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Dienstag, 28. Juni 2022

Wendenstöcke - Vreneli (7c)

S'Vreneli, z'schönstä Meitschi im Tal

Diese epochale Route (22 SL, 7c) der Gebrüder Remy aus dem Jahr 1989, welche zentral durch die gewaltige Südwand am selten besuchten Mähren führt und laut ihren eigenen Aussagen zu den schönsten von ihnen erschlossenen Routen gehört, hatte ich natürlich schon lange auf dem Radar. Ich habe ein wenig in meinen Mails und Chats gestöbert und tatsächlich hatte ich sie seit 15 Jahren schon immer wieder aufs Tapet gebracht, wenn es darum ging ein Kletterziel auszuwählen. Natürlich waren es manchmal Wetter, Bedingungen und Zeitbudget, die es nicht zuliessen, meist aber zeigten die Seilpartner kein Interesse, sich an dieser Route zu versuchen. Dieses Mal war es anders, Viktor war bis in die Haarspitzen motiviert und so konnte ich nicht der Bremsklotz sein. Gewisse Zweifel meinerseits rührten daher, dass die auch nicht schwieriger bewertete Hakuna Matata am Weekend davor mit nur gerade 8 anstatt 22 Seillängen unser ganzes Vermögen gefordert und sämtliche Energiereserven erschöpft hatte...

Gewaltig die Wand des Mähren (Bildmitte), der Pfaffenhuet (rechts) wirkt schon fast klein dagegen!

Ein weiterer Faktor waren die als rekordhoch angesagten Temperaturen. Im Flachland wurden schlussendlich bis zu 37 Grad gemessen. Ob man da an den Wenden-Südwänden nicht gegrillt würde? Meine Vermutung war nein und die entpuppte sich durchaus als richtig. Einerseits spielt sich der Grossteil der Kletterei im Vreneli in Höhen von 2500-3000m ab, zusammen mit dem thermischen Aufwind wird es einem da nicht so schnell zu heiss. Zudem hatten wir in der Hakuna Matata bei auch schon >30 Grad Wärme im Flachland gerne noch die Daunenjacke montiert. Anyway, der Tag begann früh um 4.00 Uhr und ich hatte erhebliche Mühe, in die Gänge zu kommen. Das intensive Kletterweekend davor, Arbeit und sonstiges Programm während der Woche schienen ihren Tribut zu fordern. So montierte ich aufgrund der tropischen Affenhitze im Flachland reflexmässig die kurze Hose und es ging los, ohne langes Beinkleid im Gepäck. Nun ja, an den Wenden kommt man mit solcher Nachlässigkeit höchst selten davon - dieses Mal aber schon. Diese Hose, ohne geeignete Tasche fürs Handy ist aber der Grund für die meinerseits eher bescheidene Ausbeute an Fotos - zum Glück hat Viktor ein paar gute Bilder gemacht!

Close-Up der rechten Hälfte der Mähren Südwand mit dem Verlauf von Vreneli (22 SL, 7c). 

Wenige Minuten nach 7.00 Uhr starteten wir auf der Wendenalp (1600m), erneut war niemand zugegen (später waren dann drei, vier Autos parkiert). Wir nahmen den Wanderweg Richtung Tällihütte bis kurz vor die östlichen Alphütten von Mettlenberg (1740m), bald einmal die Morgensiesta einer stattlichen Kreuzotter störend. Der Zustieg zum Mähren unterscheidet sich gegenüber den anderen Wenden-Sektoren dadurch, dass es wirklich überhaupt keine Spuren gibt. Ich will mir nicht anmassen zu behaupten, ich wisse wo der beste Weg durchführt - beschreibe aber trotzdem, wo entlang wir stiegen, nur schon damit ich es für ein nächstes Mal selber noch weiss. Zuerst einmal aufwärts in sehr krautigem Gras, wo man nicht sieht wohin man seine Füsse setzt - mühsam, aber da sind die Hänge noch moderat steil. Ab ca. 1900m konnten wir dann diesem Bachgraben mit teilweise etwas Kraxelei folgen, was viel angenehmer war. Auf 2080m trifft man dann auf eine Felsbarriere, die wir im Aufstieg westlich "durch die Gasse" und nachfolgender 2er-Kletterei über die Stufe, im Abstieg einfacher östlich bewältigten. Oberhalb davon dann "der Nase nach" Richtung Einstieg, wobei wir diese Entwässerungsrinne so gut wie möglich nutzten. Es gibt hier ein wenig von allem, Felsen, hartes Geröll, dünnes Gras, man suche die beste Passage.

Abschüssiges, kaum gestuftes, heikles Terrain mit dünnem Gras - am besten geht's im offenen Fels. Hier steige ich gerade in der oben im Text verlinkten Entwässerungsrinne auf. 

Der Einstieg ins Vreneli befindet sich bei einem 1989er-Mammut-Ringbohrhaken grob in Fallinie der rechten Kante des Pfeilers, ca. 30m östlich des höchsten im Gras erreichbaren Punktes zentral am Pfeiler (wo bei einer Sanduhr unterhalb einer kleinen Grotte Kooianisquazi und Letzter Mohikaner beginnen). Aufgrund des langen Tages, der uns bevorstand, hatten wir entschieden in einem Haulbag genügend Verpflegung und aufgrund der warmen Temperaturen v.a. Getränke mitzuführen. Kurz vor 9.00 Uhr war dieser gepackt und auch sonst alles startbereit, wir stiegen ein. 

Hinweis: ich verwende in diesem Bericht die Bewertungen aus dem (schlecht lesbaren) Originaltopo (wer hat eine bessere Version davon, ich wäre sehr dankbar?!?). Diese Bewertungen sind so auch im Arrampicare in Svizzera von Matteo Della Bordella (welcher die Route selber geklettert hat) abgebildet. In den Filidor-Führern (Extrem West 2010, Schweiz Extrem 1994) stehen tiefere Einstufungen. Woher diese kommen, weiss ich nicht - möglicherweise ein Oberländer Beef gegen die auswärtigen Erschliesser?!?

Der Ausblick zentral unter dem Mähren-Pfeiler - da gibt es keine Fragezeichen, eine Menge an steilem Fels wartet auf jeden Anwärter. Da kann das Motto nur lauten: Are you ready for a good time? Etwas Hard Rock in Ohr und Geist kann für diese Routen nicht schaden... So ('Hard Rock aux Mähren') lautet übrigens auch der Titel des Artikels, den Claude Remy über die Erschliessung der Route im SAC-Heft Die Alpen geschrieben hat. Er ist im Archiv zugänglich - denjenigen, die dem Französischen einigermassen mächtig sind, empfehle ich die französische Originalversion, die deutsche Übersetzung bringt für mich nicht in jedem Satz den richtigen Spirit rüber.

L1, 6b: Auf los geht's los, schon die ersten Meter sind etwas knifflig und erfordern zwingend das Platzieren eines Cams. Nachher folgt typische Wendenkletterei von eher plattiger Natur mit den charakteristischen, oft etwas staubigen Querstrukturen bei eher weiträumig gehaltener Absicherung. Die Crux dann am Ende über den etwas brüchigen Wulst hinweg, die letzte Sicherung 2m unter den Füssen und mit etwas Seilzug - ein etwas herber Auftakt.

L2, 6c: Mit L1 hat man sich dem steilen, ja massiv überhängenden Teil des Pfeilers angehnähert, sprich es wird nun unweigerlich zur Sache gehen. Die Fortsetzung findet man aber auf der linken Seite, wo sich die Route so gut wie möglich im senkrechten, schönen Tropflochgelände hinaufschleicht. Den eigentlichen Überhang bezwingt man dann in einer +/- horizontalen Traverse nach rechts. Der Fels ist da grossgriffig, aber nicht von bester Qualität. Die letzten Meter zum Stand sind dann wieder schön. Wir befanden, dass es bis auf einen kniffligen Move in der Traverse eine gutmütige 6c war.

Viktor on lead in L2 (6c), die mit einem Linksbogen eine überhängende Zone bezwingt.
Schöner Tropflochfels auf den letzten Metern von L2 (6c).

L3, 7b: Eine tolle Seillänge mit durchgehend bestem, wasserzerfressenem, strukturiertem, leicht überhängendem Fels. Erst geht's rechts ausholend noch gut dahin, dafür sind die Abstände zwischen den Sicherungen noch respektabel. Auf der zweiten Hälfte werden diese deutlich enger, mindestens klettergarten-, ja teils sogar hallenmässig. Die Hauptschwierigkeiten findet man im letzten Drittel, zuerst mit einer Boulderpassage und der Stelle über den letzten Bolt hinweg, wo dann auch noch ein zwingender 4m-Abschnitt bis zum Stand wartet, für welchen man sich besser einige Körner und mentale Energie aufspart.

Spätestens ab hier müssen die Unterarme auf Betriebstemperatur sein (L3, 7b)!

