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Montag, 19. Dezember 2022

Galerie - Thai Village (8a)

Ziemlich genau 8 Jahre ist es her, seit es dereinst Thai-ai-ai geheissen hat! In aller Regel steige ich in Routen, welche ich einst nach Projektieraufwand am Limit durchsteigen konnte, nicht mehr ein. Denn es geht ja dann sowieso nicht mehr einfach so wieder und hinterlässt nur das schale Gefühl von "unsend" und "ich bin schlechter geworden". Bei der Thai City war dann aber im Winter 21/22 ein starker Mann zur Installation eines Topropes gefragt, so dass Frau (Dettling) in dieses mögliche Projekt schnuppern konnte 😁 Und genau bei diesem Anlass kam mir die Idee, einen Rechtsausstieg einzurichten. Ein erster Augenschein zeigte manch nutzbare Struktur an und verhiess, dass es machbar sein sollte. 

Ob Stadt oder Land, jetzt kann jeder nach seinen Präferenzen leben 😎

Jedenfalls kam kurz darauf der Sommer, in welchem ich den Galerie Waldsektor nicht frequentiere. Viele Monate später sanken die Temperaturen dann endlich wieder auf Werte, welche das Klettern im kleingriffig-scharfen Kalk möglich machen. Natürlich erinnerte ich mich sogleich an die Idee vom letzten Winter - nur nicht mehr an die Sequenz der Moves, welche ich damals erkannt hatte. Die Sache entpuppte sich nämlich aus äusserst knifflig und ich war schon kurz davor, das Handtuch zu werfen, da sich das Projekt als oberhalb von meiner Kragenweite zu befinden schien. Dem geduldigen Neni und meiner Hartnäckigkeit sei Dank hatte ich aber nach 2 vollen Sessions dann doch eine Beta draussen, welche für mich aufging.

Galerie Waldsektor, eine coole Wand. Der Akteur ist allerdings in der Craigh na Dun (8a).

Somit bestand die Aufgabe "nur" noch darin, die Linie auch Rotpunkt zu klettern. Schon bei der ersten Gelegenheit gab es einen ziemlichen Setback. Der Grip war super, meine Kraft auch gut beeinander. In der Cruxzone riegelte ich den Gegebenheiten entsprechend an den Sloperleisten. Und schnipp, schon war ein tiefer Cut in der Hautfalte am ersten Fingerglied. Meine Fingerkraft ist ja alles andere als legendär. Aber offenbar ist die Reissfestigkeit meiner Fingerhaut noch tiefer - denn das war keine mechanisch induzierte Verletzung, sondern die Haut wurde auf Zug einfach auseinander gerissen. Logischerweise war dann Geduld gefragt. Dick eingetapt war zwar Trainieren bald wieder möglich, auch das Bouldern in der Halle ging nach ein paar Tagen wieder. Doch wieder auf genau dieselbe Art und Weise an den Leisten im Projekt zu zerren erforderte mehr Zurückhaltung.

Winterliche Stimmung am Walensee. 

Immerhin war mir klar, welcher Griff der Bösewicht war. Ich nahm mir vor, an einem Tag maximal 3x im Rahmen von fokussierten Versuchen daran zu ziehen und nicht im (eigentlich sowieso sinnlosen, aber beim Projektieren so verlockenden...) Serienfeuer-Style verzweifelt daran herumzuzerren. Sowieso war ich eigentlich soweit, dass ich mit ernsthaften Rotpunkt-Versuchen anfangen konnte. Doch so einfach war die Linie nicht zu haben. An ziemlich jedem der schwierigen Moves scheiterte ich ein- oder mehrmals. Aber immerhin waren meine Fortschritte konsistent, d.h. ich kam jedes Mal bis zu meinem bisherigen Highpoint oder einen Move höher. Nach 4 weiteren Sessions hatte ich dann plötzlich den Griff in der Hand, wo ich dachte, dass man dann ganz bestimmt nicht mehr fallen kann. Doch wie es doch so oft kommt: "completely powered out" war ein Weitersteigen zum Top dann doch nicht nur Formsache. Doch ich konnte die Nerven und die Ruhe behalten, kurz schütteln und dann entschlossen die verbleibenden Moves anpacken - genau so ging es, der Erfolg war Tatsache und ein interessantes Projekt zur Realität geworden!

Facts

Galerie Waldsektor - Thai Village (8a)

Die Linie verläuft bis zum 6. BH (d.h. der zweiten Fixexe) mit der Thai City gemeinsam. Dann leicht rechtshaltend und gerade hinauf. Der schwierige Abschnitt ist vielleicht leicht kürzer als im Original, dafür sind die einzelnen Moves eher schwieriger. Eine Bewertung ist wie immer schwierig, wenn man eine Neutour ganz alleine etabliert hat. Ich denke aber, es die Schwierigkeit ist vergleichbar mit der Thai City und schlage darum auch eine 8a vor. Wie so oft wird die empfundene Schwierigkeit aber auch von den persönlichen Präferenzen und den körperlichen Gegebenheiten abhängen. Hier dürfte es entscheidend sein, wie gut man mit ein paar kleinen Löchern umgehen kann und welche Fusstritte man für die härtesten Moves am Cruxwulst nutzen kann - unmöglich für mich zu sagen, wie sich das für andere Kletterer anfühlen wird. Aber ich bin natürlich sehr gespannt, davon zu hören!

Von diesen Viechern gibt's im Sommer viele im Sektor. Von November bis März ist es viel besser. Unglaublich allerdings, wie sehr das Grünzeug über den Sommer gewuchert hat. Ein angenehmer Nebeneffekt des Projekts ist es, dass daneben genügend Zeit für die nötigen Gartenarbeiten blieb und es jetzt schon wieder viel besser aussieht.

PS: Der Stand vom Thai Village lässt sich auch erreichen, indem man die Via Anja bis zu deren Stand klettert, dann an ein paar Löchern gerade hinauf zieht, um schliesslich mit einer Linksquerung die Untergriffe und die Ausstiegshenkel zu erhaschen. Das wäre dann die Via Anja Extension und somit eine weitere Möglichkeit im Waldsektor. Die Schwierigkeit beläuft sich auf ca. 6c/7a. Ob das jetzt eine sinnvolle Quality Addition zu den Möglichkeiten im Waldsektor ist, bleibe dahingestellt. Es ist aber ein bequemer Weg, um mit einer Aufwärmroute das Material ins Thai Village zu hängen und es musste nichts neu gebohrt werden, da ein bereits bestehender Anker von einer Hakenreihe genutzt werden kann, welche beim ursprünglichen Einrichten des Sektors entstand. 

Dienstag, 13. Dezember 2022

Skitour Fürstein (2040m)

Nun ist der Winter auch vor die Haustüre gekommen. Dies jedoch noch nicht so ausgiebig, dass man im Züri Oberland bereits auf Skitour gehen könnte. Doch nach einer intensiven Kletterwoche, an einem Bluebird-Sonntag nach ausgiebigen Neuschneefällen würde es sich ganz bestimmt lohnen, eine etwas längere Anreise in Kauf zu nehmen. Meine Wahl fiel auf den Glaubenbergpass, eine Gegend in welcher ich bisher noch nie unterwegs war. Da lässt sich ohne grossen Aufwand ein ziemlich hoch gelegener Ausgangspunkt erreichen, das sanfte Gelände ermöglicht Touren auch bei frühwinterlich knapper Schneelage. Zudem schien mir die Möglichkeit einer Mehrgipfel-Rundtour sehr attraktiv.

Eine tolle Gegend! Der schattige Chli Fürstein (1994m) und der sonnige Fürstein (2040m).

Der Start zur Tour war in Langis auf 1440m, bis zum dortigen Wintersport- und Bundesasylzentrum ist die Strasse von Sarnen her ganzjährig befahrbar. Zuerst geht's dem Trassee der Strasse entlang hinauf zur Passhöhe Glaubenberg (1543m), dann war mein erstes Ziel der äusserst populäre Rickhubel (1943m). Das ist keine Überraschung, denn er hat viele Attribute auf seiner Haben-Seite: kurz, einfach, relativ schneesicher und äusserst aussichtsreich. Vom Kreuz an seinem Gipfel überblickt man die ganze Tourenarena und kann sich nach Gusto eine Runde über die schönsten Skihänge aussuchen (oder natürlich auch über die Aufstiegsroute zurück zum Ausgangspunkt gelangen). 

