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Freitag, 16. September 2022

Rothorn / Rote Fluh - Bons Baisers de Sibérie (7a+)

An die gelobte Rote Fluh im Färmeltal hatte ich es bisher erst ein einziges Mal in meiner Kletterkarriere geschafft und das liegt nun auch schon wieder 5 Jahre zurück. Doch nun war wieder einmal ein Tag dafür gekommen. Eine langsam abziehende Schlechtwetterfront versprach in der Zentral- und Ostschweiz noch viele Restwolken und die Temperaturen waren auf herbstliches Niveau gefallen. Zusätzlich waren der persönliche Formstand und die nötige Dicke der Fingerhaut auf dem erforderlichen Level. So konnte die kurvenreiche Anfahrt ins hintere Simmental gutem Mutes angepackt werden. Noch während dieser einigten wir uns auf einen Versuch in der am höchsten gelobten Tour an der Wand. Diesen Lobpreisungen kann ich nur zustimmen, die Bons Baisers ist mit Garantie eine der Top-MSL-Routen der Schweiz!

Das Rothorn in seiner ganzen Pracht mit dem Verlauf der Bons Baisers de Sibérie (7a+)

Wie schon beim letzten Mal stationierten wir unser Gefährt beim Waldstück auf ca. 1440m und liefen um 8.40 Uhr los. Scheinbar waren keine anderen Kletterer unterwegs und das bestätigte sich später tatsächlich; wir hatten die ganze Wand des Rothorns alleine für uns zu Verfügung - erstaunlich! Erst auf Güterstrassen, dann entlang dem Wanderweg zum und durch den Brandwald ging es bis zum Ausgang desselben unterhalb der Alp Bluttlig auf 1710m. Dort verliert sich der Pfad, man geht am besten einfach gerade über die Wiesenhänge hinauf. So wird man unweigerlich auf den Climbers Trail treffen, der ab ca. 1790m wieder deutlich ausgeprägt ist und im Bereich der grossen Geröllhalde zur Wand führt. Gerade eine Stunde nach Aufbruch waren wir an den tiefsten Felsen, wo sich der Einstieg von Le Salamandre befindet. Etwa 50m weiter links oben liegt der Startpunkt der BBdS - die Aufschrift ist inzwischen abgeblättert, die (auf den Topos verzeichnete), markante kleine Nische links an diesem Felsriegel ist aber genügend charakteristisch, um sich sicher zu sein. Um 10.05 Uhr waren wir 'geared up' und starteten mit der Kletterei.

Das hintere Färmeltal - de toute beauté :-)

L1, 45m, 6b+: Die ersten Meter sind gleich der am wenigsten attraktive Abschnitt der ganzen Route. Da ist der Fels noch nicht über jeden Zweifel erhaben, passt aber schon. Bald einmal geht's athletisch-griffig über zwei Wulste hinauf, was einen auf die grosse Platte bringt. Dank tollem, rauem Fels und genügend Struktur geht's auch da weitgehend recht kommod voran. Nur an einer Stelle, die sich zusätzlich auch noch zwischen den Haken befindet, muss man vage Sloper bedienen, sich 'süüferli' verschieben und der Reibung das Vertrauen schenken. Zuletzt dann wieder einfacher auf das Grasband hinauf.

Zum Greifen nah! Wir hatten definitiv mehr Freude an ihm wie die Dohlen.

L1bis, 20m, Gehgelände: Man muss sich über das Grasband nach links verschieben, wo die Route nun so richtig beginnt und durch die ~180m hohe, stets mindestens vertikale und oft überhängende Steilwand führt. Von den beiden Standplätzen bzw. Hakenlinien ist die rechte die Richtige, bei der linken handelt es sich ein schwieriges Projekt/Route (?) von Berner Oberländer Kletterern.

L2, 35m, 6c+: Hier ist die Schonfrist definitiv vorbei und es geht volle Kanne los. Schon nach wenigen Metern ist man von der fingerkräftigen Tropflochkletterei hoffentlich begeistert, kämpft möglicherweise gegen den aufkeimenden Pump und sucht sich seine Sequenz durch die unzähligen Strukturen der Wand. Schon bald ist einiges an Engagement nötig - die Absicherung ist zwar safe, aber doch nicht allzu üppig, vor allem aber ist das Terrain anhaltend und die Moves auch zwischen den Haken fordernd. In der Mitte lockt ein arg auf direkte Linie gesetzter Haken zum Pokerspiel über die zu wählende Beta und auch kurz vor Ende erfordert eine weitere cruxy Sektion Entschlossenheit. Insgesamt ein tough cookie, hier eine 7a zu geben wäre sicher auch nicht verkehrt.