L4, 7b: Der Start in diese Länge scheint verwirrlich, stecken doch in ca. 5m Höhe zwei BH fast 5m horizontal versetzt. Laut Topo ist erst der linke anzuklettern. Vor Ort fragt man sich aber, ob der direkte Weg zum rechten nicht auch eine Option wäre... ich wollte mich schliesslich nicht auf das Experiment einlassen und bin es auf dem angedachten Originalweg geklettert. Die Steilplattenkletterei ist vorerst super in prima strukturiertem, scharfem Fels und auch von der Schwierigkeit her im zugänglichen Rahmen. Die Cruxzone ist relativ kurz und wird durch einen gleichzeitig griff- und trittarmen Abschnitt markiert. Alpiner präsentiert sich hingegen das Finish der Länge. Plötzlich präsentiert sich noch viel Gelände, aber keine Sicherungspunkte mehr. Das Topo verspricht zwei weitere Bolts, die jedoch nirgends sichtbar sind. Das ist v.a. deshalb etwas störend, weil man in diverse Himmelsrichtungen weiterklettern könnte. Ich ging dann mal geradeaus... liegen tut nichts und das Gelände wird etwas brüchig. Tatsächlich, oberhalb von einem Wulst fand ich tatsächlich erst einen NH und dann einen BH. Mich leicht machend schlich ich bei weiter abnehmender Felsqualität zum Stand.

Yours truly on lead in L4 (7b), die zu Beginn mit bestem Fels auftrumpft, aber eine etwas verwirrliche Linie hat.

L5, 7a: Querend dem logischen Weg auf den Pfeiler hinaus folgen zu NH, dann griffig aufwärts, was gut mit BH abgesichert ist, zuerst jedoch etwas Lotterfels aufweist. Das bessert sich bald wieder und die Seillänge bietet einen interessanten, ziemlich zwingenden Schlussabschnitt in schönem Fels, bald einmal ist auch schon der Stand erreicht.

Tolles Ambiente und Felsfarbe am Ende von L5 (7a).

L6, 7c, 7b 4 p.a. oder 6c A0: Während wir den ganzen Rest der Route (wie eigentlich immer) freizuklettern versuchten, haben wir hier für einmal nicht lange "Federlesis" gemacht. Eine 7c geht im Optimalfall beim Sportklettern und in der Halle onsight, aber auf einer Alpintour mit dem ganzen Geraffel am Gurt, schon ein paar Seillängen in den Armen und vor allem noch vielen weiteren auf dem Programm dann doch eher nicht. Kommt hinzu, dass dieser Abschnitt mässig attraktiv wirkt. Der Fels ist zwar an sich solide, aber bietet nur extrem viele kleine, extrem scharfe Struktur, wo bei Belastung gerne die Spitzen brechen, die Sache extrem unübersichtlich ist, usw.. Somit also unmittelbar der Griff ans Textil, was dank eng steckender BH vorerst problemlos möglich ist. Ich frohlocke schon über meinen mühelosen "Durchstieg" - aber nein, es kommt tatsächlich eine Stelle, wo man entweder richtig klettern oder eine Trittschlinge zücken muss. Die wahre Herausforderung kommt aber sowieso erst nach Ende der Cruxpassage. Die Bolts hören auf, um die Ecke findet man einen selbst abzusichernden, ca. 7m langen Riss und an dessen Ende noch eine 6c-Wandpassage in nicht ganz einwandfreiem Fels, die man über den letzten mobilen Sicherungen zu klettern hat. Der Stand dann in der bequemen Grotte mit SU und BH.

L7, 6a: Man verschiebt sich fotogen nach rechts an die Kante und erklettert dann direkt hinauf in relativ leichtem aber etwas lottrigem Gelände einen Pfeiler. Weiter oberhalb wird's dann kompakter und auch etwas schwieriger. Dort, wo man den breiten Riss erreicht und gerne den 2er-Cam platziert, muss man sich nach links darüber hinweg halten und durch die Wand zum von unten nicht so gut erkennbaren Stand klettern.

Die zweite Hälfte von L7 (6a) bietet wieder schöne Kletterei in kompaktem Gestein.

L8, 7a: Eine relativ kurze Länge, welche die eigentliche Kletterei am ersten Pfeiler beschliesst. Es handelt sich um technische, teils etwas pressige Moves and Seit- und Untergriffen in senkrechter Wand, gut und sportklettermässig abgesichert. Zuletzt kurz über Schrofen zum Stand.

L9, T5: Über die Schrofen nach links hinauf zum Grat, oben befindet sich nochmals ein Stand zum Nachnehmen, der vor allem später zum Abseilen nützlich ist.

Ausstieg aus L8 (7a) am Ende des ersten Pfeilers - eigentlich wäre es nur schon bis hier eine absolut sehr respektable MSL.

L10, Gehgelände: Übergang über den problemlos begehbaren, kaum exponierten Kamm an den Fuss des nächsten Aufschwungs, wo zur Identifikation des Weiterwegs ein BH steckt. Idealerweise späht man vor Erreichen dieses BH nach dem Weiterweg - denn einmal am Start des Aufschwungs angekommen, sieht man die Haken nicht. 

L11, 5b: Die Route folgt hier nicht dem einfachsten Weg in eine kraxlige Verschneidung hinauf, sondern steigt zuerst gerade bzw. leicht linkshaltend hinauf über kompakte, teils wasserrillige Platten. Die BH stecken in grossen Abständen, die Kletterei ist aber gutmütig und es gibt Möglichkeiten zur mobilen Sicherung.

Rückblick auf die Combo L11/L12 (5b, 6a) welche wir zu einer einzigen Seillänge verbunden haben. Mit einem (neuen) 60m-Seil reicht es gerade so knapp nicht. Wer zur Zeitersparnis einen Link-Up machen möchte, verbindet sicherlich besser L12 und L13, das sollte nach meiner Einschätzung sogar mit einem 50er-Seil machbar sein. Das Gelände hier am zweiten Aufschwung wie das Foto zeigt nicht leid, aber auch nicht begeisternd schön.

L12, 6a: Erst einer Verschneidung entlang, wo der Fels nicht ganz so schön ist. Hier stecken keine Bolts, mobil aber recht gut absicherbar. Zum Ende der SL wird der Fels wieder kompakter und es folgt  ziemlich hübsche, plattige Wandkletterei mit 3 BH.

L13, 6a: Relativ kurze Länge von moderater Schönheit, die kniffligste Stelle folgt gleich am Anfang, nachher lässt die Schwierigkeit bald nach. Der Stand befindet sich noch vor dem Ausstieg auf das zweite Geröllband. Diese Länge lässt sich ziemlich problemlos mit L12 linken.

Auftakt in L13 (6a) mit ihrer Crux, das Gelände auch hier nur moderat schön.

L14, Gehgelände: Die Idee wäre hier vermutlich, gerade hinauf an die obere Wand zu steigen und dort beim Einstieg in den oberen Teil des letzten Mohikaners an einem BH zu sichern. Das war mir nicht klar, somit habe ich diesen Bolt nicht gefunden bzw. genutzt und bin gleich weiter.

L15, 2a: Querung von ca. 30-40m nach links zur Fortsetzung am dritten Aufschwung. Vom Pfeilerkopf am Ende des zweiten Aufschwungs sieht es so aus, als ob eine tiefe Querung die beste Option wäre. Das ist aber ehrlich gesagt ein kompletter Mist, keine Möglichkeiten für Zwischensicherungen, unsicheres Gestein und lose, herumliegende Steine machen das heikel. Die richtige Variante ist es hier, ganz oben an der Wand zu queren - das Gelände ist dort steiler aber ein Band erlaubt eine ziemlich problemlose Traverse (zwischensichern kann man allerdings auch dort nicht).

Schau genau - Blick von Stand 13 zum Climber, der sich am Start von L16, d.h. dem Beginn des dritten Wandteils befindet. Dazwischen liegt eine etwas heikle und kaum absicherbare Querung über einen veritablen Gschirrlade, wobei ich da vermutlich abseits der Ideallinie gestiegen bin (siehe Text). Die Wasserfälle waren übrigens den ganzen Tag in Betrieb, beeinträchtigen uns bis auf ein paar willkommene Sprizter aber nicht. Bei windigen Verhältnissen könnten jedoch allenfalls auch Passagen vom Vreneli stärker benetzt werden.

L16, 6c: Mmmhhh, jetzt waren wir an diesem gelobten, obersten Wandteil angekommen der dem Vernehmen nach mit perfektem Fels glänzen sollte. Nun, von hier sah das vorerst nicht so wirklich danach aus. Klar, die Länge in griffigem Fels ist nicht so übel, aber erste Güteklasse dann doch bei Weitem nicht. Kommt hinzu, dass die Bolts etwas kreuz und quer sowie am Ende dann spärlich stecken. Im oberen Teil der Länge wartet eine etwas knifflige Stelle in einer V-Verschneidung, gefolgt von einem ca. 10m langen, nicht wirklich zu entschärfenden Runout in 6a+/6b-Wandkletterei zum sehr ungünstig platzierten und äusserst unbequemen Stand :-/

Viktor gut getarnt 'on lead' in der ersten Länge am dritten Aufschwung - wildes Gelände (L16, 6c).

L17, 6c: Keine wirklich Besserung in Sicht, was die Qualität von Fels und Kletterei betrifft. Die Crux befindet sich gleich am überhängenden Wulst zu Beginn. Die zwei Haken ebenda wurden bestimmt aus der Trittschlinge eingebohrt, sind also nicht weit auseinander und erlauben A0 - sie aus der Kletterstellung zu klippen ist andererseits reichlich schwierig und heikel zugleich, da ein Sturz unweigerlich auf der Rübe des Sicherungspartners endet. Kommt hinzu, dass die Kletterstelle sauschwer ist und die Bedienung von einem sehr ausbruchsgefährdeten Klötzli erfordert. Definitiv (viel) schwieriger wie 6c, evtl. sind da schon entscheidende Griffe ausgebrochen. Nachher erst einfacher in durchschnittlich schönem 6a-Terrain, oben nochmals knackige Wandstelle an teils fragwürdigen Strukturen. Der Stand schliesslich auf einem bequemen Geröllplatz.

