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Sonntag, 22. September 2024

Tour Termier - L'usure du temps (7c+)

Eine MSL-Tour am Col du Galibier, dieser Programmpunkt gehört fix in die Sommerferien. Schliesslich führen wir diese Tradition seit 2019, als ich mit der damals 9-jährigen Larina die Ponant Neuf (6a+) am Tour Termier geklettert hatte. So packten wir in den vergangenen Jahren jeweils die erste Gelegenheit, um in dieser rauen Umgebung auf 3000m zu klettern. Diesen Sommer war ein längerer Schnauf gefragt: wir waren in wechselnder Besetzung in erster Linie zum Sportklettern vor Ort und konnten nicht nach Belieben an den Galibier aufbrechen. Mit etwas Geduld kam aber in diesem schönen Sommer 2024 natürlich die Chance und wir erkoren erneut den Tour Termier als Ziel. Gut, dass Larina inzwischen ein wenig älter geworden ist und beim Klettern massive Fortschritte gemacht hat. Denn die logische Steigerung nach der von uns zuletzt begangenen Feu Sacré (7a) war eben die hier beschriebene L'usure du temps (7c+), welche dann gleich mit mehreren Längen im siebten Franzosengrad auftrumpft und mit Fels, Anspruch und in der Schärfe des Gesteins den Vergleich mit den Routen am Rothorn im Färmeltal nicht zu scheuen braucht.

Die fantastische Westwand des Tour Termier mit dem Verlauf von L'usure du temps (7c+)

So fuhren wir, wie aus den früheren Jahren gewohnt, hinauf Richtung Col du Galibier bis zur Kehre auf 2500m. Dort schlugen wir um 11.20 Uhr den mehr oder weniger horizontalen Climbers Trail in Richtung der Wand ein, nur rund 300hm sind bis zum Einstieg zu absolvieren. Wie schon in den früheren Berichten beschrieben, macht es wenig Sinn, hier tageszeitlich früh zu starten, da die Westwand des Tour Termier erst am Nachmittag besonnt ist und man selbst an Hitzetagen (und sonst natürlich sowieso) morgens wahrscheinlich nur Frostzittern und kalte Griffel kriegt. Wir liefen zügig und waren um 12.05 Uhr am Einstieg. Dieser ist nicht näher bezeichnet und relativ unscheinbar, man muss ihn anhand der Fototopos identifizieren, was eine gewisse Orientierungsfähigkeit am Fuss dieser Riesenwand voraussetzt. Für uns war es nicht so schwierig, da wir 4 Jahre zuvor die rechts daneben startende Marmotta Impazzitta (6c) geklettert hatten, deren Startpunkt wir noch zweifelsfrei zuordnen konnten.

Zustieg auf dem ziemlich bequemen Climbers Trail zum Tour Termier.

Bei einem kleinen Imbiss diskutierten wir die zu wählende Strategie. Eigentlich klettert Larina ja inzwischen universell besser als ich. Also nicht nur Indoor und im Steilgelände, sondern ebenso (wenn auch weniger deutlich) am vertikalen, knapp strukturierten und schwierig zu lesenden Fels, der auf MSL typisch ist und auch etwas Erfahrung und Selbstvertrauen erfordert. Trotz meinen Ermunterungen entschied sie, dass wir an diesem Tag noch bei den gewohnten Traditionen blieben und der Vorstieg komplett meine Aufgabe wäre. Dankbar darum, diesen in einer solch schwierigen Route noch ausführen zu können und noch nicht zum alten Eisen zu gehören, nahm ich diese Aufgabe an und startete in der Gegend von 12.20 Uhr mit der Kletterei.

Super Panorama: die Écrins-Berge und der Col du Lautaret, welcher Briançon mit Grenoble verbindet.

L1, 25m, 6a+: Eine relativ kurze Seillänge, mit einem ersten Haken, der nicht gerade bodennah steckt. Die Kletterei im plattigen Terrain hat Rätikon-Feeling und nach dem zweiten und letzten Bolt kommt eine Crux, die es in sich hat: ein richtig taffer Move von einem Seitgriff, dann Mantle ins flachere Gelände. Kurzum, eine 6a+ die man vermutlich nur kann, wenn man viel schwieriger klettert. Falls das zutrifft, dann kommt's ja auch nicht so darauf an, wie der Abschnitt bewertet ist... im Vergleich zu dem was später noch kommt, ist's ja effektiv "einfach".

