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Dienstag, 2. Juni 2020

Schöllenen - Inox (7a)

Die Inox, am gleichnamigen, markanten Pfeiler in der Schöllenen stellt ein wahres Granit-Testpiece dar. Bereits 1983 war sie von den Remy-Brothers in kühner Manier erstbegangen worden, eine für die damalige Zeit wirklich herausragende Leistung. Lange Jahre haftete ihr der Ruhm einer extremen Kletterei an, bevor sie durch die Eröffnung von höher bewerteten Routen im Kalk von Wenden und Rätikon etwas in Vergessenheit geriet. Nach einer komplett missglückten Pseudo-Sanierung durch die Erstbegeher im 2007 wurde die Route dann verdankenswerter Weise im 2012 durch Spiri et al. renoviert und mit soliden Inoxbolts versehen. Die Hakenanzahl blieb dabei gegenüber der Erstbegehung praktisch unverändert, diese wurden jedoch mit Blick auf Sicherheit und Anspruch an den Kletterer grösstenteils neu platziert. Kaum mehr eine Stelle ist nun echt gefährlich, aber auch kaum eine schwierige Kletterstelle lässt sich mit Hakenhilfe entschärfen, so dass der Grad 7a in abschüssigem, superkompaktem Granit obligatorisch geklettert werden muss. Ich würde sagen: die Inox ist ein absolutes Must-Do für jeden ambitionierten MSL-Kletterer in der Schweiz, eine absolute Hammerroute!

Der Routenverlauf der Inox in der Schöllenen.
In der Woche zuvor hatte ich back-to-back zwei 8a-Routen punkten können. Was lag also näher, als in der Inox zu testen, wie weit es wirklich um meine Kletterfertigkeiten steht. Wer sich ein wenig auskennt, weiss genau was das bedeutet: ein Grad der im bekannten, überhängenden Klettergarten gerade noch zum Aufwärmen taugt, erscheint im haltlosen Granit plötzlich als unbezwingbar. Oder mit anderen Worten, in einer solchen Route wie der Inox kann man einfach nur "aufs Dach kriegen". Nun denn, hin und wieder schadet dieses Gefühl nicht und so machten wir uns auf den Weg. Nachdem wir beide kürzlich für die benachbarte Suworov (6c) vor Ort waren, mussten wir uns um den Zustieg keine langen Gedanken machen. Raschen Schrittes folgten wir dem Graben des Schutzwalls bis zur Stelle, wo unser Steinmann den Beginn der Pfadspuren markierte, die in wenigen Minuten zum Einstieg führen. Dieser befindet sich wenige Meter rechts vom tiefsten Punkt und ist an den Bolts mit den rostfreien Fixé-Laschen, welche in die Verschneidung führen, zweifelsfrei zu identifizieren. Wir einigten uns, die Route im Block-Vorstieg anzugehen, wobei mir persönlich der zweite Teil zufiel. Um 10.30 Uhr hatten wir alles parat und zwar mit gehörig Respekt, aber guten Mutes bei Sonnenschein und angenehmen Temperaturen ein.

A little bit of history... die folgenden Seiten sind auch interessant, aber die muss man vor Ort nachlesen :-)
L1, 35m, 6 BH, 7a: Die erste Seillänge präsentiert sich vom Einstieg de visu als gutmütiges Teilstück zum Aufwärmen, man fragt sich beinahe schon, wo der 7a-Move wohl überhaupt steckt. Voll montiert präsentiert sich dann allerdings schon das vermeintlich triviale Abheben vom Boden als gar nicht mal so einfach. Nichtsdestotrotz, der Auftakt über 3 BH und einem selbst abzusichernden Abschnitt in der Verschneidung ist noch leicht verdaulich. Die Klimax folgt am Schluss, wo bei der Sanierung die linke, frei kletterbare Variante gebohrt wurde (die A0-Möglichkeit rechts existiert nicht mehr). Man muss fein an Untergriffen antreten, um eine verzwickte Pinch zu erreichen und diese mit den Füssen im Nichts durchmoven - das ist schon einmal der erste Test und die 7a ziemlich obligatorisch. Mir ging's im Nachstieg gerade auf, ich konnte die Länge flashen.