Nachstieg in der V-Verschneidung von L16 (6c). Man kann es schon auf dem Foto deutlich erahnen, nach der letzten Zwischensicherung wartet noch viel Gelände bis hinauf zum Stand (heikler, ca. 10m langer Runout in 6b-Gelände).

L18, 7a+: Vom Stand erst ca. 8m nach links abwärts gehen, dann henklig-athletisch über den Überhang hinweg. Trotz vorerst enger Absicherung besteht aufgrund vom Seilverlauf die Gefahr von einem Bodensturz. Wer sich im sich zurücklegenden, hier schön zu kletternden Gelände in Sicherheit wähnt liegt damit in Bezug auf das Gefahrenpotenzial richtig, jedoch nicht was den Onsight der Länge betrifft. Griffe und Tritte schwinden nämlich, die Hakenabstände werden zwingend - wohl dem, der hier noch genügend Strom in den Armen hat. Das Finish dann wieder einfacher im Lotterfels und etwas heikel. Der Stand befindet sich auf 13 Uhr vom letzten BH, unscheinbar rechts einer kleinen Grotte. Die gut sichtbaren, offensichtlichen Standhaken auf 11 Uhr gehören hingegen zur Infinite Jest - leider habe ich das erst gemerkt, als ich schon eine ganze Weile weitab der letzten Sicherung im Bruch nach einer Lösung für die letzten Meter dahin gesucht habe - Joggel, besser früher mal genau aufs Topo geschaut!

L19, 6c: Vom Stand horizontaler Quergang nach rechts, die Felsqualität auch hier nicht überzeugend. Über eine Wandstufe erreicht man einen teils etwas brüchigen Riss (an dessen Beginn den wenig offensichtlichen BH rechts nicht übersehen!). Dieser ist an sich nicht sonderlich schwierig zu klettern (6a+/6b), aber über 10-15m selber abzusichern (Placements für Cams von ca. 0.5-2). An dessen Ende ein BH, wo man leider nur die Gammelschlinge klippen kann und dann heisst es richtig parat sein. Ab dieser Stelle folgt nun bester, fetzenscharfer Tropflochfels, die Rechtstraverse ist aber tough und der Weg zum nächsten Haken weit. Noch viel mehr gilt das für die 10m vom letzten Silberling zum Stand. Klar, nach einer gewagten 6bc-Stelle 3m über dem Haken wird es dann schon etwas einfacher und geht mit der richtigen Beta recht gut auf - die Möglichkeit sich in schwierigeres Gelände zu versteigen gibt's aber definitiv - krasse Sache jenseits der Wohlfühlgrenze!

Mega Ambiente am Ende von L19 (6c), wo man nun endlich auch in bestem, zerfetzig scharfem Tropflochfels klettert. Auch hier wartet vom letzten BH zum Stand ein weiter Abstand mit anhaltend fordernder Kletterei.

Nach L19 stellte sich die Frage, ob wir Abbrechen oder Weiterklettern sollten. Wer auf diesem Blog mit Interesse mitliest, der weiss genau, wie ungern ich MSL-Touren vor dem letzten Meter beende. Das sprach für weiter, keine Frage. Andererseits war aber klar, dass wir bei einem Weiterklettern bis zum Top sicher in die Dunkelheit kämen, entweder schon beim Abseilen oder spätestens beim Abstieg. Eine Lampe hatten wir zwar dabei, doch die steile Abseilerei über die uns unbekannte Letzte Mohikaner sowie der weglose, unübersichtliche und nicht einfach zu findende Weg über die exponierten Gras-Zustiegshänge war nicht auf die leichte Schulter zu nehmen. Hinzu kam, dass solche Wahnsinns-Runouts wie zuletzt schon bei noch vorhandenen Reserven alles andere als ohne sind - solange man aber über genügend Reserven zum Schauen, Planen und notfalls auch einige Moves Zurückklettern verfügt, noch halbwegs zu verantworten sind. Wenn aber aufgrund von schwindender Kraft in solchem Gelände nach dem Motto "hopp oder flop" gestiegen werden muss, so wird es richtig unangenehm und das Gefährdungspotenzial in diesen Runouts steigt massiv an. Ganz ehrlich, auch wenn der Entscheid zur Umkehr 100% vernünftig und rational gesehen die einzig richtige Entscheidung war - mich fuchst es immer noch, dass wir nicht weitergestiegen sind. Andererseits könnte ich es mir noch viel weniger verzeihen, den "point of return" bewusst überschritten zu haben und so ein Unglück provoziert zu haben. Die Kunst es ist eben, nie verfrüht aufzugeben und dennoch immer zum richtigen Zeitpunkt das Handtuch zu werfen. Ob das hier nun so war - irgendwie gibt es noch immer zwei Seelen in meiner Brust, die nicht identisch darauf antworten.

Auf dem Heimweg, im Bild die unangenehme Traverse zwischen zweitem und drittem Aufschwung, welche auf dem Rückweg zurückgeklettert werden muss. Sicherungsmöglichkeiten gibt es leider keine, ein Sturz ist wie man sieht an beiden Seilenden eine bedenkliche Perspektive.

Somit also abseilend runter an den Fuss des dritten Aufschwungs (19 -> 17 -> 16 -> 15). Ab da mussten wir mit Seilsicherung zum Top des zweiten Routenteils zurück klettern. Zwei weitere Manöver (13 -> 11 -> 10) führten ins Gehgelände oberhalb des ersten Aufschwungs, wo wir die Seile aufnahmen und zum Ende der Routen am ersten Pfeiler (Squaw, Kooianisquazi, Letzter Mohikaner) abstiegen. Deren letzter Stand lässt sich relativ einfach auffinden und seilfrei erreichen, allerdings besteht er aus altem Material (SU plus 1 BH). Nachdem wir die Gammelschlingen rausgeschnitten und durch ein neues Seilstück ersetzt hatten, warfen wir die Seile aus. Als ich mich eingeklinkt hatte und über die Kante blickte, so hingen diese frei im luftleeren Raum neben der westlichen Pfeilerbegrenzung. Möglicherweise hätte es mit Pendeln oder Bolts klippen schon gereicht, um einen nächsten Stand zu erreichen, aber es war unsicher. Wir zogen es daher vor, oberhalb der Abbruchkante 20m quer über Schrofen ostwärts zum Stand 8 vom Vreneli zu seilen. Von dort geht's freihängend, aber tatsächlich in mehr oder weniger gerader Linie runter zu Ständen von Letzter Mohikaner und Kooianisquazi. In einigen weiteren Manövern an meist (teil)sanierten Verankerungen gelangten wir zurück zum Einstieg. Mehr oder weniger unserem Aufstiegsweg folgend, stiegen wir vorsichtig über die haltlosen Geröll- und Grashänge ab. Unterhalb der Felsstufe kraxelten wir vorerst wieder noch halbwegs angenehm durch einen Graben ab, bevor dann der im Abstieg noch mühsamere Teil im hohen Kraut wartete. Aber auch das wurde erledigt, mit schwindendem Licht wanderten wir von Mettlenberg retour auf die Wendenalp, wo wir um 22.00 Uhr nach einem 15-Stunden-Tag reichlich müde aber komplett wohlbehalten eintrafen. 

Facts

Wendenstöcke / Mähren - Vreneli 7c (6c obl.) - 22 SL, 500m (+200m Gehgelände) - Y. & C. Remy 1989 - ***;xxx
Material: 2x50m-Seile, 12 Express, Camalots 0.2-2, evtl. kleines Keilset

Gewaltige, eindrückliche und abenteuerliche Route durch die nur selten besuchte Südwand des Mähren. Ob sie wirklich eine der schönsten Routen der Gebrüder Remy bzw. an den Wendenstöcken ist?!? Nach meiner Meinung definitiv nicht. Rückblickend war ich vom ersten Aufschwung positiv überrascht. Dieser bietet viele tolle Meter, auch wenn es einige (meist leichtere) Abschnitte mit weniger schönem Gestein gibt. Der erste Aufschwung wäre auch für sich alleine ein lohnenswertes, gut abgesichertes Ziel. Abwegig ist das sicher nicht, z.B. beim Sonnenkönig beschränken sich ja auch fast alle auf den ersten Drittel der Route. Der zweite Aufschwung vom Vreneli ist nichts Besonderes, weder in Bezug auf den Fels noch die leichte Kletterei. Am meisten enttäuscht war ich vom hochgelobten dritten Aufschwung. Dessen erste 4 Seillängen sind alle teils etwas brüchig und bieten höchstens einzelne Stellen in gewohnter Wenden-Qualität. Erst ganz am Ende wird der Fels dann super, hoffentlich kann man es dann noch entsprechend geniessen. Die Absicherung hinterlässt einen etwas inhomogenen Eindruck. Einerseits wird sie generell je höher desto spärlicher, andererseits sind die schweren Passagen (>6c) oft eng behakt auf Niveau xxxx-xxxxx, während es im einfacheren Gelände heikle Runouts geben kann (x-xx). Das Material ist auch in die Jahre gekommen. Zu Beginn wurden teils noch (mit der Maschine gesetzte !?) Kronenbohrhaken verwendet, weiter oben sind es dann verzinkte Anker mit rostfreien Plättli. Das alles steckt seit z.Z. 32 Jahren und hat deutlich gealtert, auch die Standplätze sind eher nur spartanisch eingerichtet, es wirkt alles ziemlich sanierungsbedürftig. Einige clean gebliebene Abschnitte an Rissen und Verschneidungen müssen zwingend mobil gesichert werden, dafür braucht es m.E. mindestens ein Set Cams von 0.2-2 plus allenfalls ein Keilset. Weitere Infos findet man im Extrem West von Sandro von Känel oder im Arrampicare in Svizzera von Matteo della Bordella. Unten dank herzlicher Mithilfe von René das Originaltopo aus dem SAC-Monatsheft Die Alpen. Hier sind der Routenverlauf und die ideale Abseilstrategie am besten wiedergegeben. Eigentlich schade, dass man diese Trouvaille beim SAC weder im Archiv noch im Tourenportal auffinden kann.

