Platten des mittleren Wanddrittels macht L10 (6a), hinten das Vorfeld des Rosenlauigletschers.
L11, 45m, 5c: Nach rechts abwärts geht's aus der Nische raus, die ersten Sicherungen danach verlängert man idealerweise grosszügig. Die Wandkletterei auch hier von etwas abschüssiger Natur, nicht völlig geschenkt. Über eine Art Rampe geht es dann zwar relativ einfach, aber auch mit sehr weiten Sicherungsabständen zum gut sichtbaren Standplatz. 

L12, 20m, 3b: Hier muss man unbedingt vor dem nächsten 6c-Abschnitt noch weiter nach links oben verschieben. Wenn man gut verlängert hat, so kann man diese Sequenz jedoch mit L11 kombinieren. Auch mit 60m-Seilen muss der Nachsteiger jedoch die dortige Abwärts-Rechtsquerung simultan nachfolgen. Das geht dank einfachem Gelände gut - auch der Vorsteiger ist im Simultan-Abschnitt von L12 nicht überaus gefordert: plattige Kletterei auf schönen Silex-Einschlüssen, jedoch mit 3b ziemlich stark unterbewertet (deutlich schwieriger wie L9 jedenfalls) und komplett ohne Zwischensicherungen - suber staa und sicher gaa!!! 

Das wäre dann der Rückblick auf L12, welche lapidar mit 3b bewertet und ohne jegliche Zwischensicherung ist.
L13, 45m, 6c: Die am anhaltendsten schwierige Seillänge, oft auch als Crux der Route bezeichnet. Nun ja, als Einzelstellen gibt es anderswo (L14, L25) Schwierigeres, aber die Komplexität ist hier schon Alleinstellungsmerkmal. Über eine mit feinen Wasserrillen ziselierte Platte gilt es, den richtigen Weg zu erkennen, abschüssigen Reibungstritten zu vertrauen oder dann wieder zu spreizen und teils mikrig kleine Griffe zu nutzen oder an Slopern effizient das Gewicht zu verschieben. Drei Stellen stechen besonders heraus: fordernd über die ersten zwei BH hinweg, dann die knifflige Querung nach dem vierten und schliesslich links drüben "très sublime" - hält der Fuss oder nicht?!? Er muss und er tut. Würde er nicht, so kommt man hier dank der recht guten Absicherung mit auf die Bolts stehen und derlei Taktiken wohl schon ganz ordentlich mit A0 durch. 

Diese seichten Wasserrillen wollen in L13 (6c) fein schleichend in eine Sequenz eingebaut werden.
L14, 35m, 6c: "Einzelstelle" versprechen die Topos. Da klettert man gleich mit Respekt los, so richtig weiss man ja nicht, wo diese wartet und kopflos-schusselig in die Crux reinklettern und den Onsight gefährden mag man ja dann auch nicht. Auf der Rechtsquerung aus dem Stand raus wartet die Schlüsselstelle jedenfalls noch nicht - nicht völlig trivial hier, geht aber gut. Später dann rechts drüben weiss man dann bei einem glatten Plattenaufschwung aber schon, was es geschlagen hat. Zwei Bolts  stecken nahe und man hat ausgiebig Zeit, sich seine Strategie zurecht zu legen. Gerade hinauf oder nach rechts?!? Mit einem Ultra-Gewürge wird die Stelle schliesslich wenig elegant niedergeknüppelt - Fear-of-Failure-Mode. Leichter hat's definitiv, wer sich hier den Griff zum ideal steckenden BH bereits erlauben darf... zur Entschädigung gibt's danach wieder einmal eine perfekte Leiter aus riesig grossen Knobs, absolut genial! 

Der Akteur zu Beginn der ominösen "Einzelstelle" in L14 (6c), im Vordergrund die super Knobs.
L15, 35m, 5c: Zu Beginn hat man die Wahl, rechts schwieriger im Fels zu moven oder links auf das Gras zu treten. Diese Chance gibt's in der Gletschersinfonie nicht oft, so nimmt man sie gerne wahr ;-) Das Silexband zieht hier weiter, allerdings längst nicht mehr so griffig. Über Gelände, das weder richtig einfach noch richtig schwierig ist, macht man Höhe. Insgesamt eher mehr fordernd als die heutigen Vorstellungen einer 5c sind. Das Finish dann über die kompakte, nun wieder graue Platte mit einer etwas unlogisch erscheinenden Linksschleife - ob es direkt wohl nicht auch bei gleicher Schwierigkeit ginge? Wir konnten/wollten es nicht probieren. 