Ausblick auf L1 (7a), die erst noch relativ gutmütig daherkommt, es im Finish dann aber doch in sich hat.
L2, 30m, 6 BH, 7a: Den gewonnenen Schwung sollte man nun nutzen, um über die äusserst knifflige Crux gleich zu Beginn der zweiten Länge hinwegzukommen. Hier wurde der erste Bolt etwas fies links aussen platziert, so dass er zur Fortbewegung nicht verwendet werden kann, mit dem alten Placement war das möglich... In abschüssigem, etwas glitschigem Gelände muss hier auf die leisesten Andeutungen einer Delle angetreten werden, wenige, ungünstig ausgerichtete Seit-/Untergriffe leisten dabei etwas Unterstützung. Nun sollte man sich bevor die Füsse rutschen nach der Seitgriffleiste weit oben strecken und diese hernach in Streckenfortschritt ummünzen. Nach einem heiklen Aufrichter kann dann endlich wieder geklippt werden. In unserem Fall erforderte diese Stelle unzählige Versuche und ein paar harte Stürze in den ersten Bolt - für meinen persönlichen Geschmack dürfte es sich hiermit sogar um die schwierigste Einzelstelle handeln. Damit ist es nicht gegessen, der Abschnitt zum dritten Bolt eignet sich hervorragend, um allfällige aufgekommene Glücksgefühle wieder zu dämpfen. Direkt oder rechtsrum? Das originale Topo zeigt  die Rechtsvariante, was einen aber auf eine heikle, sloprige Linksquerung weit über dem letzten Bolt zwingt - es ist die vielleicht einzige, schwierige Kletterstelle der Route im >=6bc-Bereich, wo ein Sturz sehr unangenehm scheint. Direkt geklettert wäre es psychisch angenehmer, aber sturzmässig auch nicht ganz unbedenklich und vermutlich schwieriger (wir sind beide rechtsrum). Der Abschnitt über die letzten 3 Haken zum Stand ist dann vergleichsweise einfach zu haben.

Auch dieser Abschnitt sieht auf dem Foto wesentlich einfacher aus, als er in Realität ist. Die heikle, sloprige Linksquerung in L2 (7a).
L3, 40m, 8 BH, 7a: Eine Monsterlänge, super! Nach einen schon nicht ganz einfachen Auftakt stellen sich die ersten Fragezeichen am zweiten Bolt - nämlich ob man sich auf die Untergriffquerung oberhalb dessen oder die abschüssige Wandkletterei direkt am Haken einlassen soll. Da wir beide schlussendlich dieselbe Lösung gewählt haben, bleibt die Frage an dieser Stelle unbeantwortet. Die Stelle bringt einen zur Crux am nächsten Haken, wo man an zwei schlechten Leisten die Füsse auf die Platte presst, so dass sie im Abrutschgelände trotzdem haften. So gelangt man zu einer Verschneidung, in welcher sich ein grosser Teil der Seillänge abspielt. Zuerst gelangt man noch recht gut vorwärts, aber die Sache neigt sich nach rechts und wird immer abdrängender und kniffliger. Mit kreativ-abwechslungsreichen funky Moves (unverhofft auftauchende Leisten in der Wand rechts, Piaz im Riss, Verwendung der Kante) turnt man in die Höhe, total genial - Haken steckt natürlich auch nur alle 4-5m einer. Zuletzt quert man dann an ein paar perfekten Zuschraub-Crimps nach rechts hinaus in die Wand, über welche man den Stand erreicht. In dieser Seillänge gelang uns sogar ein Team-Onsight, sie ist zwar deutlich anhaltender als L2, für mein persönliches Empfinden aber leichter.

Crimpy Wandquerung am Ende von L3 (7a).
L4, 30m, 2 BH, 6a+: Die "einfache" Länge der Route, aber geschenkt gibt's da wie erwartet wenig bis gar nichts. Seien wir mal ehrlich, wenn z.B. der bekannte, von mir kurz darauf begangene '30m-Riss' in der Sagittarius am Grimsel wirklich eine 6a+ sein sollte, so müsste diese Länge hier mindestens eine 6c sein. Aber item, im Gesamtkontext der Inox wird dieses Teilstück wohl keinen Begeher ausbremsen (ausser er hätte seine Cams vergessen). Durch die griffige Wand erreicht man an einem Bolt vorbei die clean sanierte Piazschuppe. Steil und ungünstig nach rechts geneigt zieht diese in die Höhe, die Wand rechts ist strukturlos und glatt, so dass nur ein kompromissloser Layback hilft. Der Riss im Grund der Verschneidung hat erst Grösse 0.5, dann 0.75 und schliesslich 1, meinereiner braucht für diesen Abschnitt auch zwingend 3 Cams. Bei einem diagonalen Rail verlässt man die erste Verschneidung knifflig nach links zu einem BH, um den zweiten, ähnlich langen Teil an einer weiteren, kräftigen Piazschuppe zu klettern. Auf diesen 15 cleanen Metern passen erneut dieselben Cams wie unten, so dass man 0.5-1 am besten doppelt mitführt. Aber meine Piaz-Vorliebe kennt man ja, sie wird nur noch getoppt von langen Runouts in cleanen Piazrissen...