Originaltopo von Vreneli aus dem SAC-Monatsheft Die Alpen.

Dienstag, 21. Juni 2022

Wendenstöcke - Hakuna Matata (7b+)

Vor 25 Jahren, genau genommen am 7. Juni 1997, war ich das erste Mal an den Wendenstöcken. Die Begehung von Sonnenkönig hatte uns einen denkwürdigen Tag beschert und das Fundament für viele weitere Abenteuer am heiligen Gral des MSL-Kletterns in der Schweiz gelegt. Damals war ich noch nicht ganz halb so alt wie heute und kann damit konstatieren, dass ich "mehr als mein halbes Leben" mit Klettern von Routen an den Wendenstöcken verbracht habe ;-) Logischerweise lag nichts näher, als das Jubiläum mit einem Besuch im Gebiet zu feiern. Und zwar nicht etwa mit einer Nostalgietour im Sonnenkönig, sondern es sollte etwas Neues und mir noch Unbekanntes werden. Das (Luxus)problem ist nur, dass mir nach mittlerweile 40 gekletterten Routen überwiegend nur noch solche übrig bleiben, die schwierig, anspruchsvoll gesichert und/oder kaum bekannt sind. So wollten wir es mit der zwischen Zahir und Ben Hur gelegenen Hakuna Matata (Lechner/Pitelka 1999, 8 SL, 7b+) versuchen, auf welche die genannten Attribute durchaus zutreffen. Aufgrund der berühmt-berüchtigten Wenden-Urgesteine als Erschliesser und den uns schon bekannten Nachbartouren machten wir uns auf ein happiges Programm gefasst...

Blick auf den steilsten Sektor der Wendenstöcke mit dem Verlauf von Hakuna Matata.

Der Wecker schellte um 5.00 Uhr morgens - eigentlich eine normale Aufstehzeit für eine Tour an den Wenden. Doch für mich hiess es erst, Larina zum Treffpunkt mit ihrem Team zu fahren. Sie nahm im Magnet an einem Swiss Youth Climbing Cup teil. Wieder daheim legte ich mich nochmals etwas hin, um später um 7.00 Uhr auch noch Jerome zum Treffpunkt für sein Trainingsweekend zu chauffieren. Das einmal erledigt, war mein Weg frei für die Fahrt Richtung Wenden - zumindest bis ich im Urnerland auf einen üblen und unerwarteten Gotthardstau traf, der für weitere Verspätung sorgte. Gut Ding will Weile haben, kann man da nur sagen. Erst um 10.30 Uhr und damit unüblich spät brachen wir von der Wendenalp auf. Dank garantiert gewitterfreiem Wetter, warmen Temperaturen und den langen Junitagen sollte es aber trotzdem noch gut für die geplante Tour reichen. Sehr erstaunlicherweise war gar nix los, mausbeinallein waren wir vor Ort - ob ich wohl das neue Kletterverbot für die Wenden verpasst hatte?

Bleib einfach da, wo du bist! Eindrücklicher Serac auf halber Strecke am Zustieg.

Auf dem wohlbekannten üblichen Zustiegsweg ging es in die Höhe. Vorsicht erheischte ein riesiger Lawinenkolk mit einigen scheinbar absturzbereiten Blöcken, der noch oberhalb der Verzweigung Pfaffenhuet / Gross Wendenstock herumlungerte. Doch mit schlauer Routenwahl und einer tifigen Querung mit gespitzten Ohren liess sich der Aufenthalt im Gefahrenbereich auf ein Minimum reduzieren. Schnee betreten musste man aber keinen mehr und der Weg war in gutem Zustand. Wie immer geht's auf der richtigen Fährte gut bis zum Einstieg des Elefantenohrs. Das letzte Stück hinauf zur Hakuna Matata gehört dann definitiv ins T6-Reich, wobei dieses Mal ein Fixseil etwas Währschaftes zum Festhalten bot. Beim rechten Befestigungspunkt des Seils (welches nach links zum Einstieg von Zahir weiterführte) befindet sich der Start (2 BH, die markanten Schuppen von L2 sind oberhalb gut identifizierbar). Ca. 5-7m höher befindet sich auf einem schmalen, weniger bequemen Band nochmals ein Einstiegsstand, aber man kann gut und gerne den unteren nutzen. In der Gegend von 12.00 Uhr hatten wir uns gerüstet und stiegen ein.

Sicht vom Einstieg - auf dem Foto wirkt es nicht ganz so, aber die Wand fällt einem gefühlt wirklich auf den Kopf wenn man da steht!

L1, 35m, 4a-5c+: Unwesentliche, eher plattige Vorbaulänge ohne fixe Absicherung. Wobei, eigentlich gab es mal 2 BH, welche an den genau richtigen Stellen steckten. Doch deren Plättli wurden entfernt und die Dübel eingeschlagen. So folgt halt nur der Nachsteiger dem schönsten und kompaktesten Fels (ca. 5c+), während die Vorsteigerin mit einigen Umwegen in durchzogenem Gelände und wenigen, windigen Cams die kaum etwas hielten eine Art am Seil angebundenes Freesolo im T6+ Terrain hinlegt. Gehört halt offenbar einfach dazu sowas, geht schon (naja, muss auch).

Mmhm, so nützt der richtig viel :-/

L2, 35m, 7a: Ab diesem Punkt ist die Route bis zum Ende von L8 nun durchgehend überhängend - natürlich nicht jeder einzelne Klettermeter, aber in der Summe befindet sich jede Seillänge jenseits der Vertikalen, was sehr speziell und eindrücklich ist. Mit einer Linksschleife geht's an die Wand und an der ersten Schuppe aufwärts. Der gelbe Fels ist griffig strukturiert, aber nicht überall bombensolide. Eine fordernde Stelle folgt beim Überhang, der zur zweiten Schuppe mit ihrer Rissverschneidung führt. Zwar mehr eindrücklich als schwierig und mit einem Cam 0.5 gut mobil zu sichern - die Frage ist nur, ob der Block hinter welchen man ihn legt, denn auch halten würde. Das ist sicherlich ungeprüft, weil an dieser Stelle noch nie jemand gestürzt ist (den Cam gelegt haben aber sicher alle). Nun klettert man erst in der Wand links der Verschneidung in scharfem Tropflochfels. Später führt der einfachste Weg wohl zumindest kurz über den etwas brüchigen Riss, wobei der folgende, letzte BH wieder weit links scheinbar unlogisch in der Wand steckt. Man suche seinen Weg, die Sache ist ziemlich anhaltend und schon das erste Mal richtig pumpig.

Kletterei in scharfem Tropflochfels knapp neben etwas brüchiger Schuppe in L1 (7a).

L3, 35m, 7b+: Nun geht's so richtig zur Sache - dies in gelb-orangem, teils etwas schiefrig-glattem Fels (es muss dort vor langer Zeit einen grossen Ausbruch gegeben haben). Zu Beginn geht's gut abgesichert pumpig an Leisten zu einem Dächlein, dessen trittarme Überwindung bouldrig-knifflig und zwingend zu meistern ist. Anhaltend geht's weiter, vieles lässt sich mit einer guten Fingerkraft und Ausdauer erledigen, doch eine zweite, ziemlich blanke Stelle erfordert einen weiten Boulderzug und an deren Ende gute Nerven für die etwas wacklige Sequenz zum nächsten Klipp.

Anpumpen in speziellem Fels in L3 (7b+), am Dächlein heisst's dann hopp-zack!

L4, 25m, 7b+: Hier ist der Fels vorerst grau-orange und wasserzerfressen-scharf, ziemlich unübersichtlich und mit manchmal brechenden Spitzli. Im 7a-Gelände geht's recht fordernd dahin, inklusive einer "Mut-Stelle" vom zweiten zum dritten BH. Näher steckende Haken in aufsteilendem Fels lassen die Crux vermuten und liefern sie. Diese Sequenz fanden wir echt tough und konnten nicht alle Moves zusammenhängen - man bedient sich trittarm an winzigen, fragilen Seitgriffschüppli, was sich unangenehm anfühlte. Notfalls hilft hier auch A0 recht gut weiter und auch für das prinzipiell einfachere Finish der Länge stecken die Bolts recht dicht - was aber auch nötig scheint, denn der Fels ist hier eher splittrig. Vermutlich hält das Gestein mehr, als es optisch danach aussieht... so richtig angenehm ist dieser Abschnitt jedoch nicht. Der Stand dann im Siffloch, die letzten Meter waren nicht nur nass, sondern auch noch dreckig-schlammig - eine rustikale Passage.