L2, 30m, 6b+: Anhaltende und bereits recht steile Seillänge an vom Wasser zerfressenem Fels. Sie hat sich schwieriger angefühlt, wie ich dies aufgrund vom Schwierigkeitsgrad her erwartet hätte. Larina und ich teilten uns den Eindruck, dass man hier nie so recht weiss, ob man sich einfach ungeschickt anstellt, oder ob man tatsächlich schon solch kräftige Moves ausführen muss. Hinweis: das Plättli am zweiten Bohrhaken ist vom Steinschlag plattgebogen, mit schmalem Karabiner oder einer Schlinge aber noch klippbar. Der Bolzen sieht noch ok aus.

Steile Kletterei an wasserzerfressenem Fels in L2 (6b+), man muss sich durchaus schon festhalten!

L3, 35m, 7b: Hier startet man mit einer noch gut machbaren Querung nach links (ca. 6c), welche einen zu einer athletischen Sektion an Unter- und Seitgriffen bringt. Da heisst es zupacken und gleichzeitig möglichst effizient durchkommen, um die Körner für das kleingriffige Finale zu sparen. Entschlossenheit und hohes Antreten sind dort neben ein wenig Fingerkraft wohl der Schlüssel zum Erfolg. Diese Stelle ist zwar dicht abgesichert (A0 dürfte problemlos sein), dafür ist es wegen der feingriffigen Natur nicht so einfach, stabile Klipp-Positionen zu finden. Ich dachte schon mal kurz, es gehe nicht mehr, bevor ein magischer Toehook mich aus der brenzligen Situation gerettet und den Onsight konserviert hat. Larina marschierte im Nachstieg dann völlig easy über die Stelle - wer kann der kann!

Diese Seillänge (L3, 7b) ging ihr leicht von der Hand - mir nicht ganz so sehr.

L4, 30m, 6a: Henklige Fun-Kletterei einem System von Schuppen entlang. Im weiteren Verlauf dann der Ausstieg auf eine gebänderte Zone und linkshaltend zum Stand auf dem Pfeilerkopf hinauf. Dieser bequeme Platz bietet sich für eine Pause an, bevor es wieder zur Sache geht.

Das Finish von L4 (6a) ist nix fotogen, so zeigen wir lieber, wie wir uns mit einem Pain au Chocolat für die verbleibenden Seillängen gestärkt haben. Ich glaube man kann sagen, dass diese Sportlernahrung ziemlich gut funktioniert hat ;-)

L5, 40m, 7a: Schön zu kletternde Traverse nach rechts in griffigem Gelände, dann am Pfeiler aufwärts zur Crux, welche sich in einer seichten Verschneidung bzw. dem linkshaltenden Ausstieg aus dieser präsentiert. Wir fanden das ziemlich harmlos für den angegebenen Grad. Weiter oben wartet dann noch eine technische Sektion der Art "gewusst wie" bzw. "erkannt wie", wo man sich ein wenig engagieren muss. Am Ende muss man aufpassen, nicht zu hoch zu geraten. Beim letzten Bohrhaken heisst es scharf links abzubiegen und in einer horizontalen Traverse von 6-7m den nicht sehr offensichtlichen Stand zu erreichen. Die Orientierungs-Challenge besteht (weiterhin) darin, herauszufinden welches der letzte Bolt in dieser Länge ist... 😁

Im Bild die Traverse am Ende von L5 (7a), die für ängstliche Nachsteiger problematisch sein könnte.

L6, 35m, 7c+ oder 7a+ 3pa: Tolle, luftige Kletterei, welche einer Art Rampe folgend nach links in die steile Wand hinauszieht, zum markanten grauen Streifen hinüber. Lange geht's gut, aber dann ist wirklich fertig. Die Crux scheint extrem kleingriffig und ohne Tickmarks oder sonstigen Plan zu haben was es da zu tun gibt, waren wir völlig chancenlos. Wenn man die Lösung entziffern kann, so habe ich gelesen, sei es anscheinend nicht so schwierig (für eine 7c+). Hier haben wir beide, nachdem jeweils der Onsight/Flash vergeigt war, zügig das Handtuch geschmissen. Ein Restart zum Punkten würde zudem eine ziemlich mühsame Abseilaktion mit Traverse im Steilgelände bedingen. Mit dem Textilgriff lässt sich der kurze, schwierige Abschnitt problemlos meistern. Allerdings geht's danach gleich nochmals zäh weiter mit einer (gut abgesicherten) ~6c-Stelle, die relativ zwingend zu meistern ist. Dann kommt vermeintlich schon der Stand nahe. Jedoch ist der erste/untere nicht die richtige Adresse (er gehört zur En Short au Paradis), sondern es ist besser noch zwei Bolts höher zu klettern und den dortigen Stand zu verwenden (die beiden Routen verlaufen auf diesem letzten Abschnitt gemeinsam).