Tolles Ambiente im Aufstieg zum Chli Fürstein (1994m).

Mein nächstes Ziel war der Fürstein (2040m), der König dieses Gebirges. Mit seiner Höhe kann er zwar nicht übermässig punkten, aber dank fast 500m Prominenz und einer Dominanz von beinahe 10km steht er sehr selbständig und bietet viel Aussicht. Ich folgte dem plateauartigen Rücken, später dem sich aufsteilenden ENE-Grat zum Gipfel - es ist weniger weit, wie es vom Rickhubel den ersten Anschein macht. Nach einer angenehmen Rast am Top machte ich mich für die Abfahrt bereit. Es lag ausreichend, wenn auch nicht übermässig Schnee. Eine etwas defensive Fahrweise war der Unversehrtheit von Mensch und Material absolut zuträglich. Viel Spass gemacht hat es trotzdem, nur zu bald kamen meine Latten unten am Bach bei Ober Sewen (1740m) zum Stehen.

Toller, fluffig-leichter Pulverschnee in der Abfahrt vom Chli Fürstein (1994m).

Die Felle wurden ein zweites Mal montiert, zu Chli Fürstein (1994m) sollte es nun gehen. Zwei Tourengänger waren mir hier bereits zuvorgekommen, so war auch dieses Top ziemlich zügig erreicht. Ich stellte mir nun die Frage, ob ich der Aufstiegsroute entlang zur Kapelle Sewen (1719m) oder doch eher südseitig zum Stall bei 1650m abfahren sollte. Etwas mehr Skispass konnte nicht schaden und tatsächlich waren die obersten 200hm in der Südflanke vorzüglich mit bestem Pulver. Weiter unten im bewaldeten Steilgelände war es dann nicht mehr ganz so toll (ähm ja, doch eigentlich logisch). Aber es ging und bald war der nächste Anfellpunkt erreicht.

Der nächste Anfellpunkt beim Stall auf 1650m, mit wohlig-warmem Ambiente.

Ziemlich flach und in einem grossen Bogen ging es bei der bereits erwähnten Kapelle vorbei hinauf zur Sewenegg (1835m), welche vor Ort als Schnabelspitz bezeichnet ist. Damit war bereits das vierte Gipfel(chen)ziel des Tages erreicht und die Felle konnten endgültig im Rucksack verstaut werden. Auch auf dem Teilstück hinunter zur Passstrasse liessen sich noch ein paar genussreiche Schwünge zelebrieren, bevor es in zügiger Fahrt auf deren Trassee zurück zum Ausgangspunkt ging. Wobei "zügig" zu relativieren ist. Die neuen Arbeitsgeräte mussten auch an diesem Tag daheim bleiben. Während man beim Pulvercruisen mit dem alten, in Mitleidenschaft gezogenen Material keine Abstriche machen muss, so ist es beim Gleiten auf gewalzter Unterlage doch spürbar anders. Noch schlimmer war nur das Skaten auf dem flach-harten Schlussabschnitt - doch auch diese 3 Minuten hatte ich bald hinter mich gebracht. Sehr zufrieden mit diesem wunderbaren Frühwintertag und 1150 Höhenmetern im Gepäck machte ich mich auf den Heimweg.

Ob es heute wohl neue Kratzer gegeben hat?!? Die Suche gestaltet sich zunehmend schwieriger 😁!

Samstag, 10. Dezember 2022

Zürcher Klettermeisterschaft 2022 - Bouldern im Minimum

Mit grosser Vorfreude fieberten wir der jährlichen Zürcher Bouldermeisterschaft im Minimum entgegen. Die ganze Familie war mit am Start, für Larina ging es noch um den Titel der Zürcher Klettermeisterin 2022, wofür sie prima positioniert war. Auch meine Batterien waren voll geladen und ich war top motiviert, den vielen Bouldern in der Fun-Kategorie einen guten Fight zu geben. "Dummerweise" herrschte aber am Tag zuvor noch bestes Bergwetter und Jonas fragte mich absolut sinnigerweise an, ob wir diese Gelegenheit nicht für eine letzte MSL nutzen sollten. Natürlich zögerte ich keine Sekunde und sagte zu. Das zeigt ja ziemlich exemplarisch, wie ernst ich diese Wettkämpfe nehme. Logo, vor Ort und im Geschehen gebe ich immer alles, aber deswegen mein Outdoor -Programm beschneiden würde ich dann doch definitiv nicht. Wobei ich mich nach einem (nicht ultralangen) MSL-Tag jedoch meist auch wacher, fitter und beweglicher fühle, wie wenn ich stattdessen 3 Tage auf dem Bürosessel "geruht" hätte. Bis der Körper da jeweils wieder komplett auf physische Leistungsbereitschaft umgestellt hat ist schon mehr Kraft weg, wie sich mich die MSL am Ofen vom Vortag je kosten könnte.

Finalboulder #3 von Larina.

Ein langer Tag stand uns bevor und er startete früh! Start zur Quali um 9.00 Uhr heisst (konkret für Larina, aber ganz allgemein vernünftig) zum Aufwärmen eine Stunde früher vor Ort zu sein. Dazu die Zeit für die Anreise, ein dem Tagesprogramm entsprechendes Frühstück und einem Footing ergibt schon einen ziemlichen Alpine Start... soll mal einer noch behaupten, die Wettkämpfer seien totale Schöggeler. Pünktlich gemäss Programm ging es los mit Larinas Quali. Zwanzig Boulder waren es, bis auf 3,4 Stück waren diese ziemlich einfach und schnell erledigt. Über die Finalteilnahme entschied im Wesentlichen dann ein Problem - ziemliche Erleichterung machte sich breit, als dieses gelang. Mit dem ex aequo Rang 2 war die Teilnahme am Final gesichert und damit auch bereits der Titel der Zürcher Klettermeisterin im Trockenen.

Podest Zürcher Klettermeisterschaft U14 Girls 2022 - bravo les filles!

Das war ganz gut so, denn der Final lief dann nicht ganz wunschgemäss ab. Da man im Minimum generell und üblicherweise hervorragende Wettkämpfe geboten bekommt, mag es für einmal sicher auch etwas Kritik leiden. Und dieser aus 3 Bouldern bestehende U14-Final hat leider nicht so gut funktioniert. Problem #2 war deutlich zu einfach und konnte von allen Finalistinnen geflasht werden. Bei der dritten Aufgabe waren zwar visuell durchaus markante Unterschiede zwischen den Finalistinnen erkennbar. Doch war die Zone zu früh platziert, sie konnte von allen Athletinnen geflasht werden. Dann wiederum war der letzte Move zum Top schlicht zu hart und wurde von niemandem gemeistert, womit auch hier absolut keine Separation in der Rangliste entstand. Schlussendlich kam diese vom Startmove in Boulder #1 und das war ein horizontaler Spannweitenmove. Die grösser Gewachsenen konnten den easy statisch, mit weniger langen Armen war es nur dynamisch und damit extrem viel schwieriger lösbar. Oder eben im Fall von Larina gar nicht, was "nur" Rang 5 bedeutete. Das war nicht ganz den Erwartungen und Hoffnungen entsprechend - aber wieder einmal der Beleg dafür, dass man mit jeglichen Widerwärtigkeiten zurecht kommen muss, wenn man konsistent vorne platziert sein will. 

Ich muss es ja an dieser Stelle fast schreiben. Genau so wie es rechts auf dem Bild gezeigt wird, löse ich dynamische Koordinationsprobleme auch am liebsten 😎. Logischerweise wird es unvergleichlich viel schwieriger, wenn man nicht beide Griffe gleichzeitig halten kann. Der Clou ist halt eben: solange die Fähigkeiten für koordinativ-dynamische Probleme noch nicht sehr hoch sind, können die Distanzen nicht zu weit sein. So lassen sie sich mit einem Plus an Spannweite dann gerne statisch austricksen...