Optisch sieht's richtig gut aus in L4 (7b+), zum Klettern ist es nicht ganz so überzeugend. Rechts im grossen Wasserstreifen sieht man in voller Auflösung übrigens noch die Relikte der Techno-Route Lochstreifen (6 A3) von Chäppi Ochsner selig.

L5, 25m, 7b: Aus dem Loch geht's recht raus, der Fels auch hier erst noch auf der fragil-splittrigen Seite und nach unserem Gusto unschön zu beklettern. Dies ist auch gleich die hart aussehende Crux. Wir profitieren von den beiden eng steckenden Bolts und fokussieren auf die unmittelbar darauf folgende, zwingende Sektion mit einer Rechtsschleife, wo man dann doch wieder unangenehm ins Geschirr scheppern kann. Hat die dritte Exe eingeschnappt, wartet dann aber echt coole Kletterei in bestem, griffigem Fels bei relativ zugänglichen Schwierigkeiten im 6c/7a-Bereich. Den Stand links aussen könnte man fast verpassen, da oberhalb direkt die nächste Länge in logischer Fortsetzung weiterführt.

Am Ende von L5 (7b) gibt's mal ein paar Meter 'halb gratis' - man nimmt sie gerne!

L6, 30m, 7a+: Pumpige Ausdauerkletterei, ein geniales Gerät und noch dazu in äusserst luftiger Position. Zuerst folgt eine Querung nach rechts, die vom Fels her noch nicht so tolle ist. Bald folgt aber prima Gelände mit den typischen Wenden-Suppenschüsseln an einer herrlichen Kante. Man identifiziere dabei jene Stellen, wo es besser anhängt und weniger sloprig ist, wobei Fitnesszustand und Laktatpegel vorgeben, wie effizient die Suche gestaltet sein muss. Zum Ende dann einfacher an einer Verschneidung mit Cam-Möglichkeit zum Stand. 

Die einfache und nicht mehr berauschende Verschneidung am Ende von L6 (7a+) ist wenig repräsentativ für diese pumpige, gutgriffige Ausdauerlänge - so sei es. Aber warum es auf dieser extrem luftigen und ausgesetzten Route selbst nach L6 auf den Fotos immer noch danach aussieht, als sei der Boden nur 20m entfernt, das ist mir auch nicht klar.

L7, 30m, 7a+: De visu legt sich das Gelände etwas zurück - das stimmt vielleicht sogar auch, wenn man mit dem Neigungsmesser nachprüfen würde. Pumpig, kräftig und überhängend ist es aber immer noch. Während die ersten Meter griffig daherkommen, wird's an einem Wulst unverhofft knifflig und unübersichtlich. Mir fehlte da der Power, um noch ewig rumzutasten - aber die Crux ist einigermassen zwingend. Es sei einem hier insbesondere der (Standard-)Tipp ans Herz gelegt, die Bolts ja nicht verfrüht aus suboptimaler Position klippen zu wollen ;-) Diese Hürde gemeistert, tauchen wieder gute Griffe und Henkel auf - nur lief ich da schon längst auf Reserve. Erst nach einem letzten Wulst führt eine Verschneidung easy zum Stand.

Echt tolle Wendenkletterei in L7 (7a+).

L8, 30m, 6c: Die obere Wandbegrenzung ist scheinbar zum Greifen nah und wäre etwas links durch eine kaminartige Rinne möglicherweise easy zu erreichen. Doch es gibt hier kein Schonprogramm, die Linie führt wirklich durch das steilste, krasseste verfügbare Stück Fels. Nach ein paar Auftaktmetern folgt ein formidabel henkliger Überhang - noch dazu "nur 6c", aber mit inzwischen komplett leeren Armen eine Challenge. Das liegt auch an der suboptimalen Absicherung, ist der erste BH doch tief und erst noch doof unter dem Überhang und der zweite ein Stück weit entfernt mit Potenzial für einen sehr, sehr unangenehmen Sturz. Die "schöne Sanduhr" (Zitat von obsig.ch) ist leider ein solches Miniobjekt, dass ich ihr nicht einmal das Körpergewicht anvertrauen würde - zudem muss man auf einen gefädelten Schnürsenkel zählen, da ist nämlich unmöglich etwas aus der Kletterstellung reinzufummeln. Hat man den zweiten Silberling unbeschadet erreicht, führt die Route entlang von einem Pfeiler zum Stand, wobei auch nur noch SU-Schlingen den Weg säumen.

Eine weitere "schöne" Sanduhr - es handelt sich nicht um das im Text erwähnte Exemplar in L8 (6c) - wobei ich mich in die abgebildete definitiv lieber hängen würde (Gammelschlinge zum Trotz, kein Witz!). Diese Sanduhr hier ist mit der Bohrmaschine erschaffen und dient an Stand 6 als "Verstärkung". Vermutlich stammt sie aus der Zeit der Erschliessung der Route Koo-i-noor, mit welcher die später eingerichtete Hakuna Matata an jener Stelle kreuzt oder zusammentrifft.  

Um ca. 18.30 Uhr waren wir am Ende unserer Kletterei - jedoch nicht ganz oben (ist man ja eh nie an den Wenden ;-)). Das Topo verspricht noch eine 5a-Länge von 55m in zunehmend schrofigem Gelände mit einem improvisierten Stand ohne BH am Ende, die man wohl gescheiter vom Topo löschen würde ;-) Wir seilen ab, was ein sehr eindrückliches Erlebnis vermittelt: die Seile baumeln nämlich einfach im leeren Raum. Da die Stände seitlich versetzt sind und die Route in einigen Querungen verläuft, kann man nicht einfach Bolts klippen, sondern muss zwingend und anspruchsvoll pendeln. Doch Herzklopfen hatte ich nicht nur deswegen. Inzwischen lief am Swiss Cup nämlich der Final und es wurde Zeit für den Auftritt von Larina. Schon noch speziell, von den Wenden quasi live dabei zu sein. Sie machte ihre Sache toll und holte sich auch in der Finalroute das Top. Da aber zu einfach geschraubt wurde, reichte ein sauberes TOP-TOP-TOP-"Notenblatt" nicht für den Sieg, sondern es entwickelte sich ein Speed-Lead-Wettkampf, wo am Ende die Kletterzeit über die Platzierung entschied. Während ich in dieser Hinsicht der Meinung bin, dass auch jene Person gewinnen könnte, die sich am längsten an den Griffen festhalten kann, sehen das die Regelmacher anders. Immerhin war Larina tifig genug, um auf Platz 3 zu klettern und sich so den allerersten Podestplatz an einem Swiss Cup zu sichern - bravo!

Zwischen Kletterwettkampf verfolgen am Handy und einer der krassesten Abseilstrecken die ich schon durchgeführt habe. Dieser Stand ist echt nicht einfach zu erreichen, mehrere Meter überhängend und mehrere Meter seitlich versetzt. Direkt ging's nicht, aber irgendwann konnte ich den ersten Zwischenbolt von L6 einlochen.

Nach einiger Zeit hatte uns der Wandfuss wieder. Vom Einstieg konnten wir das intakte und auch vom Handling her akzeptable Fixseil zum Abseilen über den obersten Abschnitt nutzen. Somit war der heikelste Teil überwunden, aber auch danach ist noch ein vorsichtiger Abstieg nötig. Geschwind schlüpften wir an den immer noch absturzbereiten Seracs vorbei und waren um ca. 20.45 Uhr retour auf der Wendenalp. Es wartete der Heimweg, der sich mit dem E-Auto wie geplant ohne Nachladen machen liess. Witzigerweise hatte ich den Use Case "Wendenalp retour" bei der Evaluation für das neue Fahrzeug durchaus in Betracht gezogen ;-) Mittlerweile weiss ich zwar, dass ein kurzer Stopp von wenigen Minuten am Schnelllader an der Gotthardautobahn kein Problem wäre und subito 100km Reichweite in die Batterie pumpen würde, aber "wenn's längt dann längt's" - umso besser. Der Tag war mit der Heimkehr noch nicht zu Ende. Weit nach Mitternacht wurde es, bis ich Larina am Treffpunkt abholen konnte, erst einige Zeit später hatten wir unsere wichtigsten Eindrücke des Tages ausgetauscht und legten uns nach einem langen, aufregenden Tag in die Federn.

Für mich ist das definitiv ein Teil dieser Tour :-)

Facts

Wendenstöcke - Hakuna Matata 7b+ (7a obl.) - 8 SL, 200m - Lechner/Pitelka 1999 - ***;xxx
Material: 2x50m-Seile, 12 Express, Cams 0.2-2

Eindrücklich steile und ausgesetzte Route, die nach L1 konstant überhängendes Gelände bietet und vor allem aus diesem Grund sehr aussergewöhnlich ist. Der Fels und die Kletterei überzeugen nicht auf jedem Meter. Es gibt auch schwierige Stellen, die etwas murksig sind, wo der Fels splittrig ist, anderswo ist das Gestein seltsam glatt oder dann wiederum extrem scharf mit etwas Bröselei und brechenden Spitzli. Natürlich gibt's auch viele lässige Meter, generell hat's mir ab dem Quergang in L5 bis zum Schluss am besten gefallen. Alles in allem empfinde ich so 3-4 Sterne. Die Absicherung übertraf mit ihrer Bolt-Dichte unsere (aufgrund des Erschliesser-Duos) tiefen Erwartungen. Über weite Strecken stecken die Bolts ähnlich wie in einer modernen Sportklettertour, vergleichbar z.B. mit der Ben Hur. Ein paar zwingende (aber gut gesicherte, schwierige) Passagen gibt's durchaus, ebenso wie heikle Stellen in einfachem Terrain an Anfang und Ende. Alles in allem xxx mit der Verpflichtung, ein Set Cams mitzuführen. Entgegen den anders lautenden Angaben im Topo (das man auf obsig.ch findet), haben wir sie nur in L3-L5 gar nicht benutzt.

