Normalerweise hätte man diese Route nicht als erste auf dem Radar, denn das Statement im SAC-Führer "die Hakenabstände sind sportlich und die Spits nicht immer gut gesetzt" wirkt ja erst einmal etwas abschreckend. Doch bei unserer Abseilfahrt nach der Viniciolòlavia (7c+) hatten wir uns davon überzeugen können, dass die Barcollo einerseits sehr interessante Kletterei im überhängenden Steilgelände versprach und andererseits zahlreiche Bolts vorhanden waren. Eigentlich hätten wir als zweite Tour die mit mehr Sternen dotierte Vamos a la Playa (7b) anteasen wollen. Doch als wir dann gleich am Beginn der Barcollo standen und sich die Sonne schon bedenklich der Wandkante ob dem Klettergarten genähert hatte, musste es zügig gehen. Sofern wir noch bei angenehmen Temperaturen etwas reissen wollten, musste es gleich an dieser Stelle losgehen. Und wir wurden nicht enttäuscht, formidabel war die Route!
Blick auf die vom Parkplatz klein und unscheinbar wirkende Parete di Cevio (Bildmitte, im Schatten) |
Unser Klettertag begann ein paar Minuten vor 8.00 Uhr mit dem kurzen Zustieg, vorbei am beliebten Klettergarten, wo man sich nach rechts ins Gehölz hält und nach ca. 100m am Fuss der Parete di Cevio steht, welche aus dieser Perspektive eindrücklich steil wirkt. Der Einstieg befindet sich auf dem 'Vorbau des Vorbaus', wozu ungesichert plattig-moosiges Gelände erklommen werden muss, was v.a. bei der hier oft drückenden Nässe heikel sein kann. Auch der Einstieg ist nicht näher bezeichnet, wobei die Bolts dort stecken, wo man am einfachsten über den Riegel hinweg kommt. Ab etwa 9.15-9.30 Uhr (Winterzeit) könnte man auf Sonnenschein zählen. Da wir zuerst die Viniciolòlavia (7c+) kletterten, war es bis zum Start der Barcollo bereits ca. 13.00 Uhr und die Sonne stand schon kurz davor, sich wieder um die Ecke zu verabschieden.
L1, 30m, 6a: Die Sache beginnt mit einer kurzen Steilstufe, die dem schwarzen Fels von mässiger Qualität nach zu beurteilen oft nass ist, bevor schrofiges Gelände zu den Standplätzen am Beginn der eigentlich Wand führt. Ist dieser linke Einstieg nass, so präsentiert sich die Situation in der Einstiegslänge der Viniciolòlavia weiter rechts möglicherweise besser. Der Fels dort sieht weniger danach aus, als ob oft die Nässe drückt. Einmal am Fuss der Steilwand, könnte man auch ab diesem Einstieg in die linken Touren wechseln.
L2, 25m, 7a: Von unten sieht es banal aus, der Eindruck täuscht aber. Es ist steiler wie man meint, dennoch ist die Kletterei hier eher noch von technischem Charakter. Schon mittig muss man bei einer Traverse nach links die Moves sorgfältig planen. Die Crux gegen das Ende hin: gefühlvoll Moven an sloprigen Crimps, dies ziemlich zwingend über dem zu wenig tief gebohrten Bolt (brrr....), bevor dann nach dem letzten Klipp zum Stand hin auch nochmals etwas Engagement und kühles Blut für die wackligen Moves nötig ist.
Am Ende von L2 (7a) werden technische Moves an abschüssigen Leisten verlangt, dies auch zwischen den Haken. |
L3, 20m, 6c+: Der nächste Standplatz scheint zum Greifen nah, so dass es hier, erst über eine "Platte" und dann einer Struktur à la Verschneidung/Riss entlang leicht einen Punkt zu holen gibt. Aber irgendwie ist in dieser Wand einfach die Optik verschoben. Der erste Teil geht zwar wirklich noch vergleichsweise gut von der Hand, das Finish ist aber echt athletisch mit ein paar kräftigen Zügen. Achtung, kurz vor Schluss bietet sich ein Spike/Spitz als sehr guter Griff an, er ist aber nur schlecht in der Wand verankert und man befindet sich genau über der Sicherungsperson!