Ab Mitte Nachmittag ging es dann, parallel zur Quali der Elite, auch in der Fun-Kategorie los. Das Soll bestand aus 55 Bouldern, welche in einem 3-stündigen Zeitfenster gemeistert werden wollten. Es zählte nur die Anzahl Tops, Schwierigkeit oder Versuche waren unerheblich. Nach einfacher Arithmetik bedeutet das ein Top fast alle 3 Minuten, wenn man denn alle Probleme klettern möchte - das zeigt schon, wie intensiv die Sache ist. Kraft, Ausdauer und Effizienz, bei dieser Art von Aufgabe zählen alle Aspekte. Mir lief es ganz ordentlich, die 26 einfacheren Boulder (gelb - orange) hatte ich zügig erledigt, dazu gab es 14x blau (6C/7A) und 4x rot (7A+-7B+). Wozu diese 44 Tops am Ende reichen würden? Ganz nach vorne kaum, das war mir schon im Vornhinein beim Studium der Teilnehmerliste bewusst. Und so kam es dann auch. Genau gleich wie Larina platzierte ich mich auf Rang 5 - bei immerhin 80 Teilnehmer:innen ist das nicht so schlecht, auch wenn ich natürlich keinen Stich gegen die 51 Tops des Siegers hatte. Das wären 7 zusätzliche Boulder, welche sich auf meiner Skala zwischen sehr hart und nahezu schon unmöglich befinden.

Finalboulder #2 - war jetzt nicht die grosse Hürde.

Als Krönung gab es schliesslich noch die Finals der Elite zu bestaunen. Es ist richtig cool, dass im Minimum auch die Topshots der Schweizer Kletterszene am Start sind. Wobei sich die Sache ja eben nicht nur aufs Zuschauen beschränkt. Während der Quali bewegt man sich auf exakt demselben Feld und kann sich mit und neben ihnen an genau denselben Bouldern versuchen. Schon eine Woche zuvor am "The Bridge"-Wettkampf im Bouba hatten wir genau dieselbe, tolle Erfahrung machen können. Naja, vielleicht hilft's ja wirklich, so dass dann nächstes Jahr kein noch so kleingriffig-athletischer oder dynamisch-koordinativer Boulder mehr unbezwungen bleibt. Höchst zufrieden jedenfalls gingen wir nach einem langen und erlebnisreichen Tag nach Hause, auch wenn uns für einmal bei der Preisverlosung ganz und gar kein Glück beschieden war. Herzlichen Dank dem Team vom Minimum und dem Regionalzentrum Zürich für diesen tollen Anlass!

Mittwoch, 30. November 2022

Skitouren-Saisoneröffnung am Gross Stärnen (1969m)

Eigentlich ist es im November schon langsam Zeit, an den Schnee zu denken. Doch dieses Jahr war es lange so warm, dass der Winter noch in weiter Ferne schien. Nun ja, mit den kürzer werdenden Tagen wurden die Berge langsam angezuckert. Ebenso zogen endlich gute Bedingungen für die sportlicher orientierte Kletterei ein. Und genau damit beginnt die Geschichte dieser Tour. Meine Fingerkraft ist ja bekanntlich nicht die Beste - aber offenbar doch genügend gut, sich so an den Leisten festzukrallen, dass es die Haut auseinander zerrt. Mit einem tiefen Riss im Finger war nicht daran zu denken, in einem Projekt einen erfolgsversprechenden Go zu machen. Also wollte ich das schöne Bergwetter auf einem ersten Tüürli geniessen.

Unten noch grün, oben schon weiss! Sicht aufs Muotathal, den Wasserberg und den Blüemberg.

Mit Schneekarten, Tourenportalen und Webcams stehen ja inzwischen sehr gute Hilfsmittel zur Planung bereit. Ein wenig Unsicherheit verbleibt aber immer, die Beschaffenheit von Schnee und Untergrund sind ebenso wichtige Parameter, deren Einstufung schon etwas schwieriger ist. Schliesslich entschied ich mich für ein 'play it safe' und brach Richtung Hoch-Ybrig auf, wo ich von guten Bedingungen gelesen hatte. Mit ein Faktor für diese Entscheidung war, dass die Touren dort nur vor Öffnung des Skigebiets mit Genuss in einsamer Landschaft begehbar sind. Zu berücksichtigen war, dass unterhalb von 1200m überhaupt kein Schnee lag und erst ab 1400m ausreichend viel zum Skifahren. Um die Tour ohne langen Hatscher durchführen zu können, war der Bike & Ski Modus eine Voraussetzung.

In Oberiberg auf 1100m war es noch grün, Bike & Ski darum das Motto für diese Tour.

Somit startete ich die Tour um 10.35 Uhr in Oberiberg bei P.1069. Schon bei der einzuschlagenden Abzweigung der Strasse Richtung Fuederegg war ein Fahrverbot vorhanden, wobei dieses irgendwie wenig verbindlich wirkte. Normalerweise darf nämlich bis zum Eingang des Chäswald (P.1246) gefahren werden, was einige andere Tourengänger denn auch taten. Die Weiterfahrt von diesem Parkplatz weg ist normalerweise durch eine Barriere abgesperrt. Diese war zwar nicht vorhanden, jedoch war die steile Strasse durch den Wald mit einer dünnen Schnee- und Eisauflage bedeckt. Somit waren 'advanced driving skills' nötig, ganz egal ob auf 4 oder 2 Rädern. Es ging gerade so mit dem Bike ohne ins Schlittern zu kommen, ein spassiger Auftakt zu dieser Tour - die Alternative wären ca. 30 Minuten Fussmarsch gewesen.

Die Skitourensaison wirft ihren Schatten voraus!

Vom Sattel der Fuederegg vernichtet man dann nochmals 50hm hinunter nach Seebli zum Skidepot und dem eigentlichen Start der Skitour. Das weitläufige, offene Pistengebiet der Hoch Ybrig Bahnen ermöglicht viele Aufstiegsrouten und manch ein (Mini-)Gipfelziel am langgezogenen Hesisbooler First. Auf der Landeskarte kotiert und benannt sind der Chli Stärnen (1856m) und der Gross Stärnen (1969m). Den ersteren hatte ich schon früher als kleinen Abstecher beim Pistenskifahren erreicht, zum grossen Bruder sind es ab der Piste aber doch 160hm Aufstieg. Somit war ich da noch nie gewesen, es handelt sich um den markantesten Punkt am Gipfelfirst, er bietet immerhin ein ganz kleines Stück Alpinismus und zusätzlich war er noch von keinem Tourero angegangen worden, womit ich im Aufstieg spuren und in der Abfahrt die First Line legen konnte.

Im Vordergrund der doch etwas luftige Gipfelgrat am Gross Stärnen, im Sommer mit einem weiss-blau-weiss markierten Wanderweg (T4) erschlossen. Links im Grünen das Dorf Muotathal, hinten der Vierwaldstättersee und in dessen Verlängerung der Pilatus. 

Von der Bergstation Klein Sternen (1810m) quert man die Hänge ostwärts, erreicht den Grat auf rund 1890m und steigt dann über den sich aufsteilenden und verjüngenden Westgrat hinauf. Am Ende ist es sogar nötig, die Ski zu deponieren und über den ziemlich luftig-exponierten Grat zu Fuss zu steigen. Die Belohnung besteht auf einem tollen Tiefblick ins Muotathal, einem schönen Panorama in die Berge südlich des Orts sowie packenden Aussichten zu Twäri- und Forstberg. Plus natürlich der Abfahrt, in der 30 Grad steilen Gipfelmulde konnte ich die ersten Schwünge der Saison 22/23 in den besten und ausreichend vorhandenen Pulverschnee legen - genial! Nach einer kurzen Linksquerung fuhr ich im Bereich des Sternen-Lifts durch komplett jungfräulichen Schnee hinunter nach Seebli.

Prima Verhältnisse auf der Abfahrt. Am linken Bildrand übrigens der Gipfel Gross Stärnen (1969m).