Steile, dafür aber griffige Kletterei in L15 ("nur" 5c, von unten erscheint es doch ein wenig schwieriger).
L16, 30m, 6a+: Ein erster Blick auf die steile graue Wand, ein zweiter auf das Topo, welches hier nur gerade 2 BH verspricht, da könnte man den Bammel kriegen. Einerseits ist das berechtigt, weil die Kletterei durch die steile Wand entlang einer Struktur (Mischung zwischen grosser Wasserrille und Verschneidung/Riss) wirklich steil und fordernd ist. Noch dazu dürfte dieser Abschnitt manchmal nass sein - da der Fels zu Beginn etwas belagig wirkt, könnte das ein Showstopper sein. Genial auf jeden Fall auch die paar wenigen, sloprigen Löcher, die an entscheidender Stelle das Fortkommen erlauben, ohne dass es richtig schwierig würde. Es ist übrigens so, dass das Sanierungsteam hier durchaus Einsehen mit der Psyche der Wiederholer hatte. Es stecken mittlerweile 4 BH, aber die Länge ist immer noch kühn und fordernd! 

L17, 15m, 6a+: Der Stand von L16 liegt ziemlich unlogisch weit links aussen, L17 beginnt mit einer  Rechtsquerung und da insgesamt nur 15m lang, ist es absolut sinnvoll, diese beiden Abschnitte zu einer Länge zu verbinden. Den Stand von L16 kann man natürlich so nicht klippen (nicht nötig bzw. macht keinen Unterschied), sondern man zielt gleich zur einzigen Zwischensicherung von L17 (es sei erwähnt, dass diese für Kleingewachsene möglicherweise schwierig zu klippen ist). Der folgende Boulder ist echt knifflig (so à la 6a+, wtf!) - kleine Leiste matchen oder taffer Kreuzzug. Nach einem Mantle folgt wieder griffigeres Gelände, mit einem Runout gelangt man zum Stand. 

Rückblick von Stand 17 auf das Plattenmeer, in welchem wir die Sequenzen 16 & 17 verbunden hatten (6a+).
L18, 40m, 6a+: Superkompakte, graue Spritzbetonwand, sehr eindrücklich. In einer S-förmigen Linie geht es hier anhaltend und fordernd in die Höhe. Als Nachsteiger sind mir keine besonderen oder echt schwierigen Stellen in Erinnerung geblieben. Steigt man bei dieser luftig gehaltenen Absicherung vor, kriegt man möglicherweise eine andere Wahrnehmung. Wie schon in L15 beschreibt die Route am Ende einen (unnötig?) grossen Linksbogen mit einer kniffligen Nachsteiger-Traverse. Oder wurde die etwa angelegt, dass man den Seilzweiten schön vor dem Gletscher im Hintergrund fotografieren kann - könnte durchaus sein ;-) 

Suchbild "wo sind die Zwischensicherungen?!?" - aufgenommen in L18 (6a+).
L19, 45m, 6b: Zum Abschluss des mittleren Wandteils geht's nochmals ans Eingemachte! Auch wenn es nirgendwo so richtig hart wird, so stellen die spärliche Absicherung und der zum Schluss unklare Verlauf doch erhebliche Anforderungen. Es ist auch die Länge, wo wir am meisten mobile Sicherungen verwendet haben. Dies gleich zum Auftakt an der griffigen Schuppe, wobei es dann den Übergang auf die Wand links gut zu erwischen gilt! Einmal dort, wartet eine Linkstraverse mit einer Go-Go-Gadget-o-Arm Stelle (Spannweitenproblem). Nun griffiger ans markante Nasen-Dach und erstaunlich einfach an Cams gesichert darüber hinweg. Es folgen Wasserillen, wo nochmals schwiergere Moves und zwei BH warten. Aber damit ist nicht fertig. Zum Stand ist es einfach noch weit, Sicherungsmöglichkeiten habe ich keine gefunden und ohne den mutigen Schritt vorwärts geht es nicht. Die Insel der Sicherheit findet man schliesslich gut sichtbar links am Wulst. 