Klare Linien und ein ziemlich taffer Piaz in L4 (hart 6a+).
L5, 35m, 6 BH, 7a+: Die nominelle Crux, das kann ja heiter werden! Den ersten Bolt erreicht man mühelos, allerdings zum Preis einer schon echt kniffligen Rechtstraverse darüber hinweg. Eigentlich ist da ein verdammt guter (natürlich abschüsser Reibungs-)Tritt, aber irgendwie ist es doch kaum möglich, sich da drüber zu schieben, ohne dass der Fuss rutscht. Einmal gelungen, ist man dafür an ein paar griffigen Strukturen rasch beim zweiten Haken, wo die Musik zu spielen beginnt. Eine unglaublich kompakte Platte mit ein paar Noppen stellt sich in den Weg und es will erst einmal entschlüsselt werden, wie man darüber hinweg kommt. Direkt hoch sind die rettenden Griffe und auch der nächste BH nicht einmal meilenweit entfernt, dafür aber ist das Gelände am Bolt richtig blank. Am einfachsten geht's zuerst linksrum in die Höhe, dafür wartet dann eine heikle Horizontaltraverse deutlich über dem Haken. Hat man eine Lösung für diese Passage gefunden, bringen einen gut zu managende Moves über 2 BH zu einer henkligen Dächerzone, welche im Zuge der Sanierung 'gecleant' wurde. Man kann aber gut legen und turnt nach rechts hinauf, cool! Am Ende kommen dann nochmals 2 Bolts, wobei schon der Klipp des Finalen sich als knifflig präsentiert. Das gilt erst recht für die folgende Kletterstelle, wo es auch wieder viel Interpretationsspielraum gibt. Vom Hook bis hin zu einem kleinen Umweg nach rechts ist vieles denkbar, was wohl am besten aufgeht?!? Finde es selber heraus ;-)

Zuerst wartet in L5 (7a+) superkompaktes Gelände, danach folgen einige griffigere Dächer.
L6, 40m, 6 BH, 7a: Nach einem Start-Mantle klettert man zügig vorwärts zu einem knapp 1m ausladenden Dach, welches die Erstbegeher wie man anhand der alten Bohrkronen sieht, A0 erschlossen haben. Heutzutage ist fertig mit solcher Praktik, steckt der Bolt doch unterhalb im Dach und nachher folgt nichts (bzw. nur Griffe, aber kein Metall ;-)). Diese Crimps sind nicht so schlecht und der Mantle übers Dächle zwar zwingend, aber auch nicht voll die Härte - ich empfand diese Stelle als klar einfacher wie die fusslastigeren L2 und L5. Damit enden die Hauptschwierigkeiten, doch in weiterhin fordernder, schöner 6bc-Kletterei mit ein paar zwingenden Passagen erreicht man zuletzt nach links tendierend den Ausstiegsstand mit dem Gamellen-Wandbuch, nur etwa 10m vom Ende der Suworov entfernt.

Die letzten Meter zum Top in L6 (7a).
Nach zähem Ringen hatten wir ein paar Minuten nach 17.00 Uhr und damit nach über 6:30h Kletterei das Top erreicht. Ja, so vergeht die Zeit, wenn man um diverse Kletterstellen heftig kämpfen muss und die Boulderpuzzles erst entschlüsselt werden wollen. Doch anders geht's bei dieser voll zwingend gehaltenen Absicherung nicht, ausser natürlich man fühle sich so in seinem Element, dass man die Inox einfach hochspazieren könnte. Allen die sowas drauf haben gebührt unser höchster Respekt, tja da würde ich gerne dabei zusehen und mir eine Scheibe davon abschneiden! Trotz unserer ausufernden Begehungszeit sind wir hochzufrieden, es hatte total Spass gemacht! Ja, in der Inox ist der Grad 7a halt einfach schon richtig, richtig schwierig. Ohne Bewegungstalent, ohne gute Reibungstechnik und ohne das Mindset, sich auf Kletterei an der Haft- und Abrutschgrenze in abschüssigem Gelände jenseits der letzten Sicherung einzulassen, kommt man hier nirgendwo hin - nur mit Kraft allein geht's nicht, allerdings ist etwas Strom in Finger und Arm dann auch durchaus wieder unabdingbar. Es ist nämlich auch nicht so, dass es sich um reine Reibungskletterei handeln würde, die Wand ist recht steil und man hat ständig kleinere oder grössere Griffe in der Hand. 