Es blieb noch Zeit und Energie für einen zweiten Aufstieg. Um noch einige neue Eindrücke zu gewinnen und den vielleicht zweitmarkantesten Punkt am Hesisbooler First zu besteigen (P.1793, der mit einem grossen Kreuz bestückt ist), hielt ich mich deutlich nach rechts. Dort liegt einem das Dorf Muotathal wirklich direkt zu den Füssen. Ebenso hatten sich die hohen Wolken nach ostwärts verzogen, was für tolle Stimmungen in der tiefstehenden Novembersonne sorgte. Zwecks einer direkten Abfahrt liess ich die Felle aufgezogen und lief dem First entlang hinüber zum 'Wilde Maa'. Auch da konnte ich wieder einen komplett unverspurten Sektor wählen und von bester Schneequalität profitieren. Dessen Quanität war zwar nicht enorm, aber doch völlig ausreichend, um auf dem gutmütigen Wiesenuntergrund Skifahren zu können. Nicht genau wissend, was mich erwartete, hatte ich meine neuen Arbeitsgeräte zwecks den alten Ski daheim gelassen - es wäre jedoch nicht nötig gewesen, denn Bodenkontakt gab es auf dieser Tour keinen. Das war ein schöner Start in den Winter 22/23 - möge es so weitergehen!

Der zweite Aufstieg, hinauf zum Kreuz beim P.1793 am Hesisbooler First.

Freitag, 25. November 2022

Schöllenen - Cyclope (7b+)

Schon bei meiner Begehung der Suworov und wenig später der Inox war mir mit der Cyclope die Linie dazwischen ins Auge gestochen. Eröffnet von den Remy-Brüdern im 1990 schien sie die ortsübliche, sehr interessante und herausfordernde Mischung zwischen kniffligen Platten und steileren Abschnitten im ortsüblichen, eisenfesten Granit zu bieten. Gewürzt war das Menü mit einem wahnwitzigen Dach in der zweitletzten Länge, welches man von der Suworov abseilend schon aus nächster Nähe hatte beobachten können. Zwar schien das Hakenmaterial in der Cyclope damals veraltet, immerhin steckte es aber (für die lokalen Gegebenheiten) nicht extrem spärlich. Im 2021 wurden durch das Urner Trio Bunschi/Gisler/Furrer alle Haken mit solidem Inoxstahl ersetzt, also stand einem Versuch erst recht nichts mehr im Wege.

Blick vom Parkplatz auf den Verlauf der Cyclope, inkl. kurzem Routenbeschrieb.

Ja, Ende Oktober klettert man üblicherweise nicht mehr in der Schöllenen. Sie ist nämlich um diese Jahreszeit ein ziemliches Schattenloch und erhascht nur noch während ~3 Stunden wärmende Sonnenstrahlen. Dementsprechend feucht und klamm kann der Fels auch sein. Doch im extrem warmen Oktober 2022 war alles anders: die Tages-Maximaltemperaturen waren auf >25 Grad angesagt, der Schatten war durchaus willkommen und ein leichter Föhnwind sorgte für idealen Grip. Auch schien mir die plattige Kletterei mit kurzem Zustieg eine gute Wahl nach der längeren Wanderung vom Vortag und dem Teamwettkampf im Quergang - zumal ich am selben Abend einen weiteren Indoor-Kletterevent bestreiten sollte. Nach dem wenige Minuten umfassenden Zustieg starteten wir um ca. 8.40 Uhr (Winterzeit!) mit der Kletterei, das war wenige Minuten bevor die Sonne um die Ecke bog und ihre raren Herbststrahlen auf den Inoxpfeiler warf.

L1, 45m, 7a 1pa: Wegen den zu Beginn extrem spärlich steckenden Bolts ist der Start gar nicht mal so einfach zu identifizieren. Natürlich wird man aber zwischen den klarer erkennbaren Suworov und Inox schon fündig werden. Bis zur ersten Sicherung ist es ja noch easy, unmittelbar vor dem zweiten BH der auf 15m Höhe steckt, wartet aber schon eine recht giftige ~6b-Reibungsstelle. Wer das "in den Sand setzt" braucht mindestens einen aufmerksamen Sicherer plus eine gehörige Portion Glück, um dem Grounder und wohl ziemlich ungeschmeidigen Folgen für die körperliche Unversehrtheit zu entgehen. Bald darauf folgt BH #3, eine schwierige Kletterstelle ist die Quittung dafür. De fakto tritt man so an, dass man denkt "hält unmöglich" - tut es dann doch. Allerdings heisst es nun, auf diesen Nicht-Tritten auch noch dynamisch abzuspringen, um die rettende Leiste zu erhaschen. Ging auch (im Nachstieg, wohlgemerkt!), im Vorstieg wäre ich da bestimmt statt auf's glatte Parkett auf den Bolt getreten, was die Sache doch wesentlich entschärft.

Viktor in etwa an der Stelle in L1 (7a 1pa), wo man auf den Bolt treten "muss". Vom Einstieg, d.h. auf dem Foto ist bereits die ganze Route ersichtlich, inklusive dem abschliessenden Dach mit dem breiten Riss, an welchem sich eine absolut geniale 7a-Seillänge befindet.

Damit ist erst die Hälfte der Seillänge beschrieben. Weiter geht's kurz mal easy über gestuftes Terrain. Der folgende Bolt am Beginn des nächsten, kompakt-schwierigen Abschnitts steckt aufgrund hohler Schuppen tief. Die Kletterstelle darob ist fordernd, ein Sturz wäre aufgrund der Stufen darunter prekär. Wenn man sich nicht ganz sicher ist, beherzige man vielleicht den Tipp, dass die Stelle rechts durch die gemüsige Verschneidung risikoärmer umgehbar ist (wir sind hier direkt geklettert, die Moves sind ca. 6b+). Unmittelbar danach spitzt sich die Sache zu, es warten extreme bis extremste Reibungsmoves. Ich konnte schön durchsteigen, dass sich mein Fuss dabei "kurz in Hakennähe befunden hat" - unwichtig, hat niemand so genau gesehen ;-) Doch seriös: für eine Bewegung konnten wir keine Freikletterlösung finden, mit den vorhandenen Griffen haften die Füsse da einfach nicht und es war unumgänglich, bei diesem Move auf Bolt #5 zu treten, um die rettende Leiste zu erhaschen. Von daher halten wir die ursprüngliche Bewertung von 7a 1pa für diese Länge als korrekt, wie es komplett frei für 7a gehen soll, ist für uns nicht nachvollziehbar. Nach dieser Stelle wird es wieder einen Tick einfacher. Das bedeutet aber nicht Entspannung, sondern es warten konstant fordernde, reibungslastige Moves bei reichlich verpflichtendem Hakenabstand. Abgeschlossen wird die Sache von einer Linkstraverse, trotz einiger willkommener Leisten kann auch hier das Blut nochmals in Wallung geraten.

Reibung total und extrem in L1 (7a), da ist man um jeden Ansatz einer Leiste froh!

L2, 25m, 6c: Dieser Abschnitt führt durch den markanten, hellen Streifen, der sich zwischen zwei Zonen mit schwarzer Felsfärbung befindet. Die tiefere Bewertung und die auf den ersten Blick durchaus vorhandene Struktur lassen eine etwas zugänglichere Kletterei vermuten. Argwöhnisch betrachten wir die Bolts, welche im bereits bekannten, verdächtigen Abstand stecken: metermässig nicht sehr distant, aber dann auch nicht wirklich nah. Bald zeigt sich, dass die Absicherung gefühlt weiter ist, wie sie es vielleicht den Anschein macht. Die Schwierigkeiten sind anhaltend, die Moves damit auch zwischen, bzgl. abseits der Haken schwierig und stets heikel. Ebenso bestehen die Strukturen oft nur aus seitlichen Kanten, was dann eben halt Anpressen der Füsse aufs glatte Parkett und somit kein relaxtes Steigen bedeutet. Ohne "richtig zu wollen" geht es hier nicht, insbesondere an der Rippe nach BH #4 und auch das etwas eierige Finish zum Stand rechts an die Kante hat es durchaus in sich. 

Zähe, psychisch fordernde Gegendruckkletterei in L2 (6c), die Füsse schon gute 2-3m über dem BH.

L3, 25m, 6b+: Diese Seillänge geht nach einem kurz etwas heiklen Start aus dem Stand raus für einmal ganz ordentlich über die Bühne, da meist für die Fortbewegung günstige Strukturen zur Verfügung stehen. In der Mitte wartet ein einziger, längerer Abstand, der aber mit einer Linksschleife gut zu bewältigen ist.