Toller Fels, geniale Kletterei und eher kühne Absicherung zum Abschluss des mittleren Wanddrittels (L19, 6b).
L20, 50m, Gehgelände: An sich ein problemlos begehbarer Abschnitt, das grasige Gelände ist gut gestuft. Aber laut Landeskarte im Schnitt doch über 45 Grad steil, ca. T4/T5. Rechterhand an den Felsen findet man einen Zwischenbolt, nach ca. 50m kommt auch ein Standplatz. 

L21, 50m, Gehgelände: Der zweite Abschnitt durch diesen Alpengarten erfordert nun etwas Kletterei über ein paar Felsen, ist also etwas schwieriger und steiler. Es geht eher etwas nach rechts hinauf, markante Anhaltspunkte um die Fortsetzung zu finden fehlen. Aber man wird schon fündig werden. Wir hatten die beiden Seillängen am laufenden Seil geklettert, um 15.30 Uhr hatten wir den letzten Wandabschnitt erreicht, die Sonne hatte uns ebenda und ebendann verlassen. 

Ausblick von Stand 19 auf die 100m Gehgelände, welche zum dritten Wandabschnitt führen.
L22, 20m, 4b: Wenn man genau späht, so erkennt man vom Standplatz durchaus die farblich dem Fels angeglichene SU-Schlinge (die schon bald folgt) sowie weiter oben einen BH. Es geht vom Standplatz leicht linkshaltend hoch. Kompakte Platte, gar nicht so einfach - auf einer neu eingerichteten Plaisirtour würde man das nicht mit 4b bewerten. 

Ausblick auf die "so-called 4b" von L22 und den kompakten dritten Wandabschnitt generell.
L23, 40m, 6b+: Jetzt heisst's nochmals "ad Seck!". Nur gerade 4 BH und 1 SU säumen diesen Abschnitt, da könnte man aufgrund der vermeintlich äusserst kompakten Steilwand schon im Voraus den Bammel kriegen. Es kommt aber doch besser wie befürchtet: absolut charakteristisch für diesen Wandteil ist, dass er von unten so kompakt-unnahbar aussieht, sich aufgrund der diagonal-positiven Felsschichtung aber doch immer wieder sehr gute Griffmöglichkeiten auftun. In Erinnerung bleibt mir ein doch plötzlich unverhofft abdrängender Aufsteher beim zweiten Bolt, wo ich mich nur knapp vor dem Abkippen retten konnte. Danach zeigen die älteren Topos eine Rechtsumgehung bei markant tieferen Bewertungen. Vor Ort konnte ich die nicht erkennen (bzw. sie schien mir unlogisch und nicht so viel einfacher, wie der handlichere, direkte Weg), so dass ich die 6b+ Direktvariante aus dem Sanierungstopo übernehme - kurz ein paar kleinere Griffe halten und entschieden Antreten genügt. 

Kompakte Wandkletterei in L23 (6b+).
L24, 40m, 6b+: Hier gibt's nochmals eine richtig fordernde Seillänge mit sehr luftiger Absicherung. Es stecken in der Tat nur 4 BH und auch wenn's vielleicht eher 38m statt 42m sind, so heisst hier "Runout" ganz klar das Motto. Wobei die Absicherung schon fair und sinnvoll platziert ist, an den luftigen Abschnitten ist es schlicht und einfach griffig-kontrollierbar-einfacher. Der Schuppe entlang geht's zum ersten Bolt, wo sich vor allem ein Linienwahlproblem stellt. Dem Topo oder der Intuition vertrauen?!? Hat die zweite Sicherung eingeschnappt, geht's weit und griffig zur dritten. Erneut mit zu erkennender Linie schwierig zum letzten Bolt, nach welchem auch nochmals kleine Griffe gehalten werden müssen - very memorable! 

