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Dienstag, 19. Mai 2020

Schöllenen - Suworov (6c)

Das vielleicht markanteste Stück Fels in der Schöllenenschlucht ist der Inoxpfeiler, der auch prominent direkt über der Haarnadelkurve P.1242 gelegen ist. Auf seiner glatten Seite befinden sich die von den Remy-Brothers eingerichteten Granit-Reibungstestpieces mit den klingenden Namen Cyclope, Inox und Chifir. An der linken Pfeilerkante selber ist das Gelände etwas zugänglicher, hier verläuft die Suworov (8 SL, 6c). Bereits 1977 wurde hier durch eine tschechische Seilschaft ein Weg gefunden, der sich weitgehend an die natürlichen Strukturen hielt und kein fixes Material erhielt. Im unteren Teil bestehen diese Strukturen aus Rissen, Verschneidungen und Schuppen, während die einfachste Linie oben durch grasige Kanäle verläuft. Ohne Kenntnis der Begehung von 1977 wurde die Route daher 1980 durch Howald/Wenk ein zweites Mal erstbegangen. Während der Weg im unteren Teil logisch und daher wohl identisch mit der 77er-Linie war, wurde oben raus vermutlich eine direktere Linie über einige Wandstellen und Aufschwünge gewählt, die ohne Bohrhaken kaum denkbar ist. Auf jeden Fall geriet der Pfeiler wieder in Vergessenheit. Erst seit einer Sanierung durch lokale Kletterer mit rostfreiem Material im 2009 nahm die Begehungsfrequenz wieder zu. Einige wenige Einträge auf dem Netz berichteten von sehr lohnender Kletterei. Das wollten wir selber zu Gesicht bekommen und wurden nicht enttäuscht!

Der Inoxpfeiler mit dem Verlauf der Suworov (7 SL, 6c).
Ein paar Minuten nach 10.00 Uhr starteten wir bei der Inoxkurve. Der Zustieg ist in wenigen Minuten erledigt. Er ist deutlich bequemer zu haben, wenn man zuerst noch ein ganzes Stück im Graben westlich des Schutzwalls geht und wieder etwas nach rechts zum Einstieg zurückkehrt. Es gibt auch eine recht gute Pfadspur, wenn der von uns im Abstieg erbaute Steinmann noch da ist, kann er beim Auffinden des Wegleins behilflich sein. Der Einstieg selber ist nicht näher bezeichnet, da die Suworov aber die am weitesten links gelegene Route am Pfeiler ist, gibt's keine Zweifel - bei der Route mit den rostfreien Fixé-Laschen ist man richtig. Nachdem wir uns vorbereitet hatten, starteten wir bei angenehmen Bedingungen um 10.30 Uhr mit der Kletterei. Hinweis: zur Route gibt es nur veraltete, schematische Topos mit nicht mehr zeitgemässen Bewertungen, sie ist in keinem mir bekannten aktuellen Kletterführer vertreten. Die Schwierigkeitsangaben sind daher nach unserem Gutdünken.

L1, 25m, 5c: Da die erste Seillänge gutmütig aussieht und die ersten 3 Bolts auch nicht allzu weit entfernt bzw. auseinander liegen, entschloss sich Larina zum Vorsteigen. Mit etwas Erfahrung weiss man ja, dass solche Eindrücke oft täuschen können. So wollte ich ihr die Cams mitgeben. Sie raunzte aber nur etwas von "die sind mir zu schwer" und "ich weiss eh nicht, wie man die legt". Nach dem Motto "es ist gescheiter sie dabeizuhaben und nicht zu brauchen als andersrum" liess sie sich dann trotzdem überzeugen. Bis zum Stand waren dann schliesslich die Grössen von 0.3-2 alle verbaut - wenn's unbedingt nötig scheint, so lernt man manchmal ziemlich schnell etwas ;-) Erwähnt sei noch, dass die Länge insgesamt natürlich durchaus nicht überaus schwierig ist. Der erste Abschnitt der markanten Schuppe entlang ist aber weniger banal wie man erst meint. Der zweite Teil ist zwar ziemlich easy, aber dafür mässig gesichert (es stecken keine Bolts mehr und liegen tut wenig).

Los geht's an dieser Schuppe in L1 (5c), die ersten beiden Cams haben schon den Weg in den Fels gefunden :-) Die Route verläuft in ziemlich gerader Linie oberhalb der Kletterin zum markanten Dach am Horizont, welches dann links umgangen wird.
L2, 25m, 6a+: Super-Splitter, ein echt genialer Abschnitt, den man in echter Rissklettermanier am besten Straight-In-Jamming mit den Füssen im Riss angeht! Zuerst geht's nach rechts, über ein kleines Dächli und dann einfach nur noch geradeaus. Der Riss hat Camalot 3 Grösse, für mich persönlich passt da die Faust perfekt und mit den Jammies ist es richtig straightforward. Für Larina sah das natürlich anders aus, nicht mal die breite Faust passte. Mit einer Kombination von Layback und Chickenwings ging's aber auch, prima gemacht. Eine Bewertung für diesen Riss zu geben ist gar nicht mal so einfach. Im Yosemite wäre das wohl 5.8 oder maximal 5.9 und damit im 5c-Bereich. Für hiesige Verhältnisse macht aber 6a/6a+ mehr Sinn. Unterwegs stecken 5 oder 6 Bolts, d.h. wenn man die Lage im Griff hat, geht's gut ohne Cams. Selbstverständlich könnte man die ganze Länge clean klettern, dafür sind dann aber sicher zwei 3er-Camalots nötig. Am Anfang und Ende passt auch kleineres Gear.