Mittwoch, 15. Juni 2022

Churfirsten / Silberi - Via Anita (6b)

Die Kinder sind ausgeflogen und das Wetter ist prima, so bietet sich für Kathrin und mich die Gelegenheit zum Klettern. Weil sehr hohe Temperaturen angesagt sind und mein Akku nach dem strengen Tag an den Wendenstöcken und einer kurzen Nacht (Blog folgt...) noch nicht wieder voll geladen ist, scheint eine MSL-Route in alpiner Umgebung die richtige Wahl. Da wir aber um das Kinderprogramm planen müssen, liegt weder eine allzu lange noch eine zu weit entfernte Tour drin und wie entschliessen uns, wieder einmal den Churfirsten ab Schrina-Hochrugg einen Besuch abzustatten. Mit der Via Anita (5 SL, 6b) klettern wir schliesslich eine Tour, die man auf dem Papier als sehr gemütliches Programm einstufen könnte. Nun denn, ganz so anspruchslos war es nicht.

Sicht vom Silberi-Gipfel auf Walensee, westliche Churfirsten und Richtung Glarnerland.

Meine beiden Besuche in diesem Gebiet (Linker Silberi, 1994 und Wildenmannli am Selun, 1999) liegen weit in der Vergangenheit zurück. Genau wie damals starteten wir um ca. 10.30 Uhr in der Nähe von P.1388 auf der Alp Schwaldis. Der Zustieg hinauf an die Churfirstenwände umfasst fast 700 Höhenmeter und führt zwar zuerst über einen Wanderweg, wird zuletzt aber gääch und führt über Steilschrofen an die Einstiege. Mit noch etwas müden Beinen, suboptimal Carbo-geloaded und der schon heftig einheizenden Sonne fühlte es sich streng an. Auf rund 1700m steigt man dann in Direttissima gegen den Silberi hinauf. Von meinen früheren Erfahrungen habe ich hier eine gute Wegspur in Erinnerung. Wir fanden diese zwar auf, sie ist aber deutlich weniger ausgetreten wie damals (?), stellenweise verliert sie sich sogar im Kraut. Als wir um 11.30 Uhr unter den Wänden standen, trafen wir den finalen Entscheid zur Routenwahl. Die Tabaluga (6 SL, 6c) am Selun schien unser Zeitbudget zu sprengen, erfordert der Zustieg über weglos-steile Schrofenhänge und die mutmasslich fordernde, nach den strengen Massstäben des Erschliessers Thomas Wälti bewertete Kletterei sicher einiges an Zeit. Darum also hinauf zum Silberi, wo es auch schöne und mir noch unbekannte Routen gibt. Das letzte Teilstück hinauf zum Wandfuss ist steil und ausgesetzt. Ob T5 oder sogar T6 sollten die Spezialisten entscheiden. Ein Ausrutscher wäre auf jeden Fall fatal, eine Erinnerungsplakette an einen tödlichen Unfall im 2005 weist eindringlich darauf hin. Um ca. 12.15 Uhr starteten wir beim markanten Sattel (Stand mit 2 BH vorhanden) mit der Kletterei.

Die Südwand am Silberi mit dem letzten Teil des Zustiegs und dem Verlauf der Via Anita. Hinweis: durch die Ansicht von unten sehen die vertikalen Anteile stark verkürzt aus und es sieht nach übertrieben viel Querung aus.

L1, 45m, 6b: Ein Schrofenvorbau führt ca. 15m auf ein Band hinauf, wo sich nochmals ein Stand befindet. Um späterem Seilzug vorzubeugen ist es keine schlechte Idee, hier nochmals Station zu beziehen. Mit entsprechend verlängerten Exen geht's auch ohne (=unsere Variante). Über eine erste Wand schleicht man sich zu einem Wulst hinauf, welchem man 'um die Ecke' ausweicht. Es wartet ein knifflige Bouldercrux, die man früher mit UIAA 7- (d.h. 6a+) bewertet hat. Auf dem neueren (Sanierungs)topo steht 6b, wobei das '+' wieder ausradiert wurde... Nach heutigem Plaisir-Massstab ist das vermutlich alles zu tief!?! Wobei ich jetzt im Nachhinein Berichten im Netz entnehme, dass meine Variante direkt über den Haken offenbar nicht die leichteste Beta war. Nachher folgt formidable Wandkletterei in prima Fels mit Seitgriffschwarten und einigen griffigen Schüppli. Dieser Abschnitt ist anhaltend anspruchsvoll, wir hätten jetzt sogar dieser Passage eine 6b nach moderner Plaisir-Einstufung gegeben. 

Tolle, steilplattige Kletterei an Seitgriffschwarten und Schüppli im oberen Teil von L1 (6b).

L2, 25m, 6a+: Ein echt cooler Auftakt in prima Fels mit griffigen Briefkastenschlitzen führt zu einer steilplattigen Stelle, wo meine Lösung die im Sanierungstopo angekündigte 6a+ auch eher gesprengt hat (allerdings hat mir Kathrin nachher von einer besseren Beta mit kleinem Umweg berichtet und die Berichte im Web bestätigen diese, im Original war diese Länge sogar nur mit 5c eingestuft!). Man erreicht schliesslich ein veritables Dach, das man an seinem rechten Ausläufer mit athletischen Moves an Henkeln überquert. Nachher legt sich das Gelände zurück, wird weniger schön. Die Route führt entgegen der Darstellung in den Topos hier deutlich querend nach links zu Stand unter einem nächsten Wulst. 

Tolle Sicht ins Seeztal und weiter ins Heidiland am Ausstieg von L2 (6a+).

L3, 45m, 6a+: Gleich am Wulst befindet sich die Einzelstelle mit der Crux. Da muss man sich schon kurz festhalten und einen entschlossenen Move machen - wenn man deutlich besser klettert, dann ist 6a+ schon ok (aber ob 6a-Kletterer den so hinkriegen würden?!?). Nachher wird das Gelände deutlich einfacher. Leicht nach links tendierend folgt man dem schönsten Fels mit der besten Kletterei. Es kommen BH, aber diese stecken nicht üppig. Man steigt schliesslich auf ein Band aus und kreuzt den Verlauf von Linker Silberi, der gut sichtbare Stand der Via Anita befindet sich aber noch 10m weiter oben und wird über eine Stufe im 3./4. Grad erreicht (Vorsicht, Seilzug und Gefahr von einem Sturz auf's Band, evtl. Zwischenstand auf dem Band sinnvoll).

Ausstieg auf's gschüdrige Band kurz vor Ende von L3 (6a+), unten die Hütten von Schrina-Hochrugg.

L4, 40m, 6a: Eine sehr schöne Turnerei an gutem, griffigem Fels bietet den Auftakt in diese Länge. Wandartig geht's in die Verschneidung hinein, die man aber bald nach rechts verlässt. Dort am Pfeiler nochmals prima Kletterei, bis man einen breiten Horizontalriss vor der nächsten Wandstufe erreicht. Hier in etwas brüchigem, einfachem Gelände nach rechts. Man kreuzt nochmals Linker Silberi, d.h. klettert an dessen Stand mit 2 Mammut-Longlife-BH vorbei um ca. 5m rechts den Stand der Via Anita zu finden.

Querung am Ende von L4 (6a) mit Wow-Ausblick Richtung Glarnerland.

L5, 35m, 6a+: Zuerst geht's steil an einem Offwidth-Riss in die Höhe. Keine Bange, man muss hier keine rustikalen Techniken einsetzen, es hat mehr den Charakter von athletischer Wandkletterei. Bald einmal präsentiert sich das Gelände etwas weniger steil und üppig griffig. In tollem Fels kommt man an Schwarten voran, bis sich im oberen Teil direkt geklettert nochmals eine richtig knifflige, plattige Stelle in den Weg stellt (sicher umso mehr, wenn man über eine beschränkte Reichweite verfügt, evtl. ist auch hier eine grossräumige Umgehung zu Gunsten tieferer Schwierigkeit möglich). Dann hinauf zum Stand, der sich ca. 10m unter dem Gipfelgrat befindet.

Lässige Kletterei in L5 (6a+), die Felsqualität lässt erst ganz am Ende nach.

Um den Grat, den Gipfel und die Abseilstelle zu erreichen, ist eine weitere kurze Seillänge mit Totmannsicherung hinter dem Grat nötig. Um ca. 15.20 Uhr und somit rund 3:00h Kletterei sind wir oben und gehen zum Steinmann. Das Gipfelbuch in der Gamelle berichtet nicht von vielen Kletterern, welche die Routen am Silberi begehen. Mir scheint, als ob diese Wände etwas in Vergessenheit geraten sind. Vielleicht wenig erstaunlich, stammt die letzte Führerausgabe doch aus dem Jahr 1995 und ist längst vergriffen, in den Plaisirführern waren diese Touren nie vermerkt (und sie gehören aufgrund des alpin-heiklen Zustiegs da auch nicht hin). Bemerkenswert sind die Ausblicke in die steile Südwand am Frümsel mit unserer Pro Specie Rara (4 SL, 7a+), welche bis dato nach meinem Wissen noch keine Wiederholung erhalten hat. 