42m kompaktissimo Wandkletterei in L24 (6b+), die erste von 4 Patronen (=Zwischensicherungen) schon verbraucht...
L25, 30m, 6c+: Nun wartet tatsächlich noch die nominelle Crux der Route! Wer über Stunden den roten Punkt erhalten konnte, wird hier nun nochmals richtig geprüft. So spielt denn die mentale Komponente durchaus eine Rolle - hier noch an der perfekten Begehung zu scheitern, wäre ja schon schade. Aber das Spiel ist halt erst mit dem (fast) letzten Move zu Ende, das ist doch auch immer wieder eine tolle Sache. Gesagt sei, dass es sich bei dieser Seillänge für Gipfelstürmer um eine fakultative Zusatzaufgabe handelt. Die Topos suggerieren, dass man ab Stand 24 im Gehgelände den Klein Wellhorn Nordgipfel (P.2686) erreichen könne. Mag sein, im Gelände sah das allerdings nicht nach einfachem Terrain aus, wo man seilfrei hochspazieren könnte. Um hingegen zum Südgipfel, auch Lilienspitz genannt und mit 2701m der echte Höhepunkt zu kommen, könnte man tatsächlich das diagonal links hinauf ziehende Band verwenden. Es ist gut begehbar, teils etwas schuttig und im Abstieg (man muss seilfrei steigen) doch auch ordentlich expo (experienced alpinists only!!!). Anyway, wir sind ja eh zum Klettern hier, also los. Erster BH geht gut, dank ein paar Leisten geht's auch zu Silberling Nr. 2 voran. Hier die Crux, wo man echt voll noch rasiermesserscharfe Kleingriffe zupfen muss und sich die etwas wackligen Moves an schlechten Tritten ohne etwas (Sturz)Risiko zu nehmen nicht auflösen. Ich kann mich aber an die Henkel retten, der erlösende Jauchzer ähm nein die Gletschersinfonie konnte aus der Kehle ertönen :-) Die Schwierigkeiten sind damit gegessen, aber vorbei ist die Länge nicht. Nun entweder links in der Wand um den Turm herum (ist es wirklich so gedacht?!?) oder hinauf und über die Rampe. Der dritte BH folgt erst auf dem Turm beim Übergang an das finale Wandstück - er ist unsichtbar, die Sicherungsperson am Stand sieht aber die daran befestigte Seilschlinge und kann leiten. Achtung, dieses Stück ist zwar einfach aber expo, ein Sturz liegt da definitiv nicht drin! Die letzten Meter entpuppen sich an Henkeln dann problemlos, man erreicht den Grat und etwas daran aufwärts haltend das Routenende - wow! 

Zum Abschluss noch die Crux mit Vollgas-Crimperei in L25 (6c+). Da werde ich mich noch lange daran erinnern!
Um 17.50 Uhr und damit nach rund 9:40h Kletterei hatten wir es geschafft. Wobei die Zeit (für uns) völlig unerheblich ist. Es gab null Grund zur Eile, auf unserem Niveau, ohne Routenkenntnis und mit der Ambition, an beiden Seilende alles sauber Onsight/Flash zu klettern dauert es einfach eine Weile, bis jede Kletterstelle geschafft ist. So konnten wir stolz den Eintrag im Routenbuch vornehmen. Im 2020 hatte sich zuvor noch niemand eingetragen. Allerdings war der Deckel der Wandbuchdose abgestürzt, das Buch lag einfach mit einem Stein beschwert in einer kleinen Nische - hatte es wirklich auf diese Art unbeschadet den Winter überdauert?!? Das ist ein Rätsel, das wir auch nicht auflösen konnten. Allerdings löste sich ein anderes: auf dem Grasbord unterhalb hatten wir schon lange einen metallig schimmernden Stein gesehen und fragten uns, was das wohl sei. Natürlich, der Deckel - wir konnten ihn beim Abseilen bergen und auf der Route platzieren. Die beim Einstieg biwakierende Seilschaft, welche die Route am Folgetag begehen wollte, konnten wir instruieren, so dass die Sache nun hoffentlich wieder bereinigt ist.