Orange-graues Gestein mit Struktur der Marke "extrascharf", so lautet das Programm in L6 (7c+).

L7, 30m, 6a+: Auf dem Papier ein einfacherer Abschnitt, beginnt es in der Realität gleich mit einem "pas si facile que ça"-Abstand zum ersten Haken. Die L'usure du temps ist die rechte Linie, d.h. rechtshaltend gewinnt man eine Verschneidung, ignoriert den Abseilstand rechts aussen und gewinnt in sehr schöner Kletterei im Winkel bzw. der Tropflochwand links daneben an Höhe - tolle Moves und Genuss satt!

Die rechte Verschneidungswand geschickt in die Sequenz eingebaut heisst Kraft gespart in L7 (6a+).

L8, 45m, 6c: Ulala, ulalalala! Hier verspürte ich schon beim Nachsichern ein gewisses Muffensausen, denn die furchtsamen Ankündigungen online ("un pas bien teigneux et obligatoire entre les points #2 et #3") schienen sich für einmal zu bewahrheiten. Der Abstand ist tatsächlich markant und während man im Vorfeld noch auf gut versteckte (oder versteckte gute) Griffe hoffen kann, so zeigt sich: sie existieren nicht wirklich, die Kletterei spielt sich im feinen, leicht überhängenden Tropflochgelände bei mässigem Trittangebot ab. Die schwersten zwei Meter, d.h. drei, vier Moves startet man, wenn man mit den Füssen auf Hakenhöhe steht, nachher wartet noch ein etwas wackliger Klipp. Nicht extrem wild also, auch nicht gefährlich, aber die Crux ist zwingend, mit dem Potenzial für einen etwas unangenehm harten Sturz. Dies umso mehr für mich, da wir wegen dem potenziellen High-Energy-Fall und der Gewichtsdifferenz auf die wenig dynamische Fixpunktsicherung setzen mussten. Nein, locker habe ich diese Stelle ganz sicher nicht bewältigt... aber geschafft habe ich sie, uff! Ehrlich gesagt kam sie mir deutlich schwieriger vor wie 6c, aber mit der Angst im Nacken verschiebt sich da der Bewertungsraster ja gerne einmal. Auch Larina konnte die Stelle natürlich ziehen, doch selbst im Nachstieg mit ein wenig Beta-Vorinfo befand sie es für taff. Sicher schwieriger wie die 7a-Stelle in L5, meinen wir. Zur Entschädigung ist der Rest der Länge in strukturiert-griffigem Fels dann leicht zu haben (ca. 6a). Oben zieht's etwas nach rechts, man kommt auf das Abschlussdach, wo der finale Stand ein paar Meter gerade voraus gut sichtbar ist und über sehr schöne Wasserrillen erreicht werden kann.

Am Ende von L8 (6c) gibt's noch Plaisir-Wasserrillen, allerdings ist der Start nicht ganz so Plaisir.

Es gibt etwas Unklarheit darüber, ob man am Stand nach L8 das Routenende erreicht hat oder nicht. Die Literatur gibt variable Informationen und das Fototopo im ONOS ist schlicht und einfach falsch. Zu dieser Einsicht waren wir schon bei der Begehung der Marmotta Impazzitta (6c) gelangt, wo wir diesen Stand nach L8 ebenfalls passiert hatten. Damals kletterten wir noch etwa 10-15m höher hinauf, dies entspricht wohl dem als 5b gelisteten Teilstück in einigen Topos. Klettertechnisch bringt das wenig, nur die Abseilerei wird umständlicher, somit liessen wir es gerne sein. Auf 17.50 Uhr war die Uhr zu diesem Zeitpunkt vorgerückt, was eine Kletterzeit von 5:30h ergibt. Ich glaube, als extremen Zeitverschleiss muss man das nicht taxieren: wir hatten versucht, die Route onsight/flash zu klettern. Das war uns für die 7b-Version, d.h. bis auf die p.a.-Haken in L6 gelungen. Oder halt eben nicht gelungen, wenn man die Wand als Ganzes betrachtet... es wäre spannend zu wissen, wie oft (und ob überhaupt) die 7c+ schon onsight geklettert wurde.