Das sind Aussichten. Perfekter Cam3-Splitter-Faustriss in L2 (5.8 oder ca. 6a+ nach CH-Massstab).

Die tolle L2 (5.8 oder 6a+) im Rückblick.
L3, 20m, 5c+: Trotz der Kürze eine coole, erfüllende Seillänge mit Rissen und Verschneidungen. Stellenweise gar nicht so simpel, 5c+ oder 6a scheint mir der passende Grad. Auch diesen Abschnitt könnte man ziemlich gut komplett ohne die BH klettern, es gäbe sehr gute Gelegenheiten für Cams.

Lässige Kletterei an griffigen Strukturen in L3 (5c+).
L4, 45m, 6b: Eine lange und ziemlich anhaltende Länge, wiederum mit Rissen und Verschneidungen, sehr schön! Die Crux besteht aus einer kurzen Wandstelle in der Mitte, wo vom rechten an das linke Risssystem gewechselt wird. Für mich war das nahezu nur 1 Move, Larina hat indessen wohl fast 10 Moves gemacht, bis sie den Henkel auf der linken Seite in der Hand hatte. Somit ist das ziemlich morpho und entsprechend schwierig zu bewerten. Für mich persönlich würde 6a+ wohl reichen, für Kleine nimmt die Schwierigkeit aber u.U. deutlich zu. Schliesslich erreicht man den etwas unbequemen Stand. Alternativ kann man noch 10m der nächsten Länge nach rechts oben anhängen, wo man auf einem bequemen Band den alten Stand findet. Der ist allerdings nicht saniert, aber im Gesamtkontext trotzdem empfehlenswert und vertretbar.

Rückblick auf L4 (6b), die Crux ist der Wechsel der Risssysteme über die plattige Wand mit dem rostigen Riss.
L5, 45m, 6b: Vom Band weg erst einfach, aber schon bald kommt eine knifflige Passage an Untergriffen, die einem zu einem weiteren alten, nicht sanierten Stand führt. Diese konnten wir nun problemlos auslassen (wenn man den offiziellen, sanierten Stand nach L4 nutzt, ist das hingegen schwierig) und gleich in griffigem Gelände unter den Dachriegel hochklettern. Die Crux besteht dann darin, diesen Riegel zu knacken. Dies besteht zuerst in einem tricky Quergang, gefolgt von der abschliessenden Wandstufe mit dem finalen Mantle, welcher sehr schön im Video zu sehen ist (unbedingt Ton einschalten für die lässigen Live-Kommentare ;-)).



L6, 35m, 6c: Man spaziert auf der geneigten Platte nach links, bevor es gerade hinauf über den Aufschwung geht. Das sieht auf den ersten Blick nicht sonderlich schwierig aus, was aber eine Täuschung ist. Dieser Boulder ist ziemlich taff, denke mit 6c ist das auf jeden Fall zu bewerten. Noch dazu hatte ich an dieser Stelle echt Angst, mir die Füsse zu brechen. Es stecken zwar Bolts in kurzen Abständen, noch dazu kann man zwischen den ersten beiden einen Cam 0.5 legen. Doch wenn der heikle Klipp des zweiten Bolts schief geht, oder allenfalls selbst einfach bei einem "normalen" Sturz, so könnte es aufgrund vom Quergangs-Slack im System durchaus für einen Bodenknaller reichen. Hinzu kommt, dass man sich mit dem Cam auch den Jam im Riss blockiert - ja, man kriegt die Finger auch noch rein, wenn er da ist, aber kaum mehr ohne den Cam quasi als Griff zu benutzen (ok, das ist wohl eher für strikte Rotpunkt-Puristen ein Problem). Nun ja, für mich ging's, sogar Onsight, aber die Stelle ist echt etwas doof. Die sicherste Variante wäre zweifellos, den zweiten Haken technisch zu klippen, sich nochmals auf den Boden abzulassen und erst dann die Stelle zu klettern. Aber da kann ja jeder nach seinem Gutdünken vorgehen. Jedenfalls, meine Bedenken wegen einem Bodensturz bewahrheiteten sich schneller als gedacht. Weit hinter uns war eine weitere Seilschaft eingestiegen. Als wir zurück beim Parkplatz waren, befanden sie sich eben an dieser heiklen Stelle. Prompt machte der Vorsteiger einen Abflug und stürzte auf das Band darunter. Einige Minuten rührte sich nun nichts mehr und wir fragten uns schon, ob wir wohl die Rettung zu rufen hätten. Nachdem dann oben wieder Bewegung zu sehen war, liessen wir es bleiben und fuhren heim. Die Fortsetzung der Seillänge nach dem Startboulder ist dann echt cool entlang einer vagen Verschneidung, mit einigen durchaus fordernden Moves im Bereich 6a-6a+.