Letzter Standplatz der Gletschersinfonie, but going for the summit!
Mit dem Wandbucheintrag wollte ich es nicht bewenden lassen. Eine solche Route, die zudem in unmittelbarer Gipfelnähe endet, kann man mit einem echten Alpinistenherz nicht einfach am letzten Stand beenden. So hiess es hinauf zum Top, dem Eintrag von Lorenzo auf hikr.org sei Dank wusste ich in etwas, was noch wartete. Der Grat hinauf bietet erst noch etwas Zweier- und Dreiergelände, ist allerdings brutal exponiert und die Felsen sind nicht überall zuverlässig. Danach noch ein paar Schritte in einfacherem Gelände zum Top, das wohl nur ganz selten besucht wird. Ausser einem Steinmann gibt's denn auch wenig Konkretes dort oben - ausser natürlich das Feeling, das ist einfach ganz unbeschreiblich nach dieser epischen Begehung! Nun hiess es aber wieder hinunter - da mein Partner am Routenende geblieben war, standen mir sowohl der Grat als Rückweg wie auch das Diagonalband offen. Weder das eine noch das andere ist harmlos und muss seilfrei und ohne jegliche Sicherung abgeklettert werden - make your own choice.

Kurz vor dem Top - welch Ambiente!
Nun galt es noch, wieder vom Berg zu kommen. Im Vorfeld hatten wir erst noch mit dem Gedanken eines Fussabstiegs über die Nordabdachung gespielt. Doch bei der Gletschersinfonie lohnt sich das ganz bestimmt nicht! Um ca. 18.10 Uhr waren wir am Routenende bereit, in die Tiefe zu gleiten. Nach dem Studium einiger Berichte hatten wir uns entschlossen, 2x60m-Seile mitzunehmen, weil das hier zum Abseilen wohl die Nachteile beim Aufstieg mehr als Ausgleichen würde. Und ich muss sagen, das war ein ganz smarter Move - unbedingt mit 60er-Stricken anreisen! Wir konnten auf der ganzen Route abseilend immer mindestens 2 Seillängen verbinden, 2x sogar 3 Stück! Hier noch die Einzelheiten: S25 -> S23 -> S21 und mit Fussabstieg über den unteren Teil des Grasbands -> S19 -> S17 -> S14 -> S12 -> S10 und mit etwas Fussabstieg in der terrassierten Schlucht zum Fixseil, diesem entlang -> S7 -> S4 -> Miracolo-Stand etwas rechts oberhalb von S2 -> Boden. Das sind konkret nur 11 Manöver, die wirklich speditiv gehen, so waren wir nach 1:15h bereits etwas vor 19.30 Uhr wieder am Einstieg. Auch hier soll aber Safety vor Speed kommen und es sei erwähnt, dass das Seil öfters nur knapp reicht! Somit blieb uns nur noch der Fussabstieg zurück zum Ausgangspunkt. Um 20.15 Uhr waren wir retour beim Parkplatz, macht 13:30h für die komplette Runde und ich denke, dass eine Zeit von gut 2 Stunden für Lilienspitz - Gletscherschlucht mit einem Fussabstieg ohne Routenkenntnis und das Eingehen von ungebührlichen Risiken kaum zu machen ist. Freude, Stolz, tiefe Zufriedenheit - es ist schwierig, die Emotionen nach dieser Tour, auf welche ich lange Jahre gewartet hatte, zu beschreiben. Und dann war ja auch noch alles perfekt und wie erhofft aufgegangen. Vielleicht mochte dieser laaaange Bericht ein wenig etwas davon zu vermitteln. Und sonst gibt es noch das live vor Ort kommentierte Video, das weitere Eindrücke liefert :-)



Facts

Wellhorn - Gletschersinfonie 6c+ (6b obl.) - 25 SL, 900m - K. & R. Ochsner, M. Pitelka 1988 - *****;xxx
Material: 2x60m-Seile, 12 Express, Camalots 0.2-1

Viel besser kann alpines Sportklettern nicht sein. Diese Route hat Weltruhm und dies absolut zurecht, da gibt es keine Zweifel an der Höchstnote. Nein, der Fels ist nicht auf jedem Meter (aber vielerorts) perfekt, zwei längere Schrofenabschnitte müssen auch bewältigt werden. Aber in der Summe ist es ein sehr eindrückliches Erlebnis mit unzähligen genialen Kletterzügen. Das erste Drittel wartet mit einem Mix von Steilplatten und athletischer Wandkletterei auf, im zweiten Abschnitt dominieren die Steilplatten, teils mit Wasserrillen und Knobs, während in der Schlusswand monumentale technische Wandkletterei wartet.