Exzellente Kletterei in fetzig-scharfem Tropflochkalk in L2 (6c+).

L3, 25m, 7a+: Metermässig eine der kürzeren Seillängen, subjektiv wird es einem aber bestimmt nicht als eine halbe Portion vorkommen. Gängiges Gelände führt einen an die Crux heran, wo wegen Trittarmut athletisch an Untergriffen und ein paar mässigen Leisten operiert werden muss, bis man seine Griffel wieder in scharfe Tropflöcher krallen kann. Nach einer kurzen Verschnaufpause fordert eine zwar recht gutgriffige, löchrige aber unübersichtliche und erneut trittarme Power-Passage. Ein Runout bringt einen zum finalen, funky Boulderproblem über einen Wulst mit einem balancy Ausstieg - kühne Sache, die durchaus Entschlossenheit fordert. Auch hier gilt, die 7b (welche in älteren Topos zum Teil noch gelistet wird) wäre bestimmt keine Überbewertung.

Nach athletischer Power-Kletterei wartet in L3 (7a+) ein knifflig- bouldriges Finale.

L4, 45m, 6c+: Eine Mooonster-Länge, aber so, so gut! In perfektem Tropflochfels geht's diagonal rechts hinauf, mit der richtigen Linienwahl doch einigermassen kommod. Nach etwa 15m stellen sich einem aber zwei überhängende Abschnitte in den Weg. Rissähnliche Strukturen und ein paar runde Löcher stellen das Material dar, um diese mit kräftigen Moves zu bezwingen. Man erreicht so eine wasserrillige Rampe, welche die Route aber zu Gunsten von schwierigerer Kletterei gleich wieder nach rechts verlässt. Kühne Steilplattenmoves werden gefordert, die Stelle vom zweitletzten BH weg ist dabei echt knifflig und leitet in einen längeren Abstand über - nur cool bleiben, je mehr man sich vom Haken entfernt, desto einfacher wird es. Diese Länge wird in einigen Topos als 6c+, in anderen sogar nur als 6c bewertet. Letzteres macht für mich keinen Sinn (da hier nix einfacher ist wie in L2, L5, L6) und auch eine 7a wäre nicht gestohlen.

Die Mooonster-Pitch (L4, 6c+) endet mit harter Steilplattenpassage, in einen Runout übergehend.

L5, 35m, 6c+: Von den allesamt genialen Seillängen im Hauptteil ist diese hier vermutlich die am wenigsten herausragende - aber natürlich immer noch kein Programm zum Wegzappen. Los geht's nach links hinauf mit steiler, stets latent pumpiger Tropflochkletterei. Wer noch ausreichend Reserven an Kraft und Haut hat, kommt aber bestimmt ohne grössere Basteleien zur Crux, wo man sich von einer guten Rastposition die Strategie zurechtlegen kann. Die offensichtliche Standard-Beta besteht aus einem instabilen Move von einem Sloper in einen Untergriff. Ich habe drei-, viermal dazu angesetzt, aber die Garantie die Bewegung ohne Wegzukippen ausführen zu können spürte ich nicht. Da ich mir den Onsight nicht versauen wollte, habe ich schliesslich eine bessere Lösung identifiziert und auf diese gesetzt. Die ging stabil, aber ob sie nun tatsächlich einfacher ist oder womöglich sogar nur mit meinen Proportionen machbar, vermag ich natürlich unmöglich zu sagen. Mein Kletterpartner hat mir im Anschluss bestätigt, dass der Move auf der Originalbeta effektiv so schwierig und heikel ist, wie ich ihn eingeschätzt habe. Nach der Crux wird es bald einfacher, man klettert in nicht mehr ganz perfektem Fels auf den Hinkelstein hoch, der Hakenabstand zum Stand ist richtig weit!

In L5 (6c+): "Kannst mal anhalten, damit ich ein Foto machen kann?" - ja, ich konnte :-) 