Nebst der allerletzten die einzige etwas gemütlichere Seillänge: L3 (6b+)

L4, 40m, 6c 3pa oder 7b+ (???): Nun geht's ans Eingemachte. Nach einem freundlichen Auftakt folgt bald eine neuralgische Stelle, wo die Natur den Erstbegehern einen Strich durch die Rechnung machte. De fakto bräuchte es nur ein paar Dellen oder eine taugliche Leiste und es ginge - vielleicht nicht gerade problemlos, aber doch im Rahmen der Schwierigkeiten in L2 und L3. Die Strukturen fehlen aber komplett, so bohrte man sich bei der Erstbegehung hoch und deklarierte die Seillänge als 7a 1pa oder 6c 2pa. Im Zuge der Sanierung wurde die Linie an dieser Stelle neu gelegt, sie umgeht die Problemzone nun mit einer kleinen Linksschleife. Wobei sich das Gelände da linkerhand aber eben auch nicht wirklich positiv-griffiger präsentiert, zumindest für mein Verständnis ist die Platte auch dort mehr oder weniger genauso blank und unkletterbar. Einzig ein paar kleine oder schlechte Untergriffe hat es, kaum vorstellbar wie man mit diesen ob der vorherrschenden Steilheit ausreichend Druck auf die Füsse bringen könnte.

Im Vordergrund (untere Bildhälfte) die Crux mit der als 7b+ angegebenen Stelle. Man hätte wohl den markantesten Untergriff für die Querung nach links zu nutzen, um dann in der angedeuteten Rinne diagonal v.l.n.r. über den Seilverlauf aufwärts zu steigen. Leider ist die Felsstruktur sehr ungünstig, es gibt da echt keine einzige, positive Leiste. Der ursprüngliche Verlauf ging rechts im dunklen Streifen direkt hinauf.

Konkret heisst das, dass wir hier beide selbst bei vorgehängtem Seil (im Toprope) nicht im Ansatz eine Chance sahen, die Moves frei zu klettern. Ja, im schwierigsten Abschnitt war es nicht einmal möglich, die Position zu halten 🤯 Selbst das reine Hochkommen nach dem Motto "alles gilt" ist nicht geschenkt, d.h. mit volle Kanne melken von 3 Exen mit den Händen, um die Füsse am Fels auf Haftung zu bringen, fühlt sich das immer noch als strenge 6c an 🤔. Auch nachher folgt nochmals ein Abschnitt, wo man "kratzt": kletternd an mickrigen Strukturen, in Bezug auf die Bewertung an einer 7a... wobei uns diese Passage beiden auf Anhieb gelang, womit wir den Grad im lokalen Kontext wohl höchstens als 6c taxieren dürfen. Der Rest der Seillängen führt an kleinen Verschneidungen dann etwas einfacher, dafür bei weiteren Hakenabständen zum sehr bequemen Stand, der unmittelbar neben dem Verlauf der Suworov liegt.

Wenn man nach der unmöglichen Plattenstelle in L4 (6c 3pa oder 7b+ (???)) einmal die Strukturen erreicht hat, geht es besser voran. Das Finish entlang von kleinen Verschneidungen bietet sogar schon fast entspannende Kletterei.

L5, 45m, 6c: Eine lange Seillänge mit viel Abwechslung. Das Gelände präsentiert sich hier nun steiler, so dass man kaum mehr von Platten-, sondern viel mehr von Wandkletterei sprechen muss. Wobei natürlich der Fussarbeit nach wie vor eine ganz entscheidende Komponente zukommt. Doch im Einzelnen: los geht es verschneidungsartig, wobei man sich auf unterschiedlich ausgerichteten Flächen ideal platzieren muss und allerlei Arten von Schieben und Stemmen für die Fortbewegung nutzt. Der nächste Abschnitt wird geprägt von einem mehr oder weniger horizontalen Quergang, wo ziemlich gute, aber teils weit voneinander entfernte Griffe in eine Sequenz eingereiht sein wollen. Die Traverse führt zu Stand 4 der Inox. Hier Station zu machen ist jedoch nicht zwingend nötig, mit einer geschickten Seilführung und zwei, drei strategisch platzierten, langen Exen leidet man auch in der zweiten Hälfte nicht unter starkem Seilzug. Vom Inox-Stand geht's kurz easy über eine Rampe links aufwärts, wo mit einer kleinen, dunklen und giftigen Verschneidung die Crux wartet. Diese Stelle ist bestimmt öfters nass bzw. unkletterbar. Dank mehrerer niederschlagsfreier Tage vor der Tour beschränkte sich das Wasser bei uns auf ein kleines Rinnsal, welches man weitgehend vermeiden konnte. Zum Glück, denn das Piazen an den Crimps im Verschneidungsgrund ist doch einigermassen delikat. Nachdem das Gelände sich danach nochmals etwas griffiger präsentiert, zieht es zum Ende wieder an. An Leisten und Kanten presst man die Füsse jenseits der Haken aufs Parkett, eine komplizierte Querung bringt einen schliesslich nach links hinüber zu Stand 6 der Suworov. Auch in diesem ganze Schlussabschnitt saftete es noch hier und da, nach Regen also besser abwarten.

Die Querung am Ende von L5 (6c) fordert aufgrund ihrer Anlage auch den Nachsteiger...

L6, 30m, 7a: Das Prunkstück der Route, absolut einzigartig! Auf geht's: wenige Meter linkerhand führt die Suworov über die dort absolut popelig aussehende Stufe in die liegende Wand darob, was jedoch deren klettertechnische Schlüsselstelle darstellt. Die Cyclope verläuft hingegen vom Stand gerade hinauf, in Richtung des grossen Dachs, welches von einem markanten, breiten Riss durchzogen ist. Obwohl die Anfangsstufe hier steiler, höher und schwieriger aussieht, ist sie verblüffenderweise doch einfacher zu haben - auch wenn am ersten Bolt ein etwas kniffliger, zwingend zu meisternder Boulderzug wartet. Danach führt ein schöner Jam-Riss ans Dach heran - Risshandschuhe können hilfreich sein, sind aber dank dem angenehm texturierten Fels und nicht allzu hohen Schwierigkeiten nicht zwingend. Das Dach selber dann, absolut unglaublich! Ich habe es schliesslich mit einer Knee(bar)-First-Strategie geklettert. Will heissen, ich war sozusagen kopfüber in der Route und habe mit Gegendruck-Zügen mein Knie immer höher im Riss eingeklemmt - sehr, sehr aussergewöhnlich, ganz sicherlich die Seillänge, wo ich bisher am meisten von Kneebars abhängig war. Und dies im Granit, am Inoxpfeiler, wo man es ganz bestimmt nicht erwarten würde. Die Crux bestand für mich schliesslich darin, aus der Kopfüber-Position wieder in eine normale Körperhaltung mit Kopf oben und Füssen unten zu wechseln. Das ging aber, zum Ende wird in einer luftigen Traverse links hinaus noch etwas Ausdauer an guten Griffen abgefragt und so war die Sache nach einem währschaften Full-Body-Workout mit einem sauberen Onsight erledigt, cool! Es sei erwähnt, dass mir hier die Bewertung nun auch absolut realistisch vorkam, dies im Gegensatz zu den teils unmöglich harten Platten davor (v.a. in L1, L2 und L4). Viktor nutzte laut seinen Erzählungen (vom oberen Stand besteht kein Sichtkontakt) andere, diversere Möglichkeiten des Sich-Festklemmens, was ebenfalls in einem sauberen Durchstieg resultierte.

Das grosse Rissdach in L6 (7a) - absolut einzigartig, kopfüber mit Kneebar-First geklettert.

L7, 30m, 6b: Fast schon geschafft... mit entspannter Kletterei folgt man bei guter Absicherung einer Kante, um nach 10-15m in die finale 6b-Verschneidung der Suworov zu münden, die wir beide schon bei früherer Gelegenheit geklettert hatten. Der glatte Fels, die Trittarmut und die Kleingriffigkeit machen diesen Abschnitt durchaus fordernd. Wenn die BH hier im Stil der unteren Cyclope-Seillängen stecken würden, könnte einem durchaus nochmals ein kalter Schauer über den Rücken laufen. Das tun sie aber nicht, hier kann im 1m-Rhythmus geklippt werden, womit es mit ein paar etwas wackligen Zügen dann eben schliesslich doch gut geht. Nach wie vor war übrigens der dünne Riss im Grund der Verschneidung perfekt grasfrei, das Putzen hatte anscheinend einen wirklich nachhaltigen Effekt.