In dieser steilen Wand verläuft unsere Pro Specie Rara (4 SL, 7a+). Auf dem Foto wirkt der Fels etwas vornüber gekippt. Dies entspricht aber absolut der Realität und ist nicht aufgrund von schräg gehaltenem Fotoapparat entstanden - die Kletterei in dieser Route ist steil, athletisch und eindrücklich!

Um wieder nach Hause zu kommen, nutzt man am besten die Abseilpiste, welche beim Ausstieg von Linker Silberi und damit ca. 15m westlich des Ausstiegs der Via Anita beginnt. Einen Steinmann gibt's da inzwischen keinen mehr, man kann aber schon beim Klettern hinüberspähen wo dieser Ausstieg ist und die Kette ist vom Grat relativ einfach einzusehen und aufzufinden. Über drei 50m-Strecken gleitet man zurück zum Einstieg, dabei einen routenunabhängigen Stand sowie einen von Rechter Silber nutzen. Diese zu finden ist wenig problematisch, wenn man jeweils in der Falllinie bis kurz vor das Seilende abfährt. Zurück am Einstieg ist die Sache noch nicht gegessen, der Abstieg über die obersten, ausgesetzten Schrofenhänge erfordert nochmals volle Konzentration und erlaubt keine Fehler. Hat man die ersten 100hm einmal geschafft, so wird es weniger heikel. Das steile, krautige Gelände mit nur schwacher Spur erfordert aber immer noch Aufmerksamkeit. Um ca. 17.20 Uhr und damit rund 2:00h nach Erreichen des Gipfels sind wir zurück an der Strasse. Das Auto rekuperiert auf der Talfahrt schön, die gewonnene Energie reicht nachher bis weit in die Linthebene. Bei uns hingegen dauert nicht nur die körperliche Erholung nach dem kletterintensiven Weekend länger, die gewonnen Eindrücke aus diesem tollen Tag werden noch viel länger andauern.

Kein Top-Foto, gibt aber vielleicht einen Eindruck, wie steil und exponiert die Schrofenhänge im Zu- und Abstieg sind. Das Bild wurde gleich beim Aufbruch am Sattel mit dem Einstieg aufgenommen. So deutliche Wegspuren wie hier sichtbar gibt's nur auf den ersten Metern, nachher hat's kaum noch welche oder nur sehr unmerkliche.

Facts

Frümsel / Silberi - Via Anita 6b (6a obl.) - 5 SL, 190m - Marcel Schmed et al. 1988/2010 - ***;xxx
Material: 2x50m-Seile, 12 Express, evtl. Cams 0.3-0.75

Schöne Kletterei durch die zentrale Südwand am Silberi. Der Fels ist meist prima, rau und mit Top-Reibung. Einige mässig solide Blöcke und Schuppen sowie etwas loses Gestein auf Bändern erfordern jedoch alpine Erfahrung. Dies gilt ebenso für den steilen Zustieg. Die im Original wohl ziemlich kühne Route wurde 1993 ein erstes Mal mit Mammut-Longlife-BH saniert. Im 2010 fügten die Erschliesser in den unteren Längen weitere Bolts hinzu und richteten einen neuen Ausstieg zum Gipfel mit 2 Seillängen ein. Die Absicherung ist an den Schlüsselstellen sehr gut (xxxx), an den einfacheren Stellen muss man durchaus auch mal über die Haken steigen (xxx). Hier und da könnte man kleine Cams platzieren, wer nicht deutlich über dem verlangten Niveau steht, dürfte ein Set von 0.2-0.75 durchaus als nützlich empfinden, auch wenn es sicher ohne geht. Ob sich die Route im Angesicht ihrer limitierten Länge und des eher weiten und etwas heiklen Zustiegs lohnt, muss jeder für sich selber entscheiden. Sicherlich findet man anderswo gleich viel oder mehr Routenlänge und ebenbürtigen Fels mit kürzerem Zustieg. Andererseits waren wir komplett alleine in diesem Gebiet, haben ein kleines Abenteuer genossen, einen selten besuchten Gipfel erreicht und der Tiefblick auf den Walensee überzeugt sowieso - chacun à son gout, also!

Topo vom Erschliesser Marcel Schmed - vielen herzlichen Dank!

Donnerstag, 9. Juni 2022

Gantrisch / Nüneneflue - Znüni näh (7b)

Diese Neutour aus dem Jahr 2020 hatte unmittelbar nach der Publikation des Topos mein Interesse geweckt. Die Erschliesser versprachen besten Fels und Top-Absicherung und vor allem befand sich das Unternehmen in einem Gebiet, wo ich bis dato noch nicht vorbeigekommen war. Während der Gantrisch für die Berner Locals ein Eldorado für voralpine Skitouren und Graskraxeleien ist, so ist bzw. war er für das Felsklettern eine wenig renommierte Adresse. An einem quellwolkig-gewittrigen Tag im Vorsommer schien das Projekt aber genau die richtige Dimension zu haben und tatsächlich wurden wir nicht enttäuscht. Der scharfe Tropflochfels war einwandfrei, ebenso die Bestückung der Route mit soliden Inoxbolts. Selbst die unvermeidliche, nachmittägliche Schauerzelle zog unmittelbar neben uns vorbei und lieferte ausser einem beeindruckenden Schauspiel nur ein paar minimale Tropfen.

Die beste Übersicht erhält man auf dem Topo der Erschliesser - danke Andy Klaus & Adrian Voegeli! 

Neue Wege einzuschlagen war das Motto, das betrifft in gewisser Weise schon die Anreise zum Ausgangspunkt. Nein, den Gurnigel hatte ich bisher noch nie überquert, aber das ist ja schon fast eine Nebensache. Ein wesentlicher Spannungsfaktor war aber, dass Hin- und Rückreise zum ersten Mal die nominelle Reichweite des Elektromobils übertrafen und es im Aspekt 'Nachladen unterwegs' durchaus noch etwas Entdeckungsbedarf gab. Auf dem Hinweg war das aber noch kein Thema und wir starteten gut gelaunt, perfekt im Fahrplan und bei strahlendem Sonnenschein um Schlag 9.00 Uhr vom oberen Parkplatz bei der Wasserscheidi (~1600m) mit dem Zustieg. Diesen mit dem Bike bis nach Gustiberg (1727m) zu verkürzen, würde wohl fast die Hälfte unserer benötigten Zeit von 55 Minuten einsparen. Ab der Alp folgt man dem Wanderweg zur Schwalmere, verlässt diesen an offensichtlicher Stelle, um weglos über zuletzt steile Grashänge (T5) den Einstieg bei der markanten Tanne (1900m) zu erreichen. In deren Schatten konnten wir uns gemütlich vorbereiten und starteten um 10.20 Uhr mit der Kletterei.

Unterwegs auf neuen Wegen im Gantrischgebiet, welches aus dieser Perspektive sich nicht wirklich als Felsklettergebiet präsentiert. Die drei Gipfel am Horizont nennen sich (v.l.n.r) Gustispitz, Nüneneflue und Gantrisch. Auf der Rückseite des mittleren Gipfels befindet sich unsere angepeilte Route. Obwohl sie aus dieser Perspektive weit entfernt scheint, lässt sich der Einstieg in einer knappen Stunde erreichen.

L1, 30m, 6c+ (bzw. 6b+/6c): Schon wenige Meter, nachdem man den Boden verlassen hat, heisst es bei einem markanten Boulderzug ein erstes Mal parat zu sein. In der Folge präsentiert sich die Kletterei stets griffig an stark strukturiertem Tropflochfels und interessant. In einer grossen Linksquerung gilt es stets abzuwägen, ob man lieber zuerst hinaufsteigt und dann traversiert oder umgekehrt. Schliesslich erreicht man ein Band mit dem Stand. Gegenüber dem links ansteigenden Grasgelände hat man sich da gar noch nicht so weit entfernt - aber definitiv schon eine sehr schöne prima Aufwärmlänge geklettert.

Viktor unterwegs auf der grossen Querung im oberen Teil von L1 (6c+).

L2, 30m, 7b: Nochmals etwas nach links hinaus und dann die Wand obsig, so heisst das Motto hier. Gleich zu Beginn wird man sich gewahr, dass nun eine Schippe draufgelegt werden muss. Scharfe Tropflochgriffe sind durchaus da, aber die Steilheit zwingt einen, die Moves zu planen und sich solide festzuhalten. Ein bugartiger Pfeiler lässt dann anziehende Schwierigkeit vermuten, welche man mit der Crux auch vorfindet. Über ein paar Meter ist es steil, anhaltend, kleingriffig und vor allem sehr unübersichtlich. Scharfe Tropflochstruktur gibt es zuhauf, die richtige Lösung zu erkennen ist aber schwierig und es bleibt einem nicht ewig Zeit, um nach dieser zu suchen. Mich wirft es schliesslich vor der Thank-God-Kelle ab, schade! Nach dieser mit kleinem Runout weiter, zuletzt dann in einer etwas gemüsigen, aber sehr gut abgesicherten Traverse nach links hinaus zum Stand.