Yeehaa - happy on the top!

Wie schon bei den früheren Gelegenheiten hatten wir auf das Abseilen gesetzt, was als letzte bzw. einzige Seilschaft in diesem Wandbereich gut machbar ist. Mit 2x60m-Seilen ist das zügig zu meistern. Es sind 50m zum Abseilstand der sich (im Aufstiegssinn) rechts in L7 befindet, dann eine kurze 30m-Strecke zum Stand nach L5. Wer sich dann 55m gerade runter wagt, findet auf der Höhe von einem kleinen Band den Stand nach L3 von Ici mieux qu'en face (7b), von welchem man in 58m zurück auf Terra Firma (etwas oberhalb vom Einstieg) gelangt. Hinweis: auf den Bändern liegen lose Steine herum, das Seilabziehen geht kaum vonstatten ohne dass Material in die Tiefe fällt. Die Eigengefährdung dadurch ist gut überschaubar, jedoch sind andere Seilschaften in der Wand oder im Einstiegsbereich gefährdet. Daher nur dann Abseilen, falls man die Wand für sich alleine hat, sonst wählt man besser den Fussabstieg.

Dieser Shot und ebenso wenig der Spruch dazu darf natürlich nicht fehlen: "la fille n'est plus parmi les  petites, mais la paroi reste parmi les grandes". Man vergleiche mit den früheren Editionen: Ponant Neuf (6a+)Marmotta Impazzitta (6c), Feu Sacré (7a).  

Wir packten unsere Sachen und liefen bei schöner Abendstimmung zügig zurück zur Passstrasse. Der Galibier bzw. der Tour Termier hatte wieder einmal geliefert, was wir uns versprochen hatten. Und natürlich ist die Vorfreude auf die Rückkehr gross. Spannende Projekte gibt's gleich noch mehrere, für den nächsten Besuch müssen wir uns aber steigern: diese Routen sind alle anhaltend im siebten Franzosengrad und 7a obligatorisch. Ob das dannzumal dann eine (Vorstiegs-)Aufgabe für den immer älter werdenden Herr oder die immer stärker werdende Dame ist, werden wir dann ja sehen 😎

Facts

Tour Termier - L'Usure du Temps 7c+ (6c obl.) - 8 SL, 270m - Desseux/Voldoire 2005 - ****;xxxx
Material: 2x50m-Seile (zum Abseilen besser 2x60m), 14 Exen, Cams/Keile nicht nötig bzw. einsetzbar

Hervorragende alpine Sportkletterroute, welche durch steiles, wasserzerfressenes Gestein führt. Ein bisschen ähnlich wie am Rothorn im Berner Oberland oder auch in Taghia, so sagt man. Nach meinem Gusto reicht's nicht ganz für die vollen 5 Sterne. Dafür ist die Linie zu wenig luftig-attraktiv, die Kletterei zu wenig aussergewöhnlich und der Fels zu wenig durchgehend perfekt. Also schon sehr, sehr gut, aber irgendwie fehlt mir persönlich der Wow-Effekt, den es für die Höchstnote zwingend braucht. Die Kletterei ist relativ anhaltend im 6bc-Bereich, die schwierige(re)n Stellen sind jeweils kurz. Die Absicherung mit verzinktem Material (Fixé-Plättli, Zustand 2024 gut) ist meist prima. An den Schlüsselstellen sogar eher xxxxx als nur xxxx, jedoch gibt's ein paar 6bc-Stellen, wo man dann doch auch über dem Haken etwas bieten muss. Und die angegebene 6c obligatorisch findet man spätestens in der letzten Seillänge definitiv. Als gedruckte Literatur gibt's (glaube ich) nur den Oisans Nouveau, Oisans Sauvage. Sehr nützlich sind die Hinweise auf C2C, wo man auch gleich mehrere Topos vorfindet.

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