L6, 30m, 7a: Während man dem zu Beginn dem Band entlang untenrum fast spazieren könnte, so nimmt die Route einen scheinbar etwas gesuchten Weg im steilen Gelände oberhalb. Die diagonale Querung an einer Reihe von erstaunlichen Löchern klettert sich dann aber echt genial und elegant. Schliesslich geht's wieder hinein in das steile Tropflochgelände. Gleich zu Beginn etwas heikel - ein Sturz würde da wohl heftig wehtun - aber es finden sich schon so richtig gute Crimps zum Zuschrauben, so dass die Gefahr eines Abgangs eher hypothetisch bleibt. Mittig heisst es dann, ein paar Moves an seitlichen Scharf-Winz-Griffen und auf mässigen Tritten mit Entschlossenheit durchzuziehen. Das bringt einen zu einem Dächlein, wo trotz ganz anderen Bewegungen/Charakter nochmals genau dieselben Worte zu den Strukturen und dem Geisteszustand gesagt werden darf. Zum Dessert wartet dann noch ein piaziger Riss. Meine Befürchtungen, es hier ganz am Ende noch in meinem Antistyle zu vergeigen bewahrheiteten sich nicht - der Flow war da und sowieso, im rau modellierten Tropflochkalk dülfert es sich doch merklich leichter wie im glatten Granit (mal abgesehen davon, dass die Stelle im Gesamtkontext auch nicht so schwierig ist). Ein paar Henkel führen schliesslich nach links zum Top, wo ich mir doch die Frage stellte, warum genau diese Länge mit 7a bewertet ist. Obwohl ich an diesem Punkt sicherlich schon etwas müde war, ging es mir tendenziell leichter von der Hand wie L2, L4 und L5, wobei die 7a im einem weiter gefassten Vergleich aber sicher gerechtfertigt ist.

Diagonale Lochreihe zu steiler Tropflochwand heisst es in L6 (7a+) - erneut genial!

Um 16.50 Uhr und damit nach 'a whopping' 6:45 Stunden Kletterzeit hatten wir beide das Top erreicht. Das tönt bei nur 6 Seillängen bestimmt nach sehr viel. Es war aber alles perfekt gelaufen, für uns stand bei perfekten äusseren Bedingungen aber halt die freie Begehung im Zentrum. Die anhaltend schwierige Kletterei ist einerseits oft tüftelig-unübersichtlich, zudem erfordert und erlaubt sie es aber doch stets, an etwas besseren Griffen zu schütteln um auf einem akzeptablen Laktatlevel zu bleiben und sich die Strategie für eine folgende, kleingriffigere Sektion zu zimmern. Total geflasht von dieser Traumbegehung warfen wir die Seile aus. Das Abseilen geht ob der steilen Wand sehr zügig, mit nur 5 Manövern (Top -> S5 -> S4 -> S3, von da (mit 50m knapp!) -> S1bis -> Boden) waren wir um 17.15 Uhr zurück bei unserem Depot am Einstieg. Wir verpufften das Material und schnürten die Schuhe, der Weg zum Ausgangspunkt lässt sich zügig erledigen, so dass wir um 18.20 Uhr talwärts rollten. In Zweisimmen hiess es noch, des Automobils Akku mit einer Portion Ökostrom für den Heimweg zu versorgen, währenddessen konnten wir unsere Speicher gleich nebenan ebenfalls auffüllen. Schliesslich gondelten wir entspannt unseren Betten entgegen, mit dem Gefühl dass man diesen Sonntag kaum mit einem besseren Programm hätte verbringen können :-)

Super-fetzige Tropflochkletterei bis zum letzten Meter (L6, 7a) - der Stoff, aus dem Kletterträume sind!

Facts

Rothorn - Bons Baisers de Sibérie 7a+ (6c/+ obl.) - 6 SL, 230m - Anker/Piola 1990 - *****;xxx
Material: 2x50m-Seile, 12 Express

Für meinen Begriff zweifellos eine der besten MSL-Touren dieser Art in der Schweiz, die anhaltend steile, homogen schwierige Tropflochkletterei in exzellentem, stark strukturiertem Gestein sucht ihresgleichen. Die vollen 5 Sterne mit dem Prädikat "Weltklasse" sind zweifellos verdient, auch wenn Empfindliche oder sich diese Art der Kletterei nicht Gewohnte die schiere Schärfe des Gesteins monieren könnten - was für mich effektiv kein Problem darstellte, rein von der Haut her könnte ich die Route bestimmt 3-4x am Stück klettern (in Sachen Kraftreserven und Zeitbudget sieht es freilich anders aus ;-)). Zum positiven Erleben trägt neben der schönen Landschaft auch die stimmungsvolle Absicherung bei: sie ist eher knapp gehalten, erfordert beherztes Steigen und den stetigen Willen zum 'Schritt vorwärts'. Nie aber empfand ich es als psycho oder unangenehm, zudem stecken die Bolts halt einfach genau da, wo es sie am meisten braucht - die Route ist nicht nur ein Meisterwerk der Natur, sondern auch der Erschliessung. Es sei noch erwähnt, dass man mit Cams/Keilen kaum etwas anfangen kann und diese darum getrost daheim bleiben können. Topos findet man z.B. im Extrem West, im Topoguide Band II oder im SAC-Führer Berner Voralpen.

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