Die Absicherung darf man seit der letzten Sanierung 2012 als gut bezeichnen. Im leichteren Terrain warten immer wieder grössere Abstände, die sich aber mit etwas kühlem Blut immer gut auflösen. Die schwierigen Kletterstellen ab ca. 6a und mehr (nach der alten Ochsner- und Wenden-Skala) sind vernünftig behakt. Zu einem grossen Teil handelt es sich bei den Sicherungen um solide Inoxbolts, hier und da wurde auch noch ältere Ware belassen. Die plattig-kompakte Felsstruktur bietet sich nicht gerade an, um ausgiebig mobile Sicherungen zu platzieren. Hin und wieder liefern diese aber doch einen entscheidenden Beitrag zu Sicherheit und Wohlbefinden. Wir haben uns entschieden, ein Set Cams von 0.2-1 mitzunehmen und fanden das goldrichtig so. Psychisch gefestigte Ultralight-Fetischisten könnten eventuell noch 0.75, 0.4 und 0.2 weglassen.

Sicht zum Dossen und dem Rosenlauigletscher.
Die Sonne scheint je nach Jahreszeit frühestens ab 7.30 Uhr auf den Einstieg (August 8.30 Uhr, September 9.30 Uhr), sie verlässt die Wand Mitte Nachmittag wieder. Für eine Begehung bieten sich insbesondere die langen Tage der zweiten Junihälfte und im Juli an. Sehr früh in der Saison, solange noch Schnee auf dem oberen Grasband liegt, kann Schmelzwasser Probleme bereiten. Gegen den Herbst hin werden die kürzeren Tage zum Handicap und die Sonne erscheint erst relativ spät am Einstieg, so dass man sicher noch in der schattigen Kälte starten sollte.

Ich kann nur mit Nachdruck empfehlen, ausschliesslich bei stabiler Wetterlage mit 0% Gewitterrisiko einzusteigen. Der Kessel des Rosenlauigletschers bleibt lange vor  Bewölkung verschont, man sieht die sich oft am Eiger zusammenbrauenden oder von Westen heranrückenden Gewitter nicht kommen. In der Wand gibt es nur wenig Schutz (beste Option ist die Nische nach L10), zusammen mit dem exponierten Gipfel, enormen Wassermassen und Steinschlag in der Wand gibt das einen potenziell tödlichen Mix - es ist kein Platz für "wir schauen mal"-Experimente. Es gibt in der Wand übrigens auch nur sporadisch Handyempfang (Swisscom, Stand Juni 2020), keinen Imbisskiosk und Getränkenachschub, das sollte bei der Planung ebenso berücksichtigt werden.

Goodbye-Gruss vom Wellhorn! Im Bild die Nordabdachung, über welche man zu Fuss absteigen würde.
Laut dem Routenbuch gibt es pro Saison ca. 5 komplette Begehungen, wobei manche Anwärter möglicherweise schon vor dem Top das Handtuch werfen müssen. Das beste Topo findet man im Extrem West, frei verfügbar ist dasjenige vom Rebolting-Team. Letzteres zeigt allerdings die Anzahl Haken im Originalzustand und nicht nach den beiden Sanierungen (K. Ochsner 2003 & R. Schmid 2012) - es steckt also (v.a. unten, teils in der Mitte, oben dafür kaum mehr) zusätzlich Material. Letzter Hinweis: im unteren Teil verläuft die enger geboltete Miracolo abschnittweise gemeinsam mit der Gletschersinfonie und bietet entsprechend Gelegenheit, sich zu verkoffern.

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