Die westliche Südwand am Frümsel ist ein bisher wenig beachtetes Stück Fels. Sie liegt ein wenig verborgen im komplexen System der zahlreichen Nebengipfel in diesem Massiv und ist nur aus der Luft sowie allenfalls vom Gipfel des benachbarten Silberi so richtig gut einsehbar. Im Jahr 2000 hatte das Duo Wälti/Angst mit der Ameghino (8a, 4 SL) eine erste Route durch die Wand gelegt und damit auch den achten Franzosengrad an den Churfirsten eingeführt. Daniel hatte mir von bestem Tropflochfels, wild wendenmässig überhängendem Fels und der Gelegenheit für eine Neutour vorgeschwärmt. Genau dies wollten wir an einem Tag Mitte November probieren, nach Möglichkeit in Form einer 1-Tages-Erstbegehung. Was daraus geworden ist, darüber wird an dieser Stelle berichtet...
Das Frümsel-Massiv mit Routenverlauf und Zustiegsmöglichkeiten. Foto: Alpin_Rise @ hikr.org |
Zustieg
Für den Zugang stehen gleich mehrere Möglichkeiten zur Verfügung. Man kann einerseits von Süden (Walenstadtberg/Hochrugg, 1290m) unter den Silberi hinaufsteigen und dann steil und exponiert im T6-Gelände durch die Silbergrube, idealerweise etwas rechts ausholend, zur Wand hinaufsteigen. Die besten Schliche sind in diesem hikr-Beitrag beschrieben. Einfacher und kürzer ist der Zugang von Norden. Als Ausgangspunkt wird in der Literatur die Alp Torloch (1786m) beschrieben. Nur eine sehr schmale, steile und nicht asphaltierte Strasse führt dorthin. Es gibt jedoch kaum Parkmöglichkeiten, während der Alpzeit stört man den Betrieb und muss damit rechnen, dass das Vieh das Fahrzeug beschädigt. Somit ist es die bessere Option, entweder schon bei P.1561 zu starten und den Wanderweg via Brisizimmer zu nutzen, oder die Parkmöglichkeit kurz vor P.1598 zu wählen. Hinweis: die Strasse dahin ist taxpflichtig (10 CHF in Münzen bereithalten).
Will man von Norden zu Fuss zum Einstieg, so ist P. 1561 der richtige Ausgangspunkt und die Scharte zwischen Frümsel und Brisi, bzw. der Bereich wenig unter dem Einstieg der Frümselkante das Ziel. Von dort über ein exponiertes Grasband unter den Felsen südseitig queren, hinter einem Turm durch und über Schrofen zur Wand hinauf (T5+, Bericht und Foto auf hikr.org). Eine sehr gute, ja sogar die einfachste Möglichkeit besteht darin, die Route im Verdon-Prinzip zu klettern. Dazu geht man am besten von P.1598 nach Torloch, nimmt man den Wanderweg zum Frümsel, verlässt diesen 20hm unter dem Gipfel und quert horizontal nach Westen. Mit ein paar Kletterzügen geht's über eine Abbruchkante hinunter, wenig später erreicht man die Graskuppe des westlichen Frümsel-Nebengipfels (insgesamt T4). Nur 5m unterhalb befindet sich gut sichtbar der Ausstiegsstand. In 3 steilen, ja wild überhängenden Abseilmanövern (siehe Topo) erreicht man den Einstieg.
Morgenstimmung auf dem Gipfel! |
Der Zustieg von oben bietet eine steile, wilde Abseilfahrt, vermeidet dafür steiles Grasgelände. |
Route
Wir waren um 7.45 Uhr von Torloch aufgebrochen und hatten in 45 Minuten den Frümsel-Nebengipfel erreicht. Für uns war der Zugang von oben absolut logisch, da wir so nochmals einen Blick auf den geplanten Routenverlauf werfen konnten. Am Gipfel trafen uns die ersten Sonnenstrahlen, mit etwas Wind war es aber durchaus noch frisch. Einmal am Einstieg konnten wir uns aber den Kleiderschichten wieder entledigen. Hier war es angenehm und wie wir es vermutet hatten, präsentiert sich die Wand als ein ideales Ziel für Spätherbsttage - Sonnenschein gibt's hier von früh bis ultimo. Nachdem wir das Bohrgear sortiert und die Haulbags gepackt hatten, stiegen wir um 10.00 Uhr ein.