Das Gras beginnt erst dort, wo die Route (fast) fertig ist. Glatte Schlussverschneidung in L7 (6b).

Um 14.10 Uhr und damit nach 5:30h der Kletterei waren wir im Rahmen des zur Verfügung stehenden Zeitbudgets am Ende der Route angelangt. Der zwischenzeitlich aufgekommene Frust über unser Unvermögen, die Plattenstellen frei zu klettern war längst wieder verflogen. Die oberen Seillängen waren ein echt herausragend Vergnügen gewesen und liefen besser, so dass am Ende nur 1x kurz auf den BH stehen in L1 und 3x heftig die Exe melken in L4 als Tolggen im Reinheft blieben und man ganz amerikanisch von einem 98% Free Ascent sprechen kann. Die Abseilerei geht sehr zügig vonstatten. Erstens sind es auch mit 2x50m-Seilen nur 4 Manöver (Top -> S5 -> S4 -> S2 -> Boden, Achtung teilweise reicht das Seil nur knapp!) und dank der steil-glatten Wand ist nur minimal Seilpflege nötig. 

Kommode Abseilerei, mit Blick auf Zustieg und Parkplatz.

So konnten wir bald nordwärts fahren und ich kam rechtzeitig zum Indoor-Kletterevent. Eigentlich hatte ich mir ja gedacht, dass ich mich dort vor allem beim Lösen der nicht kletterspezifischen Challenges beteiligen würde. Doch als deutlich stärkster Kletterer in der Gruppe konnte ich meine Kameraden dann doch nicht hängen lassen und übernahm den mir designierten Posten mit den Hang Challenges und dem Klettern der schwierigen Routen. Naja, Bizeps und Fingerstrom waren in der Schöllenen ja nicht übermässig strapaziert worden, darum passte das schon. Und vor allem aber waren die Indoor-Routen zwar nicht tiefer bewertet wie die Platten in L2 und L4, aber doch wesentlich einfacher zu bewältigen. Das weiss man ja, kann man jetzt sagen... aber schliesslich bin ich ja kein physisch besonders starker, für Indoor-Routen sonderlich prädestinierter Mensch, weise viel Outdoor-Erfahrung auf und bin auch auf Platten stärker wie die meisten meiner Peers. Wenn's jemand gäbe, für den die Bewertungen noch halbwegs korrespondieren müssten, dann wäre ich bestimmt eine solche Person. Aber nein, es ist auch für mich nicht annähernd der Fall - für fast alle anderen wird die Diskrepanz noch massiv grösser sein...

Facts

Schöllenen - Cyclope 7a A0 (7b+ frei?, 6c obl.) - 7 SL, 240m - C. & Y. Remy 1990 - ****;xxx
Material: 2x50m-Seile, 12 Express

Neben der einfacheren Suworov und der ultraklassischen Inox eine weitere, sehr tolle Route an diesem Pfeiler. Die Kletterei ist abwechslungsreich und bietet von extremen Platten über Wandstellen, Risse, Verschneidungen und einem massiven Überhang ein reich befülltes Programm. Der Charakter ist wenig erstaunlicherweise ähnlich wie in den beiden benachbarten Routen. In Bezug auf Schwierigkeiten und Anspruch liegt die Cyclope aber deutlich näher bei der Inox wie bei der Suworov. Doch während bei der Inox die 7a-Reibungsstellen bei der Sanierung oftmals absolut kompromisslos obligatorisch konzipiert wurden, sind die Bolts in der Cyclope näher an der Originalabsicherung gesetzt und somit hilft in der Cyclope A0 durchaus über die schwierigsten Passagen hinweg. Auch wenn die Absicherung als gut bezeichnet werden kann, so ist sie im Bereich von 6c und tiefer auch im delikaten Reibungsgelände oft zwingend und immer wieder mal mit dem Potenzial für Stürze, die vielleicht kaum echt gefährlich, aber in diesem geneigten Terrain oder wegen Stufen darunter doch sicherlich unangenehm wären. Rein qualitativ steht die Qualität der Kletterei jener in der Inox kaum nach. Das Hauptmerkmal der Inox ist halt eben, dass alle Seillängen (bis auf eine) echte Knaller im 7a/+ Bereich sind, während die Bewertungen in der Cyclope mehr schwanken und es von noch relativ machbaren 6bc-Abschnitten bis zur (nahezu?) unmöglichen Reibungsstelle die komplette Bandbreite gibt. Zur Orientierung unten ein älteres Topo (Internetfund, von vor der Sanierung), zusätzlich der Link zum Topo des Sanierungsteams, einen Kletterführer der die Möglichkeiten in der Schöllenen umfassend beschreibt gibt es derzeit leider nicht.

Älteres Topo der Cyclope (Nr. 2), die Nr. 3 ist die Chifir.

Dienstag, 22. November 2022

Zürcher Klettermeisterschaft 2022 - Lead im 6aplus

Dieser ZKM-Lead-Event fand im September statt und liegt somit schon eine ganze Weile zurück, aber im Sinne der Vollständigkeit meiner persönlichen Aufzeichnungen hier nun doch noch der entsprechende Beitrag dazu. Bei den letzten beiden Austragungen (1,2) in der Winterthurer Kletterhalle 6aplus war ich als Sieger der Fun-Kategorie hervorgegangen. Soviel vorweg, diese Performance konnte ich im 2022 nicht wiederholen. Was war denn anders als zuvor?

In der Finalroute (ca. 8a/+). Foto: Vladek Zumr/Kletterhalle Winterthur.

In erster Linie: das Wetter! Naja, das ist mal eine Ausrede, ist der alte Klempner denn etwa hochgradig wetterfühlig geworden?!? Nein im Ernst, am entsprechenden Weekend im September herrschte draussen ein richtiges Sauwetter, untauglich nicht nur für ambitionierte, sondern eigentlich fast jegliche Outdoor-Aktivität. Dementsprechend breiter und vor allem versierter präsentierte sich das Teilnehmerfeld. Nun ist es eben so, dass die Entscheidung ob Sieg, Podest oder Ehrenplatz nicht in erster Linie von der persönlichen Performance abhängt, sondern viel mehr vom Level der Konkurrenz. Ja, so läuft das - und nicht etwa nur bei einer solchen Fun-Comp, sondern genau genommen bis ganz weit hinauf. Die Einsicht, einen Wettkampf vor allem wegen der Absenz von noch stärkeren Athlet:innen gewonnen zu haben, müssen sich wohl noch manche vergegenwärtigen, ausser man hiesse Janja oder Adam.

Kathrin in der Damen-Finalroute, auch Q2 für Larina (7c). Foto: Vladek Zumr/Kletterhalle Winterthur

Anyway, im Vergleich zu früher wurde die Quali umfangmässig stark abgespeckt und bestand nur noch aus 5 statt aus 10 Routen. Davon waren 3 relativ einfach (5c, 6b+, 7a), die Entscheidung fiel bei zwei härteren Geräten (7b+, 7c+). Mir lief es nicht besonders, schon in der 7b+ musste ich 2 Moves vor dem Umlenker klein beigeben und in der schwersten Qualiroute war schon nach zwei Drittel Schluss. Mit Rang 5 reichte es mir immerhin gerade noch für den 6er-Final, wo dann eine Elite-Route im Grad ~8a/+ auf dem Programm stand. Eine neuralgische Stelle an einer Dachkante bedeutete für mich Endstation, was rangmässig keine Verbesserung mehr ergab. Es sei an dieser Stelle erwähnt, dass der Sieger die Finalroute beinahe toppen konnte - selbst um in der Fun-Kategorie zu gewinnen muss(te) man schwer etwas auf dem Kasten haben. Auf jeden Fall, herzliche Gratulation Chrigi, sauber gemacht!

Jerome in der U12 Q3 (ca. 7b), abnormales Fingerkraft-Testpiece - trotz Toppas gar nix easy!