Ausblick auf den sicherungstechnisch heiklen Startboulder in L6 (6c). Foto: VikWeg
L7, 30m, 6b: Das alpin geschulte Auge sucht die Linie in der (grasigen) Verschneidung gerade hinauf aber nein, es geht rechts in die Seitenwand hinaus. Zuerst ist das griffig und problemlos, bevor man auf die Kante kommt, wird aber plötzlich alles ein wenig sloprig und abschüssig. Die Crux wartet dann aber in der glatten Schlussverschneidung, welche sich oft grasig präsentiert. Zur Zeit unserer Begehung war sie aber sauber. Da aber trittarm und kleingriffig, muss man hier nochmals echt Gas geben, notfalls könnte man an den eng steckenden Bolts auch A0 praktizieren.

Die griff- und trittarme Verschneidung kurz vor dem Top in L7 (6b) hat es echt nochmals in sich!
Um 14.20 Uhr und damit nach rund 3:50 Stunden Kletterei hatten wir das Top erreicht. Man befindet sich da ehrlich gesagt mitten in der Wand und ursprünglich wurde auch noch weiter nach oben geklettert. Aber da die Route nur bis zu diesem Punkt saniert ist und die natürlichen Linien entlang der Risse und Verschneidungen effektiv sehr grasig aussehen, war auch für uns an dieser Stelle Schluss. Somit fädelten wir unsere Seile in den Ring und glitten (auch mit 2x50m-Seilen) bequem in 4 Manövern zurück an den Einstieg. Auf der ersten Strecke geht's dabei direkt hinunter, freihängend über das grosse Dach. Wir erkundeten noch ein wenig die Gegend und bestaunten das Reibungs-Testpiece Inox, für welches wir dann an einem anderen Tag zurückkommen werden. Nachdem wir den besten Zustiegspfad noch mit ein paar Steinmännern markiert hatten, waren wir bald zurück an der Strasse und fuhren zufrieden über die schöne und perfekt abgelaufene Klettertour nach Hause.

Passt auch zum Klettern, erst recht wenn's auf Reibung ist... auf ganzer Strecke nicht stehenbleiben, einfach vorwärts!
Facts

Schöllenen - Suworov 6c (6a obl.) - 7 SL, 225m - Howald/Wenk 1980 - ***;xxx
Material: 2x50m, 12 Express, Camalots 0.3-3, Hand-Jammies für L2

Sehr schöne Granitkletterei, die weitestgehend griffige Kletterei an Schuppen, Rissen, Verschneidungen und Wandstufen, aber nur relativ wenig der ortstypischen Reibungskletterei bietet. Die Umgebung in der Schöllenen mit all den Verkehrswegen ist natürlich ein wenig gewöhnungsbedürftig und auch Geschmackssache - doch hier kann man mit wirklich kurzem Zustieg und begrenzten Zeitbudget echt lohnend Granitklettern. Die beste Jahreszeit für die Suworov dürfte der Frühling sein, idealerweise solange die Alpenpässe noch geschlossen sind. Dann gibt's deutlich weniger Verkehrslärm, zusätzlich wird es auch noch durch die laut tosende Reuss übertönt. Auch das da und dort neben der Route spriessende Gras ist dann noch weniger präsent. Um diese Jahreszeit klettert man bis Mitte Nachmittag an der Sonne, im Herbst hingegen dürfte es eine ziemlich schattige Angelegenheit sein. Die Route ist plaisirmässig gut, an den Schlüsselstellen sogar sehr gut mit Bolts abgesichert (xxx-xxxx), wobei man an manchen dieser Stellen auch zuverlässige Cams platzieren könnte. Wer möchte, kann gut noch mit Cams 0.3-3 ergänzen, wer die Schwierigkeiten gut drauf hat, kann aber auch ohne mobiles Material auskommen.

3 Kommentare:

  1. Spannender Bericht, die Route ist auch weit oben auf meiner Projektliste. Sie ist übrigens im C(H)lean Kletterführer beschrieben.
    Gruss Michi

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  2. Super Bericht mit allen Infos, die man sich für eine Begehung und die Vorfreude darauf wünscht!
    Deine Beschreibung der 6c-Stelle hat mir ordentlich Respekt eingeflößt, wäre sonst wohl mit weniger Sorge um meine Füße eingestiegen ;-) Aus der Piaz-Position fühlte sich der Klipp dann erstaunlich sicher an.
    Ich würde die Platte in L4 als Crux sehen, trotz Spannweite (ähnlich wie bei dir kaum mehr als ein Zug, trotzdem delikat und für mich näher an der Sturzgrenze als der Rest der Route.)
    Die Infos zum Zustieg sind noch aktuell - es gibt mindestens zwei Steinmänner.

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