L1, 35m, 6b: Die Route startet am selben Punkt/Stand wie Ameghino, zieht dann aber diagonal nach rechts hinaus. Die allerersten Meter noch nicht das Gelbe vom Ei, wird der Fels bald kompakt und wartet schon am zweiten BH mit einer technisch-kniffligen Stelle auf. Aus der Patsche hilft schliesslich ein Wunderwerk der Natur. Da war es, das "Supertropfloch", welches Thomas Wälti auf S.110 im Buch "Churfirsten - über die 7 Berge" von Emil Zopfi so schön beschreibt. Weiter geht's mit griffigen Rissen, die wir komplett mobil absichern konnten und clean belassen haben (Keile und/oder Cams 0.3-3). Am drohenden Dach geht's rechts vorbei und schliesslich einfacher zum Stand.
Das Projekt ist gestartet, unterwegs in L1 (6b), bald an den clean belassenen Rissen. |
L2, 30m, 6b+: Über plattigen Fels geht's an die Steilzone heran, wo bald wieder prima Steilfels wartet. Ohne mutig zu Cliffen war das nicht einzubohren, zum Klettern sind sicherlich nicht ganz so ausgefeilte Tricks nötig, auch wenn man über ein paar Meter durchaus dranbleiben muss! Nach einer kurzen Verschnaufpause folgt eine knifflige Linksquerung, bevor es an einem Damoklesschwert vorbei (bitte vor Ort lassen!) zum bequemen Stand auf dem Mittelband geht. Hier befindet sich auch die Gamelle mit dem Routenbuch. Diese Seillänge ist komplett eingebohrt, dazulegen ist kaum möglich.
Man at work in L2 (6b+), oben droht definitiv das steile Gemäuer! |
L3, 40m, 6b+: Vielleicht das Herzstück der Route, auf jeden Fall die wesentliche Motivation um dieses Projekt anzupacken! Hier wartet nämlich ein Riss, welcher die stark überhängende Wand durchzieht. Dank seinem Verlauf kommt man für die Steilheit des Geländes mit erstaunlich moderater Schwierigkeit durch. Der Auftakt noch in der Wand und im 6b-Bereich in scharfem Fels. Dann der Riss, der sich als wahres Highlight entpuppt. Erstens bestens mobil abzusichern (natürlich haben wir ihn clean belassen!) und zweitens mit aussergewöhnlichen Handklemmern. Ja, dass man im Kalk auf diese Weise jammen kann, ist (zumindest für die Region) doch sehr aussergewöhnlich, Crack Gloves sind auf jeden Fall empfehlenswert! Dieses ganze Setup hat natürlich auch zum Routennamen inspiriert. Zuletzt dann 2x um die Ecke und über die wasserzerfressene Platte zum Stand. Zur mobilen Sicherung kommt man hier mit 1 Set Cams 0.3-3 plus allenfalls Keilen durch, sofern man in überhängend-athletischer Jam-Kletterei nicht mehr Sicherungen legt, wie wenn es Bolts hätte. Die Grössen 0.4-2 zu verdoppeln, kann sicher hilfreich sein. Wer möchte, kann den Riss wohl komplett technisch begehen. Ein Wort noch zur Bewertung: bei der RP-Begehung bzw. auf dem offiziellen Topo schlug das Churfirsten-o-Meter nur bis auf 6b+ aus, mir persönlich kam es beim Durchstieg als Seilzweiter am Bohrtag eher wie eine 6c+ vor - time will tell...