Dieses Foto aus L2 (7b) sieht bei genauer Betrachtung sehr gechillt aus. Das freut mich, auch wenn es eigentlich komplett irreführend ist. An dieser Stelle holt man nämlich das letzte Mal etwas Luft, bevor es in die Crux geht, das Gelände ist steil und ermöglicht keine entspannte Ruheposition - doch die Kunst beim (Onsight-)Klettern ist es eben, sich auch in prekären Situationen wieder zu sammeln und mit der Energie möglichst haushälterisch umzugehen.

L3, 30m, 6c+: Eine absolut geniale Seillänge mit anhaltender, ausdauernder und griffiger Kletterei in bestem, scharfem Tropflochfels. Wirklich sehr speziell ist es, dass wir hier keine Crux ausmachen konnten. Die Moves sind wirklich fast beständig von ähnlicher Schwierigkeit über die gesamte Kletterstrecke hinweg - sehr aussergewöhnlich!

Hammermässige Tropflochkletterei in L3 (6c+)

L4, 25m, 7a (bzw. 6c+): Hier findet man einen leicht anderen Charakter vor, das verrät schon der Blick nach oben. Zwei überhängende Wulste gilt es zu überqueren, sie fragen eine gewisse Athletik ab. Der Rest der Seillänge geht hingegen leichter von der Hand. Zum Ende der Seillänge trifft man mit der Route Fakir (3 SL, 7a, Hostetter/Joss 2014) zusammen, deren Stand man nutzen muss bzw. kann. Ich zog es nämlich vor, diesen eher unbequemen Ort gleich wieder zu verlassen und weiter dem ansetzenden Fixseil entlang ins Schrofengelände hinaufzusteigen. Zum nächsten Doppelbolt-Stand reicht es mit 50m-Seilen nicht, da aber zahlreiche Einzelbolts stecken die dank dem Fixseil ausreichend Redundanz haben, kann man gut bis zum "Seil aus" steigen.

Steile Kletterei über 2 Wulste hinweg wartet in L4 (7a).

L5, 30m, 4a und Grasgelände: Das Fixseil beginnt nicht direkt am Stand nach L4, sondern erst 2m weiter oben beim ersten Zwischenbolt. Bis dahin wollen noch einige Moves am Fels geklettert werden und auch über die nächsten 2-3 BH lässt es sich bei abnehmender Gesteinsqualität Hand ans Gestein legen, bevor man endgültig in weniger steiles Grasgelände aussteigt. Der eigentlich Stand befindet sich weiter oben bei einer Art Schulter, wo man mit dem Kettenweg zusammentrifft.

Ausstieg ins grasige Gelände in L5, unbedenklich da top eingerichtet mit BH und Fixseil.

L6, 25m, Gehgelände: Leicht ansteigende Horizontaltraverse in grasigem, unschwierigem Gelände. Dank Fixseil und zahlreichen Bolts gut am laufenden Seil bzw. ohne Partnersicherung zu machen. Man erreicht ein bequemes Band, wo die beiden Varianten in der Schlusswand starten.

Zweiter Teil des Gras-Intermezzos (L6) zum bequemen Band am Fuss der Gipfelwand, wo wir noch eine kleine Sportklettersession durchgegeben haben (d.h. die letzte Seillänge und ihre Variante mit Sichern von diesem Band geklettert haben).

L7, 30m, 7b: Die schwierigere rechte Variante in der Gipfelwand haben die Erschliesser auf ihrem Topo als das Original bezeichnet. Über weite Teile bietet die Länge knapp senkrechte Wandkletterei an Löchern und kleinen Leisten, gut gangbar im 6c/7a-Bereich. Der Felscharakter ist hier ganz anders als in den unteren Längen, die Qualität aber immer noch top - eine geniale Turnerei. Die Crux erfolgt schliesslich ganz am Ende. An der Stelle wo man nach rechts auskneifen und in einfachem Gelände den Gipfelgrat erreichen könnte, gilt es (etwas gesucht) steil an einer patschigen Sloperkante zu bouldern. Da der finale Stand eher unbequem ist und wir sowieso noch die linke Variante klettern wollten, lenkten wir am Top um und sicherten vom Grasband aus - sicher die empfehlenswerte Variante, wenn man nicht weiter zum Gipfel will, zudem ermöglichte es beiden den Vorstieg dieser Schlusslängen. Es sei allerdings bemerkt, dass für das Umlenken 60m-Seile empfehlenswert sind, mit 50m reicht es mehr schlecht als recht (bzw. genau genommen gar nicht ohne Tricksen).

Unterwegs in L7 (7b), der Ausstieg an der steilen Nase links oberhalb des Akteurs.

L7 linke Variante, 30m, 7a: Kein Mauerblümchen, sondern eine echt coole Sequenz! Sie bietet anhaltende, steile Wandkletterei an scharfen Leisten, Schüppchen und Löchern mit einem kniffligen Finale. Unter dem Strich hat uns diese Seillänge sogar noch besser gefallen wie das Original. Sie ist homogener und wir empfanden sie als die logischere Linie zum Top - wenn nur eine der beiden Längen geklettert werden sollte, dann würde ich persönlich diese hier bevorzugen.

Auftakt in die linke Variante von L7 (7a), geniale Kletterei hinauf an die steile Nase am Horizont.

In der Gegend von 17.00 Uhr und damit nach 6:30h vergnüglicher Kletterei hatten wir unser Tageswerk beendet und dabei am Ende etwas Glück mit dem Wetter gehabt. Während Viktor seine letzte Länge am Leaden war, entwickelte sich aus der Quellbewölkung urplötzlich eine Schauerzelle. Während sie bei uns nur das Licht stark abdunkelte und wenige Tropfen schickte, so regnete es schon am Gustispitz drüben und wenige Minuten später in der Gegend von Thun recht stark. So konnten wir trocken geblieben die nächsten Schritte planen. Um die Punktebuchhaltung komplett ins Reine zu bringen, wäre ein Second Go in L2 nötig gewesen (der Rest der Tour war onsight gelungen). Doch da diese von oben kommend nicht erreichbar ist, die Kletterei einiges an Kraft gekostet hatte und vor allem die Haut an den Fingerspitzen schon sehr dünn, empfindlich und rosa geworden war, entschieden wir uns dafür, den Heimweg anzutreten.

Da hatte sich der fette, Regentropfen bringende Topf schon Richtung Thun verzogen... :-) während er nur wenige Minuten zuvor direkt bei uns noch fast für Unheil gesorgt hätte. Es zeigt eben, dass solch instabile Wetterlagen in den Bergen immer heimtückisch sind.

Wir stiegen dem Fixseil entlang zurück, ein kurzer Abseiler von wenigen Metern brachte uns zu Stand 4. Rund 40m gleitet man von dort steil über den Fakir in die Tiefe, der nächste Stand muss etwas seitlich in überhängendem Gelände angependelt werden! Ein weiterer Abseiler führt in die steilen Grashänge der NE-Flanke, nach ca. 45-50m findet man an den Felsen einen weiteren Stand. Dieser ermöglicht es, nochmals bis in flacheres Terrain abzuseilen, wobei man aber auch noch das Depot am Einstieg aufheben muss (was nicht am Seil möglich ist). Sehr zufrieden darüber, eine tolle Tour mit meist perfektem Fels in einer für uns bisher unbekannten Gegend geklettert zu haben, wanderten wir zum Ausgangspunkt zurück. Wir rollten talwärts und kümmerten uns dann um eine Nachlademöglichkeit für das Elektromobil. Das entpuppte sich als einfacher wie befürchtet. Während wir im Shop einen Recovery Drink kauften, hatten innerhalb von nur 10 Minuten bereits genügend Elektronen ihren Platz gefunden, damit der Energiebedarf für die Heimfahrt gesichert war. Ja, so eine 50kW-Spritze direkt in die Unterarme würde einem beim oder nach dem Klettern manchmal auch gut tun, befanden wir :-)

Facts

Gantrisch / Nüneneflue - Znüni näh 7b (6c obl.) - 8 SL, 230m - Klaus/Voegeli 2020 - ****;xxxx
Material: 2x50m-Seile (60m u.U. vorteilhaft), 16 Express, Cams/Keile nicht nötig

Obwohl der Gantrisch zum Felsklettern kaum bekannt ist, findet man in der Ostwand der Nüneneflue unerwartet guten, scharfen und griffigen Tropflochfels à la Rosenlauistock Südwand. Zudem haben die Erschliesser Top-Arbeit geleistet und aus dem zur Verfügung stehenden Felsmaterial wirklich das Optimum an Kletterroute herausgeholt. Der Verlauf quert beständig etwas nach links, die Linie ist aber logisch und folgt dem besten Gestein. Die grasige Querung zur Schlusswand ist problemlos und zügig zu machen und lohnt sich bestimmt - erst recht, wenn man dort beide Seillängen klettert. Für diejenigen mit dem ganz grossen Felshunger gäbe es beim Abseilen auch noch die Möglichkeit, die 3 Längen des Fakir anzuhängen (sehen prima aus, gut abgesichert). Die Absicherung von 'Znüni näh' mit Inoxbolts darf man als perfekt bezeichnen. Die Haken stecken in kurzen Abständen und sind ideal platziert. Dennoch bleibt ein gewisser Anspruch vorhanden. Hingehen und geniessen, kann man da nur sagen, einfach genügend solide Fingerhaut muss man mitbringen. Zu erwähnen ist noch, dass die Route im Vorsommer bis ca. 14-15 Uhr besonnt bleibt. Topo und einige weitere Infos findet man bei rebolting.ch.