Plus difficile qu'il n'y parait... in L3 (6c+) muss man am Ende schon auf die Tube drücken! |
L4, 25m, 7b: Ohlalala, was für eine Länge! Der Auftakt eigentlich durchgehend gutgriffig an Henkeln und kleinen Verschneidungen, aber es ist doch deutlich überhängend und man muss oft ohne gute Tritte hangeln, so dass man bereits aufpassen muss, den grünen Drehzahlbereich nicht zu verlassen. Mittig folgt nämlich eine erste Crux über eine Ecke hinweg - supercoole Stelle, wo man sogar mittels Jammen am besten vorankommt und definitiv den Booster zünden muss. Man kann dann an wieder guten Griffen nochmals etwas durchschaufen, bevor es in das zähe Finish geht. Nochmals zieht's athletisch an, bevor die Klimax mit dem Entern des abschüssigen Standbödeli folgt. Ein richtiger Onsight-Killer, nur üble Sloper und die Lösung sehr schwierig zu finden. Tja, während es bis hier im Rotpunkt-Modus gegangen war, verliessen mich da endgültig die Kräfte, schade! Total ausgepowert widmete ich mich dem Nachsichern, die Sonne war inzwischen um die Ecke abgebogen und es wurde empfindlich kalt. Die Frage nach einem 2nd Go stellte sich nicht mehr...
L5, 40m, 7b/+: Meine Kräfte waren komplett am Ende, doch trotzdem wollten wir natürlich noch bis zum Top klettern. Hier folgt gleich schon zu Beginn am zweiten Haken eine bouldrige Crux, der Bolt ist mangels Griffen und Tritten schwierig zu klippen, somit eine etwas diffizile Sache. Die nächste Challenge folgt mit einer vertrackten Kante, bzw. schon dem Erreichen dieser - knifflige, typische Gneiskletterei à la Ticino. Mit athletischen Zügen entkommt man dieser Sektion, vorerst geht's etwas griffiger dahin. Doch bevor sich das Gelände endgültig zurücklegt, wartet nochmals eine schwierig zu lesende Steilpassage, die nochmals Kraft und Entschlossenheit verlangt, zudem ist sie auch obligatorisch zu meistern. Dies geschafft, sind es noch ca. 10m in zunehmend grasigerem, einfachem Gelände zum Top. Vielleicht waren wir einfach schon zu müde, aber diese Länge dünkte uns für eine vermeintliche 7b doch hammerhart, so dass sie vielleicht eher als 7b+ zu werten ist?!?
Um 16.10 Uhr, somit nach rund 3:00 Stunden toller Kletterei waren wir oben. Schon längere Zeit im Schatten, der Wind hatte auf heftige Stärke zugelegt, immerhin waren die Temperaturen ob dieser Föhnströmung etwas angestiegen. Trotzdem, es hielt uns nichts länger hier, ab zurück an den Einstieg, ins Auto und möglichst bald einen Kaffee in die Hand war die Devise. Das Programm zum Abseilen (30m, 50m, 30m) kannten wir ja bereits, es ging eventfrei vonstatten. Raschen Schrittes gingen wir am inzwischen wieder verwaisten Klettergarten vorbei zu Tale und konnten über kurz oder lang den Wunsch nach einem Heissgetränk erfüllen. Das war nun ein echt cooler MSL-Tag gewesen, mit sehr viel luftig-athletischer Kletterei. Ganz so viele Punkte wie zuletzt an der Parete di Solada gab es dieses Mal nicht zu verbuchen. Macht nichts und es besteht immer die Chance, wiederzukommen und die Sache besser zu machen :-)
Beschliessen wir die Sache doch mit dem spektakulären Tiefblick auf die massiv überhängende L4 (7b)! |
Facts
Parete di Cevio - Barcollo ma non mollo 7b/+ (6c obl.) - 5 SL, 130m - Bosshard/Mercolli 2001 - ***;xxxx
Material: 2x50m-Seile, 15 Express, Cams/Keile nicht nötig & kaum einsetzbar
Spektakuläre, kurze MSL-Route, die vorwiegend athletische, gutgriffige Kletterei in stark überhängendem Gelände bietet, also sozusagen die Antithese zu den typischen Tessiner Plattenrouten. Die Route wurde scheinbar von oben eingerichtet, in den beiden 7b-Längen stecken die Inox-Bolts sehr dicht (mindestens wie im Klettergarten, eher sogar noch näher, xxxxx), nur in der 7a-Länge am Anfang ist 1-2x etwas Entschlossenheit für nichttriviale Züge über dem Haken nötig (xxxx). Alles in allem aber sehr gut gesichert, man kann bedenkenlos am Limit klettern und voll angreifen. Cams und Keile kann man getrost daheim lassen, nur genügend Exen sollte man auf jeden Fall am Gurt haben. Ein Topo findet man im SAC-Führer Ticino e Moesano oder im Extrem Sud.
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