Das Herzstück, der Jam-Riss in L3 (6b+) hilft durch die stark überhängende Wand. |
Bester Tropflochfels im Ausstieg von L3 (6b+) |
L4, 35m, 7a+: Der Riss in L3 das Highlight, die überhängende Wand in L4 dafür die Challenge. Athletische Kletterei in wasserzerfressenem Fels an Auflegern, Seitgriffen, Leisten und Rissspuren wartet. Pumpig und technisch fordernd zugleich, auch zu lesen ist die Sequenz nicht sonderlich einfach. So befanden wir es jedenfalls. Nach 20 anstrengenden Metern legt sich das Gelände zurück, einfacher geht's hinauf und nach dem 6. BH nach links in ein paar Metern Traverse zum Ausstiegstand der Ameghino, welcher den besten Zugang zum Gipfel vermittelt. Zu Beginn und zwischen dem 4./5. Bolt kann man hier die Sicherungssituation noch mit kleinen Cams und/oder Keilen verbessern. Hinweis: die letzte Seillänge kann auch über Ameghino umgangen werden. Dazu hält man sich beim letzten BH in L3 wenige Meter nach links an deren Stand. So ergibt sich ein (auf dem Papier) moderat schwieriger Wanddurchstieg mit sehr homogener Einstufung im Bereich 6b+.
L4 (7a+) ist steil und pumpig, so musste beim Bohren mit Schichtwechsel gearbeitet werden. |
Die Gegenperspektive in L4 (7a+) - würde man sagen, es sei an den Wenden, es wäre glaubhaft! |
Um 16.45 Uhr erreichten wir 'just in time' mit dem Sonnenuntergang den Gipfel. Wow, was für ein Erlebnis in diesem wunderbaren Herbstlicht, mit einer tollen Neutour in der Tasche und dem Gefühl, das gesteckte Ziel der 1-Tages-Erstbegehung realisiert zu haben. Geholfen haben uns dabei die gut 50m, welche komplett mobil abgesichert werden können, so dass wir bzw. die Route mit total nur 24 BH auskommt. Andererseits waren manche Bolts im überhängenden Steilgelände zu setzen, was immer wieder eine fordernde Sache ist. Ja, an den Bammel beim erstmaligen Belasten von ein paar Cliff- und/oder Pecker-Placements zum Bohren werde ich mich sicher noch lange erinnern - always gives me the creeps!
Perfektes Timing - Erstbegehung vollendet 'just in time' mit dem Sonnenuntergang! |
Magische Momente am Top - auch mit dem Panoramamodus nur schwierig einzufangen! |
Während der Vorsteiger also zum Bohren und auch zum Rasten nach der Hakenplatzierung jeweils technische Hilfsmittel nutzen musste, konnte der jeweilige Nachsteiger die Seillängen frei durchsteigen. Somit war also auch die Befreiung eigentlich schon geglückt. Den endgültigen Abschluss des Projekts vollzog Daniel dann 4 Tage später zusammen mit Thomas Wälti mit einer durchgehenden RP-Begehung im Vorstieg. Der Autor hatte arbeitsbedingt leider keine Zeit, um bei diesem Event dabei zu sein und sich ebenfalls die Punkte gutschreiben zu können. Somit muss diese Pendenz wohl auf die kommende Saison (oder später einmal) verschoben werden. Am Bohrtag blieb uns noch der Abstieg über den Frümsel-Wanderweg nach Torloch. Obwohl nicht weit, war es schon dunkel bis wir da waren. Es verblieb noch, das Chaos in unseren Haulbags vor dem Alpstall wieder zu bereinigen, dann ging's hochzufrieden nach Hause zu unseren Familien in die warme Stube.
Was für ein Tag, was für ein Erlebnis! |
Facts
Frümsel - Pro Specie Rara 7a+ (6c obl.) - 4 SL, 140m - Benz/Dettling 2020
Material: 2x50m, 12-14 Express, Cams 0.3-3 plus evtl. 0.4-2 & Keile zusätzlich, Crack Gloves
Eher kurze, aber eindrückliche und lohnende Route durch die steile, westliche Südwand am Frümsel. Im Angebot stehen Steilplatten, athletische Tropflochkletterei und längere Passagen an hervorragenden Jam-Rissen, die clean belassen wurden. Diese sind mit Cams und allenfalls Keilen prima abzusichern, die Wandpassagen sind solide mit Inox-Bohrhaken eingebohrt, so dass der Sicherungslevel mit den mobilen Gerätschaften die Stufe xxxx erreicht. Wessen Kletterhunger für mehr als 140m reicht, findet mit der benachbarten Ameghino, der Frümselkante, Sibir oder Anchorage weitere, ähnlich lange Routen am Berg, so dass einem ausgefüllten Tag nichts im Wege steht.
Das Topo zur Pro Specie Rara! |
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