Auch der Rest der Familie war mit am Wettkampf dabei. Die Podestplätze waren dabei den beiden Frauen vorbehalten. Kathrin wurde Dritte, Larina knapp und etwas unglücklich wegen Countback zur Quali "nur" Zweite. Darum mussten wir uns natürlich nicht grämen - es war wieder ein langer, aber sehr toller Tag mit viel Aufregung, Kameradschaft, Freude und Emotionen. Natürlich wurde es spät, bis wir in den Federn waren. Auch am Sonntag herrschte immer noch trübes Wetter. Der positive Aspekt dabei war, gemütlich ausschlafen und frühstücken zu können. Die negative Seite war hingegen, dass der zur Tradition gewordene After-Comp-Erstbegehungstag ins Wasser fiel.

Allzeit bereit (zum Klettern), so lautet das dettling'sche Motto. Gilt natürlich auch für Podestgänge ;-)

Herzlichen Dank dem Team vom 6aplus und dem Regionalzentrum Zürich für diesen tollen Anlass!

Donnerstag, 17. November 2022

Brione Bouldering

Herbstferien, aber keine Zeit zum Verreisen 😬 Die Kinder nehmen an internationalen Wettkämpfen teil, sind in Trainingslager eingeladen, die Erwachsenen sind an ihrem Arbeitsplatz unabdingbar. Würde oder Bürde, das ist dabei die gute Frage. Doch halten wir uns an die Facts: eine Destination am Meer liegt im verfügbaren Zeitfenster nicht drin, so muss wieder einmal das Tessin "herhalten". Wobei, was braucht es mehr als das?!? Es ist schlicht und einfach eine Weltklasse-Destination, es gibt da noch so viel zu entdecken und zu tun. So verbringen wir die 4 Tage Herbstferien mit Bouldern in Chironico, einem Kletter- und Entdeckungstag im Valle Bavona, einem Besuch im bereits bekannten Settore Underzero in Avegno und zuletzt, eben hier im Zentrum dieses Beitrags, einem hammermässigen Tag an den Blöcken von Brione im Verzascatal. 

Hinter Lavertezzo mit seinem pittoresken Ponte dei Salti, bzw. der Abzweigung hinauf zum Parkplatz für den Pizzo d'Eus beginnt für mich Terra Incognita. Allerdings komme ich auch an diesem Tag nicht viel weiter, bereits zusätzliche 4 Kilometer taleinwärts überquert die Strasse den Fluss, wir stellen unser Gefährt auf den kostenpflichtigen Parkplatz (10 CHF/Tag), laden die Matten aus und wollen uns dem Bouldern im Sektor Ganne widmen. Nur ein paar Schritte sind es in den Kastanienwald hinein, bis wir den ersten, attraktiven Block am Wegesrand finden. Er ist im hervorragenden Topo nicht verzeichnet, scheint aber ein prima Warm-Up an wohlgeformten, ergonomischen Gneisgriffen herzugeben - naja, so ganz einfach war es dann nicht einmal, ca. 6A+ wäre zu veranschlagen.

Nicht im Topo verzeichnetes Warm-Up im Sektor Ganne, ca. 6A+.

Wir ziehen weiter, um auch die Wadenmuskulatur und die Psyche auf Betriebstemperatur zu bringen, eignet sich hervorragend die King Slab (6A+). Die ging im Flash weg, fühlte sich allerdings schon in etwa so wie am Reibungslimit an. Chapeau speziell an Larina, die hier zwischen den Strukturen jeweils gegenüber mir noch einen zusätzlichen Move einlegen hat müssen. 

Heikle Reibung und bald ist man 3-4m über dem Pad... King Slab (6A+).

Nur ein Katzensprung ist es zum nächsten Boulder, den wir bereits im Topo als interessantes Projekt erkannt haben. La Piattosa (6B) ist eine Slopertraverse, für welche wir beide eine besondere Affinität haben. Einerseits zählt da meist mehr die bei uns beiden besser ausgeprägte Ausdauer wie die Rohkraft, zudem kann man auch mit technischer Subtilität und geschicktem Body Positioning viel beitragen. Nun gut, allzu viel davon war da noch nicht nötig, mir gelang's im Flash, Larina musste 2-3 Versuche investieren. Dafür konnte sie hier wieder einmal auf ihre für derlei Traversen bereits bewährte 3-Handed-Technique zurückgreifen. Sehr interessant übrigens, dass sie den Toehook bevorzugt und damit viel stärker ist wie mit dem Heel, während es bei mir genau andersrum ist.

3-Handed-Bouldering in der Slopertraverse La Piattosa (6B).

Inzwischen waren wir definitiv auf Betriebstemperatur. Wir gingen wenige Schritte zurück und wollten mit der Bisex (6C) noch eine Schippe drauflegen. Man kann die Aufgabe gleich vom Boden exzellent begutachten, so besprachen wir die Beta und heckten einen Plan für den Flash aus. Larina setzte das zu 100% perfekt um. Doof nur, dass ihre Methode sich für mich als nicht umsetzbar erwies. So musste ich doch einige Versuche investieren und bereits etwas an den Reserven für Haut und Kraft zehren, um zum Erfolg zu kommen. Gross war dann die Erleichterung, als endlich der Schlusshenkel in Reichweite gelangte...

Henkel in Griffnähe, die Erleichterung steht ins Gesicht geschrieben: Bisex (6C)

Um die Ecke in der Nähe des Flussufers fanden wir die nächste Herausforderung. Schon bei der ersten Betrachtung nahm ich La Manovra (6C) als idealen Boulder für Larina wahr und vermutete, dass er mir wohl ungleich mehr Schwierigkeiten machen würde. Noch in der Wand war ein mantleartiger Aufsteher vonnöten, wo sich klein gewachsene unvergleichlich besser platzieren können. Gewürzt ist diese eigentliche Crux mit einem hohen Topout, wo gefühlvoll Hand auf abschüssigen Gneis gelegt werden muss und viel Vertrauen in die Füsse nötig ist. Wohl jenen, die a) ausreichend Pads und b) einen guten Spotter dabei haben. Für Larina war das gegeben, sie zockte es easy weg. Bei mir waren die Gegebenheiten logischerweise deutlich ungünstiger. Es waren erst einige Probeabsprünge nötig, um das Vertrauen zu gewinnen... angefühlt hat es sich etwa wie ein weiter Wenden-Runout, wo man statt einem Flug ins Seil rückwärts das Flussbord hinunter purzelt und schliesslich im Wasser zu liegen kommt. Viel Text hier, schliesslich kostete es mich doch ein paar Versuche, einen "scharfen Abgang" im Topout, bevor ich hier den Tick holen konnte, uff! Das folgende Video und sein Titelbild zeigen die Gegebenheiten schön (watch until the end 😁, Youtube-Link). 

Larina in La Manvora (6C), zumindest bis vor das Topout... 😎

Larina konnte indessen am idyllischen, smaragdgrünen Fluss chillen und neue Kräfte sammeln. Ich wurde während meiner Pausen am Block auch bestens unterhalten. Ein 4er-Trupp aus fremden Ländern war inzwischen eingetroffen, der sich dem Giuliano Cameroni Testpiece Paglia di Fuoco (8A+) widmen wollte. Es führt mit Start unmittelbar links von unserem Projekt in denselben Ausstieg. Im Topo ist die Linie noch als 8B drin, der Erstbegeher hat später auf 8A+ korrigiert, gehandelt wird das Problem auch als 8A soft. Wobei eben... die Crux liegt bei diesem Boulder ganz offensichtlich im allerersten Move. Und der wird umso schwieriger, wenn man einen sauberen Sitzstart hinlegt, und zwar von maximal 1 Pad, nicht von einer Erhöhung fürs Füdli! Interessant waren vor allem die Gespräche der Athleten à la "wenn ich es nur als 8A zähle, dann ist auch ein Bescheissen mit einem Crouch Start ok". Jedenfalls gelang einem der Sponsored-Pro-Athleten schliesslich eine solche Halb-Begehung (ein Sitzstart war das nämlich definitiv nicht!), worauf die Mannen und Frauen gleich wieder von dannen zogen, vermutlich auf der Suche nach dem nächsten Soft-Tick. Tja, so läuft es halt wohl einfach, wenn schnelle oder viele Begehungen die Währung sind, in welcher man bezahlt wird.