Auf dem Heimweg... der Inox-Pfeiler mit seinem etwas weniger steilen Sockel hat auf den Fotos einfach ein klein wenig etwas von der Nose am El Cap. Genau dafür hatte mir mein Kollega Roby die Route dereinst auch empfohlen, hatte er sie doch selber als Trainingsroute für sein Freikletterprojekt am El Cap genutzt. Dieses ist dann tatsächlich gelungen, eine absolut geniale und in den Medien viel zu wenig gewürdigte Geschichte. 
Nachdem wir ausgiebig im Wandbuch gelesen hatten - wir markierten die 32. Begehung seit der Sanierung vor 8 Jahren, wobei etliche Kletterer gleich mehrere dieser auf sich vereinen - machten wir uns auf die Abseilfahrt. Im Laufe des Tages hatte sich die Sonne erst wegen Wolken rar gemacht, später war sie dann sogar hinter dem Horizont verschwunden. Zusätzlich war eine steife Brise aufgekommen, so dass wir (positiv gesehen) stets auf exzellente Bedingungen am Reibungslimit hatten zählen können. Für die Abseilerei wären hier 60m-Seile durchaus praktisch, so würde man in nur 3 Manövern wieder an den Einstieg kommen. Mit den 50er-Stricken muss man hingegen jeden Stand nutzen, nur zuletzt kann man sich diagonal gerade auf den etwas höher gelegenen Einstieg der Suworov retten. Wir packten unsere Ware und philosophierten schon jetzt: "wann und für welche Tour würden wir wohl hierher zurückkommen?". Die Inox hatte uns bereits in ihren Bann gezogen - eigentlich wäre es ja schon noch nötig, hier einmal noch alle Längen zu punkten oder noch besser, so gut zu werden, dass man über alle diese Boulderstellen einfach hinaufschweben kann. Eine andere Möglichkeit bestünde noch in der Cyclope, welche de visu durchaus ein paar interessante Kletterstellen bereithalten könnte. Abgesehen von den rostig-alten Haken und der weit gebohrten ersten Länge sieht die Absicherung dort noch recht zugänglich aus. Pointless erscheint hingegen die Chifir rechts der Inox. Komplett unverständlich, wie die Brothers hier ihren eigenen Meilenstein Inox mit einer unlogischen, nicht frei kletterbaren Linie mit diversen A1-Bohrhakenleitern und teilweise gemeinsamen Ständen entwertet haben.



Facts

Schöllenen - Inox 7a+ (7a obl.) - 6 SL, 210m - C. & Y. Remy 1983, saniert 2012 - *****;xxx
Material: 2x50m (oder bequem zum Abseilen) 2x60m-Seile, 12 Express, Cams 1x 0.2-0.4 & 2x 0.5-1

Trotz der moderaten Bewertung im 7a-Bereich wird diese haarsträubende Granitroute auch heute noch für manchen Kletterer ein Testpiece darstellen. Einerseits liegt das am Charakter der Kletterei, die perfekte Fusstechnik, gute Nerven und auch etwas Kraft erfordert, wobei letztere sicher bei den wenigsten Aspiranten den limitierenden Faktor darstellt. Die Bohrhaken sind solide und intelligent platziert - es scheint allerdings mit Absicht so, dass die Kletterei so obligatorisch wie möglich ist. Wahnwitzig weit oder gefährlich sind die Abstände eigentlich nie, nur halt eben auch an den Schlüsselstellen oft zwingend. Ob man dies nun als xx oder xxx wertet, ist ein wenig Ansichtssache. Wäre die Kletterei nur ein wenig mehr positiv-griffig-kontrollierbar-zugänglich, so würde man bei diesen Abständen ohne weiteres von guter Absicherung reden und somit entscheide ich mich für die xxx. Stellenweise müssen Cams platziert werden, was dann aber sehr gut möglich ist. In der Originalversion (so schien es uns) konnten vermutlich etliche der schwierigen Kletterstellen genullt werden, dies aber wohl zum Preis von gefährlichen Abständen im etwas einfacheren Gelände - somit weist die Route heute sicher das gesündere und sportlich wertvollere Absicherungskonzept auf. Bezüglich der Schönheit der Route gibt es keine Zweifel: das verdient volle 5*, Weltklasse! Stünde diese Tour im Yosemite, so wäre sie ganz sicher ein gehypt-überranntes Testpiece. Nun befindet sie sich halt "nur" in der Schöllenen (ja immerhin auch ein geschichtsträchtiger Ort) mit ihrem etwas gewöhnungsbedürftigen Ambiente und führt auch auf keinen Gipfel, aber die Kletterei ist einfach so gut, so komplett, so anhaltend und so fordernd, dass die Höchstnote absolut verdient ist.

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