Ein idealer Spot auch für die ganze Familie. Blick von La Manovra (6C) zu Larina am Fluss.

Die Atmosphäre am Flussufer ist einfach unschlagbar und weil es daselbst Blöcke gibt, war dies die logische, nächste Wahl. Zumal mit L'Orso Voga (6C+) eine sloprige Traverse in genau unserer Kragenweite bereitstand. Tolle, glattgewaschene Sloper, geschicktes Hooken, etwas Power und Resi sind das Programm, ein geniales Problem. Es gelang uns beiden ziemlich schnell, ich konnte die Anzahl meiner Zusatzversuche gegenüber Larina für einmal im Rahmen halten.

River-Bouldering der Extraklasse mit L'Orso Voga (6C+), direkt an der Verzasca.

Nicht direkt am Ufer, aber unmittelbar oberhalb davon lag der Masso 06 mit seinem Problem Chestnut Five (7A+). Ein wenig Reserven schienen wir ja noch zu haben auf der Schwierigkeitslatte, warum also nicht. Wobei wir da schlussendlich vor ähnlichen ethischen Dilemmata standen wie die Pros vorher. Schwierig an dem Boulder ist das Wegkriegen des Hinterteils vom Boden und der erste, weite Zug. Larina machte Teil 1 (Anziehen aus dem Sitzen) keine Schwierigkeiten, dafür war ihre Reichweite für den Move zu klein. Dieser Teil 2 war für mich unbedenklich, nur kamen mir die langen Glieder dermassen in den Weg, dass ich den Boulder nur mit einem "Profi-Start" begehen konnte. Um noch mehr Halbheiten ins Geschäft zu bringen, fiel uns schliesslich ein Start ganz wenig rechts auf. Man bedient sich da an 2 etwas verdächtigen Monos. Sie ähneln in ihrer Natur den zu 100% natürlichen Shotholes, wie es sie unweit am Pizzo d'Eus gibt. Trotzdem, ich bin mir nicht sicher, ob sie hier nicht von Menschenhand stammen, erzeugt vor langer, langer Zeit als Befestigungsmöglichkeit für eine Flussüberquerung?!? Diese Variante ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eine Erstbegehung und nach unserer Ansicht die lohnendere Variante zu Chestnut Five. Wir benannten sie mit Shotholes (6B), die Bewertung checkt bei ca. 6B ein. Im Video (Youtube-Link) Larina beim FA, mit dazu ein Foto der Linie. Sagt mir jetzt bloss nicht, ich hätte diese Begehung hiermit überdokumentiert und sie einfach als Erfolg in Chestnut Five zählen sollen... 🙄

Unsere Variante Shotholes (6B) am Masso 06 im Ganne-Sektor.
Youtube-Video mit unserer Variante Shotholes (6B) am Masso 06 im Ganne-Sektor.

Somit waren die interessantesten Probleme im engeren Umkreis geklettert, Matten packen und etwas weiter verschieben hiess da eigentlich die Devise. Dazu musste aber zuerst einmal am Fluss unten noch all unser Material eingesammelt werden. Aber Halt, da stach mir ein Block mit einer attraktiven Sloper-Traverse ins Auge. Eine kurze Inspektion bezeugte die potenzielle Machbarkeit, die Linie war absolut logisch, gut zugänglich mit angenehmer Landezone. Keine Frage, Pads her, das mussten wir probieren. Wobei es sich herauskristallisierte, dass der Boulder verschiedene Optionen bot. So kann sowohl von links nach rechts wie auch umgekehrt traversiert werden. Und in beiden Richtungen gibt's einen etwas kürzeren Mittelausstieg am höchsten Punkt des Blocks, wie auch die Option zur vollen Traverse. Start- und Endpunkte all dieser Varianten sind dabei vollkommen gegeben, ohne dass man zu irgendwelchen Definitionen greifen müsste. Die von-links-nach-rechts Richtung schien uns attraktiver, sie dünkte uns die etwas logischere Variante und dürfte zudem einen Ticken einfacher sein. Die ganze Traverse betitelten wir als Under the Bridge (7A). Im Vergleich zum Orso Voga (6C+) schien uns dieser Grad richtig, aber das ist beim Bouldern natürlich immer so eine Sache. Erwähnt sei, dass sich der Block direkt unter der Strassenbrücke befindet (daher der Name). Die Atmosphäre am Fluss ist aber dennoch top, der Kunstbau beeinträchtigt sie kaum. Ob wir mit dieser ziemlich offensichtlichen Linie eine Erstbegehung gemacht haben, darf man natürlich gerne bezweifeln. Da sie nicht im Topo ist, hier die grafischen Details.

Cooler Block direkt unter der Strassenbrücke im Flussbett mit einer lässigen Sloper-Traverse.

Um sich möglicherweise noch mehr FA-Punkte zu sichern, sollte danach auch noch die halbe Traverse geklettert sein. Der arg sloprige Ausstieg hat es dabei in sich - mit mehr Körpergrösse anscheinend umso mehr, wenn man unsere Performances vergleicht. Es kam noch hinzu, dass ich inzwischen langsam auf dem Zahnfleisch lief. Sowohl die Kraft- wie auch die Hautreserven waren nur noch in begrenztem Mass vorhanden. Sozusagen auf dem letzten Blatt gelang es mir, auch den Mittelausstieg noch zu klettern, den wir Terabithia (6C) nannten. Eine längere Pause hätte wohl geholfen, aber Larina hatte ihren Job bereits souverän erledigt und pushte mich entsprechend. In diesem Youtube-Video lässt sich der Moment nacherleben (hör genau hin... "Aaalte, hey, doch no gschafft!" 😂)

Animierte Impressionen von meiner Zahnfleisch-Begehung von Terabithia (6C).

Inzwischen waren nicht nur der Power Level gesunken, sondern auch die Uhr schon vorgerückt. Also war es langsam aber sicher Zeit heimzugehen. Für einen letzten Plausch fiel mir aber noch der Block im Rücken des vorherigen auf, wo der Schuh mit der Handykamera deponiert war. Da liess sich noch kurzerhand eine schöne Traverse holen, die sich auch nicht im Topo befindet. Ja, die Möglichkeiten zum Boulder-Spielen an diesem Fluss sind fast endlos. Die Kurzvariante ist ein idealer Auf- oder eben Abwärmer mit nicht ganz trivialem Start. Nennen wir sie doch Concrete (5+). Die Langvariante erfordert dann wegen der Absenz von schlauen Tritten schon einige kräftige aber witzige Hangelzüge. Der logische Name wäre From Concrete to Smaragd (6A/+), weil dieser Block ein ideales Sprungbrett in den wunderschönen Smaragd-Pool gleich dahinter ist (nur hatten wir leider die Badehose nicht dabei 🤥).

Noch zwei witzige Abschlussboulder, die ebenfalls nicht im Topo dokumentiert sind.

Nun liessen wir es aber endgültig beim Guten bewenden und machten uns aus den Heimweg. Nach diesen 4 intensiven Klettertagen konnte ich gut und gerne wieder etwas auf dem Bürostuhl Platz nehmen und Meetings beiwohnen. Eine kurze Reflexion über den Bouldertag in Brione brachte zu Tage, dass ich wohl am Ende genau dieselben Boulder wie Larina hatte durchsteigen können. In Sachen Versuche und Style hat sie mich dabei aber zweifellos übertrumpft. Ich würde sagen, das war das erste Mal so glasklar der Fall am Fels... daran werde ich mich in Zukunft wohl gewöhnen müssen (was ich natürlich nur zu gerne mache!). Zum Schluss sei noch bemerkt, dass Kathrin und Jerome die Heimreise schon einen Tag früher hatten antreten müssen. Es lohnte sich insofern, dass Jerome beim FIS-Schüler-Grand-Prix und damit der inoffiziellen Europameisterschaft auf seiner Altersstufe in Ruhpolding (DE) im Teamwettbewerb der Skispringer für die Schweiz die Goldmedaille gewinnen konnte. Tja, wer mag bei solchen Erfolgen und Erlebnissen wie im Tessin noch über "verpasste Herbstferien" lamentieren - das wäre dann definitiv einfach nur unanständig.

Bravo les gamins: 1. Switzerland, 2. Austria